Öl ins Feuer

Wir sitzen im Bus und fahren durch die honduranische Landschaft Richtung Bajo Aguán. Ein gelber Zettel ist von innen an die gesprungene Windschutzscheibe geklebt. Er weist uns als Teil der Menschenrechtsmission aus, die in diesen Tagen einen Besuch der agrarwirtschaftlich höchst relevanten Region im Norden des Landes vornimmt. Keiner von uns weiß, was uns erwartet. Man hatte uns mehrmals versichert, dass hier die Krise der honduranischen Demokratie am deutlichsten zu Tage treten würde und die katastrophale Menschenrechtslage am greifbarsten sei. Hier treten sich die Kontrahenten des politischen Konflikts offen gegenüber: Auf der einen Seite die traditionellen Machteliten, in deren Händen sich Wohlstand und Landbesitz konzentrieren, auf der anderen die Bevölkerung, die auf eine gerechtere und sozial verträglichere Gesellschaftsentwicklung hofft. Beide Parteien erheben Anspruch auf das Nutzland in der Region.
Um als „hochverschuldetes Entwicklungsland“ von einem Schuldenerlass zu profitieren, wurde Honduras Ende der 1990er Jahre von der Weltbank verpflichtet, Auflagen zur Armutsbekämpfung zur erfüllen. Die Umsetzung der Landreform, die in den 1970er Jahren beschlossen worden war, sollte Teil dieser Maßnahmen sein. Sie sah die Verteilung agrarwirtschaftlich nutzbarer Flächen des Staatsgebietes an landlose Bauern und Bäuerinnen vor, um ihnen eine Selbstversorgungsgrundlage zu verschaffen. Auch Teile des Aguán-Tales waren hierfür bestimmt. Doch im Zuge neoliberaler Strukturanpassungsmaßnahmen eröffnete ein Modernisierungsgesetz von 1992 die Möglichkeit zu profitorientierter Landnutzung durch Privatunternehmen. InvestorInnen kauften die Grundstücke zu Schleuderpreisen. Damit rückte eine gesicherte Existenz und Ernährungssouveränität für große Teile der honduranischen Landbevölkerung wieder in weite Ferne.
Erst Präsident Manuel Zelaya griff die Reformansätze wieder auf, doch ausgerechnet kurz bevor sein entsprechender Erlass vom April 2008 umgesetzt werden konnte, wurde er aus dem Amt geputscht. Nach den umstrittenen Wahlen von 2009 erfolgten zwischen Bauern- und Bäuerinnenorganisationen der Region und der frisch etablierten Regierung Porfirio Lobos neue Verhandlungen. Obwohl die neuen Machthaber bemüht waren, ihr Image demokratisch aufzupolieren, wurden die Abkommen unter höchst repressiven Bedingungen getroffen. Menschenrechtsorganisationen wie FIAN International prangern an, dass die hohe Präsenz von Militär und privaten Sicherheitskräften für ein Klima der Einschüchterung und Bedrohung sorgten und Morde an Mitgliedern von Bauernorganisationen straflos blieben.
Nachdem die Hoffnungen auf Gerechtigkeit durch den Putsch in sich zusammengefallen waren, hatten Bauernfamilien Siedlungen auf dem umstrittenen Land errichtet, um Druck auf die De-facto Regierung auszuüben, und begonnen, dort Anbau für ihre Zwecke zu betreiben.
In Tocoa, unweit der Atlantikküste, beziehen wir das Hotel, das für die nächsten drei Tage Ausgangspunkt der Menschenrechtsbeobachtung und Medienbegleitung sein wird. Von hier aus brechen wir am folgenden Tag mit unserem gelb gekennzeichneten Kleinbus zu einer bäuerlichen Landbesetzung in Paso Aguán auf, deren Räumung angekündigt worden war. Das Grundstück gehört zum Besitz Miguel Facussés, der mit seinem Palmöl-Unternehmen Dinant einen Großteil des Aguán-Tals vereinnahmt und unter den Bauern und Bäuerinnen als ausgesprochen skrupellos gilt. Begleitet wird die Räumungsankündigung durch eine umfassende Medienkampagne. Konservative honduranische Tageszeitungen berichten von „Terror in Aguán“. Damit meinen sie die Bauernbewegungen und nicht die Großgrundbesitzer, deren Privatarmeen erfahrungsgemäß in Menschenrechtsfragen wenig zimperlich sind. Nach offiziellen Angaben werden 1.000 Maschinengewehre in den Bauernsiedlungen vermutet.
Bei der Ankunft in Paso Aguán bietet sich uns allerdings ein anderes Bild: Bauern, Bäuerinnen, Greise und Kinder packen gerade ihr spärliches Hab und Gut zusammen und räumen das Feld. Den Menschen stehen die Strapazen der letzten Monate deutlich ins Gesicht geschrieben. Die ehemaligen Unterkünfte sind leer, Plastikplanen, die auf den Palmenblatthütten Wände und Dächer abgedichtet hatten, brennen vor sich hin. Persönliche Gegenstände sind in den Wirren des Aufbruchs zurückgelassen worden und liegen im Dreck.
AugenzeugInnen berichten uns, dass eine umfangreiche Entmilitarisierung der Zone kurz vor unserem Eintreffen stattgefunden habe. Trotzdem ist das Militäraufgebot, dem wir vor Ort begegnen, beachtlich. Die Uniformierten sind schwer bewaffnet, ein Maschinengewehr, das am Eingang zur Siedlung positioniert ist, wird bei unserer Ankunft hastig von den Soldaten mit Tarnfolie abgedeckt. Die Obrigkeit gibt sich deeskalierend, wir können uns ungehindert im Gebiet bewegen und dürfen fotografieren.
Nun erfolgt der Auftritt des polizeilichen Einsatzleiters, einem kernigen Typ aus der Hauptstadt, der sich nahezu unbewaffnet in die Menge begibt und dem Pulk aus JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen äußerst redegewandt Frage und Antwort steht. Er wolle die Gesellschaft von innen verändern, man kämpfe für gemeinsame Ziele, erläutert er in Mikrophone und Kameras. Schließlich lässt er es sich nicht nehmen, mit ernster Miene ein selbstverfasstes sozialkritisches Gedicht vorzutragen.
Auf eindringlicheres Nachfragen unsererseits fällt er dann allerdings doch unerwartet aus seiner Rolle. Minutenlang kommt er über die ständige Wiederholung der Worte „Vielen Dank für Ihren Beitrag zum Frieden“ nicht hinaus, es klingt auswendig gelernt.
Immer wieder ermahnt er die Sicherheitskräfte, die Gesichtsvermummung abzunehmen, als wäre dies nicht die übliche Handhabung. Zu den brennenden Überresten der Behausungen kommentiert er, ihm sei kein einziger Fall dokumentierter Brandstiftung durch Polizisten bekannt.
Die vertriebenen Bauern und Bäuerinnen kommen in einer nahegelegenen Gemeinde unter, die nach dem Befreiungstheologen und Revolutionär Guadalupe Carney benannt worden ist. Vor gut zehn Jahren hatten bäuerliche Familien hier ehemaliges Militärgelände und erklärtes Reformland bezogen und seither eine gut organisierte Gemeinschaftsstruktur aufgebaut. Als Bauernbewegung von Aguán nahmen sie an den Verhandlungen mit der Regierung Lobo teil und sollen die Rechte an ihrem Niederlassungsgebiet behalten. Da erhebliche Teile des Abkommens seitens der Regierung allerdings nicht eingehalten wurden, hatten die Anwohner gerade eine Straßenblockade errichtet, deren gewaltsame Räumung vom Militär angedroht worden war. In Anbetracht der anwesenden Menschenrechts- und Mediendelegation wurde das Eingreifen der Truppen jedoch verschoben.
Am zweiten Tag hat ein Soldat vor unserem Hotel Stellung bezogen. Durch die verglaste Gebäudefront hat er Einsicht in die Lobby. Wir ziehen uns zur Besprechung lieber in den hinteren Gebäudeteil zurück. Gemeinsam mit der Medien- und Menschenrechtsdelegation steht für diesen Tag der Besuch verschiedener Fincas an, deren BewohnerInnen bereits formal als Landeigentümer anerkannt sind. Dessen ungeachtet beansprucht der Großgrundbesitzer Miguel Facussé das Land jedoch weiterhin für sich und versucht die Bauern mit Räumungsklagen einzuschüchtern. Private Sicherheitsfirmen sorgen in der Gegend für Angst und Schrecken. Die Bauern und Bäuerinnen auf den Palmölplantagen berichten von vermummten Sicherheitskräften, die das Feuer auf Zivilisten eröffneten. Einer der Bauern präsentiert neun Schusswunden an seinem Oberkörper.
Bei der Fahrt von einer Siedlung zur nächsten zieht über Kilometer hinweg der immer gleiche Anblick am Busfenster vorbei: Stelenartig stehen die abgeernteten Palmenstämme in Reih und Glied. Von der tropentypischen Biodiversität ist dazwischen wenig geblieben. Die Kleinbauern und Landlosen, die in diesem Kontext wirtschaften müssen, befinden sich in unmittelbarer Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern und Abnehmerfirmen. Umweltschutzorganisationen wie Rettet den Regenwald e.V. warnen seit Jahren vor den ökologischen und sozialen Konsequenzen des Ölpalmenanbaus.
Weil das Palmöl, das aus den Früchten der Bäume hergestellt wird, in Agrokraftstoffen allerdings eine bessere Kohlendioxid-Bilanz aufweist als herkömmliche fossile Brennstoffe, kann bei seinem Anbau die Reduktion von Treibhausgasausstoß geltend gemacht werden. Damit wird er Gegenstand von Emissionshandel und im Sinne des Kyotopotokolls als „grünes Projekt“ anrechenbar.
Ausgerechnet Dinant, die Firma Miguel Facussés, könnte bald zu den NutznießerInnen dieser Förderungen gehören. Sie erhält bereits finanzielle Unterstützung durch Gesellschaften der Weltbank und eine Kooperation mit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft befindet sich in Planung.
Ein Umstand, der die Position von Bauern und Bäuerinnnen in Aguán weiter verschlechtert. Dass die Sozialverträglichkeitsstandards für derartige Projektfinanzierung in Bajo Aguán bisher bei Weitem nicht eingehalten wurden, verdeutlicht auch die traurige Bilanz von 19 ermordeten Mitgliedern verschiedener Bauernorganisationen seit Januar 2010.
Juan Galindos, Vizepräsident der Vereinten Bauernbewegung des Aguán (MUCA), beschreibt die verzweifelte Situation: „Wir haben Angst vor den paramilitärischen Strukturen, die hier offensichtlich aufgebaut werden, aber wir müssen weiter für unsere Rechte eintreten. Wenn wir es nicht schaffen, unseren rechtmäßigen Landbesitz zu verteidigen – wo sollen wir dann hin?“


