Dekonstruktion des Vergessens

© Miti Films / Community of Puerto Millán-La Chorrera

Der Putomayo-Völkermord gehört zu den grausamsten Verbrechen der europäischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika. Während des Kautschukbooms im Amazonasgebiet wurden am peruanischen Río Putomayo zwischen 1879 und 1912 bis zu 250.000 Menschen mit unvorstellbarer Grausamkeit versklavt, missbraucht, verstümmelt und getötet. Wie nähert man sich diesen Verbrechen, ohne dabei koloniale Bilder und Narrative zu reproduzieren? Dieser Aufgabe hat sich ein Filmteam um die peruanische Künstlerin und Regisseurin Tatiana Fuentes Sadowski gewidmet, das auf der Berlinale in der Sektion Forum seine Weltpremiere feierte.

Fuentes Sadowski konstruiert La memoria de las mariposas ausgehend von der Fotografie zweier junger Männer aus der Gemeinschaft der Uitoto. Omarino und Aredomi, so ihre Namen, die im Film immer wieder wiederholt werden, reisten 1911 mit einem britischen Konsul nach London und sollten dort Zeugnis über die in ihrer Heimatregion begangenen Grausamkeiten ablegen. Für die Dokumentation wurden zeitgenössische Archivaufnahmen verwendet, die natürlich aus kolonialem Blickwinkel aufgenommen sind. Sadowski hat sich viele Gedanken gemacht, wie das Material so benutzt und komponiert werden kann, dass es die gezeigten Personen nicht aus einer Opferperspektive zeigt und gleichzeitig ihre Würde wahrt – schließlich wurden die meisten Aufnahmen sehr wahrscheinlich ohne Zustimmung der Gezeigten gemacht. Auch die Frage, woher sie die Berechtigung nimmt, als Nicht-Indigene Person die Geschichte von Omarino und Aredomi zu erzählen, beantwortet die Regisseurin im Film: Die Vorfahren des Vaters ihres Kindes entstammten einer Familie von Kautschukhändler*innen. Durch diese persönliche Betroffenheit entstand bei ihr der Wunsch, etwas zur Aufarbeitung der Geschichte und der Dekolonialisierung der Perspektive beizutragen, denn in Iquitos, der größten Stadt des peruanischen Amazonasgebiets, gibt es bis heute keine Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Kautschukarbeiter*innen.

Im Film geschieht die Aufarbeitung durch die Verwendung historischer Quellen wie die Briefe des irischen Anwalts Roger Casement, der Omarino und Aredomi nach England begleitete. Bei diesen scheint durch, dass er sie trotz seiner guten Intentionen nach wie vor als „Barbaren“ und auch als „interessantes Experiment“ für sich selbst bezeichnet. Der ansonsten in Schwarz-Weiß gehaltene Film färbt manche Szenen blutrot ein, kontextualisiert einige Aufnahmen und lässt bei anderen bewusst Leerstellen. Letzteres ist auch eine Folge von Besuchen des Drehteams bei indigenen Gemeinschaften, die heute in der Region leben – so soll laut Sadowski „Raum für spirituelle Kräfte“ wie die Geister der Verstorbenen aus der Vergangenheit geschaffen werden.

La memoria de las mariposas ist keine leicht verdauliche Kost, was der Film angesichts des schwierigen Themas und der komplexen Herangehensweise aber auch gar nicht sein kann. Aufgrund seiner nicht-linearen Erzählung, lässt sich auch nicht alles sofort ohne den Kontext verstehen. Der Versuch der antikolonialen und feministischen filmischen Aufarbeitung der Vergangenheit ist Tatiana Fuentes Sadowski aber hervorragend geglückt. Bei der Berlinale wurde durch den Film einem großen Publikum auf respektvolle und innovative Weise ein nicht überall präsentes Thema näher gebracht, das nicht vergessen werden darf. Der Film erhielt deshalb auch zu Recht eine lobende Erwähnung bei der Preisverleihung für den besten Dokumentarfilm des Festivals.


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Stranger Things in Quillabamba

© J.D. Fernández Molero

Zu Beginn scheint alles wie eine typische Legende: Ein kleiner Junge mit Namen Iván erzählt in einer Videoaufnahme, im Wald seiner Heimatstadt Quillabamba gäbe es Elfen – magische Wesen mit spitzen Ohren. Was niedlich klingt, erweist sich in der Folge als alles andere als harmlos. Denn das nächste Mal sehen wir den mittlerweile 14-jährigen Iván mit einer klaffenden Wunde an der Stelle seines einst gesunden rechten Auges und erfahren, dass er zwei Jahre im Dschungel verschollen und für tot erklärt worden war. Nach einer so drastischen wie blutigen Operationsszene (nichts für schwache Gemüter) steht fest: Nicht nur Iváns Auge ist verloren, sondern er selbst ist auch psychisch sichtbar verstört. Er hat Alpträume, isst nur wenig und spricht nicht mehr mit den Menschen in seiner Umgebung. Dazu gehört neben seinem Onkel, bei dem er aufwächst, auch die 19-jährige Indigene, junge Frau Mechía, die ihn aus dem Wald zurück nach Quillabamba gebracht hat. Mechía, die mit großen Träumen in die Stadt gekommen ist (unter anderem möchte sie Model für Kim Kardashians Modemarken werden) wird schon bald ebenfalls von teils realen, teils übersinnlichen Schrecken verfolgt.

Punku (Quechua für „Portal“) ist der neueste Film des peruanischen Regisseurs Juan Daniel Fernández Molero. Sein letzter Film, der preisgekrönte Videofilia (and other viral syndroms) nahm die Parallelrealität der jugendlichen Internet-Communities in der Hauptstadt Lima unter die Lupe. Punku behandelt hingegen die mythischen Dimensionen und Fabelwesen in einer Provinz des peruanischen Amazonasgebiets. Doch auch hier spielt die Jugendkultur und das Aufwachsen in einer konservativen und machistischen Umgebung eine große Rolle. Das bekommt vor allem Mechía zu spüren, die im Zuge ihrer Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb mit sexistischen Sprüchen und Annäherungen bombardiert wird. Dazu transportiert offenkundig ein geheimes Portal – ähnlich wie in der US-Erfolgsserie Stranger Things – allerhand unheilvolle Wesen aus anderen Dimensionen ins beschauliche Quillabamba.

Regisseur Fernández Molero spart auch ansonsten nicht mit unverhüllten Zitaten verschiedenster Horrorfilme. Die Super-8- und 16mm-Kameraaufnahmen, die er experimentell mit digitalem Material mixt, sind eine Parallele zum Genre-Klassiker Blair Witch Project. Eine Kamerafahrt über Serpentinen erinnert an Stanley Kubricks The Shining, ein mysteriöser Maskenmann an die Scream – Filme. Manche Szenen und Handlungsebenen bleiben dabei im Stile eines David Lynch mysteriös. Das macht Punku neben der fragmentierten und nicht immer linearen Erzählweise vermutlich für einige Kinogänger*innen zu einer Herausforderung. Zudem schafft es der Film auch nicht über die vollen zwei Stunden, einen roten Faden beizubehalten. Dennoch ist Punku durch sein ungewöhnliches, frisches Narrativ und seine originelle Bildsprache ein sehenswerter Berlinale-Beitrag geworden, an dem speziell Freund*innen experimenteller Formate und Horrorfilme auf jeden Fall ihre Freude haben dürften.

Triggerwarnung: Explizite Darstellung von Verletzungen und Operationen am Auge


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Lyrik aus Lateinamerika

Cover des Gedichtbands "Tal vez ayer"

PREGUNTA

Entre ella y su cuerpo
existe
—ajeno a mí—
un juego de palabras y secretos.
Existen susurros y silencios;
un encuentro entre ella y su sexo.

Estoy ahí,
pero no soy parte,
su cuerpo le pertenece.

Impotente,
así sea yo el que la toca,
tan distante;
nos separa un mar, olas.

¿Será ella parte de mí cuando me toca?

FRAGE

Zwischen ihr und ihrem Körper
existiert
—für mich unantastbar—
ein Spiel aus Wörtern und Geheimnissen.
Zwischen Geflüster und Stille;
eine Begegnung zwischen ihr und ihrer Sexualität.

Ich bin zwar da,
doch ich bin kein Teil dessen;
ihr Körper ist allein ihrer.

Unfähig,
auch wenn ich jener bin, der sie berührt,
so weit entfernt;
zwischen uns ein Meer, brechende Wellen.

Wird sie ein Teil meiner, wenn sie mich berührt?


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Die Wurzeln verteidigen

© Johan Carrasco

„Peru fährt zur WM nach Russland, du wirst sehen! Weißt du, wo Russland ist?“ fragt der Junge Feliciano sein Alpaka Ronaldo zu Beginn von Raíz vor einer majestätischen Bergkulisse in den peruanischen Anden. Er hütet die Alpakas seiner Familie und hört dabei im Radio die Fußballspiele der peruanischen Nationalmannschaft. Raíz bedeutet Wurzel  ̶  die für die indigene Bevölkerung im Altiplano heiligen Berge und die Alpakas, deren Wolle ihre wichtigste Einnahmequelle ist, stehen im zweiten Spielfilm des Regisseurs Franco García Becerra für diese Wurzeln.

Felicianos Welt wird von Bergbau bedroht: In der Nähe seines Dorfes befindet sich eine Mine, die Weiden und Wasser verschmutzt und die Tiere krank macht. Die Bewohner*innen beschweren sich, werden jedoch nicht gehört. Stattdessen schickt die Mine einen Arbeiter, der sich hilfsbereit gibt und die Leute davon überzeugen will, dass die Mine Fortschritt und Wohlstand bringt. Einige Dorfbewohner*innen beschließen zwar, ihre Tiere zu verkaufen und wegzuziehen, viele wollen jedoch ihr gewohntes Leben fortführen und ihr Land behalten. Schließlich greift das Bergbauunternehmen zu härteren Bandagen. 

Die selbst aus dem Andenhochland stammenden Schauspieler*innen hatten meist ebenfalls Erfahrung mit ähnlichen Situationen, wie der Regisseur berichtet. Felicianos WM-Begeisterung und die gleichzeitig stattfindende neoliberale Ausbeutung von Mensch und Natur um ihn herum sind Themen, bei denen viele Menschen in ganz Lateinamerika mitfühlen können. Der im nahen Cusco aufgewachsene García nimmt sich im Film Zeit dafür, die Träume der Menschen, ihren Alltag und ihre Verbundenheit mit der Umgebung darzustellen: Feliciano spricht mit Ronaldo und seinem Hund Rambo, tollt mit ihnen auf der Wiese herum. Er sammelt besondere Steine oder spielt Fußball mit anderen Jungs. Die Dorfbewohner*innen wollen Bildung für ihre Kinder, sie scheren zusammen die Alpakas oder gehen in die nächste Stadt, um ein Fußballspiel zu sehen.

Der Film vermittelt alltägliche Authentizität ohne Klischees. Dazu trägt auch bei, dass alle im Film ausschließlich Quechua sprechen, die meistgesprochene einheimische Sprache Lateinamerikas. Auch lokale Glaubensvorstellungen sind präsent, wenn immer wieder ein geheimnisvolles Wesen auftaucht, vor dem die Menschen sich fürchten, sich jedoch auch Hilfe erhoffen, während sich der Konflikt mit der Mine zuspitzt.

„Sie nehmen sich immer mehr Reichtümer und lassen uns nichts übrig“, resümiert Felicianos Vater einmal die Lage. Die Schlussfolgerung: „Wenn wir die Straße blockieren, müssen sie uns zuhören. Wir müssen uns vereinen und kämpfen.“ Die mit großartigen Bildern feinfühlig und nahbar erzählte Geschichte von Feliciano und seinem Dorf ist ein Plädoyer für Träume, für kulturelle Vielfalt, den Respekt vor Menschen und Natur und dafür, dass es sich lohnt, solidarisch für diese Dinge zu kämpfen.


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„El Loco“ und die Krokodile

© Diego Romero

Dass in Peru noch vor 30 Jahren ein erbitterter Kampf zwischen der bewaffneten Guerilla Leuchtender Pfad und der Putschregierung Alberto Fujimoris tobte, scheint heute nur noch eine blasse Erinnerung. Bereits in den 1980er Jahren explodierte die Gewalt in Form von blutigen Anschlägen und politischen Morden durch die Guerilla sowie Folter und Repression durch die Regierung. In dieser heute als „verlorene Dekade“ bekannten Zeit suchten viele Peruaner*innen ihr Glück im Ausland. Die Migrationsrate vervierfachte sich im Laufe der 1980er Jahre, neben Spanien und Italien waren vor allem die USA ein bevorzugtes Anlaufziel.

© Diego Romero

In diesem angespannten Klima spielt Claudia Reynickes Film Reinas über eine Mittelschichtfamilie in Lima im Jahr 1992. Mutter Elena (Jimena Lindo) steht mit ihren Töchtern, der halbwüchsigen Aurora und der jüngeren Lucia schon mit einem Bein in den USA. Job und Unterkunft sind dort bereits organisiert, alles was fehlt, ist die Unterschrift ihres Ex-Mannes unter der Reiseerlaubnis der beiden Minderjährigen. Doch das entpuppt sich als Problem, denn Carlos (überzeugend: Gonzalo Molina) denkt gar nicht daran, seine Töchter so einfach gehen zu lassen. Im Gegenteil erwachen plötzlich seine offenkundig zuvor vergessenen Vatergefühle: Plötzlich kann er seine beiden Reinas (Königinnen), die dem Film ihren Namen geben, gar nicht oft genug an den Strand fahren. Dabei bindet er ihnen immer neue Lügengeschichten über angebliche Heldentaten, die er in seiner Abwesenheit vollbracht hat, auf. Dass an den Räuberpistolen ihres Vaters über Krokodile und verdeckte Geheimdienstaktivitäten kaum ein Wort wahr ist, daran zweifeln die beiden Töchter zwar keine Sekunde. Aber unterhaltsam ist es mit Carlos, der nicht umsonst von fast allen „El Loco“ (der Verrückte) genannt wird, ja dann doch meistens. Und so bleibt es bis zum Schluss spannend, ob Elenas Unternehmen Ausreise nun gelingen wird oder doch noch in letzter Sekunde scheitert.Reinas ist ein gut produzierter Film, der mit Retro-Vibes aus den frühen 90er Jahren nicht spart. Vor allem der sehr prominent besetzte Soundtrack dürfte bei einigen Erinnerungen wachrufen. Auch Ausstattung und Kulissen fügen sich stimmig in die pittoreske Atmosphäre ein. Die persönlichen Konflikte und Motivationen seiner Hauptfiguren vermitteltReinas realistisch und gut nachvollziehbar. Eine Einordnung der politischen Zusammenhänge bleibt allerdings ziemlich auf der Strecke: Erklärungen für den bewaffneten Konflikt bleiben in Klischees verhaftet oder finden gar nicht erst statt. Gerade das Ende der Geschichte wirkt daher ziemlich bemüht und unrealistisch. Auch wenn Reinas in der Berlinale-Jugendfilmsektion Generation läuft und keine allzu komplexen politischen Analysen liefern muss, fehlt es dem Film etwas an Tiefgang. So bleibt Reinas ein eher unterhaltsamer als wirklich bewegender Film. Vor allem einem jüngeren Publikum ist er aufgrund der Stimmigkeit von Charakteren und Atmosphäre aber trotzdem zu empfehlen.

