Ein Bundesstaat im Katastrophenzustand

“Locau só para surfista” Überschwemmungen in den Straßen von Porto Alegre (Foto: Gustavo Mansur, Palácio Piratini – Governo do Estado do Rio Grande do Sul via Flickr (CC BY-NC 2.0))

Mit rund 11,5 Millionen Einwohner*innen ist Rio Grande do Sul der Bundesstaat mit der sechstgrößten Bevölkerung Brasiliens. Seine Fläche von 281.748 Quadratkilometern entspricht fast der Größe Deutschlands. Von den Überschwemmungen zwischen der letzten Aprilwoche bis zur ersten Juniwoche waren 476 von den 497 Kommunen, also fast der gesamte Bundesstaat, betroffen.

Nach Angaben des Zivilschutzes wurden bisher 172 Todesfälle bestätigt, 44 Personen werden vermisst und 806 Personen erlitten Verletzungen. Insgesamt waren rund 2,4 Millionen Menschen direkt von den Überschwemmungen betroffen. Über 35.000 Menschen wurden obdachlos und über eine halbe Million musste evakuiert werden. Zu den am stärksten betroffenen Gebieten zählt mit Porto Alegre die Hauptstadt des Bundesstaates, auch weitere Ballungsgebiete wurden überschwemmt. Die Hauptstadt liegt am Ufer des Sees Guaíba, in den fünf Flüsse münden, und ist damit besonders von Hochwasser bedroht. Allerdings liegt die bis dato vorletzte große Überschwemmung 83 Jahre zurück und hatte ein geringeres Ausmaß als die aktuelle. Infolge des Ereignisses wurde die mehr als zweieinhalb Kilometer lange Hochwasserschutzmauer von Mauá gebaut. Seitdem sind jedoch nur wenige Investitionen in die Instandhaltung und den Ausbau der Hochwasserschutzinfrastruktur getätigt worden.

Das Chaos managen

Die Überschwemmungen haben wichtige Infrastruktur, etwa Autobahnabschnitte und Brücken, in der Region zerstört. Zudem musste der wichtigste Flughafen des Bundesstaates, Salgado Filho, geschlossen werden. Seine Wiedereröffnung wird nach Einschätzung der deutschen Verwaltungsgesellschaft Fraport erst im Dezember möglich sein. Flüge, auch für die Lieferung von Hilfsgütern, müssen über vier kleinere Flughäfen in verschiedenen Regionen des Staates durchgeführt werden.

Die Regierungen des Landes und anderer Bundesstaaten zeigen Einsatz: Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva hat den Staat in den vergangenen 40 Tagen bereits viermal besucht. Zudem wurde Rio Grande do Sul die Aussetzung von Schuldenrückzahlungen für drei Jahre bewilligt. Die Höhe des Schuldendienstes pro Jahr beläuft sich auf insgesamt 3,5 Milliarden Reais (etwa 611 Millionen Euro). Diese werden nun an einen Investitionsfonds zur Abmilderung der Auswirkungen von Überschwemmungen überwiesen. Für die von der Flut betroffenen Menschen wurden zudem eigens der Zugang zu Hilfskrediten geschaffen.

In einer Pressekonferenz am 3. Juni bezifferte der Gouverneur von Rio Grande do Sul die für den Wiederaufbau nötige Summe auf 19 Milliarden Reais (etwa 3,3 Milliarden Euro). Zur Leitung des Projekts wurde ein Sondersekretariat für Krisenmanagement eingerichtet.

Bereits im September und im November 2023 wurde der Bundesstaat und insbesondere die Metropolregion wiederholt von heftigen Regenfällen heimgesucht, die in ihrer Stärke die der Vorjahre übertrafen. Infolge dessen mussten viele Menschen aus ihren Häusern evakuiert werden und erlitten erhebliche materielle Verluste.

Als Ursache für die hohen Niederschlagsmengen kommen verschiedene Faktoren zusammen. Dazu gehört zum einen das Naturphänomen El Niño. Hinzu kommen eine starke Windströmung, die das Wetter instabil macht, ein aus dem Amazonasgebiet kommender Feuchtigkeitskorridor sowie atmosphärische Blockierungen im Zentrum des Landes. Dies verursacht Hitzewellen und verhindert, dass die Regenfälle in andere Regionen entweichen können.

S.O.S. Die Natur weint…wir auch (Foto: Gustavo Mansur, Av Loureiro da Silva, CAFF e região – Governo do Estado do Rio Grande do Sul via Flickr (CC BY-NC 2.0))

Zusätzlich zu diesen natürlichen geographischen Gegebenheiten kommen die globale Erderwärmung, fehlende Investitionen in Infrastruktur sowie die Nichteinhaltung der im Land bestehenden Umweltgesetze. All diese Umstände trugen zu der Tragödie im äußersten Süden Brasiliens bei.

