Yuly, du bist Fischerin und Aktivistin. Wie können wir uns einen normalen Arbeitstag bei dir vorstellen?
An einem typischen Tag verlasse ich mein Haus, steige ins Kanu, fahre den Kanal Caño San Silvestre herunter und beobachte die lokale Fauna, die Seekühe, die Affen und all die schöne Tierwelt. Gleichzeitig kontrollieren wir die Verschmutzung der Gewässer, machen Notizen und nehmen Fotos mit Koordinaten auf. Auf diese Weise erstellen wir eine Aufzeichnung über die tägliche Entwicklung der Gewässer und der Kontamination. Danach frühstücken wir im Boot und fahren durch das Sumpfgebiet oder die umliegenden Kanäle.
Du hast dich bei deiner Rede während des Klimastreiks von „Fridays For Future“ hier in Berlin als Amphibienfrau bezeichnet. Was bedeutet das?
Ich bin eine Amphibienfrau, weil ich mich mehr im Wasser aufhalte als zu Hause. Nach Hause gehe ich nur zum Schlafen. Ich liebe es zu schwimmen und im Wasser zu sein. Für mich ist es kein Problem, mich aus dem Kanu in den Fluss oder ins Gewässer zu stürzen. Wir Fischer*innen in Barrancabermeja arbeiten mit unseren Netzen, Angelschnüren und Haken auf traditionelle Art und Weise. So halten wir die traditionelle Fischerei am Leben und verdienen unseren Lebensunterhalt.
Und wie genau schützt ihr das Ökosystem?
Wir schützen die Umwelt, indem wir zum Beispiel Reinigungsaktionen durchführen, an denen wir mit allen Fischer*innen einen ganzen Tag lang die Gewässer von Verschmutzungen durch Abfälle säubern. Am Ende des Tages rufen wir die Müllabfuhr, die die Abfälle einsammelt, damit sie nicht an den Ufern des Flusses oder im Sumpf zurückbleiben. Eine andere Möglichkeit, die Umwelt zu schützen, besteht darin, der Natur zuzuhören und den Lebensraum der Tiere und Pflanzen zu respektieren. Wenn es beispielsweise in einem Gebiet keine einheimischen Bäume mehr gibt, dann pflanzen wir neue an und versuchen so, das Ökosystem aufrechtzuerhalten.
Welche Aktivitäten haben einen besonderen Einfluss auf die Ökosysteme der Region und wie hat sich diese Situation in den letzten Jahren verändert?
Barrancabermeja hat viele Gewässer, Flüsse, Sümpfe und Kanäle. Leider sind die meisten von ihnen durch die Industrie, menschliche Siedlungen und Monokulturen verschmutzt, wodurch das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät. Ich wurde in Puerto Casabe geboren. Damals waren die Fische, die wir gefangen haben, riesig, teilweise so groß wie ich, 1,58 Meter. Schon als kleines Kind brachten mir meine Großeltern bei, den Fluss zu schützen. Wir hatten keine Spielzeuge und spielten mit den Krabben, die wir an den Stränden fanden, und begannen so, die Natur zu schätzen.
Heute hat sich das alles verändert. Dreißig Jahre später sind die Fischbestände stark zurückgegangen. Auch der Wasserstand ist gesunken und viele Kanäle sind verschwunden. Stattdessen gibt es jetzt Ablagerungen von Giftstoffen, wie im Kanal Caño Rosario, der direkt mit der Raffinerie von Ecopetrol verbunden ist. Alle giftigen Abfälle werden hier eingeleitet und gelangen schließlich in den Caño San Silvestre. Genau dort brüten viele Tiere. Es ist das Zuhause aller Fische, die aus den umliegenden Flüssen wie dem Río Magdalena kommen, dem Herzen Kolumbiens.
Ihr habt die Ölraffinerie wegen der Verschmutzung der Gewässer in der Region bereits angezeigt. Welche Akteur*innen seht ihr noch in der Verantwortung?
Die Verschmutzung geht weiter und die verantwortlichen Personen in den Behörden treffen keine entscheidenden Maßnahmen, um die Gewässer und uns zu schützen. Deswegen richtete sich die öffentliche Klage auch gegen die Stadtverwaltung und die Corporación Autónoma Regional de Santander (CAS), die als öffentliche und autonome Behörde die Einhaltung von Umweltauflagen in der Region sichern sollte.
Mit deiner Arbeit stehst du häufig im Mittelpunkt der Öffentlichkeit und arbeitest unter großem persönlichen Risiko. Wie beeinflusst die Arbeit als Umweltaktivistin deine Sicherheit?
Ich erhalte regelmäßig Drohungen, wurde mehrfach angegriffen und bin stark in meiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Ich kann nicht alleine einkaufen gehen, sondern muss immer von zwei Leibwächtern begleitet werden, wenn ich das Haus verlasse. Viele meiner grundlegenden Menschenrechte werden regelmäßig verletzt: das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Arbeit und das Recht, die Umwelt und meine Lebensgrundlage zu verteidigen. Meine Arbeit ist zu einem finanziellen, sozialen und politischen Risiko geworden. Auch meine Familie leidet unter dieser Sicherheitslage und der Stigmatisierung.
Was motiviert dich, trotzdem weiterzumachen?
Das ist die besondere Verbindung, die ich zur Natur und zu den Tieren habe. Wir Fischer*innen sind diejenigen, die Futter- und Trinkstationen für die Tiere aufstellen, damit sie genug Nahrung zum Überleben haben. Wir sind diejenigen, die diese besondere und direkte Verbindung zu all den Arten in unserem Ökosystem pflegen. Deshalb sagen wir: Wenn die Natur leidet, leiden auch wir.
Ich habe das Gefühl, dass die Umwelt mit uns spricht. Der Fluss weint, die Sümpfe und Gewässer weinen, sie schreien um Hilfe, aber uns fehlt manchmal dieses Gefühl der Zugehörigkeit. Wir als Menschen müssen lernen und anfangen, den Tieren und der Natur zuzuhören. Sie können uns noch so viel beibringen.