LN-Bewertung: 3/5 Lamas


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Und jeden Monat ein kleines Wunder

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Hier fing alles an “Die Wiese” in Hessen, auf der die Idee für die Chile-Nachrichten entstand (Foto: Jan-Holger Hennies)

Es war ein sonniger Maientag des Jahres 1973, als sich fünfzehn bis zwanzig junge Leute, die alle erst vor kurzem aus dem aufgeregten politischen Klima Chiles nach Deutschland zurückgekehrt waren, auf einer grünen Wiese unter einem Kirschbaum im Hessischen versammelten, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie man durch aufklärende Informationen (Vorträge, Artikel?) und praktische Unterstützung (Fahrräder zum Beispiel?) den unter der schwierigen Situation leidenden Volksmassen und der Regierung der Unidad Popular helfen könnte. Die Stimmung war gut und sogar optimistisch, bedenkt man die meistens schlechten Nachrichten, die über den Atlantischen Ozean kamen: politische Attentate, von extrem rechten Gruppen organisiert, rasch ansteigende Inflation, Versorgungsengpässe an allen Ecken und Enden. Trotzdem konnte sich die muntere Runde nicht vorstellen, daß das »Experiment« einer gründlichen Umwälzung mittels einer gewählten Regierung scheitern könnte. Und so wurde denn ein Komitee »Solidarität mit Chile« gegründet, das es sich zur Hauptaufgabe machte, praktische Hilfe für die im chilenischen Winter noch mehr darbenden Massen zu organisieren. Mehr für die interne Kommunikation des Kreises als für die Aufklärung der westdeutschen Gesellschaft wurde beschlossen, alle 14 Tage ein paar Seiten mit den wichtigsten Informationen aus Chile und Tips in praktischen Fragen zusammenzustellen. Die kurzen Texte sollten »erst einmal« in (West-)Berlin zusammengestellt werden.

Die Anfänge

Am 28. Juni 1973, einem Donnerstag wie immer seither, war es dann so weit. Gegen sieben Uhr abends kamen sechs – oder sieben? – Leute zusammen und planten den Inhalt der Seiten der ersten Nummer: erst einen kurzen Bericht »Über die Ereignisse in Chile«, dann Hinweise auf Informationsmaterial, Veranstaltungen etc., schließlich auch die Namen und Adressen der Beteiligten. Nach der Bohnensuppe, die für Monate zu einer ständigen Einrichtung am Produktionsabend wurde, ging es an die Arbeit, und nach drei Stunden waren alle Texte geschrieben und sorgfältig auf sieben Ormig-Matritzen getippt. Die Nachrichten von einem mißlungenen Putschversuch am Vortag in Chile konnten gerade noch berücksichtigt werden. Am nächsten Morgen wurden von jeder Matritze 50 Abzüge gemacht, sortiert, in Briefumschläge gepackt und zur Post gebracht. Außer den Mitgliedern des Komitees wurden noch ein paar Freunde bedacht, von denen man für die Produktionskosten Spenden erbat, die dann auch schnell und reichlich eintrafen.

Die Existenz dieser Informationsquelle sprach sich schnell herum, und schon bei der fünften Nummer – zwei Monate später – mußten von den Matritzen 200 Exemplare abgezogen werden, um die Nachfrage zu befriedigen. Das war aber auch das Äußerste, was die Matritzen damals hergaben.
Die Zahl der Mitarbeitenden wurde auch ziemlich schnell größer. Bald kamen zehn, fünfzehn, zwanzig Interessierte, um zu helfen. Eine zusätzliche Sitzung an dem bisher »freien« Donnerstag wurde zur Vorbereitung der nächsten Nummer nötig. Natürlich waren alle davon überzeugt, daß der Verfassungsschutz in unseren Reihen mit dabei war; trotzdem wurden die Namen der Beteiligten tapfer abgedruckt. Von der Nummer 3 sollten die chilenischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Weltjugendfestival in (Ost-) Berlin einige Exemplare überreicht bekommen; aber die Volkspolizei am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße war wachsam und beschlagnahmte die kleine Informationsbroschüre nach länger dauernder Kontrolle des Inhalts. Bei der Rückreise wurden die Exemplare zurückgegeben, denn geschenkt haben wollte die Volkspolizei sie auch nicht.
Ein Versuch, mit den Leuten aus Chile vom Festival eine Informationsveranstaltung in Westberlin zu machen, scheiterte daran, daß das nur gemeinsam mit der FDJW (der Freien Deutschen Jugend Westberlin) möglich gewesen wäre, und die stellte die Bedingung, daß auf einer solchen Veranstaltung nicht diskutiert werden dürfe: Lieber gar keine Veranstaltung als eine unkontrollierte.

Wer heute die Texte der ersten fünf Nummern der CHILE-NACHRICHTEN liest, wird finden, daß sie in aller Klarheit die Unausweichlichkeit eines Putsches der Rechten in Chile aufzeigen. Das war nicht Absicht – im Gegenteil. Beim Diskutieren und Schreiben waren alle mehr oder weniger optimistisch, daß sich das Blatt noch wenden ließe. Es schien zu ungeheuerlich, daß die Welt es wagen sollte, den Putsch gegen eine gewählte Regierung zu dulden.

Umso größer war der Schock, als der Putsch dann am 11. September 1973 doch unternommen wurde. Für die CHILE-NACHRICHTEN bedeutete das sofort eine sehr stark wachsende Nachfrage und die Verarbeitung von immer mehr Nachrichten, Informationen, Solidaritätskundgebungen. Jetzt mußte richtig gedruckt werden. Im November lag die Auflage schon bei 6000 Exemplaren, deren Produktion finanziell wegen reicher Spenden kein Problem war. Die Nummer 10 erschien mit einem erheblich erweiterten Umfang; ein englischer Freund rief danach während einer Redaktionssitzung aus London an: »Ihr seid varrickt! Sixty pages!«

Ende 1973 wurde sehr schnell deutlich, daß die 14-tägige Erscheinungsweise nicht zu halten war. Die kleine Zeitschrift, die nun immer dicker wurde und bald zu Dokumentationszwecken um – zunächst kostenlose – Sonderhefte erweitert wurde, konnte nur noch monatlich hergestellt werden. Studium, Unterricht, Forschung, Schauspiel, kurz: das normale Leben konnte ja nicht völlig der Arbeit an dem Blatt untergeordnet werden.

Das Archiv

Weil sich die Wohnungen der Redaktionsmitglieder mit wichtigen Daten und Dokumenten füllten, die niemand wegwerfen wollte, mußte ein Archiv eingerichtet werden. Ohne die tatkräftige Mithilfe und die Infrastruktur der Evangelischen Studentengemeinde an der Technischen Universität wäre das wohl niemals möglich gewesen. Als gemeinnütziger Verein um das Archiv herum wurde dann bald das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile – Lateinamerika (FDCL) gegründet, dessen Aktivitäten sich später stark ausgeweitet haben.

Je genauer die Informationen über die Menschenrechtsverletzungen durch die Militärjunta, über den verbrecherischen Charakter des Pinochet-Regimes an sich, über die rücksichtslose Wirtschaftspolitik der Chicago Boys und über relativ gute Beziehungen zu wichtigen Figuren aus Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik wurden, desto wichtiger empfanden die Redaktionsmitglieder ihre Arbeit im Dienst von Information und Solidarität.

Wachsende Solidarität

Neben den CHILE-NACHRICHTEN (oder über ihnen? oder um sie herum?) war in Westberlin schon gleich nach dem Putsch das Chile-Komitee entstanden, von dem aus Demonstrationen, Proteste und Hilfsaktionen für die nach Berlin gekommenen Flüchtlinge organisiert wurden. Unvergessen bleibt – trotz der zermürbenden Vorverhandlungen mit den Westberliner Kommunisten von der SEW – die große Demonstration der 30.000 am 4. November 1973; unvergessen bleibt auch, wie während der Fußball-WM 1974 beim Spiel Chile gegen Deutschland in der Pause auf dem Platz eine große chilenische Flagge erschien mit der Aufschrift: »CHILE SI – JUNTA NO«.

Natürlich war das Chile-Komitee auch Ort heftiger politischer Debatten, in denen die CHILE-NACHRICHTEN nicht nur gelobt wurden. Die anfangs noch stärker beteiligten Jungsozialisten betrachteten zwar die Zeitschrift mit einer Art altväterlichem Wohlwollen, aber die über weite Strecken tonangebenden Spontis hielten die Redaktion für eher zu wenig radikal und verlangten häufig eine stärkere Berücksichtigung der entschieden revolutionären Strömungen in Chile wie etwa der »Linksrevolutionären Bewegung« (MIR), auch wenn diese Strömungen mit Spontis absolut nichts im Sinn hatten. Am liebsten wäre manchen im Komitee gewesen, wenn die Zeitschrift regelrecht zum Organ des Komitees geworden wäre; da das aber viel Arbeit für die Kontrolleure bedeutet hätte, blieb die Unabhängigkeit der Redaktion immer erhalten. Im Kern war sie ebenso locker organisiert und spontan wie das Komitee. Die Mitarbeit war absolut freiwillig und dazu noch anonym, weil niemand dem chilenischen Geheimdienst die Namen der Mitarbeitenden verraten wollte.

Ideologische Auseinandersetzungen

Ein Komiteeteilnehmer trat immer wieder unbeirrbar für eine Straffung der Arbeit durch klare Organisationsprinzipien ein. Dieser offizielle Abgesandte der Liga gegen den Imperialismus, einer Frontorganisation der maoistischen KPD, fand aber mit seinen Vorschlägen für die Wahl eines Vorstandes und die Einrichtung eines Sekretariats keinerlei Gegenliebe. Die konkurrierenden Maoisten vom KBW ließen sich etwas anderes einfallen. Sie entsandten einen Genossen, nennen wir ihn Fritz, in die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN, wo er sich durch Fleiß und Umsicht Freunde zu machen wußte. Eines Tages erklärte Fritz, er könnte erst einmal drei Wochen lang nicht erscheinen, weil er ein Dokument zu studieren habe. Nach drei Wochen brachte er einen Genossen mit, und beide begannen mit dem Versuch, der Redaktion klarzumachen, daß die CHILE-NACHRICHTEN objektiv der Konterrevolution dienten, weil sie nicht konsequent gemäß der Linie der Volksrepublik China die Dritte Welt – einschließlich Pinochet – gegen den Imperialismus unterstützten. Die beiden KBW-Leute beantragten, alle aus der Redaktion zu entfernen, die der korrekten Linie nicht folgen wollten, unterlagen aber mit zwei gegen achtzehn Stimmen, verschwanden und wurden lange Zeit nicht mehr gesehen, bis Fritz – inzwischen längst geläutert – bei einem sehr vernünftigen Nachbarprojekt im Mehringhof auftauchte.

Konstruktives Chaos

Die eigentliche Arbeit der Redaktion verlief einigermaßen unkoordiniert. Für jede Ausgabe wurde schon damals eine neue Leitung bestimmt. Im übrigen aber blieb alles meistens bis zur letzten Minute offen; deshalb dauerten die Produktionsnächte schon damals bis in die Morgenstunden.

Am chaotischsten war nach einiger Zeit die Finanzlage. Nach dem Putsch in Chile waren sehr viele Abonnementsbestellungen von Personen, Gruppen und Buchhandlungen eingegangen. Aber niemand hatte Zeit, sich um das Eintreiben der Außenstände zu kümmern. Die Zeitschrift stand relativ bald vor dem Ruin, bis jemand auf den Gedanken kam, die Abonnenten einfach zur Bezahlung ihrer Schulden aufzufordern. Darauf ergab sich ein solcher Überschuß, daß beschlossen wurde, den chilenischen Flüchtlingen in Westberlin die Herausgabe einer ähnlichen Zeitschrift in spanischer Sprache für ihresgleichen in Europa anzubieten. Unter den Namen »CHILE COMBATIENTE« und »SI, COMPAÑERO« sind dann auch tatsächlich ein paar Nummern erschienen, bis Parteienstreitigkeiten unter den Flüchtlingsgruppen die Arbeit immer mehr erschwerten. Das Geld hätte auch nicht viel weiter gereicht.

Mitte der siebziger Jahre wurde deutlich, daß Chile zwar einen besonders krassen Fall der Kombination von autoritärer Militärherrschaft und ultraliberaler Wirtschaftspolitik bedeutete, daß aber die anderen südamerikanischen Länder diesem Beispiel immer stärker folgten. In Uruguay hatten die Militärs die Herrschaft fast gleichzeitig übernommen. Brasilien und Peru waren schon Militärdiktaturen gewesen.
Spätestens mit dem Putsch in Argentinien 1976 wurde deutlich, daß es sich um eine allgemeine Tendenz handelte, für die sich nun die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN interessieren mußte. Das Ergebnis waren immer mehr Artikel über Chiles Nachbarländer, bis dann irgendwann die Entscheidung anstand, den Inhalt und den Titel grundsätzlich zu erweitern. Wie jede der grundsätzlichen Veränderungen in der Geschichte der Zeitschrift war auch diese heiß umkämpft; aber mit Nummer 51 und dem Beginn des fünften Jahrgangs im Sommer 1977 war es dann soweit. Von jetzt ab hieß das Blatt LATEINAMERIKA NACHRICHTEN; der Name CHILE-NACHRICHTEN hielt sich noch elf Jahre als Untertitel und erscheint nur noch ganz schamhaft im Impressum. Die CHILE-NACHRICHTEN sind Teil der Geschichte geworden. Heute arbeiten in der Redaktion junge Leute, die noch nicht geboren waren, als der Name CHILE-NACHRICHTEN schon begraben wurde. Das gilt es zu feiern.