In einem Interview mit der Zeitung Zero Hora am 18. Mai stellte der Geologe Rualdo Menegat, der in Landschaftsökologie promoviert hat und als Professor an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul (UFRGS) lehrt, klar: „Wir leben in einem Jahrhundert, in dem die Wahrscheinlichkeit schwerer Wetterereignisse zunimmt (…). Wir können den Klimanotstand nicht leugnen. Wir müssen eine Stadt konzipieren, die durchlässiger ist, nicht nur in Bezug auf den Boden, und die auch ökologische Korridore in das Stadtgebiet zu bringen vermag (…). Wir müssen darüber nachdenken, eine Gesellschaft aufzubauen, die in der Lage ist, neue Denkweisen hervorzubringen, sodass wir in einer Welt mit 8 Milliarden Menschen leben können, in der es immer wieder Unwetter durchzustehen geben wird.”

„Es ist ein Marathon, kein Hundert-Meter-Lauf“

Besonders die Nacht vom Freitag, den 3. Mai, als die Regenfälle in Porto Alegre ihren Höhepunkt erreichten, wird den Bewohner*innen der Hauptstadt und der Ballungsgebiete im Gedächtnis bleiben. „In diesem Moment wurde uns klar, dass es diesmal anders sein würde, schlimmer als alles, was wir jemals gesehen hatten. Als Bevölkerung und Institutionen wurde uns klar, dass wir uns organisieren müssen, um den Opfern zu helfen“, erinnert sich Alice Zelmanowicz im Gespräch mit LN. Sie ist Professorin, Onkologin und Epidemiologin der Abteilung für öffentliche Gesundheit an der Bundesuniversität für Gesundheitswissenschaften von Porto Alegre (UFCSPA).

Im Laufe der ersten Tage nach den Fluten verschoben sich die Prioritäten. „Wir befinden uns in einem Moment der Neuorganisierung, der Annäherung an die Normalität mit speziellen mittel- und langfristigen Unterkünften und des Nachdenkens darüber, wie das Leben von nun an weitergeht. Es ist ein Marathon, kein Hundert-Meter-Lauf.“

In diesem Sinne werden die obdachlos Gewordenen nach und nach in Gruppen aufgeteilt: Frauen, Frauen mit Kindern, schwer Erkrankte und Familien. Zelmanowicz erzählt, dass viele Menschen in ihrer Verzweiflung, den herannahenden Fluten zu entkommen, ihre Medikamente zurückließen und an Krankheitssymptomen leiden.

Ein weiterer erschwerender Faktor für die Situation in Rio Grande do Sul ist die Kälte im Juli und August. „Der Winter kommt, und es werden bereits Impfungen durchgeführt. Einige Apotheken organisierten sich spontan und stellten die notwendigen Impfstoffe gegen Tetanus, Tollwut, Influenza und Hepatitis A zur Verfügung. Die Medikamente wurden auch vom öffentlichen Dienst zur Verfügung gestellt. Und mobile Teams gehen in Notunterkünfte, um Impfungen durchzuführen.“

Durch das schrittweise Absinken des Wasserstandes lässt sich das Ausmaß der Verluste abschätzen. „In den kommenden Wochen werden wir sehen, was sich unter dem Wasser befindet. Es wird sicherlich viel Schlamm sein, viele tote Tiere, unwiederbringlich zerstörte materielle Güter, aber auch menschliche Körper.“

Die psychologischen Auswirkungen dieses verheerenden Szenarios auf die betroffene Bevölkerung sind besorgniserregend. „Die psychi­schen Gesundheitsprobleme als Folge des Leids werden sicherlich große Herausforderungen sein, denen wir uns stellen müssen“, schätzt Zelmanowicz ein.

Die Krankenhäuser sind überfüllt und Krankheitsausbrüche drohen

„In Porto Alegre feiern wir jeden Zentimeter, den der Wasserspiegel des Guaíba-Sees absinkt. Aber Katastrophen treffen am Ende die vulnerabelsten Menschen. Die Inselregion wurde überflutet, ihre Bewohner*innen werden länger in Notunterkünften bleiben. Einige Leute campen am Rande der Autobahn. Eine weitere große Herausforderung besteht darin, dass nun auch Menschen aus benachbarten Kommunen auf der Suche nach Hilfe nach Porto Alegre kommen“, teilt der Hausarzt und Koordinator für gesundheitliche Grundversorgung an der UFSCPA, Professor Dr. André Luiz Silva, gegenüber LN mit.

Laut Silva lauern nach einer Flut Gefahren besonders im Moment der Beseitigung der Trümmer. „Die Schwierigkeit liegt in der Reinigung der Häuser. Wir haben ein Protokoll der wichtigsten Infektionskrankheiten zusammengestellt, die infolge von Überschwemmungen auftreten können. Wir geben Ratschläge zur Reinigung der Häuser in Bezug auf Schimmel und die Lungenentzündung, die durch diesen Schimmelpilz entsteht, der Pilzpneumonie“, erklärt der Professor.

