Alte Wunden, junge Wut

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Deutsche Unternehmen in Peru halten sich nur teilweise an LKSG

Fürs Lieferkettengesetz Die NGO Equidad (Enrique Fernández-Maldonado und Paskal Vandenbussche) unterstützt peruanische Gewerkschafter (José Arredondo und Henry Anccasi) (Foto: Annabelle Köchling)

Was hat sich seit Ihrem letzten Besuch in Berlin verändert?
Enrique: Nach unserem Besuch 2023 ist eine der Firmen, die im Bericht (siehe Infokasten, Anm. d. Red.) genannt wurden, Bayer Vegetales Perú, aufmerksam geworden und hat eine Delegation nach Peru geschickt, um sich vor Ort ein Bild der Situation der Arbeiter*innen zu machen. Daraufhin hat sich ein Gespräch eröffnet, wie man die Probleme mit der Gewerkschaft lösen könnte. Aber nicht alle Firmen sind so eingestellt und haben reagiert. Es gibt welche, die sich von den Menschenrechtsstandards entfernen. Deshalb müssen wir beim BAFA weiter darauf hinweisen, dass das LKSG noch nicht überall eingehalten wird.

Sie hatten Treffen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dem BAFA, Stiftungen und Gewerkschaften. Auf welche Reaktionen sind Sie gestoßen?
Enrique: Es gab Interesse der Stiftungen und Gewerkschaften. Sie haben sich bereit erklärt, uns beim Knüpfen von Kontakten zu helfen. Das hatten wir erhofft. Das BAFA hat eine Evaluation angekündigt. Das BMZ möchte mit der deutschen Botschaft in Lima in Kontakt treten, um unsere Forderungen weiterzugeben. Uns reicht es aber nicht, dass sie das alles im Blick behalten. Die Firmen sollen klare Zeichen setzen und die deutsch-peruanische Handelskammer sowie NGOs und Gewerkschaften können gemeinsam eine entscheidende Rolle dabei spielen.

Was ist das Problem?
Enrique: Firmen sollen die Rechtmäßigkeit und Repräsentanz von Gewerkschaften anerkennen, die Arbeitnehmer*innenrechte vertreten, damit Probleme im Arbeitsalltag gelöst werden können. Gewerkschaften können nicht immer effektiv verhandeln. Obwohl Bayer zum Beispiel Komitees gebildet hat, um bestimmte Probleme zu lösen, gab es in den vergangenen Jahren Probleme damit, dass sie ihre wirtschaftlichen Informationen nicht beizeiten an die Gewerkschaften weitergegeben haben. So wurden gemeinsame Verhandlungen erschwert. Heinz Glas Perú hat noch kein gemeinsames Abkommen verabschiedet, sodass sechs Anklageschriften offenbleiben.

Henry, Sie sind Gewerkschaftsführer bei Heinz Glas. Wie sieht es in diesem Unternehmen aus?
Heinz Glas zeigt keinerlei Bereitschaft für Verhandlungen oder einen Austausch. Im Gegenteil: Wir hatten Konflikte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen. Sie haben uns nichts Neues angeboten.

Haben Sie gestreikt?
Ja, aber das führte zu keinem positiven Ergebnis. Wir haben uns bemüht, mehr Gewerkschaftsmitglieder zu rekrutieren, aber das hat nicht funktioniert. Während der Pandemie ist unsere Mitgliederzahl von 65 auf 20 gesunken. So konnte Heinz Glas die Gewerkschaft rechtmäßig auflösen. Sie wollten, dass die Gewerkschaft verschwindet, obwohl sie offiziell legal weiterbestand. Wir haben uns stark benachteiligt gefühlt und haben eine neue Gewerkschaft gegründet, damit Heinz Glas sieht, dass es eine Arbeiter*innenvertretung gibt. Doch dann wurde mir nach der Gründung der neuen Gewerkschaft gekündigt.

Und wie ist es bei Bayer Vegetales Perú?
José: Wir haben eine andere Erfahrung gemacht. Seitdem 2023 eine Delegation der Firma nach Peru gekommen ist, die sich mit der Gewerkschaft und den lokalen Geschäftsführern getroffen hat, stehen wir bei Problemen im Austausch. So haben wir das Problem mit dem Arbeitsweg gelöst: Es gibt jetzt Busse, die uns zur Firma bringen. Außerdem Sanitäranlagen und Verpflegung auf den Feldern. Da gibt es zwar manchmal Probleme, aber wir sprechen mit der Firma, wie wir sie lösen können. Dieser offene Austausch ist durch die Existenz des LKSG entstanden.
Das Gesetz hilft uns als Gewerkschaft, Respekt für Arbeitnehmerrechte zu generieren. Aber es ist noch nicht alles gelöst. Derzeit sprechen wir über die Rotation von Arbeiter*innen. Zu bestimmten Zeiten gibt es in der Firma nicht genug Arbeit für alle, sodass manche suspendiert werden und keinen Lohn erhalten. Sie verlieren auch ihre Krankenversicherung. Ein weiteres Problem ist der Informationsfluss über die wirtschaftliche Situation der Firma. Sie machen uns gegenüber unvollständige Angaben. Außerdem gibt es Angestellte, „Outgrower“, die nicht auf der zentralen Plantage in Ica arbeiten, sondern in anderen Teilen Perus. Sie haben nicht die gleichen Rechte wie wir.

Gibt es auch umweltrechtliche Probleme?
Enrique: Ja, es gibt nicht mehr genug Wasser in der Gegend der Hauptplantage von Bayer. Der Grundwasserspiegel ist nach den vergangenen 20 Jahren Raubbau gesunken. Die Zone dort an der Küste südlich von Lima ist sehr trocken und sandig, man kann da nur Landwirtschaft betreiben, indem man sich Zugang zum Grundwasser verschafft. Das hat den Druck erhöht, neue Quellen für die Wasserversorgung zu finden.

Wie hilft die Zusammenarbeit mit Equidad?
José: Equidad ist unser Verbündeter. Früher blieben unsere Anliegen auf lokaler Ebene. Seit 2023 haben wir die Aufmerksamkeit öffentlicher Ämter, wie des BAFA, geweckt. Die Unternehmer sind vorsichtiger, die Arbeiterinnenrechte nicht zu verletzen und reagieren auf unsere Anfragen schneller, um keine Probleme zu bekommen. Henry: Dank Equidad haben wir Aussicht auf, einen Dialog mit Heinz Glass, damit sie sich an die Einhaltung des LKSG halten. Und dank Equidad sind wir hier, damit uns zugehört wird. Enrique: Wir als Organisation schlagen den Unternehmen vor, in Austausch mit ihren Angestellten zu treten, um die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen. So verbessern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen. Für die Gewerkschaften ist vieles Neuland. Wir informieren sie zum Thema, damit sie die Debatten auf internationaler Ebene kennenlernen. Warum ist die internationale Ebene so wichtig? Weil die peruanischen Institutionen nicht ausreichen, um Unternehmen zu regulieren.

Geht es auch darum, Druck auszuüben?
In erster Hinsicht eröffnen wir den Dialog. Zudem sind wir hergekommen, um über die Probleme mit deutschen Firmen in Peru zu sprechen. Ein weiterer Schritt wäre, Klage einzureichen. Bayer hat vorher reagiert. Sie wollen keine Klage. Abhängig von der Schwere erwarten die Firmen hohe Strafzahlungen. Bayer hat Angestellte auf der ganzen Welt, da ist es leicht, dass jemand Klage einreicht. Das hat Alarm bei ihnen ausgelöst. Heinz Glas aber tun so, als würde das Gesetz für sie nicht existieren und als lebten sie im 20. Jahrhundert.

Was wünschen Sie sich als Organisation?
Wir sind nicht gegen die Unternehmen, denn ohne Unternehmen gibt es keine Arbeit, keine Dienstleistungen und keinen Beitrag zur Staatskasse. Aber wir wünschen uns, dass Firmen Arbeitsrechte respektieren, auf die Umwelt und auf Konsument*innen achten. Sie sollen eine ehrliche Beziehung zur Regierung pflegen. Und damit das eintritt, nutzen wir die internationalen Mechanismen, denn die nationalen Instanzen sind beschränkt.

Was motiviert Sie persönlich, José?
José: Bessere Arbeitsbedingungen für unsere Arbeiter*innen zu erreichen, und dass das Gesetz bestehen bleibt.


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Wenn die Toilette zum Argument wird

Der Weg zur Gleichberechtigung Trans* Menschen in Peru müssen weiterhin dafür kämpfen (Foto: Connie France)

Das neue Gesetz soll das Recht von Kindern und Jugendlichen auf sexuelle Unversehrtheit stärken und verbietet den Zutritt zu Toilettenräumen für „jede Person, deren biologisches Geschlecht nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, für die der Service vorgesehen ist“. Im Angesicht der Verabschiedung des Gesetzes signalisiert Cath Candela von der Organisation Féminas Perú, einer selbstorganisierten NGO von trans* Frauen: „Wieso macht man ein Gesetz ohne wissenschaftliche Grundlage, ohne Beweise? Keine öffentliche Politik (in unserem Land) verhindert unsere Marginalisierung.”

Der Gesetzesvorschlag entstand am 31. März als reaktionäre Antwort auf eine Kampagne von Susel Paredes, Abgeordnete des peruanischen Parlaments und LGBTIQ+ Aktivistin. Diese Kampagne zum peruanischen Tag für die Sichtbarmachung von trans Identitäten lautete „Diversität und Rechte: Kämpfen für die Gleichheit und Gerechtigkeit” und gewährte den freien Zugang zu Toilettenräumen für alle Teilnehmenden je nach geschlechtlicher Identität. Die Veranstaltung wurde jedoch durch die Abgeordnete Pastorin Milagros Jaúregui vor dem Ethikkommittee des peruanischen Kongresses angezeigt, mit dem Argument: „Wieder wurde ein inakzeptabler Akt und eine Respektlosigkeit gegen die Rechte der Frauen begangen. (…) Es wurde zugelassen, dass Männer in Toiletten eintraten, die exklusiv für Arbeiterinnen designiert sind. Diese Veranstaltung stellt eine klare Verletzung der Privatsphäre und der Würde der Frauen dar, die in dieser Institution arbeiten…”. Der Anklage wurde stattgegeben und Susel Paredes vom Kongress suspendiert.

Als Antwort auf eine Inklusionskampagne wurde das Gesetz über die sexuelle Unversehrtheit von Minderjährigen durch die konservative Abgeordnetenbank im Kongress durchgesetzt und von der Präsidentin Boluarte am 13. Mai verabschiedet. Dabei stützen die betroffenen staatlichen Institutionen die Verabschiedung nicht, wie das unabhängige peruanische Kommunikationsmedium Wayka. Das Ministerium für Justiz und Menschenrechte, das Bildungsministerium und das Ministerium für Wohnen, Bau und sanitäre Versorgung sprachen allesamt kritische Hinweise über die Umsetzbarkeit des Gesetzes aus und verlangten seine erneute Evaluierung – trotzdem wurde es ohne Revisionen freigegeben. Außerdem präsentierte das Lobby-Kommittee der Travesti-Vereinigung (Asociación de Travestis) einen Bericht, der die Rechtsverletzungen offenlegt, die das Gesetz in Bezug auf das in der Verfassung verankerte Prinzip der Gleichheit und des Verbots von Diskriminierung darstellt. Ebenso verweisen sie auf Artikel 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention: „Es ist fundamental, sich über die Reichweite dieser transphoben Verordnung auszusprechen. Manch einer könnte meinen, dass er sogar strafrechtliche Sanktionen vorsieht, aber das ist nicht der Fall: Das Strafgesetzbuch wurde nicht geändert”, kommentierte Manuel Siccha, Vertreter des Comité de Incidencia Política.

Das Gesetz über die sexuelle Unversehrtheit von Minderjährigen offenbart die Unklarheit der Regierung was den Schutz geschlechtlicher Diversität angeht. Die fehlende Priorisierung zeigt sich unabhängig von der konservativen Agenda auch in der Inexistenz von vorherigen Gesetzen für den Schutz der Rechte sexuell diverser Identitäten. Die einzigen Maßnahmen, welche die trans* community einbeziehen und aktuell in Kraft sind, sind die Identifikation von trans* Frauen im Bereich Gesundheit – aufgrund ihrer ‘Inzidenz’ unter HIV-Erkrankungen sowie an öffentlichen Orten mit der Kommunalverordnung: „In diesem Lokal ist Diskriminierung jeder Art verboten”. In letzterer wird durch die Gleichsetzung jeder Art von Diskriminierung die Intersektionalität der gewaltvollen Handlungen übergangen, und eine generische Definition dessen propagiert, was als Diskriminierung gilt. Der Respekt für verschiedene geschlechtliche Identitäten und das Recht auf die Nutzung von Toilettenräumen sind nicht ausdrücklich benannt, weswegen diese Art von Verordnungen ihre Schutzfunktion verlieren. Mehr noch, wenn soziopolitische Kräfte – Polizei, Geschworene, Bürgerinnen – nicht die Existenz der trans community legitimieren, können sie stattdessen diskriminierende Handlungen fortsetzen, ohne dass sie als Verstoß gegen die kommunalen Vorschriften gelten. In anderen Worten, sie genießen Straffreiheit und die Rückendeckung der Autoritäten. Das Gesetz zur sexuellen Unversehrtheit von Minderjährigen macht also ein System der Straffreiheit für diskriminierende Handlungen sichtbar und zeigt die Nutzlosigkeit der Politik zum Schutz von Diversitäten.