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Patronen statt Bohnen

Neun Monate sind seit der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der illegitimen honduranischen Regierung und der größten BäuerInnenorganisation des Bajo Aguán, der Bäuerlichen Einheitsbewegung von Aguán (MUCA), vergangen. Der Landkonflikt in diesem Tal im Norden von Honduras hat jedoch entgegen der Erwartungen in das Abkommen jüngst ein neues Eskalationsniveau erreicht. Die idyllischen Ölpalmenhaine können dabei nicht über das Ausmaß an Gewalt hinwegtäuschen: „Letzte Woche wurden drei unserer Kollegen auf dem Weg in die Plantagen einfach erschossen“, klagt Livia Simeon vom Agrarkollektiv San Isidro.
Ein Bauer zeigt uns seine neun Schusswunden am Oberkörper, eine makabere Allegorie auf neun Monate Gewalt und Repression. In der Kooperative La Confianza erzählt Linda Castellana vom „Besuch“ der Militärs in ihrer Gemeinde: „Sie drangen in unsere Häuser ein und stahlen sämtliche Dokumente. Familienzensus, Besitzurkunden, einfach alles. Dabei bedrohten und schlugen sie uns, sagten, wir wären Hunde.“ Unter den Militärs waren auch Angehörige des privaten Sicherheitsdienstes von Miguél Facussé. Facussé ist der größte Großgrundbesitzer der Region, und gleichzeitig einer der einflussreichsten Drahtzieher des zivil-militärischen Putsches vom 28. Juni 2009.
Seine ca. 400 paramilitärisch organisierten und schwer bewaffneten Söldner agieren im Bajo Aguán wie die berüchtigten Todesschwadronen der Achtziger. Im November letzten Jahres griffen sie die Gemeinde El Tumbador an, nachdem Facussé Besitzansprüche geltend gemacht und die Räumung angeordnet hatte. Im Kugelhagel, den sie auf die zwischen die Ölpalmen flüchtenden DorfbewohnerInnen losließen, starben fünf Menschen, zwei weitere Bauern wurden nach ihrer Verschleppung Tage später mit Genickschüssen im Wald gefunden. Kurz darauf, am 21. November 2010, wurden Bäuerinnen und Bauern der Kommune Nueva Esperanza beschossen. Die Waffen dieses „Sicherheitsdienstes“: großkalibrige AK-47 Maschinengewehre, Kriegsmaterial. Längst spricht man in Honduras von der „Kolumbianisierung“ des Landkonflikts.
Schon die Verhandlungen zum Abkommen vom April letzten Jahres zwischen der Regierung von Porfirio Lobo Sosa und der BäuerInnenorganisation MUCA fanden unter militarisierten Verhältnissen statt (siehe LN 431). Mehrere Bataillone wurden in die Region mobilisiert und errichteten dort Straßensperren, führten Verhaftungen gegen MUCA-AktivistInnen durch. MUCA-Verhandler Rudy Hernández damals: „Es war ein Verhandlungsprozess, der sich in einem Szenario aus Gefahr, Drohungen und Repression entwickelte.“ Verhandelt wurde über Land, das gleichermaßen von den Bauern und den Großgrundbesitzern beansprucht wird. Das 1992 beschlossene „Modernisierungsgesetz“ und Strukturanpassungsprogramm für den Agrarsektor öffnete dem Verkauf von kommunalem und nationalem Land Tür und Tor. Seitdem hatten sich die Großgrundbesitzer ausgedehnte Landstriche angeeignet. Drohungen, Druck und Schmiergelder taten ihr übriges, um den Landkonzentrationsprozess zu beschleunigen. Mittlerweile verfügt laut der Nichtregiewungsorganisation (NRO) Oxfam in Honduras ein Prozent der Bevölkerung über 33 Prozent des fruchtbaren Landes.
MUCA fordert heute die Grundstücke zurück, die in ihren Augen illegal und unter Verletzung des Landgesetzes von 1972 verkauft wurden. Nachdem die Präsidentschaft von Manuel Zelaya die Position der Bäuerinnen und Bauern stärkte und sogar Verträge zur Landübergabe aushandelte, bedeutete der Putsch im Juni 2009 die Rückkehr zur repressiven Logik der Oligarchen. MUCA besetzte daher einige der beanspruchten Fincas, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Doch die Gewalt zwang sie, ein Abkommen mit der Regierung Lobo zu unterzeichnen, dessen Inhalt die Besitztitel der Großgrundbesitzer de facto anerkannte.
Laut Abkommen kauft die Regierung insgesamt 11.000 Hektar des Landes, das den Bäuerinnen und Bauern zur Nutzung übergeben werden soll. Den dreifach überhöhten Kaufpreis (laut Oberstem Gerichtshof) müssen die BäuerInnen allerdings in Form eines Kredites zu niedrigen Zinsen selbst tragen. „Wir verlangten von der Regierung, dass sie die abgeschlossenen Verträge mit Zelaya anerkennt. Stattdessen stecken wir nun in diesem Abkommen, das uns von heute auf morgen einen gewaltigen Schuldenberg aufbürdet“, meinte Hernández unmittelbar nach der Unterzeichnung ernüchtert.
Wie im Abkommen mit der Regierung Lobo festgehalten, sollen den Bäuerinnen und Bauern innerhalb eines Jahres 11.000 Hektar Land zugänglich gemacht werden. Dafür wird von ihnen erwartet, die übrigen besetzten Fincas freiwillig zu räumen. Vorgesehen war die sofortige Übergabe von 3.000 Hektar mit Ölpalmen bepflanzten Land. Die Übergabe weiterer 3.000 Hektar sollten nach drei Monaten und noch einmal 5.000 Hektar nach einem Jahr erfolgen. Doch von den ersten 3.000 übergebenen Hektar waren entgegen der Abmachung nur ein Drittel kultiviert. Zudem erkennt Facussé das Abkommen nicht an. Während die Bäuerinnen und Bauern begonnen haben, das Land zu bebauen, tut Facussé alles, um sie von dort wieder zu vertreiben. Der Terror seiner Privatarmee wird dabei von der Polizei im Aguán gedeckt. Uniformen wechseln schnell die Besitzer, nie ist vorhersehbar, ob in einem Polizeiwagen wirklich Polizisten sitzen oder aber vermummte Killer. Pedro Salgado von der Kommune La Confianza fragt: „Wie sollen wir unseren Teil des Abkommens einhalten, wenn die Regierung uns nach Unterzeichnung sofort wieder in den Rücken fällt? Weder die versprochene technische Unterstützung ist angekommen, noch haben wir etwas von den 3.000 weiteren versprochenen Hektar Land gesehen, die nach 90 Tagen hätten übergeben werden sollen“. MUCA forderte am 14. Dezember 2010 die Regierung in einem Kommuniqué auf, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen: „Viel Zeit ist verstrichen und immer noch sehen wir keinerlei Fortschritt, der mangelnde Wille der Regierung ist offensichtlich.“
Tatsächlich waren die Mitglieder der MUCA nicht mit allen Punkten von Lobos Vorschlägen einverstanden. Sein Vorhaben war das einer Koinvestition, bei der Bäuerinnen und Bauern auf der einen und Unternehmer auf der anderen Seite jeweils die nötigen Investitionen tragen und eine Verbindung als GeschäftspartnerInnen eingehen. Die BäuerInnen geben ihre Ernte dann zu Fixpreisen an die Unternehmer ab. Diese kontrollieren die Weiterverarbeitung und auch die Distribution. MUCA wehrte diesen Vorschlag vorerst erfolgreich ab. Die durch das Abkommen hergestellte Kreditschuld schwächt jedoch langfristig die Position der Bäuerinnen und Bauern. Heute scheint es nicht unrealistisch, dass sie aufgrund einer finanziell prekären Situation in Zukunft dem Modell der Koinvestition doch noch zustimmen müssen.
Am 21. April 2010, wenige Tage nach dem Abkommen mit MUCA, reiste der honduranische Vizepräsident der De-facto-Regierung, Samuel Reyes, nach Mexiko, um sich dort über laufende Programme der Koinvestition zu informieren. Bei seiner Rückkehr zeigt er sich tief beeindruckt: „Durch das Modell wird den Bauern der Verkauf ihrer Ernte garantiert, und die Unternehmer, die sich der Industrialisierung widmen, verfügen zu diesem Zweck über ausreichend Rohstoffe.“
Gilberto Ríos, Exekutivsekretär von FIAN International in Honduras, einer weltweiten NRO, die sich dem Menschenrecht auf Nahrung verschrieben hat, sieht das anders: „Das System der Koinvestition ruiniert die mexikanischen BäuerInnen, bis sie schlussendlich verkaufen. Die niedrigen Fixpreise schaffen Armut und Not, während die Unternehmer hohe Gewinne mit der Verarbeitung und der Distribution der Agrarprodukte machen.“
Reyes versprach, außerdem noch nach Peru und Kolumbien reisen zu wollen, um sich über den Fortschritt der Ölpalmenpflanzungen in diesen Ländern zu informieren. Auch in Honduras solle das Modell Palmera Africana forciert werden, kündigte Reyes an. Die illegitime honduranische Regierung liegt damit ganz auf einer Linie mit der Weltbank. Sie empfiehlt allen Ländern Zentral- und Lateinamerikas Investitionen in den Export von Palmöl, um von einem weltweit wachsenden Agrospritmarkt profitieren zu können.
„Was in Honduras forciert wird, ist das alte neoliberale Konzept der Produktion für den Export bei gleichzeitigem Import von Nahrungsmitteln aus dem Ausland“, resümiert Ríos. In diese Logik reiht sich auch das im Mai 2010 in Madrid unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union ein. Die EU erschließt sich damit wichtige Segmente des honduranischen Lebensmittelmarktes, etwa durch den zollfreien Handel mit Milch. Die hoch subventionierte Landwirtschaft des Wirtschaftsblockes verdrängt dabei honduranische ProduzentInnen, die mit den Dumpingpreisen der EU-Konzerne nicht mithalten können. Ríos sagt dazu: „Das läuft den Empfehlungen von FIAN diametral entgegen, hätte Honduras doch die Kapazitäten, seine Bevölkerung aus eigener Kraft zu ernähren. Was Honduras bräuchte, wäre eine neue Strategie ländlicher Entwicklung, die die KleinproduzentInnen als wichtiges Potential für die Entwicklung des Landes anerkennt“.
Währenddessen werden auf den Lebensmittelmärkten von Honduras die Bohnen knapp, eines der Grundnahrungsmittel im Land. Die Regierung sah sich Anfang Dezember 2010 genötigt, ein Ausfuhrverbot für Bohnen zu erteilen. Auf der Agrarmesse in Tegucigalpa, der Hauptstadt des Landes, sind Bohnen erstmals nicht handelbar. Die Regierung hat eine Obergrenze für Bohnenpreise für Endverbraucher festgesetzt. Dies macht den Kauf und die Abfüllung aufgrund der hohen Preise, die die ProduzentInnen im Zuge der Verknappung verlangen, nicht rentabel.
An diesem Beispiel lassen sich die fatalen Konsequenzen der Export-Import-Prioritäten der Regierung Lobo ablesen. In einem Land, in dem über 50 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, würde bei freiem Spiel der Marktkräfte ein Gutteil der Bevölkerung verhungern. „Es gibt kein politisches Interesse, in die Nahrungsmittelsouveränität der Bevölkerung zu investieren“, meint Ríos. Mit einer solchen Agrarpolitik lässt sich die Festsetzung von Preisobergrenzen nicht aufrechterhalten. Eine solche Politik muss den Landkonflikt notwendigerweise weiter verschärfen. Der Eskalation, die gegenwärtig beobachtbar ist, liegt eben dieses neoliberale Verständnis der Funktion der honduranischen Landwirtschaft zugrunde. Während der monokulturelle Anbau von Ölpalmen vorangetrieben wird, fehlen die Ackerflächen für Nahrungsmittel. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was das für die Landbevölkerung bedeutet, leben doch laut der UN-Kommission CEPAL 81 Prozent von ihr von weniger als zwei Dollar am Tag, angewiesen auf Subsistenzlandwirtschaft.
Die Regierung von Pepe Lobo verfolgt weiter die Strategie der Repression. Nachdem MUCA-Aktivisten Lobo aufgefordert hatten, zu seinem Teil des Abkommens zu stehen, verlegte dieser kurzerhand mehrere Bataillone in die Region des Bajo Aguán. Als die Bäuerinnen und Bauern mit Straßenblockaden auf die Militarisierung reagierten, verhängte Lobo am 8. Dezember den Ausnahmezustand über das Departamento. Wieder fielen Schüsse während der Räumungen der Blockaden, wie durch ein Wunder wurde niemand getötet.
Nach der Niederschlagung der Proteste wird der Terror gegen den Widerstand und seine ProtagonistInnen fortgesetzt. Am 8. Januar 2011 entführten Angehörige des „Sicherheitsdienstes“ von Facussé Juan Ramón Chinchilla. Chinchilla ist führender Aktivist von MUCA und Jugendreferent der honduranischen Widerstandsbewegung (FNRP). Er wurde 48 Stunden festgehalten und misshandelt, bis ihm die Flucht gelang. In einem Interview, nachdem er seinen Entführern entkommen war, sagte er: „Sie waren sehr gut organisiert, die Operation war offensichtlich minutiös geplant.“
Entführungen, willkürliche Morde, Massaker. Und all das, während Militär und Polizei in der Region massiv präsent sind. Dass dieses Szenario an die Verhältnisse in Kolumbien erinnert, ist kein Zufall.
Der kolumbianische Ex-Präsident Álvaro Uribe hatte am 21. November 2010 Honduras besucht, um seine Solidarität mit der Regierung Lobo auszudrücken und eine strategische Partnerschaft mit dem Land anzukündigen. Dabei lobte er die Politik Lobos in den höchsten Tönen. „Auch wenn einige das Hirngespinst verbreiten, in Honduras gäbe es so etwas wie Instabilität“, so Uribe.
Schon im Oktober 2009 berichtete eine Arbeitsgruppe, eingesetzt von der UN-Menschenrechtskommission unter der Leitung von José Luis Gómez del Prado, über Hinweise auf Operationen von Paramilitärs mit kolumbianischer Herkunft gegen BäuerInnenkollektive im Aguán. Dass die „Kolumbianisierung“ des Landkonfliktes im Bajo Aguán den Widerstand nicht zum Verstummen bringen wird, lässt sich an der Entschlossenheit der AktivistInnen von MUCA ablesen: „Wir werden den Putsch nie akzeptieren, auch wenn sie uns umbringen. Ich werde nie aufhören zu kämpfen. Lieber der Tod als der Verrat“, trotzt Chinchilla dem Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen.
Während im Bajo Aguán unterernährte Menschen zwischen den Palmenhainen in Hütten aus Plastikplanen hausen, lautet das Motto der Regierung: „Patronen statt Bohnen“. Auf dem ehemals ihnen gehörenden Land hacken die BewohnerInnen des Aguán heute für einen Hungerlohn die Früchte der Ölpalmen Facussés von den Bäumen.
Ein Ende der Geschichte des Landkonflikts in Honduras ist noch lange nicht abzusehen. Gilberto Ríos weiß: „Es ist eine Geschichte, die sich wiederholt, Dekade für Dekade. Es ist die Geschichte von Honduras.“


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Grüne Wüsten

José Luís steht im Schatten einer seiner Ölpalmen und berichtet von seiner Misere mit dieser Pflanze, die er auf vier Hektar seines Landes anbaut. Als die „neue Art von Versklavung der Kleinbauern“ bezeichnet er den Anbau, „provoziert von der Regierung“. Der Kleinbauer aus der Gemeinde Palenque, im Bundesstaat Chiapas, hatte vor zwölf Jahren begonnen, die Palme anzupflanzen, um den Lebensstandard seiner Familie zu verbessern.
Doch was mit einer vierjährigen Unterstützung der Regierung für die Errichtung und Erhaltung der Plantagen begann, ist für ihn nur noch eine Belastung. Das liegt zum einem an den hohen Wachstumsansprüchen der Pflanzen. Trotz Dünger gehe es seinen Palmen schlecht. Auch die Pflege und Ernte sei sehr mühsam und gefährlich aufgrund der Stacheln, welche die bis zu 40 Kilo schweren Fruchtstauden zieren. Ein weiteres Problem sind die Öl-Extraktionsfirmen, die Hauptabnehmer der Früchte. „Der Preis für die Früchte ändert sich oft drastisch im Wochentakt“, so José Luís. Dies lasse keine finanziellen Planungen zu. Er berichtet von Betrugsfällen beim Abwiegen der Früchte sowie dem langwierigen und mühsamen Vorgang der Auszahlung der Kleinbauern und -bäuerinnen durch die AufkäuferInnen. Als Sammelabnehmer der Früchte anderer LandarbeiterInnen weiß er, wovon er spricht: Es kam schon vor, dass die Firma ihn erst nach einem zähen Kampf die 30.000 Pesos (ca. 1800 Euro) auszahlte, mit denen er die Früchte der Bauern und Bäuerinnen aufgekauft hatte.
Momentan wird die Ölpalme in den drei südlichen Bundesstaaten Tabasco, Veracruz und Chiapas angebaut, wobei Chiapas laut Zahlen von 2008 mit geschätzten 35.000 Hektar die größte Anbaufläche und höchste Palmölproduktion stellt. Der Gouverneur von Chiapas, Juan Sabines Guerrero, setzte seit seinem Amtsantritt 2006 mit der Gründung des „Bioenergieinstitut Chiapas“ die Ausbreitung von Monokulturen für die Produktion von Agrokraftstoffen ganz oben auf seine politische Agenda. Dies betrifft außer der Ölpalme im geringeren Maße auch Jatropha und Rizinus. Die chiapanekische Regierung sieht in ihrem Bundesstaat ein Potential von 900.000 Hektar Landfläche für die Erzeugung von Biomasse, das bis 2020 erschlossen werden soll. Das würde die Umwandlung von einem Siebtel der chiapanekischen Landesfläche – vor allem in den Regenwaldregionen Palenque und Marqués de Comillas – in grüne Wüsten bedeuten. Bis 2012 ist die Ausweitung des Anbaus auf 100.000 Hektar geplant. Für die Umsetzung dieses Plans verteilt der Staat fleißig Ölpalm- und Jatrophasetzlinge an die Bauern und Bäuerinnen und organisiert Pflanzaktionen mit Schulklassen unter dem Motto „500 Kinder – 500 Jatrophabäume“.
Chiapas ist nicht nur der südlichste Bundesstaat Mexikos, sondern auch einer der vielfältigsten bezüglich seiner kulturellen und biologischen Diversität: Tropischer Regenwald, Trockenwälder, unzählige Flüsse und Wasserfälle, Lagunen und eine Vielzahl von Gemeinden verschiedenster ethnischer Hintergründe prägen das Landschafts- und Kulturbild – und neben Viehweiden und Maisfeldern nun auch die Ölpalme. Diese Plantagen grenzen in Chiapas zum Teil direkt an Gebiete mit hoher Biodiversität: die Biosphärenreservate Montes Azules, Lacantún, La Encrucijada und El Triunfo sowie die Ruinenstätten von Bonampak und Yaxchilán. Ebenso sind der Nationalpark Palenque und die Schutzräume für Flora und Fauna Chan Kin, Nahá und Metzabok betroffen. Die Ausbreitung der Monokulturen bedeutet hier die Zerstörung der Biodiversität, denn wo nur noch eine einzige Pflanzenart ein Gebiet dominiert, kann nur eine geringe Zahl von Tier- und Pflanzenarten koexistieren – das ökologische Gleichgewicht fällt in sich zusammen. Auch die Anwendung von Dünger und Pestiziden stellt eine große Gefahr für die empfindlichen Ökosysteme dar.
In Mexiko ist die traditionelle Milpa, ein schon von den Maya betriebenes Landwirtschaftssystem für die Subsistenz mit dem Mischanbau von Mais, Bohnen und Kürbis, weit verbreitet. Doch dort wo Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln in Monokulturwüsten umgewandelt werden, ist die Ernährungssouveränität der Kleinbauern und -bäuerinnen gefährdet, denn dadurch wird dieser traditionelle Anbau der ebenso traditionellen Nahrungsmittel vernachlässigt oder gar verdrängt. Die LandarbeiterInnen, die Ölpalmen anstelle von Nahrung anbauen, sind gezwungen, immer mehr Lebensmittel zu kaufen und sind somit umso mehr von den Schwankungen des Weltmarktpreises für den Verkauf der Ölpalmfrüchte abhängig. Auch kann eine solche Plantage nicht einfach über Nacht gerodet und der Boden neu genutzt werden – denn die Wurzeln der Ölpalme reichen wegen ihres hohen Wasserbedarfs sehr tief und hinterlassen den Boden ausgelaugt und verhärtet für mehrere Jahrzehnte.
Gleichwohl denken nicht alle Kleinbauern und -bäuerinnenin Chiapas so wie José Luís. Bei einer Umfrage der chiapanekischen Nichtregierungsorganisation Hölzer des Volkes im Südosten kam heraus, dass die Mehrheit der Ölpalmbauern und -bäuerinnen gar nicht so unzufrieden mit ihrer Situation ist. Es sei nicht viel, was er verdiene, aber es sei besser als mit dem Anbau anderer Pflanzen, so Miguel Angel, der seine Ölpalmen auf fünf Hektar direkt neben den Wasserfällen von Weli-Ha in der Region um Palenque anbaut. In der Nähe der Plantage betreibt er weiterhin seine Milpa. „Die Früchte der Palme kann man leider nicht essen“, begründet er dies. Gustavo, ein weiterer Kleinbauer aus der Region, erklärt, dass die Arbeit auf seiner Plantage nur während der Erntezeit hart sei. Und auch wenn der Preis für die Abnahme sehr schwankend sei, so lohne sich der Verkauf der Früchte dennoch und verbessere sein Einkommen.
In der Region um Palenque haben viele ehemalige ViehbesitzerInnen ihre Weideflächen mit den Palmen bepflanzt, weil der heimische Fleischmarkt von den billigen Fleischimporten aus Guatemala und den USA verdrängt wurde. Zudem wird die Errichtung von Palmplantagen staatlich gefördert: In den ersten zwei bis vier Jahren erhalten die mexikanischen Bauern und Bäuerinnen Unterstützung in Form kostenloser Bereitstellung von Setzlingen, Düngern und Pestiziden.
Was geschieht, wenn kleinbäuerliche Gemeinden der mexikanischen Regierung bei ihren Plänen für die Landnutzung im Weg stehen, zeigte sich im Januar 2009 im Lacandona-Wald in Chiapas: Mit 16 Hubschraubern und Hunderten SoldatInnen und PolizistInnen vertrieb die Staatsmacht 20 indigene Familien aus zwei Dörfern. Die BewohnerInnen mussten für die Ölpalme und den boomenden Ökotourismus Platz machen.

