Nach dem Ende der Staatssolidarität

Eindrücke von der sowjetischen Solibewegung

Terra incognita – für die Internationalismusbewegung ist die Sowjetunion ein weißer Fleck. Im Mutterland der zur Staatsdoktrin erhobenen Solidarität wird diese in vielen Gruppen, sei es unabhängig oder auch im Rahmen von Staat und Partei, neu gedacht und neu diskutiert.
Wir versuchen, in Form von Gedächtnisprotokollen die Gespräche zusammenzufassen, die wir in der Sowjetunion mit in der Solidaritätsarbeit Engagierten führen konnten. Dabei werden unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte für internationalistische Arbeit in der Sowjetunion deutlich. Die persönlichen Einschätzungen können wohl nicht die ganze Breite der in der Sowjetunion stattfindenden Diskussionen wiedergeben. Trotzdem vermitteln sie einen Eindruck von den Schwierigkeiten, die für die Solidaritätsarbeit in der gegenwärtigen Situation des Landes bestehen. Vor dem Hintergrund der sehr speziellen sowjetischen Geschichte des Umgangs mit internationaler Solidarität bekommen Daten wie Kuba 1959, Chile 1970 und 1973, sowie Nicaragua 1979 entsprechend der jeweiligen internen Situation in der Sowjetunion eine ungewohnt andere Bedeutung.
‘In den letzten fünf Jahren hat es eine Menge von neuen Gruppen gegeben, jetzt, wo es nicht mehr so gefährlich ist, sich unabhängig zu organisieren. Das bezieht sich nicht nur auf die Internationalismusarbeit. Zum Beispiel gibt es anarchistische Gruppen, die ihre eigene Zeitung auf der Straße legal verkaufen können. Aber das Erscheinen der Zeitung hängt auch wiederum davon ab, ob es Papier gibt und ob das Blatt irgendwo vervielfältigt werden kann. Die Probleme sind weniger politisch und mehr wirtschaftlich geworden. Trotz aller Schwierigkeiten gibt es viele internationalistische Gruppen, die sich vor allem mit Lateinamerika beschäftigen. Dieser Schwerpunkt hat historische Gründe. Die meisten Revolutionen und Putsche, die hier zum Thema wurden, fanden in Lateinamerika statt, und so wurden die meisten von uns mit der Lateinamerikaarbeit politisch sozialisiert. Es gibt eine Vielzahl von Solidaritätsgruppen in der ganzen Sowjetunion. Sie organisieren sich nicht nur regional, sondern veranstalten auch einmal im Jahr ein unionsweites Treffen. So etwas geht natürlich bisher oft nur über die Finanzierung von mehr oder weniger mit Staat und Partei verbundenen Solidaritätskomitees oder Jugendorganisationen. Aber warum auch nicht. Es gibt in diesen Komitees nicht nur Bürokraten, sondern auch viele Leute, die wirklich internationalistische Arbeit machen wollen. Wir wollen für die unterschiedlichsten Meinungen offen sein und nicht schon wieder ideologische Barrieren aufbauen. Unser Verhältnis zum Staat ist da pragmatisch. In unserer Gruppe gibt es zum Beispiel Leute aus allen Altersgruppen und aus den unterschiedlichsten Berufen. Unsere politischen Meinungen gehen oft sehr weit auseinander, aber das ist gut so. Wir wollen diese Unterschiede ausdiskutieren. Für die Öffentlichkeit haben wir verschiedene Aktionsformen. Wir versuchen, Informationen zu verbreiten. Das kann z.B. auch so aussehen, daß Kinder in ihren Gruppen Bilder über El Salvador malen, die dann verkauft werden.
Ein zentraler Punkt für die Internationalismusarbeit in der Sowjetunion ist die interne Solidarität. Das scheint ein Widerspruch zu sein, aber wir sehen jetzt, wie international dieses Land ist. Überall gibt es Bewegungen in den einzelnen Republiken zur Erlangung der Unabhängigkeit. Wir sehen, daß sie oft einen übertrieben nationalistischen Charakter haben, aber es geht darum, jetzt innerhalb der Sowjetunion eine Form des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Völker zu finden. Die Beschäftigung mit Lateinamerika, Afrika und Asien ist damit nicht abgehakt, aber die interne Solidarität muß jetzt unser Schwerpunkt sein.’

‘Solidarität war früher selbstverständlich’

‘Die Geschichte der internationalen Solidarität in der Sowjetunion läßt sich, vielleicht ähnlich wie in westlichen Ländern, an den Diskussionen um aktuell stattfindende revolutionäre Prozesse in Ländern der “Dritten Welt” festmachen. Ein erster Höhepunkt war die kubanische Revolution. Die Solidarität mit Kuba erreichte einen großen Teil der sowjetischen Bevölkerung. Nicht nur speziell am Thema interessierte Menschen hatten damit zu tun, sondern viele Betriebe, viele Kolchosen legten Sonderschichten für die Unterstützung der Revolution ein. Die Informationen über Kuba kamen aus den staatlich gelenkten Medien und von den Kubanern, die zum Studium in die Sowjetunion kamen. Die Bereitstellung von Studienstipendien war ja einer der schnell eingeführten, konkreten Beiträge der Sowjetunion zur Solidarität mit den Revolutionen in Ländern der Dritten Welt. Die Studenten waren natürlich sorgfältig ausgewählt, aber das war eigentlich kein Problem damals, weil sie für die Menschen in der Sowjetunion Repräsentanten einer erfolgreichen Revolution und damit Helden waren. Auch nach dem Sieg Allendes in Chile und noch mehr nach dem Putsch Pinochets gab es eine sehr starke Mobilisierung für das chilenische Volk. Anfang der siebziger Jahre war die Situation noch ähnlich wie zu Zeiten der kubanischen Revolution. Die Solidarität war selbstverständlich, und die Bereitschaft der Sowjetbürger zum Einsatz für die Unidad Popular war hoch. Gerade die jungen Leute glaubten an den Sozialismus. Bis in die 80er Jahre fanden schon deswegen kaum kontroverse Diskussionen statt, weil wir völlig auf die Informationen der staatlich kontrollierten Medien angewiesen waren. Es gab nicht wie in der DDR ein westliches Fernsehprogramm und den wenigstens beschränkten Zugang zur westlichen Presse, aus der wir andere Informationen hätten beziehen können. Genauso konnte kaum über persönliche Kontakte zu Leuten aus anderen Ländern der Horizont erweitert werden. Es kam ja kaum jemand zu Besuch. Es war auch nur wenigen Privilegierten möglich, etwa mit einer Brigade nach Nicaragua zu fahren. Als 1979 in Nicaragua die Revolution stattfand, waren diese Bedingungen noch dieselben, aber aus anderen Gründen hatte sich die Einstellung der Bevölkerung verändert. Das revolutionäre Nicaragua, das für mich der größte Hoffungsträger war, wurde von der Masse der Bevölkerung nicht mehr wie früher als “gute” Revolution akzeptiert, weil das Mißtrauen insgesamt gegenüber staatlicher Propaganda viel größer geworden war. Und nun fehlten wiederum die Möglichkeiten, unabhängige Informationen zu bekommen. Die staatlichen Informationen konnten noch so wahr sein, sie waren diskreditiert. Natürlich gab es immer noch viele Solidaritätsaktionen, aber die Bereitschaft etwa zur Mehrarbeit für die Unterstützung Nicaraguas war nicht mehr so groß.’

‘Wir müssen von unten anfangen…’

‘Heute ist Kuba für uns kein Modell mehr. Die Aggression der USA war immer das Argument gewesen, alles, was in Kuba passierte, zu rechtfertigen. Die kubanischen Studenten diskutieren jetzt offen darüber und haben seit der Perestroika auch andere Informationen. Viele haben jetzt Schwierigkeiten mit ihrer Regierung, weil sie von der Perestroika “infiziert” sind, und wollen vorläufig nicht nach Kuba zurück. Wegen der wirtschaftlichen Situation kürzt die sowjetische Regierung die Stipendien der ausländischen Studenten. Jetzt müssen sie ihr Studium in Devisen bezahlen. Unter diesen Bedingungen werden nicht viele bleiben können. Auch von denen, die jetzt hier sind, werden viele gehen müssen, weil ihre Visa nach Abschluß des Studiums nicht verlängert werden.
In der Sowjetunion haben die Leute jetzt andere Sorgen. Was in Lateinamerika passiert, ist in der öffentlichen Meinung kein Thema mehr. Hier geht es jetzt um die nationale Emanzipation der Ukraine von der Sowjetunion, von der Fremdbestimmung durch Moskau. Ich meine, wir müssen von unten anfangen und versuchen, den Menschen hier über die lateinamerikanische Kultur den Kontinent näherzubringen. Vielleicht kann über Musik, Theater und Kunst erreicht werden, daß zum ersten Mal Lateinamerika für die Sowjetbürger greifbar und erlebbar wird. Denn daß wir nicht dorthinreisen können, ist zwar nicht mehr durch Reiseverbote, aber aus finanziellen Gründen klar.’


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Ökologie in Unordnung

“Die Entwicklungsprojekte der letzten 25 Jahre für Amazonien sind durchweg gescheitert”, darin herrschte weitgehende Einigkeit unter den RednerInnen und Zuhöre­rInnen. Tatsächlich ein “gemeinsames Nachdenken über Entwicklungsalternativen für Amazonien” in Gang zu bringen, wie es die 5-tägige, unter anderem von der UNESCO, der Orga­nisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der US-amerikanischen FORD-Stiftung unterstützte Tagung als Ziel formuliert hatte, erwies sich in der Folge jedoch als ein schwieriges Unterfangen.
Bei den Podiumsdiskussionen, die Politiker und WissenschaftlerIn­nen, Holzexporteure und IndianerInnen zusammenbringen sollten, kam eine echte Debatte nur ansatzweise zustande. Die einzelnen Statements waren von sehr unter­schiedlicher Qualität, nur selten aufeinander bezogen, und auch viele interessante Beiträge endeten eben an dem Punkt, wo eine Diskussion über Entwicklungs­alternativen hätte beginnen müssen. So etwa die bedenkenswerte Überlegung des Vertreters des anthropologischen Museums von Belém: Wenn jetzt viele im Norden so gerne davon reden, “von den Indianern zu lernen”, wie sieht es dann eigentlich mit den “intellectual property rights”, den Rechten der intellektuellen Urheberschaft und des geistigen Eigentums aus? Sicherlich ist dies eine Vorstel­lung, die der internationalen Pharmaindustrie mit ihren großen Interessen an pflanzlichen Wirkstoffen aus Amazonien wenig gefallen wird.

Sammelreserven und CO2-Lager

Ein anderer Ansatzpunkt, der ein positives Echo fand, waren die “Sammelreserven”, wie sie beispielsweise auf Druck der Kautschukzapfer in dem brasilia­nischen Bundesstaat Acre einge­richtet wurden. Diese Schutz­gebiete, in denen die Nutzung des tropischen Regenwalds nicht in seiner Vernichtung besteht, bringen auch fast in jedem Falle mehr ökonomischen Gewinn als die extensiven Viehweiden auf gerodetem Urwaldland, wie der nordamerikanische Anthropologe Emilio Moran erläuterte. Und durch den gezielteren Einsatz forstwirtschaftlicher Methoden wäre in diesem Bereich noch eine beträchtliche Ertragssteigerung zu erzielen.
Die besonders von Umweltgruppen aus den USA propagierten sogenannten “Debt-for-nature-swaps” (Auslandsschulden-gegen-Natur-Tausch) wurden auf der Konferenz in Belém als “Mittel der entwickelten Länder, Kontrolle über Gebiete in unter­entwickelten Ländern zu erlangen” abgelehnt. Der katalanische Ökonom Martinez Allier jedoch riet der Umweltbewegung Brasiliens, diese Idee aufzu­nehmen und im Gegenzug aber einen gerechten Preis einzufordern: Wenn die Bedeutung des Amazonas-Waldes für die Lagerung von Kohlen­stoff und für das Weltklima einberechnet wird, müßten die Hauptproduzentenländer von Kohlendioxid alljährlich Zahlun­gen in Millionenhöhe an Brasilien leisten…
Ausgehend von der Erkenntnis, daß Amazonien nicht als ein homogenes Ökosystem betrachtet werden darf, sondern die Besonderheiten der einzelnen Regionen beachtet werden müsseen, wurde die Forderung nach einer “ökologischen und ökonomischen “Zoneneinteilung” (zoneamento) erhoben. Nur durch eine derartige Unterteilung des riesigen Amazonasgebietes ließen sich sinnvolle Aussagen über die unterschiedlichen ökologisch verträglichen Nutzungsmöglichkeiten einzelner Regionen treffen, machte der Geograph Aziz Ab’Saber von der Universität Sao Paulo deutlich.

Lutzenberger als Collors Alibi

Nur am Rande kam bei der Amazonas-Konferenz die Sprache auch auf die Politik der Regierung in Brasilia. Der erst im März gewählte Präsident Collor hatte mit der Ernennung des international bekannten Umwelt­experten José Lutzenberger zum Staatssekretär für Umweltschutz einen Überraschungscoup in Sachen Öko-Image gelandet. Dennoch setze Collors Politik das von der Militärdiktatur implantierte Konzept der Inbesitznahme Amazoniens unverändert fort, kritisierte Fabio Feldman, Abgeordneter der bei den Wahlen im März unterlegenen PT (Arbeiterpartei). Über das “Ministerium für strategische Angelegenheiten” hat das Militär auch heute noch entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung Amazoniens. Und José Lutzenberger – der zu der Konferenz in Belém eingeladen, aber nicht erschienen war – habe für Collor lediglich die Funktion, durch Auftritte auf internationalen Kongressen die Kritik des Auslands zu neutrali­sieren.
Konkrete Ergebnisse konnte das Treffen über die “ökologische Unordnung in Amazonien” keine vorweisen. Die unvermeidliche Schlußresolution faßte in “22 Empfehlungen” so richtiges wie altbekanntes zusammen, von der Forderung nach einem Stopp für Großprojekte und neue Ansiedlun­gen im Amazonasgebiet über die Eindämmung der Landspekulation bis hin zur Kontrolle der Gold­sucher und dem effektiveren Schutz der Indianer- und Natur­schutzgebiete. Befriedigende Antworten, wie all dies denn erreicht werden könne, blieben jedoch aus; die Schlußresolution wird so erst einmal der Planungs­kommission für den nächsten Kongreß zum Thema übergeben, der im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfindenden UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung…


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Weit davon entfernt ein Paradies zu sein

Eine Einführung in die Entwicklung der Karibik möchte James Fergu­son mit seinem englischsprachigen Buch “Far from Paradise” geben Diesem Anspruch wird er mit seinem reichhaltig und gut bebilderten Band gerecht. Einführend räumt er mit bestehenden Karibik-Klischees auf, um danach über die Geschichte eine Brücke zur Ge­genwart und Zukunft zu schlagen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung ab den 30er Jahren dieses Jahrhunderts. Darge­stellt werden zum einen länderübergreifende Schwierigkeiten. Es wird die Problematik der Monokulturen, der Importabhängigkeit, der Armut und vor allem die zunehmende Einflußnahme der USA in militä­rischer und ökonomischer Hinsicht, thematisiert. Ein ganzes Kapi­tel widmet er den internationalen Konzernen. Anschaulich be­schreibt er ihren Einfluß auf Landwirtschaft, Industrie, Tourismus und Bankwesen. Zum anderen zeichnet er anhand der vier Länder Ja­maica, Grenada, Trinidad/Tobago und Haiti spezifische Entwick­lungsszenarien nach. An Jamaica und Grenada werden die engen Spielräume für progressive Politikansätze deutlich. Jamaicas mode­rate Reformversuche unter Michael Manley (1972-80), inzwischen wieder amtierender Ministerpräsident, waren durch den ökonomischen Druck der USA und befreundeter Institutionen (IWF) ebenso zum Scheitern verurteilt wie die radikaleren Bemühungen in Grenada. Dort wurden 1983 politische Unruhen als Vorwand für eine militä­rische Intervention benutzt, um angeblich nordamerikanische Stu­denten zu schützen. Beleuchtet werden aber auch immanente Probleme der Karibik. Die Uneinheitlichkeit, begründet in der Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Historien, ließ politische Integrationsbe­mühungen bisher scheitern. Dies zu ändern, darin sieht der Autor die Entwicklungsperspektive für die Karibik. Er macht überdies deutlich, daß jedes Entwicklungsvorhaben nur durch seine Verwurze­lung in der Bevölkerung Erfolgsaussichten genießt. Abschließend gibt er den LeserInnen durch eine ausführliche Angabe von In­formationsquellen verschiedenster Art (Bücher, Zeitschriften, Or­ganisationen etc.) die Möglichkeit, ihr bei der Lektüre erworbenes Wissen nach Wunsch zu vertiefen. Für Karibik-Interessierte also ein lohnender Kauf, zumal die diesbezügliche LN-Berichterstattung bisher eher spärlich ausfiel.

James Ferguson: Far from Paradise, Latin American Bureau, London, 1990; Bezug: LN-Vertrieb, Gneisenaustraße 2, 1000 Berlin 61


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Extreme Rechte in der Offensive

Bei den Besetzungsaktionen der Contra haben die Policía Sandinista und das Sandinistische Heer bislang fast überall eine bis zur völligen Abwesenheit zurückhaltende Haltung gezeigt. Als Polizei-Verbände doch eine von Contras besetzte Brücke bei Sébaco auf der Hauptstraße in den Norden Nicaraguas – rund zwei Autostunden von Managua entfernt – räumen wollten, kam es zum Blutbad: 4 tote und 17 verletzte Polizisten wurden Opfer der nicht abgegebenen Contra-Waffen. Als Reaktion darauf umstellten und durchsuchten Polizisten das offi­zielle Bürohaus der Contra-Organisation “Resistencia Nicaraguense” in Managua und fanden dort Kalaschnikoff-Gewehre und Handgranaten. Contra-Boß “Rubén” erklärte öffentlich, daß er keine Verantwortung mehr für – natürlich von den Sandinisten verschuldete – Blutbäder übernähme, was getrost als Seinen-Leuten-freie-Hand-geben verstanden werden kann. Auch wenn ihr gesamtes politisches Umfeld unter Beschuß steht, ist Violeta Chamorro selbst von der extremen Rechten bislang noch nicht explizit ins Visier genommen worden. Vize-Präsident Godoy, der die Contra-Aktionen als “Volksproteste” voll unterstützt, macht allerdings keinerlei Hehl daraus, daß er das “Vize-” als abzuschüttelnden Makel empfindet.

Concertación: Die rechten Hardliner gehen in die offene Opposition

Die SandinistInnen, die ja eigentlich “die Opposition” zur Chamorro-Regierung hatten sein sollen, stehen in diesen Konflikten in voller Unterstützung für Violetas “Präsidialamtsminister” Lacayo. Gerade erst am 26. Oktober hatten sie – nach zähen Verhandlungen, nach Verhandlungsabbrüchen von Seiten der in der “Nationalen ArbeiterInnenfront” FNT zusammengeschlossenen sandinistischen Gewerkschaften, nach massiven Streikdrohungen und erneuten Vier-Augen-Gesprächen von Daniel Ortega und Antonio Lacayo – mit der Regierung ein “Concertacións”-Abkommen unterzeichnet. Nach den Kraftproben der Streiks von Mai und Juli hatte die Wirtschaftskrise und die zu ihrer Überwindung unab­dingbare Notwendigkeit einer Stabilisierung der internen politischen Lage, die Regierung dazu bewegt, die verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren zur Konzertierten Aktion, spanisch “concertación” aufzurufen.
In den Verhandlungen über die Inhalte des Concertationsabkommens spalteten sich die Rechtskräfte: Der Unternehmerverband COSEP, der bereits in der Ver­gangenheit unter der sandinistischen Regierung die Bestrebungen zur Konzer­tierten Aktion boykottiert hatte, verweigerte auch diesmal die Unterzeichnung.
Die den SandinistInnen und die FNT waren mit der Forderung nach Abschaf­fung des Dekrets 11-90 der Chamorro-Regierung – Landrückgabe an ehemalige BesitzerInnen – in die Verhandlungen gegangen. Noch vor der Unterzeichnung der Abkommen war mit der Regierung über den FNT-Vorschlag Einigkeit erzielt worden, eine aus den verschiedenen Sektoren zusammengesetzten “Nationalen Agrarkommission” zu gründen, die sowohl auf nationaler wie auf regionaler Ebene die sich im ganzen Land ausweitenden Landkonflikte lösen sollte. Diese Regelung stieß auf die heftige Ablehnug seitens des COSEP, der eine Verlänge­rung der ursprünglich im November auslaufenden Fristen für das Einreichen der Rückgabe-Ansprüche im Rahmen des Dekrets 11-90 an die von der UNO domi­nierte Kommission forderte.
Absolute Einigkeit bestand zwischen FNT und Regierung in ihren am 22.Oktober veröffentlichten Vorschlägen auch in der Art der Rückgabe von Staatsbesitz: Keine Rückgabe von ehemaligen Somoza-Besitztümern, Beachtung der Rechte von ArbeiterInnen, und kein Antasten der vor dem 25.Februar 1990 an Koopera­tiven und Individuen verteilten Besitztümer. Dahinter mögen sich real unter­schiedliche Konzepte verborgen haben, auf dem Papier herrschte wortwörtlich Übereinstimmung. Auch hier widersetzte sich der COSEP; die reale Anerken­nung der sandinistischen Beschlagnahme-Politik (bis auf Ausnahmefälle) mochte die Unternehmervereinigung nicht anerkennen.

