Im Juni unterzeichneten mehr als 2.000 Journalist*innen die öffentliche Stellungnahme und verurteilten die extreme Tragweite, mit der Pressetätigkeiten durchkreuzt werden. Die Regelmäßigkeit, mit der Milei Journalist*innen beleidigt und diskreditiert, ist in der jüngeren politischen Geschichte Argentiniens beispiellos: Laut Untersuchungen verschiedener Presseverbände hat Argentiniens Präsident über das soziale Netzwerk X bereits über ein Dutzend Journalist*innen angegriffen. Manuel Adorni, sein Sprecher, tut es ihm während seiner Pressekonferenzen gleich. Der Ökonom Milei ist erst durch die Medien bekannt geworden – nun hat er die dort Beschäftigten zur Zielscheibe erklärt.
Die Angriffe verbleiben aber nicht auf der diskursiven Ebene. Über Präsidialdekrete und weitere Regulierungsinstrumente hat die Regierung bereits konkrete Kürzungen, Anpassungen und sogar die Schließung von Medien und Agenturen vorangetrieben. Das bedeutet nicht nur einen symbolischen, sondern auch einen materiellen Schlag gegen das nationale Informationssystem und damit die Demokratie des Landes. Während Argentinien in der jährlichen Aufstellung von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit vor der Amtsübernahme Mileis weltweit auf Platz 40 stand, fiel das Land in diesem Jahr um 26 Plätze zurück.
Das Verhalten der Regierung gegenüber der Presse sei ein „systematischer Angriff in vielerlei Hinsicht“, so Carla Gaudensi, Generalsekretärin des argentinischen Verbands der Pressearbeiter*innen im Gespräch mit den LN. „Auf der einen Seite will man einzelne Journalist*innen für Nachrichten, die den Erwartungen der Regierung widersprechen, bestrafen und ihnen das Wort verbieten. Gleichzeitig ist auch der Versuch erkennbar, die öffentlichen Medien zum Schweigen zu bringen“, führt Gaudensi aus, die bei der staatlichen Nachrichtenagentur Télam arbeitet.
Verbale Angriffe, Entlassungen, Privatisierung
Der Fall von Télam ist mustergültig: Mileis Androhung von Anfang März, die Agentur zu schließen, wurde inzwischen umgesetzt, die Website vom Netz genommen und alle Mitarbeiter*innen „entlassen“. Da dieses Verfahren illegal ist, konnte die Regierung ihnen keine echten Kündigungen aussprechen, sondern stellte sie bezahlt frei. Als Antwort darauf campen Télam-Mitarbeiter*innen seit mehr als vier Monaten vor den Türen der Agentur und protestieren für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze und das Recht, zu informieren.
„Télam hat eine 79-jährige Geschichte und ist eine der wichtigsten Nachrichtenagenturen Lateinamerikas. Sie spiegelt den Föderalismus und die Pluralität der Stimmen“, betont Gaudensi, für die die Nachrichtenagentur ausschlaggebend ist, um „Perspektiven, die kommerzielle Medien auslassen” an die Öffentlichkeit zu bringen. Bereits unter der konservativen Regierung von Mauricio Macri hatte es 2018 massive Entlassungen gegeben, nach einem heftigen Gewerkschaftskampf hatte die Justiz aber zugunsten der Beschäftigten entschieden.
Neben Télam sind auch die Rundfunkanstalten Televisión Pública und Radio Nacional Teil der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft Argentiniens. In ihren Fällen ging die Regierung einen anderen Weg: den Versuch der Privatisierung im Rahmen des Ley Bases. Da dieser inzwischen vom Tisch ist, kündigte Milei an, andere Wege für die Privatisierung zu suchen. Im Fall von Radio Nacional treibt der Präsident währenddessen die Beschränkung lokaler Programme der Sender im Landesinneren voran. Dabei wird dem Sender eine strenge Zensur auferlegt: Inhalte aus Buenos Aires werden priorisiert und den Journalist*innen weder erlaubt, als regierungsfeindlich eingestufte Thematiken zu behandeln noch beispielsweise über soziale Proteste zu berichten. Neben den öffentlichen greift die libertäre Regierung auch kooperative, selbstverwaltete Medien an, die ebenfalls ungemein wichtig für die Medienlandschaft sind. Gleich nach Amtsantritt schaffte sie eine Richtlinie ab, die auch finanzielle Unterstützun für kleinere Medien vorsieht. Malena Winder, Präsidentin der Arbeitsgenossenschaft Por Más Tiempo, die die Tageszeitung Tiempo Argentino herausgibt, berichtet, die Kürzung sei „plötzlich und abrupt“ gewesen. Dazu komme, dass die Regierung keinen Zeitplan für die Zahlung der bereits bestehenden Schulden bei kleinen Medien vorlege. Winder erklärt: „Das hat direkte Auswirkungen auf die Einnahmen der Genossenschaft und damit auf die Gehälter der Mitglieder.“ Nur eine öffentliche Förderung könne „Pluralität und Gerechtigkeit garantieren“ und „den Zugang zum Recht auf Information im Land gewährleisten.“ Laut einer aktuellen Umfrage der Pressegewerkschaft von Buenos Aires (SiPreBA) hat sich die Situation der Pressearbeiter*innen seit Mileis Antritt allgemein verschlechtert. Infolge der Inflation der ersten zwei Monate seiner Amtszeit erhielten über drei Viertel der Beschäftigten in der Hauptstadt und dem Großraum Buenos Aires Gehälter unterhalb der Armutsgrenze. Der Rest des Landes weist ähnliche Zahlen auf.
Gleichzeitig betonen Expert*innen, wie wichtig es ist, den Angriff auf die Medien in den größeren Kontext zu stellen. Diego de Charras, Professor und Vizedekan der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Buenos Aires, sieht darin einen Angriff auf die Öffentlichkeit als Ganzes: „Dieser Angriff ist im Zusammenhang mit einem allgemeinen Angriff auf die Rolle des Staates zum Schutz, zur Verteidigung und Förderung von Rechten zu interpretieren. Es handelt sich um den sogenannten Kulturkampf, von dem Milei spricht und durch den er versucht, alles, was Kultur und Kommunikation als Menschenrecht darstellt, anzugreifen, zu schwächen oder aufzulösen.“