Tobias Lambert: Gescheiterte Utopie? Venezuela ein Jahrzehnt nach Hugo Chávez

Nach dem Tod von Ex-Präsident Hugo Chávez und dem Einbruch der Erdölpreise geriet Venezuela in die schwerste Krise seiner Geschichte. Wie konnte es zu dem ungeheuren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Niedergang kommen? Lambert analysiert nicht nur die Zeit seit Chávez’ Tod im Jahr 2013, sondern auch dessen Regierungszeit ab 1999 und die Vorgeschichte. Dabei versucht er, die gängige Polarisierung zwischen: die US-Sanktionen und die Einmischung von außen sind schuld versus die Regierung Maduro und »die Sozialisten« sind verantwortlich, zu vermeiden.

Differenziert zeigt der Autor, wie jenseits demokratisierender Elemente autoritäre Muster bereits unter Chávez begonnen haben. Er veranschaulicht die konkreten Veränderungen der letzten Jahre, analysiert sachlich die Politik von Nicolás Maduro, der bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl wiedergewählt werden will, seinen Umgang mit der Opposition und mit Dissidenten sowie die intransparente Privatisierungspolitik. Nicht zuletzt erläutert der Autor die Frage, was vom »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« übrig blieb. Das Buch erscheint nach der Präsidentschaftswahl, die für Juli 2024 geplant ist, und beinhaltet eine Analyse des Ergebnisses.

Tobias Lambert berichtet für die LN schon seit Langem aus und über Venezuela, zuletzt zur Wahl 2024.

Tobias Lambert // Gescheiterte Utopie? Venezuela ein Jahrzehnt nach Hugo Chávez // mandelbaum verlag // Oktober 2024 // 238 Seiten // 23 Euro


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Erneute Isolierung droht

Venezolaner*innen in Buenos Aires Proteste nach der Wahl an der venezolanische Botschaft (Foto: Frederic Schnatterer)

Ende August gingen sie wieder auf die Straße. Exakt einen Monat nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Venezuela am 28. Juli zeigte sich Oppositionsführerin María Corina Machado in Caracas. „Wir werden dafür sorgen, dass der Chavismus abtritt“, rief sie hunderten Anhänger*innen zu. Wie sie dies umsetzen will, sagte sie nicht. Zeitgleich hielt auch die Regierung Kundgebungen ab. Der Tag zeigte vor allem: Große Massen mobilisiert derzeit keines der beiden Lager. Auf der Straße wird der Machtkampf vorerst nicht entschieden werden.

Auch Anfang September gab es weiterhin zwei völlig verschiedene Versionen des Wahlergebnisses. Laut der offiziellen Verkündung des Nationalen Wahlrates (CNE) hat Amtsinhaber Nicolás Maduro mit 51,95 Prozent gewonnen. Die genauen Ergebnisse aus den Wahllokalen veröffentlichte der CNE jedoch mit Hinweis auf einen vermeintlichen Cyberangriff nicht. Die Opposition geht davon aus, dass ihr Kandidat Edmundo González 67 Prozent der Stimmen geholt hat. Die Zahl ergibt sich aus gut 83 Prozent der ihr zugänglichen Wahlakten, die ihre Zeug*innen in den Wahllokalen als Ausdrucke der Wahlmaschinen erhalten und wenige Tage nach der Wahl im Internet veröffentlicht haben. Regierung beharrt darauf, dass die Akten gefälscht und Teil einebreit angelegten Putschplans seien. Schließlich habe die rechte Opposition in den vergangenen 25 Jahren häufig ohne jegliches Fundament Betrug angeprangert und auf Gewalt gesetzt.

Am 22. April entschied das regierungsnah besetzte Oberste Gericht auf Antrag von Maduro, das vom CNE verkündete Ergebnis sei korrekt. Die Generalstaatsanwaltschaft lud González daraufhin dreimal vor, um sich zu den von der Opposition veröffentlichten Wahlakten zu äußern. Der Ex-Kandidat, der sich seit der Wahl versteckt hält, kam den Vorladungen allerdings nicht nach. Anfang September erließ ein Gericht daraufhin einen Haftbefehl. González wird unter anderem Amtsanmaßung, Aufruf zur Missachtung von Gesetzen und Verschwörung vorgeworfen.

Der CNE ließ indes die gesetzlich vorgeschriebene 30-Tage-Frist zur Veröffentlichung detaillierter Wahlergebnisse verstreichen. Doch selbst wenn der Wahlrat die Zahlen noch veröffentlichen würde, können diese das Ergebnis längst nicht mehr wasserdicht belegen. Denn er ließ nach der Wahl mehrere vorgeschriebene Überprüfungsschritte hinsichtlich der korrekten Übertragung der Ergebnisse ausfallen. Daher kann nur ein Abgleich mit den Wahlakten und möglicherweise den Kontrollausdrucken der einzelnen Stimmen auf Papier das Ergebnis glaubhaft belegen. „Wenn eine Verschwörung existieren würde, um die Regierung mittels gefälschter Wahlakten zu stürzen, gäbe es einen einfachen Weg, die Verschwörer der Lächerlichkeit preiszugeben: die Veröffentlichung der tatsächlichen Akten“, bringt es der regierungskritische Chavist Juan Barreto gegenüber den LN auf den Punkt. Wahlzeug*innen der Regierungspartei PSUV (Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas) verfügen über die Kopien sämtlicher Akten, die jeweils individuelle Sicherheitsmerkmale enthalten. Im April 2013 etwa stellte die PSUV eine Woche nach dem knappen Wahlsieg Maduros die digitalisierten Wahlakten online, um das Ergebnis zu belegen. Die Regierung hat sich allerdings auf den Standpunkt zurückgezogen, dass die Wahl nun einmal elektronisch abgehalten werde und die Institutionen für den korrekten Ablauf und die Anerkennung des Wahlergebnisses zuständig seien. Jegliche Forderung nach mehr Transparenz stellt sie unter Generalverdacht, Teil des unterstellten Putschplans seitens der USA und rechten Opposition zu sein.

Die US-Regierung erkannte González als Wahlsieger an, jedoch noch nicht als Präsident. Die EU, sämtliche rechtsgerichtete Regierungen Lateinamerikas sowie die Mitte-Links-Regierungen Chiles und Guatemalas zweifelten das offizielle Wahlergebnis an. Andere Länder mit Mitte-Links-Regierungen wie Brasilien, Kolumbien und Mexiko forderten transparente Zahlen. Dem schlossen sich auch regierungskritische chavistische Sektoren wie die linke Menschenrechtsorganisation Surgentes an (siehe Interview auf S. 9). Rückhalt bekam Maduro hingegen von den Regierungen aus Nicaragua, Kuba, Bolivien und Honduras. Auch Russland, China sowie fast 40 vorwiegend afrikanische und asiatische Länder erkannten das offizielle Wahlergebnis an.

Bereits seit dem Tag nach der Wahl, als es überwiegend spontane und friedliche, aber auch teils gewalttätige Proteste gab, diffamiert die Regierung kritische Stimmen. Maduro erklärte, 2.000 Protestierende in Hochsicherheitsgefängnissen wegsperren zu wollen. Laut der Menschenrechtsorganisation Foro Penal wurden bis zum 26. August fast 1.600 Personen festgenommen, darunter mehrere Oppositionspolitiker*innen, Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen sowie Jugendliche und Kinder. Mindestens 24 Personen kamen laut Medienberichten ums Leben. Menschenrechtsorganisationen sprachen von willkürlichen Festnahmen Oppositioneller sowie Einschüchterungsversuchen.

Viva Venezuela Erwartung der Nachrichten am Wahlabend (Foto: Frederic Schnatterer)

Protestierende werden diffamiert

Chavistische Basisaktivist*innen warfen Oppositionellen vor, chavistische Einrichtungen angegriffen zu haben. Auch kursierten Bilder vom Sturz mehrerer Chávez-Statuen. Anhänger*innen der Regierung gingen in den Tagen nach der Wahl in zahlreichen Städten auf die Straße, um das verkündete Wahlergebnis zu verteidigen. Die kurz aufgeflammten Proteste ließen zwar schnell nach. Oppositionsführerin Machado rief seitdem jedoch regelmäßig zu koordinierten Kundgebungen auf, um die Aussicht auf politischen Wandel aufrechtzuerhalten. Für die Unruhen nach der Wahl macht die Regierung direkt González und Machado verantwortlich. Die beiden Oppositionellen riefen in einer Mitteilung Anfang August das Militär dazu auf, „den Willen der Bevölkerung durchzusetzen“, woraufhin die Generalstaatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen sie einleitete. Machado und González verschwanden seitdem weitgehend aus der Öffentlichkeit da sie befürchten, festgenommen zu werden. Die Militärführung stellte sich seit der Wahl mehrfach demonstrativ hinter die Regierung Maduro. Ein Riss innerhalb des Machtapparates war bis Anfang September nicht erkennbar.

Es ist absehbar, dass aus dem Wahlprozess kein breit anerkanntes Ergebnis mehr hervorgehen wird. Die Regierung versucht, die Situation auszusitzen. Ihr Ziel, durch weitgehend anerkannte Wahlen zur politischen Normalität zurückzukehren, kann sie kaum mehr erreichen. Vielmehr droht eine erneute Isolierung Venezuelas, eine verstärkte Hinwendung zu autoritären Regimen und ein repressiver Kurs gegen regierungskritische Stimmen. Die Regierungs­umbildung Maduros Ende August deutet auf eine Verhärtung der Fronten hin. So ernannte er den Hardliner Diosdado Cabello zum neuen Innenminister, der seit Jahren als die Nummer Zwei des Chavismus und vermeintlicher Rivale Maduros gilt. In den vergangenen Jahren hatte er zahlreiche wichtige Positionen im Parlament und der regierenden PSUV inne. Zudem stärkte Maduro im Zuge der Regierungsumstellung sowohl das Militär als auch wirtschaftsliberale Sektoren.