Alte Texte neu gelesen – dieser Text erschien zum 25. Jubiläum der in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.


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50 Jahre Lateinamerika Nachrichten

„Amerika den Amerikanern“ formulierte der US-amerikanische Präsident James Monroe vor 200 Jahren und meinte doch nur „Lateinamerika den USA“. Der Aufstieg der USA zur neuen Hegemonialmacht in Lateinamerika vollzog sich in wenigen Jahrzehnten, schon Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kontinent fest in den Händen der USA.
Auch die Gründung der Lateinamerika Nachrichten vor nunmehr 50 Jahren verdankt sich, zumindest indirekt, dieser Doktrin. Die Rolle der USA bei der wirtschaftlichen Destabilisierung der Unidad Popular-Regierung in Chile und beim Militärputsch gegen Präsident Salvador Allende mag heute längst nicht mehr allen bekannt sein. Für die Aktiven des Komitees „Solidarität mit Chile“, die am 28. Juni 1973 die erste Ausgabe der Chile-Nachrichten (seit Nummer 51: Lateinamerika Nachrichten) produzierten, war der Kampf gegen den US-Imperialismus jedoch ein wichtiges Motiv für ihr politisches und journalistisches Engagement.
Der Diktator ging, die Lateinamerika Nachrichten blieben. Nur mäßig konnte uns zu unserem Silberjubiläum im Jahre 1998 der Abgang von Augusto Pinochet erfreuen: Den Oberbefehl über die chilenischen Streitkräfte tauschte er damals mit einem Senatorenposten auf Lebenszeit. Und auch sonst boten uns eher die Kontinuität der eigenen Arbeit, denn die Verhältnisse in Lateinamerika Anlaß zu Optimismus.
Das waren überhaupt komische Zeiten damals, als sich das Jahrtausend dem Ende zuneigte. Die Zauberworte Neoliberalismus und Globalisierung bestimmten die Regierungspolitik in fast allen Ländern des Kontinents. Fast: Wie ein gallisches Dorf trotzte nur Kuba den Römern, die damals in Washington residierten. Und als ob auch er als Kind in einen Zaubertrank gefallen wäre, zeigte sich Fidel Castro Jahrzehnt um Jahrzehnt unschlagbar: In der westlichen Hemisphäre hält er noch heute den Rekord für die längsten Ansprachen – unterbrechen ließ er sich meist nur, wenn auf der Zuckerinsel mal wieder der Strom abgestellt wurde. Vor Yankees hatte er nur auf dem Baseball-Platz Respekt, die Blockade konnte Kuba nicht in die Knie zwingen (für jüngere LeserInnen: die USA versuchten bis nach der Jahrtausendwende, Kuba durch Wirtschaftsblockade und politische Isolierung in die Knie zu zwingen – was sich ja bekanntlich erst änderte, als vor fünfzehn Jahren die kurz zuvor eingebürgerte Ex-Präsidentin Brasiliens, Benedita da Silva, ins Weiße Haus gewählt wurde).
Lange Zeit war Politik ja eine Angelegenheit korrupter Männer, die mit Militärs kungelten und Phantasie nur zeigten, wenn sie für ihre Wiederwahl mal wieder eine Verfassungsänderung durchsetzten – in Peru durfte damals nur noch zum Präsidenten gewählt werden, wer japanische Vorfahren, und in Argentinien, wer syrische Vorfahren hatte. Brasilien konnte nur regieren, wer Großgrundbesitzer war und ein Soziologie-Diplom sein eigen nannte.
Die Wende in Lateinamerika brachten bekanntlich die ZapatistInnen und die Landlosenbewegung MST. Der erste Präsident mit Skimütze in Mexiko und die Vergabe eines Landtitels an die letzte landlose Bäuerin in Brasilien – das waren bewegende Momente, die auch uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken ließen.
Denn während unsere Freunde und Freundinnen in Lateinamerika die Verhältnisse zum Tanzen brachten, wurde es in Deutschland immer eisiger. Die Grünen stritten mal wieder, ob es der Bevölkerung zuzumuten sei, den Benzinpreis um drei Prozent zu erhöhen, während Joschka Fischer als Verteidigungsminister den Parteiausschluß von Jürgen Trittin verlangte, weil der sich noch immer weigerte, an den wöchentlichen öffentlichen Rekrutengelöbnissen vor dem Reichstag teilzunehmen.
Grund zur Freude hatten wir erst wieder, als Jamaica 2006 Fußballweltmeister wurde und Berti Vogts durchsetzte, daß Gras endlich auch in Deutschland legalisiert wird. Die Cannabis-Pflanze statt dem Bundesadler auf der Schwarz-Rot-Goldenen Flagge und „Keine Macht für niemand“ von den Scherben als Nationalhymne – das hat sich vor 25 Jahren niemand in der Redaktion zu träumen gewagt. Auch nach 50 Jahren Lateinamerika Nachrichten – wir machen weiter: „Get up, stand up for your rights“.

Alte Texte neu gelesen – dieses Editorial erschiet in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.


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UNA CONSTITUCIÓN PARA TODAS LAS PERSONAS DEL PAÍS

Für die deutschsprachige Version hier klicken

Como invitada para el Dia de la Mujer en Berlín, nos puede contar, ¿cuál es la historia de su federación y qué lucha representa?
En América Latina el patriarcalismo es muy fuerte y siempre hemos venido luchando para que eso se haga visible. Para ello fundamos una organización hace 17 años que ya está establecida nacionalmente. Tiene dos columnas vertebrales: la primera es en el empoderamiento de la mujer y la otra es sobre la soberanía alimentaria. Defender el agua, defender la tierra, defender todo lo que es nuestra cultura y cosmovisión. Defendemos los derechos humanos sin tapujos. Defendemos los derechos de la diversidad como también luchamos por el derecho al aborto. Nuestras abuelas y abuelos nos han enseñado a defender la tierra, pero no nos inculcaron cómo defendernos como mujeres. Todo empieza en la casa, desde lo que pasa debajo de la sábana, y de ahí se exporta el sistema. Somos parte de la Coordinadora Latinoamericana de Organizaciones del Campo, y de la Vía Campesina. En estas dos instancias internacionales nos preparan para ser dirigentas políticas. Dentro de los partidos también existe el machismo y somos una organización que hace incidencia política para que, por ejemplo, nos atiendan los ministerios de la Mujer y el de Agricultura. Para que nos respeten y respeten a la Pachamama.

¿Cómo surgió su viaje a Europa y como se ha ido desarrollando?
Ana Durán, una ex ministra de la Mujer de[l Gobierno de] Pedro Castillo, me comunicó una invitación de la Comisión Europea. Fue duro para mí porque yo me estaba yendo de mi país y estaban matando a mis hermanos, pero llegué el 10 de enero al parlamento. Y luego se postergó mi viaje para poder hablar en la ONU en Ginebra. Y hasta entonces hice un recorrido donde me invitan a Madrid.  Justo llego en un plantón al frente de la Embajada de Perú, y el ex embajador de Perú en España se fue contra mi persona. Hice una reunión virtual con el frente general de la asamblea y las compañeras me avisaron que no vuelva por una amenaza de detención por “difamación del Perú”. No pido asilo político porque para mí, es que un país te diga que ya no puedes hacer incidencia política. Y yo pienso seguir preguntándoles a los organismos internacionales cuál es la sanción de un país que viola los derechos humanos.

¿Podría describir los aspectos de la exclusión estructural ante los pueblos indígenas originarios del Perú y cómo se manifiestan hoy en día?
El abandono de los gobiernos siempre ha sido fatal, no solamente con Boluarte, si no con gobiernos anteriores que nunca se han interesado en dar calidad de vida a los pueblos indígenas. En la mayor parte de nuestras regiones instalan las empresas mineras. Y si de acá están sacando el oro, debería estar mejor esta tierra. Debería haber mejores escuelas, carreteras, hospitales, profesionales con capacidad y calidez. Donde están ubicadas las empresas mineras es donde más se concentra la extrema pobreza. Hubo una masacre en Bagua cuando nuestros hermanos indígenas de la selva se levantaron por una propuesta de ley legislativa para que la grandes empresas pudiesen adueñarse de las tierras. El Gobierno cree que los humanos son los que viven en la ciudad, porque ahí ponen agua potable y desagüe. Pero en los pueblos indígenas originarios no tenemos eso, tenemos los ríos que están siendo contaminados por la minería y por el petróleo.  También nos quieren imponer las semillas transgénicas, lo cual mataría a los pueblos indígenas y nos volvería consumistas. Hoy nosotros cosechamos porque tenemos semillas autóctonas y la Pachamama no es un comercio, es nuestra vida. Tenemos que migrar del campo a la ciudad  forzadamente porque las empresas mineras se adueñan de nuestros territorios, migrar a una cultura racista que proviene desde las escuelas. ¿Cómo es que en los colegios no pueden enseñar en nuestros propios idiomas? ¿Por qué tienen que mutilar nuestras culturas, nuestras costumbres? Eso es un desprecio a los pueblos indígenas y aun peor si se es mujer. Lo que ha reventado todo en el Perú es eso: que se ha venido educando con un desprecio único.

¿Cree que este racismo estructural restringió la presidencia de Castillo?
Castillo significaba un cambio de estructura económica, política, social, cultural. Para los pueblos indígenas ha sido claro eso, pero los partidos de izquierda no lo han comprendido de esa magnitud. Si la izquierda hubiera entendido a los pueblos indígenas, a los campesinos, que no se trataba solamente de proteger a Pedro Castillo, se trataba de proteger un Gobierno que podría lograr un cambio. En la primera vuelta votamos por Verónika Mendoza porque recogió la propuesta de las mujeres, las jóvenes, los pueblos indígenas, la de la diversidad sexual, algo que en la propuesta de Pedro Castillo no estaba. Verónika no ganó y pasamos a la segunda vuelta y decidimos que vamos a votar a un hermano campesino.

Tampoco vamos a decir que Pedro ha sido lo máximo. Se ha equivocado en elegir ministros. En el parlamento se han dedicado a hacer las vacantes. Lo han maltratado psicológicamente y verbalmente. El Poder Judicial lo acusó de delincuente. La derecha nunca ha perdonado que haya un presidente provinciano. Nosotros queremos que esta gobernabilidad se proteja, porque él nos ha abierto la puerta del Palacio para podernos reunir y recogía nuestras propuestas. De 74 propuestas legislativas todas han sido archivadas. Eso tiene que ver con la Constitución del año 1993, puesta por Fujimori. Esta Constitución que le brinda todo el poder al Poder Legislativo, para que saquen leyes a favor de las grandes empresas.

Sobre las concesiones mineras en Perú, ¿cuáles eran las propuestas de Castillo y cómo se está desenvolviendo la situación con Boluarte?
Castillo dijo que no iba a renovar las concesiones mineras si se encontraba que no habían respetado las cláusulas de lo que se firma en una concesión. Se trataba de revisar las condiciones petroleras y mineras, de recuperar nuestra riqueza y distribuirla. El 2023 es un año contundente donde se revisan y se renuevan las concesiones mineras para otros 50 o 30 años más. Pedro Castillo no las iba a firmar y eso fue lo que a estas grandes empresas mineras y petroleras les ha molestado, y de ahí surgieron las peticiones de vacancia. La propuesta del presidente Castillo también era hacer que las grandes empresas que deben los impuestos paguen. Ahora los dueños de las empresas mineras y petroleras se sientan de mano a mano con la presidenta de la derecha, que para nosotros no es presidenta, y están sacando leyes para que no paguen los impuestos.

¿Nunca dudaron sobre la integridad de Pedro Castillo?
Muchas veces hubo duda cuando el Poder Judicial le decían que era un corrupto. Cuando nos acercabamos donde Pedro Castillo, cada vez que teníamos la reunión le pedíamos que nos fuera honesto. Él dijo que no había tocado ni un sol. Que lo estaban calumniando porque ya había tomado la decisión política de estar anuestro lado. Entonces, ¿hubo dudas? Sí. Pero cuando él nos confirmaba, ya no había duda. Y no solamente me lo ha dicho a mí. Hemos estado 500 mujeres en el palacio y a las 500 mujeres él les decía que le es leal a su pueblo.

Sin embargo, si él les hubiese respondido que era culpable, habría sido una confesión catastrófica para su carrera. ¿Podríamos decir que hasta que no haya un sistema judicial independiente en el Perú no se puede saber con certeza su juicio?
Definitivamente están en el derecho de analizarlo así, porque en estos momentos tenemos un Poder Judicial politizado. Pedro Castillo está preso; sin embargo, Keiko sigue libre y recibió millones para su campaña. ¿Y cuál es nuestra propuesta? Ahora decimos cinco puntos fundamentales: renuncia de Boluarte, libertad de Pedro Castillo, cierre del Congreso, justicia para los 72 héroes fallecidos e instalación de la Asamblea Constituyente Plurinacional Paritaria.

Una nueva asamblea constituyente es importante porque te va a dar un cambio de vida. En estos momentos solamente son válidos los que tienen plata. Los pueblos indígenas no estamos representados en esa Constitución de 1993. Y en la participación en el Poder Legislativo, en el Poder Ejecutivo, tiene que haber indígenas, tiene que haber jóvenes, tiene que haber mujeres, tiene que haber intelectuales, tiene que haber un mix de todos, porque nuestro país es plurinacional.

Cuando Pedro Castillo anuncia la disolución del Congreso, no cumple con ningún derecho constitucional para ello. ¿Qué pensó en ese momento? ¿Le pareció una acción legítima?
Sí lo vimos legítimo porque era el sentir de la población. Siempre le planteamos que se cerrase el Congreso por vía legal, porque para ello se tenían que presentar dos propuestas de leyes. Pero se dio el caso que el leyó un papel, que para nosotros no es un documento formal, porque no vimos un documento firmado oficialmente.  Sí, se saltó todo el proceso y él responderá cuando toque, porque sabía que no tenía el respaldo del Poder Legislativo, ni del Ejército, ni  de la prensa, ni de la Iglesia: sólo nos tenía a nosotros. Yo fui a hablar con él y me dijo que, cuando sea libre, explicará sus razones.

