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Alle gegen LIBRE
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MEXIKO
Nachbar im Visier
Mit seinem Amtsantritt als 47. Präsident der Vereinigten Staaten schlägt Donald Trump einen schärferen Ton gegenüber Lateinamerika, insbesondere Mexiko, an. Er droht mit Zöllen: 25 Prozent auf Importe aus Mexiko und Kanada sowie 10 Prozent auf Waren aus China, vermeintlich um Drogenhandel und illegale Einwanderung aus Mexiko zu bekämpfen.
Doch das Problem ist komplexer. Der Drogenschmuggel über Kanada hat in den letzten Jahren zugenommen, und viele chemische Vorprodukte für Fentanyl stammen aus China und gelangen über Mexiko in die USA. Raul Bringas Nostti, Experte für mexikanisch-US-amerikanische Beziehungen, hält Trumps Drohungen jedoch für unrealistisch: „Ich glaube nicht, dass Trump die Zölle tatsächlich erlassen wird, da sie die Lieferketten schwächen und besonders den Aluminium- und Stahlexport Mexikos treffen würden. Das würde auch die Preise in den USA steigen lassen”, so Bringas Nostti im Interview mit LN.
Zusätzlich zu wirtschaftlichen Spannungen gibt es diplomatische Signale. Der Golf von Mexiko wurde in Golf von Amerika umbenannt, und die Webseite des Weißen Hauses ist nicht mehr auf Spanisch verfügbar – ein symbolischer Schritt, der als Affront gegen die spanischsprachige Bevölkerung gewertet wird.
„Trumps Ton gegenüber Lateinamerika ist aggressiv“, kritisiert Bringas Nostti. Dennoch sollte Mexiko nicht mit Zöllen antworten. „Seine Strategie ist, andere einzuschüchtern, bis er bekommt, was er will.“ Über Trumps weitere Schritte herrscht Unsicherheit: „Alles ist unsicher mit Donald Trump”, so Bringas Nostti.
// Erik Ahlhorn
EL SALVADOR/GUATEMALA
Mit Mittelamerika gegen mittelamerikanische Migrant*innen
Die außenpolitischen Prioritäten der neuen Trump-Regierung stellte das erste Reiseziel des US-Staatssekretär Marco Rubio klar. Eines der wichtigsten Wahlkampfversprechen der republikanischen Partei war, neben massiven Abschiebungen, die Einreise neuer Migrant*innen, insbesondere aus und durch Mittelamerika, zu verhindern. Rubios erste Mission im Amt war es daher, unter diesen Regierungen neue Komplizen für die restriktive Migrationspolitik zu gewinnen.
El Salvador hatten sie schon auf ihrer Seite: Präsident Nayib Bukele nimmt ohne jeglichen Druck Abschiebungen in Kauf. Dazu machte er Trump ein beispielloses Angebot: in seinem Strafvollzug verurteilte Gefangene – sowohl migrantische, als auch US-amerikanische – in salvadorianischen Gefängnissen gegen Geld unterzubringen.
Bernardo Arévalo, Präsident Guatemalas, muss sich weiterhin gut mit der US-Regierung stellen: Die Rückendeckung des vorherigen Präsidenten Joe Biden war unerlässlich, um angesichts der ständigen Angriffe der kooptierten Justiz an der Macht zu bleiben. Beim Treffen vereinbarten er und Rubio Abschiebeflüge von Migrant*innen guatemaltekischer und weiterer Staatsbürgerschaften nach Guatemala um 40 Prozent zu erhöhen.
Honduras und Nicaragua waren nicht im Reiseprogramm vorgesehen. Sie werden nicht direkt erwähnt, aber Rubio droht darin indirekt: Länder, die kooperieren, sollen „enorm profitieren“; Länder, die es nicht tun, sollen „Amerikas erheblichem Druck“ ausgesetzt werden.
// Lya Cuéllar
NICARAGUA
Migrant*innen droht die Abschiebung ins Krisengebiet
Seitdem 2018 in Nicaragua die soziopolitische Krise ausgebrochen ist und Ortegas Regierung zunehmend autoritär und repressiv handelt, verschärft sich die Situation für die Einwohnerinnen immer weiter. Kritikerinnen und Oppositionelle werden inhaftiert oder aus dem Land vertrieben. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich und viele Nicaraguanerinnen verlassen das Land angesichts fehlender Perspektiven. Ein großer Teil von ihnen versucht in den USA Arbeit, Sicherheit und Freiheit zu finden.
Donald Trumps harte Migrationspolitik versetzt Hunderttausende nun in Ungewissheit und Angst. Bereits kurz nach seiner Amtseinführung setzt er diverse Einwanderungsprogramme seines Vorgängers aus. Die App CPB One, mit der man vor der Einreise in die USA Asyl beantragen konnte, wurde abgeschaltet. Außerdem wurde das humanitäre Aufnahmeprogramm, auch als Parole-Programm bezeichnet, für Venezuela, Nicaragua, Haiti und Kuba ausgesetzt. Es erlaubte seit Anfang 2023 Menschen aus diesen Krisenländern unter bestimmten Voraussetzungen regulär in die USA einzureisen. Sofern sie nachweisen konnten, dass sie einen Bürgen im Land mit legalem Status hatten, erhielten sie das Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis für zwei Jahre. Bis einschließlich September 2024 sind auf diese Weise rund 513.000 Menschen eingereist, davon 93.000 aus Nicaragua. Läuft ihr Aufenthaltsstatus aus und sie haben vorab kein Asyl oder eine anderweitige Genehmigung erhalten, droht ihnen bald die Abschiebung, die nach Nicaragua mit besonderen Risiken einhergeht. Laut Angaben des Nicaraguan American Legal Defense and Education Fund haben mehr als 300.000 nicaraguanische Migrant*innen einen unklaren Aufenthaltsstatus und befinden sich somit in einer kritischen Lage.
// Bella García
KUBA
Die diplomatischen Sanktionen kehren zurück
Die Insel, die es einst wagte, sich dem US-amerikanischen Riesen zu widersetzen, zahlt immer noch einen hohen Preis dafür. Die Rückkehr von Donald Trump an die Macht verschlimmert diese Situation um ein Vielfaches. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung bestand darin, Kuba wieder auf die Liste terroristischer Staaten zu setzen. Die vorherigen Verhandlungen der Biden-Regierung mit der katholischen Kirche und dem kubanischen Staat waren mit der Ankündigung der Freilassung von 553 politischen Gefangenen durch den kubanischen Staat abgeschlossen. Unter den bereits Freigelassenen sind viele junge Menschen, die zu sehr langen Haftstrafen verurteilt worden waren, insbesondere wegen ihrer Teilnahme an den Anti-Regime-Demonstrationen im Juli 2021. Im Jahr 2024 zählte der World Prison Brief 794 Inhaftierte pro 100.000 Einwohner in Kuba.
Die für Kubanerinnen bereits seit Jahrzehnten krisenhaften Lebensbedingungen und der Verlust jeglicher Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft veranlassten 2022 und 2023 fast 425.000 Kubanerinnen zur Auswanderung in die USA. Die Machtübernahme von Trump bedeutet auch für sie die Gefahr, verhaftet und abgeschoben zu werden. Sollte Trump seine Ankündigungen umsetzen, 30.000 illegalisierte Einwandererinnen in Guantánamo in Gewahrsam zu nehmen, könnten bald ausgewanderte Kubanerinnen auf ihrer eigenen Insel von den USA ins Gefängnis gesteckt werden. Das Militärgefängnis auf dem US-amerikanischen Marinestützpunkt in Kuba ist schon lange ein Symbol dafür, wie die USA Menschenrechte mit Füßen treten.
// Margot Ravereau
PANAMA
Der Panama-Kanal und Trumps imperialistische Ambitionen
Die aktuelle Politik der USA lässt die interventionistische Knebeldoktrin des sogenannten Big Stick von Theodore Roosevelt vom Anfang des 20. Jahrhunderts wiederaufleben. Das Ziel: die Kontrolle über die lateinamerikanische Region wiedererlangen. Speak softly and carry a big stick, you will go far – „Sprich sanft und trage einen großen Knüppel, dann wirst du weit kommen“, so das Motto dieser Bedrohungspolitik. Panamas Regierung unter José Raúl Mulino ist in diesem Zuge mit einem der größten Angriffe auf die Unabhängigkeit und juristische Sicherheit des Landes in den vergangenen 30 Jahren konfrontiert. Trumps Lügen verkünden, dass der Panama-Kanal derzeit von der chinesischen Regierung betrieben werde und den US-amerikanischen Schiffen zu hohe Gebühren auferlegt würden. Angesichts dieser angeblichen Bedrohung will die Trump-Regierung die Wasserstraße um jeden Preis zurückerobern und gibt verschiedene Warnungen von sich, die in einer militärischen Intervention münden könnten.