Brasilien, Kolumbien und Mexiko fordern Verhandlungen

Gemeinsam mit dem brasilianischen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva sowie dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador zählt die kolumbianische Regierung unter Gustavo Petro zu den wenigen internationalen Akteuren, die möglicherweise auf die Lage einwirken könnten. Die drei Länder forderten nach der Wahl nicht nur ein transparentes Ergebnis, sondern machten sich für einen Verhandlungsprozess stark und verlangten die bedingungslose Aufhebung der Sanktionen. Das Urteil des Obersten Gerichts, welches das Wahlergebnis bestätigte, nahmen Brasilien und Kolumbien lediglich „zur Kenntnis“. Petro ging noch einen Schritt weiter und schlug eine vorübergehende Koalitionsregierung vor, die Neuwahlen vorbereiten solle. Sowohl Regierung als auch Opposition lehnen Petros Vorschläge jedoch ab und erteilen der Idee einer Wahlwiederholung eine Absage. Maduro warf Brasilien und Kolumbien, deren heutige Präsidenten früher als enge Verbündete des Chavismus galten, gar Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Als direkte Nachbarländer haben beide vor allem ein starkes Interesse daran, dass sich Venezuela nicht weiter destabilisiert.

Sollte die Dialoginitiative der Mitte-Links-Regierungen scheitern, werden ein Großteil der Opposition und verbündete Staaten ab Beginn der neuen Amtszeit am 10. Januar wohl González als legitimen Präsidenten anerkennen. Möglicherweise steht dieser bis dahin jedoch unter Hausarrest, befindet sich im Gefängnis oder ist im Exil. Dies würde an die Selbsternennung von Juan Guaidó im Januar 2019 erinnern. Diese erfolgte zwar unter anderen Bedingungen, da Guaidó niemals an einer Präsidentschaftswahl teilgenommen hatte. Es droht aber eine vergleichbare Dynamik von internationalem Druck, Verschärfung von Sanktionen und negativen Folgen für die venezolanische Bevölkerung.


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„Dem Wahlergebnis fehlt Glaubwürdigkeit”

Wie beurteilen Sie die vom Nationalen Wahlrat verkündeten Wahlergebnisse?
Wir sind der Meinung, dass völlige Intransparenz und ein Mangel an Glaubwürdigkeit in den offiziellen Ergebnissen des CNE vorherrschen. Der Versuch von Präsident Maduro, beim Wahlausschuss des Obersten Gerichtshofs (TSJ) einen Antrag zu stellen, um angeblich die Ergebnisse zu prüfen, hat dieses Ziel nicht erreicht. Im Gegenteil, es hat nur noch mehr Unklarheit über den gesamten Prozess geschaffen.

Warum bezweifeln Sie die Glaubwürdigkeit der vom CNE verkündeten Ergebnisse und das Urteil des TSJ?
Zunächst einmal ist es nicht die Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, die Wahlergebnisse offiziell bekannt zu geben, sondern die des CNE selbst. Der Oberste Gerichtshof hat lediglich ein Bulletin des CNE unterstützt, dessen Zahlen jedoch nicht durch konkrete Belege oder die Ergebnisse, die die Menschen an den Wahlurnen sahen, gestützt werden. Zudem wurden nicht alle Prüfungssysteme des venezolanischen Wahlsystems angewandt – ein System, das allgemein für seine Zuverlässigkeit und die verschiedenen digitalen Kontrollen und Prüfungen anerkannt ist. Diese elektronischen Systeme wurden vom TSJ nicht genutzt, um die Ergebnisse zu bestätigen.
Wir glauben nicht, dass dieses juristisch-politische Manöver mehr Transparenz über den Prozess gebracht oder die großen Zweifel, die heute über die Wahlergebnisse bestehen, ausgeräumt hat. Der CNE blieb praktisch verschlossen, er schloss seine Türen nach dem ersten Bulletin in den frühen Morgenstunden, ohne dass alle Auszählungsprotokolle vollständig zusammengestellt worden waren.
Es gibt auch andere empirische Beweise: Menschen aus den ärmeren Schichten, die lange Zeit die Hochburgen der chavistischen Wählerschaft waren, geben offen zu, dass es eine massive Abstimmung gegen die Regierung von Maduro gab. Die Menschen wissen, was an den Wahlurnen passiert ist und haben ihre Unzufriedenheit mit den verkündeten Ergebnissen durch eine Reihe von Protesten und anderen Formen zum Ausdruck gebracht.

Wie verliefen die Proteste nach den Wahlen?
Die Proteste, die nach den Wahlen stattfanden, hatten zwei wesentliche Merkmale. Erstens waren es Massenproteste mit einer bedeutenden Mobilisierung jener Bevölkerungsgruppen, die traditionell die Hochburgen des Chavismus waren. Zweitens waren sie friedlich. Wir leugnen nicht, dass es bei einigen von ihnen zu Gewalt kam, aber die Mehrheit der Proteste war friedlich. Empörte Menschen, die wussten, was in vielen dieser Wahllokale abgelaufen war, wo der Unterschied zugunsten der Opposition überwältigend war, und die spürten, dass die offiziellen Ankündigungen des CNE diesen Willen missachteten, gingen auf die Straßen und demonstrierten auf friedliche Weise.
Die Venezolanische Beobachtungsstelle für soziale Konflikte berichtet, dass es in den ersten zwei Tagen, dem 29. und 30. Juli, 915 Proteste gab, von denen nur 138 gewalttätig waren. Das heißt, über 80 Prozent der Proteste waren friedlicher Natur.

Wie reagierte die Regierung auf die Proteste?
Die Reaktion der Regierung bestand darin, alle Proteste zu kriminalisieren und das Recht auf freie und friedliche Demonstrationen zu negieren. Sie nutzen die Repressionsmittel des Staates, um die Proteste zu unterdrücken. Die vom Präsidenten selbst anerkannten Zahlen sprechen von über 2.000 Festnahmen innerhalb einer Woche. In den Reden der Regierung hieß es, dass alle Demonstranten bezahlte, unter Drogen stehende Personen seien, die von der Opposition instrumentalisiert würden.
Hier bestätigt sich eine langjährige Praxis des Justizsystems, die wir immer wieder anprangern, da wir Fälle von jungen Menschen aus armen Vierteln begleiten, die ohne gerichtlichen Beschluss verhaftet, isoliert und von Rechtsanwälten und ihren Familienangehörigen ferngehalten werden. Ihnen werden schwere Straftaten wie Terrorismus, kriminelle Verschwörung, Hochverrat oder Anstiftung zum Hass vorgeworfen. Insbesondere die Gesetze zur Anstiftung zum Hass und zum Terrorismus sind relativ neue Gesetze, die hohe Strafen zwischen 10 und 30 Jahren vorsehen.

Wer findet sich auf der Anklagebank wieder?
Viele der Fälle, die derzeit angeklagt werden, betreffen Menschen mit Behinderungen, Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren, die des Terrorismus beschuldigt werden, obwohl sie lediglich protestiert haben und vielleicht sogar einen Stein geworfen haben, aber nicht Teil einer terroristischen Struktur sind. Dennoch werden sie nach diesen Gesetzen angeklagt.
Es stimmt auch, dass es gezielte Festnahmen von Oppositionsführern gab, die derzeit inhaftiert sind. Diese gezielteren Verhaftungen wurden auch in den Bezirken durchgeführt, in denen der Unmut über die verkündeten Ergebnisse des CNE besonders groß war.
Es gibt auch Berichte von Menschen, die auf der Straße von Polizeibeamten festgenommen wurden, die offen ihre Telefone überprüften und sie auf Grundlage dessen, was sie auf WhatsApp fanden, festnahmen. Dies ging einher mit einer Reihe von Entlassungen im öffentlichen Dienst, bei denen Menschen entlassen wurden, weil sie protestiert oder nicht gewählt hatten. Ebenso wurden mehrere wichtige Journalistinnen und Journalisten festgenommen.

Wie beeinflusst diese Reaktion der Regierung das tägliche Leben im Land?
Die Menschen leben in Angst. Neben der Repression durch die staatlichen Sicherheitskräfte, woran sowohl die Polizei als auch die Nationalgarde beteiligt sind, gibt es auch bewaffnete Zivile, die sowohl einschüchtern als auch häufig Menschen festnehmen, die an Protesten beteiligt sind. Das sorgt dafür, dass die Menschen sehr eingeschüchtert sind und die Proteste auf der Straße nach zwei oder drei Tagen nach den Wahlen aufgehört haben.

Gibt es derzeit noch Festnahmen?
Ja, die Festnahmen, die derzeit stattfinden, sind eher gezielte Festnahmen. Sie sind nicht mehr so massiv wie in der ersten Woche, in der sie im Kontext von Protesten stattfanden, sondern es handelt sich um gezielte Festnahmen, die auch in den Wohnungen der Betroffenen durchgeführt werden.

Nichtregierungsorganisationen sprechen von über 20 Toten als Folge der Proteste nach den Wahlen. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Wir führen eine Aufzeichnung der Todesfälle und zählen bis heute [26. August] 26 Todesfälle bei Protesten. Bei den meisten gibt es keinen identifizierten Täter. Mindestens 38 Prozent dieser Todesfälle gehen jedoch auf das Konto von staatlichen Organen oder bewaffneten Zivilen, die im Namen des Staates gehandelt haben. Dies ist eine sehr ungefähre Zahl, da wir davon ausgehen können, dass viele der nicht identifizierten Todesfälle auf staatliche Akteure zurückzuführen sind.
Die Aussagen des Generalstaatsanwalts, der alle Todesfälle während der Proteste der Opposition zuschreibt, sind also nicht wahr. In diesem Moment wäre es erforderlich, dass all diese Todesfälle gründlich und unabhängig untersucht werden, um die Verantwortlichen zu ermitteln und entsprechende Sanktionen zu verhängen.
Man muss auch sagen, dass es unter den Oppositionsgruppen, wie es in solchen Fällen immer vorkommt, sehr gewalttätige Aktionen gegeben hat. Es wurden zwei Frauen, Gemeindeführerinnen der Strukturen der PSUV (der Partei von Präsident Maduro), ermordet. Es gab auch andere Gewaltakte, wie zum Beispiel den versuchten Lynchmord in einem kommunalen Radiosender. Diese Vorfälle zeigen, dass es Gewalt gegeben hat, die jedoch nicht die Mehrheit der Proteste ausmacht. Es sind Fälle, die aufgetreten sind, angeprangert und untersucht werden müssen, die aber nicht das allgemeine Bild der Proteste prägen.