Foto: Connie France

In diesem konservativen Kontext halten sich stereotypisierende Diskurse über das ‘Risiko’, das die Nutzung von Toiletten durch trans* Personen darstelle. Es ist eines der meistgenutzten Argumente gegen die trans* community in Peru. Kürzlich erhielt der internationale Flughafen Jorge Chávez eine Beschwerde einer Bürgerin wegen seiner Beschilderung, die die Toiletten zu ihrer Unterscheidung auswies für „Personen femininer Identität” und „Personen maskuliner Identität”. Daraufhin änderte der Flughafenbetreiber Lima Airport Partners die Beschilderung zu „Frauen in ihrer Diversität” und „Männer in ihrer Diversität”. Dennoch hielt sich die Unzufriedenheit in den konservativen Sektoren, die mit dem Risiko für Frauen und Mädchen argumentierten. Durch den externen Druck steht auf den Toilettentüren jetzt wieder „Frauen” und „Männer“. Diese Art von Kampagnen versuchen, die Verantwortung für Übergriffe auf Frauen und Mädchen in Toiletteneinrichtungen auf die trans* community zu projizieren.
Es existieren jedoch nur Belege für Übergriffe auf trans* Personen in Peru, aber keine repräsentativen Belege für Übergriffe durch diese. Laut Presentes, einem unabhängigen journalistischen Medium, das die Themen gender und sexuelle Diversität behandelt, wurden von den 54 zwischen 2020 und 2023 begangenen Verbrechen gegen die LGBTIW+ Community über die Hälfte (30) gegen trans* Personen begangen. Gleichzeitig werden in Peru auf verschiedenen Ebenen transphobe politische Handlungen durchgesetzt – so ordnet ein Dekret von 2024 über die Einbindung von Diagnostik ‘Transsexualität’ als psychische Störung ein. Zynischerweise wird im Angesicht von Diskriminierungsfällen gegenüber trans* Personen bei der Nutzung von Toiletten empfohlen, einfach den Geschlechtseintrag auf dem Ausweis anzupassen. Diese Antwort erhielt die Transfrau Valensue, als sie Beschwerde bei der internationalen Fitnessstudio-Kette Smart Fit einreichte, nachdem ihr der Zugang zur Frauentoilette verwehrt worden war. Das Unternehmen antwortete, dass sich die Zuordnung der Toiletten auf den Eintrag im Ausweisdokument beziehe, was durch die Verbraucherschutzorganisation INDECOPI gestützt wurde, welche den Ausweis als einzige „objektive” Quelle für die Bestimmung des Geschlechts einer Person festsetzte.

Der Prozess zur Änderung des Geschlechtseintrag in Ausweisdokumenten ist in Peru von großen Hürden geprägt: die finanziellen Kosten, die komplexe Bürokratie und die Reviktimisierung durch Gerichte, die entscheiden, ob einer Änderung stattgegeben wird. Einer Reportage von Elizabeth Salazar und Carla Díaz zufolge, die 203 Akten zur Geschlechtsänderung analysierte, belegt, dass die Rechtsprechung einen gewaltvollen Diskurs reproduziere, der in legalem Unwissen und diskriminierenden Stereotypen verankert ist. So fordert dieser Nachweise über chirurgische Eingriffe und Hormonbehandlungen als notwendig für den Änderungsantrag: Dokumente also, die die Pathologisierung und biologistische Ideen davon aufrechterhalten, was es bedeutet, trans* zu sein und so die Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen einfordert. Die rechtlichen Restriktionen basierend auf einem biologischen Geschlecht kriminalisieren die trans* community. So erwähnt die Aktivistin und Journalistin Gianna Camacho: „Sie nutzen dieses Stigma, dieses Vorurteil über uns”, und weiter: „Dieses Gesetz reproduziert falsche Ideen über trans* Personen und hat keinen Vorgänger in anderen Ländern der Region.” Mit diesem Gesetz wird erwartet, dass der Körper gemäß von traditionellen Geschlechterrollen funktioniert, welche die Erfahrung von Geschlecht jeder trans* Person einschränkt.

Die Straffreiheit im Angesicht von Hassverbrechen, Diskriminierung und Gewalt gegen die trans* community ist Verantwortung des Staates, da dieser die Transphobie anhand von Regierungshandlungen wie dem Gesetz zur sexuellen Unversehrtheit Minderjähriger institutionalisiert. Der Diskurs des Risikos durch die Toilettennutzung durch trans* Personen ist somit letztlich durch Autoritäten validiert, durch die Zivilgesellschaft aufrechterhalten und durch Rechtsmittel des Staates legitimiert. Mehr noch, die Institutionalisierung fördert die Schutzlosigkeit und Unsichtbarmachung der trans* community. Deswegen braucht es dringend politische Schutzmaßnahmen, die die politische, rechtliche und zivile Integrität von trans* Identitäten sicherstellen. Die generischen Verordnungen öffnen Gesetzeslücken für ihre freie Interpretation und Nutzung, aber eine öffentliche Politik könnte Handlungsmacht geben und die soziopolitische Existenz der trans* community anerkennen. Wir können diskriminierende Handlungen mit Rechtsnormen korrigieren, die die Vielfalt schützen, anstatt mit Gesetzen, die mit vermeintlichen Schutzabsichten ihre Verletzung verursachen.


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„Länger inhaftiert als Nelson Mandela“

Zum Originaltext hier klicken

Foto: Privat.

César Oyola ist Strafverteidiger und Menschenrechtsanwalt. Seit 20 Jahren ist er leitender Anwalt von Víctor Polay. Gemeinsam mit Familienangehörigen und Anwälten von Polay reichte er im Jahr 2007 eine Klage bei der Interamerikanische Kommission für Menschen­rechte (CIDH) wegen Verletzung von Polays Menschenrechten ein, die 2022 angenommen wurde.

Wie kam es dazu, dass Sie Victor Polay als Anwalt vertreten?
Ich stamme aus Huancayo, die Region Perus, die nach Ayacucho am meisten vom bewaffneten Konflikt betroffen war. Ich war immer mit der katholischen Kirche verbunden, die aktive Menschenrechtsarbeit machte. Gleichzeitig sah ich, wie sich Nachbarn, Studenten und Berufstätige der MRTA anschlossen. Menschen aus vielen linken und sozialen Organisationen schlossen sich damals der MRTA an, etwa Bauern oder Bergleute. Aber auch Menschen, die nicht einmal links waren, wurden während des Konflikts gesucht, eingesperrt, gefoltert und verschwinden gelassen. Das hat mich sehr besorgt. Deshalb habe ich die Verteidigung einiger Personen übernommen, nicht nur völlig Unschuldiger, sondern auch von Personen, die zu 20 Jahre Haft verurteilt wurden, weil sie „MRTA“ auf eine Wand geschrieben hatten. Personen, die auf die eine oder andere Weise – verkehrt oder nicht – ein gerechteres, besseres Peru erreichen wollten. Ich und andere Anwälte vertraten die Ansicht, dass Víctor Polay und die Mitglieder der MRTA Akte der Rebellion, nicht aber des Terrorismus begangen hatten. So kam es zu einer Annäherung mit seiner Familie.

Rebellion, aber kein Terrorismus – können Sie das näher erläutern? Inwiefern unterscheidet sich die MRTA vom Leuchtenden Pfad, der anderen bekannten Guerrillabewegung in Peru?
Leider hat der Staat beide Guerrillabewegungen stets gleichgesetzt, aber tatsächlich unterscheiden sie sich in ideologischer, politischer und strategischer Hinsicht stark. Die MRTA bezog sich ideologisch vor allem auf den Indigenen Freiheitskämpfer Túpac Amaru II, mehr noch als auf den Marxismus. Laut dem Statut der MRTA durften ihre kriegerischen Handlungen nicht die Zivilbevölkerung treffen und mussten im Einklang mit der Genfer Konvention erfolgen. Die MRTA hat zwar Verbrechen, aber nie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Weder im Bericht der Wahrheitskomission noch in Gerichtsurteilen findet sich ein Hinweis auf gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Handlungen oder Massaker. Es gab auch keine Auseinandersetzungen zwischen ronderos (bäuerliche, Indigene Organisationen, Anm. d. Red.) oder anderen Basisorganisationen und der MRTA, weil die MRTA diese Organisationen respektierte. Die MRTA hat nie systematisch Strommasten, Brücken oder Viehbestände angegriffen, da sie sagte, dass Brücken Infrastruktur seien, die dem Volk dienen und dass das Vieh die Mühen der bäuerlichen Organisationen repräsentiere. Die ronderos haben sich wiederum für die Demobilisierung des Leuchtenden Pfades ausgesprochen, was ein wichtiger Faktor bei seiner Niederlage war. Der Leuchtende Pfad hat Führungspersonen der peruanischen Linken ermordet, was die MRTA niemals getan hat.
Der peruanische Staat hat sich sehr schwer damit getan, anzuerkennen, dass die MRTA im Gegensatz zum Leuchtenden Pfad in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention gehandelt hat: Bei ihren Guerrillaaktionen ist sie uniformiert aufgetreten und mit Regeln, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Rechtlich wurden der Leuchtende Pfad und die MRTA jedoch vom Staat ohne Unterschied des Terrorismus beschuldigt und entsprechend verfolgt. Victor Polay ist jedoch in keinem einzigen Fall des Mordes angeklagt. Die peruanischen Richter haben bei ihm erstmalig das Prinzip der mittelbaren Täterschaft angewendet – auch wenn er selbst kein Verbrechen begangen hat, bekam er als Anführer der Organisation die höchste Strafe.

Wie sind die Haftbedingungen von Víctor Polay und anderen Inhaftierten der MRTA?
Seit 1993 ist Víctor Polay im Militärgefängnis von Callao inhaftiert, während der ersten zehn Jahre in einer nur zwei mal drei Meter großen Zelle, die er nur für eine halbe Stunde pro Tag verlassen durfte. In dieser Zelle schlief er, verrichtete sein Geschäft und bekam über ein Fenster sein Essen. Eine halbe Stunde pro Monat durfte er in Begleitung eines Offiziers mit einem Familienmitglied sprechen, insgesamt also sechs Stunden Familienkontakt pro Jahr. Der Rest war totale Isolierung. Erst als sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, der nationale Ombudsmann und die Interamerikanische Kommission für Menschen­rechte (CIDH) einmischten, verbesserten sich seine Haftbedingungen. Vor zwei Jahren hat die CIDH endlich festgestellt, dass Víctor Polay Opfer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung sowie psychologischer Folter war. Wir haben unzählige Haftprüfungsverfahren angestrengt, damit Víctor in ein staatliches Gefängnis verlegt wird oder, falls er im Militärgefängnis bleibt, zumindest von Personal der staatlichen Gefängnisbehörde INPE betreut wird, die im Einklang mit der Verfassung auch die Resozialisierung von Gefangenen im Blick hat. Dem Militär geht es dagegen nur um Bestrafung und Disziplinierung. Víctors Rechte werden nach wie vor beschnitten: in anderen Gefängnissen haben Inhaftierte das Recht zu studieren und jeden Sonntag Freunde zu empfangen. Víctor dagegen darf bis heute nicht studieren und nach wie vor lediglich Familien­angehörige ersten Grades sowie seine Anwälte empfangen. Besucher werden in diesem Gefängnis zudem vom Militär erniedrigt, anschließend verfolgt und zum Ziel von terruqueo. Víctors Fall ist beispiellos: 35 Jahre inhaftiert unter diesen Bedingungen, das ist sogar länger als Nelson Mandela. Die peruanische Presse hat über seine Haftbedingungen und rechtliche Situation jedoch nie berichtet.

Sie erwähnen das peruanische Phänomen des terruqueo. Worum handelt es sich und welche Bedeutung hat es heute in der Politik von Peru?
Wir sprechen von terruqueo, wenn rechte Politiker und der Staat ihre politischen Gegner herabsetzen, wenn sie Linke abseits jeglicher Argumente oder Objektivität als Terroristen bezeichnen. Das ist mittlerweile zur Normalität in Peru geworden. Früher traf der terruqueo hauptsächlich die Mitglieder der Guerrilla selbst, deren Anwälte oder Familienmitglieder. Heute wird unter Verweis auf die politische Gewalt der 80er Jahre versucht, Ängste zu wecken. Der terruqueo trifft jeden, der politisch links ist – auch Sozialdemokraten oder einfach nur Menschen, die vor zwei Jahren wegen der über 50 Toten (siehe LN 594) auf die Straße gingen. Es reicht, gegen das politische Establishment zu sein.
Immerhin gibt es eine Veränderung. Im Jahr 2021 gewann Pedro Castillo die Präsidentschaftswahl, obwohl er mit am meisten unter dem terruqueo zu leiden hatte. Die Leute merken, dass der terruqueo nicht mehr glaubwürdig ist. Sogar die Präsidentin Dina Boluarte hat damit aufgehört, weil sie verstand, dass man ihr nicht mehr glaubt.