Auch die Zahl der Fälle von Leptospirose begann zu steigen. Am 4. Juni wurden 242 Krankheitsfälle und 13 daraus resultierende Todesfälle bestätigt. Leptospirose ist eine fieberhafte Infektions­krankheit, die durch Kontakt mit dem Urin von mit dem Erreger infizierten Tieren, hauptsächlich Nagetieren, übertragen wird. Bei Überschwemmungen ist die Ansteckungsgefahr besonders groß. Die Übertragung erfolgt durch Kontakt von kontaminiertem Wasser mit der Haut und verursacht Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, gelbliche Haut in schwerwiegenderen Fällen und Blutungen, die tödlich sein können. „Wir raten den Menschen, ihre Häuser mit Chlor zu reinigen. Das Problem besteht darin, dass der Leptospirose-Erreger in Stoffen wie schwerer Wollkleidung, Polstermöbeln, Decken und Matratzen verbleibt. Es hat also keinen Sinn, sie einfach zu waschen und in die Sonne zu legen. Die muss man wegwerfen“, erklärt der Professor.

Auch Fälle von Dengue-Fieber könnten zunehmen. Dies ist auf die Zunahme von stehenden Wasserablagerungen im Freien zurückzuführen, die die Vermehrung der krankheitsübertragenden Mücke begünstigen. Und das in einer Situation, in der viele wichtige Krankenhäuser zerstört und die funktionierenden Krankenhäuser überfüllt sind. Laut Silva „wurde der Impfstoff gegen Dengue kürzlich von der Nationalen Behörde für Gesundheitsfürsorge (Anvisa) eingeführt. Jetzt müssen wir aber noch auf die Versorgungslogistik für das ganze Land warten.“

Während des Interviews, das manchmal durch das Geräusch von Hubschraubern, die über Porto Alegre fliegen, unterbrochen wird, reflektiert der Professor: „Es wird eine riesige Arbeit sein, die Monate dauern wird… Wir wissen auch nicht, wie die Gesundheitsfürsorge organisiert werden wird, um Genehmigungen für die Wiedereröffnung von Betrieben zu überprüfen und zu erteilen. Was uns aber beeindruckt und anspornt, ist die Solidarität des gesamten Landes mit Rio Grande do Sul. Das ist wirklich beeindruckend.

DIE DER LANDEBAHN IM WEG STEHEN

Ein Haufen an Brettern, Unmengen an Ziegelsteinen, ein alter Herd, unbrauchbar geworden. Daneben Kleidungsstücke, zerrissen und zerfasert von Wind und Wetter sowie von herumstreunenden Tieren auf der Suche nach Nahrung. Ein Stuhl obenauf krönt diese letzte Erinnerung an ein Haus, das einer Familie über Jahrzehnte Heim und Hof war, wo eigene Hühner aufgezogen wurden und Kinder und Enkelkinder im Hof oder auf der Straße vor dem Haus tagein, tagaus spielten. Alles niedergewalzt durch das schwere Gerät der Abrissbagger, die im Auftrag der Firma aus Deutschland kamen und die das kleine, direkt an den Flughafen angrenzende Stadtviertel Vila Nazaré von der Landkarte streichen will. Weil die Vila Nazaré im Weg steht.
Das Viertel grenzt direkt an den Kopf der Landebahn des Flughafens Salgado Filho der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre. Die Start- und Landebahn soll um genau 920 Meter erweitert werden, denn dann wäre sie mit 3,2 Kilometern aus sicherheitstechnischen Gründen lang genug für größere Flugzeuge, sagt die Stadtverwaltung. Und das sagt auch die deutsche Firma Fraport aus Frankfurt, die seit Januar 2018 die Nutzungsrechte für den Flughafen übernommen hat und die nun den Flughafenausbau – ein Terminal mit schicken Einkaufsläden, Boutiquen und Gourmetrestaurants, viele neue Parkplätze und eben die Landebahnerweiterung – abschließen muss. So sieht es der für über 25 Jahre gültige Konzessionsvertrag, den Fraport mit der brasilianischen Luftaufsichtsbehörde ANAC geschlossen hat, vor. Fraport und die Stadtverwaltung sagen, die Menschen in Vila Nazaré würden dort illegal wohnen, weil ihre Häuser sich in einem Bereich befinden, den die ANAC als Sicherheitszone definiert.
Daniel Alex da Silva Dutra, 44 Jahre, steht auf dem Trümmerhaufen mit den Ziegelsteinen und dem Bretterwerk, schaut von dieser Erhebung über die Mauer, die das Wohngebiet der Vila Nazaré vom Flughafengelände abtrennt, und kann es immer noch nicht fassen. „Illegal! So eine Lüge! Die Gemeinde hier besteht seit nahezu 60 Jahren, mehr als ein halbes Jahrhundert! Wie können die aus Frankfurt, die von der Firma Fraport, das so einfach ungestraft behaupten? Das ist eine glatte Lüge!“, erbost sich Alex, wie den Elektriker des Viertels und Leiter des gemeinnützigen Instituts Criança Feliz Nazaré („Institut Glückliches Kind Nazaré“), alle nennen.
Von einer illegalen Nutzung durch die Bewohner*innen kann keine Rede sein
In der Tat war es entweder eine gezielte Lüge – oder aber eine fahrlässig schlechte Informationskultur in der Firma Fraport. Auf der Aktionärsversammlung im Mai 2018 hatte der Fraport-Vorstandsvorsitzende Stefan Schulte vor den anwesenden Aktionär*innen gesagt, die Bewohner*innen der Vila Nazaré lebten dort „illegal“. Und ignorierte damit die Realitäten Brasiliens. Artikel 183 der brasilianischen Verfassung von 1988 definiert die Rechtslage unmissverständlich: „Derjenige, der ein städtisches Grundstück von bis zu 250 Quadratmetern ununterbrochen und unangefochten als sein eigenes besitzt und dort seinen oder seiner Familie Wohnsitz aufgeschlagen hat, erwirbt, wenn er nicht gleichzeitig Eigentümer einer anderen Immobilie in der Stadt oder auf dem Land ist, das Eigentum an diesem Grundstück.“ Der in Brasilien lei usucapião – also in etwa Gewohnheitsrecht – genannte Rechtsgrundsatz müsste den seit Jahrzehnten in der Vila Nazaré wohnenden Bewohner*innen auf Basis der brasilianischen Verfassung also in der Tat Rechtstitel garantieren. Daraus ergibt sich der Anspruch auf angemessene Entschädigungen im Falle der Zwangsumsiedlung und voller Rechtsschutz. Von „illegal“ kann hier also keine Rede sein. Dafür spricht auch, dass der Staat im Lauf der Jahrzehnte in der Vila Nazaré eine Schule errichtete, einen öffentlichen Gesundheitsposten unterhielt oder die Müllabfuhr regelmäßig kam – weil die Siedlung Vila Nazaré staatlich anerkannt war. Auf der Aktionärsversammlung 2019 hat sich der Fraport-Chef Stefan Schulte dann auch bereits vorsichtiger geäußert. Von „Illegalen“ war dann keine Rede mehr, aber er wies die Verantwortung für die Zwangsumsiedlungen der Bewohner*innen von Vila Nazaré weit weg von seiner Firma. Die entsprechende Entscheidung sei bereits im Jahre 2010 von den zuständigen Behörden getroffen worden, also Jahre bevor Fraport überhaupt anfing zu überlegen, sich für den Nutzungsvertrag zu bewerben. Fraport habe mit der Umsiedlungsmaßnahme nichts zu tun, so der Fraport-Chef.