KASTEN:
Die ölpalme
Die Ölpalme (Elaeis guineensis) kommt ursprünglich aus Afrika und hat sich in den letzten Jahrzehnten wegen des hohen Ölgehalts ihrer Früchte und Samen zu der wirtschaftlich bedeutendsten Palmenart entwickelt. Malaysia und Indonesien sind mit 85 Prozent der Produktion die Hauptanbauländer.
Der Großteil des aus der Frucht gepressten Öls wird zu Salat- und Kochöl sowie Margarine weiterverarbeitet, ein weiterer Teil zu Kosmetik, Seifen und Kerzen. Auch das Fett in den Süßigkeiten stammt meistens von dieser Pflanze. Ein noch geringer, jedoch wachsender Anteil Palmöl wird derzeit für die energetische Nutzung verwendet. In Deutschland wurden beispielsweise 2008 450.000 Tonnen Palmöl in Blockheizkraftwerken verfeuert, das entspricht ungefähr der Hälfte des in Deutschland verbrauchten Palmöls.
// BW


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Balanceakt der Regierung

Auf den ersten Blick sieht es nach einem Erfolg aus. Am 14. April unterzeichneten die Mitglieder der Vereinten Bauernbewegung des Aguáns (MUCA) im Departement Colón im Norden des Landes mit dem neuen Präsident Porfirio Lobo ein Abkommen, welches den landlosen Kleinbauern- und bäuerinnen 11.000 Hektar Land zuspricht. An den Verhandlungen, die von starker Militärpräsenz in der Region begleitet waren, nahmen auch Rafael Alegría, Vertreter des Bauernverbandes Vía Campesina, der Menschenrechtler Andrés Pavón und Cecar Ham von linken Partei Demokratische Vereinigung teil. Ham hatte im vergangenen Jahr trotz des Boykottaufrufs als Präsidentschaftskandidat an den Wahlen teil genommen und wurde anschließend von Lobo zum Leiter des Nationalen Agrarinstituts INA benannt.
Pünktlich zum Auftakt der Verhandlungen zwischen der MUCA und Lobo am 10. April stationierte die Regierung innerhalb kürzester Zeit mehr als 2.500 SoldatInnen und PolizistInnen im Aguán-Tal. Laut Regierung sollten die Truppen ausschließlich zur Bekämpfung der Kriminalität und des Drogenhandels dienen. Doch in den Diffamierungskampagnen der honduranischen Mainstream-Medien, sind es gerade die Bäuerinnen und Bauern, die angeblich unterstützt von kolumbianischen, venezolanischen und nicaraguanischen Guerillatruppen eine Bedrohung der honduranischen Gesellschaft darstellten. Belege für die behaupteten Verbindungen zu Guerillas bleiben diese Medien indes schuldig. Berichte mit Schlagzeilen wie „Terror im Bajo Aguán“ sollen jedoch den Eindruck erwecken, dass es sich bei den Bäuerinnen und Bauern um eine ungebildete, marodierende Meute handle. Die Aussage von Porfirio Lobo, dass er keine bewaffneten Gruppen im Land dulde, interpretieren kritische BeobachterInnen zudem als Drohung an die Macheten tragende Bauernschaft. „Wir haben unter vorgehaltener Pistole verhandelt, sie haben versucht, uns Angst einzujagen“, bestätigt ein Sprecher der MUCA gegenüber dem Real News Network.
Dabei haben die ca. 3.500 landlosen Bäuerinnen und Bauern aus Protest friedlich Ländereien besetzt, die sich früher in ihrem Besitz befanden. Sie wollen damit eine gerechte und umfassende Landreform erreichen, um Mais, Bohnen und Reis auch für den Eigenbedarf anzubauen und so Ernährungssouveränität herstellen. Schon einmal hatten honduranische Bäuerinnen und Bauern durch Landbesetzungen eine Landreform erzwungen, wonach jeder Familie fünf Hektar Land zugesprochen wurden, die nicht weiter verkauft werden durften. Diese in den 1970er Jahren durchgesetzte Reform beinhaltete aber auch, dass ausschließlich auf den Export ausgerichtete Erzeugnisse, also hauptsächlich Palmöl, Früchte und Zucker, angebaut werden durften. Zudem musste die Ernte an vorgeschriebene HändlerInnen und zu deren Preisen verkauft werden. Anfang der 1990er Jahre wurde dann das Verkaufsverbot für das Land aufgehoben und korrupte Bauernführer verkauften das Land an reiche AgrarproduzentenInnen. Gleichzeitig versprachen sie den Bauern, dass sie viel Geld mit der Arbeit auf den Plantagen verdienen würden. Fakt ist, dass heute 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung in Honduras nicht einmal 1,50 US-Dollar pro Tag verdient.
Heute sind die meisten der Ländereien im Aguán- Tal in den Händen von drei Großgrundbesitzern und Agrarproduzenten: René Morales, Reynaldo Canales und Miguel Facussé. Auf ihrem Land werden überwiegend Ölpalmen und Bananen für den Export in Monokultur angebaut, während die Mehrheit der Kleinbauern- und bäuerinnen kein eigenes Land besitzt und unter prekären Bedingungen auf den Plantagen beschäftigt ist. Gegen diese Macht- und Besitzkonzentration waren die Bauern nun ein weiteres Mal erfolgreich.
Doch muss erst bewiesen werden, dass die im aktuellen Abkommen getroffenen Abmachungen seitens der Regierung eingehalten werden. In einem ersten Schritt soll den Bauern 3.000 Hektar Land, das mit Ölpalmen bepflanzt ist, übergeben werden. Weitere 3.000 Hektar noch unbepflanztes Land sollen innerhalb von drei Monaten folgen. Darüber hinaus verspricht die Regierung 4.000 Hektar unbepflanztes und 1000 Hektar bepflanztes Land innerhalb eines Jahres an die Familien zu verteilen. Honduranischen Medienberichten zufolge wird die Regierung die Ländereien zu marktüblichen Preisen von Miguel Facussé & Co. kaufen und an die Bauern weitergeben. Der Verkauf des Landes soll untersagt sein und die Erzeugnisse müssen weiterhin an die von den Großgrundbesitzern kontrollierten Exporteure verkauft werden.
Trotz dieser Einschränkungen freuen sich die meisten Bäuerinnen und Bauern über den Ausgang der Verhandlungen. Sie werden schon Ende April auf ihr eigenes Land umsiedeln können. Dieser Erfolg ist auch dem im ganzen Lande erwachten politischen Bewusstsein geschuldet und der starken Unterstützung der Bauern durch die Widerstandsfront gegen den Staatsstreich. Weiterhin wird von ihnen eine verfassunggebende Versammlung gefordert, die eine weit reichende Landverteilung beinhaltet.
Warum sich die drei Großgrundbesitzer überhaupt auf einen solchen Handel eingelassen haben, bleibt unklar. Denn bisher wurden die Proteste und Landbesetzungen mit angeheuerten Todesschwadronen beantwort, die seit Mitte Dezember sechs Mitglieder der Bauernbewegung MUCA ermordet haben. Doch auch in diesem Punkt zeigt sich die Spaltung der Gesellschaft, die nach dem Putsch stark sichtbar geworden ist. Während auf der einen Seite von getöteten und unrechtmäßig verhafteten Bauern gesprochen wird, berichten rechtsgerichtete Medien von acht ermordeten Wachleuten auf den Fincas von Miguel Facussé. Auch der honduranische Reporter Nahún Palacios, der als einer von Wenigen die Seite der Bauern in den Medien vertrat, wurde am 14. März in Tocoa von zwei Bewaffneten Männern in seinem Auto erschossen. Insgesamt wurden alleine im März fünf JournalistInnen getötet.
Die Gewalt im Rahmen des Landkonflikt dient Präsident Lobo als Rechtfertigung, um die Militarisierung des Landes zu forcieren. So hat er angeordnet, dass das Militär auf unbestimmte Zeit die Polizeiarbeit in Honduras unterstützen wird, um für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. Mit dem populären Argument „Sicherheit“ rechtfertigt die Regierung auch die Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit mit den USA. Ein kurz nach dem Abkommen im Bajo Aguán unterschriebener Vertrag sieht die Errichtung einer zweiten Militärbasis im nordöstlichen Departement Gracias a Dios vor. Laut dem US-Botschafter in Honduras, Hugo Llorens, sollen zu der Basis vier Kriegsschiffe entsandt werden.
Aus den Mainstream-Medien, die in den Händen der Oligarchie sind, ist unterdessen ein Rumoren zu vernehmen, das darauf schließen lässt, dass die Elite mit ihrem neuen Präsidenten nicht zufrieden ist. KommentatorInnen kritisieren das Landverteilungsabkommen als Zeichen der Schwäche der konservativen Regierung gegenüber der nach wie vor aktiven Widerstandsfront gegen den Staatsstreich. Die Regierung Lobo steckt in keiner einfachen Situation. Einerseits muss sie ihr Klientel bedienen, die im Juni letzten Jahres Präsident Manuel Zelaya aus dem Amt geputscht hat. Andererseits kommt sie nicht um gewisse Zugeständnisse an die arme Bevölkerungsmehrheit herum, von denen viele nach wie vor die neue Regierung als illegitim betrachten. Das Landverteilungsabkommen kann somit als Schritt interpretiert werden, sich gegenüber ihren GegnerInnen zu legitimieren und der Widerstandsbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn Zelaya war gerade aufgrund seiner Landreformpläne populär. Der Balanceakt kann durchaus schief gehen. Das Abkommen schafft einen Präzedenzfall, der die arme Landbevölkerung ermutigen könnte, auf weiter gehende Landreformen zu drängen.


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Riesiges Täuschungsmanöver

Kolumbien ist nach dem Sudan das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen. Es sind nicht ausschließlich Opfer des Drogenkrieges, Tausende fliehen vor der Gewalt der exportmarktorientierten Agrarindustrie. Im Gespräch erklärt Mauricio García vom Hilfswerk Swissaid die Zusammenhänge zwischen dem aktuellen Entwicklungsmodell und der dramatischen Situation der Vertriebenen.

Sie leiten das kolumbianische Programm des Hilfswerkes Swissaid “Unser Saatgut – unser Leben”. Was kann man sich genau darunter vorstellen?
Wir sind Teil einer lateinamerikanischen Kampagne, die um den Erhalt der Biodiversität und der traditionellen Agrarkultur der Kleinbauern kämpft. Beides ist durch die weltweite Monopolisierungspolitik schwerstens bedroht, die von den transnationalen Konzernen mit Rückendeckung der nationalen Regierungen vorangetrieben wird. Wir wollen dieser umwelt- und menschenfeindlichen Politik Alternativen gegenüberstellen: Etwa durch den Austausch von altüberliefertem Wissen und traditionellem Saatgut unter den ländlichen Gemeinden, deren Unabhängigkeit wir dadurch stärken wollen.

Auf welche Weise wird die Unabhängigkeit der KleinproduzentInnen konkret bedroht?
Sehr schwerwiegende Konsequenzen zieht die Freihandelspolitik der vergangenen Jahrzehnte nach sich, die auch uns Kolumbianer in eine krasse Abhängigkeit von Lebensmittelimporten gestoßen hat. Heute importieren wir acht Millionen Tonnen an Lebensmitteln, davon etwa drei Millionen Tonnen Mais, Getreide und Soja. Die Getreideproduktion in Kolumbien ist zum Erliegen gekommen, da wir es nun aus Argentinien und den USA importieren. Dieser Tendenz liegt die sogenannte „Grüne Revolution” zugrunde, das dominante landwirtschaftliche Enwicklungsmodell der vergangenen 60 Jahre, welches die agarindustrielle Großproduktion in den Mittelpunkt stellt. Im Zuge der Privatisierungen und der verschärften Monopolisierung hat sich die Situation für kleinere Erzeuger in jüngerer Zeit drastisch verschärft.

