“DIE UNIVERSITÄT GEHÖRT NICHT DIR, SONDERN UNS”

Studierendenorganisation Tejido Blockade des Rektorats der Universität San Carlos in Guatemala-Stadt (Foto: E. Blanco)

Die Kandidatur von Mazariegos war von Anfang an umstritten, die Opposition warf ihm vor, bei seiner Kandidatur von Präsident Alejandro Giammattei unterstützt worden zu sein und damit den Autonomiestatus der Universität zu gefährden. Seit einem halben Jahr haltet ihr als Studierende nun Teile der Universität besetzt. Was war der Auslöser für diese Form des Protests?
Die Proteste begannen im Museum der Universität, dem Ort an dem die Wahl des Rektors eigentlich stattfinden sollte. Bereits vor dem ursprünglichen Termin gab es einige Unregelmäßigkeiten, die zeigten, dass Walter Mazariegos bevorzugt werden sollte.

Wodurch zeigten sich diese Unregelmäßigkeiten?
Das hat mit der Besetzung des Wahlgremiums zu tun. Die zehn Fakultäten der Universität wählen jeweils zehn Repräsentanten; fünf Dozenten und fünf Studierende. Dann gibt es noch 14 Berufsverbände, die auch jeweils zehn Repräsentanten wählen und somit mehr Macht haben als die Fakultäten. Innerhalb dieser Berufsverbände gibt es Gruppen, die schon früh versucht haben, die Wahl zu manipulieren, indem sie von den oppositionellen Vertretern Dokumente forderten, die sie innerhalb der angegebenen Frist gar nicht einreichen konnten.
Der Hochschulrat hat dann 35 Mitgliedern des Wahlgremiums kurz vor der Wahl die Akkreditierungen entzogen. Diese Personen haben die Durchführung der Wahl am 27. April dann zusammen mit weiteren Demonstranten verhindert. An diesem Tag haben wir die Universität das erste Mal besetzt.

Wie ging es danach weiter?
Knapp zwei Wochen später gaben die Autoritäten einen neuen Termin für die Wahl bekannt, die nur fünf Tage nach der Ankündigung, nämlich am 14. Mai, stattfinden sollte. Obwohl gesetzlich festgelegt ist, dass ein Wahltermin mindestens zwei Monate im Voraus bekannt gegeben werden muss. Als Ort wurde der Parque de la Industria auserwählt, ein Privatgelände fernab der Universität.

Was war an diesem 14. Mai anders als sonst?
Dieser Tag war sehr düster. Als wir Studierende an dem Ort ankamen, erwartete uns ein riesiges Aufgebot von Polizei und Sicherheitskräften. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menschen am Zutritt zum Gebäude zu hindern. Somit gelang es uns nicht, die Wahl ein zweites Mal zu unterbinden. Dann fand die Wahl ohne Gegenkandidaten statt. Nur mit den Stimmen derer, die die offizielle Leitung der Universität repräsentieren. Diese Geschehnisse zeigen den Mangel an Demokratie, unter dem Guatemala aktuell leidet.

Haben die Geschehnisse einen Einfluss auf die Präsidentschafts- und Kongresswahlen, die 2023 stattfinden?
Im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr haben die Eliten durch die Wahlen an der Universität auch ein Signal gesendet, dass sie an ihrer Macht festhalten werden.
Die USAC hat als einzige der guatemaltekischen Universitäten verschiedene demokratische Funktionen, so können zum Beispiel Gesetzesvorschläge präsentiert werden, die Vertretung der Universität hat ein Stimmrecht bei der Wahl zum Verfassungsgericht und ist im Justizsektor vertreten, um nur ein paar Funktionen zu nennen.
Diese politischen Machtfunktionen würden sich die Vertreter der Regierung gerne sichern, gerade im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr. Sie möchten ihre Macht auf alle öffentlichen Institutionen verteilen. Darunter leidet die Rechtsstaatlichkeit.

