
Die Frauenvereinigung des Indigenen Volkes der Kukama, Huaynakana Kamatahuara Kana, machte im April international Schlagzeilen, als ihre Präsidentin, Mari Luz Canaquiri Murayari, für ihren besonderen Einsatz für den Umweltschutz mit dem renommierten internationalen Goldman-Preis ausgezeichnet wurde. Die Frauenvereinigung der Kukama hatte im März 2024 in zweiter Instanz am Provinzgericht in Nauta, Loreto, erfolgreich die Anerkennung des Flusses Marañón und seiner Zuflüsse als Rechteinhaber eingeklagt. Aktivist*innen der Kukama hatten zuvor seit Langem auf die andauernden Ölverschmutzungen aufmerksam gemacht, welche durch die dort befindlichen Ölpipelines des Oleoducto Norperuano verursacht werden. Das Urteil besagt unter anderem, dass der Fluss das Recht habe, frei von Umweltverschmutzung zu fließen und ein gesundes Ökosystem aufrechtzuerhalten. Außerdem setzt das Urteil fest, dass Petroperú als Betreiber der Ölpipelines nun einen neuen Umweltplan vorlegen muss, um in Zukunft Ölunfällen vorzubeugen. Celia Fasabi, Vizepräsidentin der Organisation, war als Klägerin auf dem langen Weg zum Urteil dabei und beschreibt, was nun bevorsteht: „Der Fluss Marañón wurde als Rechteinhaber anerkannt, aber es bleibt noch viel zu tun, um diesen Sieg auch zu implementieren. Trotzdem ist dies bereits ein Fortschritt für uns, nicht nur für die Menschen hier. Es sollten überall Nachahmungen der Klage geben, damit die Flüsse das Recht haben, frei zu fließen, zu nähren und ernährt zu werden. Auf dass sie von allen respektiert werden, auch von Unternehmen – und auch vom Bergbau.“ Das Urteil legt zudem die Pflicht des Staates fest, den Fluss als Garant des Rechts auf Leben und Gesundheit rechtlich zu schützen. Der Marañón soll als Rechteinhaber künftig von Indigenen Organisationen repräsentiert werden. Der Fluss nimmt eine wichtige Rolle im alltäglichen Leben der Kukama ein, aber auch in ihrer Kosmovision, wie Celia erklärt: „Wir Indigenen Völker haben diese Beziehung zum Wasser und zu den Wäldern. Der Fluss spricht durch uns, die ihn spüren, die ihn durch diese Beziehung leben und ihn repräsentieren. In ihm sind lebende Wesen, das ist unsere Kosmovision und wir spüren die Verbindung zu ihnen. Das gleiche gilt für die Wälder, die Bäume, die Pflanzen. Sie haben ihre Seele, man geht nicht einfach in den Wald und pflückt eine Pflanze als Heilmittel – man muss erst mit ihrer Seele in Kontakt treten.“
Bolivien und Ecuador machen es vor
Aus dem Naturverständnis der Kukama lässt sich leicht ableiten, dass die Natur selbst Rechte innehaben sollte, doch wie das in bestehende Rechtssysteme übersetzen? In Peru ist die Natur als Rechtssubjekt nicht in der Verfassung verankert, im Gegensatz zu den Verfassungen von Bolivien und Ecuador, auf die sich die Klägerinnen bezogen. Daher die Lösung: den Fluss zum Rechteinhaber erklären, der das Recht auf Repräsentation hat. Nun muss die Umsetzung des Urteils beginnen. Dazu soll die Regionalregierung von Loreto Wasserräte einberufen, über welche die rechtlich als Repräsentant*innen des Flusses anerkannten Indigenen Organisation an Entscheidungen, die den Fluss betreffen oder Auswirkungen auf ihn haben, beteiligt werden. Eine Hürde für die Anwendung besteht darin, dass sich die Interessen der Verteidiger*innen des Flusses und die aggressive Intensivierung des extraktiven Sektors gegenüberstehen. Laut Perupetro liegt die Erdölförderung mit 17 Prozent höher als im Vorjahr. 