Konzertierte Konfrontation gegen die Konzertierte Aktion

Doch währen die Satire-Zeitschrift “Semana Cómica” in ihrem Titelbild zwei Tage nach dem Concertacións-Abkommen den COSEP schon politisch isoliert auf einer einsamen Insel sitzen sah, ging der COSEP selbst auf einer reichlich mit Claqueuren bestückten Pressekonferenz zur Offensive über. Die COSEP-Vertre­ter wiederholten ihre wesentlichen Forderungen nach der Fristverlängerung des Dekrets 11-90, Rückgabe auch der nicht in Staatsbesitz befindlichen Besitztümer, die vor dem 25.Februar verteilt worden waren usw. Auf die Frage, wohin denn diese Politik des COSEP eigentlich führen solle, erwiderte der COSEP-Verhand­lungsführer Ramiro Gurdián, daß es um Prinzipien gehe; sie seien nun einmal Feinde der FSLN.
Dann wurde überraschend verkündet, daß eine Delegation der Ex-Contras eben­falls eine Erklärung zur “concertación” abgeben wolle. Bereits am Vortag hatte Israel Galeano, alias “Comandante Franklin” seine Zustimmung zu dem Abkommen bekanntgegeben, nun trat sein einstiger Mitkämpfer und heutiger Rivale um die politische Führerschaft der Ex-Kämpfer, Oscar Sovalbarro alias “Rubén” auf den Plan, begleitet von einer Reihe anderer “Comandantes” der Contra, und verkündete auch seine Ablehnung der Abkommen. Sowohl COSEP als auch der “Rubén”-Flügel der Contra berufen sich auf das Wahlprogramm der UNO, wie es am 25.Februar bestand. Das Übergabeabkommen zwischen der designierten Regierung und der FSLN vom März wird von beiden als illegal erklärt. In diesen Grundpositionen wissen sie sich einig mit dem von der politi­schen Macht ferngehaltenen Vize-Präsidenten Virgilio Godoy und Teilen der Katholischen Amtskirche, so z.B. dem einst wegen Unterstützung der Konter­revolution des Landes verwiesenen Bischof Pablo Antonio Vega. Die rechte Allianz ist geboren.

Die rückkehrenden Ex-Contras als Infanterie der extremen Rechten

In dem Machtpoker dieser Allianz bilden die Contra-Truppen das – weitgehend bewaffnete – Fußvolk. Die meisten derjenigen, die jahrelang von den USA finan­ziert in der sogenannten “Resistencia Nicaraguense” für den wirtschaftlichen Ruin der sandinistischen Regierung gekämpft haben, sind Bauern, Campesinos mit Landbesitz und Landarbeiter (ohne Landbesitz) aus den Kriegsregionen I, V, und VI. Unterschiedliche Gründe haben sie während des fast zehn Jahre dauern­den Krieges dazu bewogen, sich in die Reihen der von Ex-Offizieren der somozi­stischen Nationalgarde aufgebauten und mit US-Finanzierung und -Beratung ausgestatteten Contra einzugliedern. Das lange gepflegte Bild vom US-Söldner­heer war gesamtpolitisch zwar richtig, wird aber den Motivationen der einzelnen nur ungenügend gerecht.
Bei Ausweitung des Krieges hatten viele in ihren Dörfern mit beiden Seiten Schwierigkeiten zu überstehen: vom sandinistischen Heer als Contra-Kollabora­teure angeklagt, von der Contra als SandinistInnen verdächtigt, hatten sie sich irgendwann für eine Seite entscheiden müssen. Die 1984/85 von der sandinisti­schen Regierung praktizierte Politik, der Contra die soziale Basis zu entziehen, und durch Umsiedlungen ein freies Kampffeld (z.B. in der Region I, Estelí) zu schaffen, brachte viele Bauern, die ihr Land nicht aufgeben wollten, dazu, sich der Contra anzuschliessen. (Damit soll nichts, am allerwenigsten die brutalen Überfälle der Contra, die Verschleppungen, Morde, Vergewaltigungen etc. gerechtfertigt werden, aber die Analyse der individuellen Beweggründe ist für das Verständnis der heutigen Situation wichtig.)
Diese Contra-Basis, Campesinos und Landarbeiter, kehren also heute nach Nica­ragua zurück. Von ihren eigenen Comandantes wird die Position vertreten, daß sie als SiegerInnen zurückkehren, die die Regierungsübernahme der Chamorro-Regierung überhaupt erst möglich gemacht haben. Letzteres ist ja auch gar nicht so falsch. Aber wenn sie als SiegerInnen kommen, die ihr “Blut für das Wohl des Vaterlandes gegeben haben”, warum sollten sie dann als Besitzlose zurück­kehren, die vor dem Nichts stehen? Vor allem die Landfrage ist ungelöst. Dort, wo die BäuerInnen früher arbeiteten, ist das Land heute entweder anderweitig vergeben (z.B. an sandinistische BäuerInnen oder Kooperativen oder ist in Staatsbesitz), oder es ist nach vielen Jahren ohne Bearbeitung wieder zum über­wucherten Brachland geworden.

Die staatliche Macht stellt sich als Vakuum dar

Der Versuch, die absehbaren Landkonflikte durch die Einrichtung von soge­nannten “Polos de Desarrollo” (Entwicklungszonen) auf koordinierte Weise zu lösen – der allerdings auch dem Wunsch der Contra-Comandantes entsprang, die Truppen beisammen zu halten – muß als gescheitert betrachtet werden. Die von der Regierung versprochenen raschen Investitionen zum Aufbau einer Infra­struktur und zur Nutzbarmachung des Bodens sind noch nicht eingetroffen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bürokratie große Teile der US-Wiedereingliede­rungshilfe “versickern” ließ. So sind etwa die meisten der zeitweilig 6000 in El Almendro versammelten ehemaligen Contra-KämpferInnen längst in ihre Heimatorte zurückgekehrt.
Die Forderungen nach einer Landverteilung haben, nachdem die Regierung keine Antwort gab, zu einer massiven Verschärfung des Problems geführt. Ex-Contras, zum Teil bewaffnet, besetzten zahlreiche Kooperativen. Die Polizei schritt in der Regel nicht ein, um eine gewaltsame Eskalation zu vermeiden, ebenso das Militär. So stellte sich vielerorts die staatliche Macht als ein Vakuum dar, das jeweils die Gruppe siegreich aus einem Konflikt hervorgehen lässt, die zahlen- oder waffenmäßig besser bestückt ist. In einigen Fällen haben die Campesinos in den sandinistischen Kooperativen nach der Besetzung ihrer Kooperativen ebenfalls zum Mittel der Besetzungen gegriffen und stehen nun auf den Ländereien verbliebener Großgrundbesitzer.
Die von der Landfrage ausgehende Aktionsbereitschaft der ehemaligen Contra-KämpferInnen hat sich in der Folge rasch ausgeweitet. In Managua halten Ex-Contras – unter Billigung des Kardinals Obando – dessen Kirche besetzt. Mit der Besetzung der Landstraße nach el Rama schnitten sie die Stadt Bluefields an der Atlantikküste und Rama selbst von der Außenverorgung ab. In Bluefields besetzten Ex-Contras der indianischen YATAMA verschiedene Infrastruktur-Einrichtungen, darunter auch das sandinistische Radio Zinica. In La Concha, nur wenige Kilometer von Managua entfernt, wurden Kooperativen und einige Gebäude besetzt, Contras nahmen Geiseln. In Nueva Guinea kostete ein Schuß­wechsel zwischen Contra-Besetzern und PolizistInnen vier Personen das Leben, 33 wurden verletzt.
Innenminister Hurtado hält bislang die Position aufrecht, die Konflikte nicht mit polizeilichen oder militärischen Maßnahmen lösen zu wollen, sondern auf Ver­handlungen zu setzen. Nach Gesprächen mit dem Contra-Comandante “Ruben” – offensichtlich eine der Schlüsselfiguren – glaubt Hurtado bei ihm eine konstruk­tive Haltung zu entdecken und schickt ihn quasi als Botschafter zu den Contras, um die Lage zu entschärfen. Damit wird “Ruben” auch von der Regierung poli­tisch aufgewertet, ein gefährliches Spiel. Die FSLN denunziert öffentlich die “Staatsstreich”-Bestrebungen der extremen Rechten “unter Führung von Godoy” und sichert der Regierung volle Unterstützung zu. Humberto Ortega erklärt die Bereitschaft des Heeres auf Bitten der Polizei einzuschreiten, drängt aber eben­falls auf eine friedliche Lösung.

Mit der “militärischen Lösung” droht Nicaragua Bürgerkrieg

Die Situation ist im höchsten Grade gespannt. Es sind nur zwei Lösungen denk­bar:
1. Die Landfrage durch Verteilung von Staatsbesitz in geordneter Form abzu­wickeln, wodurch denen die politische Basis entzogen wird, die die rechte Offen­sive politisch weiter ausnutzen wollen. Erste Schritte auf diesem Weg gibt es bereits. In der 6.Region ist durch gute Arbeit der pro-sandinistischen UNAG erreicht worden, daß sich Kooperativen und sandinistische KleinbäuerInnen in weiten Teilen mit der Contra einigen konnten, nachdem es auch dort noch während der laufenden “Concertacion”-Verhandlungen zu heftigen Auseinan­dersetzungen gekommen war. In dem Maße, in dem die Auseinandersetzung derzeit jedoch zunehmend politisiert und zu einem Kampf um Ministerrücktritte und Regierungsmacht wird, rückt eine Lösung über die Landfrage in die Ferne.
2. Die militärische Lösung, die für das Land allerdings die Gefahr einer Katastro­phe bedeuten würde. Die Auseinandersetzungen würden kaum auf die bisheri­gen Konfliktzonen beschränkt bleiben, sondern sich vermutlich über Nacht zum Bürgerkrieg ausweiten. Im Dunkeln bleibt die Rolle, die der Schöpfer der Contra, die USA, derzeit eigentlich spielen. Eine Meldung des “Nuevo Diario”, daß die US-Botschaft im Funkkontakt mit der Contra auf der Landstraße nach La Rama stehe, wurde umgehend dementiert. Die Frage kursiert: Wenn immer erwartet wurde, daß die USA in dem Falle militärisch “zur Hilfe” eilen würden, daß die Sandinisten die Regierung stürzen würden: Täte sie das auch bei einem Putsch­versuch der extremen Rechten? Und wie würde sich dann das sandinistische Heer verhalten?
Aber dies sind zunächst nur bange, aus der gespannten Lage entstehende Fragen. Als sicher kann allerdings festgehalten werden, daß vorerst alle Bestrebungen der Regierung, politische und soziale Stabilität im Lande zu schaffen, von uner­warteter Seite zunichte gemacht wurden. Die Lösung des Konflikts auf dauer­hafte Art und Weise ist unumgänglich, wenn in Nicaragua irgendetwas voran­gehen soll. Als zumindest mittelfristige politische Auswirkungen werden Sandi­nistenInnen und Regierung weiterhin näher zusammenrücken, die FSLN ihre Oppositionsrolle zumindest kurzfristig ganz aufgeben.

KASTEN:

Interview mit dem Contra-Comandante “Johnson”, Angestellter bei der CIAV, dem “Repatriierungszentrum” San Ramón bei Estelí

LN: Sehen Sie die Gefahr , daß sich eine Situation ergibt, wo sie wieder zu den Waffen greifen?

Ich sehe, daß wir dann wieder kämpfen, wenn die Sandinisten Violeta von der Macht stürzen. Das wäre die Situation, wo sich das Volk bewaffnet erheben würde. Im Moment wird vieles durch die Anwesenheit der internationalen Organisationen geregelt. Wenn diese Organisationen sich zurückziehen, beginnt hier ein anderer Kampf. Es gibt jetzt schon viele Konflikte und Zusammenstöße, für die die internationalen Organisationen wie ein Alka-Selzer wirken: Sie neutralisieren sie. Aber wenn sie weggehen, wird sich die Situation verschärfen.

LN: Wenn die SandinistInnen diese sauberen, von aller Welt beobachteten Wahlen gewonnen hätten, hätte sich die Contra dann dennoch entwaffnet?

Wir hätten uns zunächst einmal nicht entwaffnet. Denn wir wollen nicht mit den Sandinisten kooperieren. Die Sandinisten wären in einer sehr schwierigen Lage gewesen, denn sie hätten keine finanziellen Zuwendungen erhalten. Und wir hätten uns nicht entwaffnet, auch wenn wir keine ausländische Hilfe mehr bekommen hätten.

LN: Wie waren die Beziehungen zwischen der bewaffneten Contra und der zivilen Opposition im Lande?

Die Politiker haben vor Esquipulas einen direkten Kontakt vermieden. Sie hatten Angst vor Repressionen bei ihrer Rückkehr ins Land. Denn wenn die Sandinisten herausgefunden hätten, daß ein Politiker im Ausland Kontakte zur Contra hatte, wäre er ins Gefängnis gewandert. Aber nach Esquipulas gab es intensivere Beziehungen. Sie sagten, der Kampf müsse parallel laufen: Unseren Druck aufrecht erhalten, um den Sandinisten Konzessionen abzu­ringen.

LN: Glauben sie, daß es gerecht ist, daß ehemalige Contras z.B. Kooperativen besetzen?

Es ist gerecht, denn sie sind Nicaraguaner, sind Campesinos, haben kein Land und haben das Recht, das zu erhalten. Daß dabei Gewalt angewendet wird? Das ist leider so. Es ist die einzige Möglichkeit sich bemerkbar zu machen, wenn die Gesetze nicht funktionieren.

Interview: Bernd Pickert


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Wieder Wählen – Diesmal anders?

Rubén Zamora:

Das Problem der FMLN ist der Waffenstillstand. Die Basis der Guerilla, die Kämpfer, sind über­wiegend Bauern. Wenn sie nicht kämpfen, werden sie Kaffee oder Baumwolle pflücken oder Mais anbauen, aber sie werden nicht weiter als Armee existieren. Für die FMLN käme ein Waffenstill­stand einer Niederlage gleich, wenn die Verhandlungen ergebnislos verlaufen; die Armee setzt sich hin und wartet ganz einfach ab. Die FMLN löst sich auf, und am Ende gibt es keine Vereinba­rungen über den Frieden. Das kann die FMLN nicht akzeptieren. Sie muß daher einen gleichzeiti­gen Abbau der Regierungsarmee fordern. Beide Sei­ten müssen ihre Kräfte reduzieren, sonst bleibt der Waffenstillstand eine Illusion. Das Problem innerhalb der FMLN als Organisation ist die Ver­ständigung über die Schritte, die zu einem Abbau der Armee getan werden müssen, welche Forde­rungen gestellt werden. Daher schlägt die FMLN eine Reform der Streit­kräfte vor, die zwar ein ausgezeichneter Ausdruck der Linie ihres Kampfes ist, aber ein schlechter Verhandlungsvorschlag.
Wir sind uns alle darüber einig, daß es diesem Land ohne Armee besser gehen würde, die ganze Welt wäre besser ohne Armeen. Aber zu verlangen, daß die Armee in den Verhandlungen ein Ab­kommen zu ihrer Abschaffung unter­schreibt, heißt, den Sinn für die Realität zu verlieren. Armeen vernichten sich auf dem Schlachtfeld, nicht am Verhandlungstisch; das ist eine elementare Norm der Politik. Die FMLN stellt jedoch hohe Forderungen, um Zeit zu gewinnen, und eine bessere in­terne Verständigung zu erzielen.

Verhandler und Nicht-Verhandler

Wir nehmen innerhalb der Streitkräfte eine Konfrontation zwischen zwei Sekto­ren wahr; daneben eine Meinungsströmung als drittes Element. Die FMLN und wir als Linke benutzen oft den Begriff “Tandona” *) als Ausdruck für die “Bösen” innerhalb der Armee. Es ist richtig, diesen Begriff für diejenigen zu gebrauchen, die das Heer befehligen, aber als soziologische Analyse der Institution ist er nicht realistisch. Die Tandona ist gespalten in einen Teil, der mit den USA verbunden ist und verhandeln will und einem Sektor der Tandona und anderer Jahrgänge, der nicht verhan­deln will.
Innerhalb dieser Kon­frontation gibt es ein drittes Element, hauptsächlich vertre­ten durch die nie­deren Offiziersränge. Sie fordern eine Säuberung der korrupten Elemente in der Armee, weil sie es sind, die auf dem Schlachtfeld stehen, wäh­rend sich die hohen Offiziere am Krieg bereichern.
Die Wahlen im März können unserer Ansicht nach die wichtigsten der letzten zwölf Jahre in die­sem Land sein. Eine zentrale These der Aufstandsbe­kämpfung war immer die Präsentation von Wahlen als Alternative für Verhandlungen. Diese Ideologie ist mittlerweile geschei­tert. Nun wird es wahrscheinlich etwas ganz Neues geben, nämlich Wahlen mitten in ei­nem Ver­handlungsprozeß. Und dies bedeutet, daß die Wahl einen direkten Einfluß auf die Ver­handlungen haben wird. Erreicht die Opposition die Mehrheit der Stim­men gegen ARENA, wird die FMLN in der nächsten Runde sagen, “Meine Her­ren der Regierung, das Volk hat Euch eine Ab­fuhr erteilt; es will Euch nicht mehr.” Ein Argu­ment, auf das ARENA nichts erwidern kann. (Nein?) Eine Parlamentsmehrheit würde darüber hinaus erfor­derlich machen, daß diese bei den Verhandlungen zugegen ist. Und das be­deutet, die Regierung zwischen FMLN und Opposition zu haben.

Kampf um die Wahlregistrierung

Um die Mehrheit im Parlament zu gewinnen, brauchen wir ein Bündnis der ge­samten Linken. Denn wenn wir in den gleichen Fehler des letzten Jahres verfal­len, und die Convergencia (linkes Wahl­bündnis) sagt “Wählt!”, und die FMLN sagt “Wählt nicht!”, dann werden wir das gleiche Desaster erleben wie letztes Jahr.
In El Salvador befinden sich etwa 2,8 Mio Menschen im wahlfähigen Alter. Da­von stehen 2,3 Mio im Wahlregister, und nur 1,9 Mio haben einen Wahlausweis, der sie erst zum Wählen berechtigt. Daher sind für uns zwei Dinge interessant: 1. Die Zahl der ins Wahlregister Eingeschriebenen auf 2,5 Mio zu erhöhen und 2. zu erreichen, daß alle wählen können, auch wenn sie keinen Wahlaus­weis haben. Wir haben bereits ein Abkommen mit der Regierung erreicht, daß alle Bürger, die im Wahlregister stehen, wählen können, wenn bis zum 17. Februar weniger als 90% der im Wahlregi­ster stehenden Personen noch keinen Ausweis haben. Als zweites Abkommen haben wir erreicht, daß für die Einschreibung auch die Do­kumente, die das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) an die zurück­gekehrten Flüchtlinge ausgegeben hat, verwendbar sind.
Heute hängt es in hohem Maß von uns ab, ob wir uns einschreiben und daß wir es verwirklichen, daß auch der bisher ausgeschlossene Teil der Linken Gewicht bei den Wahlen erhält.
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*) Die Tandona ist ein besonders starker Jahrgang der Militärakademie. Einige der berüch­tigsten Offiziere gehören der Tandona an, die heute viele zentrale Machtpositionen in Staat und Armee in­nehaben. Chef der Tandona ist Emilio Ponce, seit einigen Monaten Ver­teidigungsminister.

Joaquín Villalobos: Wandel oder Kontinuität?

