Vorschläge für eine neue Linke

Bei den Wahlen im April dieses Jahres war von der peruanischen Linken nichts zu sehen. Weder präsentierte sich ein linker Präsidentschaftskandidat noch eine linke Parlamentsliste. Sie sind einer der wenigen Linken, die sich überhaupt um einen Sitz im Kongress beworben haben. Wie sehen Sie die Perspektiven der peruanischen Linken in der Zukunft? Wird sie nach dem Ende der Montesinos-Fujimori-Diktatur wieder bessere Zeiten erleben?

Es gibt momentan einen fruchtbaren Boden für linke Vorschläge, insbesondere was die soziale Gerechtigkeit betrifft. Das liegt an der schweren wirtschaftlichen Rezession und an der sozialen Misere im Land. Außerdem haben die Leute entdeckt, dass sie die Politiker kontrollieren müssen, damit diese ihren Erwartungen und Hoffnungen entsprechen. Man kann nicht nur einen Politiker wählen und diesen dann mit seinen Machtbefugnissen machen lassen, was er will. Wir müssen eine partizipative Demokratie schaffen, mit neuen Elementen. Die Linke in Peru hat allerdings mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Es ist nun einmal so, dass die IU sich aufgelöst und politisches Kapital verloren hat. Das war meiner Meinung nach den starken dogmatischen und separatistischen Strömungen innerhalb der verschiedenen Parteien des Bündnisses geschuldet. Dazu kam die mangelnde Effizienz der Linken, von denen viele angetreten waren, um eine Politik für die Armen und Entrechteten umzusetzen. Einmal in ein politisches Amt gewählt, verzichteten sie aber auf Elemente partizipativer Demokratie und regierten mit denselben autoritären Methoden wie rechte Politiker. Das war im Grunde kein Wunder, denn in den Organisationen der Linken wurde intern auch keine Demokratie praktiziert. Aufgrund der ideologischen Krise heutzutage nimmt auch der Opportunismus innerhalb der Linken zu. Wir müssen deshalb den Aufbau einer linken Bewegung völlig neu planen.

Was soll denn das Neue an dieser linken Bewegung sein?

Wir müssen mit ideologischen Prinzipien anfangen, aber nicht mit einer geschlossenen Ideologie. Wichtig ist, sozialen Bewegungen gegenüber offen zu sein, mit Prinzipien wie Solidarität, Gleichheit und partizipative Demokratie. Die PUM versteht Politik beispielsweise als Entwicklung einer Kultur und nicht nur als Verwaltung eines Teils des Staates. Die Bedingungen für ein Wachstum der Linken sind günstig, aber sie muss sich neuen Sektoren öffnen und eine Alternative zur herrschenden Politik entwickeln. Gewerkschaften oder Basisorganisationen dürfen dabei aber nicht Transmissionsriemen einer Partei sein. Das ist in Peru ein Grundproblem orthodoxer marxistischer Organisationen: deren Vertreter besetzen wichtige Funktionärsposten außerhalb ihrer Partei, doch ihr sozialer Einfluss bleibt gering.

Was müssten denn die konkreten Vorschläge einer Neuen Linken sein?

Ich sehe vier Achsen linker Politik. Die erste ist der Aufbau einer partizipativen Demokratie, die positive Elemente einer repräsentativen Demokratie aufgreift, wie beispielsweise Wahlen. Damit einhergehen müssen Mechanismen direkter Demokratie und der Kontrolle. Die zweite Achse ist eine Dezentralisierung des Landes. Das heißt: eine Umverteilung der Macht auf verschiedene Instanzen, die Tolerierung einer Gesellschaft der Unterschiede und die Anerkennung verschiedener Identitäten. Jede Region soll ihre eigenen Autoritäten wählen, einen eigenen Haushalt bekommen, ein eigenes Bildungs- und Gesundheitssystem verwalten. Natürlich müssen auch die Befugnisse der Kommunen beträchtlich erweitert werden. Die dritte Achse ist die Rückkehr der Ethik in die Politik, verbunden mit einem Mehr an Transparenz. Die vierte Achse ist schließlich ein grundlegender Wechsel in der Wirtschaftspolitik. Wir haben einen wilderen und brutaleren Kapitalismus erlebt als der Rest Lateinamerikas: das Land ist zerstört und deindustrialisiert. Die Landwirtschaft liegt brach und wurde ihrem Schicksal überlassen. Die einzigen Investitionen gibt es im Bergbau und bei der Finanzspekulation. Die bedeutendsten Industriezweige sind in ausländischer Hand. Hinzu kommt, dass das Land pro Jahr 2,1 Milliarden US-Dollar für die Schuldenrückzahlung aufwendet. Die verheerenden Folgen dieser Politik schlagen sich in den neuesten Statistiken zur Arbeitslosigkeit und Verarmung nieder.

Ist der gegenwärtige Spielraum zur Umsetzung linker Wirtschaftspolitik nicht besonders eng?

Für eine ganze Reihe von Maßnahmen ist der Zeitpunkt günstig. Die Wirtschaft kann aus der schweren Rezession nur durch eine Reaktivierung der Nachfrage herauskommen, und das geht nur über eine Einkommensverbesserung bei den Konsumenten. Alle Bauern sind sich einig, dass wir eine neue Agrarpolitik brauchen. Und auch wenn wir kein Problem mit ausländischen Investitionen haben: Es darf nicht so weit kommen, dass das Land von auswärts regiert wird. Eine Wiederherstellung der Arbeitsrechte steht ebenso an wie die Einführung des Achtstundentags. Außerdem: Der Zeitpunkt ist günstig, um über die Strukturen der Monopole und Oligopole bei der Strom- und Wasserversorgung oder den Telefondiensten zu verhandeln, denn es gibt starke soziale Proteste gegen deren Missbrauch. Es ist ebenfalls der Moment gekommen, in dem die neue peruanische Regierung mit einer breiten nationalen und internationalen Unterstützung die Bedingungen der Schuldenrückzahlung neu verhandeln kann. Auch in der Haushaltspolitik sind entscheidende Weichenstellungen möglich: Das Ansehen der peruanischen Streitkräfte ist auf dem Nullpunkt angelangt. Daher war die Gelegenheit noch nie so günstig, den Militärhaushalt drastisch zu kürzen. Das gesparte Geld kann in die Bereiche Bildung und Gesundheit investiert werden. Wir leben in einer schwierigen Zeit, die aber gleichzeitig viele Chancen bietet.

Kommen wir zur partizipativen Demokratie zurück. Wie soll diese konkret umgesetzt werden? Wie können zum Beispiel staatliche Institutionen besser kontrolliert werden? In den vergangenen zehn Jahren wurde Peru schließlich von einer Mafia regiert, die systematisch Richter, Staatsanwälte, Steuer- und Wahlbehörden, Oppositionspolitiker und Unternehmer bestochen und für ihre Zwecke eingesetzt hat.

Einige Vorschläge: Alle Amtsinhaber sollen gewählt werden, doch die Bürger müssen jederzeit das Recht haben, ihnen das Mandat abzuerkennnen, wenn sie die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Beispielsweise wenn eine bestimmte Anzahl von Unterschriften für ihre Absetzung vorgelegt wird. Regelmäßig stattfindende öffentliche Versammlungen können einen direkten Dialog zwischen Bürgern und gewählten Repräsentanten sicherstellen. Weiterhin möchten wir, dass die Betroffenen bei allen sozialen Programmen der Regierung mitbestimmen, beispielsweise die Mütter bei den Programmen zur Milchausgabe an Kinder oder die Einwohner bei den Vertragsabschlüssen mit Firmen, die Wege oder Straßen in ihrem Viertel bauen. Die Bürger müssen mehr Kontrollmöglichkeiten und Einblick in die Finanzierung erhalten. Wir wollen ein Recht auf ein Referendum auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Wir wollen, dass in den Kommunen Räte mit Delegierten sozialer Organisationen aufgebaut werden. Die sollen die jeweiligen Bürgermeister zur Rechenschaft ziehen und über Einnahmen, Ausgaben und die Rangordnung von Projekten mitentscheiden dürfen. Natürlich sind auch Änderungen in den Kommunikationsmedien erforderlich: in staatlichen Fernseh- oder Rundfunkanstalten oder Zeitungen muss es ebenfalls eine Beteiligung der Bürger geben, und die privaten Medien haben bestimmte Verpflichtungen einzugehen.

