KEINE NEW DEALS AUF AUGENHÖHE

Mexiko hat mit seinen Freihandelsverträgen eine Eingangstür für den zollfreien Export in 46 Staaten weltweit, inklusive den USA und der EU. Davon profitieren vor allem transnationale Unternehmen, die in Mexiko billig produzieren. Warum ist das Land ein so großer Befürworter des Freihandels?
Die verschiedenen Regierungen der vergangenen Jahre sagten, die Freihandelsabkommen würden die Entwicklung und das Wachstum im Land fördern. Der Freihandel sei eine Voraussetzung dafür. Zweifellos ist die Realität eine andere. Man sagte uns, der Freihandel würde die ländliche Entwicklung voranbringen, das Wachstum des Produktionssektors begünstigen, es würden mehr und bessere Arbeitsplätze sowie bessere Lebensbedingungen für die Bevölkerung entstehen. Leider kam es nicht so. Die Agrarwirtschaft brach ein, weil aufgrund der Abkommen Subventionen abgeschafft wurden.

Was waren die Folgen für die mexikanische Industrie und den Arbeitsmarkt?
Im Norden wurden viele maquiladoras (Großfabriken der Fertigungsindustrie; Anm. der Red.) gebaut. Zunächst beschäftigte man dort vor allem Männer. Später wurden fast nur Frauen eingestellt, welche weniger Lohn erhalten und prekären Bedingungen ausgesetzt sind. Es gibt dort viele Femizide (Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, Anm. d. Red). Auch nahm die Beschäftigung in der zunehmend wichtigen Autoindustrie zu. Damit wurden vor allem Jobs im Niedriglohnsektor geschaffen. Die mexikanische Regierung bot ausländischen Unternehmen Orte für den Bau von Fabriken an, diese brauchten dann zehn Jahre lang keine Steuern zu zahlen und ihnen wurde zusätzlich die nötige Infrastruktur bereitgestellt. Der Autohersteller Ford beispielsweise wollte eine Fabrik für den Ford Focus bauen. Die lokale Regierung von San Luis Potosí stellte 280 Hektar Land dafür zur Verfügung, gab Millionen für die Infrastruktur aus und bot dem Unternehmen zehnjährige Steuerfreiheit an. Dann forderte Trump Ford dazu auf, dort keine Fabrik zu bauen, und die Bemühungen Mexikos blieben umsonst.

Traditionell gibt es in Mexiko viele Beschäftigte im Agrarsektor, vor allem im kleinbäuerlichen Bereich. Welche Auswirkungen sind hier zu beobachten?
Die Situation der Landwirtschaft in Mexiko ist sehr ernst. Wir waren autark in der Produktion von Nahrungsmitteln. Seit NAFTA importieren wir Saatgut für Mais, Getreide und Bohnen. Dadurch wurden ungefähr drei Millionen Bauern und Indigene zu Emigranten, entweder in andere mexikanische Bundesstaaten, in denen transnationale Unternehmen Landwirtschaft betreiben, oder in die USA.

Welche Inhalte möchte die US-Delegation mit Mexiko neu verhandeln?
Interesse besteht am Energie- und Erdölsektor Mexikos. Die mexikanische Regierung treibt eine Verfassungsreform voran, durch die US-Firmen Zugang zum mexikanischen Markt bekommen. Eine der wichtigen Bestimmungen der Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada oder auch mit der EU erlaubt es, dass internationale Firmen die gleichen Bedingungen wie mexikanische Firmen bekommen. Dadurch entsteht ein Nachteil für letztere, die eventuell nicht das gleiche Kapital oder die Technologie besitzen. Der Zerfall des Produktionssektors in Mexiko hat viel damit zu tun.

Warum möchte Mexiko parallel dazu mit der EU das gemeinsame Freihandelsabkommen (Globalabkommen) neu verhandeln?
Es gab zunächst kein großes Interesse an dem Abkommen mit der EU und einer Neuverhandlung. Als sich die Situation durch die Wahl Trumps änderte, entschied sich die mexikanische Regierung, ihre Handelsbeziehungen zu diversifizieren. Interesse daran besteht auch wegen der durch NAFTA entstandenen Nachteile im Agrarsektor, welche Mexiko auf die Verhandlungsliste mit der EU setzt. Auf der anderen Seite hat die EU Interesse am Öl- und Energiesektor Mexikos.
Es ist eine beschämende Situation und untertänige Haltung gegenüber den USA und der EU. Denn dadurch, dass die mexikanische Regierung internationalen Konzernen derart günstige Konditionen anbietet, gibt sie ihre stärkste Verhandlunsgposition auf. Andere Länder nutzen ihre Ölvorkommen in Verhandlungen!

Der deutsche Chemie- und Pharmakonzern Bayer ist kurz davor den amerikanischen Agrarkonzern Monsanto zu kaufen. Dieser hat großen Einfluss in Lateinamerika. Wegen internationaler Abkommen zum Schutz von Investitionen hätte dann Bayer das Recht gegen lateinamerikanische Staaten zu klagen. Welche Fälle sind denkbar?
Firmen, die in Mexiko investieren, haben eine bestimmte Gewinnerwartung. Wenn sie diese nicht erreichen, könnte es passieren, dass Mexiko aufgrund dieser Abkommen verklagt wird und es die Differenz zu den Erwartungen bezahlen muss. Die Erfahrungen, welche wir bisher gemacht haben – auch wenn zwei Fälle im Ausland zugunsten mexikanischer Firmen ausgingen – sind ähnlich wie der von der amerikanischen Firma Metalclad. Sie hat giftigen Müll in einer Deponie bei San Luis Potosí abgeladen. Die Menschen vor Ort haben sich dagegen gewehrt, woraufhin die lokale Regierung die Firma daran gehindert hat, dort weiterhin giftigen Müll abzuladen. Deshalb hat Metalclad Mexiko verklagt. Die Firma gewann und erhielt 16 Millionen Dollar vom mexikanischen Staat. Diese Summe forderte der Staat später von der Kommune zurück.

