Kein Flugzeugabsturz, keine einsame Insel und keine europäischen Schulknaben. Und doch tobt die grinsende Schweinefratze, der „Herr der Fliegen“ wie man ihn aus William Goldings gleichnamigen Roman kennt, eindringlich durch Monos, den neuen Film des ecuadorianisch-kolumbianischen Regisseurs Alejandro Landes, der dieses Jahr im Berlinale Panorama zu sehen ist. Monos“, so nennt sich die achtköpfige Gruppe von jungen Gueriller@s, die in den kolumbianischen Anden ausharrt. In der Abgeschiedenheit der Berge sollen die etwa 12- bis 16-Jährigen bewaffnet und auf sich gestellt eine nordamerikanische Geisel und eine Milchkuh bewachen. Kontakt zu Befehlshaber*innen haben sie nur über ein Funkgerät. Zu welcher Guerilla-Organisation gehören sie? Und warum unterstützt kein Erwachsener die Jugendlichen bei der herausfordernden Aufgabe?
Auf den ersten Blick wirken die „Monos“ weniger wie Aufständische, sondern mehr wie gewöhnliche, überdrehte Teenager auf einer Klassenfahrt mit zugegeben hippieskem Charme: Umgeben von Bergspitzen und klarer Luft toben die Jugendlichen frei durch die Natur, sitzen gemeinsam am Feuer, erzählen, lachen und entwickeln ihre ersten romantischen Gefühle. Sehr eindrucksvoll sind auch ihre ausgelassenen Tänze und bunten Gesichtsbemalungen. Jedoch werden die vermeintlich idyllischen Szenen durchbrochen durch die harten Militärübungen der Kinder und die untereinander herrschende Hierarchie. Zum Spaß schießen die „Monos“ mit ihren Waffen wild in die Luft und sind ihrem Anführer „Lobo“ (Wolf) treu ergeben. Es lässt sich also nichts Gutes ahnen, als die Jugendlichen eines Morgens bewaffnet und schreiend einen ihrer Kameraden verfolgen, bis dieser ins Gras fällt. Sie geben ihm heftige Schläge auf das Hinterteil, während sie laut mitzählen. Erst beim 15. Schlag rufen sie dem am Boden Liegenden plötzlich lachend zu: („Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“)
Ein deutliches Aufatmen geht nach dieser Szene durch den Kinosaal, welches jedoch nicht lange anhält, denn der Film nimmt schnell eine sogartige Spannung an, als die Jugendlichen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und die Situation eskaliert. Letztlich spielt es keine Rolle, zu welcher Organisation die „Monos“ gehören oder welchen Zweck ihre Aktion hat: Mit starker und gewollter Referenz zum Herr der Fliegenlegt der Film seinen Fokus auf ihre Gruppendynamik in der eskalierenden Gewalt. Die unübersehbare Ähnlichkeit zum berühmten Roman nimmt Monos jedoch keinesfalls seine Spannung. Vielmehr kommen in dieser neuen Interpretation weitere interessante Faktoren hinzu, zum Beispiel das Machtverhältnis zwischen den Jugendlichen und der etwa 40-jährigen Gefangenen sowie sexuelle Spannungen. Außerdem treffen häufige Kritikpunkte am Herr der Fliegen – beispielsweise die rassistische Darstellung von Wildheit oder der komplette Verzicht auf Mädchen in der Geschichte – wohl kaum mehr zu auf diese gemischte und vielfältige Gruppe von Jugendlichen aus Lateinamerika in Monos. Alejandro Landes schafft es, mit seinem Film eine eigene Art der Geschichte zu finden und die Zuschauer*innen mitzureißen auf eine wilde, bildgewaltige und spannende Fahrt, die sie atemlos zurücklässt.