RÜCKKEHR DER RATTEN

La Plaga Theater in Aktion // Foto: privat

Auf welcher Sprache kommuniziert ihr miteinander und mit dem Publikum? Welche Rolle spielt die Körpersprache dabei?
Lenia: Obwohl beide Gruppen unterschiedliche Sprachen sprechen, eint uns eine sehr starke Körpersprache. Als wir uns in Bolivien trafen, hatten beide Gruppen bereits unabhängig voneinander am Stück gearbeitet. Später, als wir uns die Szenen gegenseitig zeigten, mussten wir kaum etwas erklären: es wurde deutlich, dass beide Gruppen die Thematik ähnlich verstanden hatten, die erarbeiteten Bilder waren sehr ausdrucksstark. Über das Schauspiel gibt es eine sehr starke Verbindung zwischen uns.
Daniela: Wenn wir zusammen sind, spüren wir, dass es eine ähnliche Arbeitsweise gibt. Wir haben uns in der Art, wie wir Symbole und Metaphern erarbeiten gegenseitig erkannt.
Kathi: Diese Art des Arbeitens stellte für uns nie die Frage, ob Sprache ein Hindernis sein könnte. Ich denke, es hat auch damit zu tun, dass in Bolivien viele Sprachen gesprochen werden und man immer davon ausgehen muss, dass nicht alle die gleiche Sprache sprechen. So ist auch das Grundverständnis bei uns im Theater X. Wir haben oft Situationen, in denen Leute unterschiedliche Sprachen sprechen, dann wird entweder übersetzt oder mit Körpersprache gearbeitet.

Arbeitet die Gruppe des Teatro Trono mit unterschiedlichen Sprachen?
Lenia: Wir haben bereits mit verschiedenen Sprachen zusammengearbeitet, aber das wurde nicht vertieft. Wir haben es jedoch immer mit Pluralität zu tun. Bolivien ist ein sehr diverses Land, welches sehr viele unterschiedliche indigene Kulturen, Religionen und Regionen vereint. Das taucht in der Art wie wir arbeiten immer wieder auf. Mit unserem früheren Leiter Ivan Nogales haben wir sein Konzept der Dekolonisierung des Körpers erprobt und thematisiert. Die jahrelange Kolonialisierung Lateinamerikas hat sich zuallererst in die Körper eingeschrieben. Wenn man den Körper dekolonisiert, braucht man vor allem, wie bei allem anderen auch, Sprache. Im Prozess der Dekolonisierung geht es insbesondere darum, wieder den Körper zu benutzen und durch ihn mit anderen zu sprechen, denn das ist eine universelle Sprache.

In dem Stück La Plaga – die Rückkehr der Ratten geht es um das Wiedererstarken der politischen Rechten, um Diktatur und Kolonialismus. Wie habt ihr das Stück gemeinsam erarbeitet und euch über Motive und Inhalte ausgetauscht?
Daniela: Wenn man zurück geht in der Geschichte und von der Kolonialzeit ausgehend bis jetzt schaut, gab es viele Momente der Unterdrückung und Versuche, die Geschichte unsichtbar zu machen, insbesondere die Perspektive derer, die die Geschichte auf eine bestimmte Art gesehen haben. Ein wichtiger Moment dabei war die Diktatur und die Ansichten der Arbeiter*innen zu dieser Zeit. Ausgehend von diesem Blickpunkt bestand der Prozess vor allem darin, Parallelen und Ähnlichkeiten mit dem Theater X herauszufinden.

Welche historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Bolivien will das Stück hervorheben? Und wie kann uns diese Betrachtung helfen, aktuelle politische Situationen besser zu verstehen?
Annika: Wir haben geschaut, was die historischen Kontinuitäten sind. Wo gab es Verbindungen zwischen Bolivien und Deutschland? Als Ansatzpunkt haben wir die Geschichte von Klaus Barbie, ehemaliger Chef der Gestapo in Lyon genommen, der beispielhaft für bestimmte Strukturen und Mechanismen steht und für etwas, dass überall auf der Welt immer wieder passiert. Klaus Barbie ist, so wie viele andere Nazis auch, mit Hilfe von Deutschland und den USA geflohen und wurde versteckt. In den fünfziger und sechziger Jahren, als es in Deutschland dann den Diskurs gab – „Jetzt haben wir Demokratie! Wir haben das alles hinter uns gelassen!“ – hat Barbie mit der Unterstützung des BND und der CIA die Diktatur in Bolivien aktiv mit aufgebaut. Das zeigt, wie faschistische Strukturen, Rechtsideologien und Staat zusammenhängen und weiter geführt wurden. Es wird sichtbar, welche verschiedenen Gesichter das hatte und wie es weiter gelebt werden konnte, einerseits in den 50er Jahren in Deutschland und andererseits in der Militärdiktatur in Bolivien. Und die heutige Zeit zeigt: Diskurse ähneln sich wieder.

Der deutsche Titel Die Rückkehr der Ratten bezieht sich auf die sogenannte Rattenlinie, der Fluchtweg für Ex-Nazis, die nach dem zweiten Weltkrieg nach Lateinamerika geflohen sind. Darin enthalten ist die Idee des Unheilvollen, das aus dem Untergrund wieder erstarken kann. Wie bewertet ihr den heutigen Widerstand gegen den neu aufkommenden Rechtsruck in beiden Ländern? Welche Perspektiven will eure Performance aufzeigen?
Lenia: In der Recherche sind wir von Verbindungspunkten ausgegangen, die Ähnlichkeiten in beiden Ländern aufzeigen. Aber nicht nur zwischen Bolivien und Deutschland, wo es das Beispiel von Klaus Barbie gab, sondern auch auf globaler Ebene. Es war uns wichtig sich nicht nur mit den Schlächtern, Tätern und Diktatoren auseinanderzusetzten, sondern insbesondere auch mit dem Widerstand. Wir wollen keine Täterfaszination ausüben, sondern den Widerstand stärken. Wir wollen aktuelle Widerstandsbewegungen inspirieren, weil man heute das Gefühl hat das viele Leute – und die Jugend als ein großer Teil davon – schlafen. Ein Ziel des Stückes ist es aufzuwecken und den Leuten einen Impuls zu geben. Gerade sieht man in vielen lateinamerikanischen Ländern sogenannte sozialistische Regierungen, die nicht wirklich linke Politik machen. Da viele von den linken Regierungen enttäuscht sind, wählen sie danach häufig eine sehr rechte Regierung. Wir wollen die Leute daran erinnern, kritisch zu sein mit dem was passiert.