Es sind noch vier Monate bis zum 10. Januar, dem Beginn der neuen Amtszeit des Präsidenten. Was erwarten Sie bis dahin?
Die Missachtung des Volkswillens ist schwerwiegend und lässt sich nicht so einfach beenden. Es werden schwierige Monate sein, in denen die Herausforderungen des Alltags für die Menschen weiterhin bestehen bleiben. Es gibt keine Aussicht auf eine Verbesserung der Löhne, der öffentlichen Dienstleistungen, der Gesundheitsversorgung oder der Bildung. Die Ergebnisse lassen nicht darauf schließen, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern werden.


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„Die Partei ruft dazu auf, gegen die Regierung zu stimmen“

Der Wahlkalender ist weit fortgeschritten. Das Nominierungsverfahren für Präsidentschaftkandidat*innen ist bereits abgeschlossen. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) war eine der Parteien, die Schwierigkeiten hatten, ihren Kandidaten anzumelden. Welche Schwierigkeiten gab es?
Wir wurden gleich zweimal Opfer eines Angriffs. Zunächst wurde gegen unsere Partei im August letzten Jahres gerichtlich interveniert. Ziel war es, linke Sektoren wie uns aus dem Präsidentschafts- und Parlamentswahlprozess des kommenden Jahres herauszuhalten.
Im Februar dieses Jahres hat der Nationale Wahlrat (CNE) abrupt einen vorgezogenen Zeitplan angekündigt, wodurch alle Fristen verkürzt wurden. Trotzdem haben mehrere linke Organisationen, darunter die Kommunistische Partei, beschlossen, bei diesen Wahlen mit einem unabhängigen Kandidaten, dem Journalisten Manuel Isidro Molina, anzutreten. Hier setzt der zweite Angriff auf die PCV an. Der CNE erlaubt keine Zulassung einer Partei, die eine alternative linke Kandidatur vorschlagen könnte.

Was geschah als euer Kandidat sich anmelden wollte und was sagt das über den aktuellen Wahlprozess aus?
Unser Kandidat erhielt Unterstützung durch die Wahlkarte der Partei Nueva Visión para mi País oder NUVIPA, die auf der ersten Liste als berechtigt aufgeführt war, aber keinen Zugang zur Online-Registrierung hatte. Am 25. März um Mitternacht schloss der Prozess, und die Registrierung konnte nicht abgeschlossen werden. Daran sieht man die Manipulation des gesamten Prozesses von Anfang bis Ende, von der Anerkennung der Parteien für die Wahl bis hin zum Nominierungsprozess. Diese ganze künstliche Komplexität ist auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, mit denen der offizielle Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas bei diesen Wahlen konfrontiert ist. Wir sprechen davon, dass der Kandidat, der derzeitige Präsident Nicolás Maduro, eine Ablehnungsrate von etwa 80 Prozent erreicht. Unserer Ansicht nach wollte die Regierung mit diesen Maßnahmen die absolute Kontrolle darüber haben, welche Kandidaten sich bewerben werden.

Mitte April endete der Zeitraum für die Eintragung der Bürger*innen ins Wahlregister. Wie verlief dieser Prozess und wie schätzen Sie die politische Stimmung in der Bevölkerung ein?
Im Wahlkalender war ein Zeitraum für eine Registrierungskampagne vorgesehen. Aber dieser Anmeldeprozess begann, ohne dass jemand wusste, wo die Registrierungsstellen waren. Es gab Beschwerden aus Regionen, in denen diese Stellen sehr spät eingerichtet wurden oder die Registrierung lange Zeit dauerte und die Warteschlangen sehr lang waren. Es war ein Mechanismus, um die Menschen zu zermürben und sie von der Teilnahme abzuhalten. Die Regierung wendet all diese Maßnahmen absichtlich an, um die Bevölkerung zu entmutigen und die Nichtteilnahme zu erhöhen, so dass sie die Präsidentschaft gewinnen kann, obwohl sie in der Minderheit ist. Dennoch konnten sie die Anspruchshaltung der Bevölkerung bezüglich ihrer Teilnahme nicht verringern. Die Bestrebungen, wählen zu gehen und das Stimmrecht als Instrument für Veränderungen zu nutzen, sind weiterhin hoch.

Was denken Sie über das rechte Oppositionsbündnis und María Corina Machado?
Wir haben klargestellt, dass sich weder die MUD noch die Regierung, also die beiden Pole, wesentlich voneinander unterscheiden. Denken wir daran, dass die Parteien der MUD die Parteien der traditionellen großen Unternehmensverbände sind. Und diese Unternehmensverbände haben heute Allianzen mit der Regierung. Tatsächlich wird die Arbeitsmarktpolitik, die die Regierung anwendet, von der Bourgeoisie und ihren Parteien unterstützt. Der Streit liegt im Politischen: Wer übernimmt die politische Kontrolle über den Staat? Was wir sehen, ist, dass es jetzt einen intensiven Verhandlungsprozess gibt, der zu einem Übergang führen wird, bei dem sich diese Gruppen die politische und wirtschaftliche Macht aufteilen, was sie bereits jetzt schon tun. Aber in neuer Form.
Bis vor kurzem war Maria Corina Machado im Land noch ein Niemand, und jetzt wird sie als große Hoffnungsträgerin dargestellt. Aber wir wissen alle, dass María Corina aus den extremen Kreisen der venezolanischen Bourgeoisie und der Oligarchie stammt. Die Regierung hat mit der Krise dazu beigetragen, dieses Phänomen zu stärken, und auch durch die Fehler, die sie mit der Verletzung politischer und demokratischer Rechte begangen hat.

Was schlagen Sie vor, was die Venezolaner*innen bei den Präsidentschaftswahlen tun sollten?
Die Partei ruft dazu auf gegen die Regierung zu stimmen, denn die Regierung verkörpert eine autoritäre Form der Verwaltung. Es wird versucht, Anpassung durch politische Repression gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Das zeigt sich in der Abschaffung von Rechten wie dem Streikrecht, der Einschränkung gewerkschaftlicher Freiheiten und der Kriminalisierung und gerichtlichen Verfolgung von Arbeitskämpfen. Aber ohne die Illusion zu haben, dass, wenn eine dieser anderen Kräfte gewinnt, alle unsere Probleme gelöst werden.

Wie organisiert sich die kritische Linke in Venezuela jenseits der Wahlen?
Wir treiben einen Versuch voran, einen Referenzrahmen für die Zusammenführung der Linken zu schaffen, einschließlich breiter Sektoren des sogenannten kritischen Chavismus. Es gab große Abspaltungen von der Regierungspartei PSUV, weil das Programm, das Maduro umsetzt, völlig im Widerspruch zur Politik von Hugo Chávez steht.
Die Gefahr, dass die autoritäre Regierung weiter gestärkt wird, bleibt bestehen, denn wenn die Arbeiterklasse nicht die Kraft hat, dagegen zu kämpfen, dann wird eine neue Regierung einer anderen Kraft und in Koalition mit der derzeitigen Bourgeoisie weitere Anpassungsmaßnahmen durchführen und − wenn nötig − noch repressiver agieren.


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Stefan Peters: Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela

Am Beginn des 21. Jahrhunderts ruhten die Hoffnungen auf Veränderungen
wieder einmal auf Lateinamerika. Die dortige Linkswende markierte das
«Ende des Endes der Geschichte» und in Venezuela wurde unter Präsident
Hugo Chávez der Sozialismus wieder salonfähig. Mit
dem Rückenwind kräftig steigender Rohstoffpreise gelangen der
Bolivarischen Revolution von Chávez nicht nur vielbeachtete soziale
Entwicklungserfolge, sondern auch die Wirtschaft erreichte hohe
Wachstumsraten. Der karibische Sozialismus schien sich positiv von den
gescheiterten Modellen des «real existierenden Sozialismus» abzuheben.
Doch bald wurden die Erfolgsmeldungen spärlicher und Nachrichten von
Verschwendung, Korruption sowie zunehmenden autoritären Tendenzen
untergruben den Modellcharakter. Spätestens mit dem Tod des comandante
im März 2013 und dem Einbruch der Erdölpreise
begann der Niedergang der Bolivarischen Revolution. Allerdings bleiben
viele bisherige Analysen an der Oberfläche, beschreiben oft nur
genüsslich das Missmanagement der Regierung und scheitern an einem
besseren Verständnis der Besonderheiten der Erdölgesellschaft
Venezuelas.

Das Buch verbindet die Analyse der Bolivarischen Revolution in Venezuela
mit Einblicken in die Funktionsweise von erdölbasierten
Rentengesellschaften. Es bietet Einblicke in die Praxis des Sozialismus
des 21. Jahrhunderts, nimmt eine kritische Würdigung der Erfolge des
Chavismus vor und analysiert die Gründe des Scheiterns der Bolivarischen
Revolution.
Auf dieser Grundlage wird die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen revolutionärer
Veränderungen in rohstoffreichen Ländern des Globalen Südens diskutiert,
bevor die Zukunftsszenarien für Venezuela ausgeleuchtet werden.

Eine Rezension des Buches erschien in LN 537.

