„Unabhängig und nicht neutral“

Foto: Privat

Du arbeitest als Community-Journalist mit dem Fokus auf Umweltthemen und Menschenrechte. Wie bist du dazu gekommen?
Meine Oma sagte mir immer, dass meine Maya-Sprache meine Identität sei. Seit ich anfing, im öffentlichen Radio zu arbeiten, hat es mir gefallen, in meiner Sprache zu sprechen. Das war damals aber nicht gestattet. Ich brach diese Regel und gewann so eine große Hörerschaft. Das wiederum gefiel den kommerziellen Rundfunkunternehmen, sie stellten mich an und ich lernte viel.
Ich störte mich immer mehr an den Ungerechtigkeiten, die in meinem Land geschehen. Als Journalist, der in den kommerziellen Medien als Radiomoderator arbeitet, hatte ich jedoch redaktionelle Vorgaben, die es mir nicht erlaubten, alle Seiten der aktuellen Konflikte zu zeigen. Ich entschied mich daher, unabhängig zu werden und bei diesen Rundfunkunternehmen zu kündigen.

Was bedeutet für dich Community-Journalismus?
Der Community-Journalismus ist für uns Journalisten nicht nur ein Kommunikationsmedium, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber unseren Gemeinschaften. Es gibt immer eine Realität, die ohne die freien Medien nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Der Community-Journalismus dokumentiert diese.

Wir haben bereits Aktivist*innen interviewt, die den Begriff Community-Feminismus verwenden. Community-Feminismus, Community-Journalismus: In den letzten Jahren scheint da eine neue Bewegung, ein neues Bewusstsein zu entstehen…
Ich glaube, Community-Journalismus gab es schon immer. Jede Gemeinschaft sollte ihren eigenen Journalismus entwickeln, denn daraus entsteht das Narrativ, was diese Gemeinschaft ausmacht. Zum Beispiel ist es wichtig, Wasser, Erde und Wälder nicht als natürliche Ressourcen zu bezeichnen, sondern als Naturgüter oder Lebensressourcen. Genauso wie der feministische Journalismus auch seine eigenen Begriffe verwendet: Es ist wichtig, nicht von Tötung oder von einem Beziehungsdelikt, sondern von einem Feminizid, einem Frauenmord zu sprechen. Denn wir müssen die Dinge so benennen, wie sie sind.
Wenn wir also über einen Community-Journalismus sprechen, der die Vielfalt berücksichtigt, so müssen wir auch die Narrative der betreffenden Gemeinschaft verwenden und vorsichtig mit unseren Ausdrucksformen sein. Denn in den kommerziellen Medien heißt es beispielsweise, „es gibt eine Blockade durch eine Gruppe von Terroristen“. Der Community-Journalismus und seine Darstellung kommen jedoch von den Gemeinschaften selbst. Aus seiner Perspektive lautet die gleiche Nachricht dann: „20 Menschen aus dieser oder jener Gemeinschaft demonstrieren friedlich, weil sie mit einem bestimmten Thema unzufrieden sind.“ Das verändert das Narrativ und hilft uns allen.

Warum ist es so wichtig, dass alle Seiten beleuchtet werden?
Viele Menschen behaupten von sich, neutral zu sein. Mir wurde oft gesagt, „Carlos, so weit können wir nicht gehen, wir können diese Grenzen nicht überschreiten“. Mir hat der Journalismus jedoch geholfen, die Dinge so zu benennen, wie sie sind. Ich denke, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass man durch Neutralität auch zum Komplizen wird. Man macht sich mitverantwortlich für Umweltzerstörung, sogar für einen Völkermord, wenn man die Dinge nicht benennen will oder verschweigt. Dann wird man zum Mittäter von Menschenrechtsverletzungen.

Dein und auch unser Journalismus sind nicht neutral. Aber sollten wir nicht möglichst alle zu unseren Themen befragen und auch die Gegenstimmen mit einfangen?
Die Akteure unserer Berichterstattung sollten auch aus unseren Gemeinschaften kommen. In meinem Fall als Umwelt- und Menschenrechtsjournalist sind es die Vertreter*innen dieser Gemeinschaften, der sozialen Bewegungen, es werden auch die Stimmen der Frauen aus der Gemeinschaft sein. Dagegen kann ich nicht zum Präsidenten oder zu den Politiker*innen gehen, denn die haben ihre eigenen Senderäume, für die sie bezahlen. Umgekehrt bestimmt auch der Community-Journalismus seine Akteure selbst.

Du wurdest jahrelang mit Anklagen, Haftbefehlen und Morddrohungen konfrontiert. Hast du nie daran gedacht, aufzuhören, so wie andere?
Viele haben mich für verrückt erklärt, weil ich weitermache. Ich hätte doch bereits einen Haftbefehl und sollte das Unterfangen besser ruhen lassen. Aber ich habe gesagt, nein, ich werde weitermachen.

