FÜR DEN KAMPF UM WASSER GEWÜRDIGT

Internationaler Nürnberger Menschenrechtspreis Rodrigo Mundaca (Mitte) mit seiner Auszeichnung (Foto: Giulia Lannicelli)

Der Nürnberger Menschenrechtspreis wird alle zwei Jahre an Menschen verliehen, die sich trotz hoher Risiken für die Wahrung der Menschenrechte engagieren. Der diesjährige Preisträger Rodrigo Mundaca kämpft in der chilenischen Region Petorca nördlich der Hauptstadt Santiago für den freien Zugang zu Wasser. Mundaca ist Sprecher der Organisation Modatima, der Bewegung zur Verteidigung des Zugangs zu Wasser, der Erde und des Umweltschutzes. Modatima wurde 2010 gegründet und verfolgt das Ziel, die Rechte der lokalen Bevölkerung – Landwirt*innen, Arbeiter*innen und Einwohner*innen – zu verteidigen und Wasserkonflikte sichtbar zu machen. In der Region Petorca bauen agroindustrielle Unternehmen Avocados und Zitrusfrüchte für den Export an (ausführliche Reportage siehe LN 527). Nach Angaben von Modatima ist die lokale Bevölkerung seit den 1990er Jahren davon betroffen, dass sich die Unternehmen, in Absprache mit Politiker*innen, der regionalen Wasserressourcen bemächtigen.
Die Jury weist darauf hin, dass der Kampf um Wasser in Chile kriminalisiert und Mundaca in seiner freien Meinungsäußerung eingeschränkt, strafrechtlich verfolgt und verurteilt werde. „In den Jahren 2012 bis 2014 stand er 24 Mal vor Gericht”, erläutert die Jury in ihrer Begründung. Zudem erfahre Mundaca permanent Einschüchterungen und Drohungen und müsse in ständiger Angst, verhaftet zu werden, leben und arbeiten. Die Hoffnung der Jury sei, dass der Preis Mundaca den notwendigen Schutz verleiht, um seinen Einsatz ohne diese großen Gefahren fortzusetzen.

Der Kampf um Wasser wird in Chile kriminalisiert


Einige Tage nach der Preisverleihung erklärt Mundaca in Berlin, welche Gesetze seiner Meinung nach ausschlaggebend für die Privatisierung des Wassers in Chile sind. So führte eine Verordnung im Forstrecht in den ersten Jahren der Pinochet-Diktatur dazu, dass eine Fläche von über zwei Millionen Hektar der Siedlungsgebiete der Mapuche drei Unternehmensgruppen überlassen wurde. „Der Ursprung für die Zwangsvertreibung von Mapuche-Gemeinschaften liegt in ebendiesem Dekret”, stellt Mundaca fest. Eines der drei Unternehmen existiert heute nicht mehr, die anderen beiden sind die Firmengruppen Matte und Angelini. Mundaca ergänzt, dass der Ursprung des ungleich verteilten Reichtums im Land auf der Aneignung von Grundstücken und Naturgütern basiere. Die stehe auch in Beziehung zum Wassergesetz, dem Código de Aguas, das 1981 – ebenfalls während der Diktatur – erlassen wurde. Doch auch noch in den Jahren nach der Diktatur, als die Concertación de Partidos por la Democracia, ein Bündnis von Mitte-Links-Parteien, Chile regierte, wurde etwa die Privatisierung der Abwasserentsorgung aus sanitären Anlagen beschlossen.
Ohne eine Änderung der Verfassung habe die chilenische Bevölkerung demnach keine Chance, ihr Recht auf Wasser wiederzuerlangen, so der Wasseraktivist Mundaca. Artikel 19 der Verfassung von 1980 schreibt Privatpersonen, die Wasserrechte besitzen nämlich das Eigentum an diesen zu. „Bis heute ist die Privatisierung des Wassers durch die Verfassung abgesichert“, so Mundaca. Sowohl für eine Abschaffung der besagten Verordnung im Forstrecht als auch für eine Abschaffung des Wassergesetzes benötige es eine Verfassungsänderung. Der Kongress in Chile könne beschließen, dass Wasser nicht mehr als Privateigentum geltend gemacht werden kann. „Aber dafür bräuchte es ein qualifiziertes Quorum von drei Fünftel. Und die dafür nötigen Stimmen gibt es nicht“, erläutert der Agraringenieur.

Sieben Minister aus Piñeras Kabinett sind selbst Eigentümer von Wasserrechten

Zudem hat Präsident Sebastián Piñera schon während seiner ersten Wahlkampagne versprochen, Rechtssicherheit dafür zu schaffen, dass das Privateigentum an Wasser und die Verordnung zum Forstrecht unberührt bleiben. Nun regiert er gemäß dieser Aussage. Die Erkenntnis, dass sieben Minister aus Piñeras Kabinett selbst Eigentümer von Wasserrechten sind, ist auch Mundacas Arbeit zu verdanken. In einem Artikel von Anfang Oktober berichtete BBC Chile, dass der chilenische Agrarminister Antonio Walker Minderheitsgesellschafter von drei Unternehmen ist, die über Wasserrechte verfügen. In Bezug auf den Umfang der Nutzungsrechte wird er mit den Worten zitiert: „Vielleicht sind es 400 Liter Wasser pro Sekunde“.
An das Berliner Publikum gerichtet, sagte Mundaca, die Menschen in Europa „wissen nicht, dass 71 Prozent der Wassernutzungsrechte, die auf die Bereitstellung von Strom aus Wasserkraftweken abzielen, im Besitz der italienischen Firma ENEL sind; die Italiener sind Eigentümer der Flüsse im Land.” Erst vor wenigen Wochen hat die chilenische Regierung den Fluss Renaico zur Versteigerung freigegeben, der Grenzfluss zwischen den Regionen Bío-Bío und Araucanía. Mundacas Wissen nach seien es vor allem transnationale Unternehmen mit Sitz in Europa, die sich die Flüsse Chiles aneignen und die natürlichen Ressourcen durch exzessive wirtschaftliche Nutzung immer weiter verringern. Und das in einer Zeit, in der die Regierung mehrere Regionen zu Wassernotlagegebieten (zonas de emergencia hídrica por sequía) erklärt hat und der Klimawandel und die Trockenheit nicht mehr aus dem aktuellen Diskurs wegzudenken sind. Erst im September war Valparaíso aufgrund der vor Ort herrschenden Dürre zum Wasserkatastrophengebiet erklärt worden.
Die Jury des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises appellierte in ihrer Begründung auch an die Verpflichtung Chiles zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen. Konkret gehe es hierbei um das sechste Entwicklungsziel in der Agenda 2030: die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten. Dafür kämpfen Organisationen und Aktivist*innen wie Rodrigo Mundaca angesichts der politischen Untätigkeit, die bislang nur den Interessen von Großunternehmer*innen zuspielt. Umso wichtiger also, dass die Nürnberger Jury diese Arbeit mit dem Internationalen Menschenrechtspreis würdigt.

 

ZUFÄLLIGER TOD EINES AKTIVISTEN

Hunderte Menschen verabschiedeten sich in Quintero vom Aktivisten Alejandro Castro (Foto: Frente Fotográfico)

„Ein Anarchist, der verhört wurde, fiel durch ein Fenster. Während meine Kollegen ziemlich vernünftig behaupten, dass der Anarchist Selbstmord begangen hatte, war das Urteil des Gerichts, dass der Tod des Anarchisten ein Unfall war.“ So der ermittelnde Polizeikommissar in der weltberühmten Groteske von Dario Fo „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, das auf der wahren Geschichte des Todes des Anarchisten Guiseppe Pinelli basiert. Die Realität für Aktivist*innen in Chile ist mindestens genauso bitter, wie das Theaterstück grotesk ist. Aktivist*innen werden bedroht, zusammengeschlagen, sterben in scheinbaren Unfällen oder bringen sich um. Ermittlungen verlaufen im Sande, Verantwortliche werden selten ausfindig gemacht.
Für das Jahr 2017 hatte die internationale Nichtregierungsorganisation Global Witness in ihrem Bericht „At what cost“ (Zu welchen Kosten) mehr als 120 ermordete Aktivist*innen in Lateinamerika gemeldet, die Zahlen für 2018 sind noch nicht bekannt. Besonders in Kolumbien, Mexiko und Brasilien ist der Einsatz für die Umwelt oft tödlich, nicht zuletzt wegen einer entgrenzten staatlichen Gewalt, ausgeübt von Paramilitärs und Milizen. Diese morden öffentlich und offensichtlich; der Terror gegen die Aktivist*innen soll einschüchtern und tut das auch.

Nicht nur Macarena Valdés ist unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen

In Chile hingegen, wo die Sicherheitslage stabiler ist und staatliche Gewalt in Uniform daherkommt, sterben Umweltaktivist*innen einen stillen Tod. Ihr Ableben wird nur zu gerne als Suizid kategorisiert, wohl am offensichtlichsten im Fall der jungen Mapuche und Umweltaktivistin Macarena Valdés (s. LN 526) Am 22. August 2016 fand ihr damals elfjähriger Sohn seine Mutter erhängt in ihrem Haus in Tranguil in der Nähe der Kleinstadt Pangipulli im Süden Chiles auf. Sie muss gestorben sein, während ihr anderer – zum damaligen Zeitpunkt eineinhalbjähriger – Sohn im Haus war. Nur einen Tag zuvor waren sie und ihr Ehemann Rubén Collío von Unbekannten wegen ihres Einsatzes gegen ein Wasserkraftwerk bedroht worden. Das Projekt wird von der österreichischen Firma RP Global und der chilenischen Firma Saesa vorangetrieben. Das Kleinwasserkraftwerk, das mittlerweile in Betrieb ist, verspricht Energiesicherheit und Jobs im armen Süden Chiles. „Am 21. haben sie dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem wir wohnen, gedroht. Wenn er uns nicht rauswerfen würde, würde uns etwas sehr Schlimmes passieren, weil es Leute gebe, die uns Schaden zufügen wollten. Am nächsten Tag fand man Macarena erhängt in unserem Haus auf, ohne Erklärung”, so Collío in einem Interview mit Radio UChile.
Trotz der Morddrohungen gegen Valdés ist sich die Staatsanwaltschaft bis heute sicher, dass sie Suizid begangen hat. Und das obwohl es mittlerweile ein forensisches Gutachten gibt, das besagt, dass Valdés zum Zeitpunkt, an dem sie aufgehängt wurde, bereits tot war. RP Global bestreitet jedwede Verbindung zum Tod von Valdés.

(Foto: Frente Fotográfico)

Valdés ist nicht die einzige Aktivist*in, die unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen ist. Die Gemeinden Quintero, Ventanas und Puchuncaví, rund 50 Kilometer nördlich der Küstenmetropole Valparaíso gelegen, sind in Chile zum Symbol für eine fehlgeleitete Industriepolitik geworden. 1961 wurde der Industriepark Ventanas eingerichtet, er ist eine der sogenannten zonas de sacrificio, der geopferten Zonen, in denen dem industriellen Fortschritt alles, das Meer, die Luft und auch die Gesundheit und das Leben von Menschen untergeordnet, sprich „geopfert“ wird. Mittlerweile gibt es 14 Fabriken und Kraftwerke in der Region, die Wohlstand versprechen, aber Gift und Galle liefern.
Ein trauriger Höhepunkt dieser permanenten Umweltkatastrophe fand im August 2018 statt. Eine Giftwolke zog durch Quintero, die dazu führte, dass mindestens 301 Personen, darunter 53 Schüler*innen, mit Vergiftungserscheinungen behandelt werden mussten. Die lokale Bevölkerung reagierte mit Protest, es gab Straßenblockaden und Schulbesetzungen, die mit Wasser­werfereinsätzen und Tränengas beantwortet wurden. Schließlich wurde auch noch das Militär entsandt, das mit Gummigeschossen auf Demonstrant*innen schoss.
Einer derjenigen, der die Proteste mitorganisierte, war der junge Gewerkschafter Alejandro Castro (27) von der Kleinfischergewerkschaft Sindicato S24. Am 24. September wurde er erhängt neben der U-Bahn in Valparaíso aufgefunden. Die Geschichten gleichen sich. „Ich habe Zweifel, genau wie seine ganze Familie, und das sind berechtigte Zweifel, denn es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass Alejandro sie durchlebt hat. Er wurde von Carabineros der siebten Polizeistation in Santiago bedroht. Sie haben unsere Leute angegriffen. Er war mein Freund, er ist mein Freund, er hatte einen Sohn, er war ein engagierter Mann, mit viel Disziplin, Loyalität, er war ein Verteidiger der Umwelt wie kein anderer.“ erklärte Carolina Orellana Sepúlveda, eine Freundin von Castro der Tageszeitung La Tercera.
Mehrere Quellen bestätigten, dass Castro bedroht wurde. Bei einer Demonstration hat ein unbekannter Polizist ihm zugerufen: „Alejandro Csatro, wir haben dich auf dem Zettel!“ Für die ermittelnden Behörden war dennoch schnell klar, dass sich Castro das Leben genommen hat und dass keinerlei Dritte an seinem Tod beteiligt waren. Auch wenn selbst die Kriminalpolizei davon ausgeht, dass Castro wiederholt bedroht wurde. Wieder ein Aktivist, der in der Öffentlichkeit erhängt aufgefunden wurde, nachdem er bedroht wurde. Anders als im Fall von Macarena Valdés ermittelt im Fall von Castro ein Sonderstaatsanwalt, die Ergebnisse seiner Ermittlungen stehen allerdings noch aus.
Am 31. Januar 2019 wurde der 47-jährige Marcelo Vega Cortés in der Mündung des Lingue-Flusses tot aufgefunden. Sein Pick-up-Truck war halb versenkt. Vega war Präsident der Vereinigung der indigenen Gemeinschaften von Chan Chan und ein historischer Gegner der Installation einer Pipeline der Firma Celulosa Arauco – CELCO zur Deponierung von Abfällen im Meer von Mehuín.
Eliab Viguera, Sprecherin des Komitees zur Verteidigung des Meeres von Mehuín, wies darauf hin, dass die Bedingungen, unter denen das von Vega besetzte Fahrzeug gefunden wurde, „eine äußerst gründliche Untersuchung verdienen, da der LKW halb untergetaucht war, eine Situation, die es Marcelo ermöglicht hätte, aus dem Fahrzeug auszusteigen und sich zu retten, vor allem, da es sich um eine Person mit Kenntnissen im Tauchen handelt”. Es ist gut möglich, dass es sich beim Tod von Vega um einen einfachen Autounfall handelt. Zweifel bleiben aber trotzdem bestehen – gerade auch, weil Gewalt gegen Aktivist*innen in Chile alltäglich ist. Zuletzt wurde am 22. April bekannt, dass Manuel Montenegro von der Gewerkschaft Sinamoc brutal zusammengeschlagen wurde. Sinamoc befindet sich im Arbeitskampf mit der Firma Acciones, die in Talca ein neues Gefängnis baut. Im Arbeitskampf geht es darum, dass Acciones fünf Arbeiter, die sich in Verhandlung mit der Firma befanden, entlassen hat. Montenegro wurde in einem Internetcafé mit Knüppeln verprügelt. Nach Angaben des Onlinemagazins El porteño riefen die Angreifer, bevor sie flüchteten: „Wenn du nicht abhaust und aufhörst die Firma zu nerven, wirst du das teuer bezahlen. Und wenn du nicht die Forderungen zurückziehst, bringen wir deine Familie um.“
Rodrigo Mundaca, von der Organisation Modatima, die sich in Petorca, wo Avocado-Plantagen ganze Landstriche austrocknen, für Umweltschutz einsetzt, hält diese vielen zufälligen Todesfälle für unwahrscheinlich. Mundaca selbst wurde wegen seinem Einsatz für das Wasser in Petorca mit Mord gedroht, genau wie seine Partnerin. „All dies führte zu einem Wiederaufleben von Drohungen und Folgemaßnahmen, so dass der Staatsanwalt der Region Valparaíso, Pablo Gómez, im Juli 2018 Schutzmaßnahmen für mich und unsere Kollegin Verónica Vilches erließ”, so Mundaca in der Onlinezeitschrift El soberano. Dort ergänzt er auch: „Mehrere Genossen haben davon berichtet, dass versucht wurde, sie zu überfahren, sie bei der Arbeit zu verfolgen … Es ist offensichtlich. In Chile müssen wir anfangen, uns anzusehen, was mit den sozialen Kämpfern passiert.“ Kleinkriegen lassen will er sich, wie viele andere Aktivist*innen auch, trotz der Gewalt nicht, trotz der Drohungen, trotz der vielen zufälligen Todesfälle: „Wir werden aber deswegen nicht aufhören zu kämpfen und Probleme sichtbar zu machen.“

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