Mi opinión personal como Lourdes Huanca, no como representante de la Federación, es que Castillo se hartó de entender que no lo iban a dejar gobernar en ningún momento. Lo hizo para que el pueblo sepa que, por causa de querer recuperar la riqueza de nuestra patria, lo iban a encerrar. Si su objetivo era que se mueva el pueblo y que empecemos a luchar, lo ha logrado. Hoy todo el mundo reclama un cambio de constitución y un cambio futuro a costa de su libertad. Creo que el sacrificio que está haciendo es justamente para que el pueblo reaccione. Estaba seguro de que no iba a poder terminar de gobernar porque en un momento lo iban a sacar de todas formas.


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SCHLIMMER GEHT IMMER

Castillo Vor allem die ländliche Bevölkerung setzte große Hoffnung in ihn (Foto: Braian Reyna Guerrero via wikimedia commons, CC BY 2.0)

Im Juni 2021 schaffte der Dorfschullehrer und Gewerkschafter Pedro Castillo mit einem hauchdünnen Wahlsieg gegen die Diktatorentochter Keiko Fujimori, was noch kein Peruaner vor ihm geschafft hatte: den direkten Sprung vom Dorf in den Präsidentenpalast, ohne Umweg über Militär, Hauptstadt, Ausland oder wenigstens eine ausländische Ehefrau. Genau 200 Jahre nach der Befreiung Perus von der spanischen Kolonialherrschaft trat Castillo sein Amt mit dem Versprechen an, das Land endgültig von seinen kolonialen Fesseln zu befreien. Denn Peru, der einstige Sitz des spanischen Vizekönigsreichs, ist auch heute noch von Rassismus und Klassengesellschaft dominiert.

Vor allem die ländliche Bevölkerung setzte große Hoffnungen darauf, dass endlich einer von ihnen an der Macht war und die Ungleichheit Perus abbauen würde. Ein Jahr danach ist von dieser Hoffnung nichts mehr zu spüren: 65–71 Prozent der Bevölkerung lehnen Castillo ab. Selbst auf dem Land, wo seine Stammwähler*innen leben, haben sich bei einer Umfrage im August 2022 57 Prozent gegen ihn ausgesprochen. Pedro Castillo, der angeblich linke Mann von der Basis, entpuppt sich nämlich als ein traditioneller Politiker, der das Amt vor allem dazu benutzt, seine Freund*innen unterzubringen und ihnen Pfründe zuzuschanzen. So haben alle Präsidenten der letzten 20 Jahre vor ihm regiert, ungeachtet ihrer politischen Couleur oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Und genau deswegen sind alle Präsidenten Perus der letzten 20 Jahre entweder im Gefängnis, unter Anklage oder tot wie Alan García, der sich lieber erschoss, als von der Polizei abgeführt zu werden. Insofern ist die Präsidentschaft Castillos nur eine weitere Episode in der politischen Dauerkrise, in der Peru seit dem Rücktritt von Pedro Pablo Kuczynski vor fünf Jahren steckt. Doch wie kam es dazu, dass Castillo alle Hoffnungen auf einen Wechsel in nur einem Jahr vertat?

Ein erster Prüfstein war, wen Castillo in sein Kabinett berufen und zu seinem Regierungspartner nehmen würde: die dogmatisch-marxistische Partei Perú Libre von Vladimir Cerrón, auf deren Liste Castillo die Wahl gewonnen hatte? Oder die moderate Linke um Verónica Mendoza, die niemand „moderat“ genannt hatte, bevor Pedro Castillo sie als Kandidat links überholte? Letztere wird von ihren Gegner*innen auch gerne als Kaviarlinke verunglimpft, weil unter ihr auch Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen und Universitäten sind.

In seinem ersten Kabinett versuchte Castillo noch, die beiden Seiten zu vereinen: Finanzminister wurde Pedro Francke vom Flügel von Verónica Mendoza, Premierminister aber wurde ein Statthalter von Vladimir Cerrón, der bis dahin unbekannte Guido Bellido. Die Kohabitation hielt nicht lange. Zuerst musste Bellido gehen, ein paar Monate später Francke. Im Kabinett machten sich dafür vor allem Männer aus Castillos Heimat Cajamarca, aus der Partei Perú Libre und der Lehrer*innengewerkschaft breit, die für das von ihnen verantwortete Ressort keinerlei Leistungsausweis hatten. In nur einem Jahr hat Castillo über 50 Minister und auch ein paar Ministerinnen verschlissen – mit ein Grund dafür, dass bisher kaum eines seiner Vorhaben umgesetzt werden konnte.

Zerfleischung der Linken

Dabei hätte Castillo keine Feind*innen aus der Linken gebraucht, denn im Kongress haben seine Gegnerinnen sowieso die Überhand. Der Kongress blockiert Castillo seit Beginn seiner Amtszeit. Unterstützung bekommt er darin von den großen Hauptstadtmedien, die einseitig die Verfehlungen Castillos täglich auf den Titelseiten bringen. Die Anhänger*innen Fujimoris, die fujimoristas, sind nicht darüber hinweg, dass sie die Wahl verloren haben. Die konservativen Rechten aus der Hauptstadt verachten Castillo ob seiner Herkunft. Alle Versuche des Parlaments, Castillo wegen „moralischer Unfähigkeit“ abzusetzen – die Verfassung erlaubt diesen Gummiparagraphen – sind dennoch mangels Mehrheiten gescheitert.

Kongress und Regierung im Patt

Dies liegt zum einen an den Parlamentarier*innen, die als Lobbyist*innen vor allem in ihre eigene Tasche wirtschaften und nicht das Risiko eingehen wollen, dass bei möglichen Neuwahlen auch sie ihren Parlamentssitz räumen müssten. Zum anderen ergeben sich erstaunliche Allianzen zwischen den dogmatischen Marxist*innen von Perú Libre und den rechten Freischärler*innen der übrigen Parteien. Bei ihrem konservativen und traditionellen Frauen- und Familienbild sind sich Rechte und Castillos Linke einig und stimmten gemeinsam für die Streichung jeglicher Genderarbeit aus den staatlichen Schullehrplänen. Ebenso einig sind sie sich bei der Förderung informeller bis illegaler Wirtschaftszweige: seien es die privaten Betreiber*innen der Stadtbuslinien in Lima, die informellen Goldschürfer*innen oder die Betreiber*innen privater Schrottuniversitäten.

Die Zurücknahme der Universitätsreform ist ein gutes Beispiel dafür, wie unter der Regierung von Castillo und in Eintracht mit dem sonst feindlich gesonnenen Kongress mühsame Regulierungen der vergangenen Jahre zunichte gemacht werden. Seit 2014 mussten sich alle Universitäten von einer dem Bildungsministerium unterstehenden Behörde lizenzieren lassen. Viele private, nur auf Gewinn ausgerichtete Universitäten und auch ein paar staatliche Universitäten mussten schließen. Doch gerade deren Besitzer*innen sind im Kongress vertreten und erreichten zusammen mit den Linken von Perú Libre, dass die Universitätsbehörde entmachtet wurde. Die Folge werden noch schlechter ausgebildete Universitätsabgänger*innen sein, die dann zwar einen Titel vorweisen können, für den ihre Eltern viel Geld hingelegt haben, der aber weitestgehend wertlos ist, weil er keinen Mindeststandards mehr entspricht.

Viele mag es erstaunen, dass Pedro Castillo es überhaupt geschafft hat, trotz all seiner Regierungsfehler, nicht gehaltener Versprechungen und der Feindschaft des Kongresses und der Medien, ein Jahr im Amt zu bleiben.

Der Kongress und die Exekutive halten sich in ihrer ganzen Jämmerlichkeit gegenseitig in Schach: Wenn der Kongress den Präsidenten absetzt und es zu Neuwahlen kommt, dann müssten auch die Parlamentarier*innen ihren Sitz räumen. Und zugleich droht Castillo damit, den Kongress zu schließen – dies kann er verfassungsmäßig, wenn der Kongress ihm zweimal hintereinander das Misstrauen ausgesprochen hat.

Aufrufe von Seiten der Zivilgesellschaft, doch freiwillig zurückzutreten und Neuwahlen auszurufen, hat er bisher ignoriert. Und obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung lieber heute als morgen sowohl den Präsidenten wie auch die Abgeordneten loswerden möchte, gibt es keine massiven Proteste auf den Straßen. Seit Castillos Amtsantritt rufen nur die rechten fujimoristas regelmäßig zu meist eher spärlich besuchten Protesten auf. Und die große Masse der Fujimori-Gegner*innen würde nie an einer Demonstration teilnehmen, zu der die fujimoristas aufrufen, ganz egal wie sehr sie sich einen Rücktritt Castillos wünschen.

So sitzt Castillo trotz seiner instabilen, erratischen Politik also doch recht stabil im Präsidentensessel. Allenfalls die Justiz könnte ihm noch gefährlich werden: Sechs staatsanwaltschaftliche Untersuchungen laufen gegen Castillo und Mitglieder seiner Familie. Meist geht es um verbotene Vorteilsnahme und unrechtmäßige Vergabe staatlicher Aufträge an Bekannte. Im Vergleich zu den Korruptionssummen seiner Vorgänger geht es da um Peanuts. Aber korrupt ist korrupt und die Enttäuschung, dass sich auch Castillo als korrupt erweist, ist bei vielen Wähler*innen besonders groß.

Noch ist niemand in Sicht, der den Unmut der Bevölkerung angesichts der Politik von Legislative und Exekutive kanalisieren könnte. Selbst wenn es zu Neuwahlen käme, ist keineswegs sicher, dass das Ergebnis besser wäre als das, was die Peruaner*innen jetzt haben. Es könnte sogar noch schlimmer kommen.

Dieser Artikel ist aus unserem aktuellen Dossier “Sein oder Schein? – Die neue progressive Welle in Lateinamerika”. Das Dossier kann hier kostenlos heruntergeladen werden.


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„DIE MENSCHEN SIND ENTTÄUSCHT VON CASTILLO“

Kupfermine in Peur (Foto: privat)

Aktuell befinden sich weiterhin viele Bergbau-Großprojekte in Planungsphasen. Welche sind die wichtigsten und welche Auswirkungen erwarten Sie?
Eines davon ist die Kupfermine Tía María in Arequipa, im Tal des Tamboflusses, ein fruchtbares Tal mit viel Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Viele Menschen dort leben von Zucht, Verkauf und Export von Zwiebeln und Knoblauch. Wenn dieses Projekt zustande kommt – und die Regierungen haben bisher darauf bestanden, obwohl sich die Bevölkerung seit mehr als zehn Jahren öffentlich gegen dieses Bergbauprojekt ausgesprochen hat – könnte diese Lebensgrundlage davon betroffen sein. Da es zwei riesige Tagebaugruben geben wird, denke ich, dass das gesamte Tal betroffen sein wird. Da es in Küstennähe liegt, wird es auch dort einige Ökosysteme und Naturgebiete beeinträchtigen.

Sie arbeiten auch zu Enteignungen von Gemeinden unter der Komplizenschaft des peruanischen Staates. Wie kann man sich das vorstellen?
Der Fall des Kupfertagebaus Toromocha im Departement Junín ist hierfür ein herausragendes Beispiel, denn er zeigt die Gefahr der Enteignung von Gemeindeländern durch die missbräuchliche Anwendung von Rechtsnormen. Im Jahr 2017 wurde vor dem Hintergund des El Niño-Phänomens ein Gesetz eingeführt. Artikel 49 dieses Gesetzes besagt, dass der Besitz von Immobilien nur in bewohnbaren Gebieten legal ist, und ermächtigt die Nationale Aufsichtsbehörde für Staatsvermögen (SNB), die Räumung der Bewohner in Risikozonen durchzuführen. In Morococha, einem vom Bergbauprojekt betroffenen Distrikt, wurde das Gesetz so ausgelegt, dass die Stadt Morococha in einer solchen Risikozone läge. Dort leben noch etwa 25 Familien, der Rest wurde bereits vor längerem umgesiedelt. Die SBN hat dann ein 34 Hektar großes Gelände an Activos Mineros überschrieben, einer staatliche Bergbaugesellschaft, die sich ausschließlich den Umwelt- und Bergbauverbindlichkeiten widmet. Kurioserweise gab Activos Mineros es dann sehr schnell an den chinesischen Investor Chinalco weiter, der die dortige Mine betreibt – am eigentlichen Eigentümer, der Gemeinde, vorbei. Das ist ein Einfallstor für die Enteignung weiterer Gebiete nach diesem Muster. In anderen Fällen wird auch mit niedrig angesetzten Kompensationsleistungen bei Landverkäufen gearbeitet.

Welche weiteren rechtlichen Mechanismen werden zur Durchsetzung der Bergbauinteressen eingesetzt?
Es gibt viele Fälle von líderes sociales und Umweltschützern, deren Aktivitäten von staatlicher Seite kriminalisiert werden. Das reicht von verschleppten Prozessen wegen vermeintlicher Verantwortung für Proteste bis hin zu Inhaftierungen ohne Rechtsgrundlage.

Während der Pandemie ist auch die Zahl der ermordeten Umweltschützer*innen in Lateinamerika gestiegen. Wie verhält sich das in Peru?
In letzter Zeit wurden auch in Peru vermehrt Umweltschützer ermordet, die meisten davon im Amazonasgebiet. Es gibt laut der nationalen Ombudsstelle mehr als 208 soziale Konflikte, zwei Drittel davon mit Umweltbezug, von denen 70 Prozent mit dem Bergbau zusammenhängen. Es sind zwar in der Vergangenheit bereits Menschen bei diesen Konflikten getötet worden, aber eher im Kontext von Protesten. Wenn es zum Beispiel Morde an Anführern in Bergbaukonflikten gäbe, wäre das meiner Meinung nach sehr gravierend. Es herrscht Angst. Viele líderes sociales fühlen sich bedroht und fordern Garantien zum Schutz ihrer Rechte ein. Bisher gab es diesbezüglich allerdings keine Fortschritte.