Wie diskutiert ihr Gegenbewegungen zur Rechten? Wie betrachtet ihr einerseits das linke Regierungsregime unter Evo Morales in Bolivien und andererseits linke Bewegungen in Deutschland?
Kathi: Wir haben uns öfter die Frage gestellt gegen was oder wen genau wir Widerstand leisten müssen. Sind wir wieder auf dem Weg zu einem faschistischen Zustand? Was bedeutet Faschismus eigentlich? Wie war das in der Vergangenheit? Wir haben uns auch die Momente vor der Nazizeit angeschaut, zum Beispiel die Novemberrevolution. Was war das für ein Moment des Widerstandes? Worauf wurde da reagiert? Dann haben wir versucht das in unsere Zeit zu übersetzen, um zu sehen, dass der Faschismus eine Reaktion auf die Konterrevolution war. Wir wollen eine antikoloniale und antirassistische Linke haben. Nicht nur die internationale Perspektive, sondern auch unsere Perspektive als Theater X bringt – und das ist eine weitere Verbindung mit dem Teatro Trono – das mit sich. Gemeinsam überlegen wir: welches ist unsere Perspektive? Viele der Leute, die bei dem Stück mitwirken, haben selber die Erfahrung gemacht, hier weiter als Kolonialisierte behandelt zu werden. Viele sind aus eigener Motivation involviert.
Annika: Wir brauchen wieder eine starke linke Bewegung in Europa. In der Diskussion, die wir in Bolivien geführt haben, kam dann direkt eine Gegenreaktion: Moment, was heißt denn eigentlich „links“? In beiden Ländern bedeutet es etwas Unterschiedliches. Aber wir sind übereingekommen, dass, wenn wir von einer linken Bewegung sprechen, eine Bewegung von unten meinen und keine Parteipolitik. Es geht darum, Leute zusammenzubringen, sich zu vereinigen, im eigenen Land oder transnational.
Daniela: Die plaga kommt wieder hoch, zum Beispiel medial oder über Konsum und gleichzeitig ist der linke Widerstand verbraucht. Es ist notwendig neue Widerstandsformen zu finden, die das aufgreifen können. Vielleicht auf eine poetische Art und Weise…
Das Stück beginnt mit dem Satz: „Ich komme aus einem Land, das die Erinnerung verloren hat“. Wie wird in Bolivien mit Geschichtsvergessenheit umgegangen? Wie wird über die Vergangenheit gesprochen?
Lenia: Ein Land das seine Geschichte vergisst, ist ein Land ohne Seele und dazu verdammt, sie zu wiederholen. Das Teatro Trono macht politisches Theater, um Zeugenschaft von der Geschichte abzulegen. In unseren Stücken wollen wir historische Ereignisse auf poetische und metaphorische Art und Weise unserem Publikum zugänglich machen und erzählen, was eigentlich passiert ist. Ähnlich wie das Theater X berichten wir durch das Theaterspiel über historische Ereignisse und Fakten. Aktuell arbeiten wir an einem Stück, welches Wir sind die Kinder der Mine heißt. Darin geht es um die Realität der Minenarbeiter*innen und um ihre gewerkschaftlichen Kämpfe, bei denen viel Blut geflossen ist. Bei Schulprojekten geht es uns immer darum, wichtige Themen körperlich und spielerisch zu vermitteln.
Annika: Wir haben einen zentralen Satz, der uns immer wieder begleitet: Man muss die Vergangenheit erkennen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu verändern.


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UNSERE HAUPTBEDROHUNG IST DIE SEXUELLE GEWALT

Du bist Mitglied des feministischen Theaterprojekts Las Amapolas. Auf welche Voraussetzungen geht euer Projekt zurück?

Schon früh wurde ich mir der gegen den Frauenkörper gerichteten Gewalt bewusst. Ich beteiligte mich an allen möglichen Formen der öffentlichen Anklage, z.B. war ich bei allen Demonstrationen dabei. Außerdem erlebte ich seit vielen Jahren die Repression gegen die feministische Bewegung in Nicaragua. Es gab eine konstante Verfolgung bei Mobilisierungen zu nationalen Demonstrationen, immer war die Macht anwesend, ständig waren Polizeieinheiten präsent. Ich war in Estelí aktiv und hatte die Gelegenheit zusammen mit unserem Kollektiv an Demonstrationen teilzunehmen, an Verkehrsblockaden oder vor die Gerichte zu ziehen. In Nicaragua herrscht eine gegen unseren Körper gerichtete Welle der Gewalt, denn es ist ein frauenfeindlicher Staat, wo es jedes Jahr einen hohen Anteil von sexuellem Missbrauch und Frauenmorden gibt. Ich habe mich auch im Bildungsbereich betätigt, in kommunalen Projekten, die Begleitung für Jugendliche und junge Heranwachsende anboten, um Themen wie Gewaltprävention oder Schwangerschaft im Heranwachsendenalter zu bearbeiten. Die staatlichen Institutionen verschlossen uns ihre Türen wie es auch fortwährend Drohungen gegen unserer Arbeit gab. Letztes Jahr am 8. März verweigerte uns das Gemeindeamt die Erlaubnis, auf der Straße eine öffentliche Aktion durchzuführen. Wir nahmen sie uns, denn in Nicaragua gewährte uns der Staat nie einen Raum, man musste ihn sich nehmen: am Ende war da immer die symbolische Gewalt der Polizeipräsenz, sie kamen um uns zu drohen. Ich war auch in der Universität aktiv und äußerte immer offen meine Kritik. Vermutlich war eine Konsequenz daraus, dass ich zum sichtbaren Mittelpunkt wurde und leicht zu identifizieren als die Repression an Intensität zunahm.