60 Prozent der peruanischen Erdölreserven liegen im Marañón-Becken. Neben der Erdölförderung wird intensiv Bergbau betrieben, welcher nicht minder schädlich ist und durch hohe Mineralienpreise angetrieben wird. Laut der Umweltorganisation CooperAcción sind 15,5 Prozent des Landes für den Bergbau konzessioniert, zudem breitet sich der illegale Bergbau vor allem auch im Amazonas rasant aus. Zwischen 2005 und 2023 stieg die Menge illegal geförderten Goldes von 12 auf 77 Tonnen. Die permissive Haltung der peruanischen Regierung gegenüber dem illegalen Bergbau steht in direktem Zusammenhang mit einer eskalierenden Vereinnahmung des Staates durch private Interessen. Im peruanischen Kongress werden Gesetzesprojekte verabschiedet, von welchen Akteure des illegalen Bergbaus direkt profitieren (siehe Dossier 21). „Es handelt sich um einen Sektor, der über Kontakte und politische Beziehungen im Kongress verfügt, und alles deutet darauf hin, dass er noch stärker werden wird“, erklärte José de Echave von CooperAcción bei der Vorstellung des 35. Berichts der peruanischen Beobachtungsstelle für Bergbaukonflikte, Observatorio de Conflictos Mineros. Gleichzeitig stünde dieser in Verbindung mit einem hohen Maß an sozialer Konfliktivität und der Ermordung mehrerer Aktivist*innen.
Von einem anderen Ort, vom Fluss Cenepa in der Amazonas-Region, berichtet Dante Sejekam von der Organisation für die Entwicklung der Grenzgemeinden des Cenepa (ODECOFROC) des Indigenen Volks der Awajún vom immer aggressiveren Eindringen des illegalen Goldabbaus, gegen den sich die Menschen am Cenepa wehren.

Die Indigenen Aktivist*innen fühlen sich allein gelassen in ihrem Kampf gegen die Umweltzerstörung und die Gefährdung der Sicherheit der Gemeinschaften. Dante Sejekam erzählt, dass die Situation bereits mehrere Eskalationsstufen überschritten hat. Illegal agierende mineros, also Bergleute, schürfen dort mit Schwimmbaggern nach Gold. Anfänglich machten sie Indigene Anführer*innen mit einer Geldsumme gefügig, um so die Gemeinden zu unterwandern und dort ihre Interessen durchzusetzen. Nun sei die Situation noch zugespitzter: „Diejenigen, die den illegalen Bergbau betreiben, haben die absolute Kontrolle über Gemeinschaften und selbst über kommunale Autoritäten übernommen – ein minero ermordet einen Indigenen und es passiert überhaupt nichts.“
Gruppen der Indigenen Völker der Awajún und Wampis organisieren sich, um den Cenepa, den Santiago und andere Flüsse zu überwachen und vor Invasionen durch illegale mineros zu schützen. So führte der ODECOFROC auch Flussblockaden des Cenepa durch, um den Vormarsch des illegalen Goldabbaus zu stoppen. Seit 2023 versucht ODECOFROC durch Selbstorganisation die zerstörenden Aktivitäten einzudämmen. Jedoch sind ihre Mittel zur Durchführung von Patrouillen begrenzt, sodass illegale mineros immer wiederkommen. Bereits im Juni 2024 hatte ODECOFROC einen öffentlichen Notfallappell an mehrere nationale Ministerien gerichtet, um auf die ernste Situation hinzuweisen, in der sich die Menschen am Cenepa in der Amazonas-Region aufgrund illegaler Aktivitäten, der Zerstörung des Ökosystems und der sozialen Auswirkungen durch diese in den Awajún-Gemeinden befinden.
„Wir sind sehr besorgt“, führt Dante Sejekam fort, „denn während die mineros immer weiter vordringen, kommt von der Regierung keine Reaktion. Also machen wir weiter und leisten Widerstand aus unserer Kultur heraus. Vor allem, damit der Bergbau nicht in weitere Gemeinschaften vordringt“.