Die Betreiber des Panamakanals haben inzwischen die Anwaltskanzleien Vinson & Elkins beauftragt, zu Beginn des Konflikts auch die BGR Group und VantageKnight. Einer der Vertreter*innen der BGR Group, David Urban, scheint jedoch eher Lobbyarbeit für die Trump-Regierung zu leisten als die Regierung Mulino gut zu beraten: In früheren Interviews mit US-Medien deutete er an, dass die USA Neutralität beanspruchen könnten, indem sie die „Just Cause“-Operation wiederholen. Das würde bedeuten, in Panama einzumarschieren oder dem Land „in den Arsch zu treten“, wie sie es bereits 1989 bei der Invasion Panamas getan hatten.
// Carlos Escudero-Nuñez
USAID
Die Problematik der Entwicklungshilfe (und ihrer plötzlichen Abschaffung)
Nach Trumps Dekret vom 20. Januar, Entwicklungshilfeaktivitäten für 90 Tage auszusetzen, fürchten nun viele Menschenrechts- und Medienorganisationen in Lateinamerika, die Unterstützung durch Stiftungen und Programme wie USAID erhielten, sowohl um ihre Existenz als auch um die Leben der Menschen, für die sie arbeiten.
Keine andere Organisation macht die Spannungen und Widersprüche von „Entwicklung“ so deutlich wie die United States Agency for International Development (USAID). Weltweit ist USAID mit einem Budget von 43,4 Milliarden Dollar der größte Geber von Entwicklungsgeldern. Damit betreibt sie zum Beispiel ein System zur Erkennung von Hungersnöten und verschiedene Gesundheitsprogramme, unter anderem zur Behandlung von HIV.
Gleichzeitig ist USAID eines der wichtigsten Instrumente strategischer Einflussnahme der USA. Durch die Lieferung von Nahrungsmitteln aus US-Produktion oder die Bezahlung von US-Vertragspartner*innen schafft sie dauerhafte Abhängigkeitsverhältnisse. Darüber hinaus spielt die „soft power“ von USAID eine wichtige Rolle bei der Unterwanderung nationaler Regierungen, die US-Interessen entgegenstehen. Zu diesem Zweck gibt USAID beispielsweise finanzielle Unterstützung an oppositionelle NGOs. Dies macht sich vor allem in Lateinamerika bemerkbar. Nicht ohne Grund wiesen Regierungen in Venezuela, Ecuador, und Bolivien USAID Anfang der 2000er aus ihren Ländern aus.
Die Entscheidung, USAID quasi über Nacht abzuschaffen, macht eine Aushandlung der heutigen Bedeutung von Entwicklungspolitik nicht einfacher, aber umso notwendiger. Dass es eine andere, solidarische Entwicklungspolitik braucht, ist unbestritten. Wie diese in Zukunft aussehen soll, darf aber nicht Donald Trump oder Elon Musk überlassen werden.
// Josefina Lehnen
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Bis zum 12. Februar 2025 hat Donald Trump mehr als 60 Exekutivverordnungen unterzeichnet – ein Rekord in den vergangenen 40 Jahren. Eine Exekutivverordnung ist eine präsidiale Anordnung ohne die Kontrolle anderer Regierungsgewalten. Diese können jedoch vor Gericht angefochten und blockiert werden, was in einigen Fällen bereits geschehen ist. Mehr als die Hälfte der Verordnungen zielen darauf ab, Migration einzuschränken und die Rechte von Migrant*innen sowie Asylsuchenden zu beschneiden.
Sie spiegeln die Kontinuität einer migrationsfeindlichen Politik wider, die auf Kriminalisierung, einer verschärften Sicherheitspolitik und Militarisierung basiert. Irregulär migrierte Personen und Asylsuchende werden als „Bedrohung“ der nationalen Sicherheit dargestellt. Am 20. Januar, Tag Eins seiner Amtszeit, unterzeichnete der Präsident mindestens sechs Exekutivverordnungen im Zusammenhang mit Migration und der sogenannten „Grenzsicherheit“. Er erklärte einen „nationalen Notstand“ an der Grenze zu Mexiko, entsandte 1.500 Polizeikräfte und setzte das Programm Quédate en México („Bleib in Mexiko“), auch bekannt als Migrant Protection Protocols (MPP), wieder in Kraft. Dieses Programm kam bereits 2019 zur Anwendung und wurde Mitte 2022 eingestellt. Es zwingt Asylsuchende, die an der US-Südgrenze ankommen, dazu, in Mexiko zu bleiben, während ihre Fälle vor US-amerikanischen Einwanderungsgerichten verhandelt werden. Trump schaffte außerdem die App CBP One ab, über die Asylsuchende zuvor ein Formular ausfüllen mussten, um einen Termin an den Grenzübergängen zwischen den USA und Mexiko zu erhalten (siehe LN 594). Dadurch wurden Tausende von bereits vereinbarten Terminen storniert, sodass Schutzsuchende an den Grenzübergängen strandeten. Zudem setzte Trump das Resettlement-Programm für Geflüchtete aus und erweiterte die grenzpolizeilichen Operationen innerhalb der USA ohne richterliche Anordnung. Dies führte dazu, dass Tausende von Geflüchteten in Unsicherheit zurückblieben und Abschiebungen ohne rechtsstaatliches Verfahren ermöglicht wurden.
60 Exekutivverordnungen in 3 Wochen
Mit einer weiteren Verordnung hob Trump den Temporary Protected Status (TPS) für Venezolaner*innen auf. Schätzungsweise hatten mindestens 600.000 Personen von diesem temporären Schutzstatus profitiert. Nun sind sie von Abschiebung bedroht sowie arbeitsrechtlicher Unsicherheit und verstärkter Ausbeutung ausgesetzt, da ihre Arbeitserlaubnisse erloschen sind. Zusätzlich drohen ihnen erhebliche Risiken, sollten sie in ein Land zurückkehren müssen, in dem Migration ebenfalls kriminalisiert wird.
Die US-Regierung, die offen feindselig gegenüber migrierten und verarmten Menschen agiert, erhöhte zudem die Mindestquoten für Verhaftungen und Abschiebungen durch die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE. Gleichzeitig wurden verschiedene Gruppen zu Terrororganisationen erklärt – darunter mexikanische und venezolanische Kartelle wie Tren de Aragua. Dies dient nicht nur der Rechtfertigung der Aufhebung des TPS, sondern auch der Legitimierung des Einsatzes US-amerikanischer Sicherheitskräfte auf mexikanischem Boden.
Es ist zu beobachten, wie Abschiebungen mit unmenschlichen, erzwungenen Trennungen von Familien die Angst und posttraumatischen Belastungsstörungen innerhalb der transnationalen Migrant*innengemeinschaft verstärken. Berichte über Abschiebeflüge belegen, dass es dabei zu menschenunwürdiger Behandlung kommt. Zudem besteht die Gefahr eines plötzlichen Einbruchs der Rücküberweisungen von Geld, die das Überleben von Familien in Mexiko, Mittel- und Südamerika sowie in der Karibik sichern. Ein weiteres Problem für migrantische Gemeinschaften, die um ihr Überleben und das Recht auf Migration kämpfen, ist die Kürzung der Mittel für die US-Entwicklungsagentur USAID (siehe Seite 30). Paradoxerweise finanzierte diese unter bestimmten Bedingungen humanitäre Projekte, darunter Programme für irregulär migrierte Menschen auf der Durchreise. Zudem versuchte Trump, das Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft abzuschaffen – eine Maßnahme, die aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit umgehend von Bundesgerichten blockiert wurde.
Große mediale Inszenierung
Angesichts dieser Entwicklungen ist es entscheidend, die Maßnahmen Trumps und der US-amerikanischen Rechten als eine auf Hass und medialer Inszenierung basierende Strategie zu entlarven: Es gibt ein massives Ungleichgewicht zwischen der Verbreitung hasserfüllter Narrative und der tatsächlich umgesetzten Politik. Denn bis heute gibt es keine Klarheit darüber, wie viele der Exekutivverordnungen tatsächlich durchgesetzt werden und welche Auswirkungen sie haben werden. Besonders im Bereich der Abschiebungen verdeutlicht Eileen Truax, Journalistin mit Schwerpunkt Migration, gegenüber LN, wie die mediale Inszenierung die Realität der Zahlen verzerrt: „Im Jahr 2024 wurden 14.000 Menschen nach Kolumbien abgeschoben. Das entspricht 38 Abschiebungen pro Tag, 760 in 20 Tagen – doppelt so viele wie Trump in seinen ersten 20 Amtstagen durchführte“, so Truax.