(Foto: privat)

Hat dich die massive Artikulation der Proteste am 18./19. April 2018 und die darauf folgende Gewalt überrascht?

Als Aktivistin kam für mich der Ausbruch der Gewalt nicht überraschend, da wir sie bereits vorher in verschiedenem Ausmaß und Ausdruck erlebt hatten. Einen Tag davor hatten wir in Estelí eine Demonstration organisiert, weil das Naturreservat Indio Mais brannte. Später gab es einige Demos wegen der Reform der Sozialversicherung INSS. Schon da wurden wir Opfer polizeilicher Verfolgung in Estelí. Da wir diejenigen waren, die das organisiert hatten, die ihre Stimme hören ließen, Mikrofone und Megafone mitbrachten, fotografierten sie uns − praktisch eine direkt gegen uns gerichtete Drohung. Am 17. und 18. April war ich in Matagalpa, wo es eine Demonstration wegen der Sozialversicherung gab. Dabei kam es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Staatsbediensteten und man sah deutlich die Aggressivität, die von denen ausging, während die Polizei sich indifferent verhielt, als ob sie die Situation genießen würde. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Wir wussten jetzt, was in Managua los war und dass es Tote gab.

Am 19. April gab es eine Demonstration in Estelí. Dort schlugen sie auf Jugendliche ein und nahmen sie fest. Am folgenden Tag, am 20. April, änderte sich unser Leben, denn an diesem Tag beschlossen wir, dass wir uns auf Demonstrationen nicht mehr hervortun wollten, da wir nun wussten, was passieren würde und wir hatten ja bereits Repression erlebt. Unter diesen Umständen beschlossen wir medizinisches Material zu beschaffen und im Fall eines Angriffs zu helfen, denn es wurde auch geschossen. An diesem Tag zog sich der Demonstrationszug bis zu einem Kilometer hin. Es kamen viele Leute. An einer breiten Straße standen aufgereiht Paramilitärs, die direkt auf Demonstrant*innen und deren Köpfe zielten. Es kam zu Auseinandersetzungen −wer keine Angst zeigte, wurde verfolgt und nach Ende der Demo schossen sie Tränengas. Es war dies ein Ausdruck der Gewalt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Wir befanden uns in einem Sicherheitshaus, denn wir hatten uns jetzt organisiert und die Aufgabe, Personen zu versorgen, die mit Tränengasvergiftungen kamen. Ungefähr um 10 Uhr abends wurde damit begonnen Barrikaden zu bauen, jetzt war das eine Sache, die nicht mehr zu kontrollieren war. Wir konnten nicht mehr auf die Straße gehen. Wir bewegten uns im Auto fort, um Medikamente oder nach Personen zu suchen, die unsere Hilfe benötigten. Dann kam die Nachricht, dass sie zwei Jugendliche getötet hatten. Denn die Paramilitärs, die nach Estelí kamen, benutzten großkalibrige Waffen, Heckenschützen ermordeten die beiden. Es waren die ersten Toten der Aprilproteste. Trotz alledem gingen wir weiter auf die Straße, jeden Tag gab es Demonstrationen in Estelí, jeden Tag dachte man sich neue Formen des Protestes aus, um standzuhalten. Nach fünf Tagen wurden Straßensperren errichtet.

Welcher war der ausschlaggebende Moment für deine Entscheidung ins Exil zu gehen?

Nach dem Mord an den Jugendlichen, Studenten aus Estelí, erhöhten wir den Druck und begannen Demonstrationen zu organisieren. In dem Moment haben wir uns zu sehr exponiert, denn wir waren sehr sichtbar, wir waren die einzigen Frauen, die in der Öffentlichkeit nach dem Mikrofon griffen und feministische Spruchbänder trugen. Wir machten auch Straßentheater und verschiedene Performance auf den Demonstrationen. Dann kam das Massaker vom 30. April, was ebenfalls ein traumatisches Erlebnis war. In Estelí gab es sieben Morde an einem einzigen Tag. An diesem Tag kamen Paramilitärs zu mir nach Hause und sagten, dass sie wüssten, wo wir wohnen, wer wir sind, seit wann wir da schon mitmachen, dass sie uns töten werden, vergewaltigen − jede Menge Beschimpfungen in nur einer Minute und sie verschwanden. Anschließend begann die Serie in den sozialen Netzwerken, denn wir kollaborierten offen mit den Jugendlichen an den Straßensperren. Dort schrieben sie Dinge wie wir verfügten über große Geldmengen, wir würden von der CIA bezahlt, wir würden andere manipulieren, die in unserem Namen auf die Straße gingen und all das würden wir mit Blei bezahlen. Danach erschienen Fotos von uns: “Lesben, Huren, wir werden sie töten!” Von da an schlief ich nicht mehr zu Hause und wir gingen nicht mehr nach draußen, wie im Gefängnis. Das bedeutete eine Entscheidung zu treffen: entweder sie töten dich oder sie machen etwas mit dir oder du bleibst. Wir waren das perfekte Ziel zu politischen Gefangenen zu werden.

Ich ging am 23. Juni. Es gab Straßensperren und ich musste durch die Berge, um zum Flughafen kommen, wo du dich nicht von deiner Familie verabschiedest. Du nimmst das Gefühl mit, nicht zu wissen, wann du zurück kommst. Auf dem Flughafen überall Militär. Wahrscheinlich hatten sie da die Personen noch nicht registriert, die in irgendwelche Dinge verwickelt waren. Ich konnte das Land ohne Probleme verlassen. Zwei Tage danach begann die Säuberungsaktion in Estelí, als es ein weiteres Massaker gab. Ich nenne diesen Staat terroristisch: fortwährende Kampagnen um Angst zu verbreiten, durch Gewalt an der Macht festhalten, ständige Aggressionen, denen die Menschen ausgesetzt sind.

