EINE RICHTERIN FÜR DIE GERECHTIGKEIT

YASSMIN BARRIOS
ist Richterin in Guatemala und Präsidentin des speziell eingerichteten Gerichtshof Tribunal Primero A de Mayor Riesgo, für Fälle mit besonders hohem Sicherheitsrisiko. Sie hat Prozesse zu den während des Bürgerkriegs verübten Massakern verhandelt sowie gegen den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt.

Foto: Markus Dorfmüller


Wir waren am Wochenende in Sepur Zarco – einige der Frauen sind sehr frustriert, dass es zwar ein für sie positives Urteil gibt, aber dass die Umsetzung auf sich warten lässt. Können Sie das nachvollziehen?
Oh ja, für die Frauen hat die Übergabe der Finca, also des Landstreifens, Priorität, aber die ist bisher nicht vom Fleck gekommen. Das ist das Problem und dafür müssen ihre Anwältinnen nun sorgen – ich als Richterin habe da keinen Einfluss mehr.

Welche Relevanz hatte dieser Prozess für Sie persönlich: war es schlicht ein Fall?
Jeder Fall hat aus meiner Perspektive wichtige Charakteristika – so auch dieser. Klagen gegen Militärs von indigenen Frauen sind etwas Besonderes in Guatemala und darüber hinaus. Sepur Zarco war also etwas Besonderes – vor allen Dingen aus der Perspektive der Frauen.

Es hat auch Angriffe auf Sie persönlich gegeben, Kampagnen in den sozialen Netzwerken – warum?
Weil ich ein paar Prozesse verhandelt habe, die für dieses Land extrem wichtig waren: den Prozess gegen die Mörder von Monseñor Juan Gerardi, der den Bericht der katholischen Kirche zu den Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg herausgebracht hatte, den Prozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt oder eben den Sepur Zarco Prozess, wo es um die spezifischen Rechte der Frauen ging. Kurz vor der Urteilsverkündung im Falle Gerardi wurde eine Granate auf mein Haus geworfen – das war 2001. Es war ein Akt der Einschüchterung, es ist nichts passiert und ich bin am nächsten Tag zur Arbeit gegangen. Das ist meine Verpflichtung, aber damit hatte niemand gerechnet. Aber ich habe und fühle diese Verantwortung.

Augenblicklich scheint der Druck auf die Justiz enorm. Was passiert in Guatemala, wird die Justiz systematisch geschwächt?
In den letzten Monaten hat es in Guatemala eine kaum zu übersehende Schwächung des Rechtsstaats gegeben. Die Nichtumsetzung von Entscheidungen des Verfassungsgerichts ist dabei der gravierendste Fall.

Steckt dahinter eine Strategie?
Es ist kaum zu übersehen, dass man den Ermittlern der CICIG (Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala der UNO) in den letzten Jahren mehr und mehr Schwierigkeiten gemacht hat zu arbeiten – vor allem in Korruptionsfällen. Die CICIG hat in vielen Fällen die Staatsanwaltschaft animiert in diesem Bereich zu ermitteln und das hat sicherlich unsere Justiz gestärkt. Gleiches gilt für die neuen Instrumente, die die Justiz durch die Initiative der CICIG erhalten hat. Das hat unter dem Strich zur Stärkung der Justiz geführt. Die CICIG war und ist extrem wichtig.

Droht eine Rückkehr in die Straflosigkeit mit dem Ende der CICIG? Das Mandat läuft am 3. September 2019 aus.
Ja, ich denke das ist schon der Fall. Mit der Unterstützung der CICIG wurde die Ermittlungsarbeit im Justizsektor spürbar gestärkt – auch auf wissenschaftlicher und auf akademischer Ebene. Vor allem im Bereich der Korruption. Ich bin dafür, das Mandat der CICIG zu verlängern. Sie ist ein wichtiger Faktor, aber das müssen andere entscheiden.

Fehlt es an internationaler Unterstützung?
Ich denke, dass die internationale Beobachtung, die Begleitung der Arbeit der CICIG wichtig ist. Doch die hat in den letzten Monaten nur in Teilen stattgefunden, sodass die CICIG heute geschwächt ist. Grundsätzlich denke ich, dass die Verträge respektiert werden sollten, denn schließlich ist die CICIG auf Bitten der Regierung von Guatemala entstanden.

Aber es hat den Anschein, dass die Regierung diese Verträge nicht respektiert.
Die Regierung hat eine andere Sicht der Dinge, die der breiter Bevölkerungskreise widerspricht.