Was für eine Rolle soll das Parlament in einer partizipativen Demokratie spielen? Viele Abgeordnete erweisen sich immer wieder als korrupt. Ein Kandidat für einen Abgeordnetensitz, der nicht über genügend Mittel für den Wahlkampf verfügt, hat praktisch keine Chance in den Kongress einzuziehen. Und weder Minderheiten noch Basisorganisationen sind dort vertreten.

Natürlich sollte die Wahlwerbung in allen Medien kostenlos sein. Alle Kandidaten müssen die gleichen Chancen besitzen. Dann muss in Peru ein Parteiengesetz verabschiedet werden, dass die demokratische Struktur der Parteien selbst sicherstellt. Wir teilen aber nicht den Standpunkt, dass soziale und andere Basisorganisationen einen Sitz im nationalen oder regionalen Parlament erhalten sollten. Es gibt bereits regionale Erfahrungen damit, und es hat nicht funktioniert, es war zu bürokratisch. Wir ziehen eine demokratische Wahl mit Rechenschaftspflicht vor. Das heißt, dass aktive und engagierte Bürgergruppen tatsächlich eine Kontrolle ausüben können. Wir müssen aber die Anzahl der Abgeordneten in Peru erhöhen. Es ist absurd, dass 120 Abgeordnete 27 Millionen Peruaner vertreten sollen. Auch deshalb, weil wir kleinere Wahlbezirke brauchen. Dann können die regional gewählten Abgeordneten auch besser Rechenschaft ablegen. Auch Minoritäten haben so eher eine Chance, in den Kongress zu gelangen. Ich selbst vertrete seit längerem die Idee, dass Ethnien aus dem Amazonasgebiet zwei Abgeordnete im Parlament stellen sollten, auch wenn sie dazu nicht die nötigen Stimmen erhalten. Ihre Standpunkte können so besser an die Öffentlichkeit gelangen und auch von anderen Parteien diskutiert werden. Wir haben mehr als 30 Ethnien im Amazonasgebiet; einige von ihnen sind sehr klein, und sie würden niemals genügend Stimmen erreichen, um ihre Repräsentanten ins Parlament zu bekommen.

Das Interview wurde im April 2001 von Rolf Schröder geführt


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Der freie Fall der peruanischen Linken

Im Jahre 1981 wurde in Peru nicht nur die Kommunistische Partei auf dem Leuchtenden Pfad Mariáteguis, dem berüchtigte Sendero Luminoso, aus der Taufe gehoben, sondern auch die Izquierda Unida (Vereinte Linke, IU). Sie war der Zusammenschluß verschiedener Parteien der kommunistischen, sozialistischen und christlichen Linken. Ihre Option war der friedliche Weg zur Macht. Sowohl die IU als auch Sendero hätten ihr Ziel fast erreicht. Ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen 1990 lag der IU-Kandidat Alfonso Barrantes in Meinungsumfragen knapp vor seinem Mitbewerber, dem großen Favoriten Mario Vargas Llosa. Zwei Jahre später überzog der Sendero Luminoso die Hauptstadt Lima mit einem derartigen Bombenterror, daß das politische System auseinanderzubrechen drohte. Heute ist von der legalen Linken weniger übrig geblieben als vom Sendero. Während der Leuchtende Pfad zumindest noch existiert und durch vereinzelte Aktionen auf sich aufmerksam macht, sind die Reste der IU zersplittert und zerschlagen. Dabei wäre eine starke linke Opposition im Kongreß bitter nötig, denn Präsident Fujimori und sein Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos regieren das Land mit diktatorischen Mitteln, zeichnen für gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich und steuern einen rigiden neoliberalistischen Wirtschaftskurs.

Aufstieg und Fall – die Geschichte der IU

Die IU war gleich nach ihrer Gründung überaus erfolgreich. Ihre Kandidaten eroberten in mehreren Städten und Dörfern das Amt des Bürgermeisters. Auch bei den Parlamentswahlen erreichte die IU regelmäßig rund 25 Prozent der Stimmen. Alfonso Barrantes war für die IU Bürgermeister von Lima und wurde von der Bevölkerung wegen seines Einsatzes für eine Essenausgabe an die Armen liebevoll frijolito, „Böhnchen“, genannt. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 1985 wurde er Zweiter hinter Alan García von der „sozialdemokratischen“ APRA (Amerikanische Revolutionäre Volksallianz). Er verzichtete zugunsten Garcías auf den entscheidenden zweiten Wahlgang. Auch der APRA-Führer hatte sich eine „anti-imperialistische Politik“ auf die Fahnen geschrieben und unter anderem angekündigt, nur noch zehn Prozent der Deviseneinnahmen Perus für den Schuldendienst aufbringen zu wollen. Doch als Barrantes im September 1989 bei Meinungsumfragen für die erneut anstehenden Wahlen an erster Stelle lag, begann der unaufhaltsame Absturz der IU. Fünf Jahre später konnte der Kandidat der IU bei den Präsidentschaftswahlen, Agustín Haya de la Torre, nur noch ein einziges Prozent der Stimmen erringen.
„Mehr noch als der Fall der Mauer hat die Selbstzerfleischung der peruanischen Linken zu ihrem Niedergang beigetragen“, lautet das Urteil von Haya de la Torre heute. Wohl wahr, wenn man Revue passieren läßt, was seit 1989 geschah. Noch vor den Wahlen im Jahr 1990, bei denen Barrantes endlich das Präsidentenamt übernehmen wollte, kam es zur Spaltung. Barrantes gründete die Izquierda Socialísta (Sozialistische Linke) und wurde deren Kandidat. Die IU schickte Henry Pease ins Rennen. Als Folge kam keiner der beiden Kandidaten in den zweiten Wahlgang gegen Vargas Llosa, sondern ein bis dato im Ausland völlig unbekannter Außenseiter: Alberto Fujimori. Und der schaffte mit den Stimmen der Linken die Sensation. Der Fall der IU war damit nicht beendet. Eine kleine Gruppe innerhalb der IU war bereit, mit Fujimori zu kollaborieren. Der frisch gewählte Präsident nahm prompt einige Mitglieder aus der IU in sein Kabinett auf. Als diese nach der baldigen Verkündigung des neoliberalistischen Schockprogramms nicht von ihrem Amt zurücktraten, kam es erneut zum Streit. Im Jahre 1995 fürchteten bereits mehrere Abgeordnete, sie könnten auf der Liste der IU chancenlos sein, erneut ins Parlament einzuziehen. Unter anderem schlossen sich Gustavo Mohme, der Herausgeber der Oppositionszeitung Republica, Daniel Estrada, einst für die IU Bürgermeister von Cusco, und Henry Pease der Unidad Popular del Perú (Volksunion von Peru) des ehemaligen UNO-Genralsekretärs Pérez de Cuellar an. Barrantes hingegen gab ein erneutes Gastspiel: Er kandidierte zum dritten Mal im Namen der IU für das Präsidentenamt und trat drei Monate vor der Wahl wiederum zurück. Sein eingesprungener Vize Haya de la Torre konnte die fällige Wahlschlappe nicht mehr abwenden. Die IU war am Ende. Sie löste sich 1995, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, auf.