Stefan Peters // Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela. Aufsteig und Fall der Bolivarischen Revolution von Hugo Chávez // Schmetterling Verlag // 2019


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Podcast

Folge #13: Warum hat es die Linke in Panama so schwer?

Viele Menschen verbinden Panama hauptsächlich mit dem Panama-Kanal, wie sich derzeit auch wieder an den Äußerungen von Donald Trump zeigt. Das Land ist politisch jedoch sehr interessant und lohnt eine nähere Beschäftigung.

Seit Jahrzehnten wechselt in Panama zwar bei jeder Wahl die Regierung, aber alle Parteien machen weiter die gleiche neoliberale Politik. Präsidenten und Abgeordnete sind dabei oft korrupt, Demonstrationen gab es trotzdem nur selten. Mehr noch, es gibt auch keine relevante linke Partei in Panama. Es ist sogar so, dass sich dort fast kein Politiker*in traut, sich als links zu bezeichnen.
Schließlich scheint das Fass doch überzulaufen: 2022 und 2023 kommt es zu zwei großen und erfolgreichen Protestwellen gegen hohe Preise, Bergbau und Korruption.
Vor den Wahlen 2024 ist der beliebteste Kandidat dann jedoch ein wegen Geldwäsche zu 10 Jahren Gefängnis verurteilter Ex-Präsident. Da er nicht antreten darf, wird sein Ersatzkandidat gewählt.

Was ist da los in Panama?

Über die Widersprüche in diesem kleinen, eher wenig bekannten Land in Mittelamerika sprechen wir mit Maribel Gordón, der linken Präsidentschaftskandidatin bei der letzten Wahl, dem Gewerkschaftsführer Eduardo Gil sowie dem LN-Panamakorrespondenten und Soziologen Carlos Escudero. Wir ergründen, warum progressive Kräfte es dort so schwer haben. Dabei stellen wir fest, dass die Probleme der politischen Linken in Panama möglicherweise nur eine besonders extreme Kombination von Problemen sind, die die Linke überall in Lateinamerika, ja weltweit, plagen.

 

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Folge #12: Ecuador: Militarisierung als Antwort auf die Gewalt?

In dieser Folge schauen wir uns den Anstieg der Gewalt in Ecuador und die Situation der betroffenen Bevölkerung genauer an. Um die Ursachen besser zu verstehen, haben wir mit Juana Francis gesprochen, eine afro-ecuadorianische Menschenrechtsaktivistin aus der Küstenprovinz Esmeraldas. Mit ihr und der Politikwissenschaftlerin Isabel Díaz haben wir uns auch darüber unterhalten, was dem Land aus der Krise helfen könnte.

 

 

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Folge #11: Widerstand unter den Palmen: Guatemalas Palmölindustrie unter der Lupe

Palmöl steckt in etwa der Hälfte aller Produkte, die wir in deutschen Supermärkten finden. Ein Großteil dieses Palmöls stammt aus Guatemala – 2023 importierten deutsche Unternehmen von dort mehr Palmöl als aus jedem anderen Land. Die Produkte tragen häufig ein Siegel, das die nachhaltige Produktion des Palmöls kennzeichnet. Doch wie nachhaltig ist das Palmöl aus Guatemala wirklich? Wir folgen der Spur des bekanntesten Nachhaltigkeitssiegels des Runden Tisch für Nachhaltiges Palmöl (RSPO). Dafür sprechen wir mit Lourdes Gomez, Aktivistin des Volkes Maya Kekchí aus Guatemala und mit Dominik Groß, Referent bei der Menschenrechtsorganisation Romero Initiative aus Münster.

 

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Folge #10: Kolumbien, Chile und Europa: Mit grünem Wasserstoff gegen Klimawandel?

Grüner Wasserstoff soll der Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel sein. Die Europäische Union und Deutschland investieren derzeit weltweit Millionen von Euro in die Entwicklung von diesem Energieträger, auch innerhalb Lateinamerikas.

Kolumbien und Chile arbeiten bereits an konkreten Projekten, um bald massiv produzieren zu können. Damit sollen einerseits die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika gestärkt und andererseits mit grüner Energie ein Beitrag zu Klimaneutralität geleistet werden.

Doch bedeutet “grün” auch gleichzeitig “gerecht”? Und wie “grün” sind die Projekte wirklich? Darüber sprechen wir mit zwei Expertinnen: Sophia Boddenberg ist freie Journalistin, lebt seit 2014 in Chile, arbeitet zu Umweltthemen, Rohstoffabbau und Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Globalen Norden und Globalen Süden. Kristina Dietz ist Professorin der Uni Kassel für Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Lateinamerika, Teil einer Forschungsgruppe zu Landkonflikten in Lateinamerika und Subsahara-Afrika.

 

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Folge #9: Kohleabbau in Kolumbien: Welche Verantwortung trägt Deutschland?

 

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#9: En español: Explotación de carbón en Colombia: Qué responsabilidad tiene Alemania?

 

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Folge #8: Gefängnisse in Ecuador: Gewalt wird zum Alltag

 

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Folge #7: Honduras – Zwischen Hoffnung und Korruption

 

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Folge #6: Der negierte Krieg in Kolumbien – Die Geschichte von Stella Castañeda

 

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Folge #5

 

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Folge #4

 

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Folge #3

 

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Folge #2

 

 

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Folge #1

 

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Dialog und Dollar

Petro in Caracas Gespräche zwischen dem kolumbianischen und dem venezolanischen Präsidenten im März 2023 (Foto: Presidencia de Colombia via Flickr , CC BY-SA 4.0)

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben. Ende April versammelte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro in Bogotá Delegationen aus 19 Ländern und der Europäischen Union, um über eine mögliche Wiederaufnahme des Dialogs in Venezuela zu sprechen. Anwesend waren unter anderem Vertreter*innen aus den USA, Deutschland, Mexiko, Norwegen, der Türkei sowie mehrerer lateinamerikanischer Länder. Aus Venezuela selbst nahm niemand an dem Gipfel teil. Vertreter*innen der Opposition hatten sich im Vorfeld jedoch mit Petro getroffen und die Regierung von Nicolás Maduro drückte öffentlich ihre Unterstützung für das Treffen aus. Greifbare Ergebnisse brachte dies zunächst nicht, eine gemeinsame Abschlusserklärung blieb aus. Die kolumbianische Regierung formulierte jedoch das Ziel, einen verbindlichen Fahrplan für transparente Wahlen sowie die Aufhebung aller Sanktionen gegen Venezuela zu erreichen. Zudem setzt sich Petro dafür ein, dass Venezuela wieder Teil des Interamerikanischen Menschenrechtssystems wird. „Amerika kann kein Raum für Sanktionen sein. Es muss ein Raum der Freiheit und Demokratie sein“, betonte der kolumbianische Präsident. Diese Position hatte Petro seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden bereits bei einem US-Besuch am 20. April übermittelt.

Der kolumbianische Präsident versucht als moderater Linker sowohl zu den Regierungen in Caracas und Washington, als auch zur venezolanischen Opposition einen guten Draht aufzubauen. Aufgrund der venezolanischen Migration und aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus hat er ein genuines Interesse an einem politisch und ökonomisch stabilen Nachbarland. Um konkrete Schritte zu vereinbaren, will Petro in Kürze nach Venezuela reisen und sich dort mit Regierung und Opposition treffen.

An dem Treffen in Bogotá nahmen 19 Staaten teil, jedoch niemand aus Venezuela

Die venezolanische Regierung begrüßte Petros Vorstoß prinzipiell, knüpfte die mögliche Wiederaufnahme des Dialoges jedoch an Bedingungen. Neben der Aufhebung der Sanktionen zählt dazu die Freigabe von drei Milliarden US-Dollar aus eingefrorenen Geldern Venezuelas, die dann unter UN-Verwaltung für soziale Belange verwendet werden sollen. Darauf hatten sich Regierung und Opposition bei ihrem letzten Treffen im vergangenen November geeinigt. Die USA hatten die Sanktionen auf den Erdölsektor damals leicht gelockert. Der Energiekonzern Chevron darf über seine vier Joint Ventures mit dem venezolanischen Staatsunternehmen PDVSA seitdem wieder venezolanisches Erdöl in die USA exportieren, die Einnahmen werden mit bestehenden Schulden verrechnet. Doch die vereinbarten drei Milliarden US-Dollar sind bis heute blockiert, der Dialog liegt nach diesem kurzen Tauwetter erneut auf Eis. Darüber hinaus fordert die venezolanische Regierung die Freilassung des in den USA inhaftierten kolumbianischen Geschäftsmanns Alex Saab. Dieser hatte im Auftrag der venezolanischen Regierung unter anderem den Import von Lebensmitteln unter Sanktionsbedingungen abgewickelt (siehe LN 569/570).

Überschattet wurde das Treffen in Kolumbien von der Personalie Juan Guaidó. Der ehemalige selbsternannte Interimspräsident Venezuelas war über die grüne Grenze nach Kolumbien eingereist, um laut eigenen Angaben an dem Venezuela-Gipfel teilzunehmen. Das kolumbianische Außenministerium erklärte jedoch prompt, Guaidó sei überhaupt nicht eingeladen. Dieser reiste anschließend nach Miami weiter und beklagte, aus Kolumbien ausgewiesen worden zu sein. Petro widersprach: „Offensichtlich wollte ein politischer Sektor den freien Verlauf der internationalen Konferenz zu Venezuela stören“, erklärte der kolumbianische Präsident. Es habe jedoch einen Deal gegeben, wonach Guaidó in die USA einreisen durfte. Kolumbien habe Transit gewährt, anstatt ihn nach Venezuela zurückzuschicken, obwohl Guaidó nicht offiziell eingereist sei. Guaidó selbst erklärte, vorerst kein Asyl beantragen zu wollen, sondern sich als Besucher in den USA aufzuhalten. In Venezuela allerdings fürchte er derzeit um seine Sicherheit.

