Wie hat sich der Widerstand der Straße gegen die De-facto-Regierung in den vergangenen Monaten entwickelt?
Die Massenmedien in Paraguay stehen komplett auf Seiten der Putschisten und unterstützen die Rückkehr der Macht in die Hände weniger und privilegierter Gruppen, sprich der alten Elite. Die Massenmedien sind eng mit den konservativen Schichten verbunden. Dementsprechend werden Widerstandsaktivitäten so weit wie möglich verschwiegen. Nur die Menschen, die nahe an den Orten leben und jene, die die freien kommunitären Radios hören, bekommen überhaupt mit, dass Widerstand geleistet wird.
Wie sieht der Widerstand aus?
Es gibt zwei Arten von Widerstand in Paraguay. Den sichtbaren und den unsichtbaren, den passiven. Der passive Widerstand hat in Paraguay immer existiert, und vor allem war er der zentrale Urheber der demokratischen Eruption 2008. Er wurde von der Repression, der Folter und den Ermordungen während der Diktatur gezeichnet. Über 20 Jahre nach dem Ende der Strössner-Diktatur (1954-1989) hat der parlamentarische Putsch 2012 die Furcht aus Diktaturzeiten in großen Teilen der paraguayischen Bevölkerung wieder verankert. Das ist eine Furcht, die von den Medien geschürt wird. Es gibt eine Dämonisierung der Linken, früher wurden wir als Sozialisten oder Kommunisten beschimpft, heute als Extremisten, als Chavisten, als Achse des Bösen. Der mediale Krieg gegen die progressiven Kräfte in Paraguay ist beeindruckend. Hinzu kommt, dass die Protagonisten der abgelösten Regierung juristisch verfolgt werden. Wir leisten jedoch weiterhin Widerstand und glauben daran, dass wir die Demokratie in Paraguay wieder herstellen können.
Handelt es sich in Paraguay stärker um einen medialen Krieg als um einen realen wie in Honduras, wo Oppositionelle seit dem Putsch 2009 nicht selten liquidiert werden?
Nein, so krass wie in Honduras ist es noch nicht. Es ist vor allem ein medialer Krieg und eine juristische Verfolgung gegen die Mitglieder und Anhänger der ehemaligen Lugo-Regierung. Die juristische Verfolgung basiert oft auf fadenscheinigen Vorwürfen. Viele der Beschuldigten entstammen den sozialen Bewegungen, sind Anführer von Basisbewegungen. Es geht nicht mehr wie früher unter Strössner um Folter und Mord, die Repression ist subtiler und verläuft über juristische Verfolgung, die medial unterfüttert wird. Das wirkt, denn damit gehen immer auch finanzielle und berufliche Probleme für die Beschuldigten einher. Diese Verfolgung hat viele negative Konsequenzen. Um die nächsten Wahlen zu gewinnen, wird ein Krieg forciert.
Welche Errungenschaften wurden unter Lugo erreicht?
Es gibt verschiedene Dinge. Eine wesentliche Errungenschaft ist die Wiedererlangung der Institutionalität in verschiedenen Aspekten. Besonders bedeutend ist dabei, dass die Bevölkerung in der Ära Lugo wieder Vertrauen in öffentliche Institutionen gewonnen hat. Davon ausgehend ist die Methode, mit einem demokratisch-partizipativen Prozess zu regieren, besonders relevant. Sprich: Mit den Leuten zusammen das Regierungsprogramm zu konstruieren. Die Agenda der Regierung muss die Agenda der Bevölkerung sein! Deshalb denke ich, dass die grundsätzliche Tendenz, die wir wegen des Bruches nicht vollenden konnten, vielleicht darin zu sehen ist: die Installation einer neuen Art und Weise Politik auszuüben sowie die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es sich lohnt zu wählen und staatsbürgerliche Rechte wahrzunehmen.
Wie sehr sind die Fortschritte durch die Rechtsregierung in Gefahr?
Die sind mehr als nur in Gefahr. Die Regierung hat die totale Demontage dieser Errungenschaften als Ziel ausgegeben. Seit dem Putsch wird alles getan, die Fortschritte in Misskredit zu bringen. Man muss den illegitimen Sturz in dem Kontext sehen, dass damit verhindert werden sollte, die demokratisch-partizipative Agenda fortsetzen zu können. Schließlich handelte es sich in ihrer Zielsetzung um eine revolutionäre Agenda, die die Pfründe des Establishments bedrohte. Pfründe, an die sich die Elite in den letzten 65 Jahren gewöhnt hat. Deswegen wurde gegen die Regierung Lugo geputscht! Um die Bedingungen für ein Regime wieder herzustellen, das durch die Linke bei den vergangenen Wahlen im April 2008 demokratisch besiegt wurde.
Trotzdem bleiben sie insgesamt optimistisch?
Absolut. Ich glaube an das paraguayische Volk und ich glaube an die Völker. Ich war Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums. Das WSF ist für mich der Ausdruck der Empörung der Völker über die Herrschaft der Multis und die globale Ungerechtigkeit. Die Völker der Welt werden in einem Moment die Verhältnisse umstoßen. Lateinamerika und insbesondere die südamerikanischen Regierungen haben demonstriert, was man bereits jetzt erreichen kann. Es war kein Zufall, dass es in Honduras und Paraguay zu Putschen kam. Das ist eine Reaktion auf die progressive Politik, wie sie in Lateinamerika in den vergangenen Jahren in vielen Ländern zugunsten und mit der Bevölkerungsmehrheit versucht wurde.
Infokasten:
OSCAR RIVAS
machte sich unter anderem als Vorstand der paraguayischen Umwelt- und Bürgerrechtsorganisation Sobrevivencia (Überleben) einen Namen als Umweltschützer, bevor er 2009 von Fernando Lugo als Umweltminister ins Kabinett berufen wurde und dort bis zu Lugos Absetzung durch einen parlamentarischen Putsch amtierte. Rivas ist in der Partei Los Verdes (Die Grünen) organisiert. Sein persönlicher Favorit für die Präsidentschaftskandidatur ist Mario Ferreira.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Der künftige Präsident Paraguays heißt entweder Horacio Cartes von den Colorados (ANR) oder Efraín Alegre von der derzeit regierenden liberalen Partei PRLA. Bei der letzten Umfrage des Instituts First Análisis y Estudios vor den Wahlen, die am 5. April veröffentlicht wurde, kam Cartes auf 37,6 Prozent, Alegre auf 31,2 Prozent. Alegre kann allerdings auf Unterstützung der rechten UNACE des tödlich verunglückten Lino Oviedo bauen, die bei der Umfrage auf 7,1 Prozent kam und ihre Wähler_innen danach zur Wahl von Alegre aufrief. Die Kandidat_innen der Linken sind chancenlos: Nur Mario Ferreira von Avanza País kam mit 10,9 Prozent auf einen zweistelligen Wert.