Chancen im Jahr 2000

Erbverwalter der IU sind die maoistische Gruppe Patria Roja (Rote Heimat), die einst moskautreue Partido Comunista del Perú (Kommunistische Partei Perus) und die Partido Unificado Mariateguista (Vereinte Mariateguistische Partei). Untereinander sind diese drei Gruppen zerstritten. Mit Javier Díez Canseco, dem Führer der PUM, und Orlando Breña konnten sich gerade noch zwei Abgeordnete ihren Platz im aktuellen Kongreß sichern. Doch keine der übrig gebliebenen Parteien hätte bei den Wahlen im Jahr 2000 die geringste Chance, nochmals einen der Ihren ins Parlament zu entsenden. Schon die Zulassung als Partei wäre schwierig, denn das Wahlgesetz sieht vor, daß jede Gruppe oder Partei dem obersten Wahlgremium, dem Jurado Nacional de Elecciones (JNE), die Unterschriften von vier Prozent der Wahlberechtigten vorlegen muß. Eine solche Anzahl auch nur annähernd zu erreichen ist utopisch. Patria Roja unternahm den Versuch eines Neuanfangs. Aus den Resten dieser Partei, zu deren Basis die einst mächtige Lehrergewerkschaft SUTEP zählt, hat sich ein Movimiento Nueva Izquierda (Bewegung Neue Linke) gegründet. Diese Bewegung soll die Keimzelle einer künftigen neuen Linken bilden. Unter Führung von Alberto Moreno beruft sich das MNI jetzt nicht mehr auf den vom Sendero hinreichend diskreditierten Maoismus und hat sogar mit einer Unterschriftenkampagne zu den Wahlen begonnen.
Angesichts der völligen Zersplitterung der Linken gibt es für die verbliebenen Gruppen und Einzelpersonen im Hinblick auf die Wahlen 2000 eigentlich nur eine Option: nach dem Vorbild von Pease, Mohme und Estrada den Anschluß an eine andere Partei oder Bewegung zu suchen. Die aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 sind der amtierende Präsident Fujimori, der Bürgermeister von Lima, Alberto Andrade, und der ehemalige Präsident des staatlichen Peruanischen Instituts für Sozialversicherungen (IPSS), Luís Castañeda (siehe LN Nr. 298). Einzig Castañeda, der allerdings wie Andrade der politischen Rechten zuzurechnen ist, geht auf Distanz zur neoliberalistischen Wirtschaftspolitik der Regierung. Doch er hat bisher noch kein Wahlprogramm vorgestellt. Es bleibt offen, ob er bereit wäre, Linke in seine Parlamentsliste aufzunehmen.
Auch die UPP böte sich für einen Anschluß an. Sie wäre bereits als Partei zu den Wahlen zugelassen, da sie beim Urnengang 1995 auf über fünf Prozent der Stimmen kam. Javier Pérez de Cuellar, der Gründer der UPP, hat allerdings seinen Rückzug ins Privatleben angekündigt. Nicht zuletzt deshalb werden der UPP bei den Wahlen geringe Chancen eingeräumt. Schon bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr kam sie nur auf etwa ein Prozent der Stimmen. Kein Wunder, denn die UPP hat als Oppositionspartei enttäuscht. Zwar konnten sich einzelne Abgeordnete aus ihren Reihen profilieren, die Partei als Ganzes aber nicht. In der Fraktion, in der auch konservative Abgeordnete vertreten sind, herrschte zu oft Uneinigkeit. Bislang ist nicht einmal klar, ob die UPP überhaupt eine Liste aufstellen wird.
Das Demokratische Forum, das sich im Rahmen der Unterschriftensammlung gegen eine erneute Kandidatur Fujimoris bildete, ist die Option von Javier Diéz Canseco und seiner PUM (siehe LN Nr. 297). Innerhalb dieser Bewegung sollen nach nordamerikanischem Vorbild Vorwahlen ausgeschrieben werden, um einen Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen. Das politische Spektrum des Forums reicht bis hin zu Unternehmerkreisen. Einig ist man sich nur in der Opposition zu Fujimori. So war das Forum federführend an mehreren Protestkundgebungen und Streiks gegen die Regierung beteiligt. Kandidaten für die Vorwahlen sind Alberto Borea, der ehemals der Partido Popular Cristiano (Christliche Volkspartei) angehörte, und der Harvard-Absolvent Alejandro Toledo. Chancen auf die Präsidentschaft hätten beide nicht, doch ins Parlament könnte das Demokratische Forum wohl einziehen. Als letzter Bündnispartner bliebe die APRA. Die Partei des ehemaligen Präsidenten Alan García kann auf einen Wählerstamm von sieben bis acht Prozent zählen. Sie läd ehemalige Mitglieder der IU regelmäßig zu Gesprächsrunden ein und bietet ihnen an, auf einer gemeinsamen Liste für den Kongreß zu kandidieren. Der letzte Präsidentschaftskandidat der IU, Haya de la Torre, neigt ebenso zu dieser Option wie Alfonso Barrantes. Auch das MNI nimmt an gemeinsamen Gesprächen teil. Doch die APRA hat Probleme mit ihrer Vergangenheit. Die Regierung Alan García hinterließ im Jahre 1990 einen Scherbenhaufen: Das Land war im Bürgerkrieg versunken, die Wirtschaft bei einer Hyperinflation von nahezu 8.000 Prozent zugrunde gerichtet. Die Korruption trieb wilde Blüten. Alan García selbst mußte emigrieren, da gegen ihn in mehreren Fällen wegen Korruption, Veruntreuung und illegaler Bereicherung ermittelt wird. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe. Dennoch setzte die APRA ihn in Abwesenheit auf Platz eins ihrer Kandidatenliste für den künftigen Kongreß. Damit bekäme García einen sicheren Abgeordnetenplatz und könnte bei einer Rückkehr zunächst Immunität genießen. Ob ehemalige IU-Mitglieder ihr Renommee verbessern können, wenn sie auf derselben Liste wie Alan García kandidieren, bleibt zu bezweifeln. Schließlich war die verheerende Bilanz der Regierung García einer der Gründe für den Niedergang der IU.

Die Zukunft der Linken

Die Linke in Peru ist nicht nur aus dem Parlament nahezu verschwunden. Auch die Gewerkschaften sind weitgehend zerschlagen. An den Universitäten, die noch in den späten achtziger Jahren eine Domäne der Linken waren, ist es still geworden. Zunächst hatte der Sendero dort versucht, alle politischen Gegner mit Drohungen und Gewalt zu verdrängen, dann wurden die wichtigsten staatlichen Hochschulen vom Militär besetzt. Während dieser Zeit konnte sich an den Universitäten kein demokratisches Leben entfalten. Selbst in Lima zogen die Militärs erst 1998 aus den wichtigsten staatlichen Universitäten ab. In den nach wie vor existenten Notstandsgebieten sind sie weiterhin präsent.
Unter dem Terror, den der Sendero Luminoso im Namen des Sozialismus säte, mußte die gesamte Linke leiden. Der Leuchtende Pfad überzog das Land mit einem Bürgerkrieg, der über 25.000 Peruaner das Leben kostete. Sein bewaffneter Kampf richtete sich auch gegen die IU: Mehrere ihrer Bürgermeister wurden ermordet. Eine wie auch immer geartete Linke wird sich erst langsam wieder neu entfalten können. Doch die kümmerlichen Reste der IU werden kaum der Motor einer solchen Entwicklung sein. Die APRA, mit Alan García an der Spitze, diskreditiert sich selbst. Vielleicht muß das Land erst wieder zur Ruhe kommen und sich demokratisieren. Mit dem Verschwinden Senderos aus dem öffentlichen Leben ist eine Voraussetzung dafür erfüllt. Jetzt muß noch die Auflösung der Notstandsgebiete, der Rückzug der Streikräfte in die Kasernen und die Abwahl des Duos Fujimori-Montesinos erreicht werden.
Die ersten Anzeichen von Widerstand gegen die Regierung zeigen sich in der Protestbewegung um das Demokratische Forum, zu der auch wieder StudentInnen zählen. Dennoch bleibt nicht nur Agustín Haya de la Torre skeptisch, was die Perspektive der Linken angeht. Deren Revitalisierung, so seine Prognose, sei nur möglich, wenn eine noch größere Wirtschaftskrise als die jetzige über das Land käme.


