Seit Amtsantritt des Präsidenten Menem gab es über 300 Fälle von Bedrohungen und tätlichen Angriffen gegen JournalistInnen und deren Medien. Von staatlicher Seite wurde kein einziger von ihnen aufgeklärt. Stattdessen wurden sie verharmlost und die Verantwortlichen gedeckt.
“Das nächste Mal bringen wir dich um!”
Die Szenerie und die Methoden gleichen denen der Militärdiktatur: Drei Männer in einem Ford Falcon entführen in der Nacht zum 9. September 1993 den Journalisten Hernán López Echagüe. Wenig später lassen sie ihn verletzt in einer einsamen Gegend in der Provinz Buenos Aires zurück. Mit einer schweren Gehirnerschütterung und Messerschnitten im Gesicht wird er ins Krankenhaus eingeliefert. “Das nächste Mal bringen wir dich um”, sagen ihm die Angreifer zum Abschied.
Innerhalb von drei Wochen war das der zweite Angriff auf den Journalisten der kritischen Tageszeitung “Página/12”. Er hatte im August eine vieldiskutierte Reportage veröffentlicht, die Verbindungen zwischen bezahlten Schlägertrupps und hohen Regierungsfunktionären aufdeckte. In die Angelegenheit verwickelt waren Alberto Pierri, Fraktionsvorsitzender der PeronistInnen im Parlament und Spitzenkandidat in der Provinz Buenos Aires, sowie der ehemalige Botschafter in Honduras, Alberto Brito, Chef der rechtsextremen Schlägergruppe “Comando de Organización”.
Im Frucht- und Gemüsegroßmarkt von Buenos Aires wurden bullige Arbeiter angeheuert, die dann die “Sicherheit” auf Großveranstaltungen der Peronistischen Partei (PJ) garantieren sollen. Sie griffen zum Beispiel brutal sechs Journalisten auf einer Landwirtschaftsmesse an, die Präsident Menem gerade besuchte.
Daß auch Menem über die Aktion informiert war, erwies sich kurz darauf in einer Fernsehübertragung aus dem Regierungspalast: Kein anderer als der Staatspräsident selbst begrüßte per Handschlag und Wangenkuß Miguel Angel Arjona, einen der Schläger auf der Messe.
“Normalität” in Zeiten des Wahlkampfs?
Menem weigerte sich mehrere Wochen, VertreterInnen der JournalistInnengewerkschaft UTPBA (Unión de Trabajadores de Prensa de Buenos Aires), die eine Aussprache forderten, zu empfangen. Er bezeichnete die Aggressionen stattdessen als “üblich im politisch angespannten Klima des Wahlkampfs”.
Die UTPBA sammelt alle Informationen über Bedrohungen und Angriffe gegen JournalistInnen. Ihre Dokumentation läßt die Systematik erkennen, mit der kritische Stimmen mundtot gemacht werden sollen.
In den vergangenen vier Jahren wurden über 300 Anschläge auf Medien und Angriffe gegen kritische JournalistInnen gemeldet. Besonders häufig waren Drohungen gegen JournalistInnen, die über Korruptionsfälle bei der Privatisierung von Staatsunternehmen recherchierten.
“Einzelne JournalistInnen werden durch Drohungen oder Angriffe zum Schweigen gebracht. Das eigentliche Ziel ist aber, daß Tausende von JournalistInnen mit einer Schere im Kopf arbeiten und Millionen von Menschen bestimmte Informationen nicht erhalten oder selber verstummen”, so eine Erklärung der UTPBA.
Die einzige Reaktion der Regierung besteht bisher darin, die Fälle so weit wie möglich zu ignorieren oder die Schuld den JournalistInnen selbst in die Schuhe zu schieben. Nachdem die Vorwürfe gegen Alberto Pierri aufgetaucht waren, beeilte sich etwa der peronistische Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Eduardo Duhalde, dessen Unschuld zu versichern und stattdessen die “Aggressionen der Mikrofone” und den “Terrorismus der Medien” zu verurteilen. Präsident Menem sprach von “normalen Berufsrisiken” und versicherte den JournalistInnen sein Verständnis, da auch er täglich bedroht werde. Diese “antiargentinische Kampagne” sei aus dem Ausland gesteuert, mit dem Ziel für Verunsicherung vor den Wahlen zu sorgen.
Freunde halten zusammen
Die Tradition der Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen in Argentinien wird auch diesmal nicht gebrochen. Bislang wurde kein ernsthafter Versuch unternommen, auch nur einen Angriff der vergangenen Jahre aufzuklären, kein einziger Verantwortlicher genannt oder gar bestraft. Die einzigen beiden Verdächtigen, die aufgrund einer Untersuchung des Innenministeriums verhaftet worden waren, wurden gleich darauf aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen.