Seit kurzem wird der Fall des Massakers von Molinos im Jahr 1989 neu aufgerollt. Worin liegt seine Bedeutung?
Weder der peruanische Staat noch die Justiz haben Verantwortliche für dieses Massaker benannt, bei dem etwa 60 MRTA-Kämpfer ermordet worden sind. Das hat mit der Verwicklung des Expräsidenten Alan García in diesen Fall zu tun. Es sind 36 Jahre vergangen, und erst vor zwei Jahren hat ein mutiger Staatsanwalt bekräftigt, dass dieser Fall unter der Genfer Konvention verhandelt werden müsse. Er verlangte auch, dass die Verantwortlichen angezeigt sowie die sterblichen Überreste an die Angehörigen übergeben werden müssen, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Die Wahrheit ist, dass etwa 20 Guerrilleros sich ergaben, aber dennoch außergerichtlich ermordet oder verschwinden gelassen wurden.
Zuvor gab es erst einen Fall, in dem ein Gericht anerkannt hat, dass ein MRTA-Kämpfer, der sich ergeben hatte, anschließend hingerichtet wurde. Der Fall Molinos ist allerdings weit bedeutsamer, da eine der Parteien die Genfer Konvention nicht eingehalten hat. Der Staatsanwaltschaft bleibt nichts übrig, als die verantwortlichen, bisher straffreien Generäle bald anzuklagen.
Viele denken, dass Alan García sich 2019 wegen seiner Verwicklung in Korruptionsfälle das Leben genommen hat. Es wurde jedoch auch wegen des Massakers von Molinos gegen ihn ermittelt: Zwei Monate vor seinem Selbstmord wurde er benachrichtigt, dass er in dem Fall als Beschuldigter aussagen müsse.

Warum gibt es in Peru keine Eingliederung ehemaliger Guerrilla-Kämpfer*innen in die Politik, so wie in anderen Ländern Lateinamerikas?
Gustavo Petro, Dilma Rousseff, Pepe Mujica oder Salvador Sánchez waren einst bei der Guerrilla, viele andere mit einer solchen Vergangenheit kamen an die Macht oder tun es vielleicht noch. Leider passiert das in Peru nicht. Seit zwölf Jahren ist zum Beispiel mit Mirko Ruiz jemand Staatsanwalt für Terrorismus, dessen Vater von einem MRTA-Kommando ermordet wurde. Das war ein Verbrechen, das wir bedauern, aber trotzdem sollte Mirko Ruiz sich für befangen erklären. Stattdessen missbraucht er seit Jahren sein Amt, um Menschen politisch zu verfolgen und Rache zu nehmen. Heute gibt es gegen über 1.000 Personen Prozesse wegen angeblicher Verharmlosung des Terrorismus, nur weil sie Sätze wie „Víctor Polay – Freiheit, Ruhm und Ehre“ gesagt haben. Seit dem Ende des bewaffneten Konfliktes hat es kein Politiker vermocht, einen Schlussstrich zu ziehen. In Kolumbien hat der ehemalige Präsident Santos die Befriedung vorangebracht. In Peru hat sich dagegen niemand darum gekümmert – im Gegenteil, um einen politischen Nutzen zu erzielen, behaupten die Politiker hier, dass es immer noch Terrorismus gibt.

Víctor Polay müsste im Januar 2026 aus der Haft entlassen werden. Trotzdem werden noch neue Strafprozesse gegen ihn eröffnet.
Auch dank Mirko Ruiz werden immer wieder haltlose Anschuldigungen gegen Víctor vorgebracht, um seine Haftentlassung zu verhindern. Wir hoffen, dass das zu den Akten gelegt wird. Präsidentin Dina Boluarte hat jedoch erklärt, dass Víctor Polay nicht freigelassen wird, solange sie an der Macht ist – sie spielt sich als Richterin und Staatsanwältin auf und respektiert die Unabhängigkeit der Justiz nicht. Víctors Freilassung fällt außerdem in die Zeit des Wahlkampfes, und alle Politiker werden sagen: „Wie ist es möglich, dass nun der Terrorismus zurückkommt?“


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Al margen de la vida digna

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Fuente: Dreamstime
Fuente: Dreamstime

El panorama político pone en riesgo el acceso pleno a este derecho. Frente a las elecciones presidenciales del 2026, en Perú toman fuerza los movimientos conservadores y se acentúa un discurso político de posturas fundamentalistas y anti-género. Por ejemplo, el actual alcalde de Lima, Rafael López Aliaga, quien contempla su candidatura para el 2026, se pronunció contra la legalización del aborto, señalando que: “El aborto es el crimen más abominable que existe en la realidad humana”.

En los primeros meses de 2025, partidos ultraconservadores, en particular “Renovación Popular”, han realizado avances para declarar la inconstitucionalidad de la Guía del Aborto Terapéutico, desde el Ministerio de Justicia. Así mismo, la congresista Milagros Jáuregui, pastora evangélica, y el abogado Alejandro Muñante han presentado varios proyectos de ley en contra de la aplicación del aborto terapéutico, de la enseñanza de Educación Sexual Integral en los colegios, y del enfoque de igualdad de género en el currículo escolar, por no formar parte de su visión “profamilia y provida”. Estas acciones generan un retroceso en el acceso al aborto terapéutico en el Perú: “Mientras otros países de la región avanzan en la despenalización del aborto, Perú retrocede. Es inverosímil que no pueda garantizarse la accesibilidad al único tipo de aborto permitido. Nuestra legislación es draconiana”, señaló la abogada feminista Josefina Miró Quesada en Infobae.

Los casos más conocidos a nivel nacional son precisamente aquellos en los que se deniega el acceso a la interrupción del embarazo a menores de edad, como el de una menor de 13 años en Pucallpa, a quien se le impidió el procedimiento en octubre de 2024.La menor fue abusada sexualmente y fue forzada a continuar un embarazo riesgoso, producto de ello. Luego del parto, la adolescente entró en estado crítico y requirió cuidados intensivos, mientras que su agresor sigue impune hasta la fecha. La justificación sobre por qué se le negó el AT fue que el bebé sería utilizado como “prueba de delito”.

Ante esto, las alternativas que quedan son: continuar con el embarazo forzosamente, acudir a un servicio de aborto clandestino o pagar la atención en una clínica particular. Estas opciones, además de ser revictimizantes, suelen exponer a las gestantes a discursos discriminatorios o de violencia.

Legalmente permitido, socialmente prohibido

Junto a estos discursos, los casos de violencia sexual hacia mujeres menores de edad han aumentado desde la última elección presidencial: Según los Centro de Emergencia de la Mujer, en el 2024 se han reportado más de 27.700 casos en contraste con 14.500 casos registrados en el 2021. Durante los meses de enero y marzo del 2025, el CEM reportó 4.456 casos de violencia sexual en mujeres menores de edad, de los cuales 1.841 fueron gestantes menores. Considerando que, desde el 2014 se realizaron 3 347 abortos terapéuticos. La conclusión sobre esta brecha es significativa: existen más casos de violencia sexual reportados en niñas y adolescentes en el primer trimestre del 2025, que casos de aborto terapéutico en los últimos 10 años. En suma, la abogada Josefina Miró Quesada, indicó un dato alarmante: “Entre 2012 y 2022, de casi 10.000 casos de aborto procesados en el sistema penal, ¡21 correspondían al aborto terapéutico, pese a no ser un delito en el país! La criminalización del aborto se extiende incluso a los servicios legales”.

Si bien estas cifras se encuentran a disponibilidad del público y los medios de comunicación, no son enunciadas con la misma fuerza que los casos de AT cuyas causantes y consecuencias son trágicas y permanentes. No obstante, organizaciones como el Centro de Promoción y Defensa de los Derechos Sexuales y Reproductivos (Promsex) apuestan por el acceso libre a los derechos reproductivos y para ello, apoyan dichos procesos legales en contra del Estado, cuando estos son transgredidos. Sobre esto, Promsex ha hecho visible la violación de este derecho en cuatro casos llevados a comités internacionales con fallos en contra del Estado Peruano. Estos casos exigieron la indemnización financiera para los procedimientos médicos necesarios, una subvención social para la continuidad de la educación escolar y superior de las solicitantes y, la reconstrucción del proceso legal para el acceso al AT; es decir, volverlo más accesible, menos burocrático y con capacitaciones para evitar su obstaculización por el personal de salud.

Foco en el merecimiento

El fallo más reciente ha sido el de Camila (2017-2023), una menor de edad que se encontraba en estado de gestación por abuso sexual. Le fue denegado el acceso al aborto terapéutico dado que su riesgo mental – en tanto alegó que, al enterarse del embarazo, quería suicidarse– no era considerado justificante para interrumpir el embarazo. En el transcurso, Camila sufrió de un aborto espontáneo y, en el 2018, la Fiscalía inició una causa contra la menor por el delito de aborto. Sobre esto Camila señaló que “el Poder Judicial se convirtió en un ‘segundo agresor’, acusándola por el delito de aborto, causándole daños directos como la pérdida de su lugar de arraigo, de su círculo social y la afectación de su proyecto de vida”. Para el 2019, tras interponer un recurso de apelación, la sentencia fue revocada y, para el 2021, su denuncia fue atendida por el Comité de Derechos del Niño de las Naciones Unidas. Este falló a favor de Camila, más hasta la actualidad el Estado no ha cumplido con las reparaciones económicas ni sociales exigidas, y tampoco ha revisado la guía técnica para el AT.

Este caso generó conmoción en los medios de comunicación, que reconocieron que Camila fue discriminada, judicializada y revictimizada pese a cumplir con las condiciones necesarias para acceder a un aborto terapéutico. Los medios locales se mostraron a favor de las reparaciones económicas y sociales solicitadas al Estado y abogaron por la revisión del protocolo de acceso al AT, para que el derecho pueda ser efectivo.

En estas noticias, además, se hizo alusión a varios fallos previos contra el Estado peruano. Uno de ellos es el caso K.L., una adolescente de 17 años que fue obligada a continuar con el embarazo de un feto anencefálico, pese a contar con la autorización médica para el aborto terapéutico. K.L. dio a luz a una bebé que solo vivió 5 días. Por esto, el Estado fue denunciado en 2002 ante el Comité de Derechos Humanos (CDH), el cual 3 años después falló a favor de K.L.

Por otro lado, está el caso de L.C., una adolescente de 13 años que, tras quedar embarazada por abuso sexual, intentó suicidarse. Necesitaba una operación urgente para evitar la parálisis, pero el hospital la negó por su embarazo, alegando que no había peligro inmediato. Tras tres negativas al AT, la cirugía se realizó recién después de un aborto espontáneo, cuando L.C. había perdido ya el 90% de su movilidad. En el 2009 denunció al Estado ante la Convención para la Eliminación de todas las Formas de Discriminación contra la Mujer y, en 2011, la Convención falló a su favor. Para ambos casos, al igual que para el caso Camila, se solicitó indemnización económica de parte del Estado y se solicitó cambios en los protocolos de acceso al AT; es decir, en su carácter burocrático y en la reacción del personal de salud frente al mismo.

Los medios de comunicación, que han brindado espacio a estos casos, se destacan no por su “apertura” a exigir el Aborto Terapéutico, sino por la creación – e incluso la exaltación – de un perfil ‘digno’ del derecho. En ese sentido, se relatan estos casos acentuando la injusticia, pero más que nada, la situación trágica de la víctima: menor de edad, de escasos recursos, de educación incompleta, de un entorno familiar/social violento, y su condición como víctima de abuso sexual.

Esta articulación mediática ambigua sobre el aborto favorece determinados juicios sobre quienes son dignas para acceder al derecho y en qué condiciones pueden solicitarlo. Esto aparta a otras mujeres, adolescentes y niñas gestantes, igual de dignas al acceso. La falta de educación sexual integral y el desconocimiento sobre planificación familiar terminan siendo razones consideradas como ilegítimas o insuficientes. Además, se desprende otro problema crítico en el país: la falta de fomentación de la educación sexual integral, e incluso las campañas en contra de la misma, justificado en asociaciones de la educación sexual con “la conversión del hijx a homosexual o una persona promiscua”.

Un derecho restringido nunca es un derecho

En un contexto de polarización, acentuado por las elecciones del 2026, los discursos superficiales e incompletos en torno al acceso libre y al acceso condicionado para el Aborto Terapéutico toman auge. Los discursos en contra del aborto son promovidos por el mismo Estado, que hasta el día de hoy no cumple con todas las reparaciones solicitadas por los fallos internacionales ni ha actualizado el protocolo de acceso al AT. Un derecho inaccesible, no es un derecho.