Nach sechs Wahlgängen in den 80er Jahren, die dem Frieden nicht gedient haben, scheinen die kommenden Parla­ments- und Kommunalwahlen die einzig verbleibende Alter­native, um zu versuchen, die FMLN in die Enge zu treiben. Und vielleicht sind Wahlen für die Regierung und die USA nie so wichtig wie gerade diese gewesen. Der Krieg der USA in Zentralamerika geht seinem Ende entgegen, es gibt Priori­täten in anderen Teilen der Welt und eine Reihe von internen Problemen in den USA. Die Hilfe aus den USA mag sich verringern oder gleichblei­ben, aber sie wird nicht mehr steigen; es sind keine militärischen Optionen mehr zur Beseitigung der FMLN denkbar. Sie wollen die UNO und andere Staaten dazu bringen, die FMLN zu margi­nalisieren. So gesehen, werden die 91er-Wahlen, die zum Frieden beitragen könnten, wiederum in eine Kriegslogik gezwängt. Die Wahlen sollen ernsthafte Verhandlungen ersetzen und als das Ende des Konflik­tes erscheinen, um so unserem Kampf die Rechtfertigung zu entziehen.

Wahlen ohne Frieden

Die Menschen stehen den Wahlen gleichgültig gegenüber, weil sie keine Frieden­soption enthalten, solange keine fundamentalen Übereinkünfte bezüglich der Streitkräfte getroffen worden sind. Die Parteien akzeptierten eine unzureichende und elitäre Wahlregistrierung und unterzeichneten ein mangelhaftes Abkom­men; das ist nachvollziehbar, weil sie in der Furcht vor der Armee leben und sich mit recht wenig zufrieden geben mußten. Können Wahlen im Terrorstaat frei sein? Eine internatio­nale Überwachung kann den Menschen die Furcht nicht nehmen.
Nur ein tiefgreifender Wandel in den Verhandlungen über die Armee kann den Menschen diese Angst nehmen, und nur dann können sich alle politischen Strö­mungen frei artikulieren. Ein solcher Wandel würde die Bereitschaft zu einer vollständigen Entmilitarisierung der Gesellschaft, die all­mähliche Reduzierung beider Armeen, deutliche und entschiedene Schritte zur Säuberung der Streit­kräfte sowie die Bestrafung der Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzun­gen wie die Je­suitenmorde u.a. beinhalten.
Die Verhandlungen und nicht die Wahlen sind derzeit das politische Hauptin­strument aller opposi­tionellen Kräfte. Wir dürfen es nicht gegen einen Teller voll Bohnen eintauschen. Wir kaufen keinen Müll mit der schönen Etiquette “freie Wahlen”.
Man könnte argumentieren, daß die FMLN sich zugunsten eines möglichen Wahlsiegs der Opposi­tion für die Wahlen ausspricht, falls bis zu diesem Zeit­punkt keine konkreten Verhandlungsergeb­nisse vorliegen. Zunächst einmal ist ein solches Ergebnis unsicher. Zweitens gibt es keine Garantie dafür, daß es nach einem Wahlsieg tatsächlich Fortschritte bei den Verhandlungen geben wird. Wir würden die Wahlen legitimieren. Wenn wir ernsthaft verhandeln, müssen wir je­doch das Gegenteil tun, nämlich die Legitimität der Regierung und vor allem der Armee in Frage stellen. Wer für die 91er Wahlen Legitimität will, der muß ernst­haft und schnell verhandeln. Die Geschichte von der formalen Macht kennen wir schon zur Genüge. Parlamentarische Mehrheiten und ehrenhafte Abgeordnete, und dennoch taten die Militärs weiterhin, was sie wollten.
Die strategische Verhandlungsrunde ist eröffnet; das Land kann und muß einen tiefgreifenden Wan­del hin zu einer wirklichen Demokratie durchmachen. Es ist die Zeit des Kampfes für einen Wech­sel. Diese historische Chance darf nicht un­genutzt bleiben.


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Militärs drohen mit Krieg

Nach einem Dokument der obersten Kriegsschule (Escola Superior da Guerra/ESG) kann die Wahrung der “nationalen Interessen” in Amazo­nien im Extremfall zu einem Krieg führen. Mögliche Gegener der Streitkräfte wären Schmuggler, Drogenhändler und die Nicht-Regie­rungsorganisationen (NROs), die sich in die Angelegenheiten Amazo­niens einmischen.
Wieder einmal wird von den Militärs das Gespenst an die Wand ge­malt, die NROs förderten die Internationalisierung Amazoniens, verlangsamten die Entwicklung der Region und betrieben die “Denationalisierung”, indem sie “Indio-Enklaven” einrichten woll­ten. Das Dokument dere ESG führt aus, daß die Idee “einer eigenen Regierung in Indio-Gebieten ein permanenter Versuch von außen (sei), Teile Amazoniens zu internationalisieren.” Dabei handelten die NROs zumindest mit der Billigung der Regierungen der Länder, in denen sie angesiedelt sind, USA, Japan und Europa. Das Konzept der Bewahrung, das Umweltgruppen prpagieren wolle das ökonomische Potential Amazoniens ruhen lassen, es wolle praktisch die Unberührnbarkeit der Ressourcen.
Weiter wird ausgeführt, daß es sich bei der “Denationalisierung des Brasilianischen” um eine diffuse internationale Bewegung zur Internationalisierung Amazoniens handele “beginnend mit der Einrichtung von Gebieten, in denen die Einwohner aufhören, der Kontrolle und den Eingriffen des brasilianischen Staates unterworfen zu sein und die so als Bürger des Vaterlandes denationalisiert werden – ein erster Schritt zur allgemeinen Akzeptierung von Gebieten, die mit internationaler Unterstützung praktisch von Brasilien befreit sind.” Über Forderungen der “angewandten Anthropologie”, die die internationalen Interessen über die nationalen stelle, würde versucht, globale Sanktionen gegen Brasilien zu verhängen. Insgesamt dreimal erwähnt das Dokument die Möglichkeit eines Krieges in Amazonien.
Das Papier trägt den netten Namen “Struktur der nationalen Macht für das Jahr 2001 – 1990 bis 2000: Die entscheidende Dekade für ein modernes und demokratisches Brasilien.” Die ESG ist nicht irgendwer sondern der traditionelle Think-Tank der Militärs. Das Papier kann als eine halboffizielle Stellungnahme der Militärs zur Amazonienpolitik angesehen werden (vgl. Kasten).
Die vorliegende Version stammt vom 15. März dieses Jahres, an die Öffentlichkeit drang sie zum ersten Mal durch einen Artikel der “Folha de Sao Paulo” vom 29. Mai. Das Papier knüpft an alte Stellungnahmen aus der Zeit der Sarney-Regierung an, radikallisiert sie teilweise. Die Militärs wagen sich nicht auf ein Gebiet vor, das sie nichts angeht: Amazonienpolitik war und ist in Brasilien Sache der Militärs. Ein Großteil Amazoniens ist durch das Projekt “Calha Norte” unmittelbar der Obhut der Militärs unterstellt. Erschreckend an dem Dokument ist, mit welcher Deutlichkeit Grundforderungen der Indigenas (abgegrenzte Reservate in autonomer Kontrolle) und der Organisation, die sie unterstützen, kriminalisiert werden.
Ein internationales Echo auf die Veröffentlichung gab es bisher kaum. Zusehr richteten sich die Augen auf den Altökologen und Neuminister Lutzenberger. Der hat aber gerade zu der bisherigen und zukünftigen Rolle der Militärs geschwiegen oder sich hinter allgemein gehaltenen Formulierungen zurückgezogen. Nach Einschätzung vieler brasilianischer “ecologistas” dürfte hier der eigentliche Knackpunkt für die politische Zukunft Lutzenbergers liegen. Collor wird sich mit den Militärs nicht anlegen, eine alternative Amazonienpolitik ist aber mit diesen Militärs wie das Dokument noch einmal nur allzu deutlich zeigt, nicht einmal denkbar.

Kasten:

Stellungnahmen von Severo Gomes und Fabio Feldmann

Am Rande des Pariser Basso-Tribunals sprachen die LN mit zwei brasilianischen Parlamentsmitgliedern, die sich durch ihren Einsatz für Umweltfragen einen Namen gemacht haben über ihre Einschätztung des Papiers der ESG.

Severo Gomes: Nein, das ist keine sektiererische Position, es kommt aus der langen Tradition, wie die Militärs über das Land denken, es hat System so zu denken. Aber mit einer zivilen Gesellschaft, die sich organisiert und der öffentlichen Meinung dürften diese veralteten Positionen der Militärs nicht zum Zuge kommen.

Fabio Feldmann: Ich glaube es ist ein wichtiges Papier, in der Weise wie es eine entscheidende Strömung des militärischen denkens über Amazonien präsentiert. Es steht im Zusammenhang eines Denkens, das äußerst gefährlich ist, insbesondere durch die Forderung nach der territorialen Besitzergreifung Amazoniens. Desshalb glaube ich, daß dieses Papier ein wichtiges Element in jeder Analyse der zukünftigen Perspektiven Amazoniens ist.
Wichtige Aufgabe in der Amazonienpolitik bleiben unter der Verantwortung des “Sekretariats für strategische Angelegenheiten”, ein von den Militärs dominierte Bundesbehörde. Und ich glaube es gibt einen widerspruch in der Regierung Collor. Auf der einen Seite ein fortschrittlicher Diskurs, vor allem seitens Lutzenbergers, und eine interne Politik, die diesem Diskurs nicht entspricht.


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Das Bankgeheimnis: Spülgang bei der Geldwäsche

Das Rätsel war zumindest für diejenigen ein leicht zu durchschauendes, die seit dem 4.10.1979 von einem Dekret profitieren (also aus der Zeit der Diktatur und noch immer gültig), das die völlige Freiheit bei Einfuhr, Ausfuhr und beim Han­del mit Gold, Silber, Platin und anderen Edelmetallen auf uruguayischem Terri­torium garantiert.
Die geltenden Vorschriften – erlassen mit dem Ziel “Uruguay als internationalen Finanzplatz einzuweihen”, so der damalige Präsident Aparicio Méndez – erlau­ben den Handel mit Edelmetallen, ohne daß irgendeine Anmeldung oder be­hördliche Genehmigung einzuholen ist. Darüberhinaus dürfen diese Geschäfte unversteuert abgewickelt werden.
Die uruguayische Zentralbank wußte wahrscheinlich nicht einmal, was der Rech­nungshof der USA aufdeckte: Die Differenz von mehr als 400 Mio. US-Dol­lar aus der Handelsbilanz mit Uruguay entspricht genau dem Wert von 35 Ton­nen Gold, die die USA aus Uruguay importieren.
Auf diese wundersame Art und Weise verwandelte sich das kleine Land im Süd­kegel Lateinamerikas in den zweit­größten Rohstofflieferanten für den US-ameri­kanischen Juweliermarkt, mit jährlich mehreren hundert Tonnen Gold. Kleine Bemerkung am Rande: In Uruguay wird nicht eine Unze Gold produ­ziert…

Der Bruder des argentinischen Präsidenten: Feste dabei!

Die Koffer des argentinischen Senators und Präsidenten der regierenden “Gerechtigkeitspartei” (Peronisten), Eduardo Menem, wurden im Zoll des Flug­hafens von Punta del Este an jenem heißen Tag im Februar 1990 nicht einen Spalt breit geöffnet. In den Sommermonaten kommen schließlich zigtausende wohlha­bender Sommerurlauber aus Argentinien, Brasilien und Paraguay in den uru­guayischen Luxusbadeort. Der Mann, der Menem am Flughafen erwartete, fuhr ihn direkt zu der Filiale der uruguayischen Bank “Pan de Azucar”. Diesmal zahlte er nur 214.500 US-Dollar ein. Zehn Monate später waren auf dem Konto, das auf
den Namen des Bruders des argentinischen Präsidenten, den seiner Frau und auf den des Präsidenten der Bankaufsichtsbehörde eingetragen ist, rund 2 Mio. US-Dollar deponiert.
Wenige Tage vor seinem oben geschilderten Besuch in Uruguay stimmte Menem in seiner Funktion als argentinischer Senator für ein Gesetz, das die bisher gel­tende unzureichende Auskunftspflicht gegenüber dem argentinischen Finanzamt bei Transaktionen abschaffte und die Notwendigkeit eines härteren Vorgehens ge­gen die Kapitalflucht aus Argen­tinien forderte…
Der Skandal, der – wie vorauszusehen war – keine politisachen und juristischen Konsequenzen nach sich zog, bestätigte noch einmal, was seit dem 17.12.1982 (ebenfalls während der Diktatur in Uruguay) Gesetz wurde und bis heute gültig ist: Uruguay hat das weltweit sicherste und rigideste Bankgeheimnis.
Der größte Teil der 4 Mrd. US-Dollar, die Ausländer in uru­guayischen Banken deponierten, stammen aus Argentinien. Bis Ende 1989 wur­den rund 2,8 Mrd. US-Dollar den argentinischen Steuerbehörden hinter­zogen und in Uruguay einge­zahlt. Sie stellen einen erheblichen Teil der argenti­nischen Kapitalflucht dar oder stam­men aus anderen illegalen Finanzopera­tionen.
Die absolute Freiheit der Ein- und Ausfuhr von Edelmetallen und das Bankge­heimnis machen Uruguay für Steuerflüchtlinge und für diejenigen, die mit ihren Geschäften in die Hölle gehören, zum Paradies: Für die Geldwäscher der Dro­genhändler ebenso wie für jene, die ihren enormen Reichtum mit dem Elend der lateinamerikanischen Völker verdienen.
Es besteht auch keinerlei Gefahr, daß die uruguayischen Neoliberalen abschaffen, was für sie Prinzip ist: Der uruguayische Präsident Luis Alberto Lacalle hat öf­fentlich erklärt, daß die Verträge, die er mit Präsident Bush im November in Montevideo im Rahmen des “Anti-Drogenkampfes” unterzeichnen wird, “in kei­ner Weise das Bankgeheimnis verletzen werden”.

Geld stinkt nicht, wird aber trotzdem gewaschen

Die uruguayischen Banken (von denen alle bis auf die Staatsbank in aus­ländischem Besitz sind) haben auch keine Probleme mit dem Geruchssinn. Ebenso wie sie die illegale Herkunft der Mrd. US-Dollar akzeptieren, ist es kein Problem für sie, wenn mit brasilianischem Gold beladene LKWs die Grenze pas­sieren. Für die Banken ist dieses Gold, befindet es sich ersteinmal auf urugayi­schem Boden, keine Schmuggelware mehr.
Die Geldwäsche und der Goldschmuggel funktionieren nach einem einfachen Prinzip. Illegal aus den Nachbarstaaten ausgeführt, “verwandelt” sich die Ware, ohne jegliche staatliche Reglementierung, in einen Bestandteil des urugayischen Finanzsystems. Wird die Ware dann wieder über den Hafen und Flughafen Mon­tevideos ausgeführt, gilt Uruguay als ihr Herkunftsland. Auf diese Weise “gewaschen”, wird aus “grauer Ware” (Gelder aus Kapitalflucht und Steuerhin­terziehung) und aus “heißer Ware” (Drogendollars) wohlriechende “gewaschen Ware”. Diese kann dann unbehelligt in ihr Herkunftsland zurückkehren oder, wie in der Mehrzahl der Fälle, auf europäischen Konten deponiert werden. Bei der Durchreise in Uruguay bleibt nur ein Bruchteil der gewaschenen Dollars in Form von Zinsen oder Kommissionsgebühren hängen.
Doch selbst diese “Gewinne” bleiben wiederum in Händen der ausländischen Banken mit Sitz in Montevideo. In Uruguay selbst bleibt so nicht ein einziger Peso.
In dem Fall der Organisation “La Mina”, die von der US-amerikanischen Anti-Dro­genbehörde DEA (Drug Enforcement Agency) und der Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) aufgedeckt wurde, benutzte die Gruppe Montevideo als Ersatz für Panama, als nach den US-amerikanischen Aktionen gegen Noriega die Benutzung dieses Finanzplatzes zu gefährlich wurde.
Die Wechselstube “Cambio Italia” – die noch immer völlig unbehelligt in Monte­video arbeitet – erhielt Geldüberweisungen für angebliche Geldankäufe in Uru­guay. Diese Geld wurde wieder auf Konten des kolumbianischen Medellín-Kar­tells in Luxemburg und in der Schweiz transferiert. Später konnte nachgewiesen werden, daß einige der “Goldladungen” nichts anderes enthielten als in Gold ge­badetes Blei. Bei der Ankunft des “Goldes” in den USA wurden ordnungs­gemäß Zoll und Steuern bezahlt und die Formalitäten erledigt. Das “Edelmetall” ermög­lichte so die Ausfuhr von Millionen Dollar aus den USA und ihre sichere An­kunft via Montevideo bei den Herren der Droge in Europa.
Ein anderes Mal wurde echtes Gold von nordamerikanischen Juwelieren, die für “La Mina” arbeiteten, an- und verkauft. Das gleiche Gold zirkulierte in An- und Verkaufsoperationen innerhalb der USA und rechtfertigte so die Transaktionen riesiger Geld­summen, die später zum neuralgischen Punkt der Organisation über­wiesen wurden: dem “Cambio Italia” in Montevideo.
Ein Uruguayer, Sergio Hochmann (er wurde im Februar 1989 in Los Angeles fest­genommen), war innerhalb der Organisation für die Übergabe und Zählung des Geldes in New York verantwortlich. Später wurde das Geld verpackt und in ge­panzerten Fahrzeugen von ‘Brink’s’und ‘Loomis’nach Los Angeles gebracht, wo die armenischen Schmuckhändler Koyomejian, Tankazyan, Tokaltian und Ando­nian Gold für ihre “Juwelierläden” kauften. So wurde das gleiche Gold mehrmals hin- und herverkauft. Die nun endgültig gewaschenen Dollars wurden nach Uru­guay zurücküberwiesen, wo Ruben Presarli von “Cambio Italia” nach einem nur ihm bekannten Verteilersystem das Geld an die einzelnen Drogenbarone weiter­überwies.
Der Argentinier Raul Vivas hatte dieses System aufgebaut und reiste zwischen New York, Los Angeles, Panama und Montevideo hin und her und hielt so das Unternehmen am Laufen. Er hatte den direkten Kontakt zu dem Kolumbianer Eduardo Martinez, bekannt als “Wirtschaftsminister” des Medellín-Kartells. Mar­tinez wurde von US-amerikanischen Scheinagenten in einem Hotel von Aruba (Antillen) 1989 gefilmt, als er sich mit einer von DEA-Agenten unterwanderten Organisation traf, die ihm günstigere Bedingungen für die Abwicklung der Geld­wäsche als “La Mina” anbot.
Einzelheiten dieses Gesprächs sind in dem Buch von Blixen nachzulesen, wo dann auch deutlich wird, wie das uruguayische Finanzsystem und das Bankge­heimnis den Interessen der Drogenmafia entgegenkommt. Martinez wurde im September 1989 in Kolumbien festgenommen und an die USA ausgeliefert. Wie es das Schicklsal dann doch mal ab und zu will, war es dann auch genau jener Flughafen von Punta del Este, auf dem die Koffer der wohlhabenden argentini­schen Urlau­ber nicht geöffnet werden, von dem aus Raul Vivas nach seiner Ver­haftung im Fe­bruar 1989 an die USA ausgeliefert wurde.

Aus Prinzip oder des Geldes wegen

Der Journalist Samuel Blixen entwickelt die Theorie, daß der Kampf der USA ge­gen die Drogen viel mehr darauf ausgerichtet ist, die ungeheure Kapitalflucht aus den USA, die die Geldwäsche mit sich bringt, einzudämmen, als tatsächlich mit dem Konsum und dem Handel Schluß zu machen.
Den Umfang dieser Kapitalflucht kann man ungefähr abschätzen, wenn man sich klar macht, daß von den 300 Mrd. US-Dollar Umsatz aus dem weltweiten Dro­genhandel rund 110 Mrd. US-Dollar aus den USA stammen. Auf die Händler ent­fällt ein Gewinn von 80%, das heißt, 81 Mrd. US-Dollar müssen pro Jahr al­leine in den USA gewaschen werden um dann zum größten Teil außer Landes gebracht zu werden. Zum Vergleich: Diese Summe entspricht dem Gewinn, den die 200 größten Unternehmen der USA im Jahr 1989 gemacht haben.
Paradoxerweise entspricht der Umfang dieser Kapitalflucht aus den USA genau der Summe, die die USA durch den Schuldendienst aus Lateinamerika pro Jahr erhalten. Dies heißt nichts anderes, als daß die USA pro Jahr die gleiche Summe an Drogengeldern durch Kapitalflucht verlieren wie sie durch das Eintreiben der Schulden, vermittelt über Sparprogramme und neoliberale Auflagenpolitik, aus den lateinamerikanischen Völkern herauspressen.