Zuletzt mehrten sich die Gerüchte über einen bevorstehenden Haftbefehl. Dass Guaidó bisher auf freiem Fuß geblieben ist, war stets eine politische, keine juristische Entscheidung. Nach rechtsstaatlichen Kriterien hätte ihm nach mehreren Umsturzversuchen und Korruptionsfällen längst ein Prozess gemacht werden können. Die Regierung wollte ihn anscheinend bisher bewusst nicht belangen, weil dies international für weitere Spannungen gesorgt hätte und Guaidó eine so schwache Performance abgeliefert hat, dass er der Regierung mehr nützte, wenn er Oppositionsführer bleibt. Das ist er schon längst nicht mehr. Anfang des Jahres wählte ihn das Parlament von 2015, das sich nach wie vor zu digitalen Sitzungen trifft und von der US-Regierung als „letzte demokratische Institution Venezuelas“ anerkannt wird, sogar offiziell ab (siehe LN 584). In den Umfragen zur Vorwahl, mit denen die Opposition am 22. Oktober 2023 über eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur entscheiden will, spielt er keine Rolle.

Dass Guaidó bisher auf freiem Fuß geblieben ist, war stets eine politische, keine juristische Entscheidung

In Venezuela sieht sich die Regierung seit Mitte März indes mit einem massiven Korruptionsskandal konfrontiert. Durch die aufgrund der Sanktionen völlig intransparente Zahlungsabwicklung sollen im Erdölsektor mindestens drei Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gehe aus internen Unterlagen hervor, dass dem venezolanischen Staat seit 2020 gar mehr als 20 Milliarden US-Dollar an Einnahmen entgangen sind, weil Zwischenhändler*innen das erhaltene Rohöl nicht bezahlten. Bis Ende April wurden laut offiziellen Angaben 61 Personen verhaftet. Darunter befinden sich drei Richter, ein Bürgermeister, ein ehemaliger Abgeordneter der Regierungspartei, der bisherige Leiter der Aufsichtsbehörde für Kryptowährungen Sunacrip, sowie zahlreiche Geschäftsleute und Funktionär*innen des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA und des staatlichen Metallverabeitungskonglomerats Corporacion Venezolana de Guayana (CVG). Zudem liegen mindestens 20 weitere Haftbefehle vor. Einer der Beschuldigten, Leoner Azuaje, wurde in einer Haftzelle des Geheimdienstes Sebin tot aufgefunden. Laut einer Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft soll er Selbstmord begangen haben.

Erdölminister Tareck El Aissami war infolge der Ermittlungen bereits am 22. März zurückgetreten. Er kündigte an, die Aufklärung der Korruptionsfälle „voll und ganz zu unterstützen“. Angeklagt ist er selbst anscheinend nicht. Laut Gerüchten befindet er sich im Hausarrest, in der Öffentlichkeit hat er sich seitdem nicht mehr geäußert. El Aissami ist ein langjähriger chavistischer Funktionär, der bereits viele wichtige Posten bekleidete und als machtvoller Akteur innerhalb der Regierung galt. Präsident Maduro ersetzte ihn durch den Militär Pedro Rafael Tellechea, der seit Anfang des Jahres bereits den Erdölkonzern PDVSA leitet. Damit erhält das Militär noch mehr Einfluss innerhalb der Regierung und vor allem innerhalb des Erdölsektors, der praktisch sämtliche Devisen des Landes erwirtschaftet. Die Streitkräfte stellten sich hinter die Korruptionsermittlungen, auch wenn sich unter den Verhafteten mehrere Militärs befinden.

Dass es jetzt zu Korruptionsermittlungen kommt, ist erstaunlich. In den letzten Jahren war es in der Regel so, dass nur dann Ermittlungen gegen Chavist*innen eingeleitet wurden, wenn diese bereits mit der Regierung gebrochen hatten. Was nun genau dahinter steckt ist nicht ganz klar, die Opposition geht von Machtkämpfen innerhalb des Chavismus aus. Die Probleme bei PDVSA waren allgemein bekannt, die Regierung ignorierte sie jedoch bis zuletzt. Bereits 2020 hatten zwei junge Mitarbeiter*innen des Konzerns, Aryenis Torrealba und Alfredo Chirinos, beispielsweise auf Missstände und Korruption hingewiesen. Daraufhin wurden sie zunächst der Spionage bezichtigt, inhaftiert und standen zuletzt unter Hausarrest. Chavistische Basisorganisationen setzten sich jahrelang für die Beiden ein, Anfang April erhielten sie schließlich ihre Freiheit zurück. Dass El Aissami und andere Regierungsmitglieder von der Korruption innerhalb von PDVSA nichts gewusst haben sollen, gilt als höchst unwahrscheinlich. Auch dass zahlreiche amtierende Funktionär*innen plötzlich in enormem Reichtum leben, der mit ihren offiziellen Gehältern kaum zu erklären ist, dürfte niemandem entgangen sein.

Im Erdölsektor sollen mindestens drei Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein

Korruption ist im Erdölland Venezuela seit Jahrzehnten ein großes Problem. Hugo Chávez gewann 1998 nicht zuletzt deshalb die Wahl, weil er im Gegensatz zu seinen Kontrahent*innen als nicht korrumpierbar galt. Während des Rohstoffbooms ab 2003 wurden jedoch viele Milliarden US-Dollar veruntreut, ohne dass Funktionär*innen zur Rechenschaft gezogen wurden. In den letzten Jahren sanken die staatlichen Einnahmen allerdings rapide, die Veruntreuung von Geldern fällt nun stärker ins Gewicht. Gründe dafür sind gefallene Erdölpreise, gesunkene Fördermengen, ausgebliebene Investitionen und die ab 2017 schrittweise verhängten US-Sanktionen. Diese führten dazu, dass venezolanische Erdölgeschäfte immer intransparenter abgewickelt wurden.

Maduro kündigte an, die korrupten Strukturen innerhalb des Staates restlos aufzudecken. Ende April verabschiedete das Parlament ein Gesetz, dass es künftig erlaubt, Besitztümer korrupter Personen zu beschlagnahmen. Im Zuge der laufenden Ermittlungen sollen laut Regierungsangaben bereits mehr als 1.000 Besitztümer beschlagnahmt worden sein, darunter Luxusapartments, Autos und Privatflugzeuge.


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VIER FRAUEN, EIN GEMEINSAMER KAMPF

Gerechtigkeit Protestaktion von Me Muevo Por Colombia gegen die Kriminalisierung der ermordeten Mile Martin (Foto: Me Muevo de Colombia)

Während eines dreitägigen Mexikobesuches im September dieses Jahres traf sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter anderem mit Müttern von Verschwundenen. Zu ihnen gehört auch Ana* aus Honduras. Sie ist seit 2012 in Mexiko, um ihren Sohn Óscar Antonio López Enamorado zu finden, der im Jahr 2010 in Jalisco verschwunden ist. Er gehört zu über 100.000 Menschen, die in Mexiko offiziell vermisst werden.

Amtliche Zahlen über gewaltsam verschwundengelassene Migrant*innen existieren nicht. Während nach Angaben des Nationalen Registers verschwundener und vermisster Personen (RNPDNO) 2.414 Einwander*innen als vermisst gelten, geht die zivilgesellschaftliche Organisation Movimiento Migrante Mesoamericano von 80.000 Migrant*innen aus, die in Mexiko verschwunden sind.

Wie die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko in einer Presseerklärung zur Reise von Bundespräsident_Steinmeier kritisiert, stehe die mexikanische Politik und Gesellschaft noch immer vor denselben Herausforderungen wie vor Ló-pez Obradors Amtsantritt im Jahr 2018. Denn obwohl die Regierung die Menschenrechtskrise anerkannt und Reformprozesse eingeleitet hat, fehle der Wille zur konsequenten Umsetzung von Gesetzen. Aus diesem Grund setzt auch Ana bei der Suche nach ihrem Sohn nicht auf die mexikanische Regierung, sondern vor allem auf eigenen Aktivismus. In ihrem täglichen Kampf um Antworten hat sie schon an zahlreiche Türen staatlicher Institutionen geklopft, Suchaktionen gestartet, Berichte verfasst und Anzeigen gestellt. Da sich die Mühlen der mexikanischen Bürokratie nur sehr langsam drehen, Verschwundene aber so schnell wie möglich gefunden werden sollen, hat sich die Honduranerin mit anderen Aktivist*innen zusammengeschlossen und das Netzwerk Red Regional de Familias Migrantes gegründet.

Gemeinsam mit dieser Gruppe unterstützt Ana andere Mütter dabei, ihre verschwundenen Angehörigen in Mexiko zu finden. Hierfür organisieren sie Demonstrationen, errichten und pflegen Denkmäler, starten Petitionen, halten Reden, geben Präventionsworkshops und bauen ein internationales Netzwerk auf, um sich weltweit gegen das Verschwindenlassen von Migrant*innen einzusetzen. Im Gespräch erläutert Ana ihre Devise klar und deutlich: „Nicht schweigen. Weiterhin unsere Stimme erheben. Diese untätigen Behörden weiterhin entlarven. Weiterhin die Familien begleiten. Sobald etwas passiert, weiterhin berichten, was passiert und nicht nachlassen. Mit dem Kämpfen nicht ruhen. Mit anderen Worten: Wir müssen hartnäckig sein, wir müssen eigensinnig sein, damit dies ein Ende hat. Denn wenn wir ruhig und passiv bleiben, wird nichts passieren“. Dass man selbst etwas tun muss, um Veränderungen zu bewirken, weiß auch Yarima. Sie stammt aus Kolumbien und ist zum Studieren nach Mexiko gekommen. Yarima ist Mitbegründerin des Kollektivs Me Muevo por Colombia. Die Gruppe besteht vor allem aus Frauen und Studierenden.

