NÄHRSTOFFREICHE OASE IN DER STADT

Üppige Ernte Urbane Landwirtschaft (Foto: FOCAPACI)

Wie ernährt sich eine Stadt auf 4.150 Höhenmetern?
Ursprünglich bekam El Alto Nahrungsmittel nur vom Land, entweder vom Altiplano, aus den tiefer liegenden Gebieten oder aus der Region östlich der Stadt. In den letzten Jahren sind viele Menschen vom Land in die Stadt gezogen, weil die Regierung den ländlichen Raum nicht unterstützt hat und sie von ihrem Anbau nicht mehr leben konnten. Sie wissen viel über den Anbau in der Region. Auf dem Land haben sie zum Beispiel Salat, Kartoffeln, Bohnen, Gerste und Pfirsiche geerntet. In der Stadt nutzen sie Gewächshäuser, sogenannte carpas solares, und konnten so ihre Anbaupflanzen noch diversifizieren.

Welche Produkte ernten die Menschen in den Gewächshäusern?
In den Gewächshäusern herrscht ein Mikroklima, das günstiger für den Anbau verschiedener Pflanzen ist als das trockene Klima in El Alto. So können die urbanen Landwirt*innen bis zu 60 verschiedene essbare Pflanzen kultivieren. Zu denen, die am besten wachsen, gehören verschiedene Salatsorten, Minze, chilto (Baumtomaten, Anm. d. Red.), Mangold, Sellerie und Erdbeeren, aber auch Oregano und Petersilie.
Woher kommt denn das Wasser für den Anbau in der Stadt?

Die meisten Familien benutzen ihr Leitungswasser. Manche, vor allem am Stadtrand, haben auch Brunnen. In den letzten Jahren haben die urbanen Landwirt*innen außerdem angefangen, Regenwasser zu sammeln und Abwasser wiederzuverwenden, denn durch den Klimawandel wird der Wassermangel hier wirklich schlimm werden. Das Regenwasser hat den Vorteil, dass es kein Chlor enthält, das im Leitungswasser meistens enthalten ist.

Wie sieht es mit Schädlingskontrolle aus?
Zum einen nutzen die Landwirt*innen Produkte aus Pflanzen wie Knoblauch und Zwiebeln. Die töten zwar nicht alle Schädlinge, aber sie reduzieren sie. Dann ist es auch hilfreich, die verschiedenen Pflanzen geschickt zu kombinieren, so dass sie einander vor Schädlingen schützen. Auch Nützlinge wie Marienkäfer, Spinnen und Wespen kommen zum Einsatz. Und schließlich gibt es einige Schädlinge, die einfach per Hand abgesammelt werden.

Verkaufen sie die Produkte auch und wenn ja, an wen?
Es ist nicht das eigentliche Ziel unseres Projekts, Geschäfte zu machen. Wir wollen vielmehr, dass die Familien, die die Produkte anbauen, sich möglichst vielfältig ernähren können. Dennoch gibt es Überschüsse und die müssen verkauft oder verschenkt werden. Eine Gruppe von etwa 30 Frauen widmet sich nur dem Verkauf der Produkte. Sie haben dafür extra ein zweites Gewächshaus gebaut. Sie verkaufen auch Produkte von anderen Familien. Die Frauen leben am Stadtrand, organisieren aber in La Paz und El Alto regelmäßig die Märkte Eco Huerta (Biogarten) und Maravilla Alteñas (Wunder aus El Alto). Außerdem bieten sie ihre Produkte recht erfolgreich online an.

Wie haben sich die Ernährungsgewohnheiten Ihrer Projektteilnehmer*innen in El Alto in den letzten Jahrzehnten verändert?
Die meisten Menschen, mit denen wir arbeiten, sind Migrant*innen vom Land. Dort haben sie vor allem Kartoffeln sowie chuños (durch Trocknen haltbar gemachte Kartoffeln, Anm. d. Red.), oca (knolliger Sauerklee), Nudeln und andere sehr kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel gegessen. Durch den Anbau in Gewächshäusern ist ihre Ernährung vielfältiger geworden. Durch unser Projekt haben sie nicht nur mehr über biologischen Anbau, sondern auch über gesunde Ernährung gelernt, so dass sich ihre Ernährungsgewohnheiten drastisch verändert haben.