200 Banken…

teilten die nordamerikanische Sorge, die die USA beim “Gipfel der Sieben” 1989 in Arche (Frankreich) vorgetragen haben: es gilt, den Kampf gegen die Drogen zu verstärken und die Geldwäsche der Dollar aus dem Drogenhandel zu unter­binden. So kam es dann auch dazu, daß sich das schweizerische Bankensystem von seinem schlechten Image säuberte, indem die neuen Strafgesetze hohe Stra­fen auf die “Wäsche” von Geldern aus dubiosen Quellen vorsahen. Das gleiche passierte in Frankreich, wo das TRACSIN gegründet wurde, eine Organi­sation, die die franzö­sische Bankaufsichts-, Zoll- und Steuerbehörden verbindet, so daß verdächtige Transaktionen schneller aufgedeckt werden können. Selbst­verständlich haben diese so sauberen europäischen Banken Filialen in Honkong, Vanatu und Naru, auf den Holländische Antillen, Bahamas, in Panamá und Uru­guay, allesamt Steuerpara­diese in der “Dritten Welt”.
Auf der Liste der 200 in die Narcodollarwäsche involvierten Banken, die vom US-amerikanische Justizministerium veröffentlicht wurde, sind unter anderen die All­gemeine Niederländische Bank, die Banco Exterior de España, Banque Su­dameris, Deutsch Südamerikanische Bank, Dresdner Bank, Crédit Suisse, sowie die Chase Manhattan Bank, City Bank und American Express zu finden.
Dank des Bankgeheimnisses ermöglichten einige dieser 200 Banken der Organisa­tion “La Mina” zwischen 1986 und 1989 die Abwick­lung von 138.000 Transaktio­nen mit einem Gesamtvolumen von nicht weniger als 1,029 Mrd. US-Dollar. Nicht eine einzige dieser Transaktionen kam den real existierenden Ban­kern des weltweit freiesten Marktes verdächtig vor.

Kasten:

Der uruguayische “Klarspülgang”

Die wesentlichen Informationen, die wir hier veröffentlichen, stammen aus dem Buch des urugayischen Journalisten Samuel Blixen, das im August 1990 veröf­fentlicht wurde. (s.u.) In dem Buch deckt Blixen auf, wie das Medellín-Kartell in den vergangenen drei Jahren mehr als 1 Mrd. US-Dollar “gewaschen” hat. Blixen weist minutiös nach, wie rund 400 Millionen US-Dollar dieses Geldes durch den Finanzplatz Montevideo geschleust wurden. Uruguay wurde somit zu einem un­entbehrlichen Baustein im System der internationalen Geldwäsche.


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Indígena-Proteste am 12. Oktober

Der spanische König Juan Carlos verlas die Einladung zur Konferenz im “Institut für Iberoamerikanische Kooperation” in Madrid. Sie sei der geeignete Augenblick für die iberoamerikanische Gemeinschaft, so der spanische Monarch, um sich ihrer selbst bewußt zu werden. Die Konferenz solle der Welt ihren Willen zeigen, für eine brüderliche und solidarische Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Nach letzten Informationen haben alle lateinamerikanischen Staatsoberhäupter – Fidel Castro eingeschlossen – die Einladung angenommen.
Währenddessen protestierten in Chile hunderte von Indígenas gegen die Gedenkfeiern am 12.Oktober. An diesem “Tag der Rasse” (día de la raza) wird in ganz Amerika die Landung von Kolumbus gefeiert. Vor dem Monument des Indígena-Führers Caupolican in Santiago de Chile hielt José Painiqueo, Vorsit­zender der “Metropolitanen Koordination der Indígena-Völker” eine Rede, in der er die Demonstration als Gedenkveranstaltung für den “Jahrestag der Invasion und die Ankunft der Fremden in unserem Vaterland” bezeichnete.
Die bolivianischen Indígenas kündigten im Zentrum von La Paz die Bildung einer eigenen Regierung für 1992 an.
In Ecuador fanden mehrere Demonstrationen gegen “den schlecht benannten Tag der Rasse” statt. “Dieses Ereignis bedeutete die Ausrottung unserer Sitten”, hieß es.
Im Südosten von Venezuela forderte der “Nationale Indio-Rat” (CNI), daß sich die lateinamerikanischen Nationen als multi-ethnische Staaten definieren sollten. Vor RepräsentantInnen von 21 venezolanischen ethnischen Gemeinschaften sagte ein Vertreter des CNI: “Wir Indígena-Völker weisen die “Entdeckung Amerikas”, den “Tag der Rasse” und die “Begegnung der Völker” als kolonialistische Begriffe zurück. Sie sollen nur den Völkermord verschleiern, der auf den 12. Oktober 1492 folgte.” Der CNI forderte eine kritische Bilanz des 500sten Jahrestages, Land- und Besitztitel für die Indígena-Gemeinschaften und einen Schutz vor dem Verkauf von Indígena-Land, um die Auslandsschulden zu bezahlen.
Panamaische Indígenas demonstrierten vor der spanischen Botschaft in ihrem Land und verlangten von ihrer Regierung, sich nicht an den Vorbereitungen zu den Feiern zum 500sten Jahrestag der Eroberung zu beteiligen.
In San Salvador versammelten sich Indígenas der Nahuatl. Vor der Statue der spanischen Königin Isabel erklärten sie den 12.Oktober zum “Tag der Trauer, an dem wir unsere Identität verloren haben”.
In San José, der Hauptstadt Costa Ricas, marschierten protestierende Indígenas durch die Stadt, während Staatspräsident Calderón ein Geschenk vor der Statue der Königin Isabel niederlegte. “Wir verlangen Personalausweise, jetzt sofort, wir sind Kinder dieses Landes”, forderten die costaricanischen Indígenas.
In Guatemala, einem der Länder mit dem höchsten Indígena-Anteil der Bevölke­rung, gaben verschiedene Volksorganisationen Stellungnahmen zum 12. Oktober heraus. Die Union der LandarbeiterInnen des Südens (UCS) forderte, die Mittel, die für diese “dummen Feiern” 1992 vorgesehen sind, für die medizinische Ver­sorgung und für Lebensmittel für die Armen auszugeben. Mit der Invasion 1492, so erklärte die UCS, habe das Leiden und die Ausbeutung der Indígena-Bevölke­rung begonnen, die bis heute andauere. Noch krasser drückte es das “Komitee für die Einheit der LandarbeiterInnen” (CUC) aus. Die Gewerkschaft verglich die von den Spaniern errichteten Kolonialdörfer mit den vom guatemaltekischen Heer geschaffenen militärisch kontrollierten Modelldörfern. “Die Spanier haben uns das Land geraubt und es an jene vergeben, die heute die Großgrundbesitzer sind”, erklärte das CUC und forderte die Rückgabe des Bodens an die rechtmäßi­gen BesitzerInnen. Die LandarbeiterInnengewerkschaft erklärte, die unterdrück­ten Völker und die armen Bevölkerungsschichten müßten sich zusammenschlie­ßen, um den offiziellen Feiern eine alternative Kampagne “500 Jahre Volks- und Indígena-Widerstand” entgegenzusetzen. Als Vorbild für den Widerstand empfahl CUC das Beispiel der geheimen Widerstandsdörfer in Guatemala. In diesen versteckten Bergdörfern leben Menschen, die vor der Repression des Hee­res geflüchtet sind.
Schon am Tage zuvor hatten auf ihrem vierten Treffen die lateinamerikanischen Indígena-Parlamentarier in Guatemala-Stadt eine Abschlußerklärung veröffent­licht. Darin kündigten sie jeglicher Form von Diskriminierung, Ausbeutung und politischer Vernichtung ihrer Völker den Kampf an und forderten die Regierun­gen ihrer Länder auf, ihre Sprache, ihre Kultur und die Institutionalisierung von Indígena-Regierungen zu unterstützen. Sie wiesen die offiziellen Feiern des Fünften Jahrhunderts der spanischen Eroberung zurück, da sie “beleidigend sind und die Indígena-Kultur zudem als touristisches Spektakel präsentiert werden soll”.
In den USA wurde folgende Erklärung des Cherokee-Indianers Jan Elliot publi­ziert: “Kolumbus war ein Mörder. Seine Landung am 12. Oktober 1492 löste einen der größten Verluste an Menschenleben in der ganzen Geschichte aus.”


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Die neue Rechte: Ihre Ver­sion in Honduras

Callejas und sein Konzept der “nationalen Entwicklung”

Mit dem Amtsantritt von Rafael Leonardo Callejas am 27. Januar dieses Jahres hat sich mehr vollzogen als der schlichte Wechsel der beiden traditionell konser­vativen Parteien im Land des “Bipardismo”. Mit dem Wahlsieg der Nationalen über die Liberale Partei hat sich die neue Rechte erstmals den Weg geebnet, um ihr Konzept der nationalen “Entwicklung” in die Tat umzusetzen. Mit Callejas ist auch der sowohl von den USA wie von internationalen Finanzorganisationen fa­vorisierte Mann an die Spitze der zivilen Regierung getreten.
Die Liberale Partei hatte in den beiden letzten Wahlperioden, zuletzt unter Präsi­dent Azcona, die traditionelle Generation der Oligarchie vertreten. Der neue Prä­sident hat eine Regierungsmannschaft um sich geschart, die, an den Universitäten in den USA ausgebildet, in Punkto Neoliberalismus durchaus mit den Chicago-Boys konkurrieren kann. Neu ist in Honduras die Formulierung eines eigenen Konzeptes von zivilen Kreisen, eine Aufgabe, der sich seit 1963 die Streitkräfte gewidmet haben.
Welche nationalen Interessen hinter der neuen Linie stehen, läßt sich an der Äm­terbesetzung ablesen. Das Finanzministerium wird von Benjamin Villanueva gelei­tet, dem Präsidenten der COHEP, des wichtigsten Unternehmerverbandes von Honduras. Mit Ricardo Maduro hat ein Vertreter des Exportsektors die Leitung der Zentralbank übernommen. Im Präsidentschaftssekretariat waltet Gilberto Gol­stein, ansonsten Unternehmer aus dem Zuckersektor. Die Ausrichtung dieser neuen Generation von Polit-Technokraten ist eindeutig: Öffnung des Landes für Auslandskapital und Investitionen, Privatisierung und Abbau jeglicher Subventio­nen.
Eine Regierungsmannschaft, die als homogen, ja fast als harmonisch zu bezeich­nen ist. Das wundert nicht. Fast alle Kabinettsmitglieder sind ehemalige Mitglieder der seit 1984 verbotenen “Asociación para el Progreso de Honduras”, APROH. Diese in ihrer ideologischen Ausrichtung stark anti-kommunistische Unterneh­mensorganisation initiierte in Zusammenarbeit mit den Streitkräften zu Beginn der 80er Jahre den schmutzigen Krieg gegen die Bevölkerung in Honduras. Die APROH ist aber auch Brutstätte eben dieses Konzeptes von “nationaler Entwick­lung”, wie es seit acht Monaten von Callejas Mannschaft rigoros durchgeführt wird, ungeachtet der Konsequenzen, die es für die Bevölkerungsmehrheit mit sich bringt.

Einheit von ziviler Regierung und Militärs

1983 organisierte sich die APROH offiziell. Von diesem Zeitpunkt an agierte sie dank der engen Verbindungen zu den Streitkräften als Machtinstanz über der zi­vilen Regierung von Roberto Suazo von der Liberalen Partei. Dieser fühlte sich in seiner Position bedroht, befürchtete einen Putsch. Als 1984 der APROH-Präsi­dent Gustavo Alvarez seines Postens als Chef der Streitkräfte enthoben wurde, verlor zugleich die APROH ihre Legalität. Ungeachtet dessen existierte sie bis heute im Halbschatten weiter.
Seit ihrer Gründung ist die Organisation Mitglied der”Confederacioon de Asocia­ciones Unificadas de la Sociedad Americana” (CAUSA), einer Filiale der Moon­sekte.
Das Neue des von APROH ausgebrüteten Plans ist nicht die Interessensallianz von militärischer und ökonomischer Macht, ebensowenig die Weiterführung der Doktrin der nationalen Sicherheit. Neu ist die Integration dieser Elemente in ein Konzept von “nationaler ökonomischer Entwicklung”, das von zivilen Sektoren der Gesellschaft artikuliert wird. Durch demokratisch legitimierte Wahlen abgesegnet, wird es gerade von der Callejas-Mannschaft in die Praxis umgesetzt.
Grundlegend für die neoliberale Strategie in Honduras ist die Doktrin der natio­nalen Sicherheit, um den Protest der Bevölkerung gegen die Regierungspolitik zu zerschlagen. Zudem wurde im Februar dieses Jahres auf einer gemeinsamen Sit­zung von Regierung und höchsten Vertretern der Militärs deren veränderte Rolle festgeschrieben: Sie sollen im Agrarsektor, in Gesundheitsprojekten und in der Erziehung tätig werden, dabei aber ihre militärische Funktion nicht verlieren. Die Militärcamps werden zu Produktionsstätten, das erleichtert den Zugang zu Bäue­rInnenorganisationen und deren Infiltrierung. Die “Einheit der Aktion” von Streit­kräften und ziviler Regierung läßt noch offen, wer letztlich die erste Macht im Land sein wird.

Die “ökonomische Restrukturierung”

Durch die Regierung Callejas sehen die Unternehmer des Exportsektors, die transnationalen Unternehmer und die internationalen Finanzorganisationen ihrer Interessen vorzüglich repräsentiert. Als die vorherige Regierung Azcona den Schuldendienst nicht mehr aufbringen konnte, wurde Honduras im Herbst vergan­genen Jahres international als kreditunwürdig erklärt. Callejas verhandelte bereits im Dezember mit VertreterInnen des IWF, besorgte sich den Segen für sein Maß­nahmenpaket und die Zusage für neue Kredite.
In Venezuela holte er Erkundigungen über die Erfahrungen mit den Maßnahmen à la IWF ein. Am 3. März schließlich wurde vom Nationalkongreß in Honduras ein Maßnahmenpaket zur “ökonomischen Restrukturierung” verabschiedet. Es bein­haltet in erster Linie Steuermaßnahmen, Preiserhöhungen und die vom internatio­nalen Währungshüter geforderte Abwertung des hondurenischen Lempira. Statt zwei müssen nun 4.16 Lempira für einen Dollar über den Tisch geschoben wer­den. Eine Situation, die den Exporteuren nur recht sein kann. Zur Haushaltssa­nierung wurden die Subventionen für Grundnahrungsmittel gestoppt und massen­haft Leute aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Bereits im Frühjahr bewilligte der IWF einen Kredit über 41 Millionen US-Dollar. Mitte September wurde be­kannt, daß auch die Weltbank zur Erhöhung der Auslandsverschuldung wieder beitragen wird. Von einem Kredit über 90 Millionen US-Dollar ist die Rede.
Die Konsequenzen für Honduraner und Honduranerinnen waren gleich nach Verabschiedung des “paquetazo” spürbar. Die Währungsabwertung heizte die In­flation an, die in den ersten sechs Monaten auf 20% stieg, nach nur 2.7% 1987 und 6.6% 1988. Der Abbau von Subventionen erhöht den Druck auf die Preise, während gleichzeitig immer mehr Leute ihren Job verlieren. Mitte des Jahres wurde in Honduras von 60% arbeitslosen Männern und Frauen gesprochen. Nach Informationen von Inseh leben inzwischen 68% der Bevölkerungg unter der Ar­mutsgrenze.
Nur noch 27% der HonduranerInnen können ihren täglichen Lebensbedarf decken. Alarmierend ist die Situation der Kinder. Von 4.5 Mio Menschen in Hondu­ras sind 2.6 Mio Kinder unter 14 Jahren. Im September meldete SHN, das 500.000 Kinder unterernährt sind und jährlich 125.000 Kinder sterben. Es ist nicht zu übersehen, daß das in seinen Auswirkungen inzwischen weltweit bekannte neo­liberale Modell auch in Honduras bereits nach acht Monaten seine Wirkung zeigt.
Kritisiert wird die Regierung nicht nur von VertreterInnen der Volksorganisatio­nen, sondern auch von UnternehmerInnen, die für den internen Markt produzie­ren, von der Kirche und von kritischen WissenschaftlerInnen im Land. Letztere veröffentlichten im April ein Dokument, in dem die Maßnahmen der Regierung aufs schärfste verurteilt werden. Die OekonomInnen sind bekannt für ihre regie­rungskritische Haltung und ihre ständige Präsenz, wenn es um ökonomische Fra­gen geht. Sie kritisieren am Maßnahmenpaket, daß es sich lediglich um kurzfri­stige Planungen gegen das Haushaltsdefizit und Devisenknappheit handele. Es sei aber offensichtlich, daß die Regierung ökonomische Entwicklung mit ökonomi­schen Wachstum verwechsle.

Die Volksbewegung

Seit Verabschiedung des “paquetazo” und der unmittelbaren Verschlechterung der Lebensbedingungen, der massiven Entlassungen von ArbeiterInnen manifestiert sich der Protest der Gewerkschaften und Volksbewegungen in Streiks und Pro­testmärschen. Bereits im April haben sich die Führungsgremien einiger Volksorga­nisationen und Dachorganisationen der ArbeiterInnen zur “plataforma de lucha para democratizar Honduras” zusammengeschlossen. In einem an die Regierung gerichteten Dokument wird diese Politik verurteilt: “Wir möchten die Technokra­ten der Regierung daran erinnern, daß eine halbe Million honduranischer Familien ohne Unterkunft sind und Tausende in Holzhütten ohne fließend Wasser, Elektri­zität und Abwasserleitungen leben. Eine Situation, die in Kontrast steht zu den großen Villen der Reichen… Und das geschieht in einem Land, das genügend na­türliche Ressourcen zur Verfügung hat, um die gesamte Bevölkerung in akzeptab­len Bedingugen leben zu lassen… Schuld ist die herrschende Klasse, die in keinem Moment der Geschichte ihre ökonomische und politische Macht in verantwortli­cher Weise ausgeübt hat…”
Gefordert werden eine Agrar- und Erziehungsreform, Lohnerhöhungen, Preisen­kungen und die Reduzierung der Militärausgaben. Zugleich werden der Regierung von Seiten der Plattform Verhandlungen angeboten. An diesem Punkt macht sich die Kritik von der Basis der Volksbewegung fest. Sie sind nicht mehr bereit, an ei­ner, von der Regierung in der Wahlperiode versprochenen, aber nie eingehalte­nen” Aktion der Konzertation” teilzunehmen. Die “Alianza Popular Unificada” (APU), der gegenwärtig wichtigste nationale Zusammenschluß von Gewerkschaften und Organisationen attestiert der Plattform eine Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis. Während die Basis konkrete Aktionen durchführte, wochenlang streikte, würde sich die Plattform mit Verhandlungen ohne Ergebnis auf- und die Leute hinhalten. Zweifellos bedeutet die Spaltung von Basis und Führung vieler Organi­sationen eine Schwächung der Volksbewegung.
Bereits im März traten die Angestellten des öffentlichen Dienstes im ganzen Land in den Streik, nachdem 12 000 von ihnen entlassen worden waren. Fast gleichzeitig wurde in der Hauptstadt Tegucigalpa ein Protestmarsch organisiert, indem andere Bewegungen ihre Solidarität bekundeten und gegen den “paquetazo” protestierten. Verschiedne Frauengruppen trafen sich Anfang April in der nördlichen Stadt San Pedro Sula zum “Marsch der leeren Kochtöpfe”. StudentInnen, LehrerInnen und Leute aus den Stadtteilbewegungen protestierten in anderen Städten. Bei Straßen­besetzungen in San Pedro Sula wurde gegen die Tariferhöhung der Öffentlichen Verkehrsmittel protestiert. Als das Militär eingriff, wurden ein Mensch getötet und acht verletzt.
Ihren Höhepunkt erreichte die Streikwelle im Juni. Allein neun Streiks wurden in verschiedenen Betrieben im ganzen Land durchgeführt. Am 11.Juni legten die Mitglieder der Gewerkschaft der Krankenhäuser für 26 Tage die Arbeit nieder und demonstrierten gegen die Privatisierungstendenzen im Gesundheitswesen. Am 25.Juni begann der längste Streik der ArbeiterInnen auf den Bananenplantagen der nordamerikanischen Tela Railroad Company, der am 7.August abgebrochen werden mußte. Die ArbeiterInnen hatten zu wenig Unterstützung von anderen Or­ganisationen erhalten. Zugleich hatte die Regierung ein Dekret verabschiedet, das alle Aktionen des Unternehmens legalisiert, die zur Weiterführung der Produktion notwendig seien.
Die Aktionen der ArbeiterInnen und StudentInnen setzten sich auch im Septem­ber fort. StudentInnen besetzten drei Universitäten, um zu verhindern, daß die Regierung in die Uniwahlen einschreitet. ArbeiterInnen der nationalen Elektrizi­tätswerke haben aus Protest gegen die ständige Präsenz der Streitkräfte in den Betrieben ihre Arbeitskräfte ebenfalls verlassen. Die zunehmenden Protestaktionen werden von Seiten des Staates mit immer schäferer Repression beantwortet.