(Foto: privat)

Seit dem 24. Juni 2018 lebst du in Deutschland. Was bedeutet für dich das Exil?

Als ich nach Deutschland kam, hatte ich klare Überzeugungen: Ich bin eine Person, die das Privileg hat hier zu sein und seitdem habe ich mich damit beschäftigt, die Lage in Nicaragua öffentlich anzuprangern. An verschiedenen Orten zu sprechen, war nicht gerade einfach. Erstens spreche ich nicht die Sprache, zweitens bin ich eine Frau und drittens spüre ich, dass ein konstanter Rassismus vorhanden ist. Ich bin keine politisch anerkannte Persönlichkeit, keine Person, die permanent in den sozialen Netzwerken auftaucht, keine öffentliche Person. Als ich hier ankam, hatte ich mir das Recht zu sprechen erst zu verdienen, denn am Anfang hat es niemanden interessiert, meine Geschichte zu hören. Alles, was ich erreicht habe, wurde durch einen Kraftakt und gewisse Privilegien erreicht, denn ich muss anerkennen, dass eine deutsche Lebensgefährtin zu haben einen anderen Zugang bietet. Und schließlich das Thema Migration: dir wird bewusst, dass Leute, dir ihr Land verlassen müssen, dort ein Leben hatten, eine Geschichte und diese von null auf wieder aufzubauen, ist nicht einfach. Aktuell hat mir das Theater das Leben gerettet, ich bin auf die besten Gedanken gekommen, es hat mir Kraft gegeben − die Kraft zur Selbstermächtigung. Ich bin Teil einer deutschen Frauentheatergruppe. Wir bearbeiten die Themen, die ich auch vor der Krise in Nicaragua bearbeitet habe, wo es um die sexuellen und reproduktiven Rechte geht − Aufklärung durch das Theater. Aber es ist nicht einfach anzukommen und zu sagen “ich will Mitglied eurer Gruppe sein”. Ich fühlte den Druck beweisen zu müssen, dass ich tatsächlich Ahnung vom Theater habe.

Das Regime Ortega/Murillo versucht der Welt zu beweisen, dass Nicaragua zur Normalität zurückgefunden habe, während die Repression weitergeht.

Vor allem ist die Politik, die sie nach dem Massaker angewendet haben, superzynisch und eine Beleidigung für alle Personen, die Opfer der Repression geworden sind. Während der letzten Woche in Nicaragua haben wir mit verschieden Aktivistinnen audiovisuelles Material entwickelt. Das verwenden wir hier als Anregung für die Leute, die Realität wahrzunehmen, die Nicaragua durchlebt. Die Leute haben vielleicht keine Vorstellung vom Zynismus dieser Regierung, die von Versöhnung spricht, während sie weiter politische Gefangene verschleppen, weiter foltern oder Frauen in der Haft abtreiben. Denn dort sind sie einem System physischer Folter unterworfen, wenn du schwanger bist, holen sie dich unter Schlägen aus der Zelle und provozieren so einen Abort. Manchmal befindest du dich in der schmerzhaften Situation, dass es den Deutschen in Bezug auf die Ereignisse etwas an Empathie fehlt. Es verschleißt viel Energie, den Leuten während einer Veranstaltung erklären zu müssen, dass wir nicht in der Lage sind, darüber nachzudenken, wer der nächste Präsident wird. Denn es gibt eine Krise, etliche Leute haben keine Arbeit und nichts zum Überleben. Viele Jugendliche, die an Demos teilgenommen haben, werden verfolgt, viele gehen zu Fuß bis nach Honduras oder in andere zentralamerikanische Länder. Jeden Tag suchen Menschen nach einer Möglichkeit, das Land zu verlassen. Nicht jede*r kann ein Flugticket kaufen in diesen Zeiten, nichts ist sicher und absolut niemand ist sicher.

Inzwischen hat sich das nationale Bündnis Azul y Blanco gegründet, worin sehr unterschiedliche, teils in ihren Auffassungen gegensätzliche Gruppierungen der Zivilgesellschaft vertreten sind. Welche Aussichten siehst du für die Feministinnen und deren Forderungen in diesem Bündnis?

Ich finde, dass die Krise auf der Ebene der poder popular auch einen Gewinn bedeutet: das Erwachen der Menschen. Es gibt zur Zeit viele Ideale, aber da es ein gigantisches Monster gibt, das zu besiegen ist, vereinigten sich all diese Sektoren. Obwohl wir Feministinnen eine sehr spezifische Agenda haben, wo es um Frauenrechte geht, glaube ich, dass es sehr wichtig ist, dass wir Teil dieses Entscheidungsprozesses sind, denn die Situation wird nicht jetzt gelöst werden. Das wird ein langer Prozess sein. Das Naheliegende wäre vielleicht eine Übergangsregierung, worin verschiedene Repräsentant*innen der Bewegung Azul y Blanco vertreten sind, unterschiedlichen gesellschaftlichen Ausdrucks. In dieser Bewegung gibt es ebenfalls große Intellektuelle mit einer langen politischen Geschichte. Und da sind auch die Feministinnen, die dafür kämpfen, in den Raum vorzudringen, wo die Entscheidungen getroffen werden, damit ihre Stimme wirklich berücksichtigt wird, da wir es waren, die diesen Kampf permanent geführt haben. Wer auf die Straße ging, das waren über Jahre hinweg die Frauen und die Bauern- und Bäuer*innenbewegung.

 

 


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„THEATER ANIMIERT ZUR DISKUSSION“

Warum haben Sie ein Stück über Jorge Mateluna gemacht?