Wie denken Sie über den CICIG-Direktor Iván Velásquez? Ist es nachvollziehbar, dass er nicht nach Guatemala einreisen darf und die Arbeit aus dem Ausland leisten muss (siehe LN 536)?
Ich denke, dass der CICIG-Direktor das Recht hat in Guatemala zu arbeiten. Das hat das Verfassungsgericht auch so bestätigt, aber die Regierung blockiert das.

Was war in Ihrer Karriere der schwierigste Prozess?
Jeder Prozess hat seine spezifischen Elemente und von jedem Prozess lässt sich etwas lernen. Doch in dem Gerardi-Prozess bin ich gewachsen, daraus habe ich viel mitgenommen. Aber mit diesem Prozess und dem Anschlag auf mein Haus, habe ich auch an persönlicher Freiheit verloren. Seitdem kann ich mich nicht mehr so wie vorher in Guatemala bewegen. Ich bin auf Schutz angewiesen. Ich muss mich unter Polizeischutz in der Stadt bewegen, in einem gepanzertem Wagen.
Der andere Fall, der mich sehr beschäftigt hat, war jener über den Genozid an den Ixil (Indigene in Guatemala, Anm. der Red.), der Prozess gegen Efraín Ríos Montt. Da bin ich von den Medien angegriffen worden, von einflussreichen Kreisen, die dahinter stehen und bin stark stigmatisiert worden. Guatemala ist nach wie vor ein Land, in dem die Rechte der Frau kaum akzeptiert werden. Das habe ich damals am eigenen Leib erfahren: ich bin etikettiert worden, mir wurde vorgeworfen einseitig zu argumentieren, die Gesellschaft zu schwächen. Das war aber nicht der Fall, denn dieser Prozess hat zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Guatemala beigetragen. Teile der Zivilgesellschaft wurden mit dem Prozess erst sichtbar.
Das war ein überaus brisanter politischer Prozess. Ich bin keine politisch aktive Frau, gehöre keiner politischen Gruppe an – das wurde mir aber damals vorgeworfen. Dabei bin ich vor allem Juristin. Ich will der Justiz zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen, die Gesetze durchsetzen. Ich diene dem Rechtsstaat.

Sind Sie als Kommunistin bezeichnet worden?
Ja, das war der Fall und ich fühlte mich während des Prozesses in den kalten Krieg zurückversetzt – im Jahr 2013 herrschte ein Klima wie zu Zeiten der Berliner Mauer. Es prallten zwei Ideologien aufeinander, obwohl die Berliner Mauer bereits 1989 eingerissen wurde. In Guatemala herrschte in dieser Zeit ein Klima der Stigmatisierung, der latenten Bedrohung – zumindest auf medialer Ebene.

Kehrt dieses Klima zurück, fehlt ein Dialog zwischen den Generationen?
Ich glaube, dass wir diesen Dialog zwischen den Generationen brauchen und uns Richtern kommt dabei die Aufgabe zu, über Verbrechen der Vergangenheit heute zu urteilen. Das ist eine wichtige Aufgabe, denn die betroffenen Menschen hatten lange Jahre keinen Zugang zur Justiz, mussten oft den Weg über die interamerikanische Menschenrechtskommission gehen. Das ist ein Defizit und ich denke, dass die jüngere Generation erfahren muss, was in diesem Land passiert ist – das ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Wir haben eine Aufgabe, wir müssen aus unserer Geschichte lernen und die kulturelle Vielfalt schätzen lernen. Das ist eine Herausforderung und viele dieser Fragen waren im Völkermordprozess präsent. Da wurden wir als Gesellschaft auf diese Probleme erst hingewiesen, auf die Polarisierung, auf die Stigmatisierung auf die Defizite bei der freien Meinungsäußerung. Wir wurden auf die tief sitzenden Probleme in unserer Gesellschaft hingewiesen.

Ist diese Gesellschaft nach wie vor traumatisiert vom Bürgerkrieg?
Ich denke ja, denn es gibt bis heute Ängste, die eigene Meinung kundzutun, Rechte einzufordern – der Krieg hat vielfältige Spuren hinterlassen nicht nur bei der Generation der Opfer, sondern auch bei den nachwachsenden Generationen.

2015 schien es so als wäre die Zivilgesellschaft erwacht (siehe LN 492). Wie sieht es 2018 aus?
Es gibt Initiativen, die Freiräume zu reduzieren, Teilnahme zu erschweren und die Bürgerrechte einzuschränken.