Migrant*innen reagieren auf unterschiedliche Weise auf diese Situation. Viele Menschen mit einem irregulären Aufenthaltsstatus in den USA sehen ihren Alltag massiv beeinträchtigt: Sie haben Angst, zur Arbeit zu gehen, ihre Kinder zur Schule zu schicken und dort möglicherweise festgenommen zu werden. In betroffenen Haushalten mussten sich diejenigen, die von Abschiebung bedroht sind, organisieren, um notwendige Besorgungen und Erledigungen zu machen, während andere gezwungen sind, in ihren Häusern zu bleiben.
Gleichzeitig mischen sich Angst, Wut und Würde. Historische migrantische Kämpfe gegen anti-migrantische Narrative und Maßnahmen leben wieder auf und entwickeln neue Ausdrucksformen. Vor allem junge Menschen lateinamerikanischer Herkunft und Indigene Gruppen Nordamerikas organisieren sich in ihren Gemeinschaften und über soziale Netzwerke, gehen auf die Straßen und beteiligen sich an Demonstrationen. Sie protestieren und setzen der Entmenschlichung Würde entgegen: „Wir sind hier, und wir sind keine Kriminellen!“ Zudem organisierten sie eine landesweite Mobilisierung unter dem Motto „#EinTagohne- Migrantinnen“. Menschen blieben der Arbeit fern und Geschäfte schlossen, um auf die Bedeutung von Migrantinnen für die Gesellschaft und Wirtschaft aufmerksam zu machen.
Kollektiv zusammenstehen
Es entstehen alternative Narrative, die sich gegen Hass richten, die Vielfalt, Mehrsprachigkeit, Multikulturalität und die Solidarität feiern, die Abya Yala auszeichnen – sichtbar auf Protestplakaten, in Slogans, Worten und Liedern. Organisationen, Kollektive und Einzelpersonen auf der ganzen Welt starten Kampagnen zur Unterstützung, Aufklärung und Bewusstseinsbildung.
Es gibt auch spontane Formen des Widerstands, wie der Fall eines Abschiebeflugs nach Brasilien am 24. Januar zeigt. Aufgrund technischer Probleme musste das Flugzeug zweimal zwischenlanden. Die Migrant*innen an Bord, die ohne Klimaanlage und in Handschellen abgeschoben wurden, rebellierten gegen die US-Behörde in Manaus, die für den Flug verantwortlich war. Dadurch gelang es ihnen, das Flugzeug zu verlassen und die brasilianischen Behörden zum Handeln zu bewegen. Außerdem schafften sie es, für sich selbst zu sprechen – anstatt lediglich als Bilder von gefesselten, mit gesenktem Blick gehenden Menschen in Erinnerung zu bleiben.
Kooperation zulasten von Migrant*innen
Andere wichtige, allerdings gegenläufige Reaktionen beziehen sich auf die internationale Zusammenarbeit einiger lateinamerikanischer Regierungen mit den USA im Bereich Migration, die sich „verpflichtet“ haben, abgeschobene Personen – sowohl Staatsangehörige als auch Nicht-Staatsangehörige – aufzunehmen. Diese Situation stärkt die Sicherheits- und Militarisierungspolitik an den Grenzen. Zentralamerikanische Länder haben eine Kooperation entwickelt, die ihre Interessen daran ausrichtet, Abschiebungsprozesse durchzuführen und Migration an sich aufzuhalten. Diese Kooperation ist „das Ergebnis des ersten Besuchs des US-Außenministers Marco Rubio in Zentralamerika, bei dem er die Region bereiste, um die Allianz zur Umsetzung des migrationsfeindlichen Projekts von Präsident Donald Trump zu garantieren,“ so Cindy Espina im zentralamerikanischen Onlinemedium Hora Cero. Neben den entstandenen Vereinbarungen mit Guatemala und El Salvador (siehe Seite 31) bekräftigte Panamas Regierung ihren Willen, die Grenzkontrollen im Darién-Dschungel zu verstärken und die Abschiebung regionaler und außerkontinentaler Migrant*innen fortzusetzen. Ebenso wurde Guantánamo auf Kuba erneut als extraterritoriales Haftzentrum für Migrant*innen bestätigt, wodurch eine seit 60 Jahren bestehende Politik fortgesetzt wird (siehe Seite 32).
In den fast 30 Tagen seiner Regierung hat Präsident Donald Trump Vereinbarungen getroffen, um die bereits langjährige Politik der praktischen Verschiebung der Südgrenze der USA in der Region zu verstärken. Vor dem Hintergrund des komplexen Zollstreits mit Drohungen von Strafzöllen (siehe Seite 31) ließ sich Mexiko darauf ein, 10.000 zusätzliche Soldat*innen an seiner Nordgrenze zu stationieren und die Praxis zur Eindämmung der Migration fortzusetzen. Gleichzeitig konzentriert sich die mexikanische Regierung ausschließlich auf die Betreuung abgeschobener mexikanischer Staatsbürger*innen. Sie zeigt damit ein mangelndes Interesse, Migrant*innen aus anderen Ländern, die in Mexiko gestrandet sind, zu unterstützen. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen ist zu erwarten, dass Trump bilaterale Vereinbarungen mit Guatemala und Mexiko anstrebt, um sogenannte sichere Drittstaaten zu etablieren. Dies bedeutet, dass die USA Asylanträge von Personen ablehnen können, die zuvor durch ein anderes Land gereist sind, das als sicher gilt. Die USA wollen durch dieses Instrument ihrer asylrechtlichen Verantwortung entgehen. Gleichzeitig können sie die beteiligten Länder dazu drängen, Maßnahmen zur Eindämmung von Migration zu ergreifen, um zu verhindern, dass Migrant*innen in ihre Länder und in die USA gelangen. Dieses Verfahren, das auf der Flüchtlingskonvention von 1951 basiert, besagt, dass ein Land einem Menschen, der in seinem Herkunftsland gefährdet ist, das Asyl verweigern und ihn an ein Drittland verweisen kann, das über die nötigen Bedingungen verfügt, um der Person Sicherheit zu bieten.
Kämpfe gegen hasserfüllte Narrative
Während Länder wie El Salvador, Guatemala, Panama und Mexiko bereit sind, für Trump die Migration in die USA zu stoppen, forderten die Präsidenten von Kolumbien und Brasilien einen menschenwürdigen Umgang mit abgeschobenen Staatsangehörigen. In Argentinien und Chile haben die Regierungen ihre eigenen Pläne zur Verstärkung der politischen Grenzkontrollen, zur Erleichterung von Abschiebungen und zur Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen für bestimmte Migrant*innen geschmiedet, beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Im Fall von Chile ist dies mit einem zunehmenden Rassismus und Xenophobie gegen arme und Schwarze Migrant*innen verbunden (siehe LN 608). Die nordamerikanische Erzählung wird übernommen, Migrant*innen in irregulärem Status als Bedrohung darzustellen. In diesen dunklen Zeiten, in denen sich die Rechte in verschiedenen Ländern behauptet und die Kontexte voller Gewalt, Angst und hasserfüllter Narrative sind, müssen wir kollektiv zusammenstehen. Das bedeutet, Kämpfe von Migrant*innen zu unterstützen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der USA stattfinden. Und, sich den lokalen und internationalen Organisationen anzuschließen, die auf die Gewalt reagieren. Wir fordern eine Migrationspolitik – gemeinsam mit den lateinamerikanischen und karibischen Ländern – die auf dem Prinzip des pro-persona basiert. Dies bedeutet die größtmögliche Achtung, Förderung und den Schutz der Menschenrechte von Migrant*innen und Asylsuchenden. Ebenso schließen wir uns als Kollektiv den Forderungen nach einem Ende der Auslagerung der US-amerikanischen Grenzen an.
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Zuerst die gute Nachricht: Die haitianische Literatur, eine der wichtigsten in der Karibik, lebt und produziert immer neue Talente. Eines von ihnen ist der 1984 geborene Jean D’Amerique, dessen Buch Zerrissene Sonne gerade auf Deutsch erschienen ist. Ein Text voller zerbrechlicher Poesie und Sprachgewalt. D’Amerique stammt aus einem marginalisierten Viertel in Port-au-Prince und hatte, wie er selbst sagt, die Wahl Gangster oder Literat zu werden. Angefangen hat er als Rapper und Lyriker in einer lebendigen Szene in der haitianischen Hauptstadt, die bei den Antikorruptionsprotesten 2018 die Flächen der Häuser und Mauern mit Gedichten übersäte, in denen die Losungen in die Sprache der Kunst verwandelt und entfremdet wurden. In Lyrik-Werkstätten entstanden jene Zeichen, die in der Stadt wie Spuren auftauchten und den Aufstand verrätselten. Sein Buch ist voller Ellipsen wie: „Abhauen aus dieser missratenen Welt, den Wunden entkommen, die die Zwischenräume des Traums markieren, zumindest ein Schrei im Schlachthaus sein“.