Jorge Mateluna war während der Militärdiktatur in der Guerilla Frente Patriótico Manuel Rodríguez aktiv. Wir hatten seine Erfahrung des Kampfes gegen die Diktatur in unserem Stück „Escuela“ integriert, und er hat an dem Stück mitgewirkt. Während wir es an verschiedenen Orten aufführten, erfuhren wir, dass Jorge als einer der Verdächtigen eines Bankraubs verhaftet worden war.
Wir waren alle völlig schockiert aber gleichzeitig wussten wir, dass er unschuldig war. Ein Freund von uns war dem korrupten Rechtssystem zum Opfer gefallen.

Sie glauben, dass der eigentliche Grund für Matelunas Inhaftierung seine Teilnahme am bewaffneten Widerstand während der Militärdiktatur ist. Wie argumentieren Sie?

Die vermeintlichen Beweise für seine Schuld am Bankraub sind sehr schwammig. Zum Beispiel war er während des Bankraubs weit entfernt von seinem Wohnort. Er hat dafür zwar eine Begründung angegeben, aber der Richter hat ihm nicht geglaubt. Auf solchen Nichtigkeiten beruht seine Verurteilung. Angeblich wurde er während des Verbrechens von Polizisten gesehen, die ihn eine drei Kilometer lange Strecke verfolgt hätten, was kaum zu beweisen ist und aufgrund der schmalen, teils gesperrten Straßen, durch welche die Verfolgungsjagd stattgefunden haben soll, auch schwer vorstellbar ist. Die Polizisten haben sich im Laufe des Verfahrens zudem gegenseitig widersprochen. Wir sind der Meinung, dass es eine enge Kollaboration zwischen Polizisten, Richtern und Staatsanwälten stattgefunden hat. Letztendlich wollen sie alle Mateluna zurück ins Gefängnis bringen. Sie sehen es als ihre Pflicht, ihn wieder einzusperren, da er vor zwölf Jahren dank einer Begnadigung frei gelassen wurde. Hinter der Festnahme steckt eine klare Absicht.

Was kann unter solchen Umständen überhaupt noch für ihn getan werden?

Es laufen mittlerweile Prozesse gegen die Polizisten, die falsche Aussagen abgelegt haben. Ein angeblicher Videobeweis wurde im Prozess disqualifiziert. Auch Fotos von der Kleidung, die Mateluna angeblich während der Flucht abgeworfen hatte, stellten sich als Montage heraus. Wir wollen, dass dies berücksichtigt wird, wenn der Prozess wieder eröffnet wird.

Mateluna war bereits zuvor im Gefängnis, da er während der Diktatur einer bewaffneten Widerstandsgruppe angehörte. Legitimieren Sie den bewaffneten Widerstand, indem sie in diesem Fall seine Verteidigung ergreifen?

Jorge war Teil einer Guerillagruppe, die mit Waffen gegen die Diktatur gekämpft hat. Während so einer Diktatur, ist der bewaffnete Kampf völlig berechtigt, denn die Regierung hat das Land unterdrückt und besetzt. Heutzutage ist institutionelle Gewalt noch immer ein Teil unserer Kultur. Nehmen wir beispielsweise den riesigen Konflikt mit dem Volk der Mapuche im Süden Chiles, die für die Rückgewinnung ihrer Gebiete kämpfen. Dieser Konflikt wird mittlerweile mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt durchzogen, die mit aller Macht gegen die Mapuche eingesetzt wird. Ja, wir haben heutzutage freie Wahlen. Aber in die staatlichen Institutionen besteht zu Recht kein Vertrauen. Die Mapuche entwickeln also ihre eigenen Selbstverteidigungsmechanismen. Es ist nicht so, dass freie Wahlen diesen Zustand verändern – so einfach ist es nicht.

Der bewaffnete Kampf und seine Legitimität sind also immer vom politischen Kontext abhängig?

Ja. Nach dem Ende des europäischen Faschismus wurden diejenigen zu Helden erklärt, die – auch mit Waffengewalt – Widerstand geleistet hatten. In Chile war es anders. Diese Menschen wurden vertrieben, zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Und das passiert heute auch mit Jorge Mateluna. Er ist kein Einzelfall. Politische Verfolgung, ungerechte und korrupte Entscheidungen zum Schaden vieler, sind allgegenwärtig.

Sie selbst machen Theaterstücke und keinen bewaffneten Widerstand. Was kann Kunst bewirken?

Wenn die Institutionen versagen, dann bleibt uns Theater. Die Justiz hat ihre Aufgabe nicht erfüllt, deshalb machen wir diese Aufklärungsarbeit. Das bringt die Leute zusammen und mobilisiert sie. Natürlich hat Theater keine Lösung für alles, aber es schafft Gemeinschaft und animiert zur Diskussion. In unserem Fall gibt es nun eine Kampagne zu dem Thema.
Wir haben uns außerdem mehrmals mit Politikern, mit Kongressmitgliedern und mit der Menschenrechtskommission sowie mit Künstlern und Organisationen der Zivilgesellschaft getroffen. Das hat den Prozess und den ganzen Fall in Bewegung gebracht und Öffentlichkeit geschaffen. Würden die drei Polizisten, die falsche Aussagen abgelegt haben, verurteilt, könnte der Oberste Gerichtshof Matelunas Prozess wieder komplett neu eröffnen. Wir haben politische Unterstützung, aber aufgrund der Gewaltenteilung muss die Judikative den Prozess unabhängig durchführen.

Inwiefern trägt Ihr Stück auch zu einer alternativen Geschichtsschreibung bei?