Wie steht es um die Rechte der Frauen in Guatemala, haben sie gleiche Rechte?
Aus juristischer Perspektive haben wir die gleichen Rechte, aber in der Praxis ist es alles andere als einfach, diese Rechte auch durchzusetzen. Da bildet die Justiz sicherlich keine Ausnahme. Guatemala ist eine Gesellschaft, die zutiefst vom Machismo geprägt ist; hier wird über die Kleidung der Frauen öfter debattiert als über ihre Leistung. Frauen müssen mehr leisten, um hier ernst genommen zu werden. Das ist eine Folge der patriarchalen Strukturen in diesem Land.

Haben Sie Vertrauen in die guatemaltekische Gesellschaft?
Ja, und mir gefällt es auch einmal in eine Schule zu gehen und mit Schülern zu diskutieren. Das ist mir wichtig und wenn es meine Zeit zulässt, gehe ich auch an die Schulen, um zu hören wie die neue Generation agiert und denkt. Dabei lerne ich auch etwas über die sozialen Verhältnisse im Land. Das gefällt mir.

Wie blicken Sie in die Zukunft?
Wir befinden uns in einer Krise, aber Krisen helfen auch dabei, sich selbst neu aufzustellen, zu definieren und nach vorn zu blicken. Wir müssen uns, jeder in seinem Bereich, für die Zukunft dieses Landes engagieren, dafür gerade stehen. Es geht darum, unser Land zu retten.

Thelma Aldana, die ehemalige Generalstaatsanwältin, will bei den Wahlen im Juni für die Präsidentschaft kandidieren – ist es Zeit für eine Präsidentin?
Das könnte eine wichtige Erfahrung für ein Land wie Guatemala sein. Es gibt Frauen, die entscheidungsfreudig sind, die ein Land führen können und ich denke, dass es Frauen gibt, die dazu in der Lage sind, die sensibler auftreten, die eine andere Perspektive verfolgen. Mir erscheint das eine gute Option für die Zukunft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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STRAFLOS IN DEN TOD

Am Morgen des 6. April Die Nebenklagevereinigung AJR fordert die Fortsetzung des Prozesses gegen Montt (Foto: Nils Melbye)

Mit dem Tod José Efraín Ríos Montt findet nun auch das gegen diesen laufende Strafverfahren sein vorzeitiges Ende. Sein Anwalt Jaime Hernández verkündete am Ostersonntag, „er starb heute in seinem Haus, mit der Liebe seiner Familie, mit seinem klaren und sauberen Gewissen, unschuldig und in Frieden, überzeugt davon, dass es in diesem Land nie Genozid gab und er im Hinblick auf alle Anklagepunkte unschuldig war.“

Ríos Montt wurde nach einem Militärputsch im März 1982 zum De-facto-Regierungschef ernannt und im August 1983 durch einen erneuten Putsch rivalisierender Militärs wegen vermeintlicher Unzurechnungsfähigkeit abgesetzt. Ríos Montts Herrschaft fiel mitten in einen 36-jährigen bewaffneten internen Konflikt zwischen der Regierung und der Guerilla URNG, der 1960 seinen Ausgang nahm und erst im Jahr 1996 mit einem Friedensvertrag endete.

Während des Konflikts starben bis zu 200.000 Menschen, 45.000 weitere verschwanden spurlos und bis zu zwei Millionen Menschen flohen vor den Auseinandersetzungen zwischen der Guerilla und dem guatemaltekischen Militär aus ihrer Heimat.

Ríos Montt führte als überzeugter Antikommunist einen erbitterten Krieg gegen die Guerilla sowie die sie vermeintlich unterstützende Zivilbevölkerung. Er erklärte seine Strategie der Aufstandsbekämpfung im Jahr 1982 vor Journa­list*innen in Anlehnung an ein Zitat Mao Zedongs: „Die Guerilla ist der Fisch. Das Volk ist das Meer. Wenn du den Fisch nicht fangen kannst, musst du das Meer trockenlegen“. Mit einer Politik der verbrannten Erde wurden über 400 Dörfer ausgelöscht und dem Erdboden gleich gemacht. So erwarb er sich auch den Beinamen des „Schlächters der Indios“.