Jedes Haus bekommt eine Nummer und ein „R“ wie in remoção (Räumung)


Aber auch dem widersprechen die Bewohner*innen der Vila Nazaré vehement: „Es ist Fraport, die die Firma Itazi beauftragt hat, hier die Befragung der Bewohner der Vila Nazaré durchzuführen“, echauffiert sich Alex. Itazi erfasst, wie viele Menschen in der Vila Nazaré leben, um daraus zu errechnen, wie viel Anspruch auf Entschädigung es geben wird. Jedes Haus, das zwangsgeräumt werden soll, bekommt eine Nummer und hinter die Zahl ein „R“. „R“ steht für „Reza“, so heißt die direkt in der Einflugschneise liegende Zone. „R“, so sagen die Bewohner*innen, stehe aber vielmehr für remoção (Räumung).

Soll bald abgerissen werden Ein Lebensmittelladen in Vila Nazaré // Fotos: Christian Russau

Itazi, die Firma, die die Zählung durchführt, rechnet merkwürdig, findet Alex – und seine Nachbar*innen, die um ihn herum stehen, während er auf dem Hügel aus Schutt und Trümmern steht und spricht, nicken beifällig. „Sie zählen nach Wohneinheiten – und errechnen dies aus der Anzahl der Badezimmer. Eine Toilette, dann steht dir in einem der beiden Neubaugebiete eine Wohneinheit zu. Das ignoriert aber völlig, dass es ärmere Familien gibt, die sich das Badezimmer teilen. Und wer hier im gleichen Haus, beispielsweise im oberen Stockwerk wohnt und im unteren seine kleine Werkstatt oder den Krämerladen zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Familie hat, aber im Gebäude nur eine Toilette hat, dem steht nur eine Wohneinheit zu. Also keine Entschädigung für sein Gewerbe. Wovon soll der dann leben?“ Die Menschen um Alex herum empören sich aufs Neue über diese Ungerechtigkeit. „Diese miese deutsche Firma und diese hinterhältige Stadtverwaltung“, raunt einer. Zustimmender, deutlich empörter Beifall der Anwesenden.
Die Firma Itazi habe in den ärmeren Stadtvierteln des Großraums Porto Alegre keinen sonderlich guten Ruf, betonen einige der Anwesenden. Die Itazi-Mitarbeiter*innen kamen nur in Begleitung schwerbewaffneter Militärpolizisten in die Vila Nazaré, um die Bewohner*innen zu befragen. Dabei wurden sie auch nach ihrer möglicherweise kriminellen Vergangenheit befragt, eine Frage, die auf den Erfassungsbögen offiziell gar nicht auftauchte.
Itazi selbst rühmt sich für die Arbeit, die sie bei Großprojekten leistet. Sie wirbt auf ihrer Webseite nämlich mit ihrem Service, wirbt dort mit ihrer „Agilität, die sie im Rahmen des Prozesses der Enteignung zum Zwecke der Befreiung des Geländes für den Baubeginn einzusetzen vermag“. „Agilität“, um ein Gelände von Bewohner*innen zu „befreien“? „Dann kommen die da mit den Militärpolizisten“, beschwert sich Alex. „Zu Dutzenden. Wer wäre da nicht eingeschüchtert?“ Ist das die Agilität, die die Firma meint?