Wie wirkt sich diese fehlende Rechtsstaatlichkeit auf die Proteste aus?
Gerade sind uns die Hände gebunden, viele junge Leute haben Angst zu protestieren, auch weil es schon viele Fälle von Polizeigewalt gab. Und viele ältere Leute haben nach wie vor Angst aufgrund des bewaffneten Konflikts. Die 36 Jahre des Krieges haben sehr viel Angst verbreitet. Wir haben als Land nie eine richtige Freiheit erlangt. Daher kann ich auch viele Leute verstehen, die nicht an den Protesten teilnehmen wollen. Und leider gibt es auch viele Leute, denen es egal ist, wenn die Universität privatisiert wird, denen es egal ist, was mit den öffentlichen Institutionen passiert.

Gibt es Versuche seitens der Universitätsleitung euch einzuschüchtern, um weitere Proteste zu verhindern?
Ja, die gibt es. Der Direktor des Bereichs Kommunikationswissenschaften zum Beispiel hat einem Studenten aus dem Vorstand der Fakultät seine administrativen Funktionen entzogen, obwohl er nicht das Recht dazu hatte. Dieser Student hatte sich zuvor sehr deutlich gegen den Wahlbetrug positioniert. Auch meine Freundin wird von den Autoritäten kriminalisiert. Ihr wird widerrechtliche Aneignung des Universitätsgeländes vorgeworfen, obwohl es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, da sie zuvor einen Vertrag mit der Universität unterzeichnet hatte, der sicherstellt, dass sich ihre Handlungen in einem legalen Rahmen befinden.

Wie schafft ihr es, die Proteste trotz dieser schwierigen Situation aufrecht zu erhalten?
Die Unterstützung der Dozenten ist enorm und viel größer als bei vorherigen Protesten. Am 4. August drangen bewaffnete Personen in das Universitätsgelände ein und setzten ein Auto in Brand. Daraufhin kam die Feuerwehr und Personen aus der Universitätsleitung nutzten die Situation, um das Gelände ebenfalls zu betreten. Wir baten um Unterstützung und waren überwältigt von der Antwort anderer Studierender und Dozenten. Nur gemeinsam ist es uns gelungen, die Personen wieder zu vertreiben und das Gelände zurückzuerobern. Ohne die Unterstützung der Dozenten hätten wir die Besetzung nicht seit einem halben Jahr aufrechterhalten können.

Ist es euch darüber hinaus gelungen, Allianzen mit anderen Gruppen zu bilden?
Ja, wir unterstützen schon seit einer Weile CODECA (Komitee für bäuerliche Entwicklung) sowie weitere Landarbeiterorganisationen und haben versucht, mit diesen Gruppen Allianzen zu bilden. Das ist aufgrund der geografischen Verhältnisse nicht immer einfach. Für die Landarbeiter ist es schwierig, von ihren Gebieten in die Hauptstadt zu reisen und wir sind aufgrund der Besetzung an die Universität gebunden. Aber es haben einige gemeinsame Treffen stattgefunden und sie haben uns einen Monat lang mit einer Gemeinschaftsküche unterstützt und für uns gekocht.

Denkst du, die Treffen mit diesen Gruppen sind wichtig?
Ja. Ich bin dafür, dass wir diese Allianzen bilden, da ich glaube, dass der guatemaltekische Staat reformiert werden muss. Der Staat in seiner jetzigen Form sollte beerdigt werden und an seiner Stelle sollte ein plurinationaler Staat entstehen. Für die Ausrufung eines plurinationalen Staates gibt es mehrere Vorschläge von verschiedenen Organisationen, aber bisher ist es nicht gelungen, diese Vorschläge zu vereinen. Als Studierende sollten wir dabei helfen, diese Allianzen zu bilden, damit sich der Staat erneuern kann.