Welche Rolle spielen die staatlichen Sicherheitsorgane in den sozialen Konflikten?
Es gibt eine Regelung, die aus Vereinbarungen zwischen der Polizei und den Bergbauunternehmen hervorgegangen ist. Darin heißt es eindeutig, dass Polizisten zum Schutz des Eigentums von Bergbauunternehmen verpflichtet sind. Es wird ihnen zudem teilweise erlaubt, auch außerhalb ihrer Tätigkeit für die Polizei von den Unternehmen angestellt zu werden und deren Uniformen und Waffen zu benutzen. Sämtliche Gemeinden in den bestehenden sozialen Konflikten fordern daher, dass die Polizei im Dienst der Bevölkerung stehen und sie beschützen sollte. Wenn du zum Beispiel nach Cajamarca gehst, ist daher das erste, was sie fragen, ob die Polizei im Dienst der Unternehmen oder der Bevölkerung steht. Dasselbe anderswo. Die Leute wissen sehr genau, dass die Polizei da ist, um die Unternehmen zu unterstützen. Daher ist die Aufhebung der entsprechenden Vereinbarungen ein zentraler Aspekt der Forderungen.

Was sind weitere Aspekte, die sich ändern müssen?
Eine zentrale Forderung von uns bei Red Muqui ist, dass die verfassungsgemäßen Rechte geachtet werden, das Recht auf Leben, das Recht auf Gesundheit. Das impliziert auch, dass etwas gegen das von den Minenbetreibern mit Schwermetallen und Arsen kontaminierte Wasser getan wird, das die Bevölkerung trinkt. In den betroffenen Gebieten wachsen Kinder teils mit Blei im Blut auf. Wie man in der Pandemie gesehen hat, ist die Antwort des Staates auf gesundheitliche Ausnahmesituationen absolut unzureichend. Zudem ist es wichtig, dass das Recht auf Information ermöglicht wird. Die betroffene Bevölkerung hat oft kein Internet und wenig Zugang zu Informationen über die konkreten oder geschätzten Folgen des Bergbaus. Die Studien zu seinen Umweltfolgen werden zudem häufig nachträglich abgeändert, etwa im Falle Las Bambas (Anm. d. Red: einer der größten Kupfertagebaue der Welt in der Region Apurímac). Es gibt diesbezüglich keine gut aufgestellten staatlichen Stellen, die Kontrollsysteme sind sehr schwach. In Peru ist die Umweltverschmutzung zu billig. Wir liegen in dieser Hinsicht weit hinter Chile, wo man über ausgereiftere Überwachungssysteme verfügt. Auch die Bergbausteuern sind hier niedrig, das ist für Investoren attraktiv. Sie wollen, dass es schnell geht, und kümmern sich nicht um die Belange der Bevölkerung und mittel- bis langfristige Umweltfolgen. Die Gemeinden selbst kümmern sich mit selbst eingesetzten Umweltkomitees um das Monitoring des Wassers und die Überwachung ihrer Territorien. Es ist für sie daher wichtig, dass der peruanische Staat das anerkennt, und dass sie von der OEFA (Anm. d. Red.: Agentur für Umweltkontrolle) unterstützt werden, sobald ihnen etwas auffällt.

Der 2021 neu gewählte Präsident Pedro Castillo hatte vor allem im Corredor Minero del Sur in einigen Gemeinden bis zu 90 Prozent der Bevölkerung hinter sich. In seinem Wahlkampf hatte er vorgeschlagen, den Bergbau zu verstaatlichen. Wie hat sich die Bergbaupolitik in den ersten Monaten der Regierung Castillo gestaltet?
Castillos Wahlkampf stand ganz im Zeichen der Verteidigung der Rechte der Bevölkerung. Viele Menschen haben sich mit ihm identifiziert, weil er aus den bäuerlichen Selbstorganisationen der rondas campesinas kommt und vom Land ist. Es gab diese Hoffnung, dass er einer von ihnen ist und sie verteidigen wird. Es hat sich allerdings gezeigt, dass er ein weiterer Vertreter des extraktivistischen Wettbewerbsmodells ist. Denn am Projektportfolio der Regierung für 2022 ist deutlich zu sehen, dass es sich um eine Kontinuität der Politik der vorherigen Regierungen handelt. Die Menschen sind ein bisschen enttäuscht, auch die von Castillo angekündigte zweite Agrarreform hat nicht viele substanzielle Änderungen herbeigeführt. Weder ist die Vergabe von Landrechten an die Gemeinden abgeschlossen noch die Festlegung der Territorien, in denen Bergbau betrieben oder nicht betrieben werden kann. Der Schutz der Flussoberläufe steht ebenfalls nicht auf der Tagesordnung. Immerhin tötet die Regierung niemanden in den sozialen Konflikten. Das wäre bei einer Regierung unter Keiko Fujimori katastrophal gewesen, da hätte es sicherlich mehr Repression und Tote gegeben. Die ehemalige Premierministerin Mirtha Vázquez oder auch der damalige Wirtschaftsminister Pedro Francke (Anm. d. Red.: beide wurden von Pedro Castillo ernannt) haben wohl versucht, einige Änderungen im Sinne der Bevölkerung vorzunehmen, aber ich denke, dass Castillos Gefolge ihnen die Arbeit erschwert hat. Trotz des Ansturms der Rechten, ihre eigene Agenda durchzusetzen, indem sie Medien nutzen und jeden Tag die Amtsenthebung Castillos fordern, besteht in der Bevölkerung noch Hoffnung. Die Menschen befinden sich allerdings in einer Schwebesituation: Was hat man davon, Castillo zu unterstützen? Aber wenn man es nicht tut, leistet man der Rechten und der Forcierung des extraktiven Modells Vorschub.

Welche Mittel stehen der Bevölkerung in dieser Situation zur Verfügung?
Zunächst einmal können die Organisationen auf regionaler Ebene durch die rondas campesinas und die Gemeinden weiter gestärkt werden. Auf der anderen Seite stehen wir mit den Regional- und Kommunalwahlen im November vor dem Problem, dass es für die Teilnahme hohe Hürden gibt, die lokale Parteien benachteiligen. Daher herrscht heute eine gewisse Unzufriedenheit in der Bevölkerung und es besteht die Gefahr, dass diejenigen gewählt werden, die sie nicht vertreten. Aufgrund dieser Umstände denke ich, dass man auch eine internationale Agenda verfolgen und auf die Ratifizierung des Abkommens von Escazú (Anm. d. Red.: internationales Abkommen zur Umsetzung von Umweltstandards und Informationsrechten sowie Schutz von Umweltschützer*innen) durch den peruanischen Kongress drängen müsste.

Was würde sich durch eine Ratifizierung ändern?
Es gibt internationale Gremien, zu denen man dann Zugang hätte, um das Wasser, das Territorium der indigenen Völker, vor allem die in Peru besonders gefährdeten Menschen- und Umweltrechte zu schützen. Die Parteien und der Kongress lehnen das bisher ab, denn sie sehen vor allem ihr Geschäft gefährdet. In Peru gibt es eine Menge Lobbyarbeit. Die Regierung Castillos hat die Ratifizierung zwar selbst vorgeschlagen, aber sie braucht eine Parlamentsmehrheit, was sehr schwierig wird.


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“DAFÜR SOLLTE IHM DIE RECHTE DANKBAR SEIN”

JOSÉ RAGAS lebt seit 2018 in Santiago de Chile, wo er an der Pontificia Universidad Católica de Chile lehrt. Um auch ein nicht-akademisches Publikum zu erreichen, schreibt er Kolumnen in Noticias SER und in El Comercio. Aktuell arbeitet er an dem Buch Los años de Fujimori (1990-2000) über dessen Regierung aus der Sicht von Alltagsakteur*innen, das in Kürze vom Sozialforschungsinstitut Instituto de Estudios Peruanos veröffentlicht wird. (Foto: privat)

Im März entschied das Verfassungsgericht, die Begnadigung von Alberto Fujimori aus dem Jahr 2017 wieder in Kraft zu setzen. Das bedeutet die faktische Freilassung. Wie kam es dazu?
Es ist schon lange versucht worden, irgendein juristisches Schlupfloch zu finden, um Fujimori aus dem Gefängnis zu holen. Nachdem er nach Japan geflohen war, tat Fujimori alles, um sich der peruanischen Justiz zu entziehen. Als die Dinge nicht gut liefen, kam er nach Chile, um zu versuchen, die peruanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006 zu beeinflussen. In einem neuen Versuch, die Justiz zu umgehen, kandidierte Fujimori, der die japanische Staatsbürgerschaft besitzt, von Chile aus für den japanischen Senat und versuchte so, Immunität zu erlangen.
Erst nach seiner Verurteilung ging er zu einer anderen Taktik über, der öffentlichen Lobbyarbeit, aber auch der Erpressung der amtierenden Regierungen. Das Einzige, was er in all den Jahren nicht getan hat, um aus dem Gefängnis zu kommen, war seine Verbrechen einzugestehen, sich bei den Opfern zu entschuldigen und ihnen die zivilrechtliche Entschädigung zu zahlen.

Der Interamerikanische Gerichtshof hat nun interveniert und Fujimori bleibt vorerst in Haft. Was kann der politische Fujimorismus als nächstes tun?
Die Tatsache, dass die humanitäre Begnadigung in diesem Fall nicht funktioniert hat, bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass sie es nicht weiter versuchen werden. Die Gefahr besteht nun darin, dass der Fujimorismus zu den Manövern „unter dem Tisch“ zurückkehrt, wie wir sie im Fall von Pedro Pablo Kuczynski gesehen haben.

Wie hat sich die öffentliche Meinung gegenüber Fujimoris Regierung seit 2000 verändert?
Der Fujimorismus ist – im Guten wie im Schlechten – zu einem Paradigma der Anti-Regierung geworden: das, was die Regierung nicht sein sollte. Sie wird mit der Verletzung grundlegender Menschenrechte sowie mit struktureller Korruption verbunden. Diese Verbrechen haben nicht nur Fujimori und die Mitglieder seiner Regierung, sondern auch seine Tochter überschattet und sie zum dritten Mal in Folge daran gehindert, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass der Anti-Fujimorismus es regelmäßig schafft, in den Wahlkampagnen zu mobilisieren und zu einem bestimmten Zeitpunkt als eine Art Schutzwall zu dienen. Aber er ist nicht unbedingt eine Garantie dafür, dass die neue Regierung – und das sehen wir jetzt mit Pedro Castillo – unbedingt eine gute Regierung sein wird.
Wir erleben Fälle von Korruption, von politischen Fehlentscheidungen sowie Allianzen der Regierungspartei Peru Libre, die Fujimoristen einschließen. Man hat das Gefühl, dass der Anti-Fujimorismus ins Wanken geraten könnte. Und genau das könnte dazu führen, dass Keiko Fujimori bei den nächsten Wahlen gewinnt.
Ebenso ist unser Bild von den 1990er Jahren eines, das wir hauptsächlich durch Klischees kennen, was für die öffentliche Debatte nicht günstig ist. Warum waren die Regierungen der letzten zwanzig Jahre nicht in der Lage, ein autoritäres, korruptes und elitäres politisches Projekt wie den Fujimorismus zu zerschlagen? Was macht dieses Erbe des Fujimorismus trotz all des Wirtschaftswachstums der letzten Jahrzehnte und trotz der Umverteilung der Einkommen so dauerhaft und so attraktiv für Eliten und andere Sektoren?

In der jüngeren Geschichte Perus haben wir gesehen, dass der Fujimorismus zerfällt, sobald er öffentlich in Frage gestellt wird, dann aber wieder aufersteht. Liegt das am „Erfolg“, den Fujimori in den 1990er Jahren hatte?
Ja, wir müssen uns anschauen, ob es eine Art „harten” Fujimorismus gibt, der von Wahl zu Wahl beibehalten und weitergegeben wird. Es gibt viele junge Menschen, die für den Fujimorismus stimmen, aber nicht in den 1990er Jahren gelebt haben. Dennoch sind diese jungen Wähler überzeugt, dass Fujimori der beste Präsident war, dass er das Land von Grund auf verändert hat und ohne ihn Terroristen an die Macht gekommen wären.

Verdankte sich sein Erfolg auch politischen Netzwerken, die Fujimori nach seiner Wahl aufbaute?
Die Kandidatur Fujimoris war nicht als Präsidentschaftskandidatur gedacht. Eigentlich sollte er für das Parlament kandidieren, aber die Wahlordnung ließ es nicht zu, dass er nur Listen für das Parlament vorlegte, so dass Fujimori schließlich eine Präsidentenliste anführte. Diese improvisierte Kandidatur zeigt sich im Fehlen von Programmen und Unterstützung durch konsolidierte politische Sektoren. Diese Lücke wurde schnell von der Rechten und dem militärischen Sektor gefüllt, die dem Fujimorismus die Stabilität und Reichweite gaben, die er bis heute hat.
Was Fujimori getan hat – und ich denke, dafür sollte ihm die Rechte dankbar sein – war, diesen Sektor zu repräsentieren, insbesondere nach der Niederlage von Fredemo (Anm. d. Red.: eine politische Koalition, die 1990 die Präsidentschaftskandidatur von Mario Vargas Llosa unterstützte). Das Problem ist, dass die Rechte, die der Fujimorismus zusammenfasst, nicht die moderne Rechte ist, die durch Vargas Llosas politisches Projekt repräsentiert wurde – eine liberale Rechte mit einer offeneren Mentalität, aber eben auch fanatischer gegenüber dem freien Markt. Diese Option verlor in den Wahlen von 1990. Damit ging die Möglichkeit einer modernen Rechten verloren und sie machte Platz für die vorherrschende: eine Art peruanischer Vor-Trumpismus.

Wer war diese Koalition, die Fujimori stützte?
Es handelte sich um eine große Koalition, an der Unternehmer beteiligt waren, aber es gab auch einen stark konservativen Sektor, der seine Privilegien bewahren wollte und dafür durch Rassismus motivierte Bedenken gegen Fujimori vorübergehend zurückstellen konnte. Fujimori kam ihren Klasseninteressen entgegen. Andererseits entstand der Diskurs einer „neuen Elite“, die im Wesentlichen aus wohlhabenden, weißen Küstenbewohnern besteht. Darüber hinaus ist es eine gewaltbereite Elite, die außerdem – in einer Zeit vor den sozialen Netzwerken – den öffentlichen Diskurs über die Medien bestimmt.
Aber es gab auch Linke, die sich den Reihen des Fujimorismus anschlossen. Es war eine etwas autoritärere Linke, die näher an Fujimoris Agenda war als an der Izquierda Unida (Anm. d. Red.: Linksbündnis aus den 1980er Jahren). Wenn man heute die Annäherung zwischen der dogmatischeren Linken innerhalb der Regierungspartei und der Fujimori-Fraktion sieht, dann sind das Annäherungen, die dreißig Jahre zurückreichen.


