DIE REGIERUNG SPIONIERT

Dem Hersteller zufolge installiert die Firma selbst Software und Hardware. Das Programm kann demnach nur dort benutzt werden, wohin es direkt verkauft wurde. Verschiedene Regierungsbehörden Mexikos haben Millionenverträge mit der Firma unterzeichnet. Zudem sollen sie das Programm jedoch von Wiederverkäufer*innen erstanden haben. Dem Nachrichtenportal televisa.com zufolge, hat die Firma Grupo Tech Bull SA de CV, die „Pegasus“ für über 32,5 Millionen Dollar an die PGR wiederverkauft haben sollte, jegliche Spuren ihrer Existenz verwischt. Die Adresse der Firma, welche im Vertrag erscheint, befindet sich an einem Ort, wo nur verborgene Büros existieren, die manchmal sogar für wenige Stunden vermietet werden. Die Homepage der Firma wurde abgeschaltet und Anrufe werden nicht beantwortet.

Das ausgeklügelte Programm „Pegasus“ wird als Verfolgungssystem auf Mobiltelefone geladen. Es ist programmiert, um Anrufe, E-Mails, Textnachrichten, Kontaktlisten, Kalendereinträge, Chatnachrichten und sogar den Aufenthaltsort der Person zu überwachen. Es kann Mobiltelefone in Aufnahmegeräte verwandeln und erfassen, was sich vor der Handykamera abspielt.

Die Angriffe waren gezielt und personalisiert. Sie begannen als Textnachrichten mit konkreten Inhalten, die die jeweiligen Personen in Angst versetzten. Teil der Nachrichten war ein Link, auf den die betroffenen Personen in Panik klickten. Dadurch wurde „Pegasus“ auf den Geräten installiert. Es erscheint verdächtig, dass die Betroffenen die Nachrichten gerade dann erhielten, als ihre Berichterstattung oder Untersuchung von Fällen, die die Regierung betrafen, sich kritischen Momenten näherten.

Citizen Lab, ein Institut an der Universität Toronto, welches an der Schnittstelle zwischen Kommunikations- und Informationstechnologien, Menschenrechte und Sicherheit forscht, hat bis jetzt die Nutzung von „Pegasus“ in den Mobiltelefonen von mindestens 19 Personen festgestellt.

“Pegasus” kann Mobiltelefone in Aufnahmegeräte verwandeln.

Unter den Betroffenen ist Carmen Aristegui, eine der kritischsten und bekanntesten Journalist*innen Mexikos. Zusammen mit ihrem Team deckte sie 2014 einen politischen Skandal auf, der für viel Empörung sorgte und das Bild von Präsident Peña Nieto sowohl innerhalb als auch außerhalb Mexikos negativ beeinflusst hat (siehe LN 490). Der Fall wurde bekannt als Casa Blanca („Weißes Haus”). Es handelt sich dabei um ein Haus im Besitz der First Lady, Angélica Rivera, dessen Wert auf etwa 7 Millionen Dollar geschätzt wird und das über Finanzanlagen von einem Auftragnehmer der Regierung und Freund des Präsidenten gekauft wurde. Nach der Veröffentlichung der Untersuchung wurde Aristegui vom Sender MSV Nachrichten verabschiedet, wo sie eine morgendliche Sendung moderierte. Dies wurde als Akt der Zensur und Repression gewertet. Auch das Mobiltelefon ihres noch minderjährigen Sohnes wird nun abgehört.

Ein weiteres Opfer der Überwachung ist der Generaldirektor des Instituts für Wettbewerbsfähigkeit Juan Pardinas. Sein Mobiltelefon und das seiner Frau wurden Ziele der Überwachung. Pardinas hatte das Antikorruptionsgesetz Ley 3de3 vorangetrieben.

Auch das Mobiltelefon von Mario Patrón wurde abgehört. Patrón ist Direktor des Menschenrechtszentrums Miguel Agustín Pro Juárez (Centro Prodh), einer regierungskritischen Gruppe, die die Menschenrechte verteidigt und in Mexiko einen sehr guten Ruf genießt. Unter den von Prodh rechtlich vertretenen Fällen sind die Frauen von Atenco, elf Universitätsstudentinnen, Aktivistinnen und Verkäuferinnen auf dem Markt von San Salvador Atenco. Sie wurden vor zehn Jahren auf einer Demonstration festgenommen und während der Verlegung ins Gefängnis Opfer brutalen sexuellen Missbrauchs von Seiten der Polizei. Dies ist umso brisanter, da derselbe Präsident Peña Nieto, damals Gouverneur im Bundesstaat Mexiko D.F., Repressionen gegen die Demonstrierenden angeordnet hatte. Der Fall wurde vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission gebracht. Sieben Jahre später ließ die Kommission erkennen, dass die Regierung den Fall verharmlosen und sogar den begangenen Missbrauch vertuschen wollte. Die Kommission hat beantragt, den Hergang bis in die Spitzen der Hierarchie gründlich zu untersuchen, was sogar Untersuchungen gegen den Präsidenten zur Folge haben könnte.

Einer der wichtigsten durch das Centro Prodh vertretenen Fälle ist der der Eltern der 43 Studenten aus Ayotzinapa, die nach einem Zusammenstoß mit der Polizei in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 verschwanden. Ihr Verbleib ist immer noch nicht aufgeklärt und ihre Familien fordern Gerechtigkeit (LN 486, 504, 507/508). 2015 kam eine von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte in Koordination mit dem mexikanischen Staat und Vertreter*innen der Opfer berufene Interdisziplinäre Gruppe unabhängiger Expert*innen (GIEI) nach Mexiko, um zu ermitteln. Monatelang widmete sich das Team der Untersuchung, doch da die Regierung den Aufenthalt nicht verlängerte, verließ die Kommission das Land im April 2016, ohne ihre Aufgabe beendet zu haben. Sie gaben an, in ihren Ermittlungen behindert worden zu sein. Die Mitglieder der GIEI zeigten vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission an, dass es forensische Beweise gebe, dass auch ihre Mobiltelefone ausspioniert wurden.

Auch führende Mitglieder der Oppositionsparteien wurden nicht ausgespart. Roberto Gil Zuarth, führender Politiker der Partei der Nationalen Aktion (PAN) und Fernando Rodríguez, Kommunikationsminister und ebenfalls Mitglied der PAN, berichteten, ebenfalls Opfer von „Pegasus“ zu sein. Daraufhin haben Abgeordnete der Parteien PAN, PRD, PT und MORENA eine Expert*innenkommission der UN gefordert, um die Ermittlungen zu beaufsichtigen.

Gerade in den Tagen des Höhepunkts des Skandals, hat das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten einen Besuch akzeptiert, den die Sonderberichterstatter*innen der UN und Interamerikanischen Menschenrechtskommission für Meinungsfreiheit seit März erfolglos gefordert hatten. Der offizielle Besuch soll die Situation des Journalismus im Land angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Journalist*innen analysieren.

Die Regierung hat jegliche Verwicklung in den Fall abgestritten und zudem alle Versuche, die Privatsphäre von Personen zu verletzen, verurteilt. Bis jetzt gibt es keine Beweise, welche den Staat oder seine Institutionen direkt mit der Spionage verbinden. Die Herstellerfirma NSO Group gibt an, dass es nicht möglich sei, die Auslösenden einzelner Angriffe zu bestimmen. Da sie nach eigenen Angaben die Software nur an Regierungen und Behörden verkauft, wird allerdings wenig Zweifel daran gelassen, dass die mexikanische Regierung oder einzelne ihrer Mitglieder für die Angriffe verantwortlich sind.

Die PGR hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet, um herauszufinden, ob ein unberechtigter Zugriff auf die Kommunikation von Privatpersonen begangen wurde und durch wen. Die Untersuchungen werden von der Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit (FEADLE) durchgeführt und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen, unter anderem dem FBI, wurde gefordert.
Doch die Betroffenen zeigen sich pessimistisch: „Wenn die Staatsanwaltschaft Pegasus benutzt, wird sie kaum einen Untersuchungsprozess in die Wege leiten und sich selbst zur Rechenschaft ziehen“, so Mario Patrón, „daher fordern wir eine Aufklärung durch eine unabhängige Expertenkommission.“

 

Newsletter abonnieren