Geschrieben ist der Text D’Ameriques aus dem Inneren der an den Abgrund getriebenen Randlage, aus der Todeszone einer Globalisierung, in die Menschen wie überflüssiger Dreck abgeschoben werden. Das Werk bietet eine der wenigen Möglichkeiten, sich Haiti und seiner Katastrophe, für die die Welt und zuvorderst die USA die Verantwortung tragen, anzunähern, ohne sich im vertrauten Blick der kolonialen Überlegenheit zu beheimaten. Denn wer heute von außen auf Haiti schaut, sieht die Ganggewalt und glaubt zu verstehen, was er oder sie da sieht. Die Nachricht im Dezember vergangenen Jahres, dass ein Ganganführer aus Cité Soleil, einem der ältesten ARmenviertel der haitianischen Hauptstadt, über 100 Frauen über 60 umbringen ließ, weil sie seinen verstorbenen Sohn angeblich verhext hatten, ging viral.
Doch die Zuschreibung der Gewalt als haitianische Wesensart hat nicht erst mit der Ganggewalt ihren Anfang genommen. Sie reicht zurück bis zum Befreiungskampf versklavter Menschen, die sich nur durch die Unabhängigkeit von 1804 vor einer erneuten Versklavung schützen konnten, dafür aber einen hohen Preis bezahlten. Die Kredite, die Haiti damals bei der Kolonialmacht Frankreich aufnehmen musste, hat das Land bis nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzahlen müssen: unter anderem an französische und deutsche Banken und zuletzt an die Citibank in New York. Die unrechtmäßigen Zahlungen haben heute einen Gegenwert von 21 Milliarden US-Dollar.
Haiti als Todeszone der Globalisierung
Die Verschuldung bestimmte das ökonomische und soziale Geschehen in dem Land, das sich als erstes in der Weltgeschichte der Moderne von der Sklaverei befreite. Im Nachgang folgten eine fast zwei Dekaden andauernde Besatzung durch die USA, eine von den USA wegen ihres Antikommunismus geduldete Diktatur von Vater und Sohn Duvalier und eine 13-jährige Intervention von UN-Truppen, getragen durch lateinamerikanische Militärs, die in den USA ausgebildet wurden. In diese unvollständige Liste der militärischen und humanitären Interventionen in Haiti reiht sich nun der aktuelle Versuch ein, für „Sicherheit“ zu sorgen.
Seit Juni vergangenen Jahres befindet sich eine internationale Polizeiunterstützungsmission in Haiti, die aus 400 kenianischen Polizist*innen besteht und noch auf über 1.000 aufgestockt werden soll. Der UN-Sicherheitsrat hat die Truppen genehmigt und die USA finanziert sie. Parallel wurde unter der Schirmherrschaft der karibischen Staatengemeinschaft CARICOM ein haitianischer Präsidialrat des Übergangs geschaffen, dessen Präsidentenamt alle drei Monate wechselt. Auf Druck des damaligen US-Außenministers Blinken wurden sieben Gruppierungen aus der haitianischen Politik in diesen Übergangsrat gezwängt. Darunter die Regierungspartei PHTK, die abgrundtief in die Ganggewalt verstrickt ist. Hineingezwungen wurde auch der Montana-Accord, ein Bündnis linker Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Kirchen und Unternehmerverbänden. Nach dem erzwungenen Rücktritt des Ministerpräsidenten Henry 2023 legte der Montana-Accord einen Plan für eine technokratische Übergangsregierung vor, um die öffentliche Infrastruktur in Haiti soweit wieder herzustellen, dass glaubwürdige Wahlen möglich wären (siehe LN 598). Der Vorschlag, der in einem längeren Prozess mit lokalen Akteuren erarbeitet wurde, kam jedoch bei den USA, Kanada, der EU und Deutschland gar nicht gut an. Einzig der US-Diplomat Daniel Foote sah darin eine Chance, trat jedoch nach wenigen Wochen von seinem Posten als Haiti-Beauftragter zurück, weil er die Abschiebepraxis der Biden-Regierung nach Haiti als verfassungsrechtlich bedenklich ablehnte. Heute fehlt dem Montana-Accord der einstige Schwung, der ihn vor zwei Jahren noch als einer der letzten Hoffnungsträger erscheinen ließ.
Ausgestattet mit US-amerikanischen Waffen
So sind die Gangs heute die wichtigsten haitianischen Akteure, bewaffnet mit den neusten Maschinengewehren, die ungehindert aus den USA nach Haiti importiert werden. Die internationale Polizeimission hat ihre Macht nicht einschränken können. Gerade toben die Kämpfe um Kenscoff, eine kleine Gemeinde südöstlich von Port-au-Prince. Von dort oben im haitianischen Hochgebirge hat man einen wunderschönen Blick auf die Bucht der Hauptstadt. Wer Kenscoff einnimmt, hat aber auch einen enormen strategischen Vorteil. 80 Prozent der Hauptstadtregion sind bereits unter Kontrolle der Gangs. Nach Kenscoff könnte auch Pétionville, der Vorort der Privilegierten, eingenommen werden. Die Gangs, deren Machtkämpfe zu einer Million intern Vertriebener und über 5.000 Toten im vergangenen Jahr geführt haben, verfolgen aber nicht wirklich ein eigenes Projekt. Sie leben von dem Chaos, das sie produzieren – während sie abwarten, was die Trump-Administration im Schilde führt. Geostrategisch betrachtet die neue US-Regierung Lateinamerika und die Karibik als ihren Hinterhof. Haiti muss kontrolliert werden und dient einzig und allein als Ort der Abschiebung haitianischer Migrant*innen (siehe Seite 34). Das war schon unter Biden der Fall. Diese rigorose Politik, die von der Dominikanische Republik ebenso schonungslos verfolgt wird, ist der eigentliche Eskalator der haitianischen Katastrophe.
Denn zehntausende Menschen in ein Land abzuschieben (die Dominikanische Regierung spricht sogar von 100.000 in 2024), das auch ohne sie im vollkommenen Chaos zu versinken droht, macht jede Art von Politik, die die Krise eindämmen will– und sei sie interventionistisch – zunichte. So können die Gangs getrost abwarten und haben fast alle Karten in der Hand.
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Nach der höchst umstrittenen Wahl im Juli 2024 wurde Nicolás Maduro am 10. Januar erneut als venezolanischer Präsident vereidigt. Die venezolanische Opposition konnte die Vereidigung durch landesweite Proteste und internationalen Druck nicht verhindern. Wie Maduro seine dritte Amtszeit gestalten will und warum linke oppositionelle Strömungen keinen nennenswerten politisch Einfluss haben, erklärt dieser Bericht.
Es ist eine klare Niederlage für die rechte Opposition. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen ließ sich Nicolás Maduro am 10. Januar erneut als venezolanischer Präsident vereidigen. Seine dritte Amtszeit verdanke er nicht „der US-Regierung oder den pro-imperialistischen Regierungen der lateinamerikanischen Rechten“, sondern „der einfachen Bevölkerung“, betonte Maduro in seiner Antrittsrede.
Die tatsächlichen Umstände der Vereidigung sind allerdings weniger eindeutig. Die Präsidentschaftswahl vom 28. Juli vergangenen Jahres war hochumstritten. Laut offiziellen Angaben hatte Maduro 51,2 Prozent der Stimmen erreicht. Die rechte Opposition hingegen, die ihre Wunschkandidatin María Corina Machado nicht aufstellen durfte, sah deren Ersatz Edmundo González mit knapp 70 Prozent vorne (siehe LN 603/604). Da der Nationale Wahlrat (CNE) anders als gesetzlich vorgeschrieben keine detaillierten Ergebnisse veröffentlichte, sind die Zahlen nicht unabhängig nachprüfbar. Hätte Maduro bei der Wahl tatsächlich triumphiert, hätte er der Öffentlichkeit wohl Belege dafür präsentiert und die Opposition dadurch bloßstellen können.
Weithin wird der venezolanische Präsident nun als De-facto-Staatschef betrachtet. Die USA, Kanada, die Europäische Union (EU) sowie Großbritannien verhängten im Anschluss an die Vereidigung neue Sanktionen gegen eine Reihe venezolanischer Funktionäre. Zudem erhöhten die USA das bereits 2020 ausgelobte Kopfgeld zur Ergreifung Maduros von 15 auf 25 Millionen US-Dollar. Die gleiche Summe gibt es für Innenminister Diosdado Cabello, der als sicherheitspolitischer Hardliner und Nummer Zwei des regierenden Chavismus gilt. Abgesehen von den Staatschefs Kubas und Nicaraguas, Miguel Díaz Canel und Daniel Ortega, waren kaum hochrangige Politiker*innen bei der Vereidigung anwesend. Nicht nur westliche Länder sowie rechts regierte Staaten Lateinamerikas blieben fern. Auch die Mitte-links-Regierungen aus Guatemala und Chile erteilten eine Absage. Gleiches gilt für die Präsidenten der eigentlich verbündeten Länder Kolumbien und Brasilien, Gustavo Petro und Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Beide hatten sich in den vergangenen Monaten für die Veröffentlichung der Wahlergebnisse, aber auch ein Ende der US-Sanktionen stark gemacht. Die venezolanische Regierung wies die Forderungen nach Transparenz als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Als wichtigste internationale Verbündete außerhalb Lateinamerikas bleiben Maduro Russland, China, Iran und die Türkei erhalten.