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Die Kinder der Verschwundenen

Warum habt ihr H.I.J.O.S. ge­gründet und ar­beitet nicht in ei­ner der bestehenden Men­schen­rechtsorganisationen mit?

Nach einer Reihe von Ge­denk­veranstaltungen für “Ver­schwun­dene” unter der Mili­tär­diktatur gab es Ostern 1995 von der Stadt La Plata aus die In­iti­ative zur Gründung von H.I.J.O.S. Derzeit gibt es un­gefähr 15 Regionalgruppen und da­rin sind über 1.000 Leute or­ganisiert, in Buenos Aires-Stadt kom­men zu den Treffen zwi­schen 70 und 100 Leu­ten. Einige von uns haben bei anderen Men­schen­rechts­gruppen mitgemacht.
Ich bin in Kuba aufgewachsen, nach­dem wir in den 70er Jahren flüch­ten mußten. 1993 kam ich zu­rück nach Argentinien und ar­bei­tete bei den Madres mit. Aber vie­le der Kinder von Ver­schwun­den­en machen nichts, und so ver­suchen wir, eine Art politischen Kri­stal­lisationspunkt zu schaf­fen. Bei H.I.J.O.S. arbeiten Kin­der von Ermordeten, Ver­schwun­denen, politischen Gefan­ge­nen und Exilierten während der letz­ten Militär­dik­tatur mit. [siehe LN 262] Die mei­sten sind so um die 20 Jahre und ha­ben wenig politische Er­fah­rung.

Wie geht das zusammen und welches sind eure Schwer­punkte?

Wir sind in der Tat sehr hete­ro­gen. Das ist ein Vorteil, denn da­mit haben wir ein breites Spek­trum an politischen Per­spek­tiven und Meinungen. Aber gleich­zeitig ist es auch ein Nach­teil, denn viele Themen können nicht vertieft werden. Zur Zeit sind wir in einer Phase, in der wir sehr intensiv ver­schiedene Din­ge diskutieren und ver­suchen, Min­destkonsense zu er­ar­beiten.
Im vergangenen Jahr ging es angesichts des 20. Jahr­es­tages des Militärputsches vor al­lem um die Geschichte und de­ren Interpretation, um die Auf­ar­beitung der Kämpfe in den 70er Jah­ren und die damaligen po­li­tischen Einschätzungen und Per­spektiven, aber auch darum, was in den 80er Jah­ren geschah: die Straf­freiheit für die Mörder, die von der Regierung verordnete Ver­söhnung und an­de­res. In jüng­ster Zeit geht es uns stärker da­rum, die aktuelle Situation der Men­schenrechte in Ar­gen­tinien in den Mittelpunkt der Arbeit zu stel­len: Das Verhalten der Po­lizei, vor allem die zuneh­men­den Razzien, das Thema der poli­ti­schen Ge­fan­genen, die staatliche Re­pression, die Situation in Ar­men­vierteln und anderes. Auch das hat etwas mit der Geschichte und ihrer gegenwärtigen Be­hand­lung zu tun.

Wie arbeitet ihr politisch in der Öffentlichkeit?

Nun, im letzten Jahr haben wir sehr viele Ge­denkfeiern für ge­fallene Compañeros der Mi­li­tär­diktatur veranstaltet. Wir be­su­chen sehr viele Schulen und spre­chen mit den SchülerInnen über die jüngste Geschichte. Ei­ne Komission kümmert sich um Kin­der von Verschwundenen, die nach der Ge­burt ihren Eltern weg­genommen und häufig von Mi­litärs angeeignet wurden. Wir ma­chen eine Zeitung, Kam­pag­nen gegen konkrete Leute unter dem Titel “Die Mörder laufen durch die Straßen” oder “Die Mör­der sind Teil der Regierung”.

Wie ist das Verhältnis von H.I.J.O.S. zu den anderen Or­ga­nisationen wie den Madres der Asociación und Línea Fun­dadora, den Fami­li­en­mit­glie­dern (sog. Familiares) und den Groß­müttern (Abuelas de Plaza de Mayo)?

Mit dem Wachsen von H.I.J.O.S. nehmen auch die Span­nungen zu. Wir wollen mit al­len zusam­menarbeiten, und das ist angesichts der Heteroge­nität von uns selbst schon schwierig, da wir natür­lich einzelne Prä­fe­renzen für die eine oder andere be­stehende Organisation haben. Die Frage der Men­schen­rechts­ar­beit ist in Argentinien ziemlich kom­pliziert, und wir wollen of­fen bleiben – und den Kampf um Men­schenrechte auch nicht auf ei­ne Art und Weise festlegen.

Mein Eindruck ist, daß es Hof­fnungen gibt, H.I.J.O.S kön­nte den Madres als wichtige Men­schenrechtsgruppe folgen?

Ja, das glaube ich auch. Aber da müssen wir noch viel lernen. Wenn wir bestimmte Traditionen auf­nehmen, müssen wir gleich­zeitig viele Fehler korrigieren. Es gab z.B. zu viel internen Streit und Spaltungen in der ar­gen­ti­ni­schen Menschenrechts­bewegung.

Was gilt es heute für dich aus den sozialrevolu­tionären Käm­pfen der 70er Jahre in Argen­tinien zu lernen?

Mei­ne persönliche Meinung, nicht die von H.I.J.O.S. ist, daß wir von den bewaffneten Käm­pfen in den 70er Jahren lernen müs­sen, vor allem aber von den brei­ten Volksmobilisierungen und -kämpfen. Seit Ende der 60er Jahre gab es diese breiten Mo­bi­lisierungen, die sogenannte Neue Linke, und es entstanden auch bewaffnete Grup­pen. In die­ser Zeit hatte die dominante Klas­se wie nie zuvor in der argen­tinischen Geschichte Legi­ti­mi­tätprobleme und Schwierig­kei­ten ihre Projekte durch­zu­setzen. Diese Probleme sind auch der Grund für den Mili­tärstreich. Bis heute wurde die po­litische und wirtschaftliche Macht nie mehr auf diese Art und Weise in Frage gestellt. Wir kön­nen also viel lernen, was Werte, Denkweisen und an­de­res be­trifft. Aber wir müssen auch kri­tisch blei­ben und fragen, was zu der damaligen Niederlage ge­führt hat. Dafür ist es wichtig, die Geschichte auf­zuarbeiten – die des Landes und die der ra­di­ka­len Linken.