Los casos de K.L., L.C. y Camila son ejemplos que nos permiten reconocer la ausencia de avances frente al acceso al AT en el Perú y la forma en que determinados discursos ‘progresistas’ sobre el aborto clasifican, condicionan y, en última instancia, determina quiénes son más dignos del respaldo mediático. Por esto mismo, es necesario reconocer al derecho al aborto como un derecho universal no condicionado a la tragicalidad de las circunstancias del embarazo. Este es el primer paso para honrar la reparación civil, dar el acceso para su vida digna y para reinvindicar el maltrato en que se ven sometidas las mujeres peruanas en su proceso de acceso al Aborto Terapéutico.


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Dekonstruktion des Vergessens

© Miti Films / Community of Puerto Millán-La Chorrera

Der Putomayo-Völkermord gehört zu den grausamsten Verbrechen der europäischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika. Während des Kautschukbooms im Amazonasgebiet wurden am peruanischen Río Putomayo zwischen 1879 und 1912 bis zu 250.000 Menschen mit unvorstellbarer Grausamkeit versklavt, missbraucht, verstümmelt und getötet. Wie nähert man sich diesen Verbrechen, ohne dabei koloniale Bilder und Narrative zu reproduzieren? Dieser Aufgabe hat sich ein Filmteam um die peruanische Künstlerin und Regisseurin Tatiana Fuentes Sadowski gewidmet, das auf der Berlinale in der Sektion Forum seine Weltpremiere feierte.

Fuentes Sadowski konstruiert La memoria de las mariposas ausgehend von der Fotografie zweier junger Männer aus der Gemeinschaft der Uitoto. Omarino und Aredomi, so ihre Namen, die im Film immer wieder wiederholt werden, reisten 1911 mit einem britischen Konsul nach London und sollten dort Zeugnis über die in ihrer Heimatregion begangenen Grausamkeiten ablegen. Für die Dokumentation wurden zeitgenössische Archivaufnahmen verwendet, die natürlich aus kolonialem Blickwinkel aufgenommen sind. Sadowski hat sich viele Gedanken gemacht, wie das Material so benutzt und komponiert werden kann, dass es die gezeigten Personen nicht aus einer Opferperspektive zeigt und gleichzeitig ihre Würde wahrt – schließlich wurden die meisten Aufnahmen sehr wahrscheinlich ohne Zustimmung der Gezeigten gemacht. Auch die Frage, woher sie die Berechtigung nimmt, als Nicht-Indigene Person die Geschichte von Omarino und Aredomi zu erzählen, beantwortet die Regisseurin im Film: Die Vorfahren des Vaters ihres Kindes entstammten einer Familie von Kautschukhändler*innen. Durch diese persönliche Betroffenheit entstand bei ihr der Wunsch, etwas zur Aufarbeitung der Geschichte und der Dekolonialisierung der Perspektive beizutragen, denn in Iquitos, der größten Stadt des peruanischen Amazonasgebiets, gibt es bis heute keine Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Kautschukarbeiter*innen.

Im Film geschieht die Aufarbeitung durch die Verwendung historischer Quellen wie die Briefe des irischen Anwalts Roger Casement, der Omarino und Aredomi nach England begleitete. Bei diesen scheint durch, dass er sie trotz seiner guten Intentionen nach wie vor als „Barbaren“ und auch als „interessantes Experiment“ für sich selbst bezeichnet. Der ansonsten in Schwarz-Weiß gehaltene Film färbt manche Szenen blutrot ein, kontextualisiert einige Aufnahmen und lässt bei anderen bewusst Leerstellen. Letzteres ist auch eine Folge von Besuchen des Drehteams bei indigenen Gemeinschaften, die heute in der Region leben – so soll laut Sadowski „Raum für spirituelle Kräfte“ wie die Geister der Verstorbenen aus der Vergangenheit geschaffen werden.

La memoria de las mariposas ist keine leicht verdauliche Kost, was der Film angesichts des schwierigen Themas und der komplexen Herangehensweise aber auch gar nicht sein kann. Aufgrund seiner nicht-linearen Erzählung, lässt sich auch nicht alles sofort ohne den Kontext verstehen. Der Versuch der antikolonialen und feministischen filmischen Aufarbeitung der Vergangenheit ist Tatiana Fuentes Sadowski aber hervorragend geglückt. Bei der Berlinale wurde durch den Film einem großen Publikum auf respektvolle und innovative Weise ein nicht überall präsentes Thema näher gebracht, das nicht vergessen werden darf. Der Film erhielt deshalb auch zu Recht eine lobende Erwähnung bei der Preisverleihung für den besten Dokumentarfilm des Festivals.


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Stranger Things in Quillabamba

© J.D. Fernández Molero

Zu Beginn scheint alles wie eine typische Legende: Ein kleiner Junge mit Namen Iván erzählt in einer Videoaufnahme, im Wald seiner Heimatstadt Quillabamba gäbe es Elfen – magische Wesen mit spitzen Ohren. Was niedlich klingt, erweist sich in der Folge als alles andere als harmlos. Denn das nächste Mal sehen wir den mittlerweile 14-jährigen Iván mit einer klaffenden Wunde an der Stelle seines einst gesunden rechten Auges und erfahren, dass er zwei Jahre im Dschungel verschollen und für tot erklärt worden war. Nach einer so drastischen wie blutigen Operationsszene (nichts für schwache Gemüter) steht fest: Nicht nur Iváns Auge ist verloren, sondern er selbst ist auch psychisch sichtbar verstört. Er hat Alpträume, isst nur wenig und spricht nicht mehr mit den Menschen in seiner Umgebung. Dazu gehört neben seinem Onkel, bei dem er aufwächst, auch die 19-jährige Indigene, junge Frau Mechía, die ihn aus dem Wald zurück nach Quillabamba gebracht hat. Mechía, die mit großen Träumen in die Stadt gekommen ist (unter anderem möchte sie Model für Kim Kardashians Modemarken werden) wird schon bald ebenfalls von teils realen, teils übersinnlichen Schrecken verfolgt.

Punku (Quechua für „Portal“) ist der neueste Film des peruanischen Regisseurs Juan Daniel Fernández Molero. Sein letzter Film, der preisgekrönte Videofilia (and other viral syndroms) nahm die Parallelrealität der jugendlichen Internet-Communities in der Hauptstadt Lima unter die Lupe. Punku behandelt hingegen die mythischen Dimensionen und Fabelwesen in einer Provinz des peruanischen Amazonasgebiets. Doch auch hier spielt die Jugendkultur und das Aufwachsen in einer konservativen und machistischen Umgebung eine große Rolle. Das bekommt vor allem Mechía zu spüren, die im Zuge ihrer Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb mit sexistischen Sprüchen und Annäherungen bombardiert wird. Dazu transportiert offenkundig ein geheimes Portal – ähnlich wie in der US-Erfolgsserie Stranger Things – allerhand unheilvolle Wesen aus anderen Dimensionen ins beschauliche Quillabamba.

Regisseur Fernández Molero spart auch ansonsten nicht mit unverhüllten Zitaten verschiedenster Horrorfilme. Die Super-8- und 16mm-Kameraaufnahmen, die er experimentell mit digitalem Material mixt, sind eine Parallele zum Genre-Klassiker Blair Witch Project. Eine Kamerafahrt über Serpentinen erinnert an Stanley Kubricks The Shining, ein mysteriöser Maskenmann an die Scream – Filme. Manche Szenen und Handlungsebenen bleiben dabei im Stile eines David Lynch mysteriös. Das macht Punku neben der fragmentierten und nicht immer linearen Erzählweise vermutlich für einige Kinogänger*innen zu einer Herausforderung. Zudem schafft es der Film auch nicht über die vollen zwei Stunden, einen roten Faden beizubehalten. Dennoch ist Punku durch sein ungewöhnliches, frisches Narrativ und seine originelle Bildsprache ein sehenswerter Berlinale-Beitrag geworden, an dem speziell Freund*innen experimenteller Formate und Horrorfilme auf jeden Fall ihre Freude haben dürften.

Triggerwarnung: Explizite Darstellung von Verletzungen und Operationen am Auge


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Lyrik aus Lateinamerika

Cover des Gedichtbands "Tal vez ayer"

PREGUNTA

Entre ella y su cuerpo
existe
—ajeno a mí—
un juego de palabras y secretos.
Existen susurros y silencios;
un encuentro entre ella y su sexo.

Estoy ahí,
pero no soy parte,
su cuerpo le pertenece.

Impotente,
así sea yo el que la toca,
tan distante;
nos separa un mar, olas.

¿Será ella parte de mí cuando me toca?

FRAGE

Zwischen ihr und ihrem Körper
existiert
—für mich unantastbar—
ein Spiel aus Wörtern und Geheimnissen.
Zwischen Geflüster und Stille;
eine Begegnung zwischen ihr und ihrer Sexualität.

Ich bin zwar da,
doch ich bin kein Teil dessen;
ihr Körper ist allein ihrer.

Unfähig,
auch wenn ich jener bin, der sie berührt,
so weit entfernt;
zwischen uns ein Meer, brechende Wellen.

Wird sie ein Teil meiner, wenn sie mich berührt?


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Die Wurzeln verteidigen

© Johan Carrasco

„Peru fährt zur WM nach Russland, du wirst sehen! Weißt du, wo Russland ist?“ fragt der Junge Feliciano sein Alpaka Ronaldo zu Beginn von Raíz vor einer majestätischen Bergkulisse in den peruanischen Anden. Er hütet die Alpakas seiner Familie und hört dabei im Radio die Fußballspiele der peruanischen Nationalmannschaft. Raíz bedeutet Wurzel  ̶  die für die indigene Bevölkerung im Altiplano heiligen Berge und die Alpakas, deren Wolle ihre wichtigste Einnahmequelle ist, stehen im zweiten Spielfilm des Regisseurs Franco García Becerra für diese Wurzeln.

Felicianos Welt wird von Bergbau bedroht: In der Nähe seines Dorfes befindet sich eine Mine, die Weiden und Wasser verschmutzt und die Tiere krank macht. Die Bewohner*innen beschweren sich, werden jedoch nicht gehört. Stattdessen schickt die Mine einen Arbeiter, der sich hilfsbereit gibt und die Leute davon überzeugen will, dass die Mine Fortschritt und Wohlstand bringt. Einige Dorfbewohner*innen beschließen zwar, ihre Tiere zu verkaufen und wegzuziehen, viele wollen jedoch ihr gewohntes Leben fortführen und ihr Land behalten. Schließlich greift das Bergbauunternehmen zu härteren Bandagen. 

Die selbst aus dem Andenhochland stammenden Schauspieler*innen hatten meist ebenfalls Erfahrung mit ähnlichen Situationen, wie der Regisseur berichtet. Felicianos WM-Begeisterung und die gleichzeitig stattfindende neoliberale Ausbeutung von Mensch und Natur um ihn herum sind Themen, bei denen viele Menschen in ganz Lateinamerika mitfühlen können. Der im nahen Cusco aufgewachsene García nimmt sich im Film Zeit dafür, die Träume der Menschen, ihren Alltag und ihre Verbundenheit mit der Umgebung darzustellen: Feliciano spricht mit Ronaldo und seinem Hund Rambo, tollt mit ihnen auf der Wiese herum. Er sammelt besondere Steine oder spielt Fußball mit anderen Jungs. Die Dorfbewohner*innen wollen Bildung für ihre Kinder, sie scheren zusammen die Alpakas oder gehen in die nächste Stadt, um ein Fußballspiel zu sehen.

Der Film vermittelt alltägliche Authentizität ohne Klischees. Dazu trägt auch bei, dass alle im Film ausschließlich Quechua sprechen, die meistgesprochene einheimische Sprache Lateinamerikas. Auch lokale Glaubensvorstellungen sind präsent, wenn immer wieder ein geheimnisvolles Wesen auftaucht, vor dem die Menschen sich fürchten, sich jedoch auch Hilfe erhoffen, während sich der Konflikt mit der Mine zuspitzt.

„Sie nehmen sich immer mehr Reichtümer und lassen uns nichts übrig“, resümiert Felicianos Vater einmal die Lage. Die Schlussfolgerung: „Wenn wir die Straße blockieren, müssen sie uns zuhören. Wir müssen uns vereinen und kämpfen.“ Die mit großartigen Bildern feinfühlig und nahbar erzählte Geschichte von Feliciano und seinem Dorf ist ein Plädoyer für Träume, für kulturelle Vielfalt, den Respekt vor Menschen und Natur und dafür, dass es sich lohnt, solidarisch für diese Dinge zu kämpfen.


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„El Loco“ und die Krokodile

© Diego Romero

Dass in Peru noch vor 30 Jahren ein erbitterter Kampf zwischen der bewaffneten Guerilla Leuchtender Pfad und der Putschregierung Alberto Fujimoris tobte, scheint heute nur noch eine blasse Erinnerung. Bereits in den 1980er Jahren explodierte die Gewalt in Form von blutigen Anschlägen und politischen Morden durch die Guerilla sowie Folter und Repression durch die Regierung. In dieser heute als „verlorene Dekade“ bekannten Zeit suchten viele Peruaner*innen ihr Glück im Ausland. Die Migrationsrate vervierfachte sich im Laufe der 1980er Jahre, neben Spanien und Italien waren vor allem die USA ein bevorzugtes Anlaufziel.