Maduro geht in die Offensive
Die Oppositionsführerin Machado meldete sich am Nachmittag der Amtseinführung mit einer Videobotschaft zu Wort und warf Maduro vor, einen Staatsstreich vollzogen zu haben. Am Vortag hatte sie sich im Rahmen landesweiter Proteste nach mehreren Monaten erstmals wieder in der Öffentlichkeit gezeigt. Im Anschluss war sie nach eigenen Angaben kurzzeitig festgenommen worden, die Regierung wirft ihr eine Inszenierung vor. Nachdem die rechte Opposition seit Monaten die Erwartungshaltung aufgebaut hatte, Edmundo González werde sich am 10. Januar in Venezuela als Präsident vereidigen lassen, ruderte Machado nun zurück. Er werde erst einreisen, „wenn die Konditionen dafür gegeben sind“. Bis dahin seien internationaler Druck und Proteste innerhalb des Landes nötig. Die Regierung hatte mehrfach betont, Edmundo González bei einer möglichen Rückkehr umgehend verhaften zu lassen. Eigentlich seit September im spanischen Exil, befand sich der Oppositionspolitiker Anfang Januar auf einer Rundreise durch die Region. Empfangen hatten ihn unter anderem die Präsidenten Argentiniens, Uruguays, Panamas sowie der scheidende US-Präsident Joe Biden. González selbst veröffentlichte von der Dominikanischen Republik aus ein Video und bestätigte Machados Angaben. Als „gewählter Präsident“ rief er das Militär einmal mehr dazu auf, dem „illegitimen Regime“ die Anerkennung zu verweigern.
Auch linke Opposition Communes spricht von “De-Facto-Regierung”
Dass diese Rufe bislang ungehört verhallten und ein breiter Aufstand verschiedener Gesellschaftsschichten unrealistisch erscheint, hat Gründe. Ein Grundproblem besteht darin, dass im Vorfeld der Wahl keine Garantien ausgehandelt wurden. Im Falle eines Machtwechsels hätten der venezolanische Präsident und sein Umfeld, darunter auch die Militärführung, Repression und juristische Verfolgung zu befürchten. Da sich westliche Akteur*innen immer schon auf die Seite der rechten Opposition geschlagen haben, auch wenn diese selbst undemokratische Manöver anwendete, hält die Kernanhängerschaft Maduros ihm zudem trotz des offensichtlichen Wahlbetrugs die Stange. Zwar ist jenseits von Überbleibseln eines sozialistischen Diskurses schon lange kein linkes Regierungsprojekt mehr erkennbar. Unter dem Eindruck der US-Sanktionen setzt die Regierung bereits seit Jahren auf eine intransparente Privatisierungspolitik. Doch innerhalb der ärmeren Bevölkerung versprechen sich viele nichts von Machado und Co., auch wenn sie von Maduro enttäuscht sein mögen und dieses Mal zum Teil sogar für die Opposition gestimmt haben.
Nicht zuletzt geht die Regierung seit Monaten verschärft gegen Kritiker*innen vor. Bei Protesten gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug waren in den Tagen unmittelbar nach der Wahl etwa 2.000 Personen verhaftet worden, von denen ein Großteil laut unabhängigen Beobachter*innen noch immer in Haft sitzt. Auch werden regelmäßig selektiv prominente Persönlichkeiten und vermeintliche Söldner festgenommen. Allein in der Woche vor der Amtseinführung traf es unter anderem den Schwiegersohn von Edmundo González, Rafael Tudares, den Direktor der regierungskritischen Nichtregierungsorganisation Espacio Público, Carlos Correa, und Ex-Präsidentschaftskandidat Enrique Márquez. Offizielle Informationen über den Verbleib der Festgenommenen gab es zunächst nicht, Correa wurde nach einer Woche wieder freigelassen.
Für Maduros dritte Amtszeit zeichnet sich außenpolitisch also eine weitere Isolierung sowie verstärkte Hinwendung zu autoritären Regimen ab. Innenpolitisch deutet alles auf eine repressive Linie gegen Regierungskritiker*innen und eine Vertiefung der Privatisierungspolitik hin. Ende November beschloss das Parlament, dass die Propagierung von Sanktionen gegen Venezuela künftig mit bis zu 30 Jahren Gefängnis und praktisch lebenslangen Antrittsverboten geahndet wird. Eine derzeit diskutierte Reform der Wahlgesetze läuft laut vorliegenden Informationen darauf hinaus, dass an den für dieses Jahr vorgesehenen Parlaments, Regional- und Kommunalwahlen keine Kandidat*innen teilnehmen dürften, die das Ergebnis der Präsidentschaftswahl anzweifeln. Dies könnte den Großteil der rechten Opposition sowie linke Regierungskritiker*innen treffen und Maduro wieder sichere Mehrheiten garantieren. Übrig bliebe nur eine moderate Opposition, die der Regierung kaum gefährlich werden kann und in vielen Fällen selbst Regierungspositionen vertritt. Die regierungskritische Linke hat seit der staatlichen Intervention in die Parteistrukturen der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) im vergangenen Jahr keine legale Möglichkeit mehr, eigene Kandidaturen aufzustellen. Verschiedene Gruppen versuchen sich seit der Wahl teilweise in neuen Bündnissen zu formieren, sind insgesamt derzeit aber zu schwach, um kurzfristig nennenswerten politisch Einfluss zu nehmen. Im Dezember 2024 gründete sich etwa die neue linke Strömung Comunes. Diese positioniert sich sowohl gegen die Maduro-Regierung als auch die rechte Opposition und will Kämpfe von unten unterstützen. Comunes geht aus der „Anderen Kampagne“ (Otra Campaña) hervor, die regierungskritische Chavist*innen im Vorfeld der Präsidentschaftswahl ins Leben gerufen hatten. In einem Kommuniqué nach der Amtseinführung spricht auch Comunes in Bezug auf Maduro von einer „De-Facto-Regierung“ und ruft zu linker Mobilisierung auf, „um unsere Rechte einzufordern, die Demokratie zu verteidigen und soziale Gerechtigkeit zu schaffen“.
Maduro geht seinerseits in die Offensive. Wenige Tage nach der Vereidigung unterzeichnete er ein Dekret für eine Verfassungsreform, die eine „neue Demokratie“ etablieren soll. Eine kleine Kommission mit Vertrauten soll unter dem Vorsitz des Generalstaatsanwaltes Tarek William Saab Vorschläge ausarbeiten. Statt einer demokratischen Überwindung des bürgerlichen Staats droht unter den gegebenen Umständen eine Simulation partizipativer Verfahren. Regierungsgegner*innen müssen sich nun schnell entscheiden, ob sie an den anstehenden Wahlen teilnehmen und wie sie sich programmatisch und strategisch neu aufstellen sollen. Ein ernsthafter Dialog zumindest ist kurzfristig unwahrscheinlich.
Der rechten Opposition bleibt vorerst nur die Hoffnung auf internationalen Druck, der sie dem Präsidentenpalast in der Vergangenheit jedoch kein Stück nähergebracht hat. Der inzwischen ehemalige US-Außenminister Antony Blinken erklärte unmittelbar nach Maduros Amtseinführung, die USA stünden „bereit, um die Rückkehr zur Demokratie in Venezuela zu unterstützen“. Bedeutender wird allerdings die Frage sein, wie sich die neue US-Regierung unter Donald Trump verhält. Während seiner ersten Amtszeit (2017 bis 2021) hatte dieser erfolglos versucht, Maduro mit einer Strategie des „maximalen Drucks“ zu stürzen. Erste Personalentscheidungen deuten auf einen neuerlichen Konfrontationskurs hin. Mit Außenminister Marco Rubio, der aus einer exilkubanischen Familie stammt, gelangt ein absoluter Hardliner gegenüber den Regierungen Kubas, Nicaraguas und Venezuelas an die Spitze des State Department. Andererseits könnte Trump angesichts der weltpolitischen Lage durchaus daran gelegen sein, die Erdöllieferungen aus Venezuela zu steigern. Daneben besteht ein Hauptinteresse der USA darin, die Migration einzuschränken und venezolanische Migrant*innen nach Venezuela abzuschieben. Daher sehen Beobachter*innen auch das Potenzial für einen von Trumps berüchtigten „Deals“.
Maduros Regierung möchte das Kapitel Präsidentschaftswahl schließen und zur Tagesordnung übergehen. Doch auch wenn der De-facto-Präsident derzeit fest im Sattel zu sitzen scheint, wird die fehlende demokratische Legitimierung langfristig kaum zu einer stabilen Regierungszeit beitragen.