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Schachern um den “Sicheren Weg”

Mecanismo ist der Begriff, der die politische Diskussion innerhalb Chiles in den letzten Wochen beherrschte. Die Christdemokratische Partei (DC) und die Sozialistische Partei (PS), die beiden wichtigsten Parteien in der concertación genannten Regierungskoalition, hatten sich Ende März auf einen Modus zur Kür eines Einheitskandidaten für das Präsidentenamt geeinigt. Dabei hatte die DC lange Zeit darauf beharrt, die Kandidatur ihres Favoriten Eduardo Frei Ruiz-Tagle stehe nicht zur Disposition. Sollten die SozialistInnen tatsächlich darauf bestehen, den früheren Erziehungsminister Ricardo Lagos im Dezember als Präsidentschaftskandidaten zu präsentieren, wäre das gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine Einheitsliste für die Parlamentswahlen, so verlautete aus der DC-Parteizentrale. Im Bewußtsein, innerhalb der Regierungskoalition aufgrund der Dominanz der ChristdemokratInnen an Profil verloren zu haben, konnten die SozialistInnen diesem Gedanken wenig abgewinnen. Es wäre nur zu offensichtlich geworden, daß die PS den WählerInnen keine inhaltliche Alternative anzubieten hat. Um Lagos jedoch die Möglichkeit zu geben, sein Gesicht zu wahren, stellte die PS die Idee des mecanismo zur Diskussion: ein Wahlkonvent nach nordamerikanischem Beipiel sollte Anfang Juni den Einheitskandidaten der concertación bestimmen. Die DC zierte sich lange, wollte sie doch die Kandidatur Freis ohne jedes Risiko durchsetzen. El camino seguro, der sichere Weg, wurde von den christdemokratischen WahlkampfstrategInnen so lange als Losung gegen den Konvent propagiert, bis es gelungen war, Bedingungen auszuhandeln, die Lagos nicht den Hauch einer Chance ließen: 40 Prozent der Delegierten des Konvents sollten von den Koalitionsparteien in Abhängigkeit von den Ergebnissen bei den Kommunalwahlen des vergangenen Jahres bestimmt werden. Mit 29 Prozent der Stimmen hatte die DC damals um 11 Prozent besser abgeschnitten als ihre Lagos unterstützenden Bündnispartnerinnen PS und PPD (Partei für die Demokratie). Je 30 Prozent der Konventssitze wurden mit Parteimitgliedern sowie mit sympathisierenden “Unabhängigen” besetzt. Die Anzahl von Unterschriften, die die einzelnen Parteien im Vorfeld für ihren Kandidaten sammelten, entschied dabei über die Stärke ihrer Konventsfraktionen. Sowohl der Vorsprung der DC bei den Kommunalwahlen als auch die im Vergleich zur Sozialistischen Partei schlagkräftigere Organisationsstruktur des Parteiapparates, die ausschlaggebend für die Mobilisierung zum Sammeln der Unterschriften war, ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wer die Vorwahlen gewinnen würde: Frei, und zwar auf dem sicheren Weg. Mit über 60 Prozent der Stimmen wies der Christdemokrat denn auch seinen Kontrahenten deutlich in die Schranken.

Machtkalküle bei einer überflüssigen Wahl

Mangels ernstzunehmender Gegenkandidaten steht damit bereits sechs Monate vor den eigentlichen Wahlen der Nachfolger des chilenischen Staatspräsidenten, Patricio Aylwin, fest. Das Kalkül der DC, sich auf die Farce eines Wahlkonvents einzulassen, richtete sich denn auch eher auf die Zeit nach den Wahlen. Um das neoliberale Regierungsprogramm weiterhin umsetzen zu können, bedarf es der Aufrechterhaltung der concertación. Nur durch die Einbindung der PS und der PPD in die Regierungsarbeit kann der auf breiten Konsens zielende Kurs auch in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden, indem die linke Opposition klein gehalten wird. Um weiterhin an der Macht beteiligt zu sein, sind die SozialistInnen zu allem bereit – sogar dazu, neoliberale Wirtschaftspolitik mitzuverantworten. Darüber hinaus verkündete Ricardo Lagos immer wieder, zwischen seiner Partei und den ChristdemokratInnen gebe es keine entscheidenden inhaltlichen Unterschiede. Zur Wahl standen bei den koalitionsinternen Vorausscheidungen also nicht Programme sondern Personen. Abgesehen von seiner Parteizugehörigkeit hatte Frei in dieser Beziehung mit seiner Familiengeschichte im Rücken eindeutig mehr zu bieten: Sein Vater, Eduardo Frei, war zwischen 1964 und 1970 der Staatspräsident Chiles.
Es klingt paradox, aber Lagos versprach sich von seiner vorhersehbaren Niederlage politische Vorteile. Allein die Tatsache, daß sich die DC auf Vorwahlen einließ, gibt ihm die Chance, zumindest in personeller Hinsicht ein eigenständiges Profil innerhalb der concertación unter Beweis zu stellen und damit auf das immer vernehmlicher werdende Murren an der Parteibasis zu reagieren. Darüber hinaus wurde durch diesen Erfolg die Position Lagos` gegenüber parteiinternen Widersachern gestärkt, die wie Enrique Correa bereits offiziell angekündigt haben, ihn als Parteivorsitzenden ablösen zu wollen. Außerdem hoffen die AnhängerInnen Lagos`, so sehr an politischer Statur gewonnen zu haben, daß es endlich möglich ist, sich mit der sozialdemokratischen “Partei für die Demokratie” (PPD), die ebenfalls Mitglied der concertación ist, zusammenzuschließen.

Das linke Lager auf Konsenssuche

Das Bekenntnis führender PS-Mitglieder, zur Christdemokratie bestünden nur wenige inhaltliche Unterschiede, macht deutlich, daß sich die Sozialistische Partei aus dem Kreis der linken Parteien verabschiedet hat. Der Verlust sozialistischen Profils an der Seite einer die concertación dominierenden DC hat dazu geführt, daß sich die parteiinterne Opposition immer lauter zu Wort meldet. Der Gewerkschaftsflügel hat bereits angekündigt, keinesfalls hinter der Kandidatur Freis zu stehen. Die Parteilinke der SozialistInnen nähert sich inzwischen der progressiven Opposition zur Regierung an, indem sie immer mehr Gemeinsamkeiten mit Teilen der ArbeiterInnenpartei (PT) entdeckt. Im Widerspruch zur offiziellen Parteilinie treten diese PTistas offen für die Stärkung der “Bewegung für eine neue Linke” (Nueva Izquierda) ein. Die Nueva Izquierda ist ein Bündnis zwischen der PHV (Grüne Humanistische Allianz) und diversen sozialen Bewegungen. Erst im März dieses Jahres hatte sich die PHV aus Protest gegen die neoliberale Regierungspolitik aus der concertación zurückgezogen. Sie präsentiert mit Cristián Reitze einen eigenen Präsidentschaftskandidaten, der besonders unter den Jugendlichen der armen Stadtviertel sehr populär ist. Reitze ist beflissen, sich von der Kommunistischen Partei abzugrenzen, indem er sowohl die klassischen links-rechts-Kategorien als auch den Begriff des Klassenkampfes ablehnt. Für ihn steht der Widerstand gegen den internationalen Kapitalismus im Vordergrund, unter dem die UnternehmerInnen angeblich ebenso leiden wie die chilenischen ArbeiterInnen. Reitze möchte die PHV zur Fürsprecherin gesellschaftlicher Minderheiten machen. Die Ankündigung, Reitzes Präsidentschaftskandidatur sei unter keinen Umständen verhandelbar, erschwert allerdings die Suche nach BündnispartnerInnen.
Das linke Parteienbündnis MIDA, in dem die arg geschrumpfte Kommunistische Partei sehr starken Einfluß ausübt, ist sowohl aufgrund seiner organisatorischen Stärke als auch im Hinblick auf seine Wahlaussichten erheblich einflußreicher als die PHV und wird sich das Recht, einen eigenen Kandidaten aufzustellen, kaum streitig machen lassen. Dabei ist der MIDA-Kandidat, Eugenio Pizarro, an Groteskheit kaum zu überbieten. Es spricht Bände über den Zustand der kommunistischen Partei, daß sie einen katholischen Geistlichen, der sich offen gegen Ehescheidung, Abtreibung, Verhütung und vorehelichen Geschlechtsverkehr ausspricht, zum Kandidaten macht. Die Vorstellungen Pizarros zur Wirtschaftspolitik sind so aberwitzig, daß Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Kandidatur angebracht sind: Bei Respektierung des Privateigentums will der Priester Schlüsselindustrien verstaatlichen und die gesamte Volkswirtschaft der Kontrolle des Staates unterwerfen. Die chilenischen UnternehmerInnen sollen durch eine breit angelegte Kampagne für ein nationales Bewußtsein von einem Regierungsprogramm überzeugt werden, das in erster Linie über Steuererhöhungen für Reiche finanziert werden soll.
Der dritte Kandidat der Linken ist der Ökologe Manfred Max Neef, der von der ArbeiterInnenpartei und der Partei der “Linken ChristInnen” (IC) unterstützt wird. Obwohl die IC Teil der concertación ist, verweigert sie Frei die Gefolgschaft und versucht, sich als Sammelbecken für jene zu empfehlen, die dabei sind, sich enttäuscht von der Regierungskoalition abzuwenden.
Trotz der Bemühungen auf Seiten der Linksbündnisse, wenigstens für die Parlamentswahlen mit einer Einheitsliste aufzutreten, erscheint es momentan möglich, daß sich die chilenische Linke den Luxus leistet, ihre geringen Kräfte mit drei chancenlosen Präsidentschaftskandidaten zu verschwenden. Dies könnte die Aussichten der Linken erheblich schmälern und der Führung der Sozialistischen Partei eine große Sorge nehmen: Stimmen nach links abzugeben, von der parteiinternen Opposition unter Druck gesetzt zu werden und schließlich innerhalb der concertación gegenüber der Christdemokratischen Partei an Boden zu verlieren.