© Diego Romero

In diesem angespannten Klima spielt Claudia Reynickes Film Reinas über eine Mittelschichtfamilie in Lima im Jahr 1992. Mutter Elena (Jimena Lindo) steht mit ihren Töchtern, der halbwüchsigen Aurora und der jüngeren Lucia schon mit einem Bein in den USA. Job und Unterkunft sind dort bereits organisiert, alles was fehlt, ist die Unterschrift ihres Ex-Mannes unter der Reiseerlaubnis der beiden Minderjährigen. Doch das entpuppt sich als Problem, denn Carlos (überzeugend: Gonzalo Molina) denkt gar nicht daran, seine Töchter so einfach gehen zu lassen. Im Gegenteil erwachen plötzlich seine offenkundig zuvor vergessenen Vatergefühle: Plötzlich kann er seine beiden Reinas (Königinnen), die dem Film ihren Namen geben, gar nicht oft genug an den Strand fahren. Dabei bindet er ihnen immer neue Lügengeschichten über angebliche Heldentaten, die er in seiner Abwesenheit vollbracht hat, auf. Dass an den Räuberpistolen ihres Vaters über Krokodile und verdeckte Geheimdienstaktivitäten kaum ein Wort wahr ist, daran zweifeln die beiden Töchter zwar keine Sekunde. Aber unterhaltsam ist es mit Carlos, der nicht umsonst von fast allen „El Loco“ (der Verrückte) genannt wird, ja dann doch meistens. Und so bleibt es bis zum Schluss spannend, ob Elenas Unternehmen Ausreise nun gelingen wird oder doch noch in letzter Sekunde scheitert.Reinas ist ein gut produzierter Film, der mit Retro-Vibes aus den frühen 90er Jahren nicht spart. Vor allem der sehr prominent besetzte Soundtrack dürfte bei einigen Erinnerungen wachrufen. Auch Ausstattung und Kulissen fügen sich stimmig in die pittoreske Atmosphäre ein. Die persönlichen Konflikte und Motivationen seiner Hauptfiguren vermitteltReinas realistisch und gut nachvollziehbar. Eine Einordnung der politischen Zusammenhänge bleibt allerdings ziemlich auf der Strecke: Erklärungen für den bewaffneten Konflikt bleiben in Klischees verhaftet oder finden gar nicht erst statt. Gerade das Ende der Geschichte wirkt daher ziemlich bemüht und unrealistisch. Auch wenn Reinas in der Berlinale-Jugendfilmsektion Generation läuft und keine allzu komplexen politischen Analysen liefern muss, fehlt es dem Film etwas an Tiefgang. So bleibt Reinas ein eher unterhaltsamer als wirklich bewegender Film. Vor allem einem jüngeren Publikum ist er aufgrund der Stimmigkeit von Charakteren und Atmosphäre aber trotzdem zu empfehlen.

LN-Bewertung: 3/5 Lamas


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Und jeden Monat ein kleines Wunder

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Hier fing alles an “Die Wiese” in Hessen, auf der die Idee für die Chile-Nachrichten entstand (Foto: Jan-Holger Hennies)

Es war ein sonniger Maientag des Jahres 1973, als sich fünfzehn bis zwanzig junge Leute, die alle erst vor kurzem aus dem aufgeregten politischen Klima Chiles nach Deutschland zurückgekehrt waren, auf einer grünen Wiese unter einem Kirschbaum im Hessischen versammelten, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie man durch aufklärende Informationen (Vorträge, Artikel?) und praktische Unterstützung (Fahrräder zum Beispiel?) den unter der schwierigen Situation leidenden Volksmassen und der Regierung der Unidad Popular helfen könnte. Die Stimmung war gut und sogar optimistisch, bedenkt man die meistens schlechten Nachrichten, die über den Atlantischen Ozean kamen: politische Attentate, von extrem rechten Gruppen organisiert, rasch ansteigende Inflation, Versorgungsengpässe an allen Ecken und Enden. Trotzdem konnte sich die muntere Runde nicht vorstellen, daß das »Experiment« einer gründlichen Umwälzung mittels einer gewählten Regierung scheitern könnte. Und so wurde denn ein Komitee »Solidarität mit Chile« gegründet, das es sich zur Hauptaufgabe machte, praktische Hilfe für die im chilenischen Winter noch mehr darbenden Massen zu organisieren. Mehr für die interne Kommunikation des Kreises als für die Aufklärung der westdeutschen Gesellschaft wurde beschlossen, alle 14 Tage ein paar Seiten mit den wichtigsten Informationen aus Chile und Tips in praktischen Fragen zusammenzustellen. Die kurzen Texte sollten »erst einmal« in (West-)Berlin zusammengestellt werden.

Die Anfänge

Am 28. Juni 1973, einem Donnerstag wie immer seither, war es dann so weit. Gegen sieben Uhr abends kamen sechs – oder sieben? – Leute zusammen und planten den Inhalt der Seiten der ersten Nummer: erst einen kurzen Bericht »Über die Ereignisse in Chile«, dann Hinweise auf Informationsmaterial, Veranstaltungen etc., schließlich auch die Namen und Adressen der Beteiligten. Nach der Bohnensuppe, die für Monate zu einer ständigen Einrichtung am Produktionsabend wurde, ging es an die Arbeit, und nach drei Stunden waren alle Texte geschrieben und sorgfältig auf sieben Ormig-Matritzen getippt. Die Nachrichten von einem mißlungenen Putschversuch am Vortag in Chile konnten gerade noch berücksichtigt werden. Am nächsten Morgen wurden von jeder Matritze 50 Abzüge gemacht, sortiert, in Briefumschläge gepackt und zur Post gebracht. Außer den Mitgliedern des Komitees wurden noch ein paar Freunde bedacht, von denen man für die Produktionskosten Spenden erbat, die dann auch schnell und reichlich eintrafen.

Die Existenz dieser Informationsquelle sprach sich schnell herum, und schon bei der fünften Nummer – zwei Monate später – mußten von den Matritzen 200 Exemplare abgezogen werden, um die Nachfrage zu befriedigen. Das war aber auch das Äußerste, was die Matritzen damals hergaben.
Die Zahl der Mitarbeitenden wurde auch ziemlich schnell größer. Bald kamen zehn, fünfzehn, zwanzig Interessierte, um zu helfen. Eine zusätzliche Sitzung an dem bisher »freien« Donnerstag wurde zur Vorbereitung der nächsten Nummer nötig. Natürlich waren alle davon überzeugt, daß der Verfassungsschutz in unseren Reihen mit dabei war; trotzdem wurden die Namen der Beteiligten tapfer abgedruckt. Von der Nummer 3 sollten die chilenischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Weltjugendfestival in (Ost-) Berlin einige Exemplare überreicht bekommen; aber die Volkspolizei am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße war wachsam und beschlagnahmte die kleine Informationsbroschüre nach länger dauernder Kontrolle des Inhalts. Bei der Rückreise wurden die Exemplare zurückgegeben, denn geschenkt haben wollte die Volkspolizei sie auch nicht.
Ein Versuch, mit den Leuten aus Chile vom Festival eine Informationsveranstaltung in Westberlin zu machen, scheiterte daran, daß das nur gemeinsam mit der FDJW (der Freien Deutschen Jugend Westberlin) möglich gewesen wäre, und die stellte die Bedingung, daß auf einer solchen Veranstaltung nicht diskutiert werden dürfe: Lieber gar keine Veranstaltung als eine unkontrollierte.

Wer heute die Texte der ersten fünf Nummern der CHILE-NACHRICHTEN liest, wird finden, daß sie in aller Klarheit die Unausweichlichkeit eines Putsches der Rechten in Chile aufzeigen. Das war nicht Absicht – im Gegenteil. Beim Diskutieren und Schreiben waren alle mehr oder weniger optimistisch, daß sich das Blatt noch wenden ließe. Es schien zu ungeheuerlich, daß die Welt es wagen sollte, den Putsch gegen eine gewählte Regierung zu dulden.

Umso größer war der Schock, als der Putsch dann am 11. September 1973 doch unternommen wurde. Für die CHILE-NACHRICHTEN bedeutete das sofort eine sehr stark wachsende Nachfrage und die Verarbeitung von immer mehr Nachrichten, Informationen, Solidaritätskundgebungen. Jetzt mußte richtig gedruckt werden. Im November lag die Auflage schon bei 6000 Exemplaren, deren Produktion finanziell wegen reicher Spenden kein Problem war. Die Nummer 10 erschien mit einem erheblich erweiterten Umfang; ein englischer Freund rief danach während einer Redaktionssitzung aus London an: »Ihr seid varrickt! Sixty pages!«

Ende 1973 wurde sehr schnell deutlich, daß die 14-tägige Erscheinungsweise nicht zu halten war. Die kleine Zeitschrift, die nun immer dicker wurde und bald zu Dokumentationszwecken um – zunächst kostenlose – Sonderhefte erweitert wurde, konnte nur noch monatlich hergestellt werden. Studium, Unterricht, Forschung, Schauspiel, kurz: das normale Leben konnte ja nicht völlig der Arbeit an dem Blatt untergeordnet werden.

Das Archiv

Weil sich die Wohnungen der Redaktionsmitglieder mit wichtigen Daten und Dokumenten füllten, die niemand wegwerfen wollte, mußte ein Archiv eingerichtet werden. Ohne die tatkräftige Mithilfe und die Infrastruktur der Evangelischen Studentengemeinde an der Technischen Universität wäre das wohl niemals möglich gewesen. Als gemeinnütziger Verein um das Archiv herum wurde dann bald das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile – Lateinamerika (FDCL) gegründet, dessen Aktivitäten sich später stark ausgeweitet haben.

Je genauer die Informationen über die Menschenrechtsverletzungen durch die Militärjunta, über den verbrecherischen Charakter des Pinochet-Regimes an sich, über die rücksichtslose Wirtschaftspolitik der Chicago Boys und über relativ gute Beziehungen zu wichtigen Figuren aus Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik wurden, desto wichtiger empfanden die Redaktionsmitglieder ihre Arbeit im Dienst von Information und Solidarität.

Wachsende Solidarität

Neben den CHILE-NACHRICHTEN (oder über ihnen? oder um sie herum?) war in Westberlin schon gleich nach dem Putsch das Chile-Komitee entstanden, von dem aus Demonstrationen, Proteste und Hilfsaktionen für die nach Berlin gekommenen Flüchtlinge organisiert wurden. Unvergessen bleibt – trotz der zermürbenden Vorverhandlungen mit den Westberliner Kommunisten von der SEW – die große Demonstration der 30.000 am 4. November 1973; unvergessen bleibt auch, wie während der Fußball-WM 1974 beim Spiel Chile gegen Deutschland in der Pause auf dem Platz eine große chilenische Flagge erschien mit der Aufschrift: »CHILE SI – JUNTA NO«.

Natürlich war das Chile-Komitee auch Ort heftiger politischer Debatten, in denen die CHILE-NACHRICHTEN nicht nur gelobt wurden. Die anfangs noch stärker beteiligten Jungsozialisten betrachteten zwar die Zeitschrift mit einer Art altväterlichem Wohlwollen, aber die über weite Strecken tonangebenden Spontis hielten die Redaktion für eher zu wenig radikal und verlangten häufig eine stärkere Berücksichtigung der entschieden revolutionären Strömungen in Chile wie etwa der »Linksrevolutionären Bewegung« (MIR), auch wenn diese Strömungen mit Spontis absolut nichts im Sinn hatten. Am liebsten wäre manchen im Komitee gewesen, wenn die Zeitschrift regelrecht zum Organ des Komitees geworden wäre; da das aber viel Arbeit für die Kontrolleure bedeutet hätte, blieb die Unabhängigkeit der Redaktion immer erhalten. Im Kern war sie ebenso locker organisiert und spontan wie das Komitee. Die Mitarbeit war absolut freiwillig und dazu noch anonym, weil niemand dem chilenischen Geheimdienst die Namen der Mitarbeitenden verraten wollte.