Der Ex-Diktator wurde 1995 in den guatemaltekischen Kongress gewählt und sicherte sich somit zunächst seine Immunität. Im Jahr 2003 trat er sogar als Präsidentschaftskandidat der Partei Frente Republicano Guatemalteco (FRG) an, obwohl die guatemaltekische Verfassung ausdrücklich eine Kandidatur von Personen verbietet, die zuvor mittels eines Putsches an die Macht gelangt waren.

Als er im Januar 2012 seine Immunität verlor, eröffnete sich für die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, ihn wegen des Genozids an der Ixil-Bevölkerung zu verfolgen. Im Januar 2012 klagte die Staatsanwaltschaft Ríos Montt erstmals formell wegen Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an und er wurde unter Hausarrest gestellt. Ein Jahr später begann das Verfahren gegen Ríos Montt und José Mauricio Rodríguez Sánchez, den ehemaligen General und Direktor des militärischen Geheimdienstes (G2), vor dem Hochsicherheitsgericht des Obersten Gerichtshofs.

Er erwarb sich den Beinamen des “Schlächters der Indios”.

Am 10. Mai 2013 verurteilte das Gericht Ríos Montt zu einer Haftstrafe von 80 Jahren, während es Rodríguez Sánchez freisprach. Die Justiz hielt die Schuld Ríos Montts wegen des Mordes an 1.771 indigenen Maya-Ixil für erwiesen. Das Urteil wurde jedoch nur zehn Tage später durch das guatemaltekische Verfassungsgericht aufgehoben.

Erst im Januar 2016 wurde das Genozidverfahren erneut aufgerollt. Die Anwälte Ríos Montts machten nunmehr die angeblich mangelnde Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten geltend und erreichten eine zunächst bis Oktober 2017 angesetzte Unterbrechung des Verfahrens. Später wurden beide Prozesse wieder aufgenommen, sowohl der von Montt als auch von Sánchez – wobei die Verhandlungen seitdem in getrennten Verfahren laufen. Das Verfahren gegen Ríos Montt, der aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes und einer vermeintlichen Demenz von seiner Anwesenheitspflicht befreit wurde, fand nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Am 6. April fand das Strafverfahren gegen Ríos Montt sein formelles Ende. Vor dem Beginn der Verhandlung hatten noch Vertreter der Nebenklagevereinigung AJR (Asociación para la Justicia y Reconciliación) auf einer Pressekonferenz vor dem Gerichtssaal gefordert, dass das Verfahren fortgeführt werde um die Verantwortung des verstorbenen an dem Genozid festzustellen. Aus ihrer Sicht gelte zudem die Verurteilung von Ríos Montt im Mai 2013 fort, denn das Urteil sei nur durch einen „juristischen Betrug“ wieder aufgehoben worden.

In der anschließenden Verhandlung wurde dann aber lediglich die Einstellung des Verfahrens wegen des Ablebens des Angeklagten durch das Gericht festgestellt. Der Anwalt von Rios Montt ließ es sich nicht nehmen, noch einmal festzustellen, dass „der ehrenwerte Herr José Efraín Ríos Montt als Unschuldiger gestorben ist und nie rechtskräftig wegen eines Genozids verurteilt wurde“.

Am Nachmittag wurde unterdessen der Prozess gegen den Mitangeklagten Rodríguez Sánchez fortgesetzt, in welchem ein Sachverständiger die Untersuchungen exhumierter Opfer erläuterte.

Ríos Montt ist auch noch nach seinem Tod umstritten. Für manche bleibt er ein nationaler Held. So befanden sich unter den etwa hundert bei seiner Beerdigung in Guatemala-Stadt anwesenden Personen auch mehrere Ex-Minister und ranghohe Militärs, die dem ehemaligen Diktator die letzte Ehre erwiesen. Die Anwesenden riefen: „Es lebe der General Ríos Montt“.

Für Andere, wie die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, ist die Aufarbeitung des Genozids noch nicht beendet, sie müsse von der Justiz fortgesetzt werden. Dass mit dem Tod von Ríos Montt die Aufarbeitung des Genozids nicht enden darf, fordert auch die Gruppe H.I.J.O.S., die sich am Nachmittag des Ostersonntags auf dem Platz der Verfassung in Guatemala-Stadt versammelte. Sie gedachten mit Fotos der Verschwundenen und mit Schildern auf denen, „Ja es gab einen Genozid“ stand, der Verbrechen der Militärregierungen während des bewaffneten Konflikts. Andere malten mit großen roten Lettern „Ríos Montt Genozid, das Volk vergisst nicht und es vergibt nicht“ auf den Platz.


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