Die Rechte: Vier profilierungssüchtige Kandidaten

Auch die Rechte hat es noch immer nicht vermocht, sich auf einen einzigen Kandidaten zu einigen. Dabei können sich weder José Piñera, ehemaliger Arbeitsminister unter Pinochet und parteiunabhängiger Kandidat, noch der UDI-Kandidat (Union für die Verteidigung der Unabhängigkeit) Jovino Novoa, der ebenfalls Mitglied der Militärregierung war, ernsthaft eine Chance ausrechnen. Dasselbe gilt für den Unternehmer Manuel Filiú, der für die RN (Nationale Erneuerung) kandidiert. Die schillerndste Persönlichkeit unter den Kandidaten der Ultra-Rechten ist zweifelsohne Franciso Javier Errázurriz, alias Fra-Fra. Der steinreiche Unternehmer, der die UCC (Union Mitte Mitte) gründete, ist der Prototyp der chilenischen Politik, indem er keinen Hehl daraus macht, sich an den Meistbietenden verkaufen zu wollen. So ist Fra-Fra grundsätzlich zum Eintritt in die Regierung bereit, würde aber durchaus auch als Kandidat der gesamten Rechten auftreten, um diese vor dem Abgrund zu retten. Meinungsumfragen zufolge steht der wendige Unternehmer für rund ein Zehntel der WählerInnenstimmen. Angesichts der persönlichen Feindschaften und ausgeprägter Profilisierungssüchte der führenden Köpfe der extremen Rechten ist es jedoch unwahrscheinlich, daß es zur Aufstellung eines Einheitskandidaten kommen wird.

Wozu die Rechte wählen – ihr Programm wird bereits umgesetzt

Auch bei den Parlamentswahlen steht die extreme Rechte vor einem Desaster. Ihre Vorstellungen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik ähneln dem Programm der concertación so sehr, daß es keinen Grund zum Regierungswechsel gibt. Die Erinnerung an Korruption, Machtmißbrauch und Folter unter der Diktatur sind nach wie vor so gegenwärtig, daß auch die Sperrminorität, über die die Rechte augenblicklich im Parlament verfügt, wackelt. Sie stellt heute ein Drittel der Abgeordneten beider Kammern des Parlaments und kann so jede zwei Drittel aller Stimmen benötigende Verfassungsreform, die von der Regierung ins Auge gefaßt wird, zum Scheitern bringen. Immer wieder haben führende VertreterInnen der concertación ihren KritikerInnen entgegen gehalten, daß der Regierung die Hände gebunden seien.
Sollte die Rechte ihre Sperrminorität tatsächlich verlieren, dann hätte die concertación diese Ausrede nicht länger und müßte endlich Farbe bekennen. Vielleicht würde dies dann auch zu einer Situation führen, in der die politische Auseinandersetzung an die Stelle des lauen Konsensbestrebens tritt, das momentan die chilenische Politik bestimmt. Der Wahlkampf wird mit seinem Kandidatenallerlei darauf einen allenfalls faden Vorgeschmack geben – zumal klar ist, was letztlich das Ergebnis jeder Mahlzeit ist.


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“Für eine neue argentinische Linke”

LN: Welches sind deiner Ansicht nach die grundlegenden Probleme der argen­tinischen Linken? Wie siehst du ihre Lage im Moment?

H.T.: Ich denke, daß die argentinische Linke dabei ist, sich von der schweren Niederlage zu erholen, die sie in den 70er Jahren hat hinnehmen müssen. Dies war nicht nur eine Niederlage für die Linke, sondern für das gesamte argentini­sche Volk. Viele Kader wurden verloren. Ich gehe davon aus, daß es für die ar­gentinische Linke zwei bedeutende Probleme zu überwinden gilt. Das erste wäre, daß es einen Teil der argentinischen Linken gibt, der sich reorganisiert, der aber eine klare, festere Position vermissen läßt, gegenüber diesen politischen Projek­ten (der Regierungen – LN) und mehr Unabhängigkeit gegenüber den traditio­nellen politischen Parteien. Daher haben wir begonnen, eine neue politische Organisation aufzubauen, die deutlicher und mit mehr Konsequenz als die bis­her existierenden Linksparteien Opposition betreibt.
Das zweite Moment, das bisher eine große Schwierigkeit darstellt, ist die Unfä­higkeit vieler linker Sektoren, sich zu vereinen. Es gibt lediglich eine Einheit gegenüber konkreten Regierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel gegen den Indulto (die Amnestierung der für Menschenrechtsverletzungen verantwortli­chen Militärs), aber es gibt keine permanente politische Einheit, und das macht es unmöglich, sich dem argentinischen Volk als eine starke Alternative zu präsen­tieren. Ich glaube, dies sind nur zwei Probleme, denen sich die argentinische Linke gegenübersieht. Sie steht vor einer großen Herausforderung…Denn, was passiert denn in Argentinien heute? Seit ca. 15 Jahren wird derselbe ökonomische Plan durchgesetzt. Durch Regierungen mit verschiedenen Gesichtern: erst eine brutale Militärdiktatur, dann eine Regierung, die mit dem Gesicht demokrati­scher und partizipativer Grundsätze antrat und damit endete, denselben ökono­mischen Plan umzusetzen, und zum Schluß sogar auf Repression zurückgriff, schließlich nun eine Regierung, die sich auf die Geschichte einer Partei stützte, die eine Geschichte der Interessenvertretung der Arbeiter ist und nun ebenfalls diesen Plan durchsetzt. Es gibt also eine Kontinuität. Die Konsequenzen sind fürchterlich. Argentinien hat sein Bruttoinlandsprodukt um 10% in 15 Jahren ver­ringert, die Arbeitslosenzahl hat sich verdoppelt, der Bruttolohn ist um 50% gefallen, Gesundheits- und Bildungssystem verfallen. Es gibt keine Investitionen mehr. Sie sind vielmehr von 22% des Bruttoinlandsprodukts auf 8% gefallen. Es gibt nicht einmal eine Erneuerung von bestehenden Anlagen. Die Armut wächst in extremer Weise. Und kein Land kann so einen Prozeß durchmachen, ohne daß sich die sozialen Spannungen erhöhen.