Ideologische Auseinandersetzungen

Ein Komiteeteilnehmer trat immer wieder unbeirrbar für eine Straffung der Arbeit durch klare Organisationsprinzipien ein. Dieser offizielle Abgesandte der Liga gegen den Imperialismus, einer Frontorganisation der maoistischen KPD, fand aber mit seinen Vorschlägen für die Wahl eines Vorstandes und die Einrichtung eines Sekretariats keinerlei Gegenliebe. Die konkurrierenden Maoisten vom KBW ließen sich etwas anderes einfallen. Sie entsandten einen Genossen, nennen wir ihn Fritz, in die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN, wo er sich durch Fleiß und Umsicht Freunde zu machen wußte. Eines Tages erklärte Fritz, er könnte erst einmal drei Wochen lang nicht erscheinen, weil er ein Dokument zu studieren habe. Nach drei Wochen brachte er einen Genossen mit, und beide begannen mit dem Versuch, der Redaktion klarzumachen, daß die CHILE-NACHRICHTEN objektiv der Konterrevolution dienten, weil sie nicht konsequent gemäß der Linie der Volksrepublik China die Dritte Welt – einschließlich Pinochet – gegen den Imperialismus unterstützten. Die beiden KBW-Leute beantragten, alle aus der Redaktion zu entfernen, die der korrekten Linie nicht folgen wollten, unterlagen aber mit zwei gegen achtzehn Stimmen, verschwanden und wurden lange Zeit nicht mehr gesehen, bis Fritz – inzwischen längst geläutert – bei einem sehr vernünftigen Nachbarprojekt im Mehringhof auftauchte.

Konstruktives Chaos

Die eigentliche Arbeit der Redaktion verlief einigermaßen unkoordiniert. Für jede Ausgabe wurde schon damals eine neue Leitung bestimmt. Im übrigen aber blieb alles meistens bis zur letzten Minute offen; deshalb dauerten die Produktionsnächte schon damals bis in die Morgenstunden.

Am chaotischsten war nach einiger Zeit die Finanzlage. Nach dem Putsch in Chile waren sehr viele Abonnementsbestellungen von Personen, Gruppen und Buchhandlungen eingegangen. Aber niemand hatte Zeit, sich um das Eintreiben der Außenstände zu kümmern. Die Zeitschrift stand relativ bald vor dem Ruin, bis jemand auf den Gedanken kam, die Abonnenten einfach zur Bezahlung ihrer Schulden aufzufordern. Darauf ergab sich ein solcher Überschuß, daß beschlossen wurde, den chilenischen Flüchtlingen in Westberlin die Herausgabe einer ähnlichen Zeitschrift in spanischer Sprache für ihresgleichen in Europa anzubieten. Unter den Namen »CHILE COMBATIENTE« und »SI, COMPAÑERO« sind dann auch tatsächlich ein paar Nummern erschienen, bis Parteienstreitigkeiten unter den Flüchtlingsgruppen die Arbeit immer mehr erschwerten. Das Geld hätte auch nicht viel weiter gereicht.

Mitte der siebziger Jahre wurde deutlich, daß Chile zwar einen besonders krassen Fall der Kombination von autoritärer Militärherrschaft und ultraliberaler Wirtschaftspolitik bedeutete, daß aber die anderen südamerikanischen Länder diesem Beispiel immer stärker folgten. In Uruguay hatten die Militärs die Herrschaft fast gleichzeitig übernommen. Brasilien und Peru waren schon Militärdiktaturen gewesen.
Spätestens mit dem Putsch in Argentinien 1976 wurde deutlich, daß es sich um eine allgemeine Tendenz handelte, für die sich nun die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN interessieren mußte. Das Ergebnis waren immer mehr Artikel über Chiles Nachbarländer, bis dann irgendwann die Entscheidung anstand, den Inhalt und den Titel grundsätzlich zu erweitern. Wie jede der grundsätzlichen Veränderungen in der Geschichte der Zeitschrift war auch diese heiß umkämpft; aber mit Nummer 51 und dem Beginn des fünften Jahrgangs im Sommer 1977 war es dann soweit. Von jetzt ab hieß das Blatt LATEINAMERIKA NACHRICHTEN; der Name CHILE-NACHRICHTEN hielt sich noch elf Jahre als Untertitel und erscheint nur noch ganz schamhaft im Impressum. Die CHILE-NACHRICHTEN sind Teil der Geschichte geworden. Heute arbeiten in der Redaktion junge Leute, die noch nicht geboren waren, als der Name CHILE-NACHRICHTEN schon begraben wurde. Das gilt es zu feiern.

Alte Texte neu gelesen – dieser Text erschien zum 25. Jubiläum der in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.


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50 Jahre Lateinamerika Nachrichten

„Amerika den Amerikanern“ formulierte der US-amerikanische Präsident James Monroe vor 200 Jahren und meinte doch nur „Lateinamerika den USA“. Der Aufstieg der USA zur neuen Hegemonialmacht in Lateinamerika vollzog sich in wenigen Jahrzehnten, schon Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kontinent fest in den Händen der USA.
Auch die Gründung der Lateinamerika Nachrichten vor nunmehr 50 Jahren verdankt sich, zumindest indirekt, dieser Doktrin. Die Rolle der USA bei der wirtschaftlichen Destabilisierung der Unidad Popular-Regierung in Chile und beim Militärputsch gegen Präsident Salvador Allende mag heute längst nicht mehr allen bekannt sein. Für die Aktiven des Komitees „Solidarität mit Chile“, die am 28. Juni 1973 die erste Ausgabe der Chile-Nachrichten (seit Nummer 51: Lateinamerika Nachrichten) produzierten, war der Kampf gegen den US-Imperialismus jedoch ein wichtiges Motiv für ihr politisches und journalistisches Engagement.
Der Diktator ging, die Lateinamerika Nachrichten blieben. Nur mäßig konnte uns zu unserem Silberjubiläum im Jahre 1998 der Abgang von Augusto Pinochet erfreuen: Den Oberbefehl über die chilenischen Streitkräfte tauschte er damals mit einem Senatorenposten auf Lebenszeit. Und auch sonst boten uns eher die Kontinuität der eigenen Arbeit, denn die Verhältnisse in Lateinamerika Anlaß zu Optimismus.
Das waren überhaupt komische Zeiten damals, als sich das Jahrtausend dem Ende zuneigte. Die Zauberworte Neoliberalismus und Globalisierung bestimmten die Regierungspolitik in fast allen Ländern des Kontinents. Fast: Wie ein gallisches Dorf trotzte nur Kuba den Römern, die damals in Washington residierten. Und als ob auch er als Kind in einen Zaubertrank gefallen wäre, zeigte sich Fidel Castro Jahrzehnt um Jahrzehnt unschlagbar: In der westlichen Hemisphäre hält er noch heute den Rekord für die längsten Ansprachen – unterbrechen ließ er sich meist nur, wenn auf der Zuckerinsel mal wieder der Strom abgestellt wurde. Vor Yankees hatte er nur auf dem Baseball-Platz Respekt, die Blockade konnte Kuba nicht in die Knie zwingen (für jüngere LeserInnen: die USA versuchten bis nach der Jahrtausendwende, Kuba durch Wirtschaftsblockade und politische Isolierung in die Knie zu zwingen – was sich ja bekanntlich erst änderte, als vor fünfzehn Jahren die kurz zuvor eingebürgerte Ex-Präsidentin Brasiliens, Benedita da Silva, ins Weiße Haus gewählt wurde).
Lange Zeit war Politik ja eine Angelegenheit korrupter Männer, die mit Militärs kungelten und Phantasie nur zeigten, wenn sie für ihre Wiederwahl mal wieder eine Verfassungsänderung durchsetzten – in Peru durfte damals nur noch zum Präsidenten gewählt werden, wer japanische Vorfahren, und in Argentinien, wer syrische Vorfahren hatte. Brasilien konnte nur regieren, wer Großgrundbesitzer war und ein Soziologie-Diplom sein eigen nannte.
Die Wende in Lateinamerika brachten bekanntlich die ZapatistInnen und die Landlosenbewegung MST. Der erste Präsident mit Skimütze in Mexiko und die Vergabe eines Landtitels an die letzte landlose Bäuerin in Brasilien – das waren bewegende Momente, die auch uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken ließen.
Denn während unsere Freunde und Freundinnen in Lateinamerika die Verhältnisse zum Tanzen brachten, wurde es in Deutschland immer eisiger. Die Grünen stritten mal wieder, ob es der Bevölkerung zuzumuten sei, den Benzinpreis um drei Prozent zu erhöhen, während Joschka Fischer als Verteidigungsminister den Parteiausschluß von Jürgen Trittin verlangte, weil der sich noch immer weigerte, an den wöchentlichen öffentlichen Rekrutengelöbnissen vor dem Reichstag teilzunehmen.
Grund zur Freude hatten wir erst wieder, als Jamaica 2006 Fußballweltmeister wurde und Berti Vogts durchsetzte, daß Gras endlich auch in Deutschland legalisiert wird. Die Cannabis-Pflanze statt dem Bundesadler auf der Schwarz-Rot-Goldenen Flagge und „Keine Macht für niemand“ von den Scherben als Nationalhymne – das hat sich vor 25 Jahren niemand in der Redaktion zu träumen gewagt. Auch nach 50 Jahren Lateinamerika Nachrichten – wir machen weiter: „Get up, stand up for your rights“.

Alte Texte neu gelesen – dieses Editorial erschiet in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.


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UNA CONSTITUCIÓN PARA TODAS LAS PERSONAS DEL PAÍS

Für die deutschsprachige Version hier klicken

Como invitada para el Dia de la Mujer en Berlín, nos puede contar, ¿cuál es la historia de su federación y qué lucha representa?
En América Latina el patriarcalismo es muy fuerte y siempre hemos venido luchando para que eso se haga visible. Para ello fundamos una organización hace 17 años que ya está establecida nacionalmente. Tiene dos columnas vertebrales: la primera es en el empoderamiento de la mujer y la otra es sobre la soberanía alimentaria. Defender el agua, defender la tierra, defender todo lo que es nuestra cultura y cosmovisión. Defendemos los derechos humanos sin tapujos. Defendemos los derechos de la diversidad como también luchamos por el derecho al aborto. Nuestras abuelas y abuelos nos han enseñado a defender la tierra, pero no nos inculcaron cómo defendernos como mujeres. Todo empieza en la casa, desde lo que pasa debajo de la sábana, y de ahí se exporta el sistema. Somos parte de la Coordinadora Latinoamericana de Organizaciones del Campo, y de la Vía Campesina. En estas dos instancias internacionales nos preparan para ser dirigentas políticas. Dentro de los partidos también existe el machismo y somos una organización que hace incidencia política para que, por ejemplo, nos atiendan los ministerios de la Mujer y el de Agricultura. Para que nos respeten y respeten a la Pachamama.

¿Cómo surgió su viaje a Europa y como se ha ido desarrollando?
Ana Durán, una ex ministra de la Mujer de[l Gobierno de] Pedro Castillo, me comunicó una invitación de la Comisión Europea. Fue duro para mí porque yo me estaba yendo de mi país y estaban matando a mis hermanos, pero llegué el 10 de enero al parlamento. Y luego se postergó mi viaje para poder hablar en la ONU en Ginebra. Y hasta entonces hice un recorrido donde me invitan a Madrid.  Justo llego en un plantón al frente de la Embajada de Perú, y el ex embajador de Perú en España se fue contra mi persona. Hice una reunión virtual con el frente general de la asamblea y las compañeras me avisaron que no vuelva por una amenaza de detención por “difamación del Perú”. No pido asilo político porque para mí, es que un país te diga que ya no puedes hacer incidencia política. Y yo pienso seguir preguntándoles a los organismos internacionales cuál es la sanción de un país que viola los derechos humanos.

¿Podría describir los aspectos de la exclusión estructural ante los pueblos indígenas originarios del Perú y cómo se manifiestan hoy en día?
El abandono de los gobiernos siempre ha sido fatal, no solamente con Boluarte, si no con gobiernos anteriores que nunca se han interesado en dar calidad de vida a los pueblos indígenas. En la mayor parte de nuestras regiones instalan las empresas mineras. Y si de acá están sacando el oro, debería estar mejor esta tierra. Debería haber mejores escuelas, carreteras, hospitales, profesionales con capacidad y calidez. Donde están ubicadas las empresas mineras es donde más se concentra la extrema pobreza. Hubo una masacre en Bagua cuando nuestros hermanos indígenas de la selva se levantaron por una propuesta de ley legislativa para que la grandes empresas pudiesen adueñarse de las tierras. El Gobierno cree que los humanos son los que viven en la ciudad, porque ahí ponen agua potable y desagüe. Pero en los pueblos indígenas originarios no tenemos eso, tenemos los ríos que están siendo contaminados por la minería y por el petróleo.  También nos quieren imponer las semillas transgénicas, lo cual mataría a los pueblos indígenas y nos volvería consumistas. Hoy nosotros cosechamos porque tenemos semillas autóctonas y la Pachamama no es un comercio, es nuestra vida. Tenemos que migrar del campo a la ciudad  forzadamente porque las empresas mineras se adueñan de nuestros territorios, migrar a una cultura racista que proviene desde las escuelas. ¿Cómo es que en los colegios no pueden enseñar en nuestros propios idiomas? ¿Por qué tienen que mutilar nuestras culturas, nuestras costumbres? Eso es un desprecio a los pueblos indígenas y aun peor si se es mujer. Lo que ha reventado todo en el Perú es eso: que se ha venido educando con un desprecio único.