Konntet ihr als Bewegung konkrete Erfolge feiern?
Was wir fordern, ist der Rücktritt des Rektors, das haben wir bisher nicht erreicht. Aber die Bewegung wächst. An der Spitze einiger Studierendenverbände standen Personen, die auf der Seite der Universitätsleitung waren, diese wurden nun abgesetzt. Und wir arbeiten daraufhin, dass der Hochschulrat mit Mitgliedern besetzt wird, die unsere Bewegung unterstützen. Der Dekan der agrarwissenschaftlichen Fakultät gab kürzlich aufgrund des Betrugs seinen Rücktritt bekannt, hat dieses Versprechen aber noch nicht umgesetzt. Die Kämpfe, die wir austragen, sind langwierig und manchmal fühlt es sich so an, als würden wir nichts erreichen. Aber kleine Erfolge konnten wir schon erzielen. Am wichtigsten ist es doch, dass die Bewegung wächst und wir weiterhin den Raum haben, um unsere Kämpfe auszutragen.
Außerdem haben wir erreicht, dass Mazariegos nicht einen Fuß in das Gebäude setzt, in dem sich das Rektorat befindet, das ist für mich am wichtigsten. Auf diese Art lassen wir ihn wissen: Die Universität gehört nicht dir, sondern uns.

Was ist deine persönliche Motivation, um die Besetzung aufrecht zu erhalten?
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich an einer öffentlichen Universität studieren kann. Ich komme aus ärmeren Verhältnissen und hätte es mir nie leisten können, eine private Universität zu besuchen. Meine Mutter hat die Schule nur bis zur sechsten Klasse besucht. Ich unterstütze sie seit einigen Jahren, damit sie die Sekundarstufe nachholen kann. Ich möchte meiner Mutter ermöglichen, was sie mir ermöglicht hat. Deshalb darf die Universität nicht privatisiert werden. Meine Mutter und meine Schwester werden die Schule beide nächstes Jahr beenden und dann sollen sie auch studieren. Ich sehne mich danach, ihnen das ermöglichen zu können. Aber nicht nur meiner Mama und meiner Schwester, sondern der gesamten Bevölkerung Guatemalas. Das ist meine Hoffnung. Ich möchte, dass alle Menschen die Möglichkeit auf eine akademische Ausbildung haben. Das darf kein Privileg sein, Bildung ist ein Menschenrecht.

„TÄGLICH SIND WIR BESSER ORGANISIERT“

„Wir sind die Angst der Regierungen, die im Namen der Wahrheit lügen.“ Am Eingangstor einer besetzten Universität

Was sind die Gründe für die Besetzung der Universität?
Rolando: Die Gründe sind vielfältig, ein zentraler Punkt ist aber die geplante Privatisierung der San Carlos Universität, der einzigen öffentlichen Universität des Lande (mit Standorten in verschiedenen Städten; Anm d Red.). Die Universitätsleitung hat eine Erhöhung der Gebühren für jedes Examen von 50 auf 100 Quetzales (etwa 6 € bzw. 12 €, die Red.) beschlossen und die Kosten für notwendige Kurse vor Beginn des Studiums von 350 auf 1.000 Quetzales pro Kurs erhöht (etwa 41€, bzw. 118€). Wenn man zum Beispiel fünf Kurse machen muss, sind das 5.000 Quetzales (590€). Viele Studenten haben nicht die Möglichkeit, das zu bezahlen.
Carlos: Ein anderer Punkt ist ein Abkommen der Universitätsleitung mit der Industriekammer: Praktika sollen in privaten Firmen gemacht werden. Medizinstudenten werden ihre Praktika dann zum Beispiel nicht mehr in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen auf dem Land machen, wo der Bedarf am größten ist, sondern zum Beispiel im privaten Krankenhaus hier in Quetzaltenango.