// DAS DRECKIGE DREIECK

Aus sechs mach drei. Bislang kontrollierten die Konzerne Monsanto, Bayer, Syngenta, DuPont, Dow Chemical und BASF drei Viertel des globalen Agrarchemiemarktes und knapp zwei Drittel des weltweiten Saatgutmarktes. Mit der Übernahme von Monsanto durch Bayer hat die vorerst letzte Konzentrationswelle ihren Abschluss gefunden: Erst schluckte ChemChina Syngenta, dann schlossen sich DuPont und Dow Chemical zusammen und nun kam Bayer bei Monsanto BASF zuvor. Ein Triopol beherrscht nun den Markt, während BASF als Verlierer beim Milliarden-Monopoly statt des Opernplatzes nur die Badstraße bleibt.

Bayer vergrößert damit gerade in Lateinamerika seinen Marktanteil deutlich. 21 Prozent von Monsantos weltweitem Gewinn 2015 kamen aus Argentinien, Brasilien und Mexiko. Die Auswirkungen einer immer stärkeren Konzentration der Saatgutproduktion lassen sich bei einem Blick auf die Zahlen erahnen: Mitte der 1990er Jahre hielten die damals zehn größten Unternehmen der Saatgutindustrie noch einen Marktanteil von unter einem Drittel – das schafft Bayer nach der Monsanto-Übernahme für 66 Milliarden US-Dollar fast alleine. Die Leverkusener katapultieren sich damit weltweit auf Platz 1 bei Pflanzenschutzmitteln und beim Saatgut, mit jeweils einem Drittel Marktanteil. Bei gentechnisch veränderten Pflanzen hat Bayer-Monsanto mit einem Schlag über 90 Prozent Marktanteil. Bayer-Monsanto wird damit zum zentralen Player bei der Frage nach der Ernährung von sieben Milliarden Menschen: ein Pillendreher-Konzern, dessen Fußballtruppe noch in den 1990er Jahren mit dem Schlachtruf geschichtsbewusster Fans begrüßt wurde: „Giftgas, Krieg und Völkermord – das ist Bayers Lieblingssport!“

„Wenn das erste Glied der Saatgutkette von fünf Konzernen kontrolliert wird, bedeutet das, dass der grundlegendste Teil, nämlich unser Essen, kontrolliert wird. Das ist eine Diktatur“, meint die indische Menschenrechtsaktivistin Vandana Shiva. Angesichts einer bis zum Jahr 2050 auf zehn Milliarden Menschen steigenden Weltbevölkerung ist es keine sehr demokratiekompatible Aussicht, wenn nur noch drei Konzerne den Ursprung der Ernährung kontrollieren. Und dass diese zum Wohle der 800 Millionen Hungernden in der Welt fusionieren, kann ebenso bezweifelt werden, wie dass sie aus Menschlichkeit den Bäuerinnen und Bauern das Saatgut zum Vorzugspreis zur Verfügung stellen werden. Die Baumwoll-Kleinbäuerin in Indien wird es wie der ghanaische Tomaten-Bauer oder die auf den ejidos Mais anbauenden mexikanischen Gemeinschaften spüren, was es bedeutet, wenn geballte Konzernmacht auf noch mehr Profit aus ist. Mehr denn je droht nun die Ernährungssouveränität gänzlich verloren zu gehen – also die Fähigkeit, die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu bestimmen. Staaten werden stärker beeinflussbar und schlicht erpressbar, wenn sie marktbeherrschenden Konzernen gegenüberstehen, die Amok laufen, wenn sie ihre Profite in Gefahr sehen. Wenn Staaten versuchen sollten, durch regulatorische Bestimmungen den Schutz von Mensch und Umwelt zu garantieren oder bei drohenden Hungerkrisen Patente und Gebühren auf Nachbau infrage zu stellen, haben die neuen Megakonzerne nun noch bessere Karten, um das zu verhindern.

Die Kontrollwut des Agrobusiness ist global. Wer glaubt, Europa sei eine davon ausgenommene Insel der Glückseligkeit, geht fehl. In der EU wird der Saatgutmarkt bei Gemüsen zu 95 Prozent von fünf Firmen kontrolliert. Allein Monsanto hat nach einer Erhebung aus dem Jahr 2014 einen Anteil von einem Viertel. Bei Mais sind es fünf Konzerne, die drei Viertel des Saatguts kontrollieren, bei der Zuckerrübe kontrollieren nur vier Firmen 86 Prozent. „Wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert das Leben, nicht nur die Menschen“, urteilt Vandana Shiva. Dieser Entwicklung gilt es, entschieden entgegenzutreten. Umso mehr, wenn The Bad jetzt The Ugly schluckt und The Good auf dem pestizidverseuchten Acker steht, den er wegen Überschuldung bald los sein wird. „Si es Bayer, es bueno“ („Wenn es von Bayer kommt, ist es gut“) lautet der historische Werbespruch Bayers in Südamerika – eine profitable Lüge.

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