¿Cree que este racismo estructural restringió la presidencia de Castillo?
Castillo significaba un cambio de estructura económica, política, social, cultural. Para los pueblos indígenas ha sido claro eso, pero los partidos de izquierda no lo han comprendido de esa magnitud. Si la izquierda hubiera entendido a los pueblos indígenas, a los campesinos, que no se trataba solamente de proteger a Pedro Castillo, se trataba de proteger un Gobierno que podría lograr un cambio. En la primera vuelta votamos por Verónika Mendoza porque recogió la propuesta de las mujeres, las jóvenes, los pueblos indígenas, la de la diversidad sexual, algo que en la propuesta de Pedro Castillo no estaba. Verónika no ganó y pasamos a la segunda vuelta y decidimos que vamos a votar a un hermano campesino.

Tampoco vamos a decir que Pedro ha sido lo máximo. Se ha equivocado en elegir ministros. En el parlamento se han dedicado a hacer las vacantes. Lo han maltratado psicológicamente y verbalmente. El Poder Judicial lo acusó de delincuente. La derecha nunca ha perdonado que haya un presidente provinciano. Nosotros queremos que esta gobernabilidad se proteja, porque él nos ha abierto la puerta del Palacio para podernos reunir y recogía nuestras propuestas. De 74 propuestas legislativas todas han sido archivadas. Eso tiene que ver con la Constitución del año 1993, puesta por Fujimori. Esta Constitución que le brinda todo el poder al Poder Legislativo, para que saquen leyes a favor de las grandes empresas.

Sobre las concesiones mineras en Perú, ¿cuáles eran las propuestas de Castillo y cómo se está desenvolviendo la situación con Boluarte?
Castillo dijo que no iba a renovar las concesiones mineras si se encontraba que no habían respetado las cláusulas de lo que se firma en una concesión. Se trataba de revisar las condiciones petroleras y mineras, de recuperar nuestra riqueza y distribuirla. El 2023 es un año contundente donde se revisan y se renuevan las concesiones mineras para otros 50 o 30 años más. Pedro Castillo no las iba a firmar y eso fue lo que a estas grandes empresas mineras y petroleras les ha molestado, y de ahí surgieron las peticiones de vacancia. La propuesta del presidente Castillo también era hacer que las grandes empresas que deben los impuestos paguen. Ahora los dueños de las empresas mineras y petroleras se sientan de mano a mano con la presidenta de la derecha, que para nosotros no es presidenta, y están sacando leyes para que no paguen los impuestos.

¿Nunca dudaron sobre la integridad de Pedro Castillo?
Muchas veces hubo duda cuando el Poder Judicial le decían que era un corrupto. Cuando nos acercabamos donde Pedro Castillo, cada vez que teníamos la reunión le pedíamos que nos fuera honesto. Él dijo que no había tocado ni un sol. Que lo estaban calumniando porque ya había tomado la decisión política de estar anuestro lado. Entonces, ¿hubo dudas? Sí. Pero cuando él nos confirmaba, ya no había duda. Y no solamente me lo ha dicho a mí. Hemos estado 500 mujeres en el palacio y a las 500 mujeres él les decía que le es leal a su pueblo.

Sin embargo, si él les hubiese respondido que era culpable, habría sido una confesión catastrófica para su carrera. ¿Podríamos decir que hasta que no haya un sistema judicial independiente en el Perú no se puede saber con certeza su juicio?
Definitivamente están en el derecho de analizarlo así, porque en estos momentos tenemos un Poder Judicial politizado. Pedro Castillo está preso; sin embargo, Keiko sigue libre y recibió millones para su campaña. ¿Y cuál es nuestra propuesta? Ahora decimos cinco puntos fundamentales: renuncia de Boluarte, libertad de Pedro Castillo, cierre del Congreso, justicia para los 72 héroes fallecidos e instalación de la Asamblea Constituyente Plurinacional Paritaria.

Una nueva asamblea constituyente es importante porque te va a dar un cambio de vida. En estos momentos solamente son válidos los que tienen plata. Los pueblos indígenas no estamos representados en esa Constitución de 1993. Y en la participación en el Poder Legislativo, en el Poder Ejecutivo, tiene que haber indígenas, tiene que haber jóvenes, tiene que haber mujeres, tiene que haber intelectuales, tiene que haber un mix de todos, porque nuestro país es plurinacional.

Cuando Pedro Castillo anuncia la disolución del Congreso, no cumple con ningún derecho constitucional para ello. ¿Qué pensó en ese momento? ¿Le pareció una acción legítima?
Sí lo vimos legítimo porque era el sentir de la población. Siempre le planteamos que se cerrase el Congreso por vía legal, porque para ello se tenían que presentar dos propuestas de leyes. Pero se dio el caso que el leyó un papel, que para nosotros no es un documento formal, porque no vimos un documento firmado oficialmente.  Sí, se saltó todo el proceso y él responderá cuando toque, porque sabía que no tenía el respaldo del Poder Legislativo, ni del Ejército, ni  de la prensa, ni de la Iglesia: sólo nos tenía a nosotros. Yo fui a hablar con él y me dijo que, cuando sea libre, explicará sus razones.

Mi opinión personal como Lourdes Huanca, no como representante de la Federación, es que Castillo se hartó de entender que no lo iban a dejar gobernar en ningún momento. Lo hizo para que el pueblo sepa que, por causa de querer recuperar la riqueza de nuestra patria, lo iban a encerrar. Si su objetivo era que se mueva el pueblo y que empecemos a luchar, lo ha logrado. Hoy todo el mundo reclama un cambio de constitución y un cambio futuro a costa de su libertad. Creo que el sacrificio que está haciendo es justamente para que el pueblo reaccione. Estaba seguro de que no iba a poder terminar de gobernar porque en un momento lo iban a sacar de todas formas.


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SCHLIMMER GEHT IMMER

Castillo Vor allem die ländliche Bevölkerung setzte große Hoffnung in ihn (Foto: Braian Reyna Guerrero via wikimedia commons, CC BY 2.0)

Im Juni 2021 schaffte der Dorfschullehrer und Gewerkschafter Pedro Castillo mit einem hauchdünnen Wahlsieg gegen die Diktatorentochter Keiko Fujimori, was noch kein Peruaner vor ihm geschafft hatte: den direkten Sprung vom Dorf in den Präsidentenpalast, ohne Umweg über Militär, Hauptstadt, Ausland oder wenigstens eine ausländische Ehefrau. Genau 200 Jahre nach der Befreiung Perus von der spanischen Kolonialherrschaft trat Castillo sein Amt mit dem Versprechen an, das Land endgültig von seinen kolonialen Fesseln zu befreien. Denn Peru, der einstige Sitz des spanischen Vizekönigsreichs, ist auch heute noch von Rassismus und Klassengesellschaft dominiert.

Vor allem die ländliche Bevölkerung setzte große Hoffnungen darauf, dass endlich einer von ihnen an der Macht war und die Ungleichheit Perus abbauen würde. Ein Jahr danach ist von dieser Hoffnung nichts mehr zu spüren: 65–71 Prozent der Bevölkerung lehnen Castillo ab. Selbst auf dem Land, wo seine Stammwähler*innen leben, haben sich bei einer Umfrage im August 2022 57 Prozent gegen ihn ausgesprochen. Pedro Castillo, der angeblich linke Mann von der Basis, entpuppt sich nämlich als ein traditioneller Politiker, der das Amt vor allem dazu benutzt, seine Freund*innen unterzubringen und ihnen Pfründe zuzuschanzen. So haben alle Präsidenten der letzten 20 Jahre vor ihm regiert, ungeachtet ihrer politischen Couleur oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Und genau deswegen sind alle Präsidenten Perus der letzten 20 Jahre entweder im Gefängnis, unter Anklage oder tot wie Alan García, der sich lieber erschoss, als von der Polizei abgeführt zu werden. Insofern ist die Präsidentschaft Castillos nur eine weitere Episode in der politischen Dauerkrise, in der Peru seit dem Rücktritt von Pedro Pablo Kuczynski vor fünf Jahren steckt. Doch wie kam es dazu, dass Castillo alle Hoffnungen auf einen Wechsel in nur einem Jahr vertat?

Ein erster Prüfstein war, wen Castillo in sein Kabinett berufen und zu seinem Regierungspartner nehmen würde: die dogmatisch-marxistische Partei Perú Libre von Vladimir Cerrón, auf deren Liste Castillo die Wahl gewonnen hatte? Oder die moderate Linke um Verónica Mendoza, die niemand „moderat“ genannt hatte, bevor Pedro Castillo sie als Kandidat links überholte? Letztere wird von ihren Gegner*innen auch gerne als Kaviarlinke verunglimpft, weil unter ihr auch Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen und Universitäten sind.

In seinem ersten Kabinett versuchte Castillo noch, die beiden Seiten zu vereinen: Finanzminister wurde Pedro Francke vom Flügel von Verónica Mendoza, Premierminister aber wurde ein Statthalter von Vladimir Cerrón, der bis dahin unbekannte Guido Bellido. Die Kohabitation hielt nicht lange. Zuerst musste Bellido gehen, ein paar Monate später Francke. Im Kabinett machten sich dafür vor allem Männer aus Castillos Heimat Cajamarca, aus der Partei Perú Libre und der Lehrer*innengewerkschaft breit, die für das von ihnen verantwortete Ressort keinerlei Leistungsausweis hatten. In nur einem Jahr hat Castillo über 50 Minister und auch ein paar Ministerinnen verschlissen – mit ein Grund dafür, dass bisher kaum eines seiner Vorhaben umgesetzt werden konnte.

Zerfleischung der Linken

Dabei hätte Castillo keine Feind*innen aus der Linken gebraucht, denn im Kongress haben seine Gegnerinnen sowieso die Überhand. Der Kongress blockiert Castillo seit Beginn seiner Amtszeit. Unterstützung bekommt er darin von den großen Hauptstadtmedien, die einseitig die Verfehlungen Castillos täglich auf den Titelseiten bringen. Die Anhänger*innen Fujimoris, die fujimoristas, sind nicht darüber hinweg, dass sie die Wahl verloren haben. Die konservativen Rechten aus der Hauptstadt verachten Castillo ob seiner Herkunft. Alle Versuche des Parlaments, Castillo wegen „moralischer Unfähigkeit“ abzusetzen – die Verfassung erlaubt diesen Gummiparagraphen – sind dennoch mangels Mehrheiten gescheitert.

Kongress und Regierung im Patt

Dies liegt zum einen an den Parlamentarier*innen, die als Lobbyist*innen vor allem in ihre eigene Tasche wirtschaften und nicht das Risiko eingehen wollen, dass bei möglichen Neuwahlen auch sie ihren Parlamentssitz räumen müssten. Zum anderen ergeben sich erstaunliche Allianzen zwischen den dogmatischen Marxist*innen von Perú Libre und den rechten Freischärler*innen der übrigen Parteien. Bei ihrem konservativen und traditionellen Frauen- und Familienbild sind sich Rechte und Castillos Linke einig und stimmten gemeinsam für die Streichung jeglicher Genderarbeit aus den staatlichen Schullehrplänen. Ebenso einig sind sie sich bei der Förderung informeller bis illegaler Wirtschaftszweige: seien es die privaten Betreiber*innen der Stadtbuslinien in Lima, die informellen Goldschürfer*innen oder die Betreiber*innen privater Schrottuniversitäten.

Die Zurücknahme der Universitätsreform ist ein gutes Beispiel dafür, wie unter der Regierung von Castillo und in Eintracht mit dem sonst feindlich gesonnenen Kongress mühsame Regulierungen der vergangenen Jahre zunichte gemacht werden. Seit 2014 mussten sich alle Universitäten von einer dem Bildungsministerium unterstehenden Behörde lizenzieren lassen. Viele private, nur auf Gewinn ausgerichtete Universitäten und auch ein paar staatliche Universitäten mussten schließen. Doch gerade deren Besitzer*innen sind im Kongress vertreten und erreichten zusammen mit den Linken von Perú Libre, dass die Universitätsbehörde entmachtet wurde. Die Folge werden noch schlechter ausgebildete Universitätsabgänger*innen sein, die dann zwar einen Titel vorweisen können, für den ihre Eltern viel Geld hingelegt haben, der aber weitestgehend wertlos ist, weil er keinen Mindeststandards mehr entspricht.

Viele mag es erstaunen, dass Pedro Castillo es überhaupt geschafft hat, trotz all seiner Regierungsfehler, nicht gehaltener Versprechungen und der Feindschaft des Kongresses und der Medien, ein Jahr im Amt zu bleiben.

Der Kongress und die Exekutive halten sich in ihrer ganzen Jämmerlichkeit gegenseitig in Schach: Wenn der Kongress den Präsidenten absetzt und es zu Neuwahlen kommt, dann müssten auch die Parlamentarier*innen ihren Sitz räumen. Und zugleich droht Castillo damit, den Kongress zu schließen – dies kann er verfassungsmäßig, wenn der Kongress ihm zweimal hintereinander das Misstrauen ausgesprochen hat.