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Sofern keine Unwägbarkeiten eintreten, wird eine Frau die Zügel der Exekutivgewalt in Mexiko übernehmen. Die überwiegende Mehrheit der Umfragen zu den Wahlpräferenzen sieht einen großen Vorsprung für Sheinbaum. Sie ist Nachfolgerin von Andrés Manuel López Obrador, der 2018 in seinem dritten Anlauf zum Präsidenten mit der stärksten Mehrheit in der Geschichte des Landes wurde. Gálvez, die in den Umfragen an zweiter Stelle steht, repräsentiert eine unerwartete Koalition der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN), der Zentrumspartei der Institutionellen Revolution (PRI) sowie der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Diese naturgemäß verfeindeten drei Parteien, haben sich dieses Mal zusammengetan, um die Wiederwahl der 2014 von López Obrador gegründeten Partei Morena (Movimiento de Regeneración Nacional), zu stoppen.
Die Wahl wird die erste seit zwei Jahrzehnten sein, bei der López Obrador, im Volksmund AMLO genannt, nicht auf dem Stimmzettel steht. Nach einer sechsjährigen Amtszeit als Bürgermeister von Mexiko-Stadt und zwei erfolglosen Kandidaturen für die Präsidentschaft 2006 und 2012 mit der Partei PRD, hatte AMLO seine eigene Partei gegründet und 2018 sein Ziel erreicht: die mexikanische Linke zum ersten Mal an die Macht zu bringen. Jetzt, am Ende seiner sechsjährigen Amtszeit am 30. September, erklärte er, dass er sich aus dem öffentlichen Leben auf seinen Altersruhesitz in Chiapas zurückziehen und nicht mehr für ein gewähltes Amt kandidieren werde. Die Mexikaner*innen müssen beginnen, sich ein Leben ohne López Obrador vorzustellen, der so viele Jahre lang die öffentliche Debatte geprägt und den Medien bei vielen Gelegenheiten die politische Agenda aufgezwungen hat.
Sheinbaum, Umweltwissenschaftlerin jüdischer Abstammung, hat ihre politische Arbeit mit wissenschaftlicher Forschung verknüpft. Die Mutter von zwei Kindern war Umweltministerin in der Regierung von AMLO in Mexiko-Stadt (2000-2005). Nach der ersten Wahlniederlage von López Obrador koordinierte Sheinbaum die Bewegung gegen die Privatisierung des Erdöls. Sie war zudem als Beraterin bei der Weltbank und den Vereinten Nationen tätig sowie Mitglied der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe für Klimaveränderungen (IPCC), für die sie Forschungsarbeiten durchführte. Die Organisation wurde 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sheinbaum half bei der Gründung von López Obradors Partei Morena und wurde 2015 Bürgermeisterin von Tlalpan, einer Gemeinde in Mexiko-Stadt. In der dritten Präsidentschaftskampagne wurde sie 2018 von AMLO nominiert, die mexikanische Hauptstadt als Nachfolgerin ihres Mentors zu regieren. AMLOs phänomenale Popularitätswelle trug ihn zur Präsidentschaft und sie ins Bürgermeister*innenamt von Mexiko-Stadt, das sie letztes Jahr mit hohen Zustimmungsraten verließ.
Im Wahlkampf versuchte die Opposition, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, Sheinbaum sei eine Art Kopie von AMLO, ohne eigene Ideen − eine Beurteilung mit frauenfeindlichen Untertönen in einem hochgradig sexistisch geprägten Land. Sheinbaum verteidigte sich gegen diese Kritik, indem sie auf ihre Leistungen als Staatsbeamtin und als Gouverneurin verwies: Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, Investitionen in umweltfreundlichere öffentliche Verkehrsmittel und soziale Unterstützung für die Armen und die Mittelschicht.
Sheinbaum hat sich einen Wahlkampfdiskurs zu eigen gemacht, der auf der Idee von „Kontinuität durch Wandel” oder „Kontinuität eigener Prägung” beruht. In jeder Rede hebt die regierungstreue Kandidatin die Ergebnisse der sechsjährigen Amtszeit von López Obrador hervor und verspricht, diese zu festigen und auszuweiten, zum Beispiel durch die Erweiterung des Kreises der Begünstigten von Sozialprogrammen.
Eines der Ziele von Sheinbaum ist es, gemäßigtere Wähler*innen anzulocken, die AMLO Starrsinn vorwerfen und ihm misstrauen, aber weder die PRI noch die PAN wählen wollen. Daher bietet sie an, sich um die Themen zu kümmern, die unter der letzten Regierung in den Hintergrund getreten sind: den Übergang zu sauberer Energie (AMLO ist ein nationalistischer Verfechter des Erdöls), eine moderate Kreditaufnahme zur Finanzierung öffentlicher Vorhaben, die Verbesserung der Kapazitäten der Polizeikräfte in den Bundesstaaten und die Schaffung einer nationalen Behörde zur Untersuchung von Korruptionsdelikten durch Beamt*innen und Auftragnehmer*innen der Regierung.
Sheinbaum kämpft um gemäßigte Wähler*innen
Im Gegensatz dazu positonniert sich die Kandidatin Xóchitl Gálvez erwartungsgemäß äußerst kritisch zu den Ergebnissen der Amtszeit von López Obrador, insbesondere in Bezug auf die allgemeine Unsicherheit und Gewalt. Die empirische Realität ist in Bezug auf dieses Thema auf Seiten der Oppositionskandidatin. Im Land werden selbst nach Regierungsangaben jedes Jahr 30.000 Menschen gewaltsam getötet. AMLO hat betont, dass seine wichtigste Leistung auf diesem Gebiet darin besteht, den sich verstärkenden Trend, den Mexiko seit 2006-2007 erlebt, eingedämmt zu haben. In dieser Zeit begann die Phase des sogenannten Krieges gegen die Drogen, einer vom damaligen Präsidenten Felipe Calderón (PAN) verordneten Politik zur Bekämpfung krimineller Gruppen durch den Einsatz der Armee.
Zur allgemeinen problematischen Gewaltsituation kommen die spezifischen Aggressionen, denen mehrere Politiker*innen und Kandidat*innen ausgesetzt waren – insbesondere diejenigen, die sich um ein gewähltes Amt in den Bundesstaaten bewerben. Die Regierung erkennt offiziell die Ermordung von 15 Kandidat*innen während des derzeit laufenden Wahlprozesses an. Unabhängige Zählungen gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Opfer zwischen 25 und 30 liegt.
Gálvez hat sich den mexikanischen Wähler*innen als Kandidatin vorgestellt, die von der Basis kommt, um so bei der riesigen Anhängerschaft von AMLO um Stimmen zu werben. Die Oppositionspolitikerin, die von 2015 bis 2018 den Stadtbezirk Miguel Hidalgo in Mexiko-Stadt regierte, will sich damit in Kontrast zu Sheinbaum setzen, die Tochter akademisch gebildeter, wohlhabender Eltern ist und im Ausland studiert hat. Gálvez wurde auch ohne Herkunftsvorteile eine wohlhabende Geschäftsfrau. Ihre Geschäfte wurden jedoch schon kritisch beäugt, weil Galvez sie angeblich zur Einflussnahme genutzt habe, um Regierungsaufträge zu erhalten.
Beide Spitzenkandidatinnen stellen die Entscheidung am 2. Juni als Wahl zwischen zwei gegensätzlichen Projekten dar: Gálvez behauptet, dass Sheinbaum die Kontinuität dessen verkörpere, was López Obrador in seiner Regierungszeit an Fehlern gemacht hat. Sheinbaum argumentiert, dass Gálvez für die Rückkehr zur Vergangenheit stehe, welche die Mexikaner*innen vollends überwinden wollen − die PRI, Mexikos langlebigste Partei, wird von den Wähler*innen als die korrupteste aller Optionen bewertet. Offenbar hält Sheinbaum damit die besseren Karten in der Hand: Umfragen sagen voraus, dass das AMLO-Projekt Morena mit ihr an der Spitze noch mindestens sechs Jahre an der Macht bleiben wird.
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Ganze 50 Jahre sind vergangen, seit in den späten 1960er Jahren „The Avengers“, „die Rächer“, in Gestalt der karatekundigen Emma Peel und ihres ebenso charmanten wie schlagfertigen Partners John Steed das Fernsehpublikum begeisterten. Anschließend tauchten „The Avengers“ als eine Gruppe so genannter Superheld*innen zunächst in Comics und dann in Kinofilmen wieder auf, um den blauen Planeten mit zum Teil unerschütterlichen moralischen Grundsätzen vor dem Angriff heimtückischer Aliens oder Roboter zu retten. Und jetzt zogen „The Avengers“ sogar ins peruanische Parlament ein: Kenji Fujimori, Spross des peruanischen Ex-Diktators Alberto Fujimori, und zu jung, um von Emma Peel zu träumen, sieht sich selbst als Anführer einer Gruppe von Superheld*innen, als Rächer und Retter jenes Vaterlandes, das sein Erzeuger ihm und der peruanischen Bevölkerung hinterlassen hat. Als er Ende Januar mit einem knappen Dutzend Gefolgsleuten die Partei Fuerza Popular seiner Schwester Keiko Fujimori verließ, taufte er daher seine neue parlamentarische Gruppe schlicht auf den Namen „The Avengers“.