„Wir haben es hier mit einem militarisierten Territorium zu tun, alles im Sinne dieser deutschen Firma“


Eine Bewohnerin, die ihren Namen aus Angst vor Repressionen nicht nennen will, äußert ihre Angstzustände, die sie jedes Mal habe, wenn sich schwerbewaffnete Militärpolizisten nähern. Darüber weiß auch Fernando Costa von der Bewegung der obdachlosen Arbeiter*innen, MTST, im Bundesstaat Rio Grande do Sul zu berichten: „Die Militärpolizei verdingt sich de facto als Privat­sicherheitsdienst und Handlanger der Firma Fraport. Und setzt die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré unter Druck, damit diese schnellstmöglich ihre Häuser verlassen“, so Fernando Costa. „Wir bitten jetzt hier niemanden, aus Sicherheitsgründen, eine Aussage zu machen, aber die entsprechenden Vorkommnisse wurden bereits bei den entsprechenden Stellen zur Anzeige gebracht. Wir haben es hier mit einem militarisierten Territorium zu tun, alles im Sinne dieser deutschen Firma, und damit setzen sie die Familien noch mehr unter Druck.“ Die Anwohner*innen berichten hinter vorgehaltener Hand von Repression und Prügel durch Militärpolizei.
Was die Bewohner*innen am meisten aufbringt, sind die Umsiedlungspläne. Fraport will die Arbeiter*innenfamilien aus der Vila Nazaré an zwei verschiedene Standorte zwangsumsiedeln, an Standorte, die weit weg liegen, wo es keine Arbeit gibt und wo die Kriminalität sehr hoch ist. 15 Prozent der Betroffenen sollen in das Stadtviertel Nosso Senhor do Bom Fim, 85 Prozent, also 4.250 Menschen, in das Stadtviertel Irmãos Maristas, in der Region Timbaúva, zwangsumgesiedelt werden.
Eines der schwerwiegenden Probleme dabei: Die Stadtverwaltung sowie die Behörde für Wohnungsfragen Demhab gehen laut einem Zensus von 2010 von maximal 1.200 Familien aus. Fraport sprach noch im Mai dieses Jahres von „exakt 932 Familien“, dies seien die Zahlen, die Itazi ermittelt habe. Anhand der Anzahl der Toiletten. Die Bewohner*innen der Vila Nazaré und die diese unterstützenden Organisationen, darunter die MTST, gehen von 2.000 Familien aus, also rund 5.000 Menschen. Der im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms „Minha Casa, minha Vida“ für die Bewohner*innen geschaffene Wohn­­raum in den beiden Stadtvierteln Nosso Senhor do Bom Fim und Irmãos Maristas reicht also allem Anschein nach nicht aus, damit alle Familien aus Vila Nazaré ein neues Zuhause bekommen können.
Dies scheinen auch die zuständigen Behörden und Fraport erkannt zu haben. „Warum sonst müssten sie nun eine Lotterie machen, wer nach Nosso Senhor do Bom Fim zieht?“, empört sich Alex aufs Neue. „Wir wollen nicht aufgeteilt werden, wir wollen alle zusammen wohnen bleiben!“
Alex dreht sich und zeigt in Richtung jenseits des Flughafens. Dort gibt es ein großes Brachgelände, das die Stadt erschließen will, um dort tausende von neuen Wohnungen der Mittelklasse hinzusetzen. „Warum sollen wir da nicht hin? Wir könnten alle zusammen bleiben, genug Platz für alle ist das auf jeden Fall. Aber die Stadt und die Eliten denken nur an ihren eigenen Profit“, schimpft Alex. Die Vila Nazaré sei zwar von jeher eine Armengegend, aber die Menschen kennen sich, grüßen sich, helfen einander nachbarschaftlich. In den Neubaublöcken werde es das nicht mehr geben, befürchten die Nachbar*innen.
Und dann gibt es noch Streit um die Kosten. Fraport will nur die Kosten für den Umzug zahlen. Das sieht aber die Bundesstaatsanwaltschaft ganz anders. Anfang Juni schrieben die Bundesanwaltschaft und die staatliche Bundes-Ombudsstelle der Firma Fraport Brasil eine Mitteilung, in der der brasilianischen Tochterfirma von Fraport mitgeteilt wird, dass Fraport Brasil für die kompletten Kosten der Umsiedlung der Familien der Vila Nazaré in Porto Alegre verantwortlich sei. Das Schreiben der Bundesstaatsanwaltschaft und der staatlichen Ombudsstelle informierte Fraport Brasil über seine „Verantwortung und Verpflichtung für die Umsiedlung […], auch in Bezug auf die Kosten, die in einer Vorstudie der Bundesregierung auf circa 140 Millionen Reais geschätzt wurden“. Zudem wurde Fraport mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es zu keiner Zwangsräumung oder Umsiedlung der Bewohner*innen gegen deren Willen kommen dürfte.

