
Derzeit fließen weltweit nur noch 37 Prozent der Flüsse mit einer Länge von mehr als 1.000 km über ihren gesamten Verlauf frei. Dämme und Wehre sind die Hauptursachen für den Verlust des freien Wasserflusses. In Brasilien hat der Bau von Staudämmen insbesondere im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des nationalen Energiemodells seit den 1970er Jahren während der Militärdiktatur zu einer erzwungenen gravierenden Neugestaltung von Territorien geführt und vielfältige ökologische und soziale Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung gehabt, die bis heute spürbar sind.
Als Reaktion auf diese Situation organisierten sich die betroffenen Gemeinden ab Ende der 1970er Jahre im Widerstand gegen die Großprojekte, was sich im Jahre 1986 unter dem Namen der Bewegung der von Staudämmen Betroffenen (MAB) sammelte. Im April 1989 führte sie den ersten Nationalkongress der von Staudämmen Betroffenen in Goiânia durch, bevor sich im März 1991 formell die Bewegung der von Staudämmen Betroffenen gründete. Seither setzt sich die MAB für Veränderungen im brasilianischen Energiemodell ein, um die Rechte der betroffenen Bevölkerung zu gewährleisten und, in jüngerer Zeit, um der Klimakrise entgegenzuwirken und deren Auswirkungen abzuschwächen.
Laut dem landesweiten Instrument zur Kontrolle und Überwachung von Dämmen in Brasilien, dem Informationssystem für Dammsicherheit, gibt es heute mehr als 29.000 Dämme: Staudämme zur Energiegewinnung, zur Trinkwassergewinnung oder Bewässerung sowie Dämme von Rückhaltebecken von teils hochtoxischer Bergbauschlämme. Vor 25 Jahren stellte der Bericht der Weltkommission für Staudämme fest, dass in Brasilien etwa eine Million Menschen von Staudämmen betroffen waren. Laut der Oswaldo Cruz-Stiftung (Fiocruz) beläuft sich diese Zahl heute auf mindestens vier Millionen Menschen. In den letzten Jahren hat die Zahl der potenziell mit ökologischen und sozialen Risiken einhergehenden Staudammprojekte zugenommen, wie beispielsweise die (Umwelt-)Katastrophen durch die Staudämme Fundão in Mariana im Jahr 2015 und 2019 durch Mine Córrego do Feijão in Brumadinho aufzeigen.
Die Klimakrise, die wir derzeit erleben, ist zweifelsohne eine direkte Folge des kapitalistischen Produktions- und Konsumptionsmodells, der Treibhausgas-Emissionen der fossil-basierten Weltwirtschaft und der mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen einhergehenden Naturzerstörung. Angesichts der Notwendigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, wurde ausgehend von den Ländern des Globalen Nordens eine Energiewende weg von fossilen Energieträgern eingeläutet.
Was jedoch eine historische Chance für Brasilien sein könnte, hat zu einer Vertiefung einer durch Konzentration von Reichtum und Abhängigkeit gekennzeichneten Energiepolitik geführt. Um die Nachfrage aus dem Ausland nach unabdingbaren Rohstoffen für die Umsetzung der Energiewende zu befriedigen, baut das Land die Gewinnung von kritischen Mineralien und Seltenen Erden für den Export aus und erweitert das Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie und seit kurzem auch grünem Wasserstoff. All dies ist oftmals mit derselben systematischen Verletzung von Rechten der lokalen Bevölkerung verbunden, wie im Fall der Staudämme.
Trotz der nachgewiesenen negativen ökologischen und sozialen Folgewirkungen sowie der chronischen Verletzung der Rechte der lokalen Bevölkerung wurde und wird die Energiegewinnung durch Wasserkraft auch in anderen Ländern Lateinamerikas sowie in Afrika und Asien ausgebaut und mittlerweile als „grüne Energie“ als adäquate Lösung zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen bei der Energieerzeugung und für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft propagiert.
Vor diesem Hintergrund wird die internationale Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den von Staudammprojekten betroffenen Bevölkerungsgruppen immer wichtiger. Aktuell wird deshalb ein historischer Prozess internationaler Treffen wieder aufgenommen, der 1997 begann. Das Movimiento de Afectados por Represas (MAR) hat für November 2025 das IV. Internationale Treffen der von Staudämmen und der Klimakrise betroffenen Gemeinschaften einberufen, das in Belém do Pará, Brasilien, stattfinden wird.




