Die Menschen, die gegen die Militärdiktatur Widerstand geleistet haben, wurden aus der Geschichte gelöscht. Sie wurden als Schandfleck angesehen. Ihr Kampf wurde nicht nur verschwiegen, sondern sie selbst haben ihre Vergangenheit geheimgehalten. Sie haben sich aus der Geschichte getilgt. Deshalb treten die Aktivisten in meinem Stück mit Masken auf: Es gibt diese Idee, dass man sich selbst unsichtbar machen muss und sich versteckt. Einerseits, weil man seine Niederlage nicht preisgeben möchte – die Niederlage der Revolution. Aber auch, weil es gefährlich ist, diese Vergangenheit zu erzählen. Dann passiert dir dasselbe, was Jorge Mateluna passiert ist. Erinnerungskultur ist daher umso nötiger. Es ist gefährlich, eine solche Geschichtsschreibung in die Hand zu nehmen. Aber gleichzeitig ist es die einzige Form, die diesen Kampf in einen neuen Kontext setzt: Nur so können die Menschen, die gekämpft haben, in einem neuen Licht gesehen werden. So wie meinetwegen Nelson Mandela gesehen wird: Sein Kampf wurde erkannt. Das machte ihn zum Präsidenten und verhalf ihm zum Friedensnobelpreis. Alles hängt also von der Geschichtsschreibung ab. Und dazu möchte ich mit meinen Stücken einen Beitrag leisten.


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NEIN HEIßT NEIN!

Während sich Frauen auf dem Podium im Studio I der Uferstudios Berlin angeregt über ein Frauentheaternetzwerk austauschen, das in elf lateinamerikanischen Ländern mit HIV-betroffenen Frauen arbeitet, kocht in der Küche die Suppe zum Abendessen für 100 angereiste Frauen aus verschiedenen Ländern. Auf Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Deutsch werden von Unterstützer*innen die Redebeiträge flüsterübersetzt und vom Publikum in Vorschläge zu konkreten Interventionen umgewandelt.

Viel wird in diesen Tagen auf dem II. Internationalen Festival für Theater der Unterdrückten Frauen in Berlin diskutiert, aus verschiedenen Perspektiven und mit diversen Stimmen. Organisiert wurde das Festival im September 2017 unter dem Motto „Nein heißt Nein – Ending violence against woman“ von Ma(g)dalenas Berlin, einem transnationalen feministischen Kollektiv von Aktivistinnen, das ästhetische Debatten über Unterdrückungen anregen möchte, mit denen Frauen konfrontiert sind. Vor sieben Jahren startete das Kollektiv mit Aktionen, die das Schweigen über patriarchale Dynamiken brechen sollten – unter anderem durch Forumtheater in Frauenhäusern, Bildungsinsitutionen und im öffentlichen Raum.

Das internationale Netzwerk der Ma(g)dalenas nutzt das Forumtheater, die zentrale Methode des Theaters der Unterdrückten, das auf den brasilianischen Theatermacher Augusto Boal zurückgeht. Ziel des Forumtheaters ist die Transformation der Realität auf der Bühne, der Straße und im Alltag, sozusagen als Probelauf für die reale gewaltfreie Revolution. Es ist eine interaktive Form des Theaters, in dem das Publikum eine aktive Rolle einnimmt und auf der Bühne dargestellte Situationen der Unterdrückung, die oft geteilte Erfahrungen des Publikums widerspiegeln, selbst verändert. Das Aufzeigen, Durchdenken und Testen verschiedener Handlungs-möglichkeiten ermöglicht es, konkrete Handlungsoptionen für vergangene, aktuelle oder künftige Situationen zu proben. Es soll auch helfen, dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegenzuwirken und ist daher ein empowerndes Werkzeug.

Im Jahr 2010 fanden die ersten „Laboratorien“ des transnationalen Netzwerks in Brasilien, Guinea Bissau, Mosambik und Indien statt. Unter der künstlerischen Leitung der Soziologin und Theatermacherin Bárbara Santos entstand im Jahr 2012 auch ein Ableger des Netzwerks in Berlin. Santos möchte auf Unterdrückungen von Personen, die sich als Frauen identifizieren, aufmerksam machen: „Wie können Frauen herausfinden, was es bedeutet, eine Frau in einer patriarchalen Gesellschaft zu sein? Was sind spezifische Fragen, die dieses Frausein mit sich bringt? Welche Nachteile gibt es und was braucht es für Alternativen?“ sind Fragen, mit denen sie sich im Forumtheater auseinandersetzt.

„Nein heißt Nein – No means No – No signífica No“ ist eines der legislativen Forumtheaterstücke des Festivals, inszeniert von Ma(g)-dalenas Berlin, das versucht, Antworten auf diese Fragen zu erarbeiten. Es herrscht kurze Stille, als das Licht ausgeht. Es werden viele verschiedene Szenarien dargestellt, in denen das Nein einer Frau von Freunden, Fremden oder den eigenen Partnern nicht gehört, ignoriert oder nicht respektiert wird. Die meisten können sich mit einem der Momente im Theaterstück identifizieren. Dann kommt die Frage: Wie können wir die eigenen Geschlechterkonstruktionen in der Gesellschaft de-mechanisieren? In der Diskussion werden verschiedene Vorschläge zu Interventionen gesammelt über die im Nachhinein mit der Unterstützung von Expert*innen abgestimmt wird, daher der Zusatz der Legislative.

“Wir atmen feministischen Kampf.“

Dieser und anderen Fragen wurde in „Laboratorien“ auf dem Festival nachgegangen und in eine Performance mit dem Titel „Nein heißt Nein” verwandelt, mit der die Teilnehmerinnen in einem Flashmob ihren Widerstand gegen eine Demonstration von Abtreibungsgegner*innen vor dem Brandenburger Tor zum Ausdruck brachten. Berlin ist als Stadt im Globalen Norden ein bedeutender Aktionsort für das Netzwerk, nachdem das erste Internationale Festival der Ma(g)dalenas im September 2015 in Argentinien realisiert wurde. Über die aktivistische Mobilität des Feminismus, die die Ma(g)dalenas symbolisch verbindet, bemerkt Alice Nunes, Ma(g)dalena aus Brasilien: „In Berlin zu sein, über die Ausbreitung unserer Bewegung und unseres Widerstands zu sprechen, aus der Theorie Praxis zu machen und selbstorganisierten intersektionalen Feminismus zu leben, lässt uns erkennen: Wir atmen feministischen Kampf.“