Kenji Fujimori inszeniert sich in einem Moment als Superheld und Saubermann, in dem der Odebrecht-Skandal offenbart, wie verroht die politische Moral des Landes ist. Gleich drei ehemalige peruanische Präsidenten, Ollanta Humala, Alan García und Alejandro Toledo, werden verdächtigt, gegen die Erteilung von Bau- oder Bohrlizenzen üppige Schmiergelder des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht eingestrichen zu haben. Ollanta Humala sitzt gemeinsam mit seiner Frau bereits in Untersuchungshaft, Alan García hat sicherheitshalber seinen Wohnsitz nach Spanien verlegt, und Alejandro Toledo konnte sich trotz eines internationalen Haftbefehls gerade noch in die USA retten. Allein auf sein Konto sind nach Zeug*innenaussagen etwa 20 Millionen US-Dollar Bestechungsgelder geflossen. Sollte Toledo jemals wieder peruanischen Boden betreten, muss er mindestens 18 Monate in Untersuchungshaft. Darüber hinaus sollen die drei Ex-Präsidenten ebenso wie der aktuelle Präsident, Pedro Pablo Kuczynski, und die Oppositionsführerin Keiko Fujimori, Kenjis Schwester, illegale Wahlkampfspenden von Odebrecht erhalten haben. Kuczynski steckt sogar noch tiefer im Spendensumpf: Auf seinen Firmenkonten gingen ungeklärte Zahlungen von Odebrecht ein, während er zwischen 2001 und 2006 als Wirtschaftsminister und Ministerpräsident dem Kabinett des damaligen Präsidenten Toledo angehörte.
Kenji sieht sich selbst als Anführer einer Gruppe von Superheld*innen.
Wer aus der Perspektive der frisch gegründeten Avengers die Bösen sind, die es zu bekämpfen gilt, dürfte damit eigentlich auf der Hand liegen. Aber so einfach wie im Film ist das in der peruanischen Politik nicht. Denn Kenji Fujimori ist nach eigenem Bekunden nur Politiker geworden, um seinen Vater, der Peru zwischen 1990 und 2000 mit diktatorischen Vollmachten regierte, aus dem Gefängnis zu holen. Das ist Kenji am vergangenen Heiligabend nach zwölf Jahren gelungen. Allerdings musste er dazu seine Schwester hintergehen und obendrein ein strategisches Bündnis mit dem unter Korruptionsverdacht stehenden Präsidenten Kuczynski schmieden.
Aber der Reihe nach. Keiko Fujimori, die mächtigste Oppositionspolitikerin im Land, wusste bis kurz vor Weihnachten 73 von insgesamt 130 Abgeordneten im peruanischen Kongress hinter sich, verfügte also über eine satte Mehrheit. Als bekannt wurde, dass Kuczynskis Name auf Odebrechts Liste stand, sah Keiko ihre Stunde gekommen: Sie brachte ein Misstrauensvotum wegen „permanenter moralischer Unfähigkeit“ gegen Kuczynski ins Parlament ein, doch ausgerechnet Kenji versagte ihr die Unterstützung. Gemeinsam mit zehn Gefolgsleuten aus Keikos eigener Partei enthielt er sich der Stimme und ließ das Misstrauensvotum platzen – eine bittere Niederlage für Keiko.
Schlimmer noch: Kenji hatte zuvor hinter Keikos Rücken die Begnadigung des gemeinsamen Vaters und Familienpatriarchen Alberto im Gegenzug für seine Stimmenthaltung ausgehandelt. Kuczynski unterschrieb am Heiligabend den Gnadenakt. Die anschließenden massiven Proteste im ganzen Land gegen die Freilassung des Ex-Diktators störten die Akteur*innen nicht weiter.
Den Bruch mit seiner Schwester und den folgenden Rauswurf aus deren Partei kalkulierte der 37-jährige Superheld Kenji eiskalt ein. Als Mitglied der Fuerza Popular wäre Kenji niemals an Keiko vorbeigekommen. Nun kann er als der Kongressabgeordnete, der bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen gewann, als Retter seines Vaters, als Gründer der Avengers, selbst nach dem Präsidentenamt greifen. Vorerst setzt er dabei mit Rückendeckung seines Vaters auf das Bündnis mit Kuczynski und bleibt auf Konfrontationskurs mit seiner Schwester. Keiko denkt derweil über ein neues Misstrauensvotum nach, für das es rechnerisch erneut eine Mehrheit gäbe, weil inzwischen auch die über Fujimoris Begnadigung empörten Linksparteien gegen Kuczynski stimmen würden. Der Haken für Keiko: Je mehr sie einem erneuten Misstrauensvotum das Wort redet, umso größer ist die Gefahr, dass ihre eigene Fraktion auseinanderbricht. Erst in der letzten Woche liefen zwei Parlamentarier aus ihren Reihen zu den Avengers über, die Fraktion ist bereits von 73 auf 60 Abgeordnete geschrumpft.
Den Bruch mit seiner Schwester kalkuliert der 37-jährige Superheld Kenjo eiskalt ein.
Und dennoch rankt sich ein Mythos um Alberto Fujimori. Der Ex-Diktator ist bei den Menschen nicht nur beliebt gewesen, weil die unter seiner Kontrolle stehenden Medien ihn hofierten. Er kam mit seiner einfachen Sprache und seinen Sozialprogrammen, die er mit Privatisierungsgeldern auflegte, besonders bei der armen Bevölkerung gut an. Vor allem wird er aber in großen Teilen der Bevölkerung als der Mann verehrt, dem es gelang, den brutalen Konflikt mit dem maoistischen Leuchtenden Pfad zu beenden, der in den 1980er und 1990er Jahren etwa 70.000 Menschen im Land das Leben kostete. Mehr als 40.000 Tote gingen dabei allein auf das Konto des Leuchtenden Pfads.
Dieses traumatische Ereignis der jüngeren peruanischen Geschichte drängt für viele Menschen die Verbrechen Fujimoris in den Hintergrund. Für sie befreite er das Land vom Terrorismus und sanierte die von einer Rekordinflation zerrüttete Wirtschaft. Dabei lastet die peruanische Wahrheitskommission auch der Armee systematische Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs sowie die direkte Verantwortung für etwa 20.000 Tote an. Auch dafür steht der Name Alberto Fujimori.
Doch der Ex-Diktator ist noch nicht auf der sicheren Seite. Die peruanische Justiz prüft zurzeit, ob die Begnadigung durch Präsident Kuczynski überhaupt rechtmäßig war, und die Staatsanwaltschaft fordert bereits weitere 25 Jahre Haft, weil die von Fujimori gegründete Todesschwadron La Colina im nördlich von Lima gelegenen Pativilca einen sechsfachen Mord beging, der noch nicht verhandelt wurde. Zudem wird ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte erwartet, der die Begnadigung ebenfalls als ungültig erklären kann. Ein solches Urteil wäre für Peru bindend: Alberto Fujimori müsste zurück ins Gefängnis.
Für weitere Spannung in der peruanischen Politik ist jedenfalls gesorgt. Doch was immer passiert, eines scheint gewiss: Gemessen an der kriminellen Energie Alberto Fujimoris, sind die Ex-Präsidenten Humala, García und Toledo allesamt kleine Fische. Deswegen werden weder Keiko noch Kenji Fujimori den Vertrauensverlust in der peruanischen Politik wieder wettmachen können. Keiko Fujimori hat sich zwar in letzter Zeit zaghaft von ihrem Vater distanziert, doch sie verharmloste stets dessen Straftaten und baute ihre politische Karriere weitgehend mit Hilfe von Kompliz*innen und Helfershelfer*innen des Ex-Diktators auf. Und für Kenji ist sein Vater ohnehin ein Superheld.
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Was hat euch dazu motiviert, zu eurem fünfzehnjährigen Jubiläum ein Best-Of Album aufzunehmen?