Widerstand bedeutet, alternative Einkommensquellen zu finden, den Anbau lokaler Produkte zu fördern
Der Bergbau übe auch ökonomischen Druck aus, während soziale Investitionen fehlten, so Dante: „Projektvorschläge aus den Gemeinschaften werden abgelehnt, während es hier viele junge Menschen gibt, die andere Arbeitsmöglichkeiten suchen oder selbst ein Kleinunternehmen gründen wollen. Es gibt junge Fachleute am Cenepa, die die Lebensmittelverarbeitung einheimischer Produkte entwickeln könnten, aber die Regierung setzt nicht auf solche Maßnahmen.“ In der Region ist das Level an Mangelernährung hoch, während es an Gesundheitszentren fehlt. Auch gibt es zu wenig zweisprachige Lehrer*innen für Indigene Kinder. Und der Mineralienabbau ist nicht die einzige illegale Aktivität; Drogenproduktion, Banden und Menschenhandel breiten sich aus.
Trotz allem und gerade deshalb setzen Indigene Organisationen wie ODECOFROC den zerstörerischen Aktivitäten eigene Visionen entgegen. So gibt es Fortbildungen mit dem Ziel der Selbstermächtigung von Frauen in der Gemeinschaft, um Führungsrollen zu übernehmen. Ebenso bedeutet Widerstand, alternative Einkommensquellen zu finden: Sie fördern den Anbau lokaler Produkte und entwickeln Fischzuchtanlagen, denn im verschmutzten Fluss kann nicht gefischt werden. Diese Initiativen können auch zur Aufforstung beitragen und sind ein Weg, die Mangelernährung, worunter vor allem Kinder leiden, zu bekämpfen.
So zeigt sich, dass die Rechte der Natur eng verbunden sind mit den Rechten der Menschen, die mit ihr leben. Das Thema Ernährungssouveränität ist auch für die Kukama zentral. Celia erzählt von der besonderen Beziehung zu den Pflanzen, die ihre Ernährungsgrundlage sind und Fürsorge brauchen, wie ein Mensch. Sie sieht die Vielfalt der lokalen Anbauprodukte als wichtigen Teil des Kampfes gegen Mangelernährung.
Würde auch am Cenepa ein Rechtsentscheid für die Rechte des Flusses helfen, ein intaktes Ökosystem zu gewährleisten und von den umgebenden Indigenen Gemeinschaften repräsentiert zu werden? „Das von den Kukama Frauen gewonnene Urteil ist schon eine Inspiration“, sagt Dante Sejekam, „aber viele Gemeinschaften kennen das Urteil nicht, es braucht eine Sensibilisierungskampagne. Es ist schwer, aber natürlich muss darauf aufgebaut werden. Dafür kämpfen wir gegen die mineros. Wenn der Kampf nicht so wichtig wäre, hätten wir ihnen längst die Konzessionen überlassen, hätten wir die Kokaanbauer eindringen lassen. Aber weil der Marañón so wichtig ist, dessen Nebenfluss der Cenepa ist, haben wir Widerstand geleistet – und tun es weiter, bestärkt durch das Urteil“.
Der Erfolg der Kukama ist ein Hoffnungszeichen – auch für weit entfernte Regionen wie den Cenepa. Doch es braucht mehr Sichtbarkeit, Unterstützung und politischen Willen, um ähnliche Wege zu gehen. Die Vereinigung Frauen der Kukama und ODECOFROC kämpfen wie andere Indigene Organisationen an verschiedenen Orten Tag für Tag gegen Gewalt, gegen die Verschmutzung von Flüssen und Wäldern und für ein Leben, welches mehr im Gleichgewicht mit der Natur steht. Die Verteidigung der Natur und des Klimas ist dort immer auch eine Verteidigung der Menschenrechte. Dafür braucht es auch die Verringerung des globalen Konsums der dort abgebauten und geförderten Rohstoffe, sowie strenge menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, zum Beispiel durch ein starkes EU-Lieferkettengesetz. Denn der Marañón mag nun Rechte haben – doch solange Rohstoffe aus gewaltvollen Kontexten global konsumiert werden, bleibt die Natur dort bedroht. Und damit jene, die sie verteidigen.







