
Die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, Francesa Albanese, dokumentiert in ihren Berichten die sich verdichtende Beweislage zu israelischen Kriegsverbrechen. Im Februar 2025 wurde Albanese in Deutschland von Berliner Politiker*innen wie dem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und der Wissenschafts-Senatorin Ina Czyborra (SPD) als Antisemitin beschimpft. Sowohl die FU Berlin als auch die LMU München sagten Veranstaltungen mit ihr ab. Im Rahmen des Narrativs, dass die UNO von der Hamas instrumentalisiert werde, verhängte die Trump-Regierung Sanktionen gegen sie. Albanese erklärte die Sanktionen wiederum für illegal und als Missachtung der Immunität von Amtsträger*innen und Sachverständigen im Dienst der UN.
Bereits zuvor haben die USA Sanktionen gegen Richter*innen des Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) und dessen Chefankläger Karim Khan verhängt, die die Verbrechen der israelischen Regierung sowie der Hamas untersuchen. Laut Le Monde war unter anderem das Auswärtige Amt unter Leitung von Annalena Baerbock in Einschüchterungsversuche gegen Karim Khan verwickelt. Vor diesem Hintergrund eröffnete Albanese am 15. Juli in Bogotá die Ministerkonferenz der Haager Gruppe so: „Viel zu lange wurde die internationale Ordnung als etwas Optionales betrachtet – selektiv angewandt auf diejenigen, die als schwach wahrgenommen werden, und ignoriert von jenen, die sich als mächtig darstellen. Dieser Doppelstandard hat die Grundfeste der internationalen Ordnung untergraben. Dieses Zeitalter muss ein Ende haben.“
Zusammenschluss für das Ende der israelischen Besatzung
Die Haager Gruppe ist ein Zusammenschluss von Staaten des Globalen Südens. Sie wurde im Januar 2025 von den Regierungen von Bolivien, Kolumbien, Kuba, Honduras, Malaysia, Namibia, Senegal und Südafrika gegründet. In ihrem Gründungsdokument erklären sie, entschlossen zu sein, „ihren Verpflichtungen zur Beendigung der israelischen Besatzung des Staates Palästina nachzukommen und die Verwirklichung des unveräußerlichen Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung zu unterstützen“.
Im Juli 2025 luden Kolumbien und Südafrika als Vorsitzende der Haager Gruppe zu einer ministeriellen Notfallkonferenz in Bogotá über die Lage in Gaza ein. Insgesamt nahmen Minister*innen aus 30 Ländern, darunter China, Ägypten, Brasilien, Spanien, Norwegen, Schweden und die Türkei, teil. Im Gegensatz zu den USA oder der EU haben die Gründungsstaaten der Haager Gruppe begrenzte Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen in Palästina oder die Politik Israels, beispielsweise hinsichtlich von Waffenimporten und -exporten oder Handelsbeziehungen, über die Druck ausgeübt werden kann. Der Wert der Gruppe liegt jedoch darin, sich dafür starkzumachen, dass von der Rhetorik zum Handeln übergegangen werden muss, und zu zeigen, dass es eine Verpflichtung jedes Staates ist, sich der Straflosigkeit Israels entgegenzustellen – so wie es das Völkerrecht fordert.
Albanese stellte ihren Bericht „Von der Besatzungswirtschaft zur Völkermordwirtschaft“ (Januar 2025) in Bogotá vor und plädiert dafür, Maßnahmen zu ergreifen, um nicht nur gegen die Ausführenden, sondern auch gegen jene vorzugehen, die den Völkermord ermöglichen. Viele Unternehmen bereichern sich an der illegalen Besatzung, Apartheid und dem Völkermord. Die damit gemeinten Unternehmen stammen aus vielen Teilen der Welt. Sie zur Rechenschaft zu ziehen, „ist ein notwendiger Schritt, um den Völkermord zu beenden und das globale System zu demontieren, das ihn ermöglicht hat“, so der Bericht. Außerdem bleibe eine zentrale Maßnahme, ein Waffenembargo gegen Israel umzusetzen. Die zweitägige Notfall-Konferenz führte zu sechs konkreten Maßnahmen, auf die sich die teilnehmenden Ländervertreter*innen einigten. Dazu gehören: die Unterbindung der Lieferung und des Transits von Waffen und militärischem Material, das Verbot der Nutzung von Häfen und Schiffen zur Versorgung Israels mit militärischem Material sowie die Überprüfung öffentlicher Verträge, die etwa den Handel mit Israel regeln.
Dreizehn Teilnehmerstaaten verabschiedeten die Maßnahmen umgehend. Schlüsselländer wie Brasilien, China und die europäischen Staaten haben sich jedoch noch nicht angeschlossen. Die Haager Gruppe setzte den 20. September als Frist. An dem Tag findet die 80. UN-Generalversammlung statt, bei der weitere Staaten Palästina als Staat anerkennen wollen. Bis dahin soll Israel gemäß der letztjährigen UN-Resolution die illegale Besatzung Palästinas beenden. Es ist bereits klar, dass Israel diese Resolution nicht einhalten wird.
Umfassende Solidaritätspolitik mit Palästina
Auch der Kohlehandel ist Thema in Bogotá, denn 60 Prozent der Kohleimporte Israels stammen aus Kolumbien. Darauf hatte zuvor die niederländische NGO SOMO im Bericht „Powering Injustice“ hingewiesen. Laut SOMO, die Lieferbeziehungen weltweit aufdeckt, könnten diese Kohlelieferungen „zu schweren Verstößen gegen das Völkerrecht beitragen, die von Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Gaza, begangen werden“. Der Hinweis zeigte Wirkung: Nach der Konferenz unterzeichnete Präsident Gustavo Petro im August ein neues Dekret, mit dem er die Ausfuhr von Kohle nach Israel stoppen will. Bereits vor einem Jahr hatte er eine ähnliche Regelung erlassen, die jedoch zuvor genehmigte Lieferungen nicht verbot und daher wirkungslos blieb. Das investigative Medium Vorágine hatte festgestellt, dass seit August 2024 die Konzerne Drummond und Glencore mindestens 30 Schiffe mit 1 Mio. Tonnen kolumbianischer Kohle an Israel geliefert haben.
Der Versuch, diese Lieferungen nun zu unterbinden, wurde von der Opposition scharf kritisiert. Ex-Präsident Iván Duque warf Petro vor, die Hamas zu unterstützen, und besuchte Netanyahu. Petros Regierung ist dennoch entschlossen, eine aktive Politik angesichts des Völkermords in Gaza zu verfolgen. Neben der Ausrichtung der Haager Konferenz und dem Kohleboykott kündigte er Ende August eine „umfassende Solidaritätspolitik mit dem palästinensischen Volk“ an. Diese verpflichtet kolumbianische Minister*innen, Botschafter*innen und andere Beamt*innen dazu, Abkommen mit Israel zu überprüfen, um die Übereinstimmung von Beschaffung u. a. von Waffen und Software mit den Grundsätzen des Völkerrechts sicherzustellen. Auch der Handel mit Palästina soll gestärkt werden.
Boykott und Handelsstopp
Parallel dazu haben regierungsnahe Abgeordnete entsprechende Initiativen vorangetrieben: So kündigte die Repräsentantin der Kolumbianer*innen im Ausland, Carmen Ramírez, die Einrichtung einer Solidaritätskommission für Palästina im Kongress an. Diese soll das 2020 unter der Regierung von Iván Duque unterzeichnete Freihandelsabkommen mit Israel überprüfen und gegebenenfalls aufheben.
Auch die türkische Regierung hat die in Bogotá vereinbarten Maßnahmen umgesetzt. Die Türkei spielt aufgrund ihrer geografischen Nähe zu Israel eine besonders wichtige Rolle. Ende August erklärte der türkische Außenminister Hakan Fidan seinerseits: „Wir erlauben nicht, dass türkische Schiffe israelische Häfen anlaufen. Wir erlauben nicht, dass Schiffe, die Waffen und Munition nach Israel transportieren, unsere Häfen anlaufen.“ Damit will Erdoğans Regierung, die in anderen Zusammenhängen Menschenrechte allerdings systematisch missachtet, nun den Druck auf Israel erhöhen. Am 8. September kündigte auch die spanische Regierung ähnliche Maßnahmen an.
Handeln auch ohne die Mächtigen
Derweil hat Deutschland ein Teilwaffenembargo verhängt und symbolisch Hilfsgüter über dem Gazastreifen abgeworfen. Doch eine Revision des Assoziierungsabkommens sowie Sanktionen gegen Israel blockiert Deutschland bis dato immer noch. Die Geschäfte deutscher Unternehmen – wie Axel Springer und Heidelberger Materials – bleiben unangetastet. Die USA zeigen ihrerseits keinerlei Absicht, etwas gegen das israelische Vorgehen in Gaza zu unternehmen.
Angesichts der Tatenlosigkeit der Verbündeten Israels stellen koordinierte Maßnahmen wie jene der Haager Gruppe konkrete Schritte dar, um den Völkermord in Gaza zu stoppen. Auch unilaterale Aktionen wie der Rückzug des norwegischen Staatsfonds aus Israel oder die Aussetzung schwedischer Rüstungsabkommen sind Beispiele dafür, dass es Staaten gibt, die Verantwortung übernehmen. Nicht zu übersehen sind auch die Bemühungen der internationalen Zivilgesellschaft – etwa Blockaden von Häfen im Mittelmeer oder die Aktionen der Freedom Flotilla Coalition.
Bisher ist der Zusammenschluss der Haager Gruppe die größte gemeinsame Strategie, die unternommen wurde, um dem Völkermord in Gaza ein Ende zu setzen. So zeigt die Konferenz einen Handlungsweg auf – im Einklang mit dem Völkerrecht und auch ohne Beteiligung der „Mächtigen“.