Die massive Protestbewegung der Bauern und Bäuer*innen 2013 in Kolumbien war damals der Ausgangspunkt für die Gründung des Kollektivs. Yarima hat sich daraufhin mit anderen Personen aus Kolumbien in Mexiko zusammengeschlossen, um sich mit den sozialen Bewegungen für den Frieden und gegen die sozialen Ungleichheiten in ihrem Herkunftsland zu solidarisieren.

Seit 2015 ist das Kollektiv auch gegen Feminizide an kolumbianischen Frauen in Mexiko politisch aktiv. In Mexiko werden täglich im Durchschnitt zwischen zehn und elf Frauen Opfer von Feminiziden, also geschlechtsspezifischen Morden. Bezogen auf die Feminizide an kolumbianischen Frauen erzählt Yarima, dass deren Kriminalisierung und Diffamierung durch die Medien und das Justizsystem ein großes Problem darstellt: „Eine Frau kolumbianischer Herkunft wird in Mexiko ermordet – und das Justizsystem, das für Gerechtigkeit sorgen sollte, kriminalisiert und reviktimisiert sie im Einvernehmen mit den Medien. Das ist ein Muster, das wir in mehreren Fällen beobachtet haben. Informationen über den Fall werden an die Boulevardpresse weitergegeben, die versucht, der Frau die Schuld an ihrem Tod zu geben. Diese Presse informiert falsch über Aspekte ihres Lebens. Dies dient dazu, sie zu diskreditieren und nicht zu ermitteln. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Frau oder verwendet die traditionelle Art, von Feminiziden abzulenken, indem sie Geschichten über Drogen und Alkohol erfindet“, erklärt Yarima. Vor allem bei Sexarbeiter*innen komme diese Herabwürdigung vor.

Zwischen zehn und elf Frauen werden in Mexiko täglich Opfer von Feminiziden

Anfangs hatte das Kollektiv es vermieden, sich öffentlich über solche Themen in Mexiko zu äußern, da der Verfassungsartikel 33 Ausländer*innen verbietet, sich in die politischen Angelegenheiten des mexikanischen Staates einzumischen. Doch weil immer mehr Fälle von Feminiziden an kolumbianischen Frauen in Mexiko an sie herangetragen wurden, entschieden sie, sich öffentlich dazu zu positionieren. „Es ist ein Thema, das uns betrifft, weil wir in Mexiko leben. Als Frauen müssen wir uns damit in Mexiko auseinandersetzen, da es sich um eines der gewalttätigsten Länder der Welt handelt. Als Kolumbianerin kommt dann noch die Last der Diskriminierung hinzu; Fremdenfeindlichkeit und Ungerechtigkeit“, sagt Yarima.

Diese Problematik hat Yarima und ihre Mitstreiter*innen auf die Straßen bewegt. Seit jeher gehen sie gegen die Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen vor. Das Kollektiv organisiert Demonstrationen, die Fälle von Diffamierung und Kriminalisierung von immigrierten Kolumbianer*innen bei mexikanischen Behörden melden oder die kolumbianische Botschaft zum Handeln auffordern. Dabei überschneidet sich der Aktivismus von Yarima und dem Kollektiv Me Muevo por Colombia mit vielen Forderungen der mexikanischen feministischen Bewegung, die sich für ein Leben ohne Gewalt gegen Frauen und Mädchen einsetzt. Aus diesem Grund sind bei Protestaktionen oft auch mexikanische Aktivist*innen dabei.

„Wenn wir ruhig und passiv bleiben, wird nichts passieren“

Die von Yarima beschriebene strukturelle Diskriminierung gegen Migrant*innen geht auch von anderen staatlichen Institutionen aus. Insbesondere stehen das Nationale Migrationsinstitut (INM) und die Nationalgarde wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Beide Institutionen werden von der aktuellen Regierung zur Unterbindung der irregulären Migration eingesetzt. Allein im Jahr 2021 gingen bei der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) 1.239 Beschwerden gegen das INM ein. Unter anderem wurde dem Institut vorgeworfen, Migrant*innen erniedrigend zu behandeln, Personen willkürlich zu inhaftieren oder sie einzuschüchtern. Zivile Menschenrechtsorganisationen gehen allerdings von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus, da viele Migrant*innen aus Angst vor negativen Folgen keine Beschwerden einreichen.

Yesenia (alias Tuty) aus El Salvador kennt diese Diskriminierungen bei Behördengängen nur zu gut und setzt sich als Privatperson für andere Migrant*innen ein. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und lebt seit 32 Jahren in Mexiko. Nachdem Yesenia ihr Jurastudium in Mexiko absolviert und nun durch ihre Arbeit in einem Rathaus in Mexiko-Stadt ein festes Einkommen hat, hilft und begleitet sie in ihrer Freizeit ehrenamtlich andere Personen aus Zentralamerika und Südamerika bei juristischen Angelegenheiten. Dazu gehören unter anderem die Regularisierungsprogramme für einen Aufenthaltstitel (Regierungsprogramm zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus, Anm. d. Red.) oder Registrierungen von in Mexiko geborenen Kindern. Da sie selbst während ihres Regularisierungsverfahrens Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe durch INM-Beamt*innen erfuhr, will sie nun anderen helfen: „Ich tue es, weil ich nicht will, dass sie leiden. (…) Weil ich gelitten habe, möchte ich allen anderen helfen“. Einmal wurden Yesenia die Antragspapiere vor die Füße geworfen – sie solle sich keine Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis machen, denn sie sei weder blond noch weißhäutig.

Yesenias Solidarität mit Personen, die nach Mexiko kommen, geht so weit, dass sie oft Unbekannte bei sich übernachten lässt. Es sind meistens Familien, die in keiner Herberge für Migrant*innen unterkommen konnten und sonst auf der Straße hätten schlafen müssen. „Meine Kinder haben schon vorgeschlagen, unsere Wohnung in Herberge Tuty umzubenennen“, scherzt Yesenia. Migrant*innenherbergen werden in Mexiko zum größten Teil von zivilgesellschaftlichen Organisationen verwaltet. Sie unterstützen Migrant*innen, indem sie unter anderem Unterkunft, Essen, Kleidung, aber auch Rechtsbeistand und medizinische Hilfe anbieten. Doch oft sind diese Einrichtungen überbelegt, nicht jede Person kann bleiben. Bei Yesenia haben deswegen schon einige Migrant*innen eine warme Mahlzeit und einen Platz zum Schlafen bekommen.

Yesenia solle sich keine Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis machen, sie sei weder blond noch weißhäutig

Obwohl die Diskriminierung von Migrant*innen ein weit verbreitetes Problem ist, betonen Ana, Yarima und Yesenia, dass sie auch Mexikaner*innen kennen, die hilfsbereit und solidarisch sind. Die Venezolanerin Andrea, die vor sieben Jahren mit ihrem Sohn nach Mexiko kam, will sich deshalb mit ihrem sozialen Aktivismus für diese Unterstützung bei der mexikanischen Gesellschaft bedanken. Wie die anderen Frauen hat sie sich im Land ein neues Leben aufgebaut: „Mir geht es jetzt gut und deswegen wollte ich anderen helfen, die weniger haben. Es ist eine Gelegenheit, sich für die Möglichkeiten, die wir hier bekommen haben, dankbar zu zeigen. Außerdem geht es darum, sich gegenseitig zu unterstützen, damit die schwierigen Zeiten nicht so unangenehm sind“.

Spieltag mit der Gruppe Venezolanos al Rescate (Foto: Venezolanos Al Rescate)

Mit anderen Venezolaner*innen hat Andrea 2018 die Gruppe Venezolanos al Rescate gegründet. Gemeinsam unterstützen sie in Mexiko vor allem Kinder und Familien in armen Verhältnissen. Denn laut dem mexikanischen Rat für die Bewertung der sozialen Entwicklungspolitik (CONEVAL) leben immer noch 19,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Armut. Aus diesem Grund organisiert Andrea mit ihrer Gruppe in abgelegenen Ortschaften zum Kindertag am 30. April Feiern, bei denen sie auch Essen, Kleidung und Spielzeug verteilen. Außerdem verschenken sie zum Schulbeginn Materialien, die zuvor an die Gruppe gespendet wurden. Neben diesen Aktionen, die sich vor allem an Kinder mit mexikanischer Staatsangehörigkeit richten, unterstützt Venezolanos al Rescate auch Personen aus Venezuela: Venezolaner*innen, die in Mexiko bleiben wollen, sich im Transit durch Mexiko befinden oder die in Venezuela leben. So hat die Gruppe aufgrund der humanitären Krise im Land auch schon Pakete mit Medikamenten nach Venezuela verschickt.

Ein Aktivismus, der von Medien kaum beachtet wird

Die vier hier porträtierten Frauen stehen nicht repräsentativ für alle Migrant*innen aus Zentral- und Südamerika in Mexiko. Sie kommen aus verschiedenen Herkunftsländern und haben sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten. Doch ihre Geschichten geben Einblick in einen Aktivismus, der von den Medien kaum beachtet wird. Diese Seite Mexikos, das zum Ankunftsland für Menschen aus Zentralamerika, Südamerika und der Karibik geworden ist, wird selten zum Thema gemacht.

Doch es sind starke Geschichten von Frauen, die anderen Menschen in Mexiko helfen und dafür keinerlei Gegenleistung einfordern. Ana, Andrea, Yarima und Yesenia haben sich unabhängig voneinander organisiert. Doch ihre vielfältigen und solidarischen Formen von Aktivismus haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle richten sich gegen Ungerechtigkeiten in Mexiko, die in neoliberalen, patriarchalen und rassistischen Strukturen wurzeln.

* Auf Wunsch der Protagonistinnen und um ihre Sicherheit zu gewährleisten, werden nur die Vornamen verwendet.