LN: Ein weiteres Problem der Linken ist doch, daß sie gegenüber der – nennen wir sie einmal global – neolibe­ralen Politik der Regierung dem Volk eine Al­ternative, also auch ein anderes ökonomisches Projekt anbieten muß. Siehst du diesbezüglich Fortschritte? Was kann die Linke unter den aktuellen Gegeben­heiten des Weltmarkts anbieten?

H.T.: Nun, die aktuelle Situation ist schwierig, insbesondere wegen der hohen Aggressivität des Imperialismus unseren Ländern gegenüber und andererseits aufgrund des Zusammenbruchs des sozialistischen Lagers, was den Kampf um nationale Unabhängigkeit natürlich erschwert. Denn alle sich aus der Abhängig­keit lösenden Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika hatten doch eine gewisse Unterstützung aus dem sozialistischen Lager. Trotz all dieser Schwierig­keiten und obwohl wir glauben, daß die Lage recht schwierig ist, sind wir trotz­dem der Überzeugung, daß dies weder früher noch heute ein Hindernis darstellt, sich die nationale Unabhängigkeit zu erkämpfen. Aber, was ist nun die Lehre aus dieser Situation? Man muß erkennen, daß man ein Wurmfortsatz des Imperia­lismus ist, mit allen Folgen, die das mit sich bringt. Im konkreten Fall von Argentinien bedeutet dies eine Rückkehr zu kapitalistischen Formen, die zuletzt vor 60 Jahren geherrscht haben. So entspricht zum Beispiel die Investition in Argentinien heute dem Niveau von 1910, 1975 wurden 270 000 Autos in meinem Land produziert, in diesem Jahr werden es nur 70 000 sein. Natürlich werden dies luxuriöse Autos sein, für eine kleine Oberschicht, die sehr gut lebt. Das ist das Modell, das man uns auflädt und von dem sie sagen, es sei das einzig mögli­che in der aktuellen Weltlage…Ich denke jedoch, wir haben das Recht und die Pflicht, ein Modell zu entwickeln für ein Land mit nationaler Unabhängigkeit und Fortschritt. Mir scheint die erste Lehre zu sein, daß die Modelle nationale sein müssen. Jedes Land hat seine Geschichte, seine Realität, seine Probleme und es muß diese alleine lösen. Das heißt nicht, chauvinistisch zu sein und Hilfe von außen grundsätzlich abzulehnen, aber im wesentlichen muß jeder seiner Pro­bleme selbst angehen. In Argentinien sieht die Sache so aus. Wir haben Vor- und Nachteile. Unser Nachteil ist, daß wir ein starkes Land innerhalb Lateinamerikas sind und uns der Imperialismus daher nicht so leicht die nationale Unabhängig­keit lassen wird. Es wäre ein geopolitisches Risiko, ein potentiell rei­ches Land wie Argentinien mit 30 Millionen Einwohnern, einer industriellen Basis, qualifi­zierter Arbeiterschaft in die Unabhängigkeit zu entlassen. Für uns ist das also sehr schwierig…Aber wir haben auch Vorteile, um die nationale Unab­hängigkeit zu erkämpfen. Wir haben einigen Reichtum, wir sind nicht Nicaragua oder Kuba, kleine Länder… Also wir haben trotz der schwierigeren internationa­len Lage andere Möglichkeiten. Unser Ziel müßte nun sein, ein gerechtes Land zu werden, modern und mit Wohlstand. Wie erreichen wir das? In ökonomischer Hinsicht hat unser Land ein grundlegendes Problem: Das Kapital, das hier akkumuliert wird, verläßt das Land. Dazu kommt ein weiteres, nämlich daß es Produktions­sektoren in meinem Land gibt, die dominant sind, wie die Agrar- und Fleisch­produzenten, die eine niedrige Produktivität haben, da dies den Interessen der Großgrundbesitzer entspricht. Man muß also Maßnahmen ergrei­fen, die diese Formen des Privateigentums abschaffen, die die Situation herbeige­führt haben. Weiterhin muß man verhindern, daß sich eine kleine soziale Gruppe die Rente aneignet und sie außer Landes schafft. (…) Es sind nicht die großen internationa­len Gruppen, die dies tun, sondern die nationalen, die eine weit rückständigere Mentalität haben als die großen Kapitale in Brasilien. (…) Wir müssen also den Außenhandel verstaatlichen, die nationalen Banken verstaatli­chen und außerdem einen bedeutenden Teil der industriellen Produktion. Gleichzeitig müssen wir dies unter eine nationale Kontrolle stellen unter starker Beteiligung der Arbeiter in der Führung. Nun ist mein Land aber auch eines mit einer bedeutenden mitt­leren Unternehmerklasse. Wir haben mindestens 500 000 kleine und mittlere Handels- und Industrieunternehmen und 400 000 Agrarpro­duzenten. Diesen Teil der Ökonomie muß man als Privatunternehmen erhalten. Argentinien muß also eine gemischte Wirtschaftsordnung haben. Erstens weil aus politischen Gründen notwendig ist, diese mittleren Sektoren in den Kampf für ein anderes Argenti­nien zu integrieren. Wenn man also ankündigt, daß man ihnen den Privatbesitz wegnehmen wird, ist klar, daß man ihre Unterstützung nicht bekommen kann. Aber auch aus ökonomischen Gründen sind sie von Bedeutung, denn sie könnten gar nicht ersetzt werden. (…)

LN: Auf diesen Punkt wollte ich mich beziehen…Sagen wir die Wiege der argentinischen Industrieentwicklung liegt in den 30er und 40er Jahren, als der Peronismus begann durch Staatsunternehmen einen Industrialisie­rungsprozeß in Gang zu setzen. Aber, während man damals die weltwirtschaftliche Lage für sich nutzen und den Industrieaufbau durch den Export von Agrarproduk­ten auf den Weltmarkt finanzieren konnte, so sieht das heute ja anders aus.

H.T.: Richtig, aber dieser Prozeß hatte eine Schwäche. Man kam nicht vorwärts hinsichtlich der Bodenbesitzverhältnisse. Und als die Weltmarktbedingungen sich veränderten, war die Produktivität im Agrarbereich immer noch sehr nied­rig. Die peronistische Erfahrung hätte also einen kapitalistischen Entwicklungs­weg, wenn auch in Unabhängigkeit, weiterbeschreiten können, wenn die Frage des Bodenbesitzes gelöst worden wäre. Dann hätte man die Besitzverhältnisse ändern können, die Produktivität erhöhen und das weiter erwirtschaften können, was man in Argentinien die Differenzialrente nennt. (…) Auch wenn es Verände­rungen auf dem Weltmarkt gegeben hat, das hat nur begrenzte Bedeu­tung. Sogar das Modell, das gerade in Argentinien betrieben wird, stützt sich auf eine Exportpolitik. Das Problem ist für uns vielmehr, wie heben wir die Produk­tivität im Agrarsektor, damit wir diesen Investitionskreislauf erhalten können.(…)
Wir glauben, daß ein Argentinien notwendig ist, mit grundlegend demokrati­schen Strukturenen, die in der Verfassung festgeschrieben sind. Argentinien hat eine liberale Verfassung aus dem Jahre 53. Aber was passiert, ist, daß diese durch gesetzliche Entscheidungen in vielfältiger Weise eingeschränkt wird. Es gibt kein Referendum, kein Plebiszit, als gesetzliche Figur, d.h. die Regierenden konsultie­ren das Volk nicht, um es vorsichtig auszudrücken. Wir sind daher der Meinung, daß es notwendig ist, diese Mechanismen abzuschaffen und ein wirklich demo­kratisches, partizipatives Argentinien zu verwirklichen und außerdem ein plura­listisches. Wir sind nicht für das Einparteiensystem, generell und ganz besonders in Argentinien, denn dies ist ein Land mit einer stark differenzierten Klassen­struktur. Es ist irreal, anzunehmen, daß eine einzige Partei alle Interessen dieser Gesellschaft repräsentieren könne, allzumal in Argentinien, in einem Land, in dem man auf 100 Jahre politischer Geschichte zurückblicken kann.