Wie funktioniert die Bildungsarbeit zu gesunder Ernährung?
Einige der urbanen Landwirt*innen wurden zu Multiplikator*innen ausgebildet, die in Workshops die Grundlagen gesunder Ernährung vermitteln. Sie zeigen den Teilnehmenden auch, welche Gerichte sie mit den Produkten aus den Gewächshäusern zubereiten können, wie Säfte, Kuchen, Teigtaschen oder Tees. Es sind schon um die 400 Menschen, davon viele Jugendliche, die in diesen Gruppen von verantwortungsvollen Konsument*innen organisiert sind.

Welche Sprachen werden bei diesen Fortbildungen gesprochen?
Die meisten Familien sprechen Aymara und Spanisch, aber die Workshops finden auf Spanisch statt.

Welche Rolle spielen die indigenen Sichtweisen auf die Welt in dem Projekt?
Auf dem Land ist eine indigene beziehungsweise bäuerliche Sichtweise auf die Welt sehr eng mit dem Leben der Menschen verwoben. Beim Umzug in die Stadt verändert sich das, aber einiges bleibt bestehen. Ein grundlegendes Prinzip ist ayni, das Gegenseitigkeit bedeutet. Ich gebe zurück, was ich bekommen habe, beziehungsweise ich nehme die Gaben an, die mir zurückgegeben werden. Zum Beispiel bekommt die Göttin Pachamama zu bestimmten Zeiten im Jahr Opfergaben von einigen Landwirtinnen. Als Dank für den fruchtbaren Boden vergraben sie Kokablätter und bespritzen die Erde mit Alkohol. Dadurch möchten sie auch erreichen, dass die nächste Ernte wieder gut wird und das, was sie aufgebaut haben, weiterbesteht. Auch der treque, der Austausch von Produkten und Pflanzen, gehört zur indigenen Kultur.

Wie haben sich die politischen Konflikte der vergangenen Jahre auf die Arbeit von FOCAPACI ausgewirkt?
Die Arbeit von FOCAPACI konzentriert sich vor allem auf die Unterstützung benachteiligter Menschen auf lokaler Ebene, deswegen hat die Politik auf nationaler Ebene nicht viel Einfluss. Statt von Einfluss politischer Umwälzungen kann man eher davon sprechen, dass wir im öffentlichen Diskurs Themen setzen. In den letzten vier Jahren hat urbane Landwirtschaft vor allem auf kommunaler Ebene viel politische Unterstützung erfahren.
Auf der anderen Seite wussten die Familien ihre Gärten und Gewächshäuser in Zeiten sozialer Konflikte sehr zu schätzen. Das war 2019 so, als die Gesellschaft sehr polarisiert war wegen der Verletzung der Demokratie oder während der Pandemie. Wenn wegen Blockaden keine Waren vom Land in die Stadt kamen, hatten die Menschen immer noch ihre selbst angebauten Produkte.

Gibt es Verbindungen zu anderen sozialen Bewegungen?
Die Produzent*innen, Verkäufer*innen und Konsument*innen in El Alto haben sich im Netzwerk Urbane Agrarökologie und Ernährungssicherheit (AUSA) zusammengeschlossen. AUSA wiederum gehört zum landesweiten Netzwerk Urbane und Stadtnahe Landwirtschaft, das mit weiteren Akteuren im Bereich Agrarökologie zusammenarbeitet.

Was wünschen Sie sich für 2050?
Die urbane Agrarökologie bahnt im Dialog mit der Natur einen Weg zu Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität. Dadurch wird die Lebensqualität der Menschen sowohl auf der sozialen und ökonomischen als auch auf der spirituellen Dimension verbessert.

Nachwuchs // Praktische Workshops (Foto: FOCAPACI)

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