Der Supermarkt Ycuá Bolaños öffnete am 7. Dezember 2001 erstmalig seine Türen. Das zweistöckige Gebäude verfügte über einen geräumigen Parkplatz im Untergeschoss und bot eine Vielzahl von Einkaufsmöglichkeiten, darunter eine kleine Bäckerei und eine Küche, die frische Speisen zubereitete. Doch trotz dieser modernen Einrichtungen zeigen die späteren Ermittlungen der Behörden, dass grundlegende Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt wurden. Die Räume waren mangelhaft belüftet, und es fehlte an essenziellen Schutzmaßnahmen wie einer Sprinkleranlage, zudem waren die Rauchmelder defekt.
Am schicksalhaften 1. August 2004 bricht im ersten Stock des Supermarktes ein Feuer aus, vermutlich ausgelöst durch einen defekten Grill, dessen brennbare Gase die Decke entzünden. Zwei heftige Explosionen folgen, und das Feuer breitet sich langsam, aber unaufhaltsam über die Treppen hinunter zur Hauptverkaufsfläche aus. Die im Untergeschoss geparkten und vollgetankten Autos geraten schnell in Brand, und einige von ihnen explodieren. Damit ist eine Flucht über diesen Weg unmöglich. Über sieben Stunden toben die Flammen, bevor die Feuerwehr sie schließlich unter Kontrolle bringen kann. Ein an der Rettung beteiligter Feuerwehrmann fasst die Tragödie später mit diesen Worten zusammen: „Stellen Sie sich die immense kriminelle Energie der Betreibenden vor, denn der Befehl war, die Türen zu schließen. Ein Befehl, der den Wert der Waren über den Wert des Lebens selbst stellt.“
Zahlreiche Überlebende berichten von dem grauenhaften Moment, als sie feststellten, dass die Fluchttüren verriegelt waren. Ein Sicherheitsbeauftragter hatte die Türen auf Anweisung des Inhabers des Supermarktes, Juan Pío Paiva, und dessen Sohn Victor Daniel Paiva, verschlossen. Ihre Angst vor Plünderungen und Diebstählen führte zu einer Entscheidung mit verheerenden Konsequenzen: Die Türen wurden geschlossen und die Fluchtwege damit versperrt.
Als das Feuer ausbricht, befinden sich etwa 1.000 Personen im Supermarkt. Ein Rettungssanitäter, der vor Ort ist, sagt später: „Sich zu erinnern ist schmerzhaft. Es gibt nur wenige Leute, die über dieses Thema sprechen wollen, weil es keine schöne Anekdote ist. Viele halten uns für Helden und so weiter. Aber was sind Helden? Wir haben nur getan, was wir tun mussten.“ Die medizinischen Berichte der Krankenhäuser offenbaren das Ausmaß des Grauens: Insgesamt werden mehr als 350 Personen mit schweren Verbrennungen dritten Grades und gravierenden Verletzungen der Atemwege eingeliefert. Die Mehrheit der Opfer hat zum Zeitpunkt des Brandes nicht einmal das 30. Lebensjahr erreicht. Sie verbrannten in den Flammen oder erstickten an den giftigen Gasen.
Zwei Jahre nach der Katastrophe werden die drei Hauptverantwortlichen wegen fahrlässiger Tötung zu jeweils fünf Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl die Staatsanwaltschaft eine deutlich härtere Strafe von 25 Jahren gefordert hatte. Dieses milde Urteil löst massive Proteste in ganz Asunción aus. Die Empörung der Bevölkerung ist groß, und die Protestierenden fordern ein neues Verfahren, das gerechtere Strafen bringen soll. Ihre Stimmen werden gehört, und im Februar 2008 findet das neue Verfahren statt. Das Gericht verschärft die Strafen erheblich: Juan Pío Paiva wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt, sein Sohn erhält eine zehnjährige Gefängnisstrafe, und der Sicherheitsbeauftragte muss fünf Jahre ins Gefängnis. Darüber hinaus werden auch der Aktionär Humberto Casaccia und der Architekt Ernardo Ismachowiez wegen fahrlässigen Verhaltens verurteilt.
Doch die Verantwortlichen bleiben nicht lange hinter Gittern. Seit 2014 ist keiner von ihnen mehr in Haft. Pío Paiva und sein Sohn werden aufgrund guter Führung vorzeitig entlassen, was bei den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer erneut für Empörung sorgt. Victor Daniel Paiva, der Sohn des Inhabers, verstirbt im Jahr 2020 an Komplikationen infolge einer Covid-19-Erkrankung.
Denkmal bringt Menschen zusammen
18 Jahre nach der Tragödie wird schließlich ein Denkmal zur Erinnerung an das verheerende Feuer im Ycuá Bolaños Supermarkt errichtet. An der Stelle des ehemaligen Supermarktes steht nun ein Ort des Gedenkens, der Erlösung und der Resilienz. Das Denkmal soll nicht nur an die Verstorbenen erinnern, sondern auch als Raum für kulturelle, religiöse und öffentliche Veranstaltungen dienen. Ziel ist es, einen Ort der Widerstandsfähigkeit zu schaffen, der die Erinnerung an die Tragödie wachhält und gleichzeitig Hoffnung für die Zukunft vermittelt.
Das Denkmal besteht sowohl aus alten Betonfragmenten des Supermarktes als auch aus neuen architektonischen Elementen. Es gibt Räume, die zum Zusammenkommen einladen, und bepflanzte Wände, die die Geräusche der Stadt dämpfen, um stille Orte der Reflexion zu schaffen. Eine erhöhte Plattform ermöglicht es den Besucher*innen, in die Ferne zu blicken und symbolisiert möglicherweise den Ausblick in eine hoffnungsvollere Zukunft.
Das Denkmal verbindet nun verschiedene Nachbarschaften, die zuvor durch den Supermarkt getrennt waren. Im Erdgeschoss, wo sich einst der Parkplatz befand, ist heute ein zentraler Wasserspiegel angelegt. Über diesem Wasser hängt eine Platte, die mit über 300 kleinen Löchern durchsetzt ist. Durch sie fällt das Licht ein und spiegelt sich im Wasser wider, was eine beruhigende und gleichzeitig tief berührende Atmosphäre schafft. Diese Lichtspiele sollen an die vielen Menschen erinnern, die bei dem verheerenden Feuer ihr Leben verloren haben.
Zur feierlichen Eröffnung des Denkmals und des kulturellen Zentrums Ycuá Bolaños spricht der damalige Kulturminister Rubén Capdevila bewegende Worte an die Angehörigen der Verstorbenen: „Ab heute werden die Türen nicht mehr geschlossen sein.“