DICHTER, PRIESTER, REVOLUTIONÄR

„Steht alle auf!
Es gibt so viel Mais zu pflanzen, so viele Kinder zu unterrichten,
So viele Kranke zu heilen, so viel Gesang.
Ich singe ein Land, das bald geboren wird.“

So schließt Ernesto Cardenal seine Nationalhymne für Nicaragua, ein Gedicht, das er der sandinistischen Revolution widmete, das sich aber sicherlich auf alle Revolutionen dieser Welt anwenden lässt. Dichter, Priester, Revolutionär − diese Trilogie an (Selbst-)Zuschreibungen, die ihn überall begleitet, ist nicht voneinander unabhängig. „Die Notwendigkeit zum Kampf für Befreiung und soziale Gerechtigkeit entstand für ihn aus dem Evangelium, er war Revolutionär, weil er Christ war”, schreibt Lutz Kliche in Heimweh nach dem Paradies über ihn. Er und Hermann Schulz, die den Erinnerungsband anlässlich des 100. Geburtstags des nicaraguanischen Dichters herausgaben, pflegten eine lebenslange enge Beziehung mit Cardenal und das liest sich aus den 170 Seiten heraus.

In zwölf Kapiteln werden Eindrücke aus Cardenals Leben, seine Beziehung zu Deutschland (eine Seelenverwandtschaft), zu Gott (eine Liebesbeziehung) und seine Perspektive für die Zukunft („Lasst uns Gott darum bitten, dass seine Revolution geschehe wie im Himmel so auf Erden”) vermittelt. Zwischen den Erzählungen der Herausgeber kommen auch die Gedichte nicht zu kurz und machen Lust auf mehr. Cardenal beweist als Dichter nicht nur, dass er romantische Poesie genauso gut zu schreiben weiß wie politische Verse, sondern auch, dass beides untrennbar miteinander verbunden ist. Nicht ohne Grund bezeichnet er die sandinistische Revolution, die von so vielen Schriftsteller*innen angetrieben wurde, als „die schönste Revolution, die es je gegeben hat”.

Bei beinahe jedem Umblättern stößt man auf eine neue Fotografie, die Cardenal in allen Lebenslagen zeigt: beim Predigen, Schreiben, Essen, Lesen; zu Besuch bei der Guerilla, auf der Frankfurter Buchmesse; Cardenal wie er, trotz allem lächelnd, vom Papst gemaßregelt wird; Cardenal mit Persönlichkeiten wie Günter Grass, Dorothee Sölle oder Heinrich Böll und mit Freunden − auch Hermann Schulz und Lutz Kliche sind ein paar Mal zu sehen.

Beide Herausgeber erzählen mit so viel Nähe und Wärme vom Dichter und von gemeinsamen Erinnerungen, dass es sich so anfühlt, als würde man ein Familienalbum durchblättern. Cardenal wird als Mann mit einem unerschütterlichen Gottvertrauen gezeichnet, das ihm ermöglicht, an das Paradies so sehr wie an die Revolution zu glauben. Klar wird, dass es Menschen wie ihn braucht, um den Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit möglich zu machen − zu seinen Zeiten, wie heute. So ist der Band ein Liebesbrief an einen Mann, der das Leben so sehr liebte.


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Das politische Testament

(Foto: Privat)

Ich gehörte zu den Ersten, die aus der Frente Sandinista (FSLN) austraten, indem ich sagte: „Dies ist nicht mehr die Frente Sandinista, der wir uns einmal angeschlossen haben.“ Und ich machte deutlich, dass ich zwar aus der Partei austrat, doch weiter Sandinist und Revolutionär blieb. Fast alle anständigen Mitglieder traten gleichfalls aus der FSLN aus, die unter Führung von Daniel Ortega die Revolution verriet.

Überall befindet sich die politische Linke in der Krise. Nach der verlorenen nicaraguanischen Revolution kam es zum Zusammenbruch des Sozialismus im Ostblock, zum Scheitern von Guerillagruppen und revolutionären Bewegungen und zum Sieg volksfeindlicher, wenn auch vom Volk gewählter Regierungen, die in einigen Fällen sogar vom Volk wiedergewählt wurden.

Die Demokratie kann nicht ohne Wahlen existieren, doch sind Wahlen keine Garantie dafür, dass Wahrheit und Gerechtigkeit siegen. Denn Völker können manipuliert werden. Wie viele Tyrannen und Despoten auf der Welt sind nicht schon durch Wahlen an die Macht gekommen!

Gibt es einen Ausweg? Die Evolution findet immer einen Ausweg. Wie nie zuvor bringt die Evolution überall auf der Welt Menschen hervor, die eine Veränderung wollen und erklären, dass eine andere Welt möglich ist; Männer und Frauen, die Vorboten dieser Evolution sind, die sich mehr und mehr ihrer selbst bewusst wird. Können wir uns vorstellen, wie die Menschheit in Tausenden von Jahren sein wird? Wie können wir sagen, dass das Ende der Utopien erreicht ist?

In Nicaragua ging die Revolution verloren, doch wir Christen müssen uns immer im Klaren darüber sein, dass wir der Gefahr der Niederlage ausgesetzt sind, genauso wie Jesus. Und dass wir, genauso wie er, kämpfen müssen, ohne uns eines baldigen Sieges gewiss zu sein.

Wir glauben, dass das Himmelreich auf dieser Erde sein wird, aber auch im Himmel. Man braucht nur nachts nach oben zu blicken, um es zu sehen. Es sind diese Millionen und Abermillionen von Sternen mit bewohnten Planeten, auf denen Evolutionen und Revolutionen stattfinden wie auf dem unseren. Das „Himmelreich“ – das ist die Erde und der gesamte Kosmos, die Gesellschaft der bewohnten Planeten. Es wird weitere, neue Revolutionen geben. Lasst uns Gott darum bitten, dass seine Revolution geschehe wie im Himmel so auf Erden!


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