So ist die Diversität im Netzwerk hinsichtlich sozialer Klassen, Altersstufen und unterschiedlicher Kontexte die Basis für Austausch und intersektionale Praxis, und die Vermischung von Sprachen alltäglicher Bestandteil des Netzwerks, das in Lateinamerika am stärksten vertreten ist. Der Name „Ma(g)dalena” vereint daher das Spanische Magdalena und Portugiesische Madalena. Zwar sieht sich das Netzwerk mit finanziellen Herausforderungen und Visa-Komplikationen für gemeinsame Treffen konfrontiert, jedoch stärkt die Notwendigkeit und der Wunsch nach Kontinuität das Kollektiv. Bei dem viertägigen Berliner Festival waren Gruppen aus Brasilien, Guatemala, dem Baskenland und Spanien und Frauen aus der Ukraine, Guinea Bissau, Kolumbien, Argentinien und Polen anwesend. Gemeinsam mit dem Berliner Publikum erinnerten sie sich in einer begehbaren, interaktiven Ausstellung mit dem Titel „NosDuele56“ an die Mädchen, die am 8. März 2017 in Guatemala durch die Fahrlässigkeit der Regierung bei einem Brand in einem Waisenheim ums Leben kamen. Gemeinsam mit dem Anastácia-Kollektiv aus Rio de Janeiro wurden Karnevalslieder, in denen Vergewaltigung von schwarzen Frauen normalisiert thematisiert. Der Vorschlag zur Veränderung der immer noch andauernden Rhythmen der Kolonisation war, die Lieder mit neuen Texten zu versehen.

Die Wechselbeziehung zwischen Rassismus und Sexismus war auch Themenschwerpunkt der diesjährigen Veranstaltungen. Die Berliner Gruppe Kakalakas hinterfragte weiße Privilegien im Berliner Alltag und prangerte die strukturelle, kolonialistische Realität an, die in lateinamerikanischen TV-Soaps verbreitet wird. Anastácia Berlin thematisierte ihrem Forumtheaterstück „Schwarz, Black, Preta“ Rassismus, Homophobie und Diskriminierung gegenüber LBGTIQ und schwarzen Frauen am Arbeitsplatz und hinterfragte die Heteronormativität des westlichen Familienmodells. Luciana Talamonti, Ma(g)dalena Italia, war von der Performance der baskischen Gruppe Bihotzerre über die Tabuisierung von weiblicher Sexualität in verschiedenen Lebensabschnitten der Frau beeindruckt: „Es hat mich an Hexenverbrennung erinnert. Als sei es eine Gefahr, wenn eine Frau über ihren Körper Bescheid weiß. Das ist total aktuell!“

Ziel in all den verschiedenen Beiträgen des Festivals war es, praktischen, kollektiven Feminismus zu ermöglichen und transnationale Kollektivität zu leben. Dabei verbindet die unter-schiedlichen Frauen ihr politisches Anliegen. Sie sehen sich als Überlebende sexualisierter Gewalt, die lernen, „Nein“ zu sagen: „Wir wollen unsere Körper, Beziehungen und die Räume, die wir bewohnen, dekolonialisieren“, heißt es denn im ersten Ma(g)dalena-Manifest, das 2015 während dem I. Internationalen Ma(g)dalena Festival in Argentinien verfasst wurde.

Dieser politische Aktivismus und Feminismus, artikuliert in Theater und Kunst – oder Artivismus wie die Ma(g)dalenas sagen – hat in Berlin mehr als hundert Frauen mit revolutionärem Anspruch zusammengebracht. Frauen und Gruppen, die an „Laboratorien“ der Ma(g)dalenas teilnehmen, können Teil des Netzwerkes werden. Oder sie nehmen am nächsten Internationalen Festival teil, das auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden soll. Auch als Reaktion auf die Ablehnung der Visa für die Einreise nach Deutschland für das Kollektiv Fuerza Magdalena Sahara aus Algerien. Zunächst aber kommen die Ma(g)dalenas wieder im Jahr 2018 beim V. Lateinamerikanischen Treffen des Theaters der Unterdrückten in Uruguay zusammen. Dort werden sie ihren „kreativen Widerstand“ gemeinsam fortführen.


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THEATER DER UNTERDRÜCKTEN FRAUEN

 

„A través de los años me transformé:
fui santa, fui bruja, fui puta más no me callé, no me callé!
Soy fuerte y guerrera, yo soy, más no me callé, no me callé!”

(Lied des Ma(g)dalena Netzwerk)

 

Während der Kolonisation aus Europa strömend, wurden Frauenbilder und deren Unsichtbarmachung im öffentlichen Raum weitergegeben. Dieser Einfluss wurde durch Religion wie das Christentum verbreitet. Heute finden wir diese stark mit dem modernen Gesellschaftsnormen verwachsen. Das ist mit ein Grund für die Namensgebung des Ma(g)dalena Netzwerks. Die Existenz von Magdalena wird bis heute als Prostituierte interpretiert oder gar komplett geleugnet. Im Geschlechter Binarismus ist die über ihre Sexualität wissende Magdalena als Sünderin verurteilt und Maria als die heilige Jungfrau gefeiert. Erst 2016 wurde Maria Magdalena von Papst Franziskus den Aposteln gleichgestellt und damit erstmals ihre Rolle als Schriftstellerin anerkannt. Das Anliegen Schweigen zu brechen wird in Liedern, Theaterstücken und dem Ma(g)dalena Manifest deutlich. Zum Beispiel erinnert das Ma(g)dalena Anastasia Kollektiv mit der Metapher „Schrei der Anastasia” an die Mundmaske der versklavten Prinzessin Anastasia. Sie sollte mit dieser zum Schweigen gebracht werden, damit sie mit ihrer Intelligenz ihre Mitstreiter*innen nicht zum Widerstand bringen konnte. Der Schrei der Anastasia und der Ma(g)dalenas möchte 2017 in Berlin gehört werden.