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SHOWDOWN IN BARINAS

Vor 9 Jahren noch deutliche Hochburg Präsidentschaftswahlkampf von Hugo Chávez in Barinas (Foto: Prensa Miraflores via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Venezuela gilt diese Floskel für den westlichen Bundesstaat Barinas tatsächlich. Denn die Abstimmung über den dortigen Gouverneursposten wird kurzerhand wiederholt. Bei den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November 2021 hatte die regierende „Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas“ (PSUV) 19 von 23 Gouverneurs- und über 200 von 335 Bürgermeister*innenposten errungen. Neben dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Zulia im Westen des Landes gewann die Opposition nur im zentral gelegenen Cojedes sowie dem Inselstaat Nueva Esparta. „Mit diesem Wahlsieg werden wir den Frieden und die Stabilität in Venezuela konsolidieren“, verkündete der venezolanische Präsident Nicolás Maduro feierlich. Die Vorkommnisse rund um die Gouverneurswahl in Barinas werfen jedoch einen größeren Schatten auf die Wahl.

Am 30. November stoppte das regierungstreu besetzte Oberste Gericht (TSJ) die Auszählung der Stimmen in Barinas. Zu dem Zeitpunkt lag der Oppositionelle Freddy Superlano mit 37,6 Prozent der Stimmen knapp vor dem Regierungskandidaten Argenis Chávez, einem Bruder von Ex-Präsident Hugo Chávez. Kurz darauf ordnete das TSJ eine Wiederholung der Wahl am 9. Januar 2022 an. Zur Begründung hieß es, der Oberste Rechnungshof habe Superlano die Ausübung politischer Ämter untersagt. Derartige Antrittsverbote sind in Venezuela prinzipiell möglich, etwa wenn potenzielle Kandidat*innen Geld veruntreut haben. Diese administrativen Entscheidungen, die häufig intransparent erfolgen, sind sehr umstritten. Tatsächlich aber durfte Superlano seit 2017 kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Ende August 2020 erlangte er sein passives Wahlrecht, durch eine Begnadigung von Präsident Maduro, zurück. Von einem neuen Antrittsverbot war öffentlich nichts bekannt, auch Superlano beteuert, davon nichts zu wissen. Der Nationale Wahlrat (CNE) hatte seine Kandidatur im August akzeptiert, er konnte normal Wahlkampf führen.

Barinas – den Geburtsstaat von Hugo Chávez – zu verlieren, wäre für die Regierung einem symbolischen Desaster gleichgekommen. Zumal Superlano dem rechten Flügel der Opposition und der Partei Voluntad Popular angehört, der auch Juan Guaidó entstammt. Seit 1999 regiert in Barinas durchgehend die Familie von Hugo Chávez (Vater Hugo de los Reyes sowie die Brüder Adán und Argenis). Mit Ex-Außenminister Jorge Arreaza, der bis 2017 mit Hugo Chávez’ Tochter Rosa Virginia verheiratet war, stellte die regierende PSUV nun einen vergleichsweise schwergewichtigen Kandidaten auf. Nachdem Superlanos Ehefrau Aurora Silva ebenfalls untersagt wurde anzutreten und weiteren Kandidat*innen das gleiche Schicksal blühte, tritt die Opposition mit dem gerade ins Regionalparlament gewählten Sergio Garrido an. Zwar gibt es noch fünf weitere Kandidaten. Doch Garrido erhält innerhalb der Opposition lagerübergreifend erstaunlich breite Unterstützung.

Dass die Regierungsgegner*innen bei den Regional- und Kommunalwahlen insgesamt kein besseres Ergebnis erzielen konnten, obwohl sie erstmals seit vier Jahren wieder fast komplett antraten, lag vor allem an ihrer Spaltung. Während die PSUV für jedes der 3.082 zu vergebenden Ämter nach internen Vorwahlen exakt eine*n Kandidat*in aufstellte, standen dem insgesamt etwa 67.000 oppositionelle Kandidat*innen gegenüber. Auch die schwer nachvollziehbaren oppositionellen Strategiewechsel der vergangenen Jahre und die mangelnde Unterstützung durch den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó, der weiterhin einen Boykott bevorzugt hätte, kostete wichtige Wähler*innenstimmen. „Aufgrund der fehlenden Einheit haben wir mehr als zehn der Gouverneurswahlen verloren“, bemängelte der Wahlsieger aus Zulia, Manuel Rosales. Der Soziologe Damián Alifa hatte in einer Debatte auf dem linksalternativen Internetportal PH9 vor der Wahl zudem betont, dass die Opposition Probleme habe, ihre Klientel zu mobilisieren: „Sie kann die Frage, warum die Leute zuvor nicht, nun aber schon wählen sollen, nicht beantworten.“

Das Endergebnis zeigt Verschiebungen innerhalb der Opposition

Neben dem von der PSUV dominierten Regierungsbündnis „Großer Patriotischer Pol“ nahmen an den Wahlen drei weitere Parteienbündnisse teil. Hinzu kommen zahlreiche unabhängige, teils nur lokal verankerte Gruppierungen wie etwa die „Fuerza Vecinal“, die im Juni maßgeblich von den Bürgermeistern des wohlhabenden Ostens von Caracas gegründet wurde. Der Großteil des Oppositionssektors, der bisher hinter Juan Guaidó stand, trat als „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) an. Heute wird der MUD mehr denn je von den rechten Flügeln der vier größten Oppositionsparteien Primero Justicia, Voluntad Popular, Acción Democrática und Un Nuevo Tiempo dominiert, die auch als „G4“ bekannt sind. Das zweite Bündnis „Demokratische Allianz“ ist ein Zusammenschluss moderater Oppositionsparteien, die sich im vergangenen Jahr von der Boykottstrategie der großen Parteien distanzierten und bei der Parlamentswahl Ende 2020 einige Sitze gewinnen konnten. Links von der PSUV trat wie schon bei der letzten Parlamentswahl das Bündnis „Revolutionär-Populäre Alternative“ (APR) um die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) an, blieb jedoch chancenlos.

Das Endergebnis zeigt auch Verschiebungen innerhalb des oppositionellen Lagers auf. In Zulia und Cojedes setzten sich jeweils die Kandidaten des „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) durch, dem Bündnis der vier größten Oppositionsparteien. In Nueva Esparta hingegen gewann mit Unterstützung des Oppositionsbündnisses „Demokratische Allianz“ der Kandidat der neu gegründeten Partei „Fuerza Vecinal“. In allen drei Fällen handelt es sich allerdings um etablierte Politiker und keine neuen Gesichter.

Mit ihrer Wahlteilnahme beendeten die vier großen venezolanischen Oppositionsparteien letztlich ihre gescheiterte Boykottstrategie und de facto auch das Kapitel Juan Guaidó. Als sich dieser im Januar 2019 mit Rückendeckung der US-Regierung zum Interimspräsidenten erklärte, zog noch die gesamte Opposition mit. Heute wirkt Guaidó, der sich bis zuletzt gegen eine Wahlteilnahme ausgesprochen hatte, weitgehend isoliert. Das Lager des zweifachen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles hatte bereits seit vergangenem Jahr gefordert, die Opposition solle trotz widriger Bedingungen an Wahlen teilnehmen, um politische Räume nicht kampflos aufzugeben. Nach Verhandlungen mit moderateren Regierungsgegner*innen gehören seit Frühjahr zwei von fünf Mitgliedern des Nationalen Wahlrats (CNE) der Opposition an. Zuvor war das Verhältnis jahrelang vier zu eins zugunsten des Chavismus gewesen. Ende August erklärte sich die Opposition dann mehrheitlich zur Wahlteilnahme bereit. Erstmals seit 15 Jahren war die EU mit einer Beobachtungsmission präsent. Und auch das US-amerikanische Carter Center und die Vereinten Nationen hatten Wahlbeobachter*innen vor Ort. Die EU-Wahlbeobachtermission übte in ihrem vorläufigen Bericht zwar die bekannte Kritik an den Wahlbedingungen. Dazu zählen etwa Eingriffe des Obersten Gerichts in rechte und linke Oppositionsparteien und die administrativ verhängten Antrittsverbote des Obersten Rechnungsprüfers, die mit 15 Fällen überwiegend die Kommunistische Partei betrafen. Gleichwohl betonte die EU aber klare Fortschritte im Vergleich zu den vergangenen Wahlen.

Die Wählerbasis der PSUV schrumpft

Der Sieg der PSUV entpuppt sich bei genauerem Hinsehen indes als weniger überzeugend, als es die Verteilung der Ämter suggeriert. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 42 Prozent. Damit stieg sie im Vergleich zu den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr zwar um zwölf Prozentpunkte und war immerhin fast so hoch wie bei den zeitgleich stattfindenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Chile, wo 48 Prozent der Wähler*innen abstimmten. Sie blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Von den landesweiten Stimmen entfielen auf die PSUV lediglich 45 Prozent. Mit 3,7 Millionen Wähler*innen oder 17 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht der Rückhalt für die regierenden Chavist*innen den bis dato schlechtesten Wert seit der Parteigründung 2007. Zwar ist dies nach Jahren einer schwerer Wirtschaftskrise und US-Sanktionen noch immer beachtlich. Doch die feste Wählerbasis schrumpft sichtlich.

Die Opposition hingegen kann zurzeit weder programmatisch, noch personell oder strategisch überzeugen. Ein Abberufungsreferendum gegen Maduro, das die Opposition nach der Hälfte von Maduros Amtszeit am 10. Januar 2022 beantragen könnte, wäre riskant. Denn die Regierungsgeg-ner*innen können momentan nicht aufzeigen, wie es nach einer möglichen Abwahl Maduros weitergehen sollte. Kurzfristig wären sie nicht einmal in der Lage, sich auf eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur zu einigen. Es spricht daher aus Sicht der Opposition viel dafür, sich auf die nächste reguläre Präsidentschaftswahl 2024 zu konzentrieren und bis dahin einen glaubwürdigen Vorwahlprozess zu organisieren.