Wie fand diese Annäherung zwischen den Sektoren der Wirtschaft und dem „Außenseiter“ Fujimori statt?
Es gibt eine Anekdote, die das sehr gut veranschaulicht: Fujimori forderte Vargas Llosa bei einem Treffen nach dem ersten Wahlgang von 1990 auf, ihm seinen Wirtschaftsplan zu übergeben, weil er selbst keinen hatte. Und am Ende tat Fujimoris neue Regierung genau das, was sie versprochen hatte, nicht zu tun: die Politik der wirtschaftlichen Schocks anzuwenden und die brutale Durchsetzung des Neoliberalismus.
Nach seinem Wahlsieg versuchte Fujimori als erstes, die Beziehungen zu den internationalen Organisationen wiederherzustellen. Für den Internationalen Währungsfonds war es ein Triumph, dass Peru am Verhandlungstisch saß, weil es das „rebellische Kind“ war, das den IWF in den 1980er Jahren ignoriert hatte und nun eine starke Botschaft an die anderen Länder aussandte. Auch auf diesen internationalen Druck hin sollte das System der freien Marktwirtschaft eingeführt werden, so wie zuvor in vielen anderen Teilen der Welt, von Bolivien bis China. Allerdings auf eine komplett vertikale Art und Weise: Der Markt sollte sowohl das wirtschaftliche als auch das politische und soziale Leben des Landes neu ordnen, der Staat sollte weniger Befugnisse und Vorrechte haben. Mit der Verfassung von 1993 wurde der Staat zu einer Art Torwächter des Marktes.

Wie kam es zu dieser Verfassung?
Sie kam zustande, weil nach dem Staatsstreich 1992 Druck auf die Regierung ausgeübt wurde, auf den demokratischen Weg zurückzukehren, international und in Peru. Die Regierung reagierte auf diesen Druck, machte es den Parteien allerdings dabei schwer, sich für die nächsten Wahlen anzumelden, wobei sie ausnutzte, dass die Parteien im offiziellen öffentlichen Diskurs seit langem diskreditiert waren. Letztendlich wurde die Verfassung fast zu einem Auftrag der Regierung an die regierungsnahe Fraktion, die den verfassunggebenden Kongress kontrollierte. Die endgültige Fassung etablierte vor allem die Marktorientierung, die das in der vorherigen Verfassung von 1979 vorhandene Gewicht des Staates hinter sich lässt. Im Grunde machte sie viele Aspekte, die in der vorherigen Verfassung Rechte waren, nun zu Dienstleistungen. Zum Beispiel im Bereich Hochschulbildung: dort konnten Universitäten ohne jegliche Regulierung und mit zweifelhafter Qualität gegründet werden. Der Staat hat seitdem nicht mehr die notwendigen Befugnisse, um den Markt zu regulieren und in diese Prozesse einzugreifen.

In Chile wird gerade versucht, das verfassungsrechtliche Erbe der Diktatur hinter sich zu lassen. Warum hat die Debatte über eine neue Verfassung in Peru nicht die gleiche Intensität angenommen?
Die Debatte über eine Verfassungsänderung in Peru wurde in den letzten Jahren tatsächlich sehr intensiv geführt: zu Beginn der Pandemie und während des Wahlkampfs. In gewisser Weise war die Pandemie in Peru das Pendant zum chilenischen „Estallido Social“ (Anm. d. Red.: Protestwelle ab Oktober 2019). Die Pandemie hat gezeigt, was wir mit dem Land in den letzten 30 Jahren gemacht haben und wo die Grenzen des neoliberalen Modells liegen: Eine gute Absicherung gibt es weder durch den Staat noch durch das private Rentensystem der so genannten AFPs, die interessanterweise von Chile übernommen wurden.
Am Anfang der Pandemie flehten Peruaner auf Twitter um Sauerstoffflaschen für ihre Angehörigen oder Betten auf den Intensivstationen. Für mich war das der Tiefpunkt der letzten 200 Jahre der Republik. Nach 30 Jahren Wirtschaftswachstum, in denen der freie Markt alles zu seinen Gunsten hatte: eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Verfassung, einen Staat, der sich nicht eingemischt, und Kontinuität mit Mitte-Rechts-Präsidenten, internationalen Organisationen und einem Exportboom. Trotz allem waren wir eines der Länder mit der höchsten Sterblichkeitsrate aufgrund einer Pandemie. Wo ist das Wachstum geblieben? Was ist mit all dem Geld passiert?
In den Debatten mit liberalen Ökonomen wird gesagt, dass nicht das Wirtschaftsmodell schuld sei, sondern die regionale Verwaltung, die die finanziellen Mittel veruntreuten. Aber Korruption ist schließlich Teil eines vorhandenen Systems, das solche Handlungen ermöglicht oder erleichtert. Jenseits der Korruption stellt sich die Frage, warum man sich nie darum bemüht hat, diese Mittel in Grundleistungen zu investieren.
Wenn diese schlimmste Pandemie in unserer Geschichte uns nicht gelehrt hat, welche Art von wirtschaftlichem und politischem Modell wir brauchen oder wie wir unser derzeitiges Modell so ändern können, dass es der Bevölkerung und den am Bedürftigsten zugute kommt, dann weiß ich wirklich nicht, was man noch braucht. Am Beispiel Chiles kann man sehen, dass es nicht einfach ist, eine Verfassung zu ändern, aber manchmal notwendig. Die peruanische Verfassung von 1993 wurde in vielen Punkten durch Volksabstimmungen sowie den Kongress geändert. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man ein Dokument so oft geflickt hat, dass es einfach nicht mehr zusammenhält.

Halten Sie eine neue Verfassung angesichts der derzeitigen politischen Ausgangslage in Peru für einen gangbaren Weg?
Der richtige Zeitpunkt dafür war entweder im Jahr 2000 nach dem Sturz Fujimoris oder im November 2020 während der Proteste gegen das De-facto-Regime von Manuel Merino, also in einer Krisensituation und mit einer gewissen Mehrheit. Das hätten Gelegenheiten sein können, um eine ernsthafte Verfassungsdebatte anzustoßen, aber das ist nicht geschehen.
Man muss verstehen, dass eine Verfassung nicht ein Rechtstext ist, sondern eine Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft, die alle Lebensbereiche umfasst. Es handelt sich nicht nur um eine Frage des Wirtschaftsmodells, sondern auch um eine Frage der Politik: Wer wird einen Vorteil aus der neuen Verfassung ziehen können?
Im gegenwärtigen Klima der Konfrontation zwischen Kongress und Exekutive halte ich es für keine gute Idee, das wichtigste Dokument eines Landes zu erstellen und es in den Händen einer politischen Elite zu lassen, die keine Garantien für Professionalität gewährt. Das heißt nicht, dass die derzeitige Verfassung die beste ist. Aber solange es keine soliden Vorschläge gibt, solange die Parteien nicht ihre besten Leute einsetzen und Leute rekrutieren, die wirklich bereit sind, an einer Debatte teilzunehmen, bei der die Bürger informiert werden, glaube ich, dass eine neue Verfassung eher ein Schaden als ein Nutzen sein kann.


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NICHT NACH PROTOKOLL

6.000 Barrel Öl Verseuchter Strand in Ancón (Foto: Ministerio de Defensa del Perú via Flickr, Ausschnitt, CC BY 2.0)

Am 15. Januar 2022 verursachte starker Wellengang durch den Vulkanausbruch in Tonga die schlimmste Ölpest in der Geschichte Perus. Nach dem Entladen von Rohöl von einem Schiff an der Repsol-Raffinerie Pampilla waren 6.000 Barrel Öl ausgelaufen. Mittlerweile erstreckt sich die Ölpest über 7,1 Millionen Quadratmeter des Meeres, so das peruanische Umweltministerium. Von der Katastrophe sind bis zu 3.000 Arbeitsplätze betroffen, hauptsächlich in der Fischerei. Der geschätzte Verlust für die Tourismusbranche beläuft sich auf 52 Millionen US-Dollar. Die ökologische Katastrophe dagegen ist bisher noch nicht abschätzbar. Sicher ist, dass zwei Naturschutzgebiete und zahlreiche geschützte Tierarten unmittelbar betroffen sind.

Repsol wird von Seiten der Regierung und Umweltorganisationen vorgeworfen, den für solche Unfälle vorgesehenen Notfallplan nicht ordnungsgemäß und schnell genug umgesetzt zu haben. Zudem soll das Unternehmen falsch informiert haben: So hatte der Ölkonzern zu Beginn behauptet, es seien nur 25 Liter Rohöl ausgelaufen, nicht einmal ein Prozent der tatsächlichen Menge. Der Präsident von Repsol Peru, Jaime Fernández-Cuesta, gestand das verspätete Eingreifen zwar ein, versuchte diesen Umstand gegenüber Latina TV mit einer Fehleinschätzung seitens der Schiffbesatzung zu rechtfertigen: „Es ist eine optische Einschätzung, es gab einen Wahrnehmungsfehler“.

Nun ermittelt die peruanische Marine, welche Vorgänge zu dem Ausmaß der Katastrophe geführt haben. Gleichzeitig kündigte am 22. Januar Julio Guzmán, der Staatsanwalt des Umweltministeriums, gegenüber dem Umweltportal Mongabay an, dass die peruanische Regierung eine Zivilklage gegen Repsol vorbereite. In mehreren Städten, darunter der Hauptstadt Lima, fanden zudem Protestkundgebungen gegen den Ölkonzern statt.

Fischereigewerkschaften streben bereits Verhandlungen zu Entschädigungszahlungen für sämtliche betroffene Fischer*innen an. „Gestern boten sie an, den Fischern einen Scheck über 500 Soles (umgerechnet etwa 116 Euro, Anm. d. Red.) zu geben, aber das entschädigt sie überhaupt nicht“, so Alejandro Bravo, Generalsekretär der Föderation für Integration und Vereinigung der handwerklichen Fischer Perus (Fiupap) am 23. Januar gegenüber der digitalen Plattform Salud con lupa.

„Wir haben in Peru etwa drei- bis viertausend Lecks pro Jahr“, berichtet Guillermo Martínez Pinillo, ehemaliger Leiter der NGO Instituto Ambientalista Natura in Chimbote. „In Cabo Blanco in Piura beispielsweise wird eigentlich konstant auf die Umweltverschmutzung hingewiesen, dort bestehen kleinere Lecks seit Jahren, ohne dass etwas passiert.“ Erwartungen, dass sich nun grundsätzlich etwas ändert, hat er daher wenig.

Die Raffinerie La Pampilla war bereits aus den vergangenen Jahren für Fehlinformationen hinsichtlich entstandener Schäden bekannt. Das Portal Salud con lupa hat zwischen 2009 und 2021 32 Verstöße gegen die Vorschriften gezählt. Die verhängten Strafen sind angesichts eines Konzerns, der im Jahr 2020 in 29 Ländern einen Umsatz von fast 57 Milliarden US-Dollar verzeichnete, minimal. So wurde 2013 gegen die Raffinerie ein Bußgeld von 65.000 US-Dollar verhängt, da sie falsche Angaben über die Menge des beim Entladen eines Schiffes ausgelaufenen Kraftstoffs gemacht hatte. Damals meldete die Raffinerie, dass nur sieben Fässer ausgelaufen waren, tatsächlich waren es jedoch 190.


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PANDORA PAPERS BELASTEN POLITIKER MEHRERER LÄNDER

14 ehemalige und amtierende Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika stehen nach der Veröffentlichung der Pandora Papers unter Verdacht, einen Teil ihres Vermögens in Briefkastenfirmen vor der Öffentlichkeit versteckt zu haben. Darunter sind die amtierenden Präsidenten Sebastián Piñera (Chile), Guillermo Lasso (Ecuador) und Luis Abinader (Dominikanische Republik). Auch Regierungsmitglieder anderer Länder sind von den Enthüllungen betroffen, wie der brasilianische Wirtschaftsminister Paulo Guedes oder der mexikanische Staatssekretär für Kommunikation und Transport Jorge Arganis Díaz Leal.

Ein Zusammenschluss von mehr als 600 Journalist*innen aus 117 Ländern hatte in einer geheimen Recherche fast 12 Millionen vertrauliche Dokumente ausgewertet. Die Daten wurde dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) von einer anonymen Quelle zugespielt. Am 3. Oktober wurden die Ergebnisse ihrer Analysen unter dem Namen Pandora Papers weltweit veröffentlicht. Namhafte internationale Medien wie BBC, die Washington Post oder El País beteiligten sich an den Analysen und deren Veröffentlichung.

Die vertraulichen Dokumente stammen von 14 sogenannten Offshore-Providern. Diese Firmen helfen ihren Kunden dabei, in Steueroasen Briefkastenfirmen zu gründen. Der Besitz einer Offshore-Firma ist nicht illegal, wird aber häufig zur Geldwäsche oder Steuerhinterziehung genutzt. Gerade bei Regierungsmitgliedern wird der Versuch, dem Staat Steuern zu entziehen, als unethisch betrachtet, oft auch gesetzlich sanktioniert.

Brasilien: Wirtschaftsminister besitzt Briefkastenfirma

Paulo Guedes, seit 2019 „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen und neoliberaler Hardliner, wird von den investigativen Recherchen der Pandora Papers belastet. Er wird als Besitzer der Offshore-Firma Dreadnoughts International Group genannt, die in der Steueroase der Britischen Jungferninseln angesiedelt ist. Die Zeitschrift Piauí berichtete am 3. Oktober 2021, dass die Briefkastenfirma im September 2014 eröffnet wurde. Mitgesellschafterin von Guedes war seine Tochter Paula Drumond Guedes. Beide zahlten insgesamt 8 Millionen US-Dollar auf ein Konto der Crédit Suisse in New York ein, indem sie 50.000 mal den Betrag von 160 US-Dollar überwiesen. Bis August 2015 wurde die Einlage auf 9,5 Millionen US-Dollar erhöht.

