Moby Dick im Río Magdalena

© Monte & Culebra

In den späten 1970er-Jahren brachte der Drogenbaron Pablo Escobar auf illegale Weise drei Flusspferde aus Namibia nach Kolumbien in seinen Privatzoo. Nach seinem Tod flohen sie aus seiner Finca Nápoles zwischen Bogotá und Medellín in den nahe gelegenen Río Magdalena, wo sie sich unter tropischen Bedingungen seither prächtig vermehren: Aus dem ursprünglichen Trio sind mittlerweile geschätzt 160 Tiere geworden. In einigen Jahren könnten es Tausende sein, was zu unvorhersehbaren Folgen für Mensch und Ökosystem führen würde. Das Erbe von Escobar macht der Region auch so bis heute zu schaffen. Aktuell plant die kolumbianische Regierung, die Tiere entweder zu sterilisieren oder in ein anderes Land umzusiedeln.

Der dominikanische Regisseur Nelson Carlos De Los Santos Arias stolperte als Rucksacktourist in Kolumbien über die Geschichte und beschloss, einen Film darüber zu machen – die Idee zu Pepe war geboren und hat es in den Wettbewerb der Berlinale geschafft. Seinen Titel gibt dem Film dabei das wohl bekannteste Exemplar der Flusspferdherde: Pepe, ein Bulle, der von der Gemeinschaft ausgestoßen wurde und sich deshalb als erster daran machte, das Territorium um den Río Magdalena auf eigene Faust zu erkunden. Da die kolumbianischen Flusspferde schon einige Spuren in der Popkultur hinterlassen haben – es gibt Podcasts und sogar eine Doku-Soap des National Geographic Channel mit dem reißerischen Titel Cocaine Hippos über sie – musste ein frischer Ansatz her. Der vom experimentellen Film kommende De Los Santos Arias entschied sich dafür, ihre Geschichte aus ihrer eigenen Perspektive zu erzählen, mit dezidiert antikolonialer Perspektive.

Den Tieren eine glaubwürdige Stimme zu geben, war dabei eine der wichtigsten Aufgaben. Pepe löst diese auf interessante Weise, indem professionelle Sprecher in verschiedenen Sprachen (Spanisch, Afrikaans, Mbukushu) eingesetzt werden, die ihre von banal bis philosophisch reichenden Monologe häufig mit Tierlauten untermalen. Geschickt zieht der Film so mit antikolonialem Dreh eine Parallele zum hunderte Jahre zuvor erfolgten Sklavenhandel: Wie damals Menschen, so wurden hier Tiere gegen ihren Willen von ihrem Heimatkontinent auf einen neuen verschleppt, an den sie sich anpassen mussten. Die Monologe der Flusspferde sind vor allem in der ersten Hälfte des Films zu hören und drehen sich nur am Rand um die Beteiligung Escobars an ihrer Zwangsumsiedlung. Stattdessen geht es mehr um Rangkämpfe, Beschreibung der Umwelt und die Erinnerung und Bedeutung der eigenen Herkunft.

Doch Pepe belässt es nicht nur bei der Flusspferd-Nabelschau, sondern begibt sich ab etwa der Hälfte der Laufzeit auf das Territorium der menschlichen Bewohner*innen am Río Magdalena. Die Szenen dort sehen dokumentarisch aus, sind aber komplett fiktionalisiert. Dieser Abschnitt des Films beginnt mit einer lustigen Episode über zwei junge Handlanger Escobars, die die undankbare Aufgabe haben, die ersten Flusspferde ihres patrón mit einem Lastwagen zu ihrem Bestimmungsort zu bringen. Im weiteren Verlauf kümmert sich der Film dann vor allem um den Fischer Candelario und seine Familie. Candelario stolpert als erstes über einen der nun frei im Fluss herumstreunenden Dickhäuter und wird nicht müde, allen die es interessiert (oder auch nicht), immer wieder seine Geschichte von dem „Baumstamm, Krokodil oder Ungeheuer“, das ihn fast aus dem Boot geworfen hätte, zu erzählen. In seinem Eifer, die Tiere vertreiben zu wollen, wirkt er fast wie ein kolumbianischer Käpt’n Ahab, der Moby Dick aus seinem Fluss jagen möchte. Die Polizei ist daran jedoch eher weniger interessiert und seine Frau Betania hält ihn gar für einen Spinner, was Candelario natürlich nur noch weiter auf die Palme bringt.

Pepe besteht aus einem bunten Sammelsurium aus Themen und filmischen Stilrichtungen (auch Cartoons werden ab und zu eingespielt), die ihre Höhen und Tiefen haben. Manchmal ist das etwas anstrengend. Denn eine durchgehende Handlung soll der Film gar nicht haben und ohne einiges an Insider*innen-Vorwissen besteht die Gefahr, an einigen Stellen den Faden zu verlieren. Zum Glück wird aber alles durch wunderschöne Naturaufnahmen der Flusslandschaften in Südwestafrika und Kolumbien zusammengehalten, was auch für so manche erzählerische Länge oder Merkwürdigkeit entschädigt.

LN-Bewertung: 3 /5 Lamas

FILME IN ZEITEN DES FRIEDENSPROZESSES

Beim Gedanken an den kolumbianischen Film fallen den meisten Menschen eher Filme über statt aus Kolumbien ein – etwa die erfolgreiche Netflix-Serie Narcos oder der US-amerikanische Spielfilm Blow.