Zunächst stellt sich aber die Frage, ob die seit Mitte Oktober 2021 unterbrochenen Gespräche zwischen Regierung und den großen Oppositionsparteien in Mexiko weiter gehen. Der Opposition geht es dabei vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihnen als politische Gefangene betrachteten Personen. Für die Regierung steht ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung der gewählten Institutionen im Mittelpunkt. Laut Umfragen fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung heute weder von der Regierung noch dem dominierenden Sektor der rechten Opposition repräsentiert. Um die Legitimität der Gespräche zu erhöhen, müssten diese daher um weitere gesellschaftliche Gruppen erweitert werden. Ob die Verhandlungen noch Erfolg haben können, hängt zudem vor allem von der US-Regierung ab, da nur sie die Sanktionen aufheben kann. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Regionalwahlen schon bevor sich die Wahlwiederholung in Barinas abzeichnete als „weder frei noch fair“. Nun sind zunächst alle Augen auf die Wahlwiederholung gerichtet. Ein oppositioneller Wahlerfolg in Barinas könnte den Regierungsgegner*innen auch landesweit Schwung verleihen und die Vorzüge einheitlichen Auftretens verdeutlichen. Ein Sieg des PSUV, auf welche Weise er auch zustande kommt, könnte die rechte Opposition hingegen in eine neue Sinnkrise stürzen.

 


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EINKASSIERT

Für die venezolanische Regierung ist der Fall heikel: Seit seiner Auslieferung aus Kap Verde am 16. Oktober befindet sich der in Kolumbien geborene Unternehmer Alex Saab in Miami in Haft. Ihm drohen 20 Jahre Gefängnis wegen Geldwäsche. Sieben weitere Anklagepunkte wurden aufgrund von Zusicherungen an Kap Verde Anfang November fallen gelassen.

Am Tag nach Saabs Auslieferung bezeichnete der venezolanische Präsident Nicolás Maduro ihn als „unschuldig“ und größten Unterstützer der venezolanischen Bevölkerung: „Als die Verfolgung gegen Venezuela brutal zunahm, brachte er als Sonderbotschafter Lebensmittel für eure Haushalte. Das Benzin, das in dieser harten Zeit zu uns kam, die Medikamente, wurden von Alex Saab aus der ganzen Welt mitgebracht.“

Von einer seiner Geschäftsreisen, die Saab im Juni 2020 im Auftrag der venezolanischen Regierung durchführte, kehrte er nicht zurück. Am 12. Juni wurde der Geschäftsmann während eines Zwischenstopps auf dem Weg nach Teheran in Kap Verde inhaftiert. Aus Sicht der venezolanischen Regierung und ihrer Unterstützer*innen habe sich Kap Verde dem Druck der US-Regierung gebeugt und Saabs Diplomatenpass und die damit einhergehende Immunität ignoriert.
Saabs Geschäfte mit der venezolanischen Regierung begannen im Jahr 2011 im Rahmen des großen Sozialwohnungsbauprogramms unter der Regierung von Hugo Chávez. Saab verkaufte als Immobilienunternehmer Wohnungen an die Regierung. Laut der Rechercheplattform Armando.Info erhielt er dafür 159 Millionen US-Dollar – baute angeblich jedoch nur im Wert von drei Millionen US-Dollar Immobilien. Mit der Zeit weiteten sich seine Geschäfte auf den Lebensmittel- und Medikamentenhandel bis hin zum Bergbausektor aus.

Über Briefkastenfirmen soll Saab Lebensmittelimporte organisiert haben

Seit 2014 leidet Venezuela unter einer extrem hohen Inflation von zwischenzeitlich selbst laut offiziellen Zahlen bis zu 130.000 Prozent. Zwischen 2016 und 2018 bestand zudem ein akuter Mangel an Lebensmitteln und anderen grundlegenden Produkten. US-Sanktionen und eine ineffiziente Verwaltung durch die Regierung verschlimmerten die Lage im Land. Seit Jahren versucht die US-Regierung durch gezielte Unterstützung oppositioneller Kräfte, wie zuletzt des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó, sowie durch Verhängung von Sanktionen die venezolanische Regierung zu destabilisieren. Diese Politik war bisher nicht von Erfolg gekrönt. Im Gegenteil; die venezolanische Regierung hat sich zuletzt stabilisiert. Doch die im Land verbliebene Bevölkerung treffen die Sanktionen hart. Mittlerweile werden Produkte hauptsächlich über Privatunternehmen importiert – und für horrende Preise verkauft.

Die Sanktionen begannen im März 2015 unter US-Präsident Obama und richteten sich zunächst gegen Einzelpersonen. Vor allem ab 2017 unter Donald Trump wurden die Sanktionen stark ausgeweitet und schnitten Venezuela zunächst von den Kreditmärkten und ab 2019 weitgehend von den Einnahmen aus dem Erdölhandel ab. Internationale Banken froren die Staatsgelder ein und erlaubten selbst dann keine Transaktionen, wenn es sich um den Import von Medikamenten und Lebensmitteln handelte.

Alex Saab und seine Geschäftspartner*innen erhielten daraufhin verstärkt Aufträge von der Regierung zum Privatimport dieser Güter. Mittels Briefkastenfirmen soll Saab in den vergangenen Jahren auf Umwegen Produkte aus Mexiko, der Türkei sowie dem Iran für die venezolanischen Produktions- und Versorgungskomitees (Clap) importiert haben, die regelmäßig Lebensmittelkisten an die Bevölkerung verteilen. Saab und sein Partner, der Kolumbianer Álvaro Pulido Vargas, entwickelten infolgedessen zwischen 2016 und 2018 eine Struktur von Briefkastenfirmen und Scheinunternehmen in Hongkong, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nachdem sie von dem staatlichen Unternehmen Corpovex Millionenverträge erhalten hatten, hätten die beiden von mexikanischen Lieferanten große Mengen von Produkten sehr geringer Nährwertqualität angekauft, die sie dann nach Venezuela geschickt hätten, berichtet die spanische Tageszeitung El Pais. Wie genau Saab und seine Kontakte bei diesen Aufträgen vorgingen und welche internationalen Akteur*innen sie dabei unterstützen, will die US-Regierung nun herausfinden.

Dialog liegt vorerst auf Eis

Kurz vor den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November bringt noch ein weiteres Auslieferungsgesuch die venezolanische Regierung in Bedrängnis. In Madrid war im September Hugo Carvajal, Ex-Geheimdienst-Chef unter Maduros Vorgänger im Amt, Hugo Chávez, zum zweiten Mal festgenommen worden. Gegen ihn läuft ein Gerichtsverfahren im Bundesstaat New York, wo ihm unter anderem Drogenhandel, Geldwäsche und Zusammenarbeit mit der FARC-Guerilla zur Last gelegt wird. Die USA fordern seine Auslieferung. Während Carvajal 2019 mit Maduro brach und offen den selbsternannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó unterstützte, nahm Saab während Maduros Präsidentschaft eine immer wichtigere Funktion ein.

Sowohl Saab als auch Carvajal werden als mögliche Informanten der US-Regierung gegen Präsident Maduro gesehen. Besonders Saabs Wissen über die Abwicklung der Geldgeschäfte der Regierung, Handelspartner*innen und kooperierenden Banken sind für die USA von besonderem Interesse. Auch Carvajal soll über wichtige Informationen über hochrangige venezolanische Politiker*innen und Militärs verfügen, die die Regierung weiterhin unterstützen. Im Gegensatz zu Saab, der angekündigt hat, nicht aussagen zu wollen, hat Carvajal bereits gegenüber spanischen Medien und vor einem spanischen Gericht über mutmaßliche Zahlungen der venezolanischen Regierung an zwei Mitgründer*innen der linken spanischen Partei Podemos, Juan Carlos Monedero und Carolina Bescansa, gesprochen. Zwar wurde die Auslieferung Carvajals am 25. Oktober zunächst ausgesetzt. Es wird jedoch erwartet, dass sie schon bald erfolgen wird.
Der venezolanische Soziologe und Politologe Ociel Alí López bezweifelt ein Interesse der US-Regierung an der Korruptionsbekämpfung. Wenn die US-Regierung wirklich an Korruption und Geldwäsche interessiert sei, so López auf der Internetplattform Venezuelanalysis.com, müssten sie auch chilenische und ecuadorianische Präsidenten verklagen. Die Verhaftung von Saab habe dagegen andere Motive. In ähnlicher Weise beschrieb die US-Zeitschrift Forbes Saab Anfang Oktober als „den Schlüssel, zum Geheimnis der venezolanischen Geldpolitik.“

Ganz konkrete Folgen hat die Auslieferung Saabs für den unter Vermittlung Norwegens stattfindenden Dialog zwischen venezolanischer Regierung und Opposition. Den in Mexiko laufenden Gesprächen bleibt die Regierungsdelegation aus Protest gegen das US-Vorgehen vorerst fern.
Die Art und Weise, in der die US-Regierung die Auslieferungen durchsetzt, verdeutlicht abermals, dass sie nicht an einer politischen Lösung in Venezuela interessiert ist, die sie nicht selbst kontrollieren kann. Indem sie die internationale Isolation vorantreibt, stärkt die Biden-Regierung die venezolanische Regierung letztlich sogar. Wie Ociel Alí López schreibt, haben Maduro und sein Team aufgrund der weltweiten Verfolgung „keine andere Wahl, als an der Macht zu bleiben.”


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ZURÜCK IN DEN WAHLKAMPF

Mit wem wird die Macht sein? Centro Nacional Electoral in Caracas (Foto: Víctor Bujosa Michelli – Own work, CC BY-SA 3.0)

Es war eine bemerkenswerte Botschaft, die der venezolanische Oppositionspolitiker Freddy Guevara am 31. August 2021 auf einer Pressekonferenz übermittelte. „Viele frühere Prämissen“, mit denen seine rechte Partei Voluntad Popular (VP) „eine komplette und sofortige Ablