Wandbild in Merida // Quelle: Flickr.com David Hernández (CC-BY-SA 2.0)
Die Überraschung blieb aus. Wie von den meisten Beobachter*innen erwartet, sicherte sich der venezolanische Präsident Nicolás Maduro bei der umstrittenen Wahl am 20. Mai eine weitere Amtszeit. Mit 67,8 Prozent der abgegebenen Stimmen lag er knapp 50 Prozent vor seinem wichtigsten Herausforderer Henri Fálcon, der gerade einmal 21 Prozent erreichte. Der evangelikale Pastor Javier Bertucci kam auf 10,8, der dissidente Chavist Reinaldo Quijada auf lediglich 0,4 Prozent der Stimmen. Doch mit gerade einmal 46 Prozent war die Beteiligung so niedrig wie bei keiner Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Militärdiktatur 1958. Bei Maduros erstmaliger Wahl 2013 hatte sie noch bei knapp 80 Prozent gelegen. Der von den meisten Oppositionsparteien propagierte Boykott der Wahl scheint also zumindest teilweise aufgegangen zu sein.
Den hohen Abstand zum zweitplatzierten Falcón feierte Maduro dennoch als „historischen Rekord“ und rief zu einem „nationalen Dialog“ auf. Tatsächlich begann der Präsident kurz darauf, Gespräche mit verschiedenen politischen und sozialen Sektoren des Landes zu führen, um Vorschläge einzuholen, wie seine Regierung die tief greifende Wirtschafts- und Versorgungskrise beenden könne. Auch ging er demonstrativ auf seine politischen Gegner*innen zu und brachte die Entlassung zahlreicher Personen auf den Weg, die aufgrund politischer Delikte inhaftiert waren. „Es gibt jetzt weniger politische Gefangene, aber dadurch wird Nicolás Maduro weder weniger Diktator noch gewinnt er an Legitimität“, versicherte das intern zerrüttete Oppositionsbündnis „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) in einem Kommuniqué. Große Teile der Regierungsgegner*innen setzen unverhohlen auf einen Sturz der Regierung mit allen Mitteln. Unterstützt werden sie dabei von externen Akteuren wie der US-Regierung, die Venezuela international zu isolieren versucht und aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ausschließen möchte. Den chavistischen Machtapparat versucht US-Präsident Donald Trump mittels gezielter Sanktionen zu Fall zu bringen. Zahlreiche weitere Staaten aus Europa und Lateinamerika hatten bereits vorab angekündigt, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen.
Die Impulse können nur von unten kommen
Fálcon schwenkte noch in der Wahlnacht mehr oder weniger auf die Linie seiner Oppositionskolleg*innen ein, die die Wahl im Vorfeld als „Farce“ bezeichnet hatten. Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse verkündete er, diese nicht anzuerkennen. Eine Breitseite in Richtung der Mehrheit der rechten Opposition konnte er sich dennoch nicht verkneifen. „Je höher die Enthaltung, desto mehr Möglichkeiten der Kontrolle für die Regierung“, sagte der frühere Gouverneur des Bundesstaates Lara. Vor allem kritisierte er die Verquickung von Sozialleistungen und Wahlverhalten. Wie bei vorangegangenen Abstimmungen hatten Regierungsanhänger*innen nahe der Wahllokale so genannte rote Punkte aufgebaut, kleine Zelte mit Tischen, an denen sich die Wähler*innen registrieren lassen können und im Gegenzug für die Teilnahme Bonuszahlungen in Aussicht gestellt bekommen. Ähnliche „blaue Punkte“ hatte in der Vergangenheit auch die Opposition zur
Mobilisierung genutzt. Für wen jemand im Wahllokal stimmt, kann jedoch niemand kontrollieren. Die Wahl entschieden hat wohl auch weniger die klientelistische Einflussnahme auf die chavistischen Stammwähler*innen, als die Spaltung der Opposition und der Zeitpunkt der Abstimmung. Mittels der von ihr kontrollierten Verfassunggebenden Versammlung hatte die Regierung den Wahltermin von Dezember auf Mai vorgezogen.
Damit scheint der seit Jahren laufende Machtkampf vorerst entschieden. Die Opposition, die derzeit vor allem damit beschäftigt ist, internationale Verbündete gegen die Regierung zu suchen, muss sich nun neu formieren. Die Regierung hingegen hat ihre Macht auf Kosten zentraler demokratischer und sozialer Errungenschaften des Chavismus konsolidiert und steht vor der schwierigen Aufgabe, die wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen. Doch ist es für Maduro keineswegs der proklamierte „historische Sieg“. Zwar kann die Regierung inmitten einer tief greifenden Wirtschafts-krise noch immer ein Potenzial von 25 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten abrufen. Das liegt zum Teil an klientelistischen Strukturen, dem Druck, der auf Staatsangestellte ausgeübt wird und der Angst, dass sich unter einer rechten Regierung noch mehr Räume für linken Aktivismus schließen würden. Gegen einen starken, gemeinsamen Kandidaten oder eine starke, gemeinsame Kandidatin der Opposition hätte es jedoch wahrscheinlich nicht gereicht.
Die Probleme Venezuelas wird die Wahl ohnehin kaum lösen. Maduro bleiben nach dem Wahlsieg keine Ausreden mehr. Doch wenig deutet im Moment darauf hin, dass es der Regierung gelingen könnte, die Hyperinflation in den Griff zu bekommen und die Lebensbedingungen der Venezolaner*innen in näherer Zukunft wieder zu verbessern. Sobald die rechte Opposition erneut eine gemeinsame Linie findet, könnten die politischen Konflikte wieder deutlich zunehmen. Letztlich ist es vor allem die verheerende Wirtschaftslage, die Maduro doch noch zu Fall bringen könnte. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Venezuela zwar noch immer eine breite linke Bewegung, die bei einem möglichen Regierungswechsel nicht einfach verschwinden würde. Je länger die derzeitige Krise andauert, desto leichter hätte es allerdings eine rechte Regierung, die letzten Überbleibsel chavistischer Errungenschaften abzubauen. Allein das Versprechen, die Hyperinflation zu beenden, könnte eines Tages ausreichen, um eine neoliberale Agenda durchzusetzen. Um das zu verhindern, muss der Chavismus sich erneuern, konkrete Lösungen anbieten und die bald 20-jährige Regierungszeit kritisch aufarbeiten. Die Impulse dafür können nur von unten kommen.