Zur Aufklärung der Aggression gegen Lopez Echagüe wurde der Staatsanwalt Luis González Warcalde zum Sonderbeauftragten ernannt. Warcalde ist für seine freundschaftlichen Beziehungen zum Staatsoberhaupt bekannt, und strengte sich in den Wochen nach seiner Ernennung hauptsächlich an, eine Vernehmung von Parlamentspräsident Pierri und Ex-Botschafter Brito zu vermeiden. Außerdem wurde Warcaldes Freund Luis Patti, in dessen Polizeiwache im vergangenen Jahr mehrere Jugendliche gefoltert worden waren, zum Inspektor des Zentralmarktes ernannt, um gegen die brutalen Verhältnisse vorzugehen.
“Hört auf!”
Die Protestaktionen, die die Gewerkschaft UTPBA gestartet hatte, wurden von ungewöhnlich vielen ArgentinierInnen unterstützt.
Schon im Mai war es problemlos gelungen, mehr als 5000 Unterschriften gegen ein Projekt der Regierung zu sammeln, das die Arbeitsbedingungen der JournalistInnen zu verschlechtern droht.
Am 29. Juli veranstaltete die UTPBA einen “Tag für Meinungsfreiheit und gegen die Drohungen”. Vorher schon hatten sich fast 60.000 Menschen an einer Umfrage zum Thema beteiligt, an diesem Tag waren es weitere 20.000. Von allen Befragten meinten 89 Prozent, in Argentinien gäbe es Zensur oder Mechanismen, die wie Zensur wirken können. Fast 30 Prozent machten dafür die Regierung verantwortlich.
Über zwei Drittel der Befragten äußerten außerdem den Wunsch, die Korruption solle stärker als bisher aufgedeckt und publik gemacht werden; sie waren gleichzeitig mehrheitlich davon überzeugt, daß die Angriffe JournalistInnen zum Schweigen bringen sollen.
“Für das Leben, gegen die Straffreiheit.”
Mit dieser Parole rief die UTPBA am 16. September gemeinsam mit Menschenrechts- und anderen Organisationen, Parteien und prominenten Einzelpersonen zu einer Kundgebung auf.
Knapp 12.000 Menschen hatten sich auf der Plaza de Mayo versammelt. Das sind mehr als auf jeder anderen Demonstration in der letzten Zeit.
Der Tag war gleichzeitig Jahrestag der “Noche de los Lapizes”, in der 1976 sieben SchülerInnen aus La Plata verschwan-den. Ihre Aktion für SchülerInnenfahrscheine wurde damals als “Subversion an den Schulen” bezeichnet. Die Erinnerung daran machte einmal mehr Kontinuitäten bei der Verweigerung von Menschenrechten deutlich.
Alles geht weiter wie vorher
Nach den Wahlen am 3.10. setzte sich die Reihe von Bedrohungen und Angriffen auf die Meinungsfreiheit unverändert fort. Am 27. Oktober wurde die seit über einem Jahr wöchentlich stattfindende Demonstration der RentnerInnen vor dem Kongreß auf Befehl des Innenministeriums durch Knüppeleinsatz verhindert. Dabei wurden auch sieben JournalistInnen verletzt.
Noch ungeklärt sind die Umstände der Ermordung des Journalisten und UTPBA-Funktionärs Mario Bonino. Er wurde am 11. November entführt, seine Leiche schwamm vier Tage später im Rio de La Plata. Am Vorabend der Entführung hatte eine Gruppe bewaffneter Männer die Eingangstüren der UTPBA-Zentrale eingeschlagen und den Nachtwächter schwer verletzt.
Juan Carlos Camaño, der Generalsekretär der UTPBA dazu: “Den Beruf des Journalisten heute in Ländern wie unserem auszuüben, bringt ein hohes Risiko mit sich. Über Korruption und die Politik der sozialen Ungerechtigkeit zu recherchieren und sie zu denunzieren, ist genauso riskant, wie diejenigen beim Namen zu nennen, die ökonomische, juristische oder politische Vorteile daraus ziehen. Es ist allgemein bekannt, daß diese privilegierten Sektoren eine Mafia bilden oder Banden und Schlägertrupps beauftragen. Diese bedrohen nicht nur JournalistInnen, sondern auch StudentInnen, DozentInnen, RentnerInnen, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften oder sonstige politische Kräfte; alle diejenigen werden angegriffen, die das momentan herrschende wirtschaftliche, politische und soziale System in Frage stellen.”