„Kosten tragen“ heißt in diesem Fall ein Betrag in Höhe von 146 Millionen Reais, etwa 32 Millionen Euro


Das Unternehmen wurde des Weiteren darüber informiert, dass jede freiwillige Umsiedlung der betroffenen Familien in die mit Bundesmitteln im Bau befindlichen Wohnprojekte des „Minha Casa, Minha Vida“-Programms in den Stadtvierteln Irmãos Maristas und Senhor do Bonfim die Firma Fraport nicht von ihrer Verpflichtung und Verantwortung entbinde, den Gegenwert dieser Wohnungen zu tragen, sprich die Baukosten dem Wohnungsbauprogramm im Nachhinein zu erstatten, „da dem Konzessionär allein die Gesamtverantwortung der gesamten Umsiedlung, einschließlich der Kosten“ obliege, so die Mitteilung der Behörden an die Firma Fraport. Zudem verwies die Bundesstaatsanwaltschaft mit Nachdruck auf die Pflicht der Firma zur „vollständigen Einhaltung der verfassungsrechtlichen und rechtlichen Parameter“ im Zusammenhang mit der Umsiedlung. Das sieht Fraport freilich ganz anders. „Die Dokumente sind diesbezüglich sehr klar“, sagte Fraport-Brasil-CEO Andrea Pal. Und setzt sich nun juristisch dagegen zur Wehr. Eine erste Anhörung vor Gericht am 8. August hat diesbezüglich keine Klarheit bringen können, so dass es nun zum Prozess kommt.
Dabei sind die Dokumente eigentlich recht eindeutig: Im Konzessionsvertrag zwischen der brasilianischen Luftfahrtbehörde ANAC und Fraport steht unter Artikel 2.5: „Mögliche Räumungen von Flächen auf dem Flughafengelände, die sich im Besitz oder in Nutzung durch Dritte befinden, seien sie vor oder nach der Unterzeichnung des Vertrags zustande gekommen, stehen in voller Verantwortung der Konzessionärin.“ Artikel 2.5 des Konzessionsvertrags deckt sich also auf den ersten Blick mit der Aussage des Fraport-Sprechers in Porto Alegre, Leonardo Carnielle: „Es existiert die Verpflichtung, das Flughafengelände freizuräumen“. Was aber ist nun mit dem an den Flughafen angrenzenden Gebiet wie der Vila Nazaré, die im Sicherheitsbereich der ANAC liegt? Artikel 3.1.50 führt den Punkt der Räumung des Geländes noch einmal weiter aus: „Die Gesamtheit des Flughafenbereichs zu wahren, einschließlich der Durchführung der für die Räumung Dritter des Flughafengeländes notwendigen Maßnahmen“ ist integrale Verpflichtung der Konzessionärin, also Fraport. Bei gutem Willen könnte man meinen, die Fraport-Verantwortlichen hätten nur bis dahin gelesen und gingen deshalb davon aus, dass die ganze Geschichte nicht so teuer für sie werden würde. Nur gibt es noch den Artikel 5.4.24, laut dem zu den Risiken der Konzessionärin auch die „Kosten, die sich aus den Räumungen auf dem Flughafengelände gemäß Artikel 3.1.50 ergeben, sowie mögliche Umsiedlungen und Verlagerungen“ zählen. Da die Vila Nazaré im von der ANAC als zum Sicherheitsbereich des Flughafen gehöriges Gebiet zählt, müsste demnach Fraport eben auch die gesamten Kosten – einschließlich Neubau der Häuser – tragen. Und „Kosten tragen“ heißt in dem Fall ein Betrag in Höhe von 146 Millionen Reais, derzeit umgerechnet rund 32 Millionen Euro.