Worin besteht das Problem bei den Privatisierungen?
Anfangs war das Saatgut in öffentlicher Hand; die staatliche Finanzierung der Forschungseinrichtungen garantierte die gesellschaftliche Teilhabe an ihrem Nutzen. Doch dieses öffentliche Gut ist nach und nach in die Hände privater Großkonzerne geraten. Heutzutage wird es ohne Rücksicht auf die Kleinbauern und die Bedürfnisse der Bevölkerung für die große Agrarindustrie entwickelt. Auf riesigen Anbauflächen wird das Saatgut mithilfe landwirtschaftlicher Großtechnologie angebaut, die auf immense Mengen an Treibstoff und Pestiziden angewiesen ist. Kleine bäuerliche Betriebe können mit dieser industriellen Produktionsweise nicht mithalten. Sie haben erst gar nicht die Mittel, das Saatgut der Großkonzerne zu kaufen, geschweige denn die technischen Möglicheiten, es erfolgreich anzubauen. In diese Stoßrichtung geht auch die Entwicklung von genmanipuliertem Saatgut: Lediglich zehn Konzerne teilen diesen Markt weltweit unter sich auf.

Gerade BefürworterInnen der Gentechnik führen jedoch als Argument an, nur mit deren Hilfe ließe sich der Hunger nachhaltig und global bekämpfen.
Das ist doch ein riesengroßes Täuschungsmanöver. Erst einmal ist die Produktion einer ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln überhaupt nicht das Problem. Schon heute werden weltweit genügend Lebensmittel produziert; fast doppelt so viel als man bräuchte, um die gesamte Menschheit auf dem Planeten zu ernähren. Im Grunde haben wir ein Verteilungsproblem. Das lässt sich nicht mit genmanipulierten Pflanzen lösen. Zumal diese Technik mit einer schwindelerregenden Landkonzentration auf Kosten der Armen einher geht. Um riesige Flächen zusammenzulegen, werden die Kleinbauern auch mit Gewalt von ihren Schollen vertrieben. Diese werden danach von der Agrarindustrie für die Viehzucht, jüngst vermehrt für den Anbau von Pflanzen zur Biodieselherstellung, benutzt. Aus diesem Grunde sind die Lebensmittelpreise in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen, denn das Land wird nicht für die Grundbedürfnisse der Mehrheit, sondern für einen überzogenen Konsum einiger weniger genutzt.

Es gibt also überhaupt keinen Ertragsgewinn durch Gentechnik?
Die Befürworter der Gentechnik versprechen entgegen den Fakten immer noch größere Erträge und „saubere” Lebensmittel. In den meisten Fällen haben die Schädlinge aber sehr schnell Resistenzen gegen die genmanipulierte Saat entwickelt. Um den Resistenzen entgegenzuwirken, wird die Dosis an Herbiziden und Pestiziden immer weiter erhöht. Das ist die Logik der Agrarindustrie: Töten, töten und nochmals töten! Meist ist es der gleiche Konzern, der für seine genmanipulierte Pflanze die passende Chemikalie im Angebot hat. Abgesehen davon frage ich mich, wie „sauber” beispielsweise ein Apfel ist, der den Wurm tötet, der ihn frisst. Daneben kursieren diese Scheinargumente, der Nahrungswert von bestimmten Lebensmitteln ließe sich dadurch erhöhen. Die Menschen haben jedoch nicht die ökonomischen Mittel, um solch einen Reis zu kaufen. Das ist doch absurd. Um den Hunger nachhaltig zu bekämpfen, müssen die Menschen ihre Böden behalten; sie müssen ihr eigenes Saatgut und ihre eigenen Techniken anwenden können. Es ist erwiesen, dass kleine Schollen mit verschiedenen Pflanzen weitaus ertragreicher sind als die grünen Wüsten der Monokulturen.

Kolumbien sollte doch eigentlich genügend fruchtbaren Boden haben, um seine 45 Millionen EinwohnerInnen ernähren zu können.
Natürlich. Allerdings treibt in Kolumbien ein falsch verstandenes Entwicklungsmodell die Menschen in größte Not. Das fing schon vor 60 Jahren an, als mit einem ersten Weltbankprojekt unter der Führung von Lauchlin Curries Vorschläge gemacht wurden, wie Kolumbien sich zu entwickeln habe. Um die Industrialisierung voranzutreiben, sollten die Menschen in die Städte geholt werden. Die forcierte Urbanisierung hat viele der bäuerlichen Gemeinden, ihr Brauchtum, ihre Traditionen, sowie ihr Kulturland zerstört. Damit verbunden waren die bis heute nicht abreißenden, gewaltsamen Vertreibungen, die Millionen zur Landflucht gezwungen haben. Gehörten noch in den siebziger Jahren 50 Prozent aller Kolumbianer der bäuerlichen Bevölkerung an, sind es heute gerade mal 24 Prozent. Die Entwicklungen haben dazu geführt, dass weniger als fünf Prozent der Landbesitzer mehr als 65 Prozent der Ackerböden besitzen.

Und die GroßgrundbesitzerInnen produzieren nicht vorrangig Lebensmittel?
Vor allem produzieren sie für den Exportmarkt: Kaffee, Bananen, Kakao und in rasant wachsendem Maße Palmöl. Sie produzieren am Bedarf der Menschen vorbei. Währenddessen produzieren die kleinen Erzeuger 50 Prozent aller Lebensmittel, obwohl sie nur einen viel kleineren Teil der Fläche bewirtschaften. Das wird aber nicht anerkannt. Nachdem es in den sechziger Jahren eine zwar kleine, aber in Teilen dennoch erfolgreiche Agrarreform gab, wurden die Kleinbauern ab den siebziger Jahren erneut von ihrem Land vertrieben. Wir nennen das die Gegen-Agrarreform. Es ist eine Allianz aus Großgrundbesitz, Drogenmafia und Paramilitärs, die bis heute ihr Unwesen treibt.

Präsident Álvaro Uribe behauptet allerdings, dass der Paramilitarismus genauso wie die Guerilla in Kolumbien fast am Ende sei.
Das ist die größte und erfolgreichste der unzähligen Lügen dieser Regierung. Doch der Krieg geht weiter, er ist vielleicht sogar noch brutaler als zuvor, denn es geht um Ressourcen, um Minen, Wasser, die Produktionszentren des Kokains und die großen Agrarlandflächen. Außerdem gleitet uns der Krieg immer mehr aus den Händen, da er durch die Profitinteressen internationaler Akteure angetrieben wird.

Können Sie ein gegenwärtiges Beispiel für den Krieg um Ackerland nennen?
Massenhafte Vertreibungen werden beispielsweise seit einiger Zeit im Pazifikdepartamento Chocó durchgeführt. Zuerst werden die Einwohner der Gemeinden von Paramilitärs vertrieben. Wer deren Drohungen nicht ernst nimmt, wird ermordet. Der Boden der Vertriebenen wird danach mit riesigen Monokulturen der Ölpalme bepflanzt. Die Regierung unterstützt die Bepflanzungen aktiv mit Subventionsgeldern. Wenn die vertriebenen Gemeinden auf Druck internationaler und kolumbianischer Nichtregierungsorganisationen doch zurückkehren können, sehen sie vollendeten Tatsachen ins Gesicht: Ihr Land ist mit Ölpalmen bepflanzt. Durch Drohungen und Gewalt, werden sie dazu gezwungen, diese weiterhin anzubauen.

Die Regierung unterstützt also die gewaltsame Konzentration von Land mit Steuergeldern?
Das Niveau an Korruption wurde im vergangenen Jahr besonders deutlich an dem Skandal um das „Sichere Agrareinkommen“. Das ist ein Programm des Landwirtschaftsministeriums, welches offiziell sicheres Agrareinkommen, also Subventionsgelder, an kleine Agrarerzeuger austeilen sollte, die besonders negativ von den desaströsen Auswirkungen der Freihandelspolitik betroffen sind. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Geld an Leute ausgezahlt wurde, die überhaupt nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, oder an Großgrundbesitzer und Lebensmittelproduzenten, die sicherlich keine Subventionen benötigen. Abermillionen an Pesos wurden an die Klientel des Präsidenten ausgehändigt, um dessen Wiederwahl zu sichern. Entgegen der erfolgreichen Propaganda ist diese eine der korruptesten Regierungen, die wir in Kolumbien je hatten. Sie hilft den Großgrundbesitzern dabei, ihre Macht und ihren Reichtum zu festigen und auszudehnen.

Was setzen Sie dem entgegen?
Notwendig ist eine weitreichende Neuverteilung des Landes. Sie käme den kleinen Erzeugern zu Gute und ist zugleich Voraussetzung für eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft. Der biologische Landbau bietet die einzige Möglichkeit, die Biodiversität zu erhalten und könnte auch in Kolumbien unsere Ernährungssouveränität wiederherstellen. Um das zu erreichen, versuchen wir ein Umdenken bei den Verbrauchern zu bewirken: Anstelle von Lebensmodellen des schnellen Konsums, wie wir sie aus den Industrieländern importiert haben, wollen wir einen neuen Begriff von dem, was wirklich lebenswert ist, fördern. Wenn jedoch in den reichen Ländern, wie dem Ihren, keine Maßnahmen ergriffen werden, um die ungeheure Macht der Multis zu kontrollieren, bleiben wir auf verlorenem Posten stehen.


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„Eine nachhaltige Produktion von Palmöl gibt es nicht“

Gibt es Ihrer Meinung nach eine nachhaltige Produktion von Palmöl?
Nein. Um rentabel zu produzieren, und das wollen die Unternehmen schließlich, sind Monokulturen nötig. Dadurch wird immer Umwelt zerstört und werden immer Bauern und Bäuerinnen gewaltsam vertrieben werden. Und damit wird auch die Produktion von Nahrungsmitteln beendet, mit denen sich die Kleinbauern selbst und das ganze Land ernähren könnten. Das bedeutet für Kolumbien: Anstatt einen Großteil für den Eigenbedarf zu produzieren, müssen wir nun importieren. Wir glauben weder daran, dass eine nachhaltige Produktion möglich ist, noch an die Sozialverantwortlichkeit der Unternehmen. Deren Kriterien übergehen immer die Bedürfnisse und das Leben der Gemeinschaften, die die eigentlichen „Besitzer“ des Landes sind.

Von ihrem Land wurden die Gemeinschaften bereits mehrfach vertrieben, oder?
Ja. Nach der ersten Vertreibung von 1996 versuchten einzelne Grüppchen in die Region zurück zu kehren. Doch 2001 wurden sie erneut vertrieben. Von Curvaradó sind alle geflohen, dort wurde dann damit begonnen, Palmölplantagen zu errichten. Die Vertreibung fällt genau mit dem Beginn der Pflanzungen zusammen. Sie fingen am Fluss Curvaradó an und setzten sich fort bis zum Gebiet des Jiguamiandó.
Die Firmen haben immer behauptet, dass sie Besitztitel für dieses Land hätten. Doch wir haben beweisen können, dass sich die Plantagen auf dem Land der afrokolumbianischen Gemeinschaften befinden. Die Palmölunternehmen haben auch behauptet, tausende Hektar gekauft zu haben. Auch hier konnte bewiesen werden, dass notarielle Dokumente und Unterschriften gefälscht worden sind, so dass die Unternehmen das Land zurück geben müssten, was jedoch bislang nicht geschehen ist.

Gab es auch Menschenrechtsverletzungen im Verlauf der Vertreibungen?
Wir haben seit 1996 an die 120 Fälle von Ermordungen und Verschwindenlassen dokumentiert. Als letztes wurde vergangenes Jahr Wilberto Hoyos in der so genannten Humanitären Zone von Caño Manso ermordet. Die Menschen an diesen beiden Flussläufen haben 15 Vertreibungen erlitten: für 13 sind Paramilitärs und Armee verantwortlich, für eine die Guerilla und eine geschah durch Gefechte.

Gibt es Verbindungen zwischen den Palmölunternehmen und Paramilitärs und der Armee?
Seit Beginn der Aussaat der Ölpalmen haben Armee und Paramilitärs die Plantagen bewacht. Die Zugangswege zum Gebiet des Curvaradó wurden von den Paras versperrt. Außerdem haben wir herausgefunden, dass in Caño Manso die Vereinigung ASOPROBEBA aktiv ist, deren Vertreterin Sor Teresa Gómez ist. Diese hat enge Verbindungen zur Familie Castaño [führende Paramilitärs; Anm. d. A.]. Zurzeit wird gegen sie wegen der Ermordung einer Bauernführerin in der Provinz Córdoba im Januar 2007 ermittelt. Außerdem ist sie die legale Vertreterin von FUNPASCOR, einer Organisation, die schon in den 1980er Jahren von der Familie Castaño gegründet wurde. Darüber hinaus sind auch einige Familien, zum Beispiel die Familie Zúñiga Caballero, hier aktiv, die mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht werden.

Und was haben die PalmölproduzentInnen damit zu tun?
Die Familie Zúñiga Caballero ist im Vorstand der zwei Unternehmen Urapalma und Palmado. Sie sind auch an der Ölmühle in Bajirá beteiligt, wo das Palmöl gepresst wird. Es gibt Indizien dafür, dass hier Drogengeld gewaschen wurde. Wenn Du in der Region bist, siehst Du ständig Leute mit Motorrädern, die von den Menschen hier als Paramilitärs wiedererkannt werden. Oft sind sie die Vorarbeiter in den Plantagen.

Wird gegen diese Leute ermittelt?
Seit Dezember 2007 wird gegen 23 Unternehmer wegen Vertreibung und Mord ermittelt. Doch das läuft sehr langsam, obwohl es mehr als 100 Zeugen gibt. Gegen die Vertreter der afrokolumbianischen Gemeinschaften wird auf der anderen Seite aber sehr wohl ermittelt. Sie werden als Terroristen der FARC-Guerilla (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) angeklagt.

Was ist mit der Verantwortung der Militärs?
Gegen Rito Alejo del Río wird gerade prozessiert. Der Fall betrifft die Gemeinschaft am Fluss Cacarica und die Ermordung von Marino López. Es wäre ein erster Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit, wenn Rito Alejo für die Verbrechen verurteilt würde, für die er als Kommandant der 17. Brigade verantwortlich war. Und es ist wichtig, die paramilitärischen Strukturen zu zerschlagen, die weiterhin operieren. Nicht mehr in Tarnuniformen und mit automatischen Gewehren, sondern in zivil, mit Pistolen bewaffnet. Sie verbreiten weiterhin Angst und Schrecken und bedrohen die Leute.

Auch Justicia y Paz wurde schon massiv bedroht. Nützen internationale Proteste etwas?
Wir glauben, dass sie sehr geholfen haben. Bei den Treffen mit der Regierung wurden internationale Protestbriefe erwähnt und kurze Zeit später sank das Niveau der Repression und der Bedrohung. Deshalb konnten wir im Curvaradó weitermachen, wir mussten die Region nicht verlassen. Ohne den internationalen Druck wäre es für uns sehr schwer, die Gemeinschaften weiter zu begleiten.

Und ist mittlerweile schon Land zurück gegeben worden?
Im Februar 2009 haben sie einen Teil des Landes der Gemeinschaften El Cetino und Camelia an das Landwirtschaftsministerium übergeben, das wiederum die Rückgabe regeln müsste. Doch auch das ist bislang nicht geschehen. Außerdem gibt es ein Problem mit den Plantagen auf diesem Land, die teilweise an einem Parasit erkrankt sind. Die Gemeinschaften wollen das Land mit den erkrankten Palmen und den damit verbundenen Kosten nicht übernehmen oder womöglich sogar für die weitere Ausbreitung der Plage verantwortlich gemacht werden. Das Ministerium muss dieses Problem lösen, da es nicht von den Gemeinschaften verursacht wurde.