Aufrufe von Seiten der Zivilgesellschaft, doch freiwillig zurückzutreten und Neuwahlen auszurufen, hat er bisher ignoriert. Und obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung lieber heute als morgen sowohl den Präsidenten wie auch die Abgeordneten loswerden möchte, gibt es keine massiven Proteste auf den Straßen. Seit Castillos Amtsantritt rufen nur die rechten fujimoristas regelmäßig zu meist eher spärlich besuchten Protesten auf. Und die große Masse der Fujimori-Gegner*innen würde nie an einer Demonstration teilnehmen, zu der die fujimoristas aufrufen, ganz egal wie sehr sie sich einen Rücktritt Castillos wünschen.

So sitzt Castillo trotz seiner instabilen, erratischen Politik also doch recht stabil im Präsidentensessel. Allenfalls die Justiz könnte ihm noch gefährlich werden: Sechs staatsanwaltschaftliche Untersuchungen laufen gegen Castillo und Mitglieder seiner Familie. Meist geht es um verbotene Vorteilsnahme und unrechtmäßige Vergabe staatlicher Aufträge an Bekannte. Im Vergleich zu den Korruptionssummen seiner Vorgänger geht es da um Peanuts. Aber korrupt ist korrupt und die Enttäuschung, dass sich auch Castillo als korrupt erweist, ist bei vielen Wähler*innen besonders groß.

Noch ist niemand in Sicht, der den Unmut der Bevölkerung angesichts der Politik von Legislative und Exekutive kanalisieren könnte. Selbst wenn es zu Neuwahlen käme, ist keineswegs sicher, dass das Ergebnis besser wäre als das, was die Peruaner*innen jetzt haben. Es könnte sogar noch schlimmer kommen.

Dieser Artikel ist aus unserem aktuellen Dossier “Sein oder Schein? – Die neue progressive Welle in Lateinamerika”. Das Dossier kann hier kostenlos heruntergeladen werden.


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„DIE MENSCHEN SIND ENTTÄUSCHT VON CASTILLO“

Kupfermine in Peur (Foto: privat)

Aktuell befinden sich weiterhin viele Bergbau-Großprojekte in Planungsphasen. Welche sind die wichtigsten und welche Auswirkungen erwarten Sie?
Eines davon ist die Kupfermine Tía María in Arequipa, im Tal des Tamboflusses, ein fruchtbares Tal mit viel Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Viele Menschen dort leben von Zucht, Verkauf und Export von Zwiebeln und Knoblauch. Wenn dieses Projekt zustande kommt – und die Regierungen haben bisher darauf bestanden, obwohl sich die Bevölkerung seit mehr als zehn Jahren öffentlich gegen dieses Bergbauprojekt ausgesprochen hat – könnte diese Lebensgrundlage davon betroffen sein. Da es zwei riesige Tagebaugruben geben wird, denke ich, dass das gesamte Tal betroffen sein wird. Da es in Küstennähe liegt, wird es auch dort einige Ökosysteme und Naturgebiete beeinträchtigen.

Sie arbeiten auch zu Enteignungen von Gemeinden unter der Komplizenschaft des peruanischen Staates. Wie kann man sich das vorstellen?
Der Fall des Kupfertagebaus Toromocha im Departement Junín ist hierfür ein herausragendes Beispiel, denn er zeigt die Gefahr der Enteignung von Gemeindeländern durch die missbräuchliche Anwendung von Rechtsnormen. Im Jahr 2017 wurde vor dem Hintergund des El Niño-Phänomens ein Gesetz eingeführt. Artikel 49 dieses Gesetzes besagt, dass der Besitz von Immobilien nur in bewohnbaren Gebieten legal ist, und ermächtigt die Nationale Aufsichtsbehörde für Staatsvermögen (SNB), die Räumung der Bewohner in Risikozonen durchzuführen. In Morococha, einem vom Bergbauprojekt betroffenen Distrikt, wurde das Gesetz so ausgelegt, dass die Stadt Morococha in einer solchen Risikozone läge. Dort leben noch etwa 25 Familien, der Rest wurde bereits vor längerem umgesiedelt. Die SBN hat dann ein 34 Hektar großes Gelände an Activos Mineros überschrieben, einer staatliche Bergbaugesellschaft, die sich ausschließlich den Umwelt- und Bergbauverbindlichkeiten widmet. Kurioserweise gab Activos Mineros es dann sehr schnell an den chinesischen Investor Chinalco weiter, der die dortige Mine betreibt – am eigentlichen Eigentümer, der Gemeinde, vorbei. Das ist ein Einfallstor für die Enteignung weiterer Gebiete nach diesem Muster. In anderen Fällen wird auch mit niedrig angesetzten Kompensationsleistungen bei Landverkäufen gearbeitet.

Welche weiteren rechtlichen Mechanismen werden zur Durchsetzung der Bergbauinteressen eingesetzt?
Es gibt viele Fälle von líderes sociales und Umweltschützern, deren Aktivitäten von staatlicher Seite kriminalisiert werden. Das reicht von verschleppten Prozessen wegen vermeintlicher Verantwortung für Proteste bis hin zu Inhaftierungen ohne Rechtsgrundlage.

Während der Pandemie ist auch die Zahl der ermordeten Umweltschützer*innen in Lateinamerika gestiegen. Wie verhält sich das in Peru?
In letzter Zeit wurden auch in Peru vermehrt Umweltschützer ermordet, die meisten davon im Amazonasgebiet. Es gibt laut der nationalen Ombudsstelle mehr als 208 soziale Konflikte, zwei Drittel davon mit Umweltbezug, von denen 70 Prozent mit dem Bergbau zusammenhängen. Es sind zwar in der Vergangenheit bereits Menschen bei diesen Konflikten getötet worden, aber eher im Kontext von Protesten. Wenn es zum Beispiel Morde an Anführern in Bergbaukonflikten gäbe, wäre das meiner Meinung nach sehr gravierend. Es herrscht Angst. Viele líderes sociales fühlen sich bedroht und fordern Garantien zum Schutz ihrer Rechte ein. Bisher gab es diesbezüglich allerdings keine Fortschritte.

Welche Rolle spielen die staatlichen Sicherheitsorgane in den sozialen Konflikten?
Es gibt eine Regelung, die aus Vereinbarungen zwischen der Polizei und den Bergbauunternehmen hervorgegangen ist. Darin heißt es eindeutig, dass Polizisten zum Schutz des Eigentums von Bergbauunternehmen verpflichtet sind. Es wird ihnen zudem teilweise erlaubt, auch außerhalb ihrer Tätigkeit für die Polizei von den Unternehmen angestellt zu werden und deren Uniformen und Waffen zu benutzen. Sämtliche Gemeinden in den bestehenden sozialen Konflikten fordern daher, dass die Polizei im Dienst der Bevölkerung stehen und sie beschützen sollte. Wenn du zum Beispiel nach Cajamarca gehst, ist daher das erste, was sie fragen, ob die Polizei im Dienst der Unternehmen oder der Bevölkerung steht. Dasselbe anderswo. Die Leute wissen sehr genau, dass die Polizei da ist, um die Unternehmen zu unterstützen. Daher ist die Aufhebung der entsprechenden Vereinbarungen ein zentraler Aspekt der Forderungen.

Was sind weitere Aspekte, die sich ändern müssen?
Eine zentrale Forderung von uns bei Red Muqui ist, dass die verfassungsgemäßen Rechte geachtet werden, das Recht auf Leben, das Recht auf Gesundheit. Das impliziert auch, dass etwas gegen das von den Minenbetreibern mit Schwermetallen und Arsen kontaminierte Wasser getan wird, das die Bevölkerung trinkt. In den betroffenen Gebieten wachsen Kinder teils mit Blei im Blut auf. Wie man in der Pandemie gesehen hat, ist die Antwort des Staates auf gesundheitliche Ausnahmesituationen absolut unzureichend. Zudem ist es wichtig, dass das Recht auf Information ermöglicht wird. Die betroffene Bevölkerung hat oft kein Internet und wenig Zugang zu Informationen über die konkreten oder geschätzten Folgen des Bergbaus. Die Studien zu seinen Umweltfolgen werden zudem häufig nachträglich abgeändert, etwa im Falle Las Bambas (Anm. d. Red: einer der größten Kupfertagebaue der Welt in der Region Apurímac). Es gibt diesbezüglich keine gut aufgestellten staatlichen Stellen, die Kontrollsysteme sind sehr schwach. In Peru ist die Umweltverschmutzung zu billig. Wir liegen in dieser Hinsicht weit hinter Chile, wo man über ausgereiftere Überwachungssysteme verfügt. Auch die Bergbausteuern sind hier niedrig, das ist für Investoren attraktiv. Sie wollen, dass es schnell geht, und kümmern sich nicht um die Belange der Bevölkerung und mittel- bis langfristige Umweltfolgen. Die Gemeinden selbst kümmern sich mit selbst eingesetzten Umweltkomitees um das Monitoring des Wassers und die Überwachung ihrer Territorien. Es ist für sie daher wichtig, dass der peruanische Staat das anerkennt, und dass sie von der OEFA (Anm. d. Red.: Agentur für Umweltkontrolle) unterstützt werden, sobald ihnen etwas auffällt.

Der 2021 neu gewählte Präsident Pedro Castillo hatte vor allem im Corredor Minero del Sur in einigen Gemeinden bis zu 90 Prozent der Bevölkerung hinter sich. In seinem Wahlkampf hatte er vorgeschlagen, den Bergbau zu verstaatlichen. Wie hat sich die Bergbaupolitik in den ersten Monaten der Regierung Castillo gestaltet?
Castillos Wahlkampf stand ganz im Zeichen der Verteidigung der Rechte der Bevölkerung. Viele Menschen haben sich mit ihm identifiziert, weil er aus den bäuerlichen Selbstorganisationen der rondas campesinas kommt und vom Land ist. Es gab diese Hoffnung, dass er einer von ihnen ist und sie verteidigen wird. Es hat sich allerdings gezeigt, dass er ein weiterer Vertreter des extraktivistischen Wettbewerbsmodells ist. Denn am Projektportfolio der Regierung für 2022 ist deutlich zu sehen, dass es sich um eine Kontinuität der Politik der vorherigen Regierungen handelt. Die Menschen sind ein bisschen enttäuscht, auch die von Castillo angekündigte zweite Agrarreform hat nicht viele substanzielle Änderungen herbeigeführt. Weder ist die Vergabe von Landrechten an die Gemeinden abgeschlossen noch die Festlegung der Territorien, in denen Bergbau betrieben oder nicht betrieben werden kann. Der Schutz der Flussoberläufe steht ebenfalls nicht auf der Tagesordnung. Immerhin tötet die Regierung niemanden in den sozialen Konflikten. Das wäre bei einer Regierung unter Keiko Fujimori katastrophal gewesen, da hätte es sicherlich mehr Repression und Tote gegeben. Die ehemalige Premierministerin Mirtha Vázquez oder auch der damalige Wirtschaftsminister Pedro Francke (Anm. d. Red.: beide wurden von Pedro Castillo ernannt) haben wohl versucht, einige Änderungen im Sinne der Bevölkerung vorzunehmen, aber ich denke, dass Castillos Gefolge ihnen die Arbeit erschwert hat. Trotz des Ansturms der Rechten, ihre eigene Agenda durchzusetzen, indem sie Medien nutzen und jeden Tag die Amtsenthebung Castillos fordern, besteht in der Bevölkerung noch Hoffnung. Die Menschen befinden sich allerdings in einer Schwebesituation: Was hat man davon, Castillo zu unterstützen? Aber wenn man es nicht tut, leistet man der Rechten und der Forcierung des extraktiven Modells Vorschub.

Welche Mittel stehen der Bevölkerung in dieser Situation zur Verfügung?
Zunächst einmal können die Organisationen auf regionaler Ebene durch die rondas campesinas und die Gemeinden weiter gestärkt werden. Auf der anderen Seite stehen wir mit den Regional- und Kommunalwahlen im November vor dem Problem, dass es für die Teilnahme hohe Hürden gibt, die lokale Parteien benachteiligen. Daher herrscht heute eine gewisse Unzufriedenheit in der Bevölkerung und es besteht die Gefahr, dass diejenigen gewählt werden, die sie nicht vertreten. Aufgrund dieser Umstände denke ich, dass man auch eine internationale Agenda verfolgen und auf die Ratifizierung des Abkommens von Escazú (Anm. d. Red.: internationales Abkommen zur Umsetzung von Umweltstandards und Informationsrechten sowie Schutz von Umweltschützer*innen) durch den peruanischen Kongress drängen müsste.

Was würde sich durch eine Ratifizierung ändern?
Es gibt internationale Gremien, zu denen man dann Zugang hätte, um das Wasser, das Territorium der indigenen Völker, vor allem die in Peru besonders gefährdeten Menschen- und Umweltrechte zu schützen. Die Parteien und der Kongress lehnen das bisher ab, denn sie sehen vor allem ihr Geschäft gefährdet. In Peru gibt es eine Menge Lobbyarbeit. Die Regierung Castillos hat die Ratifizierung zwar selbst vorgeschlagen, aber sie braucht eine Parlamentsmehrheit, was sehr schwierig wird.


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