Das internationale Ma(g)dalena Netzwerk wurde 2010 mit dem „Theater der unterdrückten Frauen Laboratorium“ in Rio de Janeiro und Berlin gegründet. Weitere Treffen fanden in Brasilien, Guinea-Bissau, Mosambik und Indien im selben Jahr statt. 2011 und 2013 wurde das Ma(g)dalena-Lab in Argentinien und Europa multipliziert. In La Paz, 2014 und in Matagalpa, Nicaragua, 2016 wurden Ma(g)dalena Netzwerk Treffen während dem Encuentro Latinoamericano del Teatro del Europeo umgesetzt. In Puerto Madryn, im argentinischen Patagonien wurde das 1. internationale Ma(g)dalena Festival realisiert. 2017 treffen sich über 100 Frauen aus Brasilien, Guatemala, Argentinein, Mexiko, Guine Bissau und Europa zum II internationalen Ma(g)dalena Theater der unterdrückten Frauen Festival in Berlin. Das Programm beinhaltet Forumtheater, legislatives Theater, Performance Diskussionsrunden und Interventionen im öffentlichen Raum. Der Fokus des Festivals richtet sich auf „Nein heißt Nein“ und steht im Kontext des neuen Gesetz, dass in Deutschland im November 2016 verabschiedet wurde. 2011 unterschrieben rund 40 Länder auf der Europäischen Kommission ein Nein heißt Nein Gesetz zu verabschieden. Madalena Berlin debattiert in dem legislativen Theaterprojekt „Nein heißt Nein“ die Bedeutung des Neins einer Frau und hinterfragt warum so oft dieses Nein als ein verführerisches Spiel, Entscheidungsunfähigkeit oder gar als ein Ja interpretiert wird.

Das Theater der Unterdrückten (TdU) ist eine ästhetische Methode, die den Anspruch hat, die Gesellschaft zu transformieren. Das TdU entspringt der Pädagogik der Unterdrückten entwickelt von dem Brasilianer Paulo Freire und wurde 1970 von dem Brasilianer Augusto Boal als politisches Mittel mit revolutionärem Anspruch gegründet. In den 90er Jahren wurde von der UNESCO das TdU als Method of Social Change anerkannt, heute gibt es in über 80 Ländern Praktizierende der Methode.Die Verschmelzung von Politik und Kunst wird von der Brasilianerin Bárbara Santos, die in Berlin lebt und die künstlerische Direktorin des Theater der unterdrückten Frauen (TdUF) ist mit dem Begriff des Artivismus definiert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Artikulation des Widerstands gegen diverse Unterdrückungsmuster. Personen, die als Frauen sozialisiert sind praktizieren auf vier Kontinenten in Magdalena Kollektiven Artivismus. Bereits sieben Jahre besteht das Anliegen der Mitglieder einer globalen Gesellschaft, in dem transnationalen Theater der unterdrückten Frauen-Netzwerk durch Feminismus und Theater, Strukturen aufzubrechen. Im Rahmen des Artivismus der Ma(g)dalenas werden anhand von Forumtheater, Performance und Aktionen, Geschichten von Frauen auf die politischen Machtmechanismen übertragen und im öffentlichen Raum zur Debatte gestellt.

Die Methoden des TdUF stellen einen Raum dar, in dem gewohnte Lebensformen und Geschlechterungleicheitsverhältnisse, die den Alltag bestimmen, transformiert werden können. Diese Theaterpraxis der Ma(g)dalenas beinhaltet ein Transformationspotential, welchem wir während dem Festival gemeinsam, die Zuschauer*innen und Schauspielerinnen Teil werden. Im Forumtheater wird die Barriere zwischen Schauspieler*innen und Zuschauer*innen aufgelöst indem wir alle zu Zuschauspieler*innen der erprobten Revolution auf der Bühne werden.

Aus unserer Perspektive als Ma(g)dalenas müssen Maßnahmen ergriffen werden und Feminismus aktiv im Alltag praktiziert werden. Wir sind der Meinung, dass eine universelle Form des Feminismus, eine Feminismus Definition oder eine Feministin zu sein nicht universell definierbar ist. Die Anwendung von Feminismen im Plural erfasst diese Diversität des Feminismus und erwägt eine Überlagerung, die sich in unserem Netzwerk wieder spiegelt. Wir sind Frauen verschiedener Herkunft, Alter und mit unterschiedlichen Geschichten von denen wir gegenseitig anlehnend an die Idee von Intersektionalität voneinander lernen. Unsere feministische Vision von sozialer Veränderung und Gerechtigkeit hat eine kollektive Kraft. Unterdrückung ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass in sozial bedingten Unterdrückungsstrukturen wie Rassismus und Sexismus verankert ist. Unterdrückung entsteht durch politische Verhältnisse und Machtbeziehungen für die wir mit allen Teilnehmer*innen nach Alternativen suchen.

Magdalena als ein transnationales Frauennetzwerk bildet sich aus dem Echo der Frauenbewegungen heraus und findet sich in der Methode des Theater der Unterdrückten wieder. Unsere Verflechtungsbeziehungen prägen unsere antirassistischen und intersektionalen Perspektive eines Feminismus woraus wir die Notwendigkeit erkennen, politische Räume zu schaffen, in denen gemeinsame Kämpfe existieren können. Gemeinsam versuchen wir Interventionen über die eigene Sozialisation hinaus im Rahmen des patriarchalen System zu analysieren, sowie Handlungsmacht und Rechte durch politische Aktivität zu erlangen.

In diesem Sinne sagen wir Nein heißt Nein ! Für eine Ende der Gewalt an Frauen!

Wir sehen uns bei dem II. Internationale Ma(g)dalena Festival in Berlin von 13. – 17. September gemeinsam. Wir freuen uns auf euer kommen!

Madalena Berlin

 


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