Wie ist die Situation der Besetzer*innen und was sind ihre Forderungen konkret hier für Quetzaltenango?
Rolando: Die Besetzung der San Carlos Universität hier in Quetzaltenango ist Teil eines landesweiten Kampfes, es gibt Besetzungen überall im Land. Wie gesagt: die zentrale Forderung ist das Nein zur Privatisierung, als regional größtes Universitätszentrum außerhalb der Hauptstadt sind wir an der Seite des Kampfes an der Universität in der Hauptstadt. Wir in Xela (Kurzform für Quetzaltenango; Anm d. Red.) haben noch eine Reihe weiterer Forderungen, zum Beispiel die der besseren Qualifizierung der Dozentinnen und Dozenten, von denen viele nicht in ihrem Fachgebiet unterrichten und nicht ausreichend vorbereitet sind für ihren Unterricht. Des Weiteren fordern wir, weitere Studiengänge zu schaffen. Fächer wie zum Beispiel Geschichte, Sozialwissenschaft oder Politik fehlen hier völlig, dabei ist in Xela der zweitgrößte Standort der San Carlos Universität im ganzen Land.
Carlos: Wir wollen auch mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung schaffen, zum Beispiel bei der Universitätsleitung. Der aktuelle Rektor für Quetzaltenango ist seit acht Jahren im Amt, aber er wurde nie von den Studenten gewählt.

Gibt es Unterstützung aus der Bevölkerung?
Rolando: Ja, es gibt viel Unterstützung, viele Personen solidarisieren sich mit uns, kommen hier an das Tor der Universität und bringen Lebensmittel vorbei. Die Mehrheit der Studentinnen und Studenten und auch der Dozentinnen und Dozenten unterstützt den Kampf, nicht alle, aber die große Mehrheit. Es gibt Veranstaltungen, Foren und Kulturveranstaltungen hier vor den Toren der besetzten Universität.

Und die Unterstützung durch Organisationen?
Rolando: Auch die ist gut, allen voran seitenss der Gewerkschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter der Universität. Ein Vertreter des Menschenrechtsobmannes für Guatemala war die ersten Tage der Besetzung hier vor Ort und hat uns unterstützt.

Die Tendenz zur Privatisierung der Universitäten ist in Guatemala kein Einzelfall…
Carlos: Die Privatisierung der Bildung, Gesundheit et cetera. ist eines der zentralen Geschäfte heute in Guatemala. Seit Jahren betreiben alle Regierungen in Guatemala diese Politik der Privatisierung. Die öffentliche Bildung und Gesundheit werden jahrelang nicht verbessert, um dann die Privatisierung als angeblichen Ausweg zu präsentieren. Neben großen Teilen der Gesundheitswesens und des Bildungssystems sind beispielsweise die Strom- und Wasserversorgung seit langem privatisiert. Jetzt geht es um die staatlichen Universitäten – aktuell die Gebührenerhöhung und in ein paar Jahren dann wahrscheinlich die vollständige Privatisierung.

Wie lange wollen Sie die Proteste fortsetzen?
Antonio: Wir setzen die Proteste fort, bis die Universitätsleitung die Gebührenerhöhung zurücknimmt. Bisher gab es keine direkten Gespräche zwischen uns und der Universitätsleitung, für die kommende Woche ist aber ein Gespräch geplant.

Gibt es Repression gegen Sie?
Rolando: Bisher gab es keine Drohungen oder Konfrontation von Seiten der Polizei oder der Armee. Die San Carlos Universität hat einen Autonomiestatus und ist öffentliches Eigentum. Auf Beschluss der gewählten Gremien der Studierenden wurde es jetzt besetzt. Zurzeit versuchen sie eher, uns mit Desinformation zu schaden und zu spalten, aber das wird ihnen nicht gelingen, täglich sind wir besser organisiert.
Antonio: Aber wir kennen natürlich die Geschichte unseres Landes, wir wissen wie viele politisch aktive Studierende ermordet wurden während des Bürgerkrieges. Daher treten wir in der Öffentlichkeit zurzeit auch nur maskiert auf. Die Repression in der Vergangenheit hat auch die Privatisierung gefördert, viele Leute hatten Angst vor der Repression und haben es deshalb vorgezogen, an einer privaten Universität zu studieren.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

 

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