LN: Kann man also in der argentinischen Linken einen Wandel feststellen, der in Zusammenhang steht mit dem Zusammenbruch des real-existierenden So­zialismus?

H.T.: Sieh mal, der Wandel im Osten ist kein Thema, das im Mittelpunkt der lin­ken Debatte steht. Wir sind davon so weit entfernt und unser konkretes Problem ist der Kapitalismus, mit dem wir täglich leben müssen. Generell ist dies das Zentrum der Debatten, nicht ohne sich darüber im klaren zu sein, daß diese Pro­zesse im Osten von großer Bedeutung sind. Nicht zuletzt, weil die Rechte per­manent Kapital daraus schlägt. Eines der bedeutendsten Schlachtrösslein Men­ems ist zu sagen: Aber warum wollt ihr denn dahin gehen, was die Völker im Osten gerade hinter sich lassen. (…) In Argentinien gab es jedoch nie politische Prozesse von größerer Bedeutung unter der Flagge des Sozialismus. Die sozialen Auseinandersetzungen verliefen vielmehr immer zwischen der Oligarchie und ihrem externen Alliierten und der Flagge der Verteidigung der Nation.(…) Der Zusammenbruch des Sozialismus ist insofern kein Diskussionsthema in der Bevölkerung. Innerhalb der Parteien gibt es eine Debatte. Sehr stark in der kom­munistischen Partei, aber selbst da scheint mir die Diskussion doch mehr durch die Lage im Lande motiviert zu sein, als durch die internationalen Vorgänge, wenn sich das auch vermischt. Tatsächlich ist deren Problem, daß sie Schwierig­keiten im Land haben, denn sie haben in ihrer Geschichte schwere politische Fehler begangen. Um die interne Einheit zu erhalten, hatten sie Moskau immer als das große Ziel definiert: sozusagen, hier sind wir zwar klein, aber in der Sowjetunion sind wir an der Macht. Nun ist dies zusammengebrochen und sie stehen vor einem Scherbenhaufen. Die Partei hat sich weiter verkleinert. Sie ist jetzt 10 mal kleiner als vorher, glaube ich, und in sich gespalten. Die andere Kraft, in der es eine diesbezügliche Debatte gibt, ist das MAS. (das trotzkistische “Movimiento al Socialismo”). Sie haben einen strategischen Vorteil gegenüber der kommunistischen Partei. Sie sind Trotzkisten und sagten den Zusammenbruch dieses Sozialismus immer voraus. Nun fühlen sie sich bestätigt. Die Debatte aber hat als Ursache, daß man die Vorgänge interpretierte als eine Auseinanderset­zung zwischen den Arbeitern und der stalinistischen Bürokratie. Zum Teil mag das so gewesen sein. Aber inzwischen haben diese Prozesse eben nicht wie in der Erwartung mehr Sozialismus und Demokratie zum Ziel, sondern die Rückkehr des Kapitalismus. Sie bekommen nun also Schwierigkeiten bei der Interpretation der Prozesse. Zum Beispiel hieß früher ihre Parteizeitung “Solidaridad”. Inzwi­schen haben sie das geändert.(…) Hier gibt es also eine gewisse Debatte. Aber das sind politische Kräfte mit starken Beziehungen nach außen. Darüber hinaus geht die Diskussion nicht.(…)

LN: Ich habe eine gewisse Hoffnung aus deinen Worten herausgehört. Worauf stützen sich deine Hoffnungen? Kommt nur politische Unzufriedenheit zum Ausdruck oder gibt es Veränderungen in den Organisationsstrukturen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen und wachsen­des politisches Bewußtsein?

H.T.: Es gibt natürlich eine wachsende Unzufriedenheit und Unmut in der Bevölkerung. Das ist schon ein Fortschritt, denn immerhin handelt es sich um eine peronistische Regierung. Der generelle Konsens ist also nicht mehr so leicht herzustellen. Es bleiben der Regierung natürlich weitere Werkzeuge, wie die Repression, aber den Konsens kann sie so leicht schon nicht mehr herstellen. Ein Fortschritt ist das, aber das reicht natürlich nicht aus. Immerhin sollte man nicht vergessen, daß sich Unzufriedenheit auch auf der Rechten Ausdruck verschaffen kann. Die Unzufriedenheit hat sich jedoch in bestimmten Sektoren bereits zu einer regelrechten Konfrontation entwickelt. In erster Linie bei den Arbeitern, genau genommen bei den Staatsangestellten. Zum Tragen kommt diese Kon­frontation in den Gewerkschaften, in diesem Falle in denen der Staatsangestell­ten. Außerdem gibt es Organisationen kleineren Ausmaßes in den Wohnvierteln. Das hat sein Höhen und Tiefen. Manchmal organisieren sich die Leute, aber genauso schnell fällt die Organisation wieder auseinander. Sie können eine kräf­tige Mobilisierung erreichen, wie zum Beispiel wie vor ca. 20 Tagen in der Pro­vinz Chubut…Solche Prozesse werden sich häufen, gerade in den Provinzen, wo das Regierungsprojekt besonders starken ökonomischen Druck hervorruft.(…) Außerdem gibt es jedoch ein Wachstum der Linken hinsichtlich ihrer politischen Repräsentation. So gab es eine große Demonstration der Linken am ersten Mai auf der Plaza de Mayo, zu der 100 000 Menschen kamen. Wir nehmen diesen Wachstumsprozeß der Linken durchaus wahr. Bisher noch vor dem Hintergrund der Unzufriedenheit der Menschen mit der aktuellen Politik. Noch haben wir keine politische Plattform gefunden, die attraktiver wäre, als die, die wir bisher anbieten.(…)

LN: Heißt das Ziel auf mittlere Sicht also, eine verei­nigte, linke politische Kraft im Lande zu etablieren? Ist da der Name Izquierda Unida schon Teil des Pro­jekts?

H.T.: Ich weiß nicht, ob der Name dem entspricht, was sie (die IU) tatsächlich repräsentiert. Denn in meinem Land ist dieser Name nur mit Einschränkungen zu verwenden. Er hat dazu gedient, einen Teil der Linken unter einem Dach zu vereinen. Aber das eigentliche Ziel muß sein, mehr unter einem Dach zusam­menzubekommen.

LN: Ich wollte mich weniger auf das bestehende Wahl­bündnis beziehen als vielmehr auf eine breitere linke Kraft. Könnte zum Beispiel die Frente Amplio in Uruguay in bestimmter Weise ein Modell sein?

H.T.: Das könnte ein Modell sein. Aber man muß berücksichtigen, daß in meinem Land die Krise sehr zugespitzt ist. Wenn man also einen signifikanten Teil der Gesellschaft, der von dieser Krise betroffen ist, ansprechen will, muß man eine starke Oppositionspolitik machen. Es wird zu einer weiteren Einschränkung der politische Freiheiten kommen, denn anders wird die herrschende Klasse die Situation nicht kontrollieren können.(…) Die Demokratie wird lediglich als for­male Schale übrigbleiben. Und es ist wichtig im Ausland daraufhinzuweisen, wo man zwar sieht, daß die ökonomische Lage des Landes schwierig ist, man aber davon ausgeht, daß Demokratie herrscht. Darüberhinaus sind wir davon über­zeugt, daß sich der imperialistische Druck in den 90er Jahren noch erhöhen wird. Dabei waren die 80er Jahre schon schlimm. (…) Die Herausforderung ist, eine neue Linke in Argentinien zu etablieren. Wir sind optimistisch, wenn auch bescheiden und vorsichtig.


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