Während viele Produktionsfirmen Kolumbien auf die Aktivitäten des wohl bekanntesten Drogenhändlers der Welt, Pablo Escobar, reduzieren, ist im Land selbst in den vergangenen Jahren eine vielfältige Kinoszene entstanden. Filme wie Der Schamane und die Schlange, der 2016 unter anderem in der Kategorie Bester Fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert wurde, versuchen, ein alternatives Bild des Landes zu zeichnen.

Nach mehr als 50 Jahren bewaffneter Auseinandersetzung unterzeichneten Vertreter*innen der kolumbianischen Regierung und der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte (FARC), der zu diesem Zeitpunkt größten und ältesten aktiven Guerillagruppe Lateinamerikas, vor knapp einem Jahr einen lang ersehnten Friedensvertrag.

„Ich glaube, durch den Friedensprozess hat sich die Perspektive im kolumbianischen Kino etwas verschoben“, erzählt Elizabeth Gallón, eine der Organisatorinnen des Filmfestivals Filmouflage. Das Festival versucht seit 2012, deutsche und kolumbianische Filmemacher*innen zu vernetzen. Dazu zeigen die Organisatorinnen bei verschiedenen Events beispielsweise Filme aus dem jeweils anderen Land. Mitte Oktober widmete sich die fünfte Auflage des Filmouflage-Festivals in Berlin der Erinnerungsarbeit in Kolumbien sowie weiblichen Perspektiven auf den Binnenkonflikt. Im November sind in Bogotá Kurzfilme zu sehen, die unter dem Motto „Corpografías“ das Thema Körper und Gender betrachten.

Die Filme versuchen, ein alternatives Bild des Landes zu zeichnen.

Auch zu einer Zeit, als man sich in Kolumbien kaum sicher bewegen konnte, gingen Filmemacher*innen in die entlegenen Ecken des Landes. Doch mittlerweile ist auch das Bedürfnis größer geworden, den eigenen Horizont aus dem städtischen Umfeld um die Perspektive jener Menschen zu erweitern, die nach wie vor von Gewalt betroffen sind. Auch die urbane Mittelschicht will längst nicht mehr nur über diese Menschen reden, sondern mit ihnen: „Die Filmemacher versuchen nicht mehr nur, die FARC oder auch die paramilitärischen Gruppen von außen zu betrachten, sondern trauen sich jetzt, deutlich tiefer hineinzugehen und die Innenperspektive zu zeigen“, beschreibt Gallón.

Doch auch wenn sich die Blickwinkel geändert haben – „die zentralen Themen des kolumbianischen Films sind die gleichen geblieben, weil auch die Probleme immer noch die gleichen sind“, erzählt sie.

Seit den 2000ern haben sich die Sicherheitsbedingungen in Kolumbien deutlich verbessert. Immer mehr Filmemacher*innen verlassen die urbanen Zentren, um die Stimmen der bislang marginalisierten Landbevölkerung einzufangen. Dabei hilft auch der technische Fortschritt: Durch die Digitalisierung ist es deutlich einfacher und günstiger geworden, Filme zu drehen. Außerdem werden nun auch vermehrt Filmseminare in den bislang vernachlässigten Landesteilen angeboten. Die von der Gewalt und dem Konflikt betroffenen Menschen sollen auf diese Art selbst zu Wort kommen, die Stimmen hörbar gemacht werden, die sonst untergehen.

“Durch den Friedensprozess hat sich die Perspektive im Kino etwas verschoben.”

Der kolumbianische Ableger des Dokumentarfilmfestivals „Ambulante“, das 2005 unter anderem von den mexikanischen Schauspielern Gael García Bernal und Diego Luna begründet wurde, gibt etwa im Rahmen des Programms „Ambulante más allá“ (Etwa: „Weiter schlendern“) Workshops in abgelegenen Ecken des Landes. Ziel ist es, junge Filmemacher*innen zu erreichen und fortzubilden, die nicht über die notwendigen Mittel verfügen, ihre Geschichten einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Sie sollen darin bestärkt werden, die Geschichten aus ihrer eigenen Perspektive heraus und in ihrer eigenen Ästhetik zu erzählen.

Filme wie La Tierra y la Sombra („Land und Schatten“) von César Augusto Acevedo, der 2015 unter anderem die Goldene Kamera beim Filmfestival von Cannes gewann, stehen dabei exemplarisch für das neue kolumbianische Kino. Der Film, dessen Produktion acht Jahre in Anspruch nahm, beschreibt in langen Einstellungen, langsamen Kamerafahrten und langen Momenten des Schweigens die Geschichte einer Familie, die zwischen Armut und Zuckerrohr auf einer einsamen Finca um ihr Überleben kämpft. Acevedo selbst beschreibt den Film als „Katharsis“, als „Form der Heilung und Reflexion über die Bedeutsamkeit der Familie“.

Andere Produktionen wie etwa die Crónicas Desarmadas („Chronik einer Entwaffnung“, 2016) erzählen den Friedensprozess aus unterschiedlichen Perspektiven nach und zeigen dadurch auch die Ambiguität der aktuellen Entwicklungen in Kolumbien.

Viele der neu entstandenen Filme thematisieren Probleme wie Vertreibung und Binnenflucht aus sehr individuellen Perspektiven heraus. So wird auch der Konflikt selbst personalisiert, die damit verbundenen Erfahrungen werden für das Filmpublikum erfahrbar gemacht. Und so ändert sich vielleicht auch die Perspektive bei den Betrachtenden: Von morbidem Schauer beim Anblick (fiktiver) Episoden aus dem Leben Escobars hin zu einem wirklichen Mitempfinden angesichts des jahrzehntelangen Unglücks, aber auch angesichts der Momente der Hoffnung.

 

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