Nach Aussagen seiner Anwälte verließ Guedes das Management seiner Offshore-Firma im Dezember 2018, bevor er das Amt als Minister antrat. Seither habe er auf jegliche Beteiligung an den finanziellen Entscheidungen des Unternehmens verzichtet und weder Überweisungen auf, noch Abhebungen von Konten im Ausland getätigt. Durch die Abwertung des Real während seiner Amtszeit stieg sein Vermögen in der Landeswährung allerdings von 35 auf 51 Millionen Reais.

In Brasilien ist der Besitz einer Offshore-Firma – auch in Steueroasen – nicht illegal, solange der Besitz der Steuerbehörde gemeldet wird. Dies ist laut Guedes der Fall. Die Opposition spricht jedoch von einem potenziellen Interessenkonflikt, da sich der Wirtschaftsminister indirekt durch seine Politik bereichert haben könnte. Am 6. Oktober wurde im Parlament entschieden, dass der Finanzminister dazu vor dem Plenum und vor zwei Kommissionen Stellung nehmen muss. Gegenüber Journalist*innen sagte Guedes, er sei „sehr gelassen“ und habe nie privat von seinem Amt profitiert.

Am 7. Oktober fanden vor dem Wirtschaftsministerium mehrere Proteste gegen Guedes statt. Morgens regnete es dort Dollar-Spielgeld mit dem Gesicht des Ministers, am Nachmittag wurde das Gebäude mit Slogans wie „Guedes im Paradies und das Volk in der Hölle“ oder „Guedes verdient am Hunger“ besprüht.

Chile: Transaktionen bedrohen Naturschutzgebiet

In Chile deckten die Pandora Papers neue Details zu Geschäften von Präsident Piñera im Zusammenhang mit der geplanten Eisen- und Kupfermine Minera Dominga auf. Der Milliardär Piñera war zu Beginn seiner ersten Amtszeit Hauptaktionär des Projekts, verkaufte jedoch Ende 2010 seine Anteile für 152 Millionen US-Dollar an seinen Schulfreund Carlos Alberto Délano. Davon wurden 138 Millionen mittels einer Transaktion auf den Britischen Jungferninseln bezahlt, einer Steueroase in der Karibik. Der Betrag sollte in drei Raten bezahlt werden, die letzte Rate war jedoch nur fällig, sofern das für das Projekt vorgesehene Küstengebiet nahe der Stadt La Higuera nicht zu einem Naturschutzgebiet erklärt würde. Darauf hatte Piñera als Präsident maßgeblichen Einfluss.

Die Region um La Higuera gilt als Hotspot der Biodiversität. Dort, wo für die geplante Mine ein eigener Hafen gebaut werden soll, befindet sich ein wichtiges Brutgebiet der vom Aussterben bedrohten Humboldt-Pinguine, auch Wale und Delfine leben dort. Piñera ignorierte jedoch die Umweltbewegung, die letzte der drei Raten wurde bezahlt und im August 2021 genehmigte die zuständige Behörde das Bergbauprojekt.

Der Präsident bestreitet einen Interessenskonflikt und beruft sich darauf, dass seine Beteiligung an dem Projekt bereits im Jahr 2017 Gegenstand von Ermittlungen gewesen sei, die zu seinem Freispruch führten. Da die Bedingung für die Zahlung der dritten Rate damals jedoch nicht untersucht wurde, hat die Staatsanwaltschaft nun die Wiederaufnahme von Ermittlungen beschlossen. Die Oppositionsparteien haben angekündigt, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.

Ecuador: Das Geld zieht um

In Ecuador gibt es seit einem Referendum im Februar 2017 ein Gesetz, welches es politischen Funktionsträgern verbietet, Geld in Steueroasen zu haben. Die Pandora Papers weisen dem amtierenden Präsidenten des Landes, Guillermo Lasso, die Nutzung von 14 verschiedenen Offshore-Firmen nach. Etwa drei Monate nach Erlass des genannten Gesetzes wurden im US-amerikanischen Bundesstaat South Dakota zwei Trusts gegründet, auf die die Anteile der meisten von Lasso angeblich aufgelösten Unternehmen überschrieben wurde. Lasso verteidigte sich damit, keinerlei Besitz, Kontrolle, Nutzen oder Interesse an diesen Einrichtungen zu haben und behauptet, sich immer an geltendes ecuadorianisches Recht gehalten zu haben.

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 3. Oktober 2021 berichtete, hatte Lasso für die Konten in South Dakota keine Adresse in Ecuador, sondern in Florida (USA) angegeben. Mit diesem „Umzug“ nach South
Dakota war Lasso laut SZ in gewisser Weise auch Vorreiter für andere, die nach den Enthüllungen Panama Papers ihre Gelder aus Steueroasen in den US-Bundesstaat brachten.

Aus den in den Pandora Papers enthaltenen Dokumenten soll nicht hervorgehen, wer die Begünstigten der Trusts sind. Sollte Lasso allerdings noch immer Verbindungen zu dem Geld haben, könnte es ungemütlich für ihn werden. Die für Steuerfragen zuständige Kommission im ecuadorianischen Parlament kündigte Untersuchungen gegen Lasso an.

Peru: Ex-Präsident Kuczynski kaufte Offshore

Der Name des neoliberalen peruanischen Ex-Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski (2016-2018) taucht ebenfalls in den Pandora Papers auf. Kuczynski (PPK) hatte im Jahr 2004, als er das Amt des Finanzministers unter Alejandro Toledo innehatte, die Offshore-Firma Dorado Asset Management auf den britischen Jungferninseln erworben. Diese soll nicht nur als Holding für Immobilien fungiert haben, sondern auch Finanzberatung zum Ziel gehabt haben, wie das Investigativportal Convoca schreibt.

In die Ermittlungen gegen PPK wegen Geldwäsche im Rahmen von Schmiergeldzahlungen durch das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht war Dorado bereits 2019 einbezogen worden. Von Odebrecht als Beratungshonorare getarnte Gelder an PPKs Beraterfirma Westfield Capital sollen von Dorado zum Kauf zweier Immobilien in PPKs Besitz verwendet worden sein. Seit 2019 befindet sich PPK im Hausarrest, die betroffenen Immobilien wurden beschlagnahmt.

Nach Ansicht des zuständigen Staatsanwaltes Domingo Pérez ist das bisher unbekannte Ziel des Unternehmens, die Verschleierung des wahren Zwecks „eindeutig ein Verhalten, das mit Geldwäsche zu tun hat“, wie er gegenüber Convoca angab. Man werde nun weitere Transaktionen von Dorado aus dem Zeitraum von 2004-2014 prüfen. 2014 hatte PPK die Firma unter verändertem Namen nach Peru transferiert.


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FEUERPROBE

Am Ende half alles nichts. Trotz des beherzten Griffs der rechten Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori in die trumpsche Trickkiste wurde rund eine Woche vor dem offiziellen Regierungswechsel am 28. Juli ihr linker Kontrahent, der ehemalige Landschullehrer und Gewerkschafter Pedro Castillo, zum Sieger der Stichwahl vom 6. Juni ernannt. Den hauchdünnen Vorsprung von nur 44.000 Stimmen hatte Fujimori durch den Vorwurf des Wahlbetrugs und die Forderung nach der Annullierung von rund 200.000 Stimmen wettzumachen versucht. Dieses Manöver hatte jedoch von Beginn an wenig Aussicht auf Erfolg. Nationale und internationale Wahlbeobachter*innen hatten keine Anzeichen für Betrug gefunden, das Oberste Wahlgericht (JNE) lehnte schließlich sämtliche Anfechtungsversuche seitens Fujimoris rechtskonservativer Partei Volkskraft ab. Bis Fujimori selbst Castillo als neuen Präsidenten anerkannte, verging derweil ein weiterer Monat. Nach der verlorenen Stichwahl muss sie sich nun der Justiz stellen. Die Staatsanwaltschaft hatte im März Anklage im Kontext der Korruptionsaffäre um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht erhoben und 30 Jahre Haft gefordert. Eine erste Anhörung im Verfahren gegen Fujimori fand am 1. September statt.

Castillos Regierung hat weiterhin einen schweren Stand in der peruanischen Öffentlichkeit. Einer Mitte August veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Ipsos zufolge genießt der Präsident in der Bevölkerung Zustimmungswerte von 38 Prozent, deutlich weniger als alle gewählten Amtsvorgänger der vergangenen 20 Jahre. Dazu dürfte neben der starken Polarisierung während des Wahlkampfes (siehe LN 563) das als unklar wahrgenommene Verhältnis der neuen Regierung zur Partei Freies Peru, unter der Castillo zur Wahl angetreten war, sowie diverse Personalien im neuen Kabinett beigetragen haben.

Castillos Regierung hat einen schweren Stand

Insbesondere die Ernennung von Guido Bellido zum Premierminister sorgte für Kritik. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, die maoistischen Guerilla Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) in einem Facebook-Post 2017 verbal unterstützt zu haben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen „Terrorismusapologie“ ein. Zudem wird gegen ihn, die Partei Freies Peru und weitere Mitglieder, wie den Parteichef Vladimir Cerrón und dessen Bruder und Parteisprecher Waldemar, wegen möglicher Geldwäsche ermittelt. Die Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit dem Fall „Los Dinámicos del Centro“ aus dem Jahr 2019, in dem den Beschuldigten vorgeworfen wird, die Partei habe ihre Kampagnen mittels eines kriminellen Netzwerkes innerhalb regionaler Behörden in der Provinz Junin finanziert. Das Netzwerk habe unter anderem mittels Schmiergeldern in der Ausstellung von Fahrerlaubnissen die Parteifinanzen aufgebessert, so der Verdacht.

Auch innerhalb der Linken ist die Ernennung Bellidos umstritten. Er ist ein enger Vertrauter Vladimir Cerróns und hat sich in der Vergangenheit mehrfach homo- und transphob geäußert. Seine Ernennung zum Premierminister wird als Einknicken Castillos vor Parteichef Cerrón interpretiert. Dieser baute von links Druck auf, indem er sich kritisch zum neuen Wirtschaftsminister, dem keynesianischen Ökonom Pedro Francke, äußerte. Die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Parteiführung sowie innerhalb der größten Parlamentsfraktion, die aus Castillo-nahen Gewerkschafter*innen und Kadern seiner Partei besteht, könnte durch die kürzlich erfolgte Gründung der Partido Popular Magisterial noch befeuert werden. In dieser versammeln sich Lehrergewerkschafter*innen der Nationalen Vereinigung der peruanischen Arbeiter (Fenate), die von Castillo 2017 als Alternative zur Einheitsgewerkschaft der Beschäftigten im Bildungswesen von Peru (SUTEP) gegründet worden war.

Der rechten Opposition kommen die internen Auseinandersetzungen zupass, setzt sie doch einiges daran, die neue Regierung zu behindern. Bereits vor Beginn der Debatte über die Vertrauensaussprache am 26. August musste mit Außenminister Héctor Béjar bereits ein erstes Kabinettsmitglied seinen Rücktritt einreichen. Der 85-jährige Soziologe, der in den 1960er-Jahren eine von der kubanischen Revolution inspirierte Guerilla gegründet hatte, hatte im vergangenen Jahr die peruanische Marine für den Beginn des bewaffneten internen Konflikts in Peru (1980 – 2000) verantwortlich gemacht. Zudem behauptete Béjar, die CIA hätte das Entstehen der maoistischen Guerilla in Peru gefördert.

Vor diesem Hintergrund war es keineswegs gesichert, dass die Regierung die erste Vertrauensaussprache im Parlament überstehen würde. Gemeinsam mit der linksprogressiven Gemeinsam für Peru verfügt Freies Peru nur über 42 der 130 Sitze im Parlament. Während der zweitägigen Parlamentsdebatte, eingeleitet durch die Rede des umstrittenen Bellidos, wurde deutlich, woran sich die Opposition ebenfalls stößt. Erstmals in der Geschichte des Landes ist eine Mehrheit der Kabinettsmitglieder nicht in der Hauptstadt geboren, gehört also nicht zu einer politischen und sozialen Elite Limas. Premier Bellido trug Passagen seiner Antrittsrede auf Quechua und Aymara vor, was ihm Zwischenrufe und eine Ermahnung seitens der Parlamentspräsidentin María del Carmen Alva einbrachte. Die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um die 1993 eingesetze neoliberale Verfassung zu ersetzten, erwähnte Bellido nicht. Im Wahlkampf hatte Castillo dieser Forderung, die ihren Ursprung in den Protesten im November 2020 (siehe LN 559) hatte, wiederholt Unterstützung zugesprochen.

Am Ende bestätigte das Parlament mehrheitlich die neue Regierung mit 73 zu 50 Stimmen. Dass nicht mehrheitlich gegen das Kabinett Bellido gestimmt wurde und die Opposition sich vornehmlich auf einzelne Mitglieder einschoß, mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Opposition bei zweimaliger Verweigerung Neuwahlen mit ungewissem Ausgang ausgesetzt sehen könnte. Lediglich die rechten Fujimori-nahen Fraktionen Volkskraft, Volkserneuerung und Voran mit dem Land stimmten geschlossen gegen das neue Kabinett.

Auch innerhalb der Linken ist die Ernennung Bellidos umstritten


Dieses hat nun allerhand schwere Aufgaben vor sich. Im bisherigen Verlauf der Covid-19-Pandemie hatte Peru den höchsten Anteil an Toten in Relation zur Bevölkerung. Eine dritte Infektionswelle bahnt sich an, bisher sind knapp 25 Prozent der Peruaner*innen vollständig gegen das Virus geimpft.

Die Armut im Land hat im vergangenen Jahr um zehn Prozentpunkte auf 30 Prozent der Bevölkerung zugenommen. Zudem sind die Preise für Güter des täglichen Gebrauchs gestiegen, auch infolge des historisch niedrigen Wechselkurses des Sol. Um die unmittelbare Not zu lindern, hat die neue Regierung Einmalzahlungen an vulnerable Familien auf den Weg gebracht. Unternehmer*innenkreise und internationale Geldgeber*innen sehen einen wirtschaftspolitischen oder gar konstitutionellen Wandel kritisch. Die Ratingagentur Moodys stufte Perus Bonität am 1. September aufgrund des mit der Polarisierung verbundenen „politischen Risikos“ herab.

In welcher Form die peruanische Wirtschaft neustrukturiert wird, bleibt abzuwarten. Hohe Rohstoffpreise und die starke politische Opposition erschweren eine radikale Abkehr vom bisherigen extraktiven Modell. Von Castillo ist trotz seiner Wahlerfolge in den von Bergbau betroffenen Regionen höchstens eine Umverteilungspolitik innerhalb des extraktiven Modells zu erwarten.


