Die Kühe, mal wieder. Ständig läuft eine weg, verirrt sich, wird krank oder bekommt Junge. Das schafft Justina nicht allein, da muss ihre Tochter Alexia ran. Aber die sitzt wie so oft in ihrem Zimmer und spielt Autorennen am Simulator nach. Nur zum Spaß, wie man zunächst denkt, doch weit gefehlt: Schließlich will sie so bald wie möglich eine ernsthafte Karriere als Fahrerin in der argentinischen Formel 4 starten (ja, die gibt es wirklich). Aber als gute Tochter lässt sie sich irgendwann von ihrer Mutter erweichen und schon bald ist mit den Kühen auch alles wieder in der Reihe.
© Mayra Bottero / Gema Films, Sister Productions
Der argentinische Regisseur Martín Benchimol hat sich mit El Castillo (Das Schloss) an eine Doku-Fiktion gewagt, die trotz des denkbar einfachen Settings wirklich gut funktioniert. Die frühere Haushälterin Justina hat ein schlossähnliches Landhaus von der Vorbesitzerin, die sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat, vererbt bekommen. Nun ist sie zusammen mit der halbstarken Alexia (vom Vater fehlt jede Spur) Herrscherin über ein Gebäude im Hundertwasser-Stil, mit nicht weniger als 6 Badezimmern, üppigem Grundbesitz und einem ganzen Streichelzoo süßester Tiere. Allerdings liegt das Anwesen mitten im Nirgendwo, was zumindest Alexia nicht wirklich stillsitzen lässt: Es zieht sie nach Buenos Aires. Denn eine Rennfahrerinnen-Karriere und auch ein Sozialleben abseits von Videochats mit Freund*innen oder Fernsehen mit Mama und der herumwuselnden Tierherde wird es für sie nur dort geben können.
El Castillo ist abseits seiner hochsympathischen Hauptdarstellerinnen deshalb so ein interessanter Film, weil er einen Fall von Veränderung der feudalen Besitzverhältnisse dokumentiert. Dass eine frühere Haushälterin mit indigenen Wurzeln wie Justina ein Haus mit Grundbesitz von ihrer früheren Arbeitgeberin vererbt bekommt, dürfte in Lateinamerika auch heute noch die absolute Ausnahme darstellen. Doch die Hoffnung ist trügerisch, denn das früher bestimmt schmucke Schlösschen war bereits bei der Übergabe eine ziemliche Bruchbude. Durch klaffende Löcher im Dach regnet es in die Wohnung, die vielen schönen Bäder bringen wegen defekter Wasserleitungen nicht viel und laufende Kosten und Grundsteuern fressen das kleine Budget von Justina und Alexia auf. Als Einnahmequellen sind die Vermietung von Zeltplätzen für Angler auf dem Gelände oder der Verkauf der immer weniger werdenden Kühe und Einrichtungsgegenstände nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und so ist Justina, obwohl besitzend, nach wie vor eine Gefangene ihrer früheren Arbeitgeberin. Denn die hat ihr eingeschärft, das Anwesen ja nicht zu verkaufen, sondern schön so weiterzupflegen, wie sie es zuvor auch schon ihr ganzes Leben – nur gegen Bezahlung – getan hat. Als wäre das nicht genug, lädt sich die Sippe der Verstorbenen in schöner Regelmäßigkeit auch noch selbst zu Familienfesten auf das Schlösschen ein (natürlich ohne zu bezahlen), genießt die Annehmlichkeiten in den noch vorzeigbaren Räumen und lässt sich wie eh und je von Justina bedienen. Ein weiterer Grund, warum Alexia, die eine kaum verhohlene Wut auf den unverschämten Clan schiebt, ihre Pläne vorantreibt, das Weite zu suchen. Martín Bechamel ist mit El Castillo ein höchst unterhaltsames Porträt zweier unverhoffter Grundbesitzerinnen gelungen, bei dem er Gefühl für Situationskomik und kreative Inszenierung zeigt (bei schlechtem Wetter lässt er das Schlösschen wie ein verwunschenes Geisterhaus wirken). Dabei sind die Geschichte und auch die Hauptdarstellerinnen identisch mit der Realität. Die Szenen mit der Großfamilie wurden allerdings mit Schauspieler*innen (die Familie des Regisseurs) nachgedreht. Dabei tut die Feelgood-Atmosphäre dem Filmgenuss sichtlich gut, verdeckt aber den Blick auf eine bittere Realität, die Benchimol zum Schluss etwas unter den Tisch fallen lässt: Ohne schnell eine verlässliche Einkommensquelle zu finden, steht das baufällige Schloss und mit ihm seine Besitzerinnen vor einer höchst ungewissen Zukunft.
LN-Bewertung: 4/5 Lamas