DAS MÄDCHEN MIT DEM SELTSAMEN NAMEN

Kuba in den achtziger Jahren. Die Revolution ist längst vorbei. Die Gesellschaft lebt in den starren Grenzen einer gefühlten sozialistischen Zeitlosigkeit. Nicht linientreue Gebräuche des Wortes „Freiheit“ werden nicht geduldet. „Es ist die Zeit des kalten Krieges, des Krieges jugendlichen Schweigens“.
Das ist das Kuba, in dem Nieve, die Protagonistin Wendy Guerras Roman Alle gehen fort, aufwächst.
Nieve bedeutet auf Spanisch „Schnee“ und die Inhaberin des Namens ist nicht sonderlich davon entzückt: „Schon im heißen Sand wollte ich zerfließen vor Scham. Wer kann in dieser Hitze in Kuba auf die Idee kommen, einem Mädchen diesen Namen zu geben? Nur meine Mutter.“ Ihr einziger Vertrauter ist ihr Tagebuch. Ein Vertrauter, auf den sie nicht verzichten kann, auch wenn sie mehrmals vor den Konsequenzen gewarnt wird, die entstehen würden, wenn er in die falschen Hände gerate.

Alle gehen fort ist eine Mischung aus Tagebuchfragmenten, Texten verbotener Lieder und Gedichten. Es wird mit einem Zitat aus dem Tagebuch von Anne Frank eröffnet, das dem gesamten Buch das Vorzeichen der Hoffnungslosigkeit verleiht. Basierend auf den eigenen Tagebüchern der Autorin schildert der Roman die intimen Gedanken und Erfahrungen eines Mädchens auf dem Weg in die Pubertät. Nieves Vater ist ausfällig, ihre Mutter lebt scheinbar in ihrer eigenen Hippiewelt, ihre Freund*innen und Bekannte verlassen Kuba nach und nach. Und in Nieves Kleiderschrank „liegen Ablagerungen all jener, die fortgingen und etwas zurücklassen wollten“.

Der erste Teil des Buches erzeugt ein Gefühl der Wut und Machtlosigkeit. Sowohl die kleine Nieve als auch ihre Mutter lassen sich von dem gewalttätigen Vater schikanieren und ertragen resigniert seine Ausfälle. Die Rollen der Mutter und Tochter scheinen vertauscht. Während sich die Tochter bemüht, Verantwortung zu übernehmen, ist die Mutter nicht einmal in der Lage der Gewalt des Vaters etwas entgegenzusetzen. Jedoch liefert sie eine spannende widersprüchliche Protagonistin. Obwohl sie als Elternfigur scheitert, steht sie für ihre politische Überzeugungen und allgemeine humanistische Prinzipien.

Das düstere Stimmungsbild hellt sich im Verlauf des Buches kaum auf. Der Machismus wird nicht nur vom Vater verkörpert, er verfolgt Nieve auch in ihren Jungendjahren. Ihr erster Freund ist jemand, der dominieren möchte, um das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, jemand, der sie als ein Objekt betrachtet, das geformt werden kann, um seinen Wünschen und Vorstellungen zu entsprechen.

Ein anderes zentrales Thema des Romans ist der Hunger. Wie der bekannte kubanische Schriftsteller Leonardo Padura einst auf einem Podium sagte: „Auf Kuba ist niemand an Hunger gestorben, aber in all den Jahren hat auch nie jemand das gegessen, worauf er wirklich Lust hatte“. Nieve hungert jedoch nicht nur nach Essen. Sie wirkt wie von Zuneigung und emotionaler Nähe beraubt. Der Liebe wird eine Absage erteilt: „Wenn du jemandem erzählst, dass du jemanden liebst, fällst du in Ungnade. NO LOVE. Also lässt du dich nicht einmal je auf den ein, der dir wirklich gefällt.“

Zensur, Exil, Machismus. Und trotzdem lässt das Buch einen kleinen Schimmer Hoffnung: Nieves Stärke, die die Leser*innen glauben lässt, dass am Ende doch irgendwie alles gut wird.

HOFFNUNG IN EINER HOFFNUNGSLOSEN WELT

Contreras Castro nimmt uns mit in eine Geschichte, in welcher sich die Grenzen zwischen der harschen sozialen Realität eines Bordells und dem scheinbar Unvorstellbaren ständig verschieben und sogar ganz zu verschwinden scheinen. In bildreicher Sprache hat Contreras eine Erzählung geschaffen, in der die Figuren des Romans versuchen, sich der Gewalt, der Ohnmacht und schlussendlich auch der Absurdität des Alltags mit bedingungsloser Liebe, mit Zusammenhalt und Akzeptanz entgegenzustellen.

Wir lernen Consuelo kennen, die seit dem Arbeitsunfalls ihres Mannes als Köchin in dem Bordell lebt und arbeitet und als gute Seele das Haus zusammenhält.

Ihr Bruder Jerónimo, ein wohl verrückter Ex-Mönch, befindet sich auf ständigen ziellosen Streifzügen durch die Stadt und nimmt die Welt auf seine ganz eigene Weise war. Er erklärt sich die Welt anhand eines Wissens, welches aus Büchern des 16. Jahrhunderts stammt, was ihn jedoch nicht davon abhält seine bisweilen kruden Anschauungen in der Realität bestätigt zu finden.

Im Mittelpunkt des Buches steht aber das Leben des kleinen Polyphem. Als Sohn eines von zu Hause verstoßenen Mädchens wird er in dem Bordell in San José geboren. Er wäre wohl ein ganz normales Kind, – wäre da nicht das große, tiefschwarze und leuchtende Auge auf seiner Stirn.

Während sich alle vor dem kleinen Monster fürchten, nimmt sich Jerónimo ihm liebevoll an, um ihm später all das, sprichwörtlich Ungeheuerliche, beizubringen, was er über das Leben weiß.

Behütet und vor den Augen Fremder versteckt, wächst der kleine Polyphem im Hof des alten Hauses auf – bis ihn eines Tages die Neugierde packt. Das Auge unter einer großen Mütze versteckt, begleitet er Jerónimo auf einen seiner Streifzügen durch die Stadt, um die Welt mit seinem eigenen Auge zu sehen. Schnell schließen die beiden Freundschaften und so nehmen uns der Mönch und das Kind, in den vielen darauf folgenden Anekdoten mit – in ihre Stadt.

Contreras überzeugt durch großes Wissen, eine noch größere Phantasie und erzählerisches Talent.

Besonders in den genialen, wie naiven, aber immer bizarren und skurrilen Anschauungen Jerónimos, spielt Contreras geschickt mit dem Spannungsverhältnis von Glauben und Wissen, welches unsere Perspektiven und somit unsere Wahrnehmung der Welt mitbestimmt. Jerónimos Zugang zur Welt erweitert die harsche Realität des Alltags um magische Elemente– und lässt die Lesenden nicht selten schmunzelnd, lachend, andere Male ungläubig und traurig zurück.

Mit einem kritischen Blick stellt Contreras in diesem teils komödienhaften, teils bedrückenden Buch Fragen von großer gesellschaftlicher Relevanz und schafft eine Geschichte der Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt. Auf Deutsch zuerst erschienen 2002 im Maro Verlag. Seit 2011 erscheint es im Unionsverlag.

ENDZEITSTIMMUNG IM GEISTERDORF

Juan Rulfos einziger Roman wurde in den 61 Jahren seit seinem Erscheinen vielfach rezipiert: mehrere Verfilmungen, eine davon nach einem Drehbuch von Carlos Fuentes, ein kathedralenfüllender Haufen Sekundärliteratur, unzählige Doktorarbeiten. Eigentlich, so müsste man denken, kann über ein so dünnes Büchlein unmöglich noch mehr gesagt werden. Und dennoch: In Mexiko werden Neuauflagen mit Vorworten Intellektueller und auch die Doktorarbeiten immer noch wie am Fließband produziert.

Rulfo, geboren 1917 in Sayula im mexikanischen Bundesstaat Jalisco, gestorben 1986 in Mexiko-Stadt, hat zu Lebzeiten nicht mehr als knappe 300 Seiten Text an Verlage geschickt, von denen jede einzelne jedoch umso bemerkenswerter ist. Pedro Páramo ist einer der ersten Romane der künstlerischen Strömung des Magischen Realismus, der auf der einen Seite kategorischer Imperativ war, der die Literatur des lateinamerikanischen Kontinents auf der Weltbühne zu jahrzehntelangem Exotismus und Lokalkolorit verdonnerte, und andererseits Werke wie Pedro Páramo hervorbrachte, das so gar nicht farbenfroh ist und welches Gabriel García Márquez nach eigener Aussage auswendig aufsagen konnte. Pedro Páramo ist, schlicht gesagt, Anfang und zugleich Kulmination dessen, was die Essenz eben jenes berühmt-berüchtigten Magischen Realismus ausmacht: Es scheint, als würden Worte nicht ausreichen, um dieses Buch zu beschreiben, und trotzdem wird dies immer wieder versucht.

Die einzelnen, nicht unbedingt chronologisch angeordneten Fragmente des Romans handeln von dem Aufenthalt des Protagonisten Juan Preciado in Comala, dem Dorf in dem seine Mutter einst lebte und in dem sich laut dieser auch Juans Vater, der Großgrundbesitzer Pedro Páramo aufhält. Comala, ein verwahrlostes und verlassenes Dorf, an dem die mexikanische Revolution scheinbar spurlos vorbeigerauscht ist und das von der monstruös großen Hacienda Pedro Páramos, der Media Luna, eingekesselt ist, „liegt auf glühender Erde, geradewegs am Eingang zur Hölle“. Pedro Páramo selber ist „der wandelnde Groll“. Es dauert nicht lange bis Juan bemerkt, dass die wenigen Menschen, die Comala noch bevölkern, tot sind, als Geister umherwandeln, und sich dennoch mit denselben Problemen herumschlagen wie zu Lebzeiten: mit der Boshaftigkeit Pedro Páramos, der selbst zwar längst verstorben, doch auch im Tode noch Tyrann. Comala ist ein Dorf voller Klagen, ein Ort, der die Leser*innen trotz der flimmernden Hitze immer wieder erschaudern lässt. Es ist außerdem Schauplatz einer der wohl eindrucksvollsten Szenen der Weltliteratur: die Dialoge zwischen Juan und den Toten Comalas sind Ausdruck einer tief sitzenden Verzweiflung und erfahrenen Ungerechtigkeit, die über das Leben selbst hinausgehen und eins zu eins auf Kontexte des 21. Jahrhunderts übertragbar sind.

Übersetzt wurde Pedro Páramo in mehr als dreißig Sprachen, ins Deutsche zunächst im Jahr 1958 von Mariana Frenk-Westheim, einer gebürtigen Hamburgerin mit sephardischen Wurzeln, die 1930 ins mexikanische Exil emigrierte und zu einer der wichtigsten Übersetzerinnen Mexikos avancierte. Trotz der Popularität innerhalb Lateinamerikas hat es einige Jahrzehnte gedauert, bis die deutsche Übersetzung neu aufgelegt wurde. Die neueste deutsche Ausgabe ist 2010 im Suhrkamp Verlag erschienen und wurde von Dagmar Ploetz neu übersetzt. Was hier natürlich nicht fehlen darf: das Nachwort von García Márquez, dem größten Fan Rulfos.

DIE EINSAME KUH

Den Anfang macht ein frühmorgendlicher Anruf in Buenos Aires. Von seinem Vater erfährt Federico Souza, dass Pajarito Lernú tot in einem Wassergraben gefunden wurde und ihm „einige Stunden vor seinem Tod eine Kuh geschenkt“ habe. „Das Tier ist in keinem guten Zustand, sagt er. Er hat es dem alten Soto geklaut.“ Also fährt der Drehbuchautor erstmals nach zwölf Jahren wieder nach Chivilcoy, sein Heimatstädtchen in der Provinz, wo früher einmal die Bahnlinie endete.

Nur einen kurzen Absatz braucht der argentinische Autor Hernán Ronsino, um die Leser*innen in seinen neuen Roman Lumbre („Glühen“) hineinzuziehen. Wer nun aber eine von den Rätseln um Lernús Tod und die mysteriöse Kuh getragene Spannungsgeschichte erwartet, wird überrascht. Zwar versucht der Erzähler Souza akribisch, den Umständen von Lernús Tod auf den Grund zu gehen. Doch Ronsino verwebt in diesen Rahmen unzählige Nebenstränge, die den vermeintlichen Hauptstrang an den Rand drängen. Immer wieder schweift der herumtreibende Souza in persönliche Erinnerungen ab, sei es an seine verstorbene Mutter, deren Grab er sucht, oder an seine in Buenos Aires zurückgebliebene Freundin Hélène. „Sich an etwas zu erinnern bedeutet, es – jetzt erst – zum ersten Mal zu sehen“, lautet einer der zentralen Sätze des Buches.

Seiner Heimatstadt begegnet der Erzähler mal liebevoll, mal distanziert. Er beobachtet präzise alltägliche Szenen, beschreibt die von latenter, struktureller Gewalt durchzogenen Lebensumstände und spickt seine Erinnerungen mit zahlreichen Anspielungen auf die argentinische Geschichte. Eine zentrale Rolle spielen die Aufzeichnungen des verstorbenen Lernú und ein verschollener Film über den modernistischen Dichters Carlos Ortiz, der 1910 in Chivilcoy ermordet wurde. Das Drehbuch hat kein geringerer als der große argentinische Schriftsteller Julio Cortázar verfasst, der in jungen Jahren eine Zeit lang als Spanischlehrer in Chivilcoy gelebt hat.

Lumbre ist der dritte Roman Ronsinos, der ebenso wie seine Vorgänger in dem Geburtsort des Autors angesiedelt ist. Auch die Figuren sind teilweise schon bekannt. So ist der Vater von Federico Souza einer der vier Erzähler aus dem meisterhaft konstruierten Kurzroman Letzter Zug nach Buenos Aires, der in deutscher Übersetzung ebenfalls im bilgerverlag erschienen ist.

Ronsino bedient sich filmischer Stilmittel und erzeugt starke Bilder. Nach und nach entsteht so ein großes gesellschaftliches Panorama, verortet in der Provinz im Jahr 2002, kurz nach dem Staatsbankrott Argentiniens. Von politischer Mobilisierung ist in Chivilcoy nichts zu spüren, aber der über Jahrzehnte vollzogene wirtschaftliche Niedergang ist allgegenwärtig. Sinnbildlich dafür fallen während der drei Tage die Getreidesilos des Ortes der Abrissbirne zum Opfer. Statt des einstigen Wohlstands bleibt nur eine einsame, gestohlene Kuh zurück.

IM RYTHMUS EINES GENIALEN MUSIKERS

Chico Buarque ist einer der bekanntesten Musiker und Komponisten Brasiliens, eine international anerkannte Größe der Música Popular Brasileira. Weniger bekannt ist er in Deutschland als Autor von Romanen, die er in großen Abständen seit Anfang der 1990er Jahre veröffentlicht. Mein deutscher Bruder von 2014 erschien in deutscher Übersetzung im S. Fischer Verlag und bietet für Leser*innen hierzulande etwas ganz Besonderes: Chico Buarque, eigentlich Francisco Buarque de Hollanda, erzählt darin den lange verschwiegenen, deutschen Teil seiner Familiengeschichte. 2013 kam er nach Berlin, um nach dem unehelichen Sohn seines Vaters Sergio de Hollanda zu suchen, den dieser in den 1930er Jahren während eines Studienaufenthaltes gezeugt und nie gesehen hatte. Und – soviel sei verraten – auch ihm ist es nicht mehr gelungen, den Halbbruder lebend zu treffen.
Basierend auf dieser realen Familiengeschichte gestaltet Buarque eine fiktive Version der Entdeckung des Familiengeheimnisses und der Suche nach dem unbekannten Halbbruder, in der sich, wie in einem Vexierspiegel, reale Geschehnisse und erzählerische Verfremdung mischen. So ist der Vater der Hauptfigur, wie der Vater von Chico Buarque, ein Intellektueller, der nie über den in Deutschland gezeugten Sohn spricht.
Auch Nino selbst liebt die Bücher, spricht mehrere Sprachen und verdient so seinen Lebensunterhalt. Anders als der Autor, hat Nino nur einen, sehr verhassten, älteren Bruder, den – vermutlich – eine seiner Frauengeschichten in die Fänge der brasilianischen Militärdiktatur treibt. Auch Nino leidet unter der brasilianischen Diktatur und beschreibt die Veränderungen genau, die im Laufe der Jahre jeden Protest unmöglich machen. Anders als Chico Buarque aber, dessen politisches Theaterstück Roda Viva ihm 1967 nur die Wahl zwischen dem italienischen Exil und dem Gefängnis ließ, findet Nino eine Nische im Institut Français, das ihn vor politischer Verfolgung bewahrt. Das „Verschwinden“ seines Bruders treibt Nino immer tiefer in die Auseinandersetzung mit der deutschen Diktatur der 1930er Jahre, als sein Vater versuchte, den unehelichen Sohn aus Berlin nach Brasilien zu holen und am fehlenden Ariernachweis scheiterte. Unklar ist daher selbst der Name des Bruders – ein schlechter Ausgangspunkt für die Suche, bis Nino, auch als Nichtmusiker, ihn endlich an der wieder lebendig gewordenen Stimme des Vaters erkennt. Wie sehr ist die eigene Familiengeschichte von der Weltgeschichte bestimmt, wo berühren sich das Politische und das Private? Haben Diktaturen zu unterschiedlichen Zeiten etwas gemeinsam? Diese großen Fragen stellt diese Familiengeschichte. Doch während bei anderen Romanen, die auf realen Geschehnissen beruhen, die Fiktion oft interessanter ist als die Realität, entsteht in Mein deutscher Bruder der Verdacht, die „eigentliche“ Geschichte wäre letztlich spannender gewesen als die sehr konstruierte – und oft skurrile – fiktive Familiengeschichte. Dennoch besitzt der Roman große literarische Qualitäten. Da ist zuerst die Sprache Chico Buarques, der Rhythmus seiner oft halbseitenlangen Sätze, die den genialen Musiker verraten. Der Autor spielt mit Begriffen, mit deutschen Passagen, mit Zitaten großer Klassiker und dem Portugiesisch der Straßen von Rio de Janeiro. Kongenial übersetzt wurde er von Karin von Schweder-Schreiner, mit der er intensiv zusammengearbeitet hat. Nicht zuletzt ist angesichts der aktuellen Situation in Brasilien die Auseinandersetzung des bis heute politisch engagierten Chico Buarque mit der Militärdiktatur äußerst spannend.

 

VERFOLGUNGSJAGD

„Er sah auf seine Hände. Kriminelle, jawohl. Wegelagerer, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen.“ Das stellt der Soldat León Almansa am Ende des Romans fest. Gleichermaßen könnte dieses Zitat die Erkenntnis mehrerer Protagonist*innen aus Antonio Ortuños Madrid, Mexiko sein. Gewalt und Brutalität ziehen sich durch den ganzen Roman. Ob aus Rache, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen oder im Kampf ums eigene Überleben, gnadenlos wird gejagt und vergolten.

Der Roman ist die Geschichte einer Familie aus der Sicht verschiedener Generationen, aus zwei Jahrhunderten und über zwei Kontinente hinweg erzählt. Dabei verknüpft Ortuño in beinahe filmisch anmutenden Szenen die Zusammenhänge. Vom spanischen Bürgerkrieg wird ins Jahr 1997 gesprungen, in welchem der Enkel des Anarchisten Yago, einst aus Madrid vor Franco geflüchtet, nun selbst zurück in das Land seiner Großeltern flieht. Omar wird nämlich vom Handlanger eines korrupten Gewerkschaftsbosses (Mariachito genannt) verfolgt, weil er als heimlicher Geliebter von Mariachitos Freundin, der sich obendrein auch noch am Tatort befand, fälschlicherweise für dessen Mord verantwortlich gemacht wird.

Madrid, Mexiko ist nicht nur eine einzelne spannende Verfolgungsjagd, sondern bietet gleich mehrere davon, und das auf verschiedenen Ebenen. Da ist beispielsweise die Cousine Omars, die ihm zur Flucht verhilft und in gewisser Hinsicht auch Fluchthelferin der Literatur ist. So verfolgt und beschafft sie Manuskripte über Kontinente hinweg, um sie an gut zahlende, geheimnisvolle Kund*innen zu verkaufen, deren Ziel es ist, dass selbige niemals an die Öffentlichkeit gelangen.

Obwohl Flucht und Verfolgung im Vordergrund des Geschehens stehen, erzählt Ortuños neuer Roman doch vor allem vom Ankommen und von der Identitätssuche in der Fremde. Madrid, Mexiko ist auch eine Geschichte verschiedener Versuche, dem Schicksal zu entkommen und eine Heimat zu finden, Migrations- und gesellschaftliche Konflikte mit eingeschlossen. „So viel Foucault, um am Ende in irgendeinem Scheißladen ein Tüllkleid zu kaufen; So viel Derrida, um dann für einen Bauern Tortillas zu backen.“ Die Worte Omars und seiner Kommilitonin, die mit einem Landwirt aus der Provinz, aus der sie stammt, verlobt ist, treffen es auf den Punkt. Ortuño zeichnet ein authentisches Bild der konservativen mexikanischen Gesellschaft und erzählt auch von der Rebellion gegen das eigene Schicksal.

Mögen die einzelnen Charaktere auch sehr unterschiedliche Biographien haben, die auf verschiedene Weisen miteinander verwoben sind – am Ende steht eine Nachricht klar und deutlich für alle Beteiligten. Die Menschen glichen sich seit Kain nur in einem: „Sie seien alle Verbrecher.“

 

AUF DER SUCHE NACH PAITITI

„Paititi wartet seit Jahrhunderten auf uns, und wir werden hinkommen, koste es, was es wolle.“ Der Patriarch Hans Ertl, einst Kameramann von Leni Riefenstahl und Erwin Rommel, nach dem Krieg mit seiner Familie nach Bolivien ausgewandert, ist besessen von der Idee, die seit der Conquista verlorene Inkastadt Paititi zu finden. Eine von vielen Expeditionen, im Zuge derer Hans üblicherweise monatelang verschwindet, während seine Frau und seine drei Töchter in La Paz auf ihn warten. Doch für Paititi macht er eine Ausnahme: Die beiden älteren Töchter, Monika und Heidi, sollen ihn begleiten, Kameratechniken erlernen, den Dschungel durchstreifen und überhaupt: Hans ist es wichtig, dass seine Töchter nicht wie ihre Mutter enden und ihr Leben lang auf einen Mann warten, sie sollen selber Abenteuer erleben. Die stoische Besessenheit und inneren Widersprüche des Vaters führen sein Team auf eine absurde, langwierige und gefährliche Expedition, die in einem hochexplosiven Finale endet.

Die Affekte ist der zweite Roman des bolivianischen Nachwuchsautors Rodrigo Hasbún. Er enthält dabei viel mehr als nur die tatsächlich stattfindende Suche nach Paititi. Der Mythos um die verschwundene Stadt symbolisiert eine nicht enden wollende Suche nach sozialer Gerechtigkeit und nach Rache, nach Einsamkeit und gleichzeitig nach familiärem Zusammenhalt. Nicht nur werden neben den fünfziger Jahren auch die sechziger und siebziger Jahre, sowohl in Bolivien als auch in München anekdotenhaft umrissen. Der Fokus liegt insbesondere auf dem Innenleben der verschiedenen Protagonist*innen des Romans wie der ältesten Tochter Monika, die ihrem Vater charakterlich sehr ähnlich und deren politische Radikalisierung der im wahrsten Sinne des Wortes rote Faden ist, der am Ende in einer erzählerisch spektakulären Aktion reißt.

Hasbún behandelt in Die Affekte allerdings nicht nur das Leben der beiden realhistorisch berühmten Ertls Hans und Monika. Sowohl die Perspektiven der beiden jüngeren Töchter, als auch des Guerrilleros Inti und Reinhards, eines ehemaligen Geliebten Monikas, spielen eine gleichberechtigte Rolle. Der Autor setzt für die verschiedenen Erzählperspektiven unterschiedliche sprachliche Techniken ein. So ist beispielsweise Reinhards Grabrede auf Monikas und seine Beziehung eine durch doppelte Schrägstriche verbundene Aufzählung scheinbar zusammenhangsloser Tatsachen, während Heidi, die mittlere Tochter, in ihrer Erzählung so stringent bleibt wie in ihrem Handeln. Der Tonfall bleibt jedoch immer lakonisch und gleichzeitig mitfühlend gegenüber den Figuren des Romans. Insbesondere Trixi, die jüngste Schwester, ist nach dem frühen Tod der Mutter verzweifelt darum bemüht, die Entfremdung der Familienmitglieder untereinander zu verhindern. Ihr eigenes trostloses Dasein in La Paz, geprägt von einer pathologischen Nikotinsucht, absoluter Einsamkeit und Ausgrenzung – ihre große Schwester sei schließlich eine Terroristin – präsentiert sie dabei ohne Scham und ohne Reue, lediglich nostalgisch. „Es stimmt nicht, dass die Erinnerung ein sicherer Ort ist“, so Trixi, „auch dort entfernen wir uns am Ende von den Menschen, die wir am meisten lieben.“

Hasbún hat sich einer wahren Geschichte bedient, diese meisterhaft fiktionalisiert und einen höchst persönlichen und intimen Abriss über das Schicksal einer vollständig auseinandergerissenen Familie erschaffen. Noch über die letzte Seite hinaus machen sich die Gedanken- und Aschefetzen der Roman-Ertls und dessen, was vielleicht einst Paititi war, selbstständig und schwirren in der Meditation über dem Buchrücken weiter umher.

 

SUBTILER RASSISMUS

1990 wohnte ich sechs Monate in Rio de Janeiro, in einem Apartment in Leme, dem ruhigen Teil der Copacabana. Nur einmal kurz die Straße und den Berg hoch kam die nächste „Favela“: Chapeu Mangueira. Der Stadtteil, schon damals mehr „Arbeitersiedlung“ denn ein Schauplatz extremer Armut, wurde durch Benedita da Silva bekannt, erste schwarze Frau im Kommunalparlament, später im Landesparlament, noch später im Senat. Fast vor deren Haustür wurden drei Jugendliche erschossen, von denen einer ein Kadett war, der Landgang hatte. Sein Ausbildungsoffizier verbürgte sich für ihn und seinen guten Ruf (kein Drogendealer!) ein und setzte sich dafür ein, dass dieser Mord aufgeklärt würde. Vermutlich war es die Kombination aus militärischer Intervention und der Prominenz von Benedita da Silva, die den Fall bekannt machte. Aufgeklärt wurde er dennoch nie. Die Jugendlichen wurden aus einem fahrenden Auto heraus erschossen, vermutlich Zufallsopfer, vermutlich eine „Nachricht“, die der Forderung nach Schutzgeldzahlungen Nachdruck verleihen sollte.

Einen ganz ähnlichen Fall hat Fernando Molica zum Ausgangspunkt seines Romans Schwarz, meine Liebe gewählt, der bereits 2005 auf Portugiesisch unter dem Titel Bandeira negra, amor erschienen ist: Drei Jugendliche werden in der Favela Borel tot aufgefunden, vor ihrem Tod wurden sie offensichtlich gefoltert, einer von ihnen hatte einen Vertrag mit einem englischen Fußballverein in der Tasche. Schnell kommt der Verdacht auf, dass es sich nicht um „Drogenhändler in einem Bandenkrieg“ handelte, sondern die Polizei selbst in den Fall verwickelt ist. Und ähnlich wie im wirklichen Leben gestaltet sich die Aufklärung schwierig, auch die internen polizeilichen Ermittlungen.

Hauptfiguren dieses Romans, der nur am Rande Krimi ist oder sein möchte, ist das unwahrscheinliche Duo und heimliche Liebespaar Fred – schwarzer Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist – und die weiße Majorin der Militärpolizei Beatriz. Unabhängig voneinander ermitteln sie in ihren jeweiligen Sphären, heimlich tauschen sie Informationen aus und eröffnen Molica so die Perspektiven, um sich dem eigentlichen Romanthema zu nähern: Alltagsrassismus in Brasilien. Denn Fred hat, bevor er der respektable Rechtsanwalt Dr. Frederico Cavalcanti de Souza wurde, alle Phasen einer Erziehung durchlaufen, die darauf abzielte, ihn „weißer“ zu machen, einschließlich des allnächtlichen Gebrauchs einer Schlafhaube, um die „schlechten Haare“ zu glätten. Noch immer verwechselt ihn die weiße Mittelschicht trotz seines gutsitzenden Anzugs am Ausgang des Restaurants gerne mit dem Parkplatzwächter – die Hautfarbe ist Uniform genug. Unter diesen Umständen die Beziehung mit einer weißen Militärpolizistin offen zu leben, ist für beide ausgeschlossen.

Geschrieben ist Schwarz, meine Liebe fast ausschließlich in langen inneren Monologen. Fernando Molica, seit 1982 Journalist in verschiedenen Zeitungen, dem TV-Sender O Globo und aktuell für Rádio CBN in Rio de Janeiro, verwendet eine kraftvolle, brasilianische Alltagssprache für seine Figuren, die in der Übersetzung leider ein wenig verloren geht. Nicht weil sie schlecht übersetzt wäre, sondern weil jenseits des Slangs der Jugendkulturen oder des Mundartlichen keine ähnlich kraftvolle deutsche Alltagssprache existiert. Mit seinem zweiten Roman hat sich Molica mehrerer großer Themen angenommen und entführt uns gleichzeitig an wenig bekannte Orte der „wunderbaren Stadt“ Rio de Janeiro.

 

“KULTURELLES GEDÄCHTNIS MIT DEFIZITEN”

Warum haben Sie Chile 1986 verlassen und sich für Berlin entschieden?
Ich hatte ein persönliches Angebot bekommen, nach Berlin zu kommen, das ich sofort annahm. Die siebziger und achtziger Jahre in Chile waren schrecklich, ich wollte nichts wie weg. Dass man in einer Diktatur aufgewachsen ist, kann man aus der Biographie nicht mehr wegradieren. Und den Übergangsprozess hin zur Demokratie habe ich nicht mitgemacht, so dass meine Erinnerungen an Chile noch aus Diktaturzeiten stammen. Bis 2015 war ich dort immer wieder zu Besuch, doch nie länger als zwei Wochen. Erst seit 2016 bin ich für längere Zeit dort gewesen. Die Literatur bringt mich ein bisschen nach Chile zurück.

Wie sind Sie vor Ihrer Emigration mit der politischen Situation umgegangen? Haben Sie diese schon literarisch verarbeitet?
Um in der Diktatur Widerstand zu leisten, musste man bereit sein, alles zu riskieren. Ich hatte damals keine radikalen Gedanken und habe Abstand zu allen Ideologien gehalten. Für Leute wie mich gab es im Chile der achtziger Jahre keinen Platz. Meine eigenen Erfahrungen verarbeite ich in meinem neuesten Roman, Luz en Berlín, der die Ereignisse um das Jahr 1989 thematisiert, in denen sich Deutschland und Chile parallel im Umbruch befanden.

Ihr erster Roman, Mestiza, spielt im 17. Jahrhundert, als Chile spanische Kolonie war. Inzwischen erscheint das Buch in der vierten Auflage und wird auch als Fernsehserie verfilmt. Wie erklären Sie sich den großen Erfolg?
Momentan gibt es einen Trend in Chile, in die Geschichte zurückzublicken. Viele historische Romane in anderen lateinamerikanischen Ländern haben sich schon auf die Suche nach Erklärungen für die Gegenwart gemacht, während Chile da ein klares Defizit hat, das wir jetzt versuchen aufzuarbeiten. Dann hat mich ein Produzent gefragt, ob ich Interesse hätte, den Roman als Serie zu verfilmen. Sofort hat sich ein Team gebildet, jetzt sind wir in der Antragsphase. Ich habe schon mit dem Drehbuch angefangen.

In verschiedenen Interviews für chilenische Medien haben Sie betont, dass der Umgang mit der Araucanía – der Region in Südchile, wo traditionell die Mapuche leben – entscheidend für das historische Identitätsproblem der Chilenen sei: Statt die mestizische Herkunft anzuerkennen, hat man sich immer mehr nach Europa orientiert. Wie sehen Sie die heutige Beziehung der Chilen*innen zum Erbe der Mapuche?
Das ist eine Problematik, die von Generation zu Generation verschleppt wurde. Einer der Gründe dafür ist, dass man zu wenig über den historischen Prozess weiß und auch nicht mehr wissen will. Die Bevölkerung, insbesondere die Bourgeoisie, gibt sich mit angeblichen Allgemeinwahrheiten zufrieden und verbreitet diese immer weiter. Es gibt keinen differenzierten Blick in die Vergangenheit, der versucht das Anliegen der Mapuche zu verstehen und dieses mit unserer eigenen Identität zu verknüpfen. Die Protagonistin von Mestiza ist hingegen eine sehr starke Frau, die ihre Identität akzeptiert. Ich hoffe, dass sich die Leserschaft durch diese Figur mit der eigenen Geschichte besser identifizieren kann.

Ihr zweiter Roman, Rugendas, ist nach dem Augsburger Maler Johann Moritz Rugendas benannt, der im 19. Jahrhundert Mittel- und Südamerika bereiste und Landschaft und Menschen porträtierte. Was fasziniert Sie an dieser Person?
Da ich zwischen zwei Welten lebe, interessieren mich die Leute, die Brücken zwischen diesen Welten schlagen. Mich hat Rugendas’ Blick fasziniert. In Chile traf er auf eine Bourgeoisie, die sich sehr wenig um das Wohl des Landes kümmerte. Wenn er Indigene porträtierte, wurde seine Kunst nicht akzeptiert. Niemand wollte in seinem Haus das Porträt eines Indigenen oder Bauern hängen haben, sondern lieber eins des Hausherrn. Das hat Rugendas nicht geboten. Sein Versuch, die Romantik nach Lateinamerika zu transportieren, ist gescheitert. So ist er abgereist und zehn Jahre später als armer Mann in Bayern gestorben. Heute ist er jedoch in vielen Museen an den Orten der lateinamerikanischen Länder, in denen er gearbeitet hat, wie Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Mexiko, prominent vertreten.

In welchem Verhältnis stehen für Sie Geschichte und Literatur?
Die Geschichte ist natürlich sehr nützlich dafür, die Gegenwart zu verstehen. Diese Perspektive ist für Lateinamerika als postkolonialer Kontinent sehr wichtig. Unsere Gegenwart ist gänzlich kolonial geprägt, und der Wille der Eliten, etwas daran zu ändern, ist sehr begrenzt. Durch fiktive Figuren, die Geschichte selbst erleben, kann diese noch viel besser erzählt werden. Es geht darum, der Geschichte zusätzlich zur Dimension von Raum und Zeit die Dimension der Emotionen zu geben. Dahinter steht die Frage, wie Menschen eine bestimmte Epoche erleben. Die Protagonistin von Mestiza beispielweise erzählt mit 70 Jahren ihr Leben, ihren persönlichen Eindruck vom kolonialen Königreich Chile.

Im Prolog zu Mestiza sprechen Sie von einem ungeöffneten Originalmanuskript im Archivo de Indias in Sevilla. Existiert diese Quelle?
Nein. Die Technik, ein fiktives historisches Dokument zu erfinden und dieses als realhistorisch zu verkaufen, um eine Geschichte darum zu spinnen, ist in der Literatur sehr beliebt. Ich fand es passend, um die Leserschaft wissen zu lassen, dass die Erzählerin vertrauenswürdig ist. Die Person ist fiktiv, aber es kann sie trotzdem gegeben haben. Die im Roman erwähnten Rahmenkonstellationen des 17. Jahrhunderts sind natürlich real.

Der Roman Rugendas beruht auf dem Briefwechsel zwischen dem Reisemaler aus Deutschland und der Chilenin Carmen Arriagada. Deren Briefe an Rugendas wurden zufällig in Deutschland entdeckt. Sie selbst hat dagegen Rugendas’ Briefe verbrannt, um ihre – rein platonische – Liebesbeziehung vor ihrem Ehemann geheim zu halten. Wie haben Sie in diesem Fall eine reale Geschichte zu Fiktion gemacht?
Bei Rugendas war es ein anderer kreativer Prozess als bei Mestiza. Ich hatte die 235 Briefe der platonischen Geliebten im Iberoamerikanischen Institut in Berlin gefunden, dort gelesen und als realhistorische Quellen verwendet: Basierend auf den Briefen habe ich versucht, die ganze Geschichte von Rugendas in Chile zu rekonstruieren. Somit ist es auch meine Version von Rugendas in Chile.

Könnte man in Bezug auf Ihre Literatur vielleicht von einer Art Geschichtspädagogik sprechen?
Auf jeden Fall. Das kulturelle Gedächtnis in Chile ist sehr defizitär. Miserabel geradezu. Ich habe vom deutschen Umgang mit der Geschichte etwas gelernt, da ich den Eindruck habe, dass zumindest an einigen Stellen das Interesse besteht, ohne Heuchelei in die Vergangenheit zu schauen. Ich stelle jedoch auch in Chile Verbesserungen fest, Mestiza wird heute zum Beispiel auch teilweise in Schulen gelesen.

In der Zeitschrift Crítica schreiben Sie in einem Artikel, dass Ihnen die „bescheidenen“ Autor*innen gefallen und Sie die „eitlen“ ablehnen. Wie definieren Sie „bescheidene“ und „eitle Literatur“?
Das kommt auf die Motivation an, mit der man schreibt. Etwas geben, das ist bescheidene Literatur; und sich zu zeigen, wie man wirklich ist. Ohne Heuchelei eine Thematik anzugehen. Wenn ich anfange, ein Buch zu lesen, kommt mir diese Dichotomie sofort in den Sinn. Wenn sich der Autor zu sehr in den Vordergrund drängt, habe ich keine Lust mehr weiterzulesen.

Haben Sie Beispiele dafür?
Eitel wäre: Schau mal hier, wie toll ich schreiben kann. Bescheiden ist: Schau mal, was ich zu sagen habe. Das kann sich natürlich auch vermischen, diese Unterscheidung ist eine Vereinfachung, die ich für mich gemacht habe, um meinen eigenen kreativen Prozess zu verstehen. Gar nicht eitel ist für mich zum Beispiel Thomas Bernhard. Er entflieht der Eitelkeit in jeder Form. Auch Bukowski. Wahrscheinlich auch deswegen, weil ich im Chile der achtziger Jahre groß geworden bin, wo alles Heuchelei und Eitelkeit war, gefallen mir die Schriftsteller besonders gut, die zum Beispiel über Einsamkeit schreiben. Denn wer einsam ist, ist meist nicht eitel, Eitelkeit entsteht ja erst im gesellschaftlichen Umgang.

Zu Ihren größten Einflüssen zählt der Philosoph Schopenhauer, den Sie mi maestro adoptado, Ihren „Adoptivlehrer“, nennen. Was haben Sie von Schopenhauer gelernt?
Ich glaube, das hat mit seinem klaren Blick auf das menschliche Dasein zu tun. Wie er unsere Ängste erklärt, unsere Aggressivität und unseren Egoismus. Wenn man wie ich das Chile der achtziger Jahre erlebt hat, die ganze Grausamkeit, die Arroganz, die fehlende Empathie, das Absurde und Irrationale, dann ist Schopenhauer ein möglicher Rückzugsort: ihn zu lesen und zu versuchen, diese Motive als menschliche Defizite zu verstehen und sich selbst vor ihnen zu schützen.

Sie leben in Berlin, veröffentlichen aber auf Spanisch und in Chile. Wie schätzen Sie – aus der Ferne – den aktuellen Literaturbetrieb in Chile ein?
Mir gefällt dieser Blick von außen. Der Literaturbetrieb in Lateinamerika ist für mich zum Teil sehr unangenehm, vielleicht ist es auch hier so, aber ich mag den Abstand zu diesem Literaturbetrieb. Ich bin gerne dort, um Kontakte zu knüpfen und zu vertiefen und zu sehen wie die Rezeption meiner Bücher abläuft, aber die Details des Betriebs, die Konkurrenz und all das, vermeide ich lieber. Viele Schriftsteller sind zerstritten und führen teilweise absurde Debatten, die mich nicht interessieren.

Wann werden Ihre Bücher auch auf Deutsch zu lesen sein?
Hoffentlich bald, obwohl ich teilweise sehr spezifisch lateinamerikanische Themen behandle. Aber vor allem Luz en Berlín soll natürlich ins Deutsche übersetzt werden. Ich bin jedoch bisher meine eigene Agentin, und die Literatur ist ein langsamer, akkumulativer Prozess. Bisher weiß ich noch nicht, was mit meinen Büchern passieren wird.

DIE NUTZLOSIGKEIT DER LITERATUR

Der argentinische Schrifsteller César Aira im Interview (Foto: Timo Berger)

Herr Aira, Ihr auf Deutsch erschienener Essayband Duchamps in Mexiko beginnt damit, dass Sie sich darüber ärgern, in Mexiko-Stadt in eine Touristenfalle geraten zu sein. Man bekommt den Eindruck, dass Sie nicht gerne reisen?

Wenn ich reise, dann hasse ich den Ort, an dem ich bin und will so schnell wie möglich wieder in den Flieger steigen. Die Reise nach Mexiko hatte mich sehr deprimiert, und um die Traurigkeit zu überwinden, habe ich getan, was ich dann immer tue: Bücher kaufen. Es war ein Buch über Marcel Duchamp. Am nächsten Tag sah ich dasselbe Buch in einem anderen Laden, aber zwei Peso billiger. Ich dachte, hätte ich dieses Exemplar gekauft, hätte ich jetzt zwei Peso mehr und würde ich noch ein anderes, drei Peso billigeres Exemplar kaufen, dann hätte ich insgesamt schon 5 Peso gespart, und fände ich immer mehr, immer billigere Bücher, dann wäre ich irgendwann reich. Solche seltsamen Ideen kommen mir!

Mit dieser Idee haben Sie dann Duchamp in Mexiko geschrieben, ein Text, der einer trügerischen Logik folgt, ähnlich der, die dem Paradoxon von Achilles und der Schildkröte zugrunde liegt.

Ich spiele gerne mit dem Unendlichen, mit unendlichen Reihen. Das habe ich von Borges.

Und warum interessieren Sie sich ausgerechnet für Duchamp?

Duchamp ist rätselhaft, sein Werk unendlich interpretierbar. Eines der ersten Bücher, das ich mir kaufte, als ich mit 18 aus Coronel Pringles zum Studieren nach Buenos Aires ging, war eine Sammlung seiner Schriften unter dem Titel Marchand du sel (wörtlich: „Salzverkäufer“; Anm. der Red.), ein Wortspiel mit seinem Namen. Von da an wurde mir Duchamp zu einer Gewohnheit, einem Hobby. An die hundert Bücher über ihn habe ich zu Hause. Duchamp war Vater von dem, was wir heute zeitgenössische Kunst nennen, der Concept Art. Er hat alles gemacht: sich in Frauenkleidern fotografiert, Performances aufgeführt, Parfüms kreiert. Er hat sich permanent verändert – eine Eigenschaft, die mir an Künstlern gefällt: Immer wieder hat er einen neuen Weg eingeschlagen. Ich wünschte, meine Bücher wären so.

Als zweites Ihrer Bücher erschien 2016 Eine Episode im Leben des Reisemalers in einer Neuübersetzung in Deutschland. Es handelt ebenfalls von einem Künstler: Moritz Rugendas, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Südamerika bereiste und Land und Leute in beeindruckenden Tableaus festhielt. Was fasziniert Sie an der Figur Rugendas’?

Der erste Satz meines Buchs lautet: „Es hat im Westen nur wenige wirklich gute Reisemaler gegeben.“ Das spielt auf den Osten an, auf Japaner und Chinesen, wo es wirklich gute Reisemaler gegeben hat. Im Westen arbeiteten die meisten Künstler im Atelier. Anders Rugendas: Er unternahm seine erste Reise nach Südamerika im Alter von 19, 20 Jahren als Zeichner einer von Georg Heinrich von Langsdorf angeführten Expedition nach Brasilien. Mich fasziniert diese Figur des jungen Menschen, der in die Welt hinausgeht, bis dahin fast unbekannte Landstriche erkundet. Er zeichnet seine Erlebnisse auf, machte aus ihnen Kunst.

Rugendas querte die Anden von Chile nach Argentinien, weil er den Wunsch hatte, die Pampa zu sehen. Dabei wird sein Pferd vom Blitz getroffen und er selbst schwer verletzt. Gab es diesen Unfall tatsächlich?

Ja, Rugendas blieb für den Rest seines Lebens ein nervöser Tick. Zugegeben, ich übertreibe das im Buch ein wenig, bei mir ist er nach dem Unfall eine Art Monster. Aber was mir an der ganzen Episode am besten gefällt, ist das Ende. Rugendas wollte immer einen Indianerüberfall erleben, um ihn malen zu können. Und dann greifen die Indianer just in dem Moment an, in dem er sich auf einer Estancia in Mendoza aufhält. Trotz seines schlechten Gesundheitszustands skizzierte er die Gefechte. Und am Abend ging er zum Indianerlager und fertigte von ihnen Porträts an. Wie ein Regisseur: Zuerst macht er die Total-, dann die Nahaufnahmen.

Und die Indios ließen ihn gewähren?

Er kam ihnen harmlos vor mit seinem Bleistift…

Ihr Protagonist ist ein Reisemaler. Wenn Sie auf Reisen sind, schreiben Sie auch?

Als Schriftsteller bin ich ein komplett sesshaftes Wesen. Ich habe meine Routine in den Cafés von Flores. Für mich muss jeder Tag gleich verlaufen. So habe ich eine neutrale Erfahrung, auf deren Grundlage ich meiner Fantasie freien Lauf lassen kann. Wenn ich an anderen Orten bin, funktioniert das bei mir nicht.

Benutzen Sie beim Schreiben eigene Erfahrungen?

Normalerweise schöpfe ich meine Inspiration aus der Lektüre, der Betrachtung von Kunstwerken oder aus dem Fernsehen, aus trivialen Komödien, manchmal auch aus bizarren Zeichentrickserien. Das mische ich dann mit Borges. Wenn ich dann weiterschreibe, brauche ich noch etwas Persönliches, etwas, das mich selbst berührt, denn sonst bleibt es nur ein reines Spiel mit Ideen – was mir ein wenig banal vorkommt. Zu viel Persönliches will ich aber auch nicht hineingeben, sonst kippt es ins Sentimentale, Pathetische, Autobiografische. Es muss eine Balance geben zwischen der seltsamen Logik des Achilles und der Schildkröte und meinen persönlichen Dingen, die normalerweise versteckt sind, dem Text aber Kraft geben.

Man sagt, Sie hätten mehr als 80 Bücher veröffentlicht. Denken Sie die Bücher dabei als Teil eines größeren Werkzusammenhangs oder steht jeder Roman für sich?

Wenn ich die Gesamtheit meiner Bücher betrachte, muss ich sagen, nein, es gibt kein übergreifendes Projekt, jedes Buch ist ein eigenes Abenteuer. Letztlich sind sie aber nicht so verschieden, weil ich ja immer derjenige bin, der sie schreibt. Ich habe so meine Vorlieben. So werden die Bücher am Ende immer ähnlich. Auch wenn ich versuche, etwas Neues zu machen.

In einem Ihrer Essays schreiben Sie, Sie träumen davon, ein Romanschema zu entwerfen, das Sie künftig nur noch zu füllen brauchen, um zu schreiben …

Tatsächlich gibt es eine Art Automatismus in meinem Schreiben, aber nicht den Automatismus des Unbewussten der Surrealisten, sondern den der Außenwelt. Ich sehe zum Beispiel zwei Männer mit vollem Haar und einen mit Glatze und der mit der Glatze gibt Anweisungen. Wenn ich nun etwas über einen chinesischen Supermarkt in Buenos Aires schreiben will, schreibe ich: „Da waren zwei Männer mit vollem Haar und ein Glatzkopf, der Befehle gab.“ Das hat nichts mit der Geschichte an sich zu tun, sondern kommt von dem, was ich in dem Café beobachte, wo ich schreibe. Dennoch füge ich nicht einfach nur eine Sache zu einer anderen, sondern ich muss den Glatzkopf und die beiden Männer mit vollem Haar wie in einem konventionellen Roman glaubwürdig einführen.

Also ist der konventionelle, gut geschriebene Roman wichtig als Bezugsgröße?

Das Ideale ist natürlich, dass der Schriftsteller seine eigenen Paradigmen für Qualität erfindet. Wenn er den etablierten Modellen für Qualität folgt, kann er höchsten einen „guten Roman“ schreiben, also einen Roman mehr, von denen es so viele gibt, und die diese deprimierenden Tische der Buchläden füttern, die einem die Lust am Lesen verleiden. Seine eigenen Paradigmen zu erfinden, ist selbstverständlich nicht so einfach; diejenigen, die es tun, geben der Literaturgeschichte eine neue Wendung. Neue Paradigmen zu erfinden, bedeutet, sich selbst neu zu erfinden.

Sie haben bei Ihrer Rede zur Eröffnung des internationalen Literaturfestivals Berlin 2016 die Nutzlosigkeit der Literatur verteidigt. Warum?

Die Literatur hatte noch nie einen Nutzen, außer den, den Lesern, einer winzigen Minderheit der Gesellschaft, Freude zu bereiten. Deshalb halte ich staatliche Kampagnen zur Förderung des Lesens für absurd. Wenn Verleger und Autoren sagen, dass Lesen gut sei, verstehe ich das, es ist schließlich ihr Geschäft. Wenn das aber der Staat tut, ist es nicht zu Ende gedacht. Denn man braucht Menschen, die arbeiten und produzieren, niemanden, der sich zu Hause einschließt, um Romane zu schreiben. Zwar hilft Lesen, den Geschmack zu verfeinern, einen intelligenter zu machen. Nur wer braucht diese Eigenschaften? Wenn jemand einen verfeinerten Geschmack hat, dann wird er zu einem Schmarotzer …

… weil er nicht funktional ist für das System?

Ja. Gleichzeitig ist diese Nutzlosigkeit der Literatur der Schlüssel zu ihrer Freiheit. Von dem Zeitpunkt an, in dem man der Literatur einen Nutzen zuschreibt, verliert sie ihre Freiheit. Wenn man mir vorgibt, ich solle zur Bildung der Jugend beitragen, dann kann ich schon nicht mehr so schreiben, wie es mir gefällt: mit der exzessiven Vorstellungskraft, dem ganzen Unsinn… Ich würde mir nur Gedanken darüber machen, wie mein Schreiben zur Bildung beiträgt und schon wäre ich eingeschränkt.

Welche Bücher lesen Sie selbst?

Zurzeit lese ich Bücher wieder, die ich vor dreißig Jahren gelesen habe. Auch wenn ich mich an die Grundzüge des Buchs erinnere, ist das Wiederlesen anders. Man liest aus der Perspektive von dem, was man erlebt hat, mit dem Geschmack, den man entwickelt hat. Ich mag es, Bücher wieder zu lesen, auch wenn ich mir das nicht ausgesucht habe: Oft gehe ich in einen Buchladen und komme mit leeren Händen zurück, weil das einzige Buch, das mich interessiert, eines ist, das ich schon zu Hause habe.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich werde für lange Zeit nichts mehr veröffentlichen. Ich habe es satt, gesagt zu bekommen, dass ich so viel veröffentliche. Ich werde also damit erstmal aufhören. Das passt mir aber ganz gut, denn ich schreibe besser, wenn ich nicht ans Veröffentlichen denke.

Eine Veröffentlichung ist also eigentlich eher etwas Lästiges?

Nein, mir gefällt das Buch als Gegenstand. Aber jetzt gebe ich mich mit den Übersetzungen zufrieden, die von überall herkommen, schöne Objekte in verschiedenen Sprachen, manche so exotisch, dass ich auf dem Buchumschlag nicht mal meinen Geburtsort Coronel Pringles lesen kann.

 

MIT DEN WAFFEN DES KRIMIS

„Ein großer Kahn, sehr elegant“ ist in der Perlenlagune verlassen aufgefunden worden, in jenem tropischen Waldgebiet nördlich von Bluefields mit seinen Flüssen, Nebenarmen, Lagunen und Seen. Auch wenn es am Anfang dieses Kriminalromans, bei dem die Betonung auf Roman liegt, nicht einmal eine Leiche, sondern nur ein paar Blutspritzer gibt, so ist den Ermittlern doch schnell klar, dass die Drogenmafia ihre Hände im Spiel haben muss:„Wer anders als die Drogenbosse kann es sich leisten, eine Yacht im Wert von einer halben Million Dollar einfach aufzugeben?“

Hauptfigur Inspektor Dolores Morales – übersetzt „moralische Leiden“ – ist unbestimmten mittleren Alters und Teil der Abteilung für Drogenkriminalität in Managua. Als Compañero Artemio hat er in der sandinistischen Revolution gekämpft, dabei ein Bein verloren und eine Prothese aus Kuba gewonnen, die zwar gut sitzt, deren hellrosa Vinyl aber schlecht zu seiner braunen Haut passt. Zusammen mit Unterinspektor Bert Dixon aus Bluefields, enger Freund und wegen seiner tadellosen Manieren Lord Dixon genannt, verfolgt er die Spur der verlassenen Yacht. Bei der geht es, so viel sei verraten, tatsächlich um Drogengeschäfte und einen Mord. Unterstützt werden die beiden Inspektoren von Doña Sofía Smith, auch sie eine ehemalige Stadtguerillera, die ihre Arbeit als Putzfrau im Polizeipräsidium „mit echter Parteidisziplin“ ausübt, in Wahrheit aber zu allen wesentlichen Erkenntnissen der Ermittlung beiträgt und auch vor Undercover-Aktivitäten nicht zurückschreckt.

Der Himmel weint um mich ist bereits 2008 auf Spanisch erschienen und spielt in der Amtszeit des nicaraguanischen Präsidenten Arnoldo Alemán, der von 1997 bis 2002 regierte und später wegen Korruption angeklagt wurde. In einer Phase, in der der Präsident „neue Supertankstellen“ in Serie einweiht und dabei vom Polizeichef begleitet wird, zieht sich – rund zwanzig Jahre nach dem Sieg der Sandinist*innen – die Spur des Verfalls der Integrität und der Korruption bis in höchste Polizei- und Regierungskreise. Aber längst nicht alle sind davon betroffen. So ist Comisionado Selva, Chef von Inspektor Morales, „ein seltenes Exemplar in diesen Zeiten, allzu aufrecht und ehrlich, fast bis zur Lächerlichkeit, so als habe er den Pfadfindereid abgelegt. Deshalb störte er auch einige seiner Kollegen in der obersten Leitung und beunruhigte andere.“

Auch viele der ehemaligen Compañeros legen Skrupel und Loyalitäten ab und tauschen „die frühere Treue zur Ideologie gegen die Treue zur revolutionären Staatsmacht“. Dabei schrecken sie nicht einmal vor Verrat gegenüber den ehemaligen Kampfgefährten zurück, um die eigenen Interessen nicht zu gefährden. Autor Sergio Ramirez, selbst nach dem Sturz der Somoza-Diktatur Mitglied der fünfköpfigen Regierungsjunta und von 1984 bis 1990 Vizepräsident, schmerzen diese Zustände erkennbar. Und so nutzt er das Genre des Krimis für eine genaue Beschreibung des Managuas dieser Zeit mit all seinen Ungleichzeitigkeiten von Luxus und Armut, Beschädigung und Aufbau, Loyalität und Verrat, durch die sich Inspektor Morales in seinem blauen Lada bewegt. Dass die Aufklärung des Falls sich dabei eher langsam entwickelt, fällt angesichts der Fülle der genau gezeichneten Schauplätze, Personen und Handlungsstränge wenig auf. „Wir sind Zeugen, und als solche sind wir auch Chronisten. Die Zeitgeschichte liegt seit je im Wesen unseres Schreibens, und nie war es möglich, private Geschichten abseits von der großen Bühne der Zeitgeschichte zu erzählen,“ dieses Credo von Sergio Ramirez prägt seinen Roman Der Himmel weint um mich.

 

Newsletter abonnieren