Unser Hauptmotiv ist, dass heute kaum noch Alben erscheinen. Alle veröffentlichen nur noch Singles. Deshalb haben wir uns entschieden, alle unsere Klassiker neu aufzunehmen, denn viele kennen diese gar nicht mehr. Wir wollten die Klassiker mit Gastmusiker aufnehmen, die für uns sehr wichtig sind, und drei neue Lieder auf dieser CD veröffentlichen. Das ist unsere Art und Weise, wie wir die Romantik der Veröffentlichung von Alben beibehalten. Heute werden ja kaum noch komplette CDs gehört werden. So haben wir einen Mix aus der alten und neuen Schule gemacht. Wir sind super zufrieden mit diesem Projekt. Die neuen Versionen unserer Klassiker haben die Lieder wirklich auf ein anderes Niveau gehoben.
Ihr habt euren Stil in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt. Welche musikalischen Einflüsse haben euch zu den neuen Liedern und den neuen Versionen eurer Klassiker inspiriert?
Einflüsse … Also, zuerst einmal war das Che Sudaka selbst. Denn wir haben eigentlich ganz viele Coverversionen unserer eigenen Lieder gemacht, die wir mit unsere „Mákina Punk” dem aktuellen Stil der Band angepasst haben. Dabei zählten wir auf die Zusammenarbeit mit den Leuten von Massilia Sound System aus Frankreich, auf die Zusammenarbeit mit Grupo Chontaduro aus Barcelona. Das sind Kolumbianer, die Trommeln spielen. Es war also ein Mix aus Folk, Elektronik und Rock. Alle Leute, die mitgearbeitet haben, waren eine Inspiration: Manu Chao, Dr. Ring Ding, Amparo, BNegão aus Brasilien – sie alle waren große Einflüsse für dieses Album. Auch Facundo Cabral, der auf der CD mit ein paar Wortbeiträgen erscheint, ist so etwas wie unsere spirituelle Referenz, wenn wir Musik machen. All die, die uns hierher gebracht haben, sind eigentlich auch unsere heutige Referenz.
Wie habt ihr mit den anderen Künstler*innen zusammengearbeitet?
Wir kennen die schon seit vielen Jahren und wir hatten Glück, dass sie gerade Zeit hatten, mitzuarbeiten. Das Resultat ist dann sehr schön geworden. Die meiste Zusammenarbeit ist aus einer räumlichen Distanz entstanden – moderne Technik machts möglich – BNegão und Amparo sind in unser Studio gekommen, und es war toll, sie dort zu empfangen. Die CD wurde komplett in unserem eigenen Studio Cavernícola Records aufgenommen und gemischt. Sergio, unser Akkordeonspieler, hat sie produziert. Mit Manu, Dr. Ring Ding, Hugo Lobo und anderen war es eine Zusammenarbeit aus der Ferne. Sie waren zwar nicht hier, aber trotzdem waren wir uns nahe und bestimmt werden wir uns bald treffen und diese Dinge persönlich teilen.
Welchen Beitrag kann die Musik deiner Meinung nach leisten, um ein Bewusstsein für politischen Themen zu schaffen?
Wir glauben, dass die Musik eine unglaubliche Kraft hat, und darauf setzen wir. Die Musik hatte für uns schon immer die Aufgabe, Bewusstsein zu schaffen. Unser ganzes Leben lang, seit wir angefangen haben, Musik zu hören, hat sie uns geprägt. Wenn du größer wirst, verstehst du auch ein bisschen besser, was dir die Musik eigentlich sagen will. Aber sie war schon immer eine Schulung des Bewusstseins. Zum Beispiel im Fall von Bob Marley hat uns seine Musik schon immer gefallen, aber wir kannten seine Aussagen nicht, da wir kein Englisch sprachen. Als wir seine Texte dann verstehen konnten, sagten wir: Klar, dass sie uns gefallen hat! Darauf beziehen wir uns ein bisschen, um zu sagen, was wir sagen und zu singen, was wir singen, und zum Beispiel in Deutschland zu spielen. Uns ist klar, dass die Menschen vielleicht nicht verstehen, was wir sagen. Aber sie werden es vielleicht in einem anderen Moment verstehen. Sie bekommen das Gefühl, dass gerade etwas passiert.
In den vergangenen Jahren hattet ihr die Möglichkeit, nach Lateinamerika zurückzukehren und dort Musik zu machen. Wie war diese Erfahrung für dich?
Das war wirklich aufregend. Vor allem die Tatsache, dass die Leute nicht nur das verstehen, was das deutsche oder französische Publikum zum Beispiel versteht, sondern auch die Nachricht dahinter. Vielleicht verstehen sie diese Nachricht nicht einmal in Spanien, obwohl sie die gleiche Sprache sprechen wie wir. In Lateinamerika dagegen wissen alle, was wir sagen wollen. Denn wir kommen von dort und unsere Worte sprechen die Sprache Lateinamerikas. Von Mexiko bis Ushuaya in Argentinien, nicht wahr? In Lateinamerika werden wir verstanden, wir teilen alle eine Geschichte. Wenn man mal darüber nachdenkt, dann ist die Geschichte Lateinamerika doch eins. Abgesehen von ein paar Unterschieden haben wir alle das Gleiche erlebt. Unsere Nachricht kommt dort also ungefiltert an. Und das kam auch zu uns zurück, denn wenn du auf einer Bühne stehst und etwas kreierst, kommt das wie eine Welle wieder zu dir. Und es war sehr gewaltig, was uns da erreichte. Das hat uns viel Kraft gegeben, nach Europa zurückzukehren und zu versuchen, so etwas auch hier zu erreichen. In jüngster Zeit entsteht so eine Stimmung auch hier immer mehr, und das haben wir unserer Rückkehr nach Lateinamerika zu verdanken.
Vor fünfzehn Jahren habt ihr als Band angefangen, auf der Straße zu spielen. Heute reist ihr um die ganze Welt und gebt Konzerte – wie haben euch diese Anfänge als Straßenmusiker geprägt? Was ist davon übrig geblieben?
Um darauf zurückzukommen, was uns beeinflusst hat: Es gab ein Lied von Facundo Cabral, in dem er sagt „Kein Genie geht verloren, ich trage alles bei mir”. Wir haben nichts verloren, alles begleitet uns. Was sich vielleicht etwas verändert hat, ist die Gegenwart von Che Sudaka, denn wir sind an immer mehr verschiedenen Orten und unsere Nachricht erreicht immer mehr Menschen, die kommen, um uns zu sehe, und die etwas von uns erwarten. Aber der Geist der Straße hält uns als unabhängige Band auf den Beinen, obwohl es manchmal schwierig ist, weil du ein bisschen mehr arbeiten musst als wenn dir jemand sagt, was zu tun ist. Aber das erlaubt dir erstens, zu sagen, was dir in den Sinn kommt und was du fühlst, und zweitens ist da der Stolz, die Dinge auf eine – naja- sagen wir, natürliche Art zu machen. Man wird so etwas wie der Bauer der Musik, der früh aufsteht, um die Samen zu einzupflanzen und der aufsteht, um sie zu ernten. Alles braucht seine Zeit. Wenn wir also nie auf der Straße gespielt hätten, dann hätten wir dieses Bewusstsein nicht. Glücklicherweise begann es alles genau so.
Wie erlebst du, vor allem in deinem persönlichen Kontext als argentinischer Migrant in Barcelona, den Unabhängigkeitsprozess in Katalonien?
Ehrlich gesagt, ist uns die Unabhängigkeit des Individuums wichtiger als die Unabhängigkeit eines Landes, egal von welchem. Denn wenn das Individuum nicht unabhängig ist, kann es auch wenig für den Rest machen. Wenn die Unabhängigkeit eines Landes eine positive Veränderung zur Selbstverwaltung beitragen kann, ist sie herzlich willkommen. Ich weiß aber nicht, wie es wäre, wenn das hier passiert. Deshalb kann man in diesem Fall nicht von außen urteilen, denn wir leben zwar hier, aber mit kühlem Kopf. Wir ergreifen nicht Partei – wir können gar nicht Partei ergreifen! Denn du hast einen Freund, der hat die eine Meinung, und ein anderer hat eine andere. Was machst du da also? Kämpfst du den einen Tag mit einem und den anderen Tag mit dem anderen? Oder du versuchst, einfach menschlich zu sein und die Kompromisse zwischen den Menschen zu fördern.
Und was meinst du, was in Zukunft mit Menschen passieren könnte, deren Aufenthaltstitel unsicher ist und die keine Dokumente haben?
Die Leute ohne Papiere werden weiterhin ohne Papiere sein. Denn die Veränderungen, die auf Regierungsebene passieren, passieren nicht auf der Straße. Da wird dann einfach eine Verfügung in Brüssel erlassen, oft auch im Auftrag großer, multinationaler Unternehmen. Deshalb glaube ich, dass wir da gar nicht viel machen können. Wenn wir da etwas beitragen könnten, würden wir das ohne zu zweifeln tun. Aber im Moment glauben wir, dass wir nur positives Denken zum Geist der Einheit aller Menschen beitragen können. Egal, welche Flagge sie tragen. Aber, ehrlich gesagt, glauben wir nicht an Flaggen.
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