Ein Leben zwischen Trümmern Bisher haben nur 100 Familien der Umsiedlung zugestimmt

Die Bewohner*innen der Vila Nazaré haben sich an diesem Samstagnachmittag zu einer Versammlung zusammen gefunden. Es ist Winter im Süden von Brasilien, kaum 14 Grad in der fahlen Nachmittagssonne. Die Stimmung unter den Nachbar*innen aber kocht hoch. Und ihre Wut ist groß. „Nein zu Timbaúva! Dahin ziehe ich nie und nimmer!“, ertönt es aus der Menge.
Etwas mehr als 100 Familien haben ihren Umzug bisher akzeptiert. 100 von rund 2000. Es waren diejenigen, die per Losentscheid für den Neubau im Viertel Nosso Senhor do Bom Fim ausgewählt wurden. Die Häuser dort sind weitestgehend baugleich mit denen in Irmãos Maristas in der Region Timbaúva. Aber es gibt einige wichtige Unterschiede. Das Viertel Nosso Senhor do Bom Fim liegt nicht ganz so weit weg wie Irmãos Maristas, und, noch viel wichtiger, in der Region um Nosso Senhor do Bom Fim gibt es weniger Bandenkriminalität. In der Region um Timbaúva hingegen, so berichten mehrere Bewohner*innen – nur nach der Zusage, sie nicht mit Namen zu nennen und nicht zu fotografieren – sei das anders. „Die dortigen Drogengangs haben angekündigt, jeden, aber wirklich jeden, der aus der Vila Nazaré nach Timbaúva kommt, direkt zu erschießen. Da macht niemand einen Unterschied, ob man unbescholten ist, gar nicht mit irgendwas Kriminellem zu tun hat oder nicht. Für die Drogengangs da aus der Timbaúva-Region macht das keinen Unterschied. Wer aus der Vila Nazaré kommt, so deren Drohung, wird erschossen“, so ein älterer Herr, der sich zwar zu reden traut, aber ebenfalls seinen Namen nicht nennen möchte.
Und wie sieht das der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Schulte, auf der Aktionärsversammlung im Mai 2019 in Frankfurt, angesprochen auf die Frage nach Drogenbanden und Bedrohungslagen in der Region Timbaúva? „Nach allem, was wir wissen, was wir auch von unseren brasilianischen Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wissen, wir sind ja auch selbst regelmäßig vor Ort, ist die Bewertungssituation, die allgemeine Situation, die Kriminalität, in der Gegend nicht anders als in der Vila Nazaré heute auch.“
Alex, der Elektriker, kann es nicht fassen, als ihm davon berichtet wird. Und die Menge in der fahlen Nachmittagssonne ist sich schnell einig, man hat die Lösung gefunden. „Sollen die Fraport-Chefs doch nach Timbaúva ziehen, und wir da in ihre Villen in Deutschland“. Das Gelächter allerdings klingt verbittert und verstummt auch bald.
Aber in einem einig sind sie sich alle. „Widerstand! Wir müssen Demos machen, Lärm machen, denen da oben richtig die Meinung zeigen, sonst macht hier keiner was für uns“, so Alex. „Vielleicht erreicht das ja sogar die Verantwortlichen in Deutschland. Ich habe gehört, der deutsche Staat ist Miteigentümer der Firma Fraport. Kann da nicht das Parlament was machen?“
Dem Land Hessen gehören 31,31 Prozent an der Fraport AG und die im Besitz der Stadt Frankfurt befindlichen Stadtwerke Frankfurt am Main Holding GmbH halten 20,16 Prozent an der börsennotierten Firma Fraport, die sich in der Vila Nazaré in Porto Alegre gerade keine Freund*innen macht.

 

„DIE WOLLEN UNS IN DIE PERIPHERIE ABSCHIEBEN“

Seit in Brasilien ab 2008 die ersten Planungen für gigantische WM-Infrastukturprojekte im ganzen Land aus dem Boden sprossen (s. LN-Dossier 9, September/Oktober 2013), war der Ausbau des Flughafens von Porto Alegre, Salgado Filho, ausgemachte Sache. Der Ausbau der Landebahn sei nötig, damit auf dem internationalen Flughafen auch größere Maschinen landen und starten könnten. So würde die bestehende Piste, die 2.280 Meter lang ist, auf 3.200 Meter verlängert werden. Doch dafür müssten 1.500 Menschen der angrenzenden Favela Vila Dique und die 5.000 Menschen der sich ebenfalls dort befindlichen Favela Nazaré zwangsumgesiedelt werden.

Zwischen 2009 und 2012 wurden aus der Vila Dique die ersten 900 Familien, knapp 4.000 Menschen, umgesiedelt. Doch die restlichen Familien, von denen viele dort seit 40 Jahren leben, weigerten sich. Denn schnell sprach sich herum, wie das neue Wohnviertel aussah, in das die umgesiedelten Familien gezogen waren.

Sheila Mota ist Vorsitzende der Widerstandsbewegung Vila Dique Resiste, in der sich Bewohner*innen der Favela Vila Dique zusammen­geschlossen haben. Gegenüber Medien berichtete sie, dass die Ersatzhäuser mit 38 Quadratmeter viel zu klein für die zwangsumgesiedelten Familien waren, die oftmals zu zehnt dort wohnen mussten. „Von diesen 900 Familien sind etliche wieder zurück zur Vila Dique gekommen“, sagt Sheila Mota. „Da in Porto Novo gibt es zu viel Gewalt und keine Arbeit. Und der Transport erst: Viele müssen zwei Busse nehmen, um zur Arbeit zu kommen.“ Die meisten arbeiten, so Mota, als Müllsammler*innen oder in Recyclingfabriken, dies sei in der neuen Gegend aber nicht möglich. „Die meisten hier arbeiten mit Recycling, das ist unser täglich Brot. In Porto Novo gibt es aber keine Jobs in der Recycling-Branche, kein Auskommen“, sagt Mota. Die ersten hundert Bewohner*innen der neuen Wohngegend von Porto Novo sind nun wieder zurück in die Vila Dique gezogen.