Kein Morgengrauen in Honduras

An Phantasie, was repressive Maßnahmen anbelangt, scheint es weder der Regie­rung noch den Streitkräften zu mangeln. Mit verschiedensten Methoden wird versucht, die Volksorganisationen zu infiltrieren und zu zerschlagen. Bereits einige Male wurden “von oben” Organisationen gegründet, die identische Namen von oppositionellen Bewegungen tragen. Als im März die Direktoriumswahlen der “Vereinigung Öffentlicher Angestellter” (ANDANDEPH) anstanden, organisierte die Regierung kurzfristig einen Parallelkongreß, bestimmte eine neue Führung und entledigte sich auf diese Weise unliebsamer OpponentInnen. Mitglieder anderer Organisationen wurden bedroht oder verschleppt. Der StudentInnenführer der FRU, Roberto Zelaya, wurde im März von “Unbekannten” schwer verletzt. Eine Menschenrechtsorganisation in Honduras vermutet das Bataillon 3-16 der Streit­kräfte dahinter. Denis Hernan Rodriguez von der Bauernorganisation “Campasinos de Honduras” wurde im gleichen Monat tot aufgefunden. Im August nahm das zehnte Bataillon der Infanterie grundlos mehrere Bauern fest. Sie sind seitdem spurlos verschwunden. Anfang September führten die Streitkräfte im Gebiet 30 Kilometer östlich der Hauptstadt eine Suchaktion durch, weil nach offiziellen Aussagen, Mitglieder der revolutionären Bewegung MPL-Chinchonero dort ver­mutet wurden. Tage später wurden Roman Custodio und Anibal Puerto, beide Mitglieder der Menschenrechtsorganisation CODEH, und Matias Funes von der APU grundlos einen Tag lang von den Militärs festgenommen.
Repression in Honduras wird aber auch auf anderen Ebenen praktiziert. Über die Medien wird die Bevölkerung gegen Belohnung dazu aufgerufen, NachbarInnen zu bespitzeln und “Subversionsverdächtige” zu melden. Zugleich beabsichtigt die Re­gierung, das Arbeitsgesetz so zu verändern, daß Organisationen bei Protestaktio­nen für illegal erklärt werden können.
Während seiner Wahlkampagne hatte Callejas verkündet:”Die schwarze Nacht der Verschwundenen bleibt hinter uns.” Ein Morgengrauen in Honduras ist jedoch nicht in Sicht.

Quellen: INSEHInforma 53-59, 1990. Servicio Hondureño de Noticias.


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Zwischen Aufstand und Verhandlung

Ein Dialog über “die Dialoge”

Maria: Laß uns als ersten Schritt beschreiben, was in jedem Land passiert.

Lea: In Guatemala hat die URNG seit März Gespräche mit den Parteien, mit den UnternehmerInnen und mit den religiösen Gruppen geführt. Ende Oktober wird sie sich mit den Gewerkschaften und anderen Volksorganisationen tref­fen. Am Ende dieses Weges sind Verhandlungen mit der Regierung und dem Militär vorgesehen. Bisher gibt es ein Abkommen, das in spanien unterzeich­nete “Abkommmen von El Escorial” (siehe LN 194/195), in dem sich die Par­teien verpflichten, eine “Verfassungsgebende Versammlung” einzuberufen. Beim letzten Treffen mit den religiösen Gruppen Ende September hat die URNG einen Katalog mit Vorschlägen für soziale, politische und wirtschaftli­che Veränderungen aufgestellt.

Maria: Die FMLN dagegen hat Ende September ihre Vorschläge in Form eines Regierungsprogramms präsentiert (siehe Artikel in diesem Heft). Der Dialog-Prozess in El Salvador ist schon weiter fortgeschritten als in Guatemala. Zwar stagnieren die Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla seit dem zweiten Treffen in San José im August, weil es keine Annäherung bei dem wichtigsten der sieben zu verhan­delnden Themen gibt, der Entmilitarisierung. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Prozess der Verhand­lungen selbst ein unheimlich wichtiger ist. Die Verhandlungen, die im April in Genf begonnen haben, sind schon der vierte Dialogzyklus zwischen Regierung und Guerilla seit 1984. Und die neue Qualität der Treffen in diesem Jahr ist in drei Punkten zusammen­zufassen: Allein die Tatsache, daß die Regierung Christiani überhaupt Verhandlungen akzeptiert, ist ein großer Fortschritt. Bei den Treffen 1984, 1987 und 1989 hat es sich lediglich um “Gespräche” gehan­delt. Es ist niemals soweit gekommen, daß die Regierung tatsächlich bereit war, über Strukturen der Gesellschaft zu verhandeln. Der zweite wichtige Punkt ist, daß die Verhand­lungen jetzt unter Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden. Das bedeutet, daß beide Verhandlungsseiten unter dem Druck stehen, sich ernsthaft um Ergebnisse zu bemühen. Der dritte wichtige Punkt ist die Einbeziehung gesell­schaftlicher Gruppen. Das heißt, beide Verhandlungs­seiten, sowohl die FMLN als auch die Regierung treten regelmäßig mit den gesellschaftlichen Kräften in Kontakt. Die Ergebnisse der nationalen Diskus­sion werden ständig in die Verhandlungen hineingetragen.

Lea: Auch in Guatemala hat es schon frühere Versuche zu einem Dialog gegeben, beispielsweise nachdem 1987 der mittelamerikanische Friedensvertrag “Esquipulas II” unterzeichnet wurde. Doch offensichtlich setzten die guatemaltekischen Militärs die Regierung Cerezo unter Druck, so daß diese das Treffen mit der URNG im September 1987 aus rein formalen Gründen abhielt, aber schon im voraus klar war, daß es platzen würde. Und warum ist bei den vorherigen Dialogrunden in El Salvador kein Ergebnis heraus­gekommen?

Maria: Bisher hat die Regierung immer gesagt: Grundbedingung für eine Verhandlung ist, daß die FMLN die Waffen niederlegt. Das hat die FMLN nie akzeptiert.

Lea: Jetzt haben also beide Regierungen zum ersten Mal in Verhandlungen eingewilligt, obwohl die Guerillas ihre Waffen behalten.

Maria: Und Cristiani hat sich darauf eingelassen, daß zuerst politische Abkom­men geschlossen werden, bevor über einen Waffenstillstand geredet wird.

Lea: Um es bis hierher zusammenzufassen: Hinter dem Wort “Dialog” verbergen sich ganz verschiedene Inhalte. Das können Verhandlungen oder Gespräche sein. Verhandlungen können nur zwischen Machtgruppen stattfinden. In Guatemala hat es bisher noch keine Verhandlungen gegeben, weil die URNG noch nicht mit Regierung oder Militär an einem Tisch gesessen hat.

“Was be­deutet aber jetzt der Dialog innerhalb
der Strategie der FMLN und der URNG?”

Maria: Sie konnte also noch keine Abkommen über eine Entmilitarisierung schließen. Bisher ging es lediglich darum, klarzustellen, welche Position jedeR vertritt. Im Unterschied zu El Salvador werden in Guatemala innerhalb der Gesellschaft Diskussionen geführt, bevor die Guerilla in Verhandlungen mit der Regierung eintritt, während diese Prozesse in El Salvador gleichzeitig laufen.

Lea: Okay, Du kannst zwar nicht mit Gruppen verhandeln, die nicht an der Macht beteiligt sind. Auf der anderen Seite kannst Du aber auch mit der Regie­rung einen Dialog führen, der über die Qualität eines Gesprächs nicht hinaus­kommt, so wie es in El Salvador in den letzten Jahren der Fall war. Was be­deutet aber jetzt der Dialog innerhalb der Strategie der FMLN und der URNG?

Maria: Die FMLN hat immer einen integrierten Kampf geführt. “Integriert” heißt Einheit von bewaffnetem Kampf mit gleichzeitigem Bemühen um Verhand­lungen und politischer Arbeit mit den Massenbewegungen. Seit zwei Jahren wird von der FMLN auch die internationale diplomatische Ebene mit einbezo­gen. Entscheidend ist, diese vier Standbeine der revolutionären Strategie zu gewichten. Bis fast Mitte der 80er Jahre war der bewaffnete Kampf das stärkste Standbein. Seitdem hat die FMLN ihre Stärke auf politisch-diplomatischer Ebene ausgebaut.

Lea: Diese generelle Strategie wird so ähnlich auch von der URNG formuliert. Sie fordert schon seit 1986 Verhandlungen mit der Regierung. Die politisch-diplomatische Ebene ist aber erst seit 1990 von einem taktischen Element zu einem strategischen geworden, neben dem bewaffneten Kampf, dem Kampf der Massen und der internationalen Arbeit. Die Begründung erscheint mir widersprüchlich. Einerseits sagen sie optimistisch, auf diesem Gebiet ist jetzt etwas zu erreichen, auf der anderen Seite sieht die URNG die Befreiungs­bewegungen in einer defensiven Position. Durch den Ausbau der militärischen Hegemonie der USA nach der Intervention in Panama, der Regierungsüber­gabe der SandinistInnen in Nicaragua und der Auflösung des sozialistischen Lagers hätten sich die äußeren Bedinungen so verschlechtert, daß eine Revolu­tion im Augenblich nicht möglich sei.

Maria: Aber ich glaube, es geht nicht darum, die verschiedenen Ebenen der Stra­tegie gegeneinander auszuspielen. Für die FMLN war die Novemberoffensive die Grundlage für die jetzigen Verhandlungen, ohne die die Unternehmer heute nicht so einen Druck auf die Regierung ausüben würden. Sie haben materielle Verluste durch die Offensive der Guerilla gehabt und wollen jetzt politisch verhandeln. Eine Ebene unterstützt die andere. So wie die internatio­nale Diplomatie der Comandantes der FMLN dazu beigetragen hat, daß sie heute von der Regierung als politischer Machtfaktor ernster genommen wer­den. Aber beide Ebenen wären ohne den bewaffneten Kampf nicht denkbar. Also, für die FMLN und die URNG sind die Verhandlungen wichtig als Teil ihrer Strategie. Aber ebenso wichtig ist die politische Arbeit. Und ein Aus­druck davon ist der Diskussionsprozess innerhalb der Gesellschaft, das Suchen nach dem “Nationalen Konsens”.

Lea: Genau, der “Nationale Konsens” ist auch eines der viel benutzten Schlag­wörter.

Innerhalb eines ungünstigen Rahmens Spielräume schaffen…

Maria: Aber er ist mehr. Jetzt ist die Guerilla ernsthaft bereit, über ein Gesell­schaftsmodell mit Gruppen zu diskutieren, die bis vor einigen Jahren nur mit Waffen bekämpft wurden. 1986 hat die FMLN zum ersten Mal einen Konzer­tationsprozess allen Kräften des Landes ohne Ausnahme angeboten: “Es schliessen sich nur diejenigen selbst aus, die keine politische Lösung wollen”.

Lea: Eigentlich ist es nur ein sprachlicher Unterschied: Die URNG sagt, daß sie einen “Nationalen Konsens” schaffen will, der nur die Agraroligarchie und die reaktionärsten Teile des Militärs ausschließt.

Maria: Wenn wir jetzt sagen, daß es ein Erfolg für die Guerilla ist, mit der Regie­rung zu verhandeln, woran ist dieser Erfolg dann gemessen? Noch vor einigen Jahren galt für die FMLN: Ende des Krieges, das heißt, Sieg durch bewaffneten Kampf, gleich Machtübernahme. Diese Gleichung stimmt heute so nicht mehr. Die erste Hälfte – Sieg durch bewaffneten Kampf – wird heute von den Befrei­ungsbewegungen als unrealistisch angesehen und die zweite Hälfte, die Machtübernahme, ist zwar weiterhin das Ziel, aber es ist weiter in die Ferne gerückt.

Lea: Das heißt, daß versucht wird, innerhalb eines ungünstigen Rahmens Spiel­räume zu schaffen. Das hat ein ganz wichtiges Ergebnis: Die Befreiungsbewe­gungen sind diejenigen, die die Spielräume mit Waffen und am Verhand­lungstisch durchsetzen. Diese Spielräume werden aber von allen Volksorgani­sationen genutzt. So daß das langfristige Ziel, nämlich eine Änderung der Gesellschaft, von mehr Gruppen bestimmt wird, als nur von den bewaffneten. Das ist etwas worauf die URNG und die FMLN viel Wert legen. Ein Chef­kommandant der URNG hat das so ausgedrückt: “Für eine sozialistische Gesellschaft muß sich das guatemaltekische Volk selbst entscheiden, das werden wir, die Revolutionäre, ihm nicht aufdrücken”.

Maria: Auch die FMLN redet jetzt nicht vom Sozialismus, sondern von der “Demokratischen Revolution”. 1989 hat Joaquin Villalobos von der FMLN geschrieben: “Der Schritt zu einer Radikalisierung der Massen ist die Antwort auf die Repression und die Unterdrückung des Regimes, das keine Zugeständ­nisse machen will”. Vielleicht ist es möglich, aus dem Zitat den umgekehrten Schluß zu ziehen: Der Guerilla werden zur Zeit Spielräume eingeräumt. Dadurch hat sie die Möglichkeit, ein weniger radikales Element, die Verhand­lungen, in ihre Strategie zu integrieren. Der Grund, ihnen diese Spielräume zuzugestehen, beruht auf der Einschätzung, daß – durch die Veränderungen im Ost-West-Konflikt und in Nicaragua – die Guerilla schwächer sei. Das ist die Widersprüchlichkeit: Spielräume zu bekommen, aufgrund einer ange­nommenen Schwäche, diese aber zugleich auszunutzen zur Stärke.

Lea: Um zu verstehen, warum diese Verhandlungen eine Hoffnung bedeuten, war es für mich wichtig, mir klar zu machen, wie lange in den beiden Ländern schon gekämpft wird, wie lange es die Guerilla schon gibt, nämlich 30 Jahre in Guatemala und 20 Jahre in El Salvador. Und in beiden Ländern wurden die Revolutionen ja schon versucht, nämlich nach dem Sieg der SandinistInnen in Nicaragua. Und stell Dir vor, was das gekostet hat, wieviele Menschen schon gestorben sind! In der URNG gibt es dazu sehr kritische Stimmen: “Als wir dachten, die Revolution steht kurz vor der Tür, haben wir andere Mittel vernachlässigt und sind gescheitert; damals haben sich die Volksorganisatio­nen erhoben und sind ins Verderben gerannt”.

Maria: Ist denn die Guerilla wirklich in der Defensive, weil sie nicht militärisch die Macht ergreifen kann?

Lea: Andererseits kann sie ja auch nicht militärisch besiegt werden. – Das Paradox besteht doch darin: In beiden Ländern wird heute mit Waffen dafür gekämpft, eine Gesellschaft zu schaffen, in der der Zugang zur Macht ohne Waffen möglich ist. Für uns riecht das nach bürgerlicher Demokratie.

Maria: Ja, und innerhalb der FMLN werden auch sozialdemokratische Stand­punkte vertreten. Standpunkte, die ich nicht als radikal bezeichnen würde, aber die sie mit so radikalen Mitteln, mit Waffen, erkämpfen müssen. Die Schwierigkeiten, diesen ganzen Prozess klarzukriegen, hängen damit zusam­men, daß wir aus Europa kommen. Wir denken die Begriffe “Demokratie”, “bürgerlich” und “sozialdemokratisch” so, wie wir sie von uns kennen.

Lea: “Links” ist auch so ein Begriff. Für uns ist die Guerilla immer “links”. Links, aber in welcher Gesellschaft? Neulich hat jemand gesagt, die Guerilla entsteht nicht aus der extremen Linken sondern aus der extremen Notwendigkeit.


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Die politische Strategie der FMLN – Die demokratische Revolution

Am 24. September veröffentlichte die Comandancia General der FMLN eine Pro­klamation an die Nation mit dem Titel “Die demokratische Revolution”. In einem Minimalprogramm werden die politischen Grundlinien aktualisiert und in die nationale Debatte eingebreacht. Es richtet sich an die “Nation”, nicht an die mit der FMLN in Verhandlung stehende Regierung. Es skizziert den Weg einer “demokratisch nationalen Revolution” zur Wiedererlangung der nationalen Sou­veränität und zur Schaffung eines dauerhaften Friedens in El Salvador.

Zum 10. Jahrestag der FMLN – Veränderte Positionen

Nach den Konzepten der FMLN über die “revolutionär-demokratische Regie­rung” von 1980 und über die “Regierung mit breiter Partizipation” von 1983 ist das jüngste Programm der FMLN das weitreichendste und umfassendste. Neben bereits in früheren Dokumenten publizierten Grundlinien lassen sich revidierte Positionen feststellen:
– Statt der Verteidigung der einen Partei als Motor des revolutionären Prozesses propagiert die FMLN nun den politischen und ideologischen Pluralismus
– Von der Vorstellung des Staatseigentums als maximalem Ausdruck des gesell­schaftlichen Eigentums ist die FMLN abgegangen und plädiert dafür, das gesell­schaftliche Eigentum direkt unter Arbeiterkontrolle zu stellen. Zudem ist neben kollektiven und assoziativen Eigentumsformen auch Privateigentum vorgesehen.
– Neu ist die Bereitschaft der Befreiungsbewegung in einen permanenten Kon­zertationsprozeß mit allen gesellschaftlichen Gruppen und Sektoren zu treten.
– Zum ersten Mal taucht programmatisch die Forderung auf, die ungleiche Posi­tion der Frau in der Gesellschaft zu ändern.

Die demokratische Revolution

Die “national-demokratische Revolution” beinhaltet vier wesentliche Verände­rungen der salvadorenischen Bevölkerung, so die FMLN: 1) Die erste und zugleich grundlegende für den weiteren Entwicklungsweg sei die Beendigung der Militarisierung der Gesellschaft. Das Thema, aufgrund dessen die Verhand­lungen mit der Regierung immer wieder zum Stillstand kamen. 2) Darauf auf­bauend fordert die FMLN eine neue gesellschaftlich-ökonomische Ordnung, die nationale Demokratisierung und die Wiedererlangung der nationalen Souverä­nität.
3) Um die militarisierten Strukturen der Gesellschaft zu demokratisieren sei zunächst die totale Abschaffung der Streitkräfte notwendig, so die Forderung der Befreiungsbewegung. Die dadurch freiwerdenden Finanzmittel sollten in Erzie­hungs- und Gesundheitsprojekte investiert werden. Zur Sicherung der internen Ordnung ist die Schaffung von “Kräften der öffentlichen Sicherheit” vorgesehen, die vom Parlament kontrolliert und von zivilen Kräften geleitet werden. 4) Die Todesschwadronen der Streitkräfte und der privaten Unternehmer sollen aufge­löst und alle für Repression, politische Verfolgung und Morde Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.

Die neue gesellschaftlich-ökonomische Ordnung

Sieben Maßnahmen sind vorgesehen, um die wirtschaftliche Macht der Oligar­chie zu brechen. Durch eine tiefgreifende Agrarreform soll der Boden im Agrarsektor zugunsten der kleinen und mittleren Bauern umverteilt werden. Vorgesehen sind Kooperativen sowie kleine und mittlere private Eigentumsfor­men. Achse des neuen Wirtschaftssystems soll die Entwicklung eines “wirtschaftlichen Pols” der Bevölkerung (polo economico popular) sein. Gemeint ist die Entwicklung und Verstärkung von Kooperativen und selbstverwalteten kollektiven Eigentumsformen in allen produktiven Sektoren. Der größte Bereich der Ökonomie soll direkt in die Hände von ländlichen und städtischen Arbeiter­Innen gelangen und ihnen so die Partizipation an wirtschaftlichen Entscheidung­en garantieren.
Ebenso soll eine Reform des städtischen Eigentums zugunsten der marginali­sierten Bevölkerung erfolgen. Der Staat soll für alle sozialen Belange der Gesell­schaft, wie Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Kultur, zuständig sein. Durch eine permanente nationale Konzertation, an der UnternehmerInnen, ArbeiterIn­nen und der Staat teilnehmen, sollen Löhne, Preise, Arbeitsplätze und Kredite festgelegt werden.
Den Frauen wird durch eine neue Gesetzgebung eine den Männern gleichge­stellte gesellschaftliche Position formaljuristisch garantiert. Festgeschrieben werden gleichzeitig ihre Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen, bes­sere Arbeitsbedingungen, Schwangerschafts- und Mutterschutz.