Was hat es für dich bedeutet, als Anfang 2024 die Anklagen und polizeilichen Auflagen gegen dich fallen gelassen wurden?
Das war der Moment, der mein Leben wieder veränderte. Ich konnte neu beginnen, vorher musste ich mich alle 30 Tage bei der Polizei melden. Unter solchen Umständen kann man nicht richtig arbeiten, denn alles, was du publizierst, kann gegen dich verwendet werden. Es ist schlimm zu wissen, dass überall auf der Welt Journalist*innen kriminalisiert werden. Ich denke aber auch, dass wir angesichts der Situation von Einschränkungen, Restriktionen und Zensur einen großen Erfahrungsschatz gesammelt haben, wie wir uns immer wieder neu erfinden und unsere Arbeit weiterführen können.

Anmerkung: Das Interview ist eine verschriftlichte, leicht veränderte Version des zunächst von NPLA als Podcast veröffentlichten Gesprächs: https://www. npla.de/thema/kultur-medien/comunity-journalismus-wir-sind-nicht-neutral/


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// Solidarität statt Schockstarre

Am 8. März werden wir auf die Straße gehen, um für die Rechte von Frauen und queeren Menschen zu kämpfen. Eigentlich wollten wir dieses Editorial dem sich ausbreitenden Faschismus widmen und der Notwendigkeit, weiterhin feministisch aktiv zu sein, um diese Rechte zu verteidigen. Dann stellten wir fest, dass wir genau dieses Edi schon letztes Jahr geschrieben hatten (siehe LN 597). Diese Feststellung ist keineswegs nur ein Déjà-vu, sondern veranschaulicht eine besorgniserregende Realität: Die Situation bleibt nicht etwa nur gleich, sie wird sogar schlimmer. Vor diesem Hintergrund haben wir uns die Frage nach unserer Rolle als unabhängigem Medium gestellt. Die Presse wird zwar oft als „vierte Gewalt“ bezeichnet, doch ihre Unabhängigkeit ist heute weltweit enorm gefährdet.

Ein unabhängiges Medium zu sein bedeutet, zuverlässige Informationen zu produzieren, die frei von politischen und wirtschaftlichen Vorgaben sind. Diese Möglichkeit ist keine Selbstverständlichkeit: In Mittelamerika ergab eine Studie der Universität von Kalifornien, dass bei sieben von zehn Journalist*innen der Staat über ihre Veröffentlichungen Kontrolle ausübt. Acht von zehn sehen Drohungen und Druck als unvermeidlichen Alltag an. Angriffe auf die Presse sind kein isoliertes Phänomen und steigen nicht nur in diesen Teilen der Welt an: Sie folgen einem eingespielten Muster. Überall dort, wo autoritäre Regime an die Macht kommen, greifen sie in erster Linie unabhängige Medien an. Denn diese stören: Sie recherchieren, prangern an, decken Korruption und Menschenrechtsverletzungen auf.

In vielen sogenannten demokratischen Ländern wie auch Deutschland gibt es zwar keine offizielle Zensur, dafür aber ein komplizenhaftes Schweigen zu heiklen Themen: Femizide, Polizeigewalt, linker Aktivismus usw. Das liegt unter anderem daran, dass unabhängig zu sein nicht bedeutet, frei von Zwängen zu sein. Die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Stimmung und das Werben um die Gunst der Leser*innen kann indirekt Druck auf Redaktionen aufbauen.

Noch viel direkteren Einfluss nimmt die Finanzierung durch Förderungen: Im Januar 2025 fror die Trump-Regierung mehr als 268 Millionen US-Dollar ein, die für die Unterstützung unabhängiger Medien vorgesehen waren und versetzte viele lateinamerikanische Medien in Schock (siehe Seite 30). Die finanzielle Lage vieler unabhängiger Medien ist instabil. In einer Zeit, in der Milliardäre zeitgleich die meisten großen Medien aufkaufen und so zur Verankerung rechtsextremer Ideen im gesellschaftlichen Diskurs beitragen, ist die Unterstützung unabhängiger Strukturen ein Akt des Widerstands.

Unabhängigkeit ist nicht mit Neutralität gleichzusetzen. Sich zu weigern, im Sold der Mächtigen zu stehen, heißt, kritisch und engagiert Bericht zu erstatten, sich nicht den Interessen großer Unternehmen zu beugen, sondern denen eine Stimme zu geben, die sonst zu wenig Gehör finden. Es ist oft investigativem Journalismus zu verdanken, dass Menschenrechte vorangebracht werden: So hat beispielsweise die Berichterstattung über die dramatische Realität illegaler Abtreibungen den Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch befeuert (siehe Seite 40).

Den unabhängigen Journalismus zu unterstützen bedeutet, einen Raum zu verteidigen, in dem Kritik möglich ist, in dem feministische, queere, antirassistische und soziale Kämpfe kompromisslos weitergetragen werden können. Es bedeutet auch, Solidarität aufzubauen, Netzwerke zu bilden und sich gegenseitig zu schützen. In diesem Sinne rufen wir zu Spenden auf, um unabhängige und feministische Medien in Lateinamerika zu unterstützen (siehe Nebenseite). Denn „kritisch, solidarisch, unabhängig“ sind nicht nur Worte, sondern Prinzipien, für die wir uns seit unserer Gründung einsetzen.


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