In der Vila Dique ist die Infrastruktur seit den ersten Zwangsumsiedlungen aber massiv schlechter geworden. Eine der ersten Handlungen der Präfektur war die Schließung des örtlichen Gesundheitspostens. Denn schließlich hatte die Politik entschieden, dass die Vila Dique der Flughafenpiste Platz machen sollte. Doch diese Rechnung wurde ohne die Bewohner*innen gemacht. „Wir wohnen hier seit 40 Jahren und seit fünf Jahren leisten wir Widerstand“, sagt Sheila Mota. „Wir wollen den Politikern und den Ämtern zeigen, dass auch wir zur Stadt gehören! Dass wir hier unten auch ein Recht auf Stadt haben!“ Denn nur hier in der Vila Dique und der ebenfalls an den Flughafen angrenzenden Vila Nazaré gäbe es die Infrastuktur, die die Bewohner*innen bräuchten. „Wir wollen das gleiche Recht wie die Reichen haben, nahe an unseren Arbeitsplätzen zu wohnen. Wir wollen nicht die ganze Stadt durchqueren müssen. Wir wollen nicht an der Peripherie der Stadt leben!“, so Mota.

So haben sie die Staatsanwaltschaft und Aktivist*innen kontaktiert und leisten seit 2009 Widerstand gegen die Räumungsandrohungen der Stadt. Die Staatsanwaltschaft klagt gegen die gerichtlichen Androhungen der Zwangsräumungen, und Architekt*innen setzen sich mit den Anwohner*innen zusammen, um alternative Widerstandspläne zu erarbeiten, die vielleicht den Verbleib der comunidades ermöglichen könnten.

Claudia Favaro ist Architektin und erarbeitet einen Plan, um das ganze Gelände vor einer Räumung zu schützen. Dies könnte nur klappen, wenn es gelänge, vor Gericht einen Landtitel zu erlangen. So einen Landtitel gibt es nur, wenn die comunidade das Gericht von der gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Lage und Struktur überzeugen kann. Dann wäre eine Räumung gerichtlich schwer durchzusetzen. Aber in Brasilien gab es auch schon viele Fälle, wo eine solche Sozialdemarkation von Gegenden erst vor Gericht erstritten wurde, aber Politiker*innen später das Ganze wieder aufhoben.

Der Kampf um die Vila Dique und Vila Nazaré geht weiter. Bislang lagen die Ausbaupläne für die Flugpiste brach, auch weil die Geldmittel dafür fehlten. „Nun aber wird es aller Voraussicht nach ernst“, sagt Sheila Mota, „denn nun haben sie den Flughafen an die deutsche Firma verkauft“.

Der deutsche MDAX-Konzern Fraport hat zum 1. Januar 2018 den Flughafen Aeroporto Internacional Salgado Filho von Porto Alegre für 382 Millionen Reais (umgerechnet 98 Millionen Euro) übernommen. Der Pachtvertrag läuft über 25 Jahre. Die Fraport AG wird mehrheitlich vom Land Hessen (31,32 Prozent), der Stadt Frankfurt (20 Prozent) und der Lufthansa (8,45 Prozent) kontrolliert. Die Flughafenbetreiber*innen versprechen Investitionen in Höhe von mindestens 600 Millionen Reais, einige Medien in Brasilien spekulierten gar über Investitionen in Höhe von knapp zwei Milliarden Reais. Was aber klar ist: Wird die Landepiste wie vorgesehen erweitert, dann werden die 6.500 Menschen der Favelas Vila Dique und Vila Nazaré zwangsumgesiedelt werden. Der vorgesehene Stichtag dafür ist in Oktober 2019.

Die Anwohner*innen wollen sich aber so leicht nicht geschlagen geben. „Wir haben den Bürgermeister mehrmals kontaktiert, um darüber zu reden. Aber der empfängt einfach niemanden [von uns]“, sagt Sheila Mota. „Das einzige, was wir von ihm gehört haben, war, dass er mit den Deutschen das Geschäft abschließt.“

Für die Chefin der Anwohner*innenvereinigung ist das Ganze ein abgekartetes Spiel. „Die wollen einfach, dass wir klein beigeben“, sagt Sheila Mota. „Die wollen die comunidade vertreiben. Haben wir nicht auch das Recht, nahe der Stadt zu wohnen? Alles Immobilienspekulation. Der Grund und Boden, wo jetzt unsere Vila Dique steht, die ist heute Gold wert. Die großen Filetstücke wurden schon von den Firmenbossen aufgekauft. Deshalb wollen sie, dass wir an die Peripherie der Stadt abgeschoben werden, nur deshalb.“

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