Nationale Demokratisierung

Das demokratische System basiert nach Vorstellung der FMLN grundlegend auf der Anerkennung der individuellen Freiheit und dem Respekt der Menschen­würde. Angestrebt wird repräsentatives, partizipatives und pluralistisches politisches System, in dem dem Parlament eine starke Position zugesprochen wird. Neben einer unabhängigen Justiz, dem Schutz der Menschenrechte sowie Meinungs- und Medienfreiheit werden in Minimaldefinitionen ein neues Wahl­gesetz und eine neue Verfassung gefordert.

Nationale Souveränität – Unabhängige Außenpolitk

Das vierte und letzte vorläufige Ziel einer zukünftigen Gesellschaftsordnung um­faßt Grundsätze und Maßnahmen zur internationalen und Außenpolitik. Zu den USA sollen Beziehungen des gegenseitigen Respekts aufgebaut werden, wenn diese die nationale Souveränität und Selbstbestimmung El Salvadors anerkennen. Außenpolitisches Ziel ist der Kampf für eine neue Weltwirtschaftsordnung, in der die Interessen Zentral- und Südamerikas und der gesamten “Dritten Welt” verteidigt werden. Ausgangspunkt der Außenpolitk sind die Neutralität bezüg­lich internationaler Militärpakte, die Kooperation im internationalen Kampf ge­gen den Drogenhandel sowie die Beilegung der Grenzprobleme mit Honduras. El Salvador sollte nach Willen der FMLN in die Gruppe der mit Kuba politisch und ökonomisch zusammenarbeitenden Staaten eintreten.

Keine Absage an den Sozialismus

Die FMLN präsentiert ihre strategischen Grundlinien zu einem Zeitpunkt, an dem in El Salvador eine nationale Debatte über die Zukunft des Landes in einem bisher nicht bekannten Maße geführt wird. Parteien, Kirche, Gewerkschaften und das “Komitee für die nationale Verteidigung” (CPDN), in dem seit 1988 über achtzig gesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen sind, diskutieren die zentralen Themen, die Gegenstand der Verhandlungen sind: Beendigung des Militarismus, Wahlgesetzreform, Verfassungsreform. Die Ergebnisse der Diskus­sion werden regelmäßig in die Verhandlungen getragen. Die Dynamik der poli­tischen Mobilisierung übt auf die Regierung Cristiani erheblichen Druck aus. Insofern soll die Proklamation der FMLN ein Beitrag zum Prozeß des “nationalen Konsenses” sein.
Rebeca Palacio, Comandante der FMLN, zum Charakter der Proklamation: “Sie ist ein Instrument für die Gegenwart, insofern, als sie den Proze der nationalen Konzertation verstärkt, und ein Instrument für die Zukunft, weil sie ein Wegwei­ser in Richtung einer neuen Regierung sein kann.”
Im elfseitigen Text ist die Rede von Demokratisierung und Pluralismus. Hat die FMLN dem Sozialismus abgesagt?
Rebeca Palacio: “Wir haben unsere ideologischen Grundlagen nicht verändert. Aber wir sind fähig, ein Projekt zu konzipieren, das die Türen für eine gesell­schaftliche Entwicklung öffnet, die die Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt und der heutigen Realität entspricht…Es ist kein sozialistisches Projekt, aber sicher ein revolutionäres.”
Und Maria Marta Valladores, ebenfalls Comandante der FMLN: “Wir glauben, daß die Lösung für die Probleme des Landes nicht durch die Ideologie derer de­finiert ist, die das Land voranbringen, sondern durch die Fähigkeit, ein lebensfä­higes Projekt vorzuschlagen.”
So verstanden ist die Proklamation der FMLN ein strategisches Papier, das Spiel­räume öffnen soll. Es ist nicht Ausdruck von Verlust an ideologischen Grundsätzen, sondern zeigt Realismus und Pragmatismus.
“In diesem Augenblick ist unsere erste Sorge nicht die, mittels einer Revolution nach kubanischem Muster an die Macht zu kommen. Diese war zur damaligen Zeit richtig. Wir kämpfen dafür, die Demokratie zu errichten und nehmen an den Kämpfen in diesem Sinne Teil”, so FMLN-Comandante Emilio Maria Sandoval.
Zudem ist das FMLN-Programm Teil einer umfassenden Strategie der Befrei­ungsbewegung, zu der die Verhandlungen sowie die internationale Diplomatie gehören und die ohne den bewaffneten Kampf nicht zu denken sind.

Und Cristiani…?

Weniger umfangreich als die Proklamation der FMLN ist dagegen der Vorschlag, den Präsident Cristiani am 1.Oktober vor der Generalversammlung der Verein­ten Nationen der internationalen Öffentlichkeit kundtat. “Wir sind zu einem Waf­fenstillstand bereit”, verkündete er stolz, “vorausgesetzt, die FMLN ist es ebenso.”
So ernsthaft, wie von Cristiani vorgebracht, so einhellig wurde er von den eben­falls nach New York gereisten Parteien El Salvadors abgelehnt. Wen wundert’s.


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Octavio Paz: Großer Poet -großer – Verwandlungskünstler

Zum Literaturnobelpreis von Octavio Paz

Wird von Octavio Paz gesprochen ist es sehr schwierig, sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Eine Persönlichkeit der universellen Kultur und der mexikanischen Politik -und nicht nur deren -,hat er von sich ein so vorteilhaftes Bild geschaffen, das gleichzeitig entgegengesetzt zu seinem wirklichen Ich ist. Octavio Paz kann stolz darauf sein, der am meisten ausgezeichnete Autor der spanischen Sprache zu sein. Zu seinem Unglück kann er aber nicht die höchste Anerkennung bekommen, die es für einen Schriftsteller gibt: die der Leserinnen, die neben seinem Talent die intellektuelle Aufrichtigkeit am meisten schätzen. Paz verkauft sich in der literarischen Welt als marginalisierter Schriftsteller, Rebell, Verteidiger der Freiheit und als unabhängiger Kritiker der Macht und der totalitären Systeme. Eine Gegenüberstellung mit seinem öffentlichen Auftreten, das ihn mit den Mächtigen in Mexiko und der Welt verbindet würde er schwer bestehen. Sag’mir, von wem Du deine Preise bekommst und ich sage Dir, zu welcher Sorte Intellektuellen du gehörst.
Können wir wirklich an die intellektuelle Unabhängigkeit Octavio Paz’ glauben, wenn die mexikanische Regierung ihm alle nur möglichen mexikanischen Preise verliehen hat und sogar noch extra für ihn einen erfunden hat? Wo bleibt da die angebliche Marginalisierung des Poeten, wenn allgemein bekannt ist, daß er mindestens seit den 40-er Jahren dem mexikanischen Staat gedient hat, dessen Kritiker er zu sein behauptet? Paz stand im diplomatischen Dienst und arbeitete in verschiedenen akademischen Institutionen und kulturellen Projekten, die von der Regierung finanziert wurden. So arbeitete er auch an der jüngsten Ausstellung über mexikanische Kunst in New York mit, die das Ansehen der Regierung Salinas de Gortari stärken soll.
Wer kann Octavio Paz bescheinigen, er sei ein kämpferischer und kritischer Intellektueller, wenn er gleichzeitig als Botschafter Mexikos in Indien bis zur allerletzten Minute gewartet hat, um sein Amt seinem Chef Díaz Ordaz zur Verfügung zu stellen, als dieser im Oktober 1968 auf tausende Studierende und BürgerInnen schießen ließ ? In Wirklichkeit war der Rückzug des Botschafters Octavio Paz eine günstige Gelegenheit, um sein internationales Ansehen zu retten. Dieser Rücktritt sollte von da an die Grundlage für die Legende seiner Aufrichtigkeit und Tapferkeit bilden. Dieser Tage erinnern uns die Biographen von O.Paz (siehe auch FAZ, Süddeutsche Zeitung und der Spiegel) mit auffälliger Eindringlichkeit daran, daß Paz aus einer revolutionären und sozial kämpferischen Familie stammt: Sohn eines Kampfgefährten des Bauernhelden Zapatas und Enkel eines Parteigängers Benito Suárez’, der gegen die französische Intervention in den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts gekämpft hat. Ausserdem bereichert eine Tatsache seine besondere Abstammung, die aus der Familie Paz ein Beispiel der geglückten Synthese des Mexikanischen machen: Die Mischung des spanischen.und des indianischen Blutes. Durch diesen Verweis auf seine Abstammung wird der Versuch unternommen, aus Octavio Paz genau die passende Persönlichkeit zumachen und ihn im Namen ganz Mexicos sprechen zu lassen (El laberinto de la soledad). Auch wenn in Wirklichkeit seine Verbindung zu den Armen und der indigenen Bevölkerung Mexikos sich in nichts von der der Mächtigen unterscheidet. Hier kann sehr gut das mexikanische Sprichwort gebraucht werden: Sag’ mir, womit du prahlst und ich sage dir, was dir fehlt.

Paz, ein Mann des Volkes?

Und außerhalb Mexikos? Wissen Sie, wer den Poeten prämiert hat?. Einige nordamerikanische Universitäten, an denen die neuen Eliten Mexikos ausgebildet werden. Die “neuen Mexikaner” von Harvard, Oxford, Yale und Stanford. Sie “modernisieren” Mexiko, in dem sie es verschulden und zu einem Netto-Kapital-exporteur machen. Auch unterstützen sie die “Modernität” und unterzeichen einen Freihandelsvertrag mit den USA, um Mexiko in ein riesiges touristisches Territorium mit genügend billigen und kontrollierbaren Arbeitskräften zu verwandeln.
Eigentümlicherweise haben die Reise von Paz immer offiziellen oder halboffiziellen Charakter und kamen von Regierungen oder Institutionen, konservativen oder offen rechten Gruppen. Dies spricht für sich …. Mit der Rede, die er beim Erhalt des deutschen Buchhandelspreises gehalten hat, stellte sich Paz als Vorkämpfer der Demokratien auf dieser Welt dar und fiel über das “totalitäre” sandinistische Regime her, von dem er sofortige “freie Wahlen” verlangte. Und von da aus ging es weiter gegen Kuba. Um 1987 herum befand sich Paz an der Spitze einer internationalen Gruppe von Intellektuellen, die von dem “Diktator” Fidel Castro ein Plebiszit verlangte, gleich demjenigen von Pinochet in Chile, indem das kubanische Volk seinen “freien” Willen gegenüber dem kommunistischen Regime hätte äußern sollen. Zufall oder nicht, Paz wurde zu einer wichtigen Stimme der nordamerikanischen Politik in Lateinamerika, deren Ziel es ist, mit den von den USA nicht geschätzten Systemen aufzuräumen
Den Eifer, den Octavio Paz an den Tag legt, wenn er saubere, authentische und demokratische Wahlen in Nicaragua, Kuba und in den Ländern des sozialistischen Ostens verlangt, verschwindet sofort, und er wird zum wahren Verwandlungskünstler, wenn es um die gleiche Sache in seinem eigenen Land geht. Logisch: es ist einfacher, den Splitter in seines Mitmenschens Auge zu sehen, als den Balken vor seinem eigenen Auge.
Wie rechtfertigt man jemanden, der das politische System Mexikos einmal als Diktatur bezeichnete, das politische Monopol der P.RI.,den Mangel an Demokratie kritisierte und gleichzeitig, wie durch einen Taschenspielertrick sich über die politischen Rechte des mexikanischen Volkes lustig macht (Posdata). Jetzt ist er Fürsprecher des Modernisierungsprojekts der P.R.I.. Er verteidigt die Legitimität des Regimes von Salinas de Gortari, das durch Wahlbetrug an die Macht gekommen ist,und seine zentrale Stütze während des sich daraus ergebenden Wahlkonflikts in dem Einsatz der Armee und in der Effizienz der polizeilichen Unterdrückung von Dissidenten findet. Das Talent und die Feder Octavio Paz dienen nun dazu, daß das salinistische Regime die Glaubwürdigkeit erhält, die es so nötig braucht.
Können wir uns wirklich einen so “naiven” Paz vorstellen …?O.Paz von einem System verführt dessen Mechanismen der Kooptation (Integration von Oppositionellen) und Korruption -die auch Teil der Preise für Intellektuelle ausmachen -wie er selber ganz klar beschrieben hat (El Ogro Filantripico). Wie funktioniert das mentale Labyrinth dieses Menschen mit den vielen Masken, Gewinner des Nobelpreises durch Täuschung?
Endlich waren die Bemühungen von Octavio Paz nicht umsonst: er genießt Privelegien und Konzessionen. Er verfügt über die Zeitschrift “Vuelta”, die von der Regierung finanziert wird; das Fernsehmonopol (‘Televisa”) stellt ihm eine gute Anzahl an Stunden zur Verfügung und organisiert für ihn Ehrungen. O.Paz hat sich in das unbestrittene Haupt der mexikanischen Kulturbürokratie verwandelt. Viele Privilegien, die er selbst in seiner Kritik an der mexikanischen Bürokratie beschrieben und kritisiert hat,gibt er selbst nicht auf.(El Ogro Filantripico)
Noch eine Täuschung und ich beende diesen Kommentar: Paz hat die Modernität und die Modernisierungsprojekte der mexikanischen Eliten kritisiert. Er hat geschrieben, daß diese Projekte Mexiko die Unabhängigkeit gekostet haben und den Verlust der nationalen Identität (E1 Ogro Filantípico, Corriente Alterna); aber heute tritt er mit einer anderen Maske auf die politische Bühne. Vielleicht seine wirkliche und authentische Maske -die des Legitimators und Ideologen der Modernisierung durch Salinas. Der Poet hat mit seiner Musik den Ohren der Mächtigen Mexikos und der Welt geschmeichelt. Seine Dienste wurden belohnt. Der einzige Preis, der ihm fehlte, der am meisten gewünschte von allen, schmückt jetzt sein gekröntes Haupt. Mit seinen 76 Jahren kann sich Octavio nun in Paz (Frieden) zurücklehnen.


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“Guatemala-Reisehandbuch – Alternativtouristische Realsatire”

Tourismus nach Guatemala? Nachdem das Tourismusgeschäft in und mit Guatemala An­fang der 80er Jahre wegen international verbreiteter Nachrichten über einen eskalierenden Antigue­rillakrieg und Massaker an der Zivilbevölke­rung eine Flaute erlebte, können seit 1986 unter der zivilen Regierung Cerezo trotz anhaltender Re­pression und militäri­scher Auf­standsbekämpfung wieder anstei­gende Touristen­zahlen verzeichnet werden. Alte Kult­stätten der Mayas und das Er­scheinungsbild der indianischen Bevölkerungs­mehrheit, kombi­niert mit Naturschön­heit, locken trotz Tourismus­boykottkampagnen von Solidaritäts­gruppen auch und gerade den “Alternativtourismus” an. In diesem Trend wirbt auch das neu im Ver­lag edition aragon erschienene erste “kritische” deutschspra­chige “Dritte-Welt Reise­handbuch Guatemala” für Reisen in “das kulturell, histo­risch und eth­nologisch wohl inter­essanteste Land Mittel­amerikas”. Die Autorin, die österrei­chische Journalistin Han­nelore Rudisch-Gissenwehrer, will mit ihrem Buch die of­fensive These vertre­ten, daß “Reisen in Entwicklungsländer eine posi­tive Seite haben, wenn man nicht in einer Art Kolonisatoren-Mentalität aus­schließlich die touristischen Qualitä­ten des Landes genießt, sondern bereit ist, die Augen auch gegenüber Schwierig­keiten und Problemen zu öffnen.”
Der Inhalt, in Form eines chronologisch Tag für Tag erzählten Rei­setagebuches über den ersten und einzigen, nur 3-wöchigen (!) Auf­enthalt der kaum spanisch sprechenden Autorin in Gua­temala, ange­reichert mit Reisetips und hineingestreu­ten “Hintergrundinformationen”, lie­fert aber eher einen unbeab­sichtigt geradezu re­alsatirischen Anschauungsunterricht, wie weit dieser Anspruch mit der Wirklich­keit der/s Reisenden auseinanderklaffen kann. Touri­stische Selbstbezo­genheit ei­nerseits, sich selbst be­weihräuchernde “Betroffenheit” anderer­seits, mischen sich da mit der Idealisierung der “edlen Wilden” sowie Greuelstories über Mili­tärherrschaft zu einem extremen Negativbeispiel von “engagiertem Reisejournalismus” und “Alternativtourismus”.
Im ersten Teil des Reisehandbuches beschreibt die mehrfach prä­mierte und schon in un­zähligen Ländern herumgereiste Journali­stin ihre kurzfristige Einla­dung und Teilnahme an einer organi­sierten Journalisten­reise, die im insgesamt einwö­chentlichen Ab­klappern der üblichen Tourismus­orte wie Antigua, Tikal, Panaja­chel und Chi­chicastenango besteht. Ihre Umgebung sind Luxus­hotels mit Marimba­combos am Swimmung­pool, einzige Gesprächs­partner au­ßer einem Reiseleiter der staatlichen guatemaltekischen Tou­rismusbehörde der österreichi­sche Konsul, österreichische Lehrer und Präsident Cerezo höchstper­sönlich bei einer Stippvisite in seiner Finca. Daneben bemüht sich die Autorin, eth­nologische und historische Standardlektüre zu Guatemala einzuflech­ten, was allerdings auf­gesetzt und zufällig bleibt. So widmet sie entspre­chend der ver­wendeten Litera­tur der Zu­sammenfassung des “Bananenkriegs” von Schlesin­ger/Kinzer über die US-Interven­tion und den Militärputsch 1954 immerhin ganze 12 Seiten, verliert aber kaum ein Wort über Hinter­gründe und Geschichte der heu­tigen Guerilla­organisationen oder über aktuelle Gewerk­schafts- und Massenbewe­gungen. Politische Einschätzun­gen plädieren zwar emotional und überbetont für die Seite der “Unterdrückten”, sind aber pauschal oder personali­sierend: Die In­formationen über den Massenter­ror unter Militär­regierungschef Rios Montt 1982/83 werden eingebettet in Beschrei­bungen seines fundamentalisti­schen, reli­giösen Fa­natismus; der christdemokratische Präsident Cerezo erscheint mal als engagierter Sozialrefor­mer, dem leider die Hände gebunden sind, mal als Bünd­nispartner im Block der Mächtigen gegen die Entrechteten.
Insgesamt ergibt sich so ein folkloristisches Schwarzweißbild einer “Bananenrepublik” als Hinterhof der USA mit Korruption, “grundlosen” Massa­kern, militärischer Gewaltherr­schaft, unge­rechter Landverteilung, extremer Aus­beutung usw., das aber dar­überhinaus keine innere Widersprüchlichkeiten, poli­tische, kul­turelle und sozioökonomische Differenzie­rungen oder Bezüge zu europäischen Industrie­ländern wahrnimmt, die als “westlich”, “demokratisch”, “ruhig” und “zivilisiert” immer wieder das Gegen­bild liefern. Diese Kulisse ist aber nur der Hintergrund der Reise­beschreibung, die sich ansonsten wechsel­badartig den Ho­tels, schönen Blumen und Land­schaften, Unbehagen beim Anblick von Militärs und aus­führlich indiani­schen Trachten und verschiedenen Mayakultstätten zuwendet.
Im zweiten Teil, in dem historische und politische Informationen gänzlich rar werden, driftet die Autorin bei der minutiösen Be­schreibung ihrer Tagesabläufe während einer zweiwöchigen Al­leinreise – ebenfalls fast nur durch Tourismus­gebiete und Provinz­hauptstädte – völlig in Selbstbezogenheit ab. Keine dramati­sierende Wie­derholung von Langeweile, Darmproblemen, Ekel vor der gua­temaltekischen Küche (die sie nie zu testen wagt) oder Pensionen (“Viehställe”) wird der LeserIn er­spart. In ihrer Naivität immerhin unglaublich und peinlich offen lesen sich diese Litaneien wie eine entlarvende Charakterstu­die der/s europäischen “AlternativtouristIn”: Stolz überwundene Abenteuer mit Sprach-, Ess-, Transport oder Krankheitsproblemen vermischen sich da mit der aus gehörten Schüssen und Autos mit schwarzgetönten Schei­ben immer wieder selbst inszenierten Kulisse ei­nes Bürgerkrieges, von dem die Autorin sich unmittelbar betroffen und bedroht fühlt. Dazu kommt neben dauernder Angst, bestohlen oder übers Ohr gehauen zu werden ein unglaublicher Geiz bei der Über­prüfung von Prei­sen und Wechselkursen und Stolz auf die Bescheidenheit der eigenen Geld­ausgaben. Bei soviel hauptsäch­lich in der Phanta­sie genährten Bedrohungsgefühlen ist es kein Wunder, daß sich unsere Jour­nalistin ebenso typisch zwar als erste und ein­zige Er­kundschafterin fühlen möchte, gleichzeitig aber einsam und ver­zweifelt Kontakt und Verbündet­heit mit anderen Auslände­rInnen sucht.
Mit der guatemaltekischen Bevölkerung wechselt sie nämlich in ihren 3 Wo­chen nur we­nige, aber immer stolz zitierte Worte. Den­noch fühlt sich Hannelore Rudisch-Gissenwehrer bald als Kenne­rin des “auffallend friedlichen und sanften Wesens der Indios” und grenzt sich perma­nent gegenüber anderen TouristInnen durch ihre doch so viel taktvollere Umgehens­weise mit denselben ab, nimmt sich dabei einerseits ungeheuer wichtig in ihrer Angst zu stören und will gleichzeitig schon dazugehören, schwärmt von Glücksge­fühlen in “Zivilisationsferne” und läßt kein Klischee über die als völlig homogen angesehene indianische Bevölke­rung aus: “Stolz”, “friedliebend”, “würdevoll”, “lächelnd”, “schüchtern”, “still”, “traditionell”, “naturnah”, “tierlieb”, “kindlich”, “samthäutig”, “knopfäugig”, “zartgliedrig” sind die meistverwandten verniedli­chenden und idealisierenden At­tribute für die – meist nur im Bus oder auf Touristenmärkten beobachtete – Hochland­bevölkerung; dementsprechend ergeben sich aus diesem positiven Rassismus unge­heuer arro­gante Bemerkun­gen der Autorin über indianische Naivität, Abge­stumpftheit, Unter­würfigkeit, Unzivilisiertheit und “Wirtschaft im Steinzeitniveau” sowie Anal­phabetismus, und die Vorstellung einer völlig stati­schen, unpolitischen traditionsver­hafteten Welt­sicht.
Fazit: Unglaublich, wie anscheinend allein das Renommee der Au­torin dazu aus­reichte, dieses bornierte und noch dazu mit falschen Jahreszahlen und falscher spanischer Schreibweise belassene Ta­gebuch als “kritisches” Guatemala­reisehandbuch herauszugeben.
Allerding können solche Ergüsse nicht nur ebenso abgrenzend und selbstherr­lich belä­chelt werden, sondern der Analyse des eigenen Reiseverhaltens und -wahr­nehmung als sati­rischer Zerrspiegel dienen, der schonungslos auf die Wider­sprüche, Sprunghaftigkei­ten und uneingestandenen Faszinationen von “Alternativ”- oder “Polittourismus” hinweist!

Hannelore Rudisch-Gissenwehrer: GUATEMALA-“DRITTE-WELT” REISEHANDBUCH; edition aragon; Moers 1990; ISBN 3-924690-37-5


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Goldene Zeiten – für wen(?)ige

“Nur außerhalb der Sitzungssäle können die ArbeiterInnen momentan für ihre Interessen kämpfen…”

Noch waren die Straßenschäden in Managua, wo im Juli-Streik (s. LN 194/95) die Barrikaden gebrannt hatten, nicht beseitigt, da war bereits klar, daß die Re­gierung die ausgehandelten Abkommen nicht erfüllen würde. Die vereinbarte Lohnerhöhung von 43% – die schon damals die Inflation bis zu diesem Zeitpunkt kaum auszugleichen vermochte – wurde binnen kürzester Zeit von den rasanten Abwertungen des Córdoba aufgesogen. Weiterhin finden Entlassungen unter politischen Vorzeichen statt. Nach Angaben der Nationalen ArbeiterInnenfront (FNT), dem Dachverband der pro-sandinistischen Gewerkschaften, sind bis Ende August im Bereich der staatlichen Verwaltung 3023 Angestellte mit dem Argu­ment der Einsparung entlassen worden, wobei aber gleichzeitig 2238 Personen neu eingestellt worden, was den politischen Hintergrund der Entlassungen sogar in Zahlen faßbar macht.
Gründe für einen erneuten Streik brauchen nicht lange gesucht zu werden: Die Kaufkraft der ArbeiterInnen und Angestellten ist nach Angaben des FNT-Führers Lucío Jiménez im Juli und August um 100% gesunken. Die FNT hatte eine Erhöhung der Löhne um 140% als Vorbedingung für Gespräche zur “Konzertierten Aktion” mit der Regierung gefordert. Davon war keine Spur. So kündigte FNT-Chef Jiménez die Beteiligung der Gewerkschaften an der Concertación außerhalb der Sitzungssäle an: Nur dort könnten die ArbeiterInnen momentan für ihre Interessen kämpfen.
Im Gesundheitsbereich ist die Situation katastrophal. Langjährige europäische MitarbeiterInnen sprechen davon, daß “die Situation immer schwierig” war, “immer gab es Engpässe. Aber jetzt gibt es einfach nichts mehr.” In den Gesund­heitszentren sind kaum noch die notwendigsten Basis-Medikamente zu erhalten. Das Präventiv-System von Impfungen, Hygiene- und Insektenvorbeugung ver­sagt an vielen Stellen. Krankheiten, an denen seit Jahren in Nicaragua niemand mehr gestorben war, wie z.B. Masern, breiten sich in einigen Regionen epidemie­artig aus. Medikamente gibt es oft nur noch in privaten Apotheken, die Preise liegen dann jedoch für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich hoch. “Die Statistiken werden sich eventuell sogar verbessern,” erzählt Doris Grüber, eine in Rama arbeitende österreichische Krankenschwester, “denn registriert werden nur die Fälle, die uns bekannt sind. Viele Leute kommen aber gar nicht mehr ins Gesundheitszentrum, weil sie wissen, daß sie dort eh’ keine Medizin bekommen können.” Den Gnadenstoß für das nicaraguanische Gesundheitssystem würde es bedeuten, wenn sich das kursierende Gerücht bewahrheitete, daß weitere Strei­chungen von 40% der Stellen im Gesundheitswesen geplant sind.

Proteste, Streiks, Besetzungen – die FSLN hält sich im Hintergrund

Immer wieder ist es in den Monaten nach dem Streik Anfang Juli zu teilweise spektakulären Aktionen einzelner Sektoren der Gesellschaft gekommen, die sich von den Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung besonders hart betroffen sehen. Die HändlerInnen des Marktes “Roberto Huembes” beispielsweise, traditionell eher pro-sandinistisch organisiert, wurden von der neuen Stadtverwaltung Managuas mit massiven Steuererhöhungen belegt. Die allgemeinen Preissteige­rungen für Wasser und Strom und die gleichzeitig wegen des Kaufkraftverlustes der Bevölkerung absinkenden Verkäufe bringen viele HändlerInnen an den Rand des Ruins. Der Markt sandte eine Delegation an die Präsidentin, ohne jedoch Erfolg zu erzielen.
Anders die Organisationen der Kriegsversehrten, der Mütter der Gefallenen und der Kriegsrentner: Als sie am 3. September eine Abordnung zur Präsidentin schickten, und dort nur Polizei vorfanden, entschlossen sie sich zu einer Maß­nahme, die in Nicaragua fast einer Revolution gleichkommt: Die Sendestation des Staatlichen Fernsehens (SNTV, vormals Sandinistisches Fernsehen, SSTV) wurde besetzt, die “Telenovela” fiel landesweit aus. Ihre Forderung: Anhebung der Renten auf 2/3 des als notwendig definierten Minimallohns zur Abdeckung eines Basis-Warenkorbs. Die Fernseh-BesetzerInnen erreichten Verhandlungen mit der Regierung, in denen zumindest die grundsätzliche Berechtigung ihrer Forderungen anerkannt wurde.
Den Universitäten wurde Ende August das Budget um 20% gekürzt. Da der Großteil dieses Haushalts in Ausbildungsförderung (vergleichbar mit BAFöG) und Gehälter der Lehrenden fließt, haben Lehrende und StudentInnen diese Kürzung direkt im eigenen Geldbeutel gespürt. Die Universitäten, in Regie­rungskreisen ohnehin als sandinistische Kampfzellen verschrien, wehrten sich mit verschiedenen Protestaktionen. Die Rektoren schickten eine Delegation des Nationalen Rates der Universitäten zu Präsidentschaftsminister Antonio Lacayo, dem “starken Mann” hinter Violetas Thron. Lehrkräfte und die in der Nationalen StudentInnenvereinigung (UNEN) organisierten StundentInnen mobilisierten am 10.September zu einer Demonstration zum Regierungssitz. Die StudentInnen befürchten, so die UNEN-Vorsitzende María Ramírez, daß die Haushaltskürzun­gen weitergehen könnten, bis die Unis gezwungen wären, Geld für das Studium zu kassieren. Rund 5000 StudentInnen zogen vor den Regierungssitz der Präsi­dentin Chamorro. Am selben Abend noch erhielten sie von der Regierung ein Angebot, über das bis Redaktionsschluß noch nichts genaues bekannt war. Alejandro Serrano, Vorsitzender des Nationalen Rates der Universitäten, sah “positive Aspekte” in der Antwort der Regierung, mochte sich aber auf eine genaue Aussage noch nicht festlegen. “Wenn die Antwort negativ sein sollte,” so María Ramírez, “müssen wir zu stärkeren Maßnahmen greifen, um zu erreichen, daß die Universität respektiert wird, zum Beispiel einige schnelle Betriebs­besetzungen oder Besetzungen von Medien und anderen Einrichtungen, die für die Regierung sensible Bereiche darstellen.”
Anfang September traten die in den pro-sandinistischen Gewerkschaften organi­sierten Bankangestellten in mehrtägige Teilstreiks ein. Die Regierung erklärte sich schnell zu Verhandlungen bereit, die zu einer Vereinbarung über eine Lohn­erhöhung von 45% führten, ein Teil davon auszuzahlen in den neu eingeführten “Gold-Córdobas”.
Auch wenn die Ergebnisse angesichts des tatsächlichen Kaufkraftverlustes mager sein mögen, so markiert die Art der Konfliktlösung doch einen Schritt der Regie­rung zur Anerkennung der Kräfteverhältnisse, wie sie im Juli-Streik deutlich geworden sind. Die schnelle Einigung dürfte im diesem Moment für beide Seiten überaus vorteilhaft gewesen sein. Die FNT weiß, daß ein breit angelegter Streik wie im Juli nicht beliebig wiederholbar ist – nicht zu jeder inflationsbedingten Lohnforderung kann ganz Managua mit Barrikaden lahmgelegt werden. Die Regierung ihrerseits hat ein Interesse, den Herd des Konfliktes möglichst schnell aus dem Bereich der Produktion und der staatlichen Verwaltung herauszuzie­hen. Die Gewerkschaften, seit Monaten Protagonisten der gesellschaftlichen Aus­einandersetzung, sollen durch schnelle Einigungen ruhig gestellt werden. Damit wäre die stärkste organisatorische Kraft zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausge­schaltet. Die FSLN, derzeit noch viel zu sehr in ihren internen Diskussionen ver­strickt und mit ihrem materiellen Überleben beschäftigt, wird ihre Schwierig­keiten haben, wenn sich der Konfliktherd einmal auf die Arbeitslosen, auf den marginalisierten Sektor der Bevölkerung konzentrieren sollte, wie es sich in Managua mit Aktionen des Bürgermeisters Arnoldo Alemán zur Vertreibung von illegalen Neuansiedlungen auf Freiflächen bereits andeutet. Diese Sektoren, die kaum Machtmittel zur Ausübung wirtschaftlichen Druckes in der Hand haben, sind zwar kurzfristig zu mobilisieren, für eine langfristige Oppositions­arbeit aber schwer zu organisieren.

Die Dollarisierung Nicaraguas

Die Einführung einer neuen Währung, “Gold-Córdoba” genannt, war eine der ersten Ankündigungen des Wirtschaftsstabes der Regierung Chamorro. Das Ver­sprechen: Eine neue Währung, die die Abwertungen und die Inflation beendet und zu einem Kurs 1:1 frei eintauschbar zum Dollar ist. Schon bald nach der Regierungsübernahme am 25. April wurden alle größeren Unternehmen, Staats­unternehmen, Restaurants etc. angewiesen, ihre Rechnungen in Gold-Córdobas auszustellen, lange bevor auch nur das Aussehen der neuen Währung bekannt war. Die Taschenrechner-Importe stiegen sprunghaft an, denn tatsächlich bezahlt werden die jeweiligen Rechnungen in alten Córdobas, entsprechend dem jeweili­gen Tageskurs des Dollars. Dies ist die erste Phase des Wirtschaftsplans, den die neue Regierung auf der sogenannten “Geldgeberkonferenz” in Rom im Juni die­sen Jahres vorlegte. Die zweite Phase wurde am 13. August eingeleitet, als die ersten Scheine des “Gold-Córdoba” tatsächlich in Umlauf gebracht wurden, indem den Staatsangestellten ein Teil des Gehaltes in “Gold-Córdoba” ausgezahlt wurde. Diese Phase der Einführung der neuen Währung soll bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein. Beide Phasen werden im Land begleitet durch eine massive Propaganda-Kampagne in allen Medien. Selbst bei Sportübertragungen oder während Spielfilmen laufen Sprüche über den Bildschirmrand wie: “Mit Gold-Córdoba kannst Du in eine bessere Zukunft vertrauen”, “Gold ist Macht” usw. Parallel dazu wird die alte Währung radikal abgewertet, anfangs zweimal wöchentlich, seit Mitte August nur noch einmal in der Woche. Die ArbeiterInnen, deren Gehälter noch nicht “dollarisiert” sind, erleiden so wöchentliche Kaufkraft­verluste.
Die schrittweise Einführung der neuen Währung, der offenkundigste Unter­schied zur sandinistischen Währungsreform von 1988, ist vor allem politisch zu erklären – jedenfalls wenn man den Versicherungen des Zentralbankchefs Francisco Mayorga nicht glauben mag, es liege daran, daß die Scheine noch nicht im Lande seien. Die Parität zum Dollar, derzeit für die Unternehmer zum Errei­chen einer relativen Preisstabilität so wichtig, ist nur so lange zu halten, wie die Banken des Landes tatsächlich in der Lage sind, die im Umlauf befindliche “Gold-Córdoba”-Menge durch ihre Dollar-Reserven zu stützen. Dazu werden massive Devisen-Reserven freigesetzt, denn – wie der Kommentator der pro-san­dinistischen Fernsehsendung “Extravision” am 13.8. höhnisch meinte – “der Gold-Córdoba, der heute die Bank verläßt, kehrt morgen zur Bank zurück.” Tatsächlich hatte kaum jemand Vertrauen in diese Währung, zudem konnte fast nirgendwo etwas mit Gold-Córdobas bezahlt werden, weil kein Wechselgeld auf dem Markt ist. So tauschten die stolzen Erst-BesitzerInnen des “Gold-Córdoba” diesen bei den Banken in Dollar, die Dollar auf dem Schwarzmarkt in alte Córdobas, und die Schwarzmarkthändler nutzten sie zum Kauf von Konsumgütern im benach­barten Honduras, wo mittlerweile Schwärme von NicaraguanerInnen alles auf­kaufen, was in Nicaragua zu Geld zu machen ist. Die Preisrelation auf den Märkten Managuas stimmen überhaupt nicht mehr, so mußte beispielsweise für drei Pitahayas – eine populäre in Nicaragua produzierte Frucht – Mitte August eine Million Córdobas bezahlt werden, am Nachbarstand für eine aus Honduras importierte Billig-Uhr 1,8 Millionen. Das Eintreiben von angemessenen Einfuhr­steuern für die honduranischen Produkte zum Schutz der eigenen Industrie funktioniert offensichtlich nicht; beispielsweise sind überall die aus Honduras importierten 2 l-Flaschen Coca-Cola billiger zu haben als die gleiche Menge des in Nicaragua produzierten süßen Gesöffs…
Der Zentralbankchef Francisco Mayorga, “Vater des Gold-Córdoba”, ist in der öffentlichen Meinung diskreditiert. Der “Gold-Córdoba” wird als der “Betrug des Jahrhunderts” angesehen und hat tschernobylsche Qualitäten: Man sieht’s nicht, man kann’s nicht anfassen, und doch wird ständig darüber geredet.

Geplatzte Seifenblasen beim Trip zum großen Bruder: Keine Dollars, sondern Auflagen aus Washington

Aktuell dürften die Ergebnisse der US-Reise von Präsidentschaftsminister Lacayo die intensivsten Auswirkungen auf die nicaraguanische Ökonomie und Gesell­schaft haben. Er mußte verkünden, daß die für Ende September geplante Reise von Violeta Chamorro in die USA bis auf weiteres verschoben ist, weil derzeit – durch die Golfkrise und die Entwicklung in Osteuropa – in Washington keine Aufmerksamkeit für die nicaraguanischen Probleme zu gewinnen sei. Gleichzei­tig brachte er von IWF und Weltbank neue Auflagen für die Kreditvergabe mit, die auf massive Kürzungen des Staatshaushaltes zum Abbau des Haushalts­defizites hinauslaufen. Die Kreditvergabepolitik des Staates sei nach wie vor ver­antwortungslos, ließen die Finanzorganisationen wissen. Das Fazit dieser in Nicaragua vielbeachteten Reise: Lacayo kommt mit leeren Händen zurück, aktuell wird keine Hilfe kommen, um der Regierung aus der Krise zu helfen, und die verordneten Auflagen werden die sozialen Konflikte im Land vermutlich auf eine neue Stufe heben.
Die UNO-Regierung sieht sich in allen ihren Erwartungen an internationale Hilfe getäuscht: Von der USA kommt nicht einmal ansatzweise der erwartete Umfang an Hilfe zur mindestens kurzfristigen Stabilisierung der Regierung. Die interna­tionalen Finanz-Organisationen vergeben ihre Gelder nach denselben Kriterien an Nicaragua wie an jedes andere “Dritte-Welt”-Land. Das Ende des kalten Krieges und des Kampfes der Supermächte um Einflußzonen in den verschie­denen Regionen der Welt hat nicht nur der sandinistischen Regierung, die von der Sowjetunion und deren Verbündeten nicht mehr die benötigte Hilfe bekam, wirtschaftliches Kopfzerbrechen verursacht. Auch die neue Regierung bekommt es zu spüren, daß – wie Lacayo formuliert – “internationale Kredite nicht mehr nach politischen, sondern nur noch nach rein wirtschaftlichen Kriterien vergeben werden.”
Auch die zahlreichen aus Miami zurückgekehrten Exil-NicaraguanerInnen brin­gen zwar viele Forderungen an Rückgabe ihrer alten Ländereien und sonstigen Besitztümer mit, allerdings bislang kaum Geld zur Investition. Und tatsächlich haben sich auch die Faktoren, die für das Privat-Unternehmertum gegen Investi­tionsentscheidungen sprechen, mit der Regierungsübernahme der UNO nicht geändert: Schwache, bzw. inexistente Infrastruktur im industriellen Bereich, politisch-soziale Instabilität durch eine vergleichsweise gut organisierte Arbei­terInnenschaft, bislang noch gleiche gesetzliche Grundlage für Auslandsinvestio­nen wie unter der sandinistischen Regierung.
Die Regierung muß derzeit die Quadratur des Kreises versuchen: Einerseits soziale und politische Stabilität als Vorbedingung für Kredite und Investitionen schaffen, andererseits aus dem gleichen Grunde wirtschaftliche Maßnahmen durchsetzen, die eine solche Stabilität unmöglich machen – zudem nicht, wie in anderen Ländern, ein interner Repressionsapparat als letzte Möglichkeit zur Verfügung steht. So heißt denn – wie schon zu Zeiten der sandinistischen Regie­rung, nur unter anderem Vorzeichen – das Zauberwort wieder einmal “Concertación”, “Konzertierte Aktion”.

Sandinistische Arbeitsteilung: Radikale Basis – moderate Führung

Die FSLN hat nun immer wieder darauf gedrängt, daß zunächst jedoch die Regierung die Bedingungen für eine solche “Konzertierte Aktion” schaffen muß. Ex-Präsident Daniel Ortega, dessen Äußerungen immer noch sowohl von der UNO als auch von der Frente-Mitgliedschaft selbst als verbindliche Position der FSLN begriffen werden, machte dies auf dem von der Autonomen Universität Nicaraguas organisierten Diskussionsforum “Das mögliche Nicaragua” vor allem an der Rücknahme der Dekrete 10-90 und 11-90 fest. In diesen Dekreten geht es um die mögliche Rückgabe von wärend der Revolution konfiszierten Grund­stücken, Häusern und Ländereien. Diese Position erkennt an, daß die Regierung die konzertierte Aktion dringend braucht, so wie es Präsidentschaftsminister Lacayo formulierte: “Es gibt viele Länder, die an die gleichen Türen klopfen wie wir (IWF, Weltbank, US-Regierung; d. Red.). Wenn wir unsere internen Probleme nicht gelöst bekommen, stehen wir ganz hinten an.”
Je drastischer sich jedoch die ökonomischen und politischen Maßnahmen der UNO-Regierung äußern, desto stärker wird innerhalb der sandinistischen Dis­kussionen auch eine radikale Position, die die FSLN lieber nicht in Verhandlun­gen mit der Regierung sehen will, die die Ergebnisse ohnehin nicht einhält. Große Teile der Basis sind für langfristig angelegte, politisch-taktische Konzepte nicht zu haben. Was sie zur Zurückhaltung bewegt, ist noch die Parteidisziplin, aber die täglichen Erfahrungen lassen viele eher die im Hof versteckten Waffen gut im Öl halten.
Vielleicht ist es aber auch gar nicht notwendig, für eine realpolitische Position in der FSLN eine Basis zu gewinnen, vielleicht ist die Arbeitsteilung “radikale Basis – moderate Führung” sogar die erfolgversprechende Lösung. So spricht der FSLN-Abgeordnete in der Nationalversammlung, Edmundo Jarquín, von der großen Gefahr einer “sozialen Expolsion”, die von keiner der organisierten politi­schen Kräfte mehr zu kontrollieren wäre. Um das zu vermeiden, müßte die Regierung ein sofortiges Notprogramm einleiten, das folgende Punkte einschließt: Sofortiger Stop der Entlassungen; Schaffung von 30- bis 40.000 neuen Arbeitsplätzen, auch wenn diese schlechter bezahlt sind; sofortiges Einfrieren der Preise auf dem jetzigen Stand; Abschaffung der Dekrete 10-90 und 11-90. Das heißt, die FSLN spricht nicht davon, daß sie auf die Straße geht, sie ruft erst Recht nicht zum Aufstand auf, sondern läßt die Bevölkerung selbst reden und versucht dies dann politisch umzusetzen.
Ganz ähnlich agiert aber auch die Regierung: Innerhalb der UNO stehen den konzilianten Worten Antonio Lacayos und Violeta Chamorros in öffentlichen Erklärungen die Hardliner-Aktionen beispielsweise des Bürgermeisters von Managua, Arnoldo Alemán, gegenüber, der von Frente-Medien offen als Faschist bezeichnet wird. Im Hintergrund lauert der rechte Unternehmerverband COSEP, der die Regierung kritisiert, weil die Privatisierungspolitik viel zu langsam vorangehe. So gesehen, spielen Regierung und Frente-Leitung das gleiche Spiel: Beide geben sich moderat, der Druck kommt von der jeweiligen Basis, um Ver­handlungsspielräume zu gewinnen.

Umfrage: 59% halten einen Bürgerkrieg für möglich

Daß dies ein Spiel mit dem Feuer ist, spüren die NicaraguanerInnen: In einer im September veröffentlichten Meinungsumfrage gaben 59,2% der Befragten an, einen Bürgerkrieg in Nicaragua für möglich zu halten. Der Schock des letzten Streiks, der den Konfliktparteien völlig außer Kontrolle zu geraten drohte, sitzt tief, denn es wurde deutlich, wie viele Waffen noch auf beiden Seiten vorhanden sind.
Es ist zu merken, daß es nicht das gleiche ist, ob eine Konzertierte Aktion von einer sandinistischen Regierung oder von einer bürgerlich-konservativen durch­geführt wird. Wie beschrieb es doch einst Tomás Borge: “Eine Revolution ist ein Wechsel der herrschenden Klasse. In dieser Concertaciónolgreichen Widerstand. Heute ist die Klassenlage umgekehrt. Es wird sich zeigen, wer heute über mehr Machtmittel verfügt. Der Vorteil der FSLN ist dabei, daß für die Regierung die Konzertierte Aktion unmittelbar überlebenswichtig ist. Für die FSLN hingegen ist zwar langfristig auch eine Stabilisierung der Situation von Bedeutung, kurz- und mittelfristig aber hat sie die Möglichkeit, sich aus einem solchen Prozeß jederzeit herauszuziehen.


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Nichts einigt mehr als die Spaltung?

Ein Wahltag in Managua

Punkt sieben Uhr morgens sollte es losgehen am Sonntag, dem 2. September 1990 im erst vor einem Jahr errichteten “Augusto-César-Sandino-Gedenkpark”: Die ersten Leitungswahlen der Geschichte der FSLN in Managua. Der LN-Korrespondent kam also mit vergleichsweise schlechtem Gewissen um 9 Uhr zu der bereits gut besuchten Versammlung, hatte aber noch reichlich Zeit, an einem der zahlreichen Essensstände ein Frühstück zu ergattern, bevor um halb zehn tatsächlich begonnen wurde. Als sich Daniel Ortega, mit Jeanshemd, Blue-Jeans und Cowboystiefeln bekleidet, erhebt, um die Versammlung zu eröffnen, hallt es durch den Saal: “Dirección Nacional: Ordéne!” (Nationale Führung: Befiehl!) Und der Saal brüllt laut, auf dieser Symbol-Veranstaltung des Strukturwandels innerhalb der Sandinistischen Befreiungsfront.
Daniel erinnert in seiner Einführungsrede an die Geschichte der FSLN. Von den fast 30 Jahren hat die Organisation zwei Jahrzehnte in der Klandestinität zugebracht, militärisch-politische Strukturen entwickelt, die auch im nachfolgenden Kampf gegen die US-Aggression nicht fallengelassen werden konnten. Er betont die Vorläufigkeit all der Wahlen, die bis jetzt
innerhalb der FSLN stattgefunden haben, denn erst der Kongreß im Februar wird die endgültige Entscheidung über die tatsächlichen neuen Parteistrukturen fäl­len. Das wichtigste, worauf die über 2000 anwesenden Delegierten gespannt warten, hebt er sich – didaktisch geschickt – bis zum Schluß seiner Rede auf: Die Nationalleitung favorisiert keineN der bekannten KandidatInnen für die Position des/der Koordinators/in. Die Basis müsse entscheiden; heftiger Applaus.
Der Rest ist technisch, könnte an dieser Stelle gesagt werden, doch auch die Technik hat bei einem derartig historischen Datum natürlich Bedeutung. Da haben einige Distrikte von Managua mehr Delegierte angemeldet, als ihnen zustand, was von der Wahlkommission heftig gerügt wird. Da will auch der uni­versitäre Sektor, dem ein Mitglied im Departamentskomitee zugestanden wird, weitere Kandidaten vorschlagen, darunter den Sänger Carlos Mejía Godoy und den Chef der Satire-Porno-Zeitung “Semana Cómica”, Roger Sánchez, was vom Wahlkomitee nicht akzeptiert wird. Als die Diskussion tumultartig eskaliert, interveniert Daniel mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität, sagt, daß die Regeln ja wohl klar gewesen seien. “No!!”, hallt es ihm hundertfach entgegen. “Wer kannte die Regeln nicht?” fragt er; über siebzig Prozent heben die Hände. Nun bleibt ihm nicht anderes übrig, als die Ablehnung der Kandidatur­vorschläge des universitären Sektors inhaltlich zu begründen, was den Routinier ein kurzes Nachdenken kostet: Jedes in der Universität organisierte FSLN-Mit­glied würde ja wohl auch irgendwo wohnen und sollte sich gefälligst in seinem Stadtteil organisieren, die Stadtteile könnten ja schließlich Vorschläge machen, sie seien die Basis, und die Führer sollten aus der Basis kommen. Geschafft, der Saal applaudiert, nochmal gut gegangen.
Nun kann in die Wahlen eingestiegen werden. Aus jedem Stadtteil und den zum Departament gehören­den Gemeinden gibt es bereits jeweils ein Mitglied des Departamentskomitees, zehn weitere sollen gewählt werden, dafür gibt es 23 KandidatInnen. Lang dauert die Vorstellung, lang auch der Wahlvorgang. Die Auszählungskommission zieht sich mit den Wahl­urnen an die Computer zurück. Die weiteren Wahl­vorgänge laufen ohne größeres Chaos ab, dann gibt es eine längere Pause zur Stimmenauszählung, während derer Daniel, der Held der Nation, der “Friedens­präsident”, der Popularitätsträger Nr.1 wie in Wahl­kampfzeiten Mützen, Hemden, Blöcke, Dele­giertenkarten und überhaupt alles signiert, was einen Schriftzug aushält. Ein findiger Fotograf aus dem Barrio San Judas macht das Geschäft seines Lebens: Für umgerechnet 2,5 Dollar kann jedeR ein Foto mit Daniel nach Hause tragen, so ziemlich alle weibli­chen Delegierten stehen Schlange. Foto, Küßchen, Unter­schrift, nächste. Der Ex-Präsident leistet Schwerst­arbeit. Schließlich nach über zwei Stunden
die Bekanntgabe der Ergebnisse. Die einstige “Comandante Dos” bei der spektakulären Besetzung des Nationalpalastes am Vorabend der Revolution, die 34-Jährige Dora María Tellez, ist mit 66% der Stimmen zur Kordinatorin gewählt worden. Heftiger Beifall, Enthusiasmus, “Do-ra, Do-ra!”. Sie fordert in ihrer Rede zum zuhören können und zur Toleranz gegen­über anderen Meinungen in der FSLN auf: “Wenn wir uns gegenseitig nicht zuhören können, wie sollen wir dann die Sorgen der Bevölkerung mitbekommen?”
Daniel möchte in seinen Abschlußworten (Wo hat er bloß so schnell wieder Luft geschöpft?) noch einen Anerkennungsapplaus für die nicht wiedergewählten Compañeros herausholen, er verliest die Liste, darunter auch der Ex-Bürgermeister von Managua und bisherige Koordinator Carlos Carrión, prompt kommt aus dem Saal die alte Losung: “Für die Toten…” und schon antwortet es vielstimmig: “…unsere Toten, schwören wir, den Sieg zu verteidigen!”. Gelernt ist gelernt, aber, wie Daniel dann, einen Lachanfall nur mühsam unterdrückend, feststellt: “Sie sind alle quicklebendig und arbeiten!” Compañero Sigmundo Freud: Presente!!
Der Tag hinterläßt den Eindruck einer jung gealterten Basis, die sich langsam aufrappelt, nur mit den Sprüchen, da hapert’s.

Die “Comandantes”: unschätzbares, wertvolles,
lästiges Erbe?

“Wir atmen richtig durch und können die Dinge einmal in Ruhe betrachten”, so die Einschätzung durchaus nicht weniger Basis-Mitglieder der Frente Sandinista, die meinen, daß die Wahlniederlage vom 25.Februar 1990 für die FSLN als Partei durchaus vorteilhaft, vielleicht sogar notwendig war.
Die aktuelle Debatte innerhalb der FSLN hat zwei Ebenen: Erstens die interne Diskussion um die Veränderungen der Parteistrukturen, die Rolle einer Nationalleitung und ob diese zu wählen sei oder nicht, sowie die personellen und strukturellen Veränderungen auf den kommunalen und regionalen Leitungsebenen. So wurden die alten Regionalkomitees, die zum Teil unüberschaubar große und durchaus unterschiedlich strukturierte Gebiete zu leiten hatten, fallengelassen zugunsten von “Departaments-Komitees”. Im Falle Managuas stimmen Departament und Region (III) überein, so daß sich dort nur der Name geändert hat. Aber, was viel wichtiger ist: Zum ersten Mal in der fast dreißigjährigen Geschichte der FSLN werden die Leitungsebenen gewählt. Damit findet – zumindest partiell – eine Diskussion und Bewertung der KandidatInnen und der ausscheidenden Kader statt: Die Abwahl des bisherigen Koordinators Carlos Carrión macht – ohne daß dies in der Öffentlichkeit so erwähnt würde – eine Kritik an seiner bisherigen Tätigkeit von Seiten der Mitgliedschaft deutlich.
Einen “Generationswechsel” auf der Leitungsebene bedeutet dies jedoch nicht automatisch, wie die Wahlen in Managua zeigten: Sowohl die neue Koordinatorin als auch der zu ihrem Vize gekürte Victor Hugo Tirado, einer der neun Comandantes der Nationalleitung der FSLN, sind alles andere als neue und unverbrauchte Kader. Aber immerhin: Mit Carlos Fonseca Terán, dem Sohn des 1976 gefallenen legendären Gründers und Anführers der FSLN Carlos Fonseca, ist in das Departement-Komitee auch einer der prominentesten Köpfe der – in seinem Falle wortwörtlichen – zweiten Generation gewählt worden. Fonseca jr., der mit seiner scharfen Kritik an einer Verbürgerlichung und Sozialdemokratisierung der FSLN zu einem wichtigen Sprecher der sandinistischen Linken geworden ist, ist auch aussichtsreicher Kandidat für den Vorsitz der Sandinistischen Jugendorganisation, von deren Leitung er in der Vergangenheit als “Abweichler und Anarchist” disziplinarisch bestraft worden war.
Die einzigen, für alle Welt sichtbaren Diskussionen um die Neuorientierung der FSLN finden in den sandinistischen Zeitungen statt. Die Meinungsseiten haben seit der Wahlniederlage der FSLN an Spannungsgehalt ausgesprochen zugenommen, wird doch seither nicht mehr immer nur noch einmal die Anklage gegen den Yankee-Imperialismus und den innenpolitischen Gegner wiederholt, sondern tatsächlich eine Debatte um die weiteren Perspektiven geführt.
So gab es rund um die “Sandinistische Versammlung” von El Crucero im Juni eine breite Diskussion über die Rolle der Nationalleitung. Die neunköpfige, seit 1979 unveränderte Dirección Nacional (DN) war in El Crucero vorläufig bestätigt worden (abgesehen davon, daß gemäß den Abkommen mit der Chamorro-Regierung Humberto Ortega als Armee-Chef formal aus dem obersten FSLN-Gremium ausscheiden mußte); man mochte sich aber noch nicht festlegen, ob die Dirección Nacional auf dem Parteitag im Februar neu gewählt werden sollte oder nicht.
Die derzeitige Nationalleitung, Resultat der “Wiedervereinigung” der drei Fraktionen, “Tendencias” der FSLN kurz vor dem Sieg der Revolution, hat ihre Aufgabe eigentlich schon lange erfüllt. Sie ist auch ein Ausdruck der politisch-militärischen Strukturen, die für den Guerillakampf so notwendig, für eine Partei, die sich intern demokratisieren will, jedoch überholt sind. In der Debatte stehen sich diese Einschätzung, die eher zwischen den Zeilen zu lesen ist, und der Respekt vor den “Comandantes” gegenüber. Die Struktur der Dirección Nacional ist an die Personen geknüpft, jede Forderung zur Abschaffung der Nationalleitung in der jetzigen Form beinhaltet daher auch eine Kritik an den neun Comandantes, die man so gar nicht äußern möchte. Dazu kommt, das ist auch in anderen FSLN-internen Debatten zu spüren, die jeder politischen Partei eigene Angst vor der Offenlegung ihrer Konflikte gegenüber dem politischen Gegner. In einem Land, dessen politische Kultur seit fast zwei Jahrhunderten von der bewaffneten Auseinandersetzung geprägt ist, muß sich diese Angst noch verstärken.
Größter Knackpunkt des Reorganisationsprozeßes, insbesondere auf den “unteren” Ebenen der Gemeinden, ist allerdings die Aufarbeitung der Fehler, Korruption und Verfehlungen der lokalen Führungskader. “Prepotencia” heißt hier das Schlüsselwort, übersetzbar etwa als Überheblichkeit, Allmacht des jeweiligen Polit-Sekretärs, der bekanntermaßen ja nie gewählt wurde, also auch von der Basis nicht abgesetzt werden konnte. Es wird auf der einen Seite durchaus verstanden, daß die Macht an sich korrumpiert, und daß es nicht nur die jeweiligen Personen waren, die durch ihren “miesen Charakter” in die Verfehlungen hereingerutscht sind, sondern die Strukturen, die diese Personen geformt haben. Auf der anderen Seite sind diese Strukturen aber auch tief in der Mitgliedschaft verwurzelt, die sich damit schwertut, jetzt auch mehr Verantwortung übernehmen zu müssen als vorher.

Armee-Chef Humberto Ortega als sandinistischer “Ober-Realo”

Auffallend in der gesamten Debatte ist, daß viel über die internen Strukturen, wenig aber über die politischen Perspektiven diskutiert wird. Für diese zweite Diskussionsebene stehen die Schlagwörter “Concertación” und “Reconciliación” (“Konzertierte Aktion” auf der ökonomischen Ebene, “Versöhnung” auf der politischen). Die klarste Position für die “Concertación” hat aus sandinistischen Kreisen bislang Humberto Ortega – allerdings in seiner Funktion als oberster Heereschef – eingenommen. In einem fast zweistündigen Interview in der Fernsehsendung des Propaganda-Ministers Danilo Lacayo “Demokratie auf dem Weg” sagte er: “Die nationale Versöhnung Nicaraguas ist nicht nur möglich, sondern überlebenswichtig, um Nicaragua zu retten. Wenn wir NicaraguanerInnen nicht in einem tiefen Sinne der Versöhnung handeln, um die Probleme zu lösen, ist Nicaragua verloren.” Diese Position von Ortega ist zum einen seiner Funktion geschuldet: Er läßt derzeit keinen Anlaß aus, um die Loyalität des Sandinistischen Volksheeres zur Verfassung zu bekunden. (Was ihm von der marxistisch-leninistischen MAP-ML in der Wochenzeitung “El Pueblo” prompt den Vorwurf einbrachte, jetzt endgültig das Sandinistische Volksheer zum Garanten der bürgerlichen Demokratie machen zu wollen…)

KASTEN:

Risse im Sandinistischen Volksheer

Der Rausschmiß des Luftwaffenchefs verweist auf tiefere Konflikte

“Das Dementi ist ein grammatikalisches Unikum: Indirekte Bejahung durch direkte Verneinung”, sagt ein schönes Zitat. Am 10. August dementierte der Militärische Rat des Sandinistischen Volksheers (EPS) öffentlich, daß es eine Krise in den Streitkräften gäbe. Ein Tag zuvor war die Absetzung des Chefs der Sandinistischen Luftwaffe (FAS), Javier Pichardo, bekannt geworden. Auch wenn im einzelnen nur sehr wenig Konkretes und umso mehr Gerüchte an die Öffentlichkeit drangen, scheint die direkte Verneinung auch in diesem Falle mehr als alles andere die Annahme einer Krise in der sandinistischen Armee zu bejahen.
Der Rausschmiß des altgedienten Revolutions-Kämpfers und langjährigem Chef der Fuerza Aérea Sandinista durch Armee-Chef Humberto Ortega ist kein Pappenstiel und kommt auch nicht aus ganz heiterem Himmel. Hintergrund ist die Unzufriedenheit der “Basis” des EPS: “Wir haben den Krieg gegen die USA gewonnen, und die lassen sich die Macht einfach an der Wahlurne wegnehmen”, ist hier eine viel zu hörende Haltung. Über Humberto Ortegas wiederholte Verkündungen, daß die Armee “apolitisch” und “professionell” sei, ist man empört, und seine Verhandlungsbereitschaft mit dem “moderaten” UNO-Flügel um Violeta Chamorro empfinden viele als Verrat an der Revolution.
Pichardo selbst hat sich bislang nicht öffentlich zu seiner Entlassung geäußert, ein Gentleman’s Agreement mit Ortega, trotz alledem. Das Macht-Wort Ortegas dürfte auch Auswirkungen über die Person Pichardo selbst hinaushaben; dpa meldet am 16. September, daß 500 Offiziere der Sandinistischen Luftwaffe und der Luftabwehr – im Rahmen der bei der Regierungsübergabe an Violeta Chamorro vereinbarten massiven Reduzierung der Truppenstärke der Armee – entlassen wurden.
Die bewaffnete Macht ist immer das Rückgrat der Sandinistischen Revolution gewesen, und nach dem Verlust der Regierung ist sie es um so mehr. Doch das militärische Rückgrat der SandinistInnen, so scheint es, ist genauso – oder gar noch mehr – gespalten wie die FSLN selbst.
beho/-o


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