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“Cuanto más radical es la democracia, más radical será el rechazo a la democracia”

Für die deutschsprachige Version hier klicken.

Cecilia Méndez Gastelumendi es profesora principal de historia en la Universidad de California-Santa Bárbara. Durante los años de violencia política en Perú (1980-2000), enseñó e investigó durante un año en la Universidad Nacional de San Cristóbal de Huamanga, en Ayacucho, centro del conflicto armado. Desde entonces, ha publicado extensamente sobre la historia social y política de la República de Perú y, como columnista, sobre temas políticos cotidianos en el diario La República. Su libro La república plebeya (2005) ganó el premio Howard F. Cline al “mejor libro sobre historia indígena en América Latina”.
(Foto: privat)


Perú será uno de los últimos países en América Latina en celebrar sus 200 años de independencia. ¿Por qué?
C.M.: A diferencia de lo que mucha gente piensa, que existe una fecha objetiva en la cual celebrar la independencia, la elección es bastante subjetiva. Depende de lo que una sociedad quiera valorar más – qué memorias tienen más peso a la larga, cómo se construye esa narrativa de la historia. No es que el Perú fuera el último país en conseguir su independencia, sino que celebra como el día de su independencia una fecha más tardía que los otros países (la declaración de la independencia de San Martín en Lima, el 28 de julio de 1821, nota de la redacción).

No es que el Perú no tuviera insurgencias antes de 1821, sino que celebra más tarde porque ha decidido no recordar las revoluciones más radicales para su narrativa. No recuerda como día central una batalla sino un hecho más bien de corte pacífico como es una declaración.

Poner a San Martín en el centro tiene consecuencias sobre cómo se recuerda nuestra independencia y no nos permite tener una narrativa muy clara de esa historia. Si tú agarras un momento tardío, como lo fue la declaración de San Martín, no tienes claridad de la secuencia de la historia de la independencia. Ese no fue el comienzo, pero preguntar ¿cuál es el origen? no es fácil de responder. Y justamente los peruanos no están siempre muy interesados en debatirla.

 

¿Cómo se explica que ha prevalecido esa ‘historia criolla oficial’, cómo Usted la ha llamado? Una historia que está borrando las insurgencias indígenas.
C.M.: Los peruanos han aprendido de su independencia muchas veces a través de las versiones de los que reprimieron los movimientos. Para entender de dónde salen esas narrativas, que ayudan aponer a San Martín en el centro y olvidan las insurgencias más radicales, voy a referirme a una historia muy concreta.

Desde antes de las luchas por la independencia ha habido eventos muy traumáticos para las élites. La memoria de la rebelión de Túpac Amaru en 1780 ha traído muchas sombras de las rebeliones violentas, porque los rebeldes han sido recordados como ‘– como ‘los otros’. La rebelión del Cuzco en 1814 fue en realidad la primera que definitivamente proclamó la independencia o la ruptura de España y desconoció a las autoridades coloniales por unos seis meses. Y, ¿quiénes reprimieron ese movimiento? El militar encargado de controlar el Cuzco era un funcionario español llamado Joseph Pardo Ribadeneira. Fue apresado por los rebeldes y fue metido al calabozo. Este señor, que había reprimido a la rebelión, escribió un informe al virrey y en ese informe él decía que estos sublevados (donde había indios y mestizos) eran unos delincuentes, ignorantes y personas sin prestigio social. Entonces, esa narrativa de los rebeldes como delincuentes y no como protagonistas de una épica liberadora, se publicó y se convirtió en una de las fuentes más citadas de esa historia. Incluso, las historias en el colegio sobre esa rebelión no vienen tanto de la voz de los rebeldes, sino que vienen de los que reprimieron esas rebeliones.

Además, cuando esa rebelión sucedió, el hijo de ocho años de Joseph Pardo Ribadeneira llamado Felipe Pardo y Aliaga sufrió un trauma cuando su padre fue apresado por los rebeldes. Él vivió esta rebelión como una humillación a su padre. Entonces, era muy difícil considerarla como un acto de liberación, sino más bien, como una subversión del orden establecido. Ese niño de ocho años se convirtió en un político ultra-conservador, y escribió despectivamente de cómo ‘los indios van a llegar al poder’. Y luego su hijo se convirtió en el primer presidente civil del Perú: Manuel Pardo y Lavalle. Y el hijo de él también fue presidente del Perú.

 

¿Hubo intentos de poner otras fechas en el centro de la narración?
C.M.: El hecho de que recordemos ahora a 1821 no quiere decir que siempre fuera así. Incluso después de la independencia había el recuerdo de que la independencia empezó en 1814. Mas bien, el primer Congreso de la República que fue en 1822 recordó como héroes a los que se rebelaron en el Cuzco en 1814. Y en la memoria campesina que he estudiado en la zona de Ayacucho, se recordaba el día 14 como “el año primero de la libertad”.

1821 fue una narrativa que se fue estableciendo como la narrativa hegemónica desde relativamente temprano; hacia 1840 – en esa década, ya era bastante oficial. Antes había más fechas y había más multiplicidad.

En la época de Velasco se establece por primera vez en la historia oficial un comienzo de la independencia que está marcado por la rebelión de Túpac Amaru en 1780. En todo caso, a pesar de que Túpac Amaru se vuelve un héroe oficial, Velasco no eliminó la narrativa criolla – nunca sacó a San Martín – sino que le integró a esa narrativa criolla elementos y héroes indígenas. Pero lo interesante es que a partir de los años 90 y del 2000 salen esos elementos indígenas de la iconografía oficial, como son las monedas y esculturas públicas. Aparentemente se vuelve muy peligroso recordar las revoluciones. Después de Sendero Luminoso se convirtió en tabú, porque se podía asociar esto con Sendero Luminoso.

¿Cuáles considera que fueron los momentos en que el Estado peruano intentó incluir más a los sectores indígenas y rurales?
C.M.: Podríamos cuestionar esa misma formulación, dado que los sectores indígenas y rurales siempre han estado allí. Por eso, yo sostengo en mi libro La República plebeya que los caudillos militares, durante y después de la Independencia, no hubieran podido construir el Estado si no hubiesen tenido el apoyo de una base campesina. Ahora bien, en términos de la historia del siglo XX, hablando de un Estado más institucional y menos “guerrero” –como lo fue en el siglo XIX–, podemos distinguir dos momentos importantes de reformas desde el Estado en que se dieron derechos importantes y reconocimiento a los sectores rurales e indígenas. El primer momento fue el llamado “Oncenio de Leguía” (1919-1930) y el segundo momento fue el “gobierno revolucionario” de Velasco (1968-1975). Estos dos periodos fueron gobiernos autoritarios. En primer lugar, la Constitución de 1920, con Leguía, reconoció por primera vez en la república la existencia de comunidades indígenas y tierras comunales. Se abre un padrón para que se registren y se reconozcan a las comunidades indígenas como personas jurídicas, no es una ciudadanía individual. En segundo lugar, en el gobierno de Velasco, con el decreto de Reforma Agraria de 1969. Pero en ese momento hay un cambio de nombre importante: se convierte a esas “comunidades indígenas” en “comunidades campesinas”.

La gran paradoja es que la república, para poder ampliar la ciudadanía, tuvo que retornar a los derechos diferenciados, porque lo que hace Leguía durante su periodo fue traer o inspirarse en los tratados o leyes de Indias de la época colonial. En ese tiempo se establecieron los derechos diferenciados para indígenas (entonces llamados “indios”), mestizos o españoles. La república abolió estas diferencias legales, porque se suponía que en la república todos iban a ser igualmente peruanos, como lo dijo un decreto famoso de José de San Martín.

Por ese motivo, no se hizo referencia a derechos indígenas en ningún código civil o penal y en ninguna constitución desde 1821 hasta Leguía. El lenguaje legal de la república y el Estado peruano era un lenguaje igualitario. Pero esto cambia con Leguía y en esto puede haber, en el terreno jurídico, una diferencia con otros países de América Latina, porque es el Estado peruano el que se apropia y el que da esta identidad, y surge esta idea de que el Estado es el “patrón de los indios”. Leguía, por ejemplo, establece en su gobierno el “Patronato de la raza indígena.”

Fue una legislación muy paternalista que estuvo arropada por un lenguaje de eugenesia, donde la diferencia se convierte en inferioridad. Esa diferencia-inferioridad existía sobre todo en el régimen colonial, pero desde una concepción religiosa, pues la idea de “igualdad” no existía en la colonia. Esta es una idea republicana.

En el segundo momento, esta ampliación y reconocimiento de derechos ocurre con la reforma agraria de Velasco, que se parece un poco al proceso de Leguía, pero que da pie a un cambio de mayores repercusiones sociales.

Por ello, también la gran paradoja de la república es que los dos momentos de ampliación de la ciudadanía para la sociedad rural y reconocimiento de derechos a las poblaciones indígenas y campesinas por parte del Estado ocurren en periodos dictatoriales. Lo que yo sostengo, es que ahora estamos en un momento histórico distinto, pues existe la posibilidad de implementar grandes cambios de manera democrática, si es que el próximo presidente, que pertenece al sector rural y campesino, logra implementar los cambios que ha prometido con grandes expectativas. Lo más significativo de este cambio, si se da, es que sucedería por medio del sufragio. Además, la extensión del documento de identidad, a estos sectores históricamente marginados, que es el documento que permite votar, ha sido probablemente mayor que nunca. El hecho de que haya sido elegido como presidente alguien completamente ajeno a las élites, que han gobernado históricamente el país, es en sí una ruptura significativa con el pasado.

 

Usted se ha referido a la victoria electoral de Castillo como un momento histórico. Nos interesaría esa ambivalencia de tener un campesino rondero como presidente, pero también esos sectores de la ultraderecha que incluso reivindican símbolos del virreinato ¿Cómo se explica Usted esos fenómenos?
C.M.: Yo siempre veo esas cosas como algo perfectamente entendible, porque cuanto más radical es la democracia, más radical va a ser el rechazo a la democracia. En Perú se mezclan varias cosas. Porque en esta reacción contra Castillo confluyen intereses de mafias, y esa resistencia la estamos viendo en el congreso. … Mucha de la legistlación que les interesa aprobar es para defender ciertas mafias y grupos de interés que están aliados, y que son parte de este “partido” Fuerza Popular, pero tiene ramificaciones en otros “partidos”. Y el fiscal ha acusado a Keiko Fujimori de ser la jefa de una organización criminal y el partido es más bien como una fachada. Todo esto se junta con el rechazo racista a Castillo. A alguna gente que está rechazando a Castillo no le importa abrazar la mafia; algunos estarán metidos en la mafia y otros no. Por ejemplo, los que alzan la bandera de la cruz de Borgona, que es el símbolo del imperio español en la época de su apogeo con Carlos V, no necesariamente están metidos en la mafia de estos partidos, pero de algún modo le son instrumentales. Justamente, lo que estamos viendo es que cuando suceden procesos de democratización y ampliacion de la ciudadnía legalmente,  a partir del sufragio, la reacción contra ellos pierde elementos de legalidad y tiene que ir más allá de la legalidad para defender sus intereses. De allí que el fujimorismo levante con tanta insistencia la teoría del “fraude electoral” sin haber podido mostrar una sola prueba. Porque aunque dicen defender “la democracia” por oponerse al “comunismo” que supuestamente representa Castillo, sus hechos demuestran lo contrario.

Yo creo que aquí lo más importante es el nexo entre esas ideologías de ultraderecha y una violencia histórica anti-indígena que está representada también en esos símbolos de las marchas pro-Keiko. En un letrero grande se podía leer: “Castillo, Lima te repudia”, y hay dos dibujos de un hombre blanco dándole una patada a un campesino con el sombrero como lo tiene Pedro Castillo. Yo la llamo la “patada gamonal”. La violencia está allí en las pancartas y es una cosa muy violenta, porque están diciendo “Lima”, asumiendo la identidad de Lima, cuando hay muchas Limas. Cuando dicen “Lima te repudia”, están diciendo en realidad una Lima te repudia, la Lima de San Isidro (un distrito acomodado). Pero hubo casi dos millones de votos por Pedro Castillo en Lima, es decir, en la provincia o casco urbano de Lima.

Entonces, yo lo que creo es que hay una articulación, entre la cultura gamonal, o sea de la violencia abierta contra personas campesinas e indígenas, una violencia física, y una violencia económica, porque el gamonalismo une todo eso.  Se ejerció desde el siglo XIX, cuando el Estado se articulaba con los intereses de los comerciantes y hacendados mestizos y criollos para arrebatar los recursos a los indios. No estoy hablando solo de sus tierras, sino también monopolizar los mercados de productos, porque había muchas ferias campesinas. 

 

¿Qué consignas u objetivos políticos de la independencia del Perú, considera Usted, han quedado pendientes hasta el día de hoy?
C.M.: El principal sería la igualdad ante la ley. La igualdad de derechos ciudadanos. Este principio básico, el que cada persona tiene el derecho a un nombre, a una respetabilidad, a un honor, a un trato digno. Y ese derecho a la igualdad ante la ley, por más diferente que sea tu idioma, por más diferente que sea tu aspecto, está desde nuestra primera constitución de 1823 como una garantía constitucional inalienable, y a pesar del paso del tiempo siempre ha estado en nuestras once constituciones que hemos tenido a lo largo de los 200 años. Han cambiado muchas cosas, pero ese derecho de igualdad ante la ley y el derecho de tener una buena reputación y un nombre es lo que más se ha mancillado, como lo estamos viendo en estas elecciones. Se ha acusado a la gente de las zonas rurales de falsificar firmas. Se ha dicho que porque son de la sierra (que es un eufemismo para decir campesinos), “no saben”. Se han exhibido públicamente sus nombres y sus firmas, acusándolos de falsificadores, de suplantar identidades sin cotejar con ellos, como si no existieran, como si fueran invisibles, acusándolos de crímenes espantosos. Eso, por ejemplo, es atentar contra el derecho a un nombre, el derecho a la respetabilidad. Entonces, hay cosas básicas que tienen que ver con el reconocimiento de la ciudadanía y de la humanidad del otro, que no estaban en la legislación colonial. Es lo que nos trae la república y que todavía no se llega a cumplir.


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