Was genau sind die Forderungen der Gemeinschaften?
Dass ihnen das Land „gesund“ zurück gegeben wird. Ich bin keine Expertin in dieser Frage, aber man müsste die Palmen wohl fällen. Das ist die Erfahrung aus anderen Landesteilen, wo sich diese Plage ausgebreitet hat. Generell wollen die Leute aber überhaupt keine Palmölpflanzungen. Doch die Palmölunternehmen schlagen „strategische Allianzen“ vor. Die Leute sollen die Palmen behalten und ins Geschäft einsteigen. Wir kennen das aus anderen Regionen. Die Leute verlieren ihr Land wieder, weil sie diese Art des Anbaus nicht kennen und nicht beherrschen. Es sind ja keine Nahrungsmittel. Und die großen Unternehmen beherrschen den Markt und bestimmen den Kaufpreis. Aber das Palmölprojekt schreitet immer weiter voran, anstatt gestoppt zu werden. Bagger, Laster und Arbeiter tun weiterhin ihre Arbeit. Richtung Süden, im Gebiet des Jiguamiandó wird weiter der Urwald abgeholzt und es gibt eine neue Baumschule. Soweit wir wissen, hat der Unternehmer Jaime Sierra von Urapalma sie angelegt.

Was ist mit der Frage nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung?
Die Gemeinschaften fordern Gerechtigkeit für all die Verbrechen, die seit 1996 geschehen sind. Für die Leute bedeutet das in erster Linie, dass sie wieder so leben können wie früher, dass sie Bildung bekommen und auf ihrem Land säen und ernten können. Wir versuchen gerade einen Bewusstseinsprozess anzustoßen, dass die Leute sich darüber klar werden, was alles zerstört wurde, um eine „integrale“ Wiedergutmachung zu erreichen. Denn für die Regierung heißt Wiedergutmachung lediglich eine monatliche Zahlung an die Betroffenen. Doch die Leute wollen ein würdevolles Leben leben, auf ihrem Land, wo sie selbst entscheiden, was und wie sie dort anbauen.

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für die Zukunft, um den Konflikt zu lösen?
Es ist wichtig zu begreifen, dass die Agrokraftstoffe weder für den Klimawandel noch für die Energieproduktion eine Lösung sind. In einer Diskussion hat einmal ein Experte erklärt, dass wir drei Planeten bräuchten, um die Masse an Energie aus Agrokraftstoffen zu produzieren, wenn wir das aktuelle Modell des Energieverbrauchs beibehalten wollten. Das ist also nicht die Lösung! In Kolumbien bedeutet die Produktion von Agrokraftstoffen eine große Zahl an Menschenrechtsverletzungen, viele Menschen werden ermordet oder verlieren ihre Lebensgrundlage. Es sollte nichts gekauft werden, durch das die Menschenrechte verletzt werden, wie das bei Agrokraftstoffen geschieht.

// Interview: Jochen Schüller

Kampf um Land
Die afrokolumbianischen Gemeinschaften an den Flüssen Curvaradó und Jiguamiandó im Nordwesten Kolumbiens besitzen kollektive Landtitel. Im Fall Curvaradó sind es offiziell 46.084 Hektar und im Fall Jiguamiandó 54.973 Hektar kollektiver Gemeindebesitz. Doch trotz offizieller Landtitel werden auf dem Land illegal Ölpalmen angebaut. Ein großer Teil des Palmöl ist für den Export nach Eruopa bestimmt. Die Gemeinden wurden mehrmals vertrieben. Der Urwald, die kleinen Felder und Weiler der afrokolumbianischen Kleinbauernfamilien wurden zerstört. Der Staat setzt die Landrechte der Gemeinden nicht durch, im Gegenteil, die Plantagen werden von den staatlichen Streitkräften geschützt. Die Kleinbauernfamilien haben sich organisiert und fordern ihr Land zurück. Bislang haben sie jedoch keinen Zentimeter Land zurück bekommen.


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Erklärung der Koordinierungsstelle der indigenen Organisationen des Amazonasgebiets COICA

Auf dem Weltsozialforum 2009 in Belem do Para, Brasilien, waren VertreterInnen der insgesamt 390 indigenen Völker des Amazonasgebietes (COICA), zu denen fast drei Millionen Menschen gehören, versammelt. In unseren intensiven Debatten und Analysen ging es um die Realität der indigenen Völker im Amazonasraum. Unsere Grundlage sind die Vorschläge und Prinzipien der Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten indigener Völker (UNDRIP). (…) Die indigenen Völker haben das Recht auf freie Selbstbestimmung ihrer politischen Situation und sollen frei über ihre wirtschaftliche, gesellschaftliche und kuturelle Entwicklung entscheiden dürfen. Deshalb:
Fordern wir die unverzügliche Festlegung und Ausweisung unserer ursprünglichen Gebiete, die seit jeher von ihren legitimen Bewohnern genutzt werden. Wir verurteilen die gewalttätigen Einschüchterungsversuche, die tödlich endeten, weil unsere Führer unser Gebiet und die Rechte der indigenen Völker verteidigten.
Wir klagen die Nichtberücksichtung der Grenzen für Landwirtschaft und Fischfang an. Hierdurch wird unser Territorium verletzt und abgewertet, Wälder und Weideflächen werden verbrannt, Boden und Flüsse verseucht; chemische und genetisch veränderte Mittel werden eingesetzt, um Monokulturen zu fördern, es finden Biopiraterie, Holzschmuggel, illegale Entsorgung von Haus- und Industriemüll statt. Alle diese Faktoren stellen eine Gefährdung für unsere Ernährungssouveränität dar und führen zum Verfall von Ökosystemen und schließlich auch zum Verlust unserer Identität und Kultur. Außerdem erhöhen diese Einflüsse die Verletzlichkeit der indigenen Völker, die in selbst gewählter Isolierung leben und bislang noch nicht oder kaum mit der Außenwelt in Kontakt waren: Wir fordern für sie eine vollständige Garantie ihrer Gebiete durch die betroffenen Staaten.
Wir möchten die Welt darüber in Kenntnis setzen, dass Megaprojekte wie IIRSA und PAC (von Staaten und Regierungen durchgeführt), für den Genozid an indigenen Völkern und die Zerstörung des amazonischen Regenwaldes verantwortlich sind: Wir fordern den sofortigen Stopp dieser Projekte!
Wir wehren uns gegen politische Entscheidungen und Prozesse, welche die Beteiligung der indigenen Völker bei der Diskussion um den Klimawandel behindern oder verfälschen: Wir fordern eine bessere Informationsverbreitung und eine kritische Debatte zwischen den indigenen Völkern über die Verfahren und die laufenden Verhandlungen hinsichtlich der Reduzierung und Vermarktung von Kohlenstoff auf indigenen Gebieten.
Jede Vereinbarung über Finanzierungssysteme für den Schutz des Regenwaldes (z.B. REDD) auf unserem Gebiet muss uneingeschränkt die Rechte der indigenen Völker gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen (UNDRIP) anerkennen. Unsere Rechte sind nicht verhandelbar.
Wir wehren uns gegen Bergbau, Erdöl- und Brennstoffförderung und klagen die immer größere Produktion von Agrokraftstoffen im Amazonasgebiet (Palmöl, Zuckerrohr, Soja) an, welche unser Ökosystem hochgradig zerstören. Wir weisen das Produktionsmodell unserer Staaten für den Konsum der “entwickelten” Länder und der Eliten der “Entwicklungsländer” zurück.
Wir fordern von den Organisationen und NRO, die sich für die Bewahrung unseres Lebensraums und unserer Kultur einsetzen, dass sie von ihren Aktivitäten absehen; wir setzen uns vielmehr dafür ein, dass unsere eigenen indigenen Organisationen im Rahmen ihrer legitimen und institutionalisierten Vertretung tätig werden.

Unterzeichnet von den anwesenden Mitgliedern der Koordination der Organisationen der Indigenen Völker des Amazonasbeckens (COICA) am 1. Februar 2009 in Belém, Brasilien.

A.d.R.: Dieser Text ist eine leicht gekürzte Version des Originals; die sieben Forderungskategorien wurden ganz, die Forderungsinhalte ganz oder im Kern beibehalten. Der Originaltext findet sich im Internet unter: http://www.coica.org.ec. Zum Thema Amazonien an dieser Stelle noch der Verweis auf die LN-Ausgabe Nr. 414, Dezember 2008, mit dem Schwerpunkt ‚Amazonien in der Klemme‘.


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„Die politische Praxis bleibt hinter dem Diskurs weit zurück“

Wie wird sich die Finanzkrise in Lateinamerika auswirken?
Die Krise hat hier gerade erst begonnen und wird sich noch deutlich verschärfen. Das lateinamerikanische Wachstum stützte sich in den letzten Jahren vor allem auf vier Säulen: a) eine nachfragebedingte Verbesserung der terms of trade, also dem Austauschverhältnis zwischen den exportierten und den importierten Gütern eines Landes, b) der internationale Kapitalfluss, c) die massive öffentliche und private Verschuldung und d) die Überweisungen von Arbeitsmigranten aus den USA und Westeuropa, die mit Ausnahme Argentiniens, Brasiliens und Chiles überall in Lateinamerika große Bedeutung für die Volkswirtschaften besitzen.
Die aktuelle Krise wirkt sich auf alle vier Phänomene aus. Die Rohstoffpreise sind – abgesehen vom Gold – zuletzt stark gefallen, weil mit der Industrieproduktion auch die Nachfrage sinkt. Die ausländischen Investitionen werden stark zurückgehen, weil die transnationalen Unternehmen keine Ressourcen zur Verfügung haben. Drittens wird es wegen der Finanzkrise schwerer, neue Kredite aufzunehmen. Das heißt, neue Infrastrukturprojekte können nicht mehr finanziert werden. Und viertens schließlich werden die Zahlungen der lateinamerikanischen Arbeitsmigranten zurückgehen. Spanien hat bereits erklärt, dass die Einwanderer in ihre Heimatländer zurückkehren sollen.

Heißt das, dass die zahlreichen Initiativen zur lateinamerikanischen Wirtschaftsintegration kaum praktische Folgen hatten und Lateinamerika heute genauso abhängig von den USA und Westeuropa ist wie vor 20 Jahren?
Die ökonomische Verflechtung auf dem Subkontinent ist heute viel größer als vor 20, 30 Jahren. Damals gab es kaum Handelsbeziehungen zwischen Kolumbien und Mexiko oder Mexiko und Brasilien. Heute ist lateinamerikanisches Kapital länderübergreifend tätig. Es sind längst nicht mehr nur US-amerikanische oder europäische Multis, die auf dem Kontinent investieren. Dabei handelt es sich um ein bisher allerdings wenig untersuchtes Phänomen.

Sie haben unlängst behauptet, dass Chile von der Krise am wenigsten betroffen sein wird. Die Staaten, die ein linkes Transformationsprojekt vorantreiben, scheinen hingegen besonders stark in den Sog zu geraten: Venezuela, Ecuador und Bolivien. Haben die linken Regierungen eine strukturell „rechte“ Wirtschaftspolitik verfolgt?
Zumindest leben Bolivien, Ecuador und Venezuela – trotz eines gegenteiligen Regierungsdiskurses – von der Rente aus Erdöl und anderen Bodenschätzen und haben wenig zur Schaffung produktiver Strukturen getan. Auch die Ergebnisse der Nationalisierungspolitik sind skeptisch zu bewerten. Die Linksregierungen haben die Staatsunternehmen, die die neoliberalen Vorgängerregierungen zu niedrigen Preisen verkauft hatten, zu relativ hohen Preisen zurückgekauft. Die politische Praxis bleibt insofern weit hinter dem Diskurs zurück.
Dazu kommt erschwerend, dass der wirtschaftspolitische Diskurs alles andere als klar ist. Aus den Statements wird nicht deutlich, ob die Linksregierungen zur Entwicklungspolitik der 1960er Jahre zurückkehren wollen – also in erster Linie eine starke Rolle des Staates in der Rohstoffbranche und im öffentlichen Sektor anstreben – oder ob es ihnen um eine reale gesellschaftliche Kontrolle der Reichtümer geht. Ich glaube, der bisher eingeschlagene Weg hat weniger mit Sozialismus als mit einem auf der Ölrente beruhenden Staatskapitalismus zu tun.

Aber woher kommt diese Unstimmigkeit? Die Probleme werden ja oft richtig benannt.
Die lateinamerikanischen Linksregierungen wurden gewählt, weil es in der Bevölkerung massiven Unmut über die neoliberale Politik gab. Mit Ausnahme von Chile und Brasilien, wo die Regierungswechsel das Ergebnis von Bündnissen mit bürgerlichen Parteien waren, wurden dabei neue politische Formationen ins Amt gewählt – also Parteien, die über wenig Verwaltungserfahrung und nur ein ziemlich vages Programm verfügten. Dementsprechend fehlt diesen Gruppierungen das Personal zum Regieren.
Die Neoliberalen haben eine für die Mehrheit verhängnisvolle Wirtschaftspolitik verfolgt. Aber sie haben über das Personal verfügt, um ihre Ziele im Staat umzusetzen. Die neuen Linksregierungen hingegen rekrutieren sich aus Leuten, die bislang vor allem in Nichtregierungsorganisationen aktiv waren.

Sprechen wir über Kolumbien: Der Krieg hat die ökonomische Struktur im Land radikal transformiert. Was für Konsequenzen hatte das?
Der herrschende soziale Block in Kolumbien hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundlegend verändert. In der Erdöl-, Bergbau- und Finanzbranche sowie in den öffentlichen Dienstleistungen hat es starke ausländische Investitionen gegeben. Mit diesen Interessen verbunden hat sich eine neue Schicht von kolumbianischen Beratern, Managern und Technikern herausgebildet. Zudem kam es im ländlichen Kolumbien zu einer Verquickung von Großgrundbesitz, ausländischen Bergbau- und Erdölunternehmen und Personen, die den Drogenhandel mit der Guerillabekämpfung verbinden. Der „Block an der Macht“ wird zunehmend von jenen Regionaleliten gebildet, die mit diesen neuen bewaffneten Akteuren alliiert waren. Diese Akteure wiederum handeln wie Warlords: Sie führen Krieg, verfolgen damit jedoch eigene ökonomische Interessen.

Ein Beispiel, bitte.
Nehmen wir die Karibikküste. Der – wegen Verbindungen zu den Paramilitärs inhaftierte – Gouverneur des Departements Magdalena hat in der Umgebung Santa Martas große Tourismusprojekte vorangetrieben. Dabei haben die mit den Paramilitärs verbündete politische Klasse, einheimische Unternehmer, der Drogenhandel und transnationale Firmen gemeinsam investiert. Von diesen Kapitalverflechtungen haben nicht in erster Linie die großen, bekannten Paramilitär-Chefs profitiert. Die Kommandanten der rechten Milizen der AUC [früherer Dachverband der Paramilitärs Autodefensa Unida de Colombia, Anm. d. Red.], die sich in den letzten Jahren als eigenständiger Machtfaktor zu positionieren versuchten, sind ja unlängst in die USA ausgeliefert worden und stehen dort wegen Drogenhandels vor Gericht. Nein, die eigentlichen Nutznießer sind die mit den AUC alliierten Unternehmer, die sich die Macht des Paramilitarismus und die Vertreibung der Bevölkerung zunutze machten. Es handelt sich also um eine sehr eigenartige Form der Kapitalakkumulation: Paramilitarismus und Drogenhandel helfen den regionalen Eliten, ihre Kontrolle im Land auszuweiten und mit ausländischen Investoren Großprojekte im Agrarbereich und in der Tourismusbranche voranzutreiben.
Ist das nicht widersprüchlich? Einerseits wird die Regierung Uribe von den USA massiv unterstützt, um den Drogenhandel zu bekämpfen. Gleichzeitig stützt sich das Regierungslager auf den so geannten Narcoparamilitarismus, also das Drogen handelnde Kriegsunternehmertum.
Es ist in der Tat komplex. Die Regierung Uribe hat die bekanntesten Führer des Narcoparamilitarismus ausgeliefert, die AUC-Kommandanten sitzen heute in den USA im Gefängnis. Zum anderen hat die von den Paramilitärs durchsetzte soziale, ökonomische und politische Ordnung aber weiter Bestand. In Kolumbien spricht man traditionellerweise von gamonalismo, von lokalen – gleichermaßen klientelistischen wie gewalttätigen – Herrschaftsstrukturen. Dieser gamonalismo ist in den letzten Jahren in neuen Machtstrukturen paramilitärischer „Kriegsunternehmer“ aufgegangen.

Welche Bedeutung hat der Drogenhandel für die kolumbianische Ökonomie? Der in den USA inhaftierte AUC-Kommandant Salvatore Mancuso hat unlängst behauptet, die Paramilitärs seien von jährlichen Drogeneinnahmen Kolumbiens in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar ausgegangen.
Der Drogenhandel hat unter der Regierung Uribe klar an Bedeutung gewonnen. Die Drogenhandelsringe sind gestärkt worden und enger als früher mit legalen Kapitalstrukturen verwoben. Und das hat, wie gesagt, mit dem Paramilitarismus zu tun. Die Paramilitärs haben Millionen von Kleinbauern vertrieben. Vier bis fünf Millionen Hektar Land sind in Hände von Großgrundbesitzern übergegangen, die massiv in agrarindustrielle Projekte investieren. Gleichzeitig kontrollieren die Netzwerke der demobilisierten AUC weiterhin den Drogenhandel und setzen ihr Kapital in den gleichen Agrar-, Rohstoff- und Tourismusprojekten ein.

Kommen wir noch mal auf die Regierung Uribe zurück. Der politische Autoritarismus dient ja nicht nur dazu, eine Opposition zu unterdrücken: Es werden vor allem bestimmte sozio-ökonomische Strukturen durchgesetzt. Welche wirtschaftspolitischen Projekte verfolgt die kolumbianische Rechte?
Die Regierung Uribe verfolgt eine „Re-Primarisierung“ der Ökonomie, das heißt sie setzt auf die Ausbeutung von Rohstoffen und Naturressourcen. Im Mittelpunkt stehen dabei Öl und Kohle, zwölf Agrarprodukte – darunter vor allem die Biokraftstoffe Palmöl und Zuckerrohr, Blumen, Bananen, Holz- und Waldbestände –, die Privatisierung der Wasservorkommen und der Tourismus. Von einer industriellen oder infrastrukturellen Entwicklung ist kaum die Rede. Bemerkenswert ist zudem, dass sich dieses Konzept auf die Entwicklung ländlicher, paramilitärisch umstrukturierter Regionen konzentriert.
Diese Politik folgt nicht im eigentlichen Sinne einer neoliberalen Strategie. Es ist eine Verbindung von Staats-Interventionismus, der Repression gegen Gewerkschaften und neoliberaler Aspekte. Zum Schutz verbündeter Unternehmer weicht die Regierung Uribe regelmäßig von ihrer Freihandelspolitik ab und greift lenkend ein. Es handelt sich also um eine von ganz konkreten Interessen geleitete Politik. Neoliberal ist diese Politik nur, wenn es um die Deregulierung des Arbeitsmarktes geht.
// Interview: Raul Zelik


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Zertifiziertes Raubrittertum

Der Klimawandel entwickelt sich zu einem neuen Hauptwiderspruch. Um die Erderwärmung zu begrenzen, scheint alles erlaubt. Als „sauberer“ Energieträger gilt zunehmend die Biomasse der Dritten Welt: Soja, Zuckerrohr, Palmen, Rizinus, Maniok, Eukalyptus oder Bambus. Emsig arbeitet eine breite Koalition aus Auto-, Öl-, und Agromultis gemeinsam mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) an der Verwandlung dieser nachwachsenden Rohstoffe in Treibstoffe für das kapitalistische Produktionsmodell.
Derweil schrumpfen die Folgen dieser Inwertsetzung zum Nebenwiderspruch: die Expansion von Monokulturen, die Plünderung der Tropenwälder, die gewaltsamen Vertreibungen, der Siegeszug der Gentechnik, das Verheizen von Nahrungspflanzen und nicht zuletzt die nachwachsenden Monopole transnationaler Konzerne. Trotz alledem betrachten viele NRO die massive Steigerung der Biomasse-Importe in die EU als alternativlos. Der Treibhaus-Effekt lasse keine andere Wahl, so ihr Diktum.

Im Rausch des Bioethanols

Zu den Propagandisten des Hauptwiderspruchs vom Klimawandel gehört das deutsche Forum Umwelt und Entwicklung. In einem Positionspapier schreibt dieses Netzwerk, der Klimawandel zwinge die Menschheit, auf erneuerbare Energien umzustellen, und schlussfolgert: „In diesem Sinne ist eine massiv ausgebaute Biomasse-Nutzung alternativlos.“ Für Entwicklungsländer biete der Export von Bioenergieträgern eine Chance, die sie auch nutzen würden.
Vor allem für das aus Zuckerrohr gewonnene brasilianische
Bioethanol will das Forum die Handelsschranken niederreißen. „Es ist politisch kaum durchsetzbar und auch nicht sinnvoll, international nicht wettbewerbsfähiges, teures europäisches Bioethanol durch protektionistische Maßnahmen vor der Konkurrenz aus Entwicklungsländern zu schützen“, schreiben sie. Entsprechend solle dieser Flüssigtreibstoffbedarf in der EU „vorwiegend aus Importen gedeckt werden“.
Aber nicht nur Brasilien, neben den USA der größte Bioethanolproduzent, soll massenhaft in die EU exportieren. Die deutsche Lobbyinitiative Germanwatch prüft, ob und wie auch afrikanische, karibische und pazifische Länder (sog. AKP-Gruppe) vom Bioethanol-Boom profitieren können. Anders als Brasilien dürfen die AKP-Staaten aufgrund von Präferenzabkommen zollfrei Bioethanol in die EU einführen.
Ergänzend fordert das Forum Umwelt und Entwicklung die „aktive Förderung eines vielfältigen Energiepflanzenanbaus“ in aller Welt. Denn neben dem bereits expandierenden Weltmarkt für Bioethanol wächst auch die Produktion von Biodiesel. Die Basis des Bioethanols bilden diverse zucker- oder stärkehaltige Pflanzen (Zuckerrohr, Zuckerrüben, Gerste, Weizen, Mais und Maniok) sowie Zellulose aus Gras, Stroh, Holz und Abfällen. Biodiesel hingegen wird aus verschiedenen Ölpflanzen gewonnen, etwa Raps, Soja, Palmen, Sonnenblumen, Rizinus oder Jatropha.

Blut für Pflanzenöl

Angeheizt wird der Welthandel mit Agroenergie duch die Beimischungsziele in den USA, Europa und einer Reihe von Schwellenländern. Bis 2010 will die Europäische Union einen Biosprit-Anteil von 5,75 Prozent der fossilen Brennstoffe erreichen, bis 2020 sollen es 10 Prozent sein. Die USA wollen 15 Prozent des fossilen Kraftstoffverbrauchs bis 2017 durch Biosprit ersetzen. Ähnliche Ziele formulierten China, Indien und Brasilien. Da Europa und die USA diesen Bedarf nicht durch Eigenproduktion decken können, setzen Wirtschaft und Politik auf steigende Importe.
Schon jetzt erweisen sich die niedrigeren Herstellungskosten in Asien, Lateinamerika und Afrika als entscheidender Katalysator des Handels. Beispiel Bioethanol: Trotz hoher Zölle in den USA und Europa lohnt die Einfuhr, denn Brasiliens Zuckerbarone haben die weltweite Preisführerschaft inne. Nicht nur die klimatischen Vorteile ermöglichen dies, sondern vor allem der stark konzentrierte Landbesitz, der Monokulturanbau, der hohe Mechanisierungsgrad und der intensive Pestizideinsatz. Kehrseite der Medaille ist die Vergiftung von Böden, Grundwasser und Saison-ArbeiterInnen. Die Arbeitsbedingungen gehören zu den härtesten in der Landwirtschaft: Noch heute sterben Zuckerrohrschneider an Erschöpfung.
Ähnliches gilt für Palmöl: Aufgrund steigender Preise für heimischen Raps ist der Großteil der deutschen Betreiber von Blockheizkraftwerken zur Verbrennung von billigerem Palmöl übergegangen. Verschiedene Stadtwerke planen den Bau von Palmölkraftwerken. Zu den Hauptanbaugebieten zählen Indonesien und Malaysia, in Lateinamerika vor allem Kolumbien, Ecuador und Brasilien. Während deutscher Rapsanbau dem streng kontrollierten Regularium der „guten fachlichen Praxis“ unterworfen ist, gehören in Lateinamerika großflächige Abholzungen und schwere Menschenrechtsverletzungen zu den häufigen Begleiterscheinungen der Palmölproduktion.
Eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Everywhere beschreibt die „gute fachliche Praxis“ in Kolumbien als mehrstufiges System der gewaltsamen Inwertsetzung. Zunächst rücken paramilitärische Gruppen in Regenwaldgebiete vor, um mit Terror und Mord die lokale Bevölkerung zu vertreiben. Anschließend werden Wälder gerodet, das Holz verkauft und der Landraub mittels Korruption „legalisiert“. Es folgt die Anlage großflächiger Palmplantagen und die industrielle Verarbeitung des Palmöls, auch dies unter dem Schutz der Paramilitärs. Schließlich landet das blutige Pflanzenöl auf dem internationalen Markt, um unter anderem in Blockheizkraftwerken verbrannt zu werden.

Die Be-Siegelung des Raubbaus

Diese und andere Verwerfungen meinen viele NRO durch zertifizierte Nachhaltigkeitskriterien eindämmen zu können. So fordert das Forum Umwelt und Entwicklung ein europäisches „EcoFair-Zertifizierungsschema für nachhaltig erzeugte Bioenergieträger“. Dessen Kriterien sollen Energie- und Arbeitsplatzbilanzen, eine nachhaltige Landwirtschaft und soziale Auswirkungen berücksichtigen. Allerdings will das Forum den Biomasse-Handel keineswegs behindern. Vielmehr sollen „privilegierte Marktzugangsbedingungen in der EU“ zugesichert und „verdeckter Protektionismus“ verhindert werden. Die optimistische Erwartung ist, dass die Zertifizierungen „Rahmenbedingungen schaffen, die auch in den Anbauländern zu nachhaltiger Entwicklung führen.“
Damit liegt das Forum ganz auf der Linie transnationaler Konzerne, die sich ebenfalls Nachhaltigkeitskriterien wünschen. Gern arbeiten sie dafür auch mit NRO zusammen, wie diverse Runde Tische zeigen Der Runde Tisch zu Nachhaltigen Biotreibstoffen (Roundtable on Sustainable Biofuels) etwa versammelt eine illustre Schar von Konzernen, internationalen Organisationen und NRO, darunter Shell, British Petroleum, Petrobras, Toyota, die Gentech-Firmen Dupont und Genencor, der Agrarhändler Bunge, das World Economic Forum, die International Energy Agency, die Siegel-Organisationen Max Havelaar und Forest Stewardship Council (FSC) sowie der World Wide Fund for Nature (WWF) und Oxfam.
Ziel dieses Runden Tisches ist die Erarbeitung eines globalen Mindeststandards mitsamt Zertifizierungssystem für Biokraftstoffe. Dieser Prozess soll staatliche, private und zivilgesellschaftliche Akteure einbinden, um dem Standard „Legitimität zu verleihen“. Allerdings betont der Runde Tisch, dass der Standard „keine Handelsbarriere errichten“ dürfe. Vielmehr solle er „generisch, einfach und apolitisch“ sein. Damit die Zertifizierung so reibungslos wie möglich erfolgt, möchte man auf vorhandene Standards zurückgreifen. Als Referenz gelten vor allem das FSC-Siegel und aktuelle Zertifizierungsprojekte des WWF.
Jedoch sind diese Initiativen aufgrund dürftiger Standards, leichter Zugänglichkeit und mangelhafter Kontrolle erheblich unter Beschuss geraten. So forderten im vergangenen Jahr Umweltgruppen aus acht Ländern, darunter Brasilien, Kolumbien, Chile, Ecuador und Uruguay, der Forest Stewardship Council solle einer Reihe von Firmen das FSC-Siegel wieder aberkennen. Dabei handelte es sich durchgängig um großflächige Monokulturen wie Eukalyptus- oder Pinien-Plantagen, die massiv gegen die Grundsätze des FSC verstießen. Die beteiligten Gruppen
begründeten ihre De-Zertifizierungsforderung mit erheblichen Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen und Landkonflikten. Getragen wird der FSC von Konzernen und NRO, darunter WWF, Greenpeace und Friends of the Earth.
Auf Industrieseite erfreut sich der Holzzertifizierer jedoch großer Beliebtheit. Schon seit vielen Jahren bereitet sich Royal Dutch Shell auf das Ende des Öls und den kommenden Zellulose-Boom vor. Eifrig kauft der Öl-Multi Plantagen in aller Welt mit Schwerpunkt Lateinamerika. Im Jahr 2001 schließlich erhielt Shell Forestry das FSC-Siegel für seine Wälder in Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay. Damit die Siegel-Kriterien auch künftig den Zellulose-Handel stimulieren, setzt sich der Konzern für eine „Harmonisierung“ und „Rationalisierung“ bestehender Zertifizierungssysteme ein.

Greenwashing des Biobusiness

So verwundert es nicht, dass Shell auch am Runden Tisch zu nachhaltigem Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil, kurz RSPO) Platz genommen hat. Geladen hatte der WWF. Erklärtes Ziel des RSPO sind Förderung und Wachstum einer vorgeblich „nachhaltigen“ Palmölproduktion. Dazu entwickelten die Beteiligten einen Satz von fragwürdigen Kriterien, anhand derer demnächst die ersten Plantagen zertifiziert werden. Mittlerweile zählt der Runde Tisch 173 Mitglieder, darunter nur elf NRO. Lediglich eine von ihnen, die indonesische Sawit Watch, vertritt Betroffene aus einem der Anbauländer. Der Rest der Mitglieder repräsentiert Plantagenbesitzer, Palmölverarbeiter, Handelsfirmen und Finanzinvestoren.
Auffällig ist dabei der neue Komplex aus Agro-, Gentech-, und Energiekonzernen. Beim RSPO kooperieren u.a. Cargill, Bunge, Bayer, Syngenta, BP, Shell, EDF und RWE. Die Industriedominanz wird noch dadurch abgesichert, dass jedes Mitglied eine Stimme hat, vorausgesetzt es entrichtet den Jahresbeitrag von 2.600 US$.
Zur Freude des Schweizer Biotech-Unternehmens Syngenta schließen die RSPO-Kriterien die Verwendung gesundheitsschädlicher Pestizide nicht aus. Syngenta ist wichtigster Hersteller des hochgiftigen Unkrautbekämpfungsmittels Paraquat. Dieses kommt beim industriellen Anbau von Ölpalmen und Soja zum Einsatz. Hunderte von ArbeiterInnen vergiften sich jedes Jahr schon bei der vorschriftsmäßigen Handhabung von Paraquat. Viele von ihnen sterben an den Folgen.
Nach dem Muster des RSPO lancierte der WWF noch weitere Runde Tische, so zu Soja und Zuckerrohr. Damit ist die Umweltorganisation bei einigen der bedeutendsten Bioenergieträgern mit Siegelprojekten präsent. Jedoch trifft der WWF auch auf Widerstand. Als er im März 2005 zu einer ersten Konferenz seines Runden Tisches zu Verantvortungsvoll Gewonnenem Soja (Roundtable on Responsible Soy) im brasilianischen Foz do Iguaçu einlud, veranstaltete das Netzwerk Vía Campesina die Gegenkonferenz „Nein zum ‚nachhaltigen‘ Soja“. Zum Abschluss ihres Treffens demonstrierten die AktivistInnen vor dem Tagungshotel der WWF-Veranstaltung.
Die Proteste sind leicht verständlich, denn unter den Mitgliedern des Soja-Tisches finden sich berüchtigte Anbauer wie das Unternehmen des brasilianischen „Sojakönigs“ und Gouverneurs des Bundesstaates Mato Grosso, Blairo Maggi. Scharf kritisierte Vía Campesina daher die „skandalöse Unterstützung großer NRO“ für das Agrobusiness. Die zentrale Schwäche der WWF-Initiativen bringen die AktivistInnen auf den Punkt: „Wo es Monokulturen gibt, kann die Nachhaltigkeit nicht existieren, wo es das Agrobusiness gibt, können Campesinos nicht existieren.“
Tatsächlich stellen die Siegelprojekte in erster Linie die Nachhaltigkeit des Biomasse-Nachschubs sicher, nicht eine nachhaltige Produktion. Sie zeichnen intensive Plantagenwirtschaft aus, die sich mit steigender Nachfrage nach Energiepflanzen weiter ausdehnen wird. Keine der Initiativen intendiert eine Beschränkung des Handels. Viele NRO stützen diese Entwicklung. Explizit sprechen sie sich für das Wachstum des Bioenergiemarktes und gegen „Protektionismus“ aus.
Selbst wenn ihre Siegel greifen und zu umwelt- und sozialverträglicherem Anbau auf den kontrollierten Flächen führen würden, bliebe das Expansionsproblem. Denn die Weltmarktpreise befehligen den Vormarsch der Monokulturen in Wälder und Weiden. Die Abholzung des Amazonas korreliert mit dem Sojapreis. Gegenwärtig ziehen die Preise für die energetisch genutzten Pflanzen kräftig an. Solange die Nachfrage nach Agroenergie steigt und die Flächenexpansion nicht zu Angebotsüberschüssen führt, wird dies auch so bleiben.

Zertifizierte Destruktion

Die Preissteigerungen betreffen vor allem Ölpflanzen und Getreide. FAO-Prognosen (Food and Agriculture Organisation der UN) gehen davon aus, dass dieser Trend anhalten wird. Für die auf Nahrungsmittelimporte angewiesenen Entwicklungsländer, viele von ihnen auch Ölimporteure, ist dies überaus bedrohlich. Laut FAO müssen viele von ihnen mangels Devisen die Lebensmitteleinfuhr einschränken.
Allein für die 48 LDCs (am wenigsten entwickelte Länder) stiegen die Importrechnungen für Nahrungsmittel zwischen 2000 und 2006 bereits um 58%. Die Ausgabensteigerung ging auf die Preiserhöhungen zurück, nicht auf größere Importmengen. Diese können real gesunken sein. Wissenschaftler der Universität von Minnesota berechneten, dass die Zahl der Hungernden ohne den Biotreibstoffhandel bis zum Jahr 2025 von über 800 Millionen auf 625 Millionen hätte sinken können. Setzt sich das Verheizen von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen jedoch im prognostizierten großen Maßstab fort, könnten im Jahr 2025 möglicherweise 1,2 Milliarden Menschen hungern.
Die Konkurrenz mit der energetischen Nutzung betrifft mittlerweile auch Nahrungspflanzen, die bisher noch nicht im Zentrum des Verwertungsinteresses standen. BASF Plant Science arbeitet an der genetischen Manipulation von Maniok, um den Stärkegehalt für die Produktion von Bioethanol zu vergrößern. Maniok ist ein Grundnahrungsmittel für über 600 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika, das vielfach für die Subsistenz angebaut wird. Nun aber stimuliert der Biotreibstoffboom die Entwicklung patentierter Hochleistungssorten, deren Anbau die traditionelle Landwirtschaft nur noch weiter verdrängt.
Während viele deutsche NRO dieses Raubrittertum „be-siegeln“ wollen, nimmt die Kritik in den Anbauländern immer mehr zu. Das lateinamerikanische „Forum Widerstand gegen das Agrobusiness“ erinnert an eine Option, die der NRO-Mainstream längst ausgesondert hat: „Die Zentralität der Energiekrise für die Kapitalakkumulation eröffnet die Möglichkeit einer globalen Debatte über andere Formen der Produktion und des Lebens, über ein radikal anderes Projekt.“ Ohne eine solche Debatte jedoch werde das destruktive Gesellschaftsmodell, nun auf Basis der Bioenergien, lediglich fortgeschrieben.


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Frauenpower gegen Biodiesel

Auf der Avenida Paulista, der Hauptstraße im modernen Zentrum von São Paulo, stießen etwa 20.000 DemonstrantInnen auf die Militärpolizei. Von den gewaltsamen Straßenkämpfen die folgten, bekamen die Adressaten der Proteste wenig mit. Lachend und scherzend zeigten sich US-Präsident George W. Bush und sein Gastgeber, Präsident Luis Inácio Lula da Silva, der Presse.
Während im Stadtzentrum die Polizei Tränengaskartuschen auf DemonstrantInnen schoss, zeigte Lula dem US-Präsidenten in der Vorstadt Guarulhos die Samen verschiedener Pflanzen, aus denen Biodiesel gewonnen werden kann, und deren Produkte. Beide schnupperten an den fetthaltigen Früchten, wobei Bush sein Gesicht
verzog. Er versuchte, einen portugiesischen Akzent nachzuahmen und sagte: „Riecht gar nicht mal schlecht.“

Im Zeichen der Biokraftstoffe

Dass die Biotreibstoffe, die Lula und Bush beschnupperten, tatsächlich einen Wohlgeruch verbreiten, ist unwahrscheinlich. Vermutlich rochen beide Präsidenten eher eine gute Chance, in Zukunft ihre Wirtschaft anzukurbeln und sich gleichzeitig als Umweltschützer zu zeigen.
„Wir wollen heute eine Partnerschaft für die Zukunft einweihen […], um Ethanol und Biodiesel endgültig in die Energiepolitik unserer beiden Länder zu integrieren“, sagte Lula in seiner offiziellen Begrüßungsrede. „Biotreibstoffe bieten eine ökonomisch sinnvollere und sauberere Alternative für die Zukunft.“
Präsident Bush gab seinem Kollegen Recht. Biokraftstoffe seien gut für die Umwelt und böten Entwicklungsmöglichkeiten für arme Länder in Afrika und Lateinamerika. „Sie sind eine Möglichkeit, den Reichtum in Zentralamerika zu verbreiten, dass diese Länder zu Energieproduzenten und unabhängig von Ölexporten anderer Länder werden.“

Aktionen im ganzen Land

Zur gleichen Zeit protestierten tausende von Frauen gegen die Behauptung, dass man mit Bio- treibstoffen die Umwelt schützen und Armut bekämpfen könne. Um den Weltfrauentag am 8. März herum, zeitgleich mit Bushs Besuch in Brasilien, organisierten Frauen der Landlosenorganisationen Via Campesina und MST koordinierte Aktionen in verschiedenen Bundesstaaten, um gegen die Agrarindustrie zu demonstrieren.
In Rio de Janeiro besetzten etwa 200 Frauen die Nationalbank für Ökonomische und Soziale Entwicklung BNDES. Sie wollten damit gegen die Politik der Kreditvergabe der staatlichen Institution protestieren. Die BNDES fördert mit ihrer Kreditvergabe vor allem die exportorientierte Agrarindustrie.
Im ganzen Land organisierten Frauen Besetzungen und Demonstrationen. Wie die Tageszeitung Folha de São Paulo berichtete, besetzten im Bundesstaat Ceará 500 Frauen eine Bundestraße. In Alagoas stürmten 200 Frauen das Büro des Staatssekretärs für Landwirtschaft. In Pernambuco besetzten 10 Frauen eine Farm. In Minas Gerais blockierten 300 Frauen die Eingangstore einer Eisenerzaufbereitungsanlage des Bergbauunternehmens CVRD. In Rio Grande do Sul, wo die Landlosenorganisation MST Ende der siebziger Jahre gegründet wurde, beteiligten sich 3.600 Frauen an der Besetzung von vier Farmen. In noch vielen anderen Staaten führten Frauen Protestaktionen und Besetzungen durch.
Die spektakulärste Aktion war wohl die Besetzung der größten Ethanolfabrik Brasiliens, Cevasa, in Riberão Preto im Bundesstaat São Paulo. Sie gehörte bis vor kurzem Blairo Maggi, dem größen Sojaproduzenten der Welt und Gouverneur von Mato Grosso. Er will aus „seinem“ Bundesstaat den größten Ethanolproduzenten der Welt machen – natürlich soll der Sprit aus Soja gewonnen werden. Inzwischen ist die Fabrik aber an das multinationale Unternehmen Cargill verkauft worden.
Die Frauen wählten die Fabrik Cevasa in Riberão Preto aus, weil sie ein Symbol für die wahren Auswirkungen der Ethanolproduktion ist. Erst während der letzten Jahrzehnte boomte in der Region der Zuckerrohranbau, inzwischen wird dort mehr als anderswo produziert. Seitdem hat die Landkonzentration dort massiv zugenommen, was vor allem Kleinbäuerinnen und -bauern betrifft. Immer wieder gab es Berichte von sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen, unter denen Menschen auf den Plantagen in Riberão Preto das Zuckerrohr hätten ernten müssen. Der Internetzeitung Carta Maior zufolge sollen seit 2004 über 15 Menschen in der Region an Überarbeitung gestorben sein.
In 15 Omnibussen kamen am Morgen des 7. März 800 Frauen der Via Campesina und der MST vor den Werkstoren der Cevasa an. Dort blockierten sie die Eingangstore und besetzten anschließend friedlich das Werk, wie die Polizei mitteilte. Dort hielten sie bis zum nächsten Tag aus.

Die andere Seite des Biosprits

Ihre Proteste stellten die Frauen von Via Campesina und der MST explizit in den Kontext des Bush-Besuchs in Brasilien. „Im Februar 2007 haben die Regierungen Brasiliens und der USA beschlossen, in Zukunft stärker auf dem Feld der Biokraftstoffe zu kooperieren“, schrieben sie in einer Erklärung auf der Homepage von Via Campesina.
Außerdem verträten die Regierungen vor allem die Interessen von großen Agrar-, Automobil- und Chemieunternehmen. „Große Unternehmen ziehen ihren Vorteil aus der berechtigten Sorge um die Klimaerwärmung, und nehmen Biotreibstoffe vor allem als Möglichkeit der Kapitalakkumulation wahr.“ Die Argumente, dass mit den neuen Treibstoffen die Umwelt geschützt und Armut bekämpft würde, seien bewusst verfälscht.

Keine erneuerbare Energie

Marina dos Santos ist Koordenatorin der Bewegung der Landfrauen MMC, die auch in der Via Campesina organisiert ist. „Durch die Monokulturen der Agrarindustrie wird unsere Umwelt zerstört“, sagte sie der brasilianischen Internetzeitung Carta Maior. Tatsächlich würden durch die Produktion von Biotreibstoffen die negativen Folgen der Erderwärmung noch verstärkt. Die riesigen Zucker-, Palmöl- und Sojaplantagen, die zur Gewinnung der Treibstoffe nötig sind, entzögen dem Boden Nährstoffe und würden die Wasserreserven ganzer Regionen verbrauchen. Biotreibstoffe würden dadurch direkt die Desertifikation von Trockenregionen voran treiben. „In Wahrheit ist Biotreibstoff gar keine ‚erneuerbare‘ Energiequelle.“
Dass die Proteste hauptsächlich von Frauen organisiert und durchgeführt wurden, ist kein Zufall. Sie wollten mit den Aktionen für eine ökologische und vielfältige Landwirtschaft demonstrieren, die vor allem der armen Landbevölkerung nutzt.
Nach Daten der Via Campesina leben etwa 32 Prozent der brasilianischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. In ländlichen Regionen seien aber 57 Prozent der Bevökerung arm. Wenn man diese Daten geschlechtsspezifisch entschlüssele, seien aber 70 Prozent dieser Armen Frauen und Kinder. Frauen müssen häufig ihre Familien alleine ernähren, bekommen aber durchschnittlich deutlich geringere Löhne. Sie sind am stärksten von den Folgen der Armut betroffen, die aus der Landkonzentration in Brasilien resultiert. Deshalb sei es gerade am Frauentag wichtig, gegen die Agrarindustrie und die Produktion von Biotreibstoffen zu protestieren, wie die Frauen von Via Campesina schreiben. Mit ihrem
Widerstand wehren sich die Frauen gegen die Zerstörung ihrer
Lebensgrundlage.


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Biosprit treibt den Hunger an

Die These ist nicht gewagt: Die Konkurrenz der Tankstellen und der Supermärkte um die gleichen Rohstoffe hat begonnen. Auch wenn es nicht der einzige Grund für die Verdopplung des Tortillapreises in Mexiko seit Dezember sein mag: Die wachsende Nachfrage in den USA nach Mais als Biotreibstoff hat den Weltmarktpreis für Mais in neue Rekordhöhen getrieben. Schließlich sind die USA der Maisexporteur Nummer eins auf dem Globus. Pech für all jene, die Mais als Lebensmittel nutzen – und da stehen die MexikanerInnen in der ersten Reihe. Mexiko ist schon längst nicht mehr in der Lage, seinen Eigenbedarf an Mais zu decken. Die Ernährungssicherheit wurde auf dem Altar des Freihandelsabkommens NAFTA geopfert. Jede zweite Tortilla wird inzwischen aus US-amerikanischem Importmais gebacken. Und wenn der knapper wird, bleibt so manch mexikanischer Magen leer.

Viel spricht dafür, dass sich die Konkurrenz von Zapfsäulen und Lebensmittelgeschäften um die gleichen Rohstoffe verschärfen wird. Denn in den Industrienationen wird Biokraftstoff als ein Mittel gepriesen, mit dem man gleichermaßen dem Klimawandel und der Abhängigkeit von unsicheren Energielieferanten entgegenwirken könnte. Biokraftstoffe erhöhen nicht den CO2 Ausstoß, da nur der Kohlenstoff verbrannt wird, den die Pflanzen zuvor aus der Luft gebunden haben. Deshalb will die EU diese Energieträger in Zukunft mehr fördern. Von der Welthandelsorganisation (WTO) wird die Produktion von Biokraftstoff gar als Entwicklungsmöglichkeit für die armen Länder des Südens ausgemacht. Sie könnten mit Palmöl-, Mais- oder Zuckerrohrplantagen alternative Treibstoffe herstellen und damit Gewinner der Globalisierung werden. Die 854 Millionen Menschen, die derzeit schon an Unterernährung leiden, wird die WTO damit kaum gemeint haben. Denn für sie bedeutet mehr Mais in den Tanks schlicht mehr Hunger. Mit einer einzigen Biosprit-Tankfüllung lässt sich kalorientechnisch eine Person ein ganzes Jahr lang ernähren. Und die AutofahrerInnen haben das, was den Hungernden fehlt: kaufkräftige Nachfrage.

Dass sich tatsächlich ein Teil des weltweiten Energiebedarfs mit Biokraftstoffen decken ließe, zeigt das Beispiel Brasilien. Seit den 80er Jahren bauen GroßgrundbesitzerInnen im Nordosten des Landes Zuckerrohr auf riesigen Plantagen an, um Alkohol für Automobile zu produzieren. Seit langem fährt der größte Teil aller brasilianischen Autos mit Alkohol.

Das Beispiel Brasilien zeigt aber auch, wer der Sieger in der Konkurrenz um die Rohstoffe ist und sein wird: die Konzerne, die den Treibstoff herstellen. Die hoch subventionierte Alkoholproduktion beschert in Brasilien den GroßgrundbesitzerInnen des Nordostens enorme Gewinne und politischen Einfluss. Dies nutzen sie, um eine Landreform in Brasilien zu verhindern. Millionen armer BrasilianerInnen sind dazu gezwungen, in den Favelas der Großstädte ihr Dasein zu fristen. Die Alternative, als Kleinbauern und -bäuerinnen in modernen Kooperativen organisiert zu leben, wird nicht zuletzt durch die Produktion von Biotreibstoffen verhindert. Auf den besten Böden Brasiliens wächst Zuckerrohr in Monokultur, statt Reis und Bohnen in umweltverträglichem Anbau.

Biokraftstoff mag Agrarkonzernen im Süden und den reichen Ländern gewisse Perspektiven bieten: Profite und die relative Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch wenn zur Erzeugung von Biotreibstoff derzeit noch ossile Energie aufgewandt werden muss. So lässt sich Zeit schinden im Kampf gegen den Klimawandel und im Bestreben, den Lebensstandard in den Industrieländern zu erhalten, koste es, was es wolle. Es ist bestenfalls eine Lösung auf Zeit und auf alle Fälle eine auf Kosten der Ärmsten, die sich zudem gegen die Folgen des Klimawandels am wenigsten schützen können. Um den Klimawandel und die Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, bedarf es weit mehr als nur eines neuen Treibstoffs: Billiger als mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die die sozialen Interessen aller Menschen und die ökologischen Erfordernisse gleichberechtigt einbezieht, ist eine Lösung nicht zu haben.


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„Der Plan Colombia bedeutet für uns mehr Armut“

Wie beurteilen Sie den Plan Colombia?

Manuel Sisco: Generell denken wir nicht, dass der Plan Colombia ein Weg sein kann, eine alternative Entwicklung zu fördern. Darüber hinaus halten wir ihn für verfassungswidrig, da er zu großen Teilen in den Vereinigten Staaten ausgearbeitet wurde. Wir gehen davon aus, dass die USA sich mit dem Plan direkten Zugang zu Kolumbien verschaffen wollen, um dort ihre Mega-Projekte durchzuführen.

Eines der vorrangigen Ziele des Planes ist die Vernichtung der Kokaplantagen durch Besprühen mit giftigen Chemikalien und durch Niederbrennen, was schon in den vergangenen Jahren praktiziert wurde. Für die kolumbianische Bevölkerung bedeutet dies eine unmittelbare Verschlechterung der Lebensbedingungen, und außerdem schafft es viele soziale und gesundheitliche Probleme. So ist bei den indigenen Gemeinschaften die Zahl der Atem-wegserkrankungen sowie der Fehl- und Missgeburten angestiegen. Wir sind überzeugt, dass dies auf das Niederbrennen der Plantagen und den Chemieeinsatz zurückzuführen ist. Die Regierung sieht in dem Plan einen Versuch, das Land zu befrieden. Was halten Sie von dieser Auffassung?

Manuel Sisco: Wir können nicht daran glauben, dass der Plan Colombia zur Befriedung des Landes beitragen kann, solange die Regierung zwar einerseits von Frieden redet, andererseits aber nichts tut, um die Paramilitärs zu entwaffnen, die weiter aktiv sind und den sozialen Frieden stören. Eines der Ziele der Paramilitärs ist, die Bevölkerung von bestimmten Territorien zu vertreiben und sie zu enteignen. Durch den Plan werden die alten Gegensätze zwischen Großgrundbesitzern und ländlicher Bevölkerung zusätzlichen Konfliktstoff erhalten. Die Aufrüstung des Militärs ist ein weiterer Grund, weshalb der Plan nicht zur Befriedung des Landes beitragen wird. Die USA wollen zum Beispiel 46 Militärhubschrauber schicken, und sie haben damit schon begonnen.
Wir halten es auch nicht für sinnvoll, die Kokaplantagen durch Monokulturen zu ersetzen, wie das mit Palmöl geplant ist. In Malaysia und Indonesien haben sich Palmölplantagen verheerend auf das ökologische Gleichgewicht ausgewirkt.

Wie reagieren die indigenen Gemeinschaften?

Manuel Sisco: Uns ist klar – wir sind im Regionalen Rat der Indigenen der Region Cauca (CRIC) organisiert –, dass die Vernichtung der Kokapflanzen für uns mehr Armut bedeutet. Wir können dies nicht schweigend hinnehmen. Deswegen versuchen wir, unsere Position zu formulieren und in die Gesellschaft einzubringen. Wir können nicht schweigen, wenn das Ziel der kolumbianischen Regierung immer deutlicher wird, den militärischen Sektoren viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den zivilen. Wir fühlen uns nicht repräsentiert, wir haben nicht den Eindruck, dass sich der Staat um die Nöte der Bevölkerungsmehrheit und der indigenen Bevölkerung kümmert.

Wie wollen Sie Einfluss nehmen?

Marciana Quirá: Wir versuchen, die Regierung unter Druck zu setzen, mit Landbesetzungen, Streiks und Mobilisierungen. Dadurch haben wir mehrere Abkommen erreicht. Das Übereinkommen 82 vom letzten Jahr zum Beispiel erkennt die Notlage der indianischen Völker in der Cauca-Region hinsichtlich ihrer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation an. Obwohl es sich um einen präsidialen Erlass handelt, hat die Regierung bisher keine Anstalten gemacht, die Situation zu verbessern. Das trifft auch auf andere Vereinbarungen zu, zum Beispiel jene über Gesundheitsversorgung oder Bildung. Die Regierung macht Zusagen, um sie dann nicht zu halten. In keinem Fall ist die Regierung auf Verbesserungsvorschläge der Indigenen eingegangen. Zum Beispiel haben die indigenen Gemeinschaften den Vorschlag gemacht, ein befriedetes Territorium zu schaffen, in dem sich alle sozialen Bewegungen treffen können, um konzertiert an einer Lösung des blutigen Konfliktes im Lande zu arbeiten. Wir können es nicht akzeptieren, dass das derzeitige politische System von den Kolumbianern verlangt, ihre ureigensten Interessen entweder an die Regierung oder an die Guerilla zu delegieren.

Und mit Ihrer Europareise verknüpfen Sie Hoffnungen auf Unterstützung?

Manuel Sisco: Sicher. Wir sind bei unserer Reise in Deutschland, Holland, Belgien, Schweiz und Norwegen auf Zuspruch gestoßen. Unsere Gesprächspartner, darunter auch Abgeordnete des Bundestages, haben uns eindringlich ihre Unterstützung für unseren Dialogvorschlag versichert. Für uns ist die Position der Europäischen Union sehr wichtig. Die EU lehnt die weitere Militarisierung des Konflikts entschieden ab, spricht sich gleichzeitig für Investitionen in den sozialen Bereich aus. Das ist eine Position, der wir nur zustimmen können.


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Mais, Melonen, Mutationen

Immer wieder ist es in den Medien zu hören und zu lesen: Gentechnologie sei weder mit Risiken behaftet noch diene sie eigennützigen Interessen. Vielmehr, so wird betont, seien bedeutende Forschungserfolge bei der Bekämpfung verschiedenster Krankheiten auf die Gentechnologie zurückzuführen. Außerdem, als Totschlagargument seitens der Biotech-Lobby gerne bemüht, könne durch die Verwendung gentechnisch veränderter Pflanzen das Hungerproblem der sogenannten Dritten Welt gelöst werden. Daß Bundeskanzler Helmut Kohl dies kürzlich vollmundig auf der Nahrungs- und Genußmittelmes
se ANUGA in Köln wiederholte, macht den Unfug nicht richtiger.
Zwar haben es sich die Lateinamerika Nachrichten nicht zur Aufgabe gemacht, jegliche Unwahrheiten des Regierungschefs als solche zu entlarven, punktuell gelingt es uns dennoch. In dem mit 30 Seiten sehr umfangreichen Gentechnik – Schwerpunkt, der in Zusammenarbeit mit der BUKO-Agrarkoordination Hamburg entwickelt wurde, werden die wesentlichen Problemstellungen der Pflanzen-Gentechnik aufgegriffen. Längere Artikel über Beginn und Tendenzen der Gentechnologie, die Geschichte der Freisetzungsversuche und das Wettrennen um die Patente auf einzelne Gene geben einen allgemeinen Überblick über die derzeitigen Diskussionsthemen. Kürzere Beiträge über Mais, Tomaten, Kakao, Weizen und die Merck-InBio-Partnerschaft in Costa Rica verdeutlichen die angerissenen Probleme am konkreten Beispiel.
Daß es bei der Genjagd nicht nur um sportlichen Ehrgeiz konkurrierender ForscherInnen geht, wird anhand der Beispiele Soja und Palmöl aufgezeigt. Profitgier kapitalistischer Unternehmen und außenpolitische Interessen der Großmächte aus dem Norden prägen den Verlauf des gentechnologischen Wettbewerbs. Wie wenig dabei für die Völker des Südens übrigbleibt, belegen die Texte über Welternährung und Raps/Palmöl. Gerade letzterer bildet den Brückenschlag vom Trikont zu uns nach Westeuropa. Schließlich hat die Verbreitung der wunderschönen Rapsfelder vor allem in Norddeutschland ganz spezielle Gründe.
Darin liegt auch die Ursache eines uns immer mehr betreffenden Problembereiches: Die Zunahme der Freisetzungen gentechnisch manipulierter Pflanzen in der BRD. Wie es derzeit hierzulande ausschaut, und was es dagegen zu tun gibt, verrät der Artikel des Gen-ethischen Netzwerks Berlin.
Eine Literaturempfehlung schließt den Themenbereich Gentechnologie, der aber in Zukunft in loser Folge in den Lateinamerika Nachrichten weiter behandelt werden wird.
Hinzuweisen bleibt noch auf die Tatsache, daß im englischsprachigen Raum Gentech-Nahrungsmittel in Anspielung auf historische Vorbilder als Franken-Food bezeichnet werden.

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Mars macht mobil

Die Weltproduktion an Kakao beläuft sich auf rund 2,5 Millionen Tonnen. Hauptproduzent ist mit rund 884.000 Tonnen (1994) die Elfenbeinküste, gefolgt von Brasilien, Indonesien, Ghana und Malaysia. Allein die Elfenbeinküste exportierte im vergangenen Jahr 183.000 Tonnen Rohkakao im Wert von 421 Millionen Mark in die Bundesrepublik. Fast 40 Prozent seiner Exporterlöse erzielt das Land aus den Verkauf von Kakao – noch. Denn diese Einnahmequelle ist in Gefahr. In einigen Bereichen der Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie werden schon seit langem „Kakaobutter-Alternativen“ eingesetzt. Einem Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung im Bundestag (TAB) zufolge, wurden schon 1992 rund 350.000 Tonnen Kakaobohnen durch Substitute ersetzt. Seinerzeit entsprachen das 15 Prozent der Weltproduktion. Der Verdrängungsprozeß wird derzeit noch durch Probleme bei der Verarbeitung der Ersatzstoffe gebremst. Auch führen die billigeren Öle zu Geschmacksveränderungen, insbesondere durch den hohen Anteil von Laurinsäure. Hier versuchen mehrere Unternehmen durch den Einsatz von Biotechnik Abhilfe zu schaffen. So hat der Konzern Unilever unter anderem Patente für die enzymatische Umwandlung von Palmöl und für eine neue Sorte Sojabohnen, die mit einem höheren Gehalt an gesättigten Fettsäuren als Ersatz für Kakao verwendet werden können. Auch der japanische Nahrungsmittelkonzern Ajinomoto hat bereits ein Patent für die „Synthese von hochwertiger Kakaobutter aus minderwertigen Ölen“.
In den USA unterstützen die fünf großen Schokoladen-Hersteller Nestlé, Hershey, Mars, Cadburry, Schweppes und Suchard gemeinsam ein großes Kakao-Forschungsinstitut an der Pennsilvania State University. Dort wird nicht nur versucht genetisch identische Pflanzen aus einer einzelnen Zelle zu klonen, mehrere Forschungsprojekte beschäftigen sich auch damit, die Inhaltsstoffe von Kakaobohnen zu verändern: So soll zum Beispiel der Fettanteil in der Kakaobutter erhöht werden. Versucht wird auch, das Gen einer süß schmeckenden afrikanischen Pflanze (Thaumatococcus daniellii) auf Kakao zu übertragen. Der Süßstoff Thaumatin könnte dann aus Kakaobohnen extrahiert werden. Andere ForscherInnen beschäftigen sich mit dem umgekehrten Weg. Sie wollen Kakao-Gene auf Sojabohnen übertragen, so daß einzelne Inhaltsstoffe des Kakaos auch außerhalb der tropischen Regionen gewonnen werden können.
Noch steckt die Anwendung der Gentechnologie im Kakaosektor in den Kinderschuhen. Soweit bekannt geworden ist, gibt es im Gegensatz zu Kartoffeln, Soja, Zuckerrüben und Raps im Kakaobereich noch kein anwendungsreifes Produkt, obwohl die großen Nahrungsmittelkonzerne seit Jahren schon viel Geld in die Forschung stecken: Eine Kakaobohne, die gegen Insektenfraß resistent sein soll, entwickelt der Süßwarenhersteller Mars in Brasilien und Malaysia. Dazu werden „Embryonen“ von Kakaobäumen gentechnisch verändert und zu einer Pflanze „regeneriert“, die nun ein Gift absondert, welches die Fraßinsekten abtötet.
Nestlé und Hershey soll es nach Informationen des Gen-ethischen Netzwerkes (GeN) in Berlin bereits gelungen sein, Kakao mittels Zellkulturen zu gewinnen. Auch wenn dieser Kakao noch viel zu teuer und somit kommerziell nicht einsetzbar ist, könnte die Zellkulturtechnik im Norden eines Tages den traditionellen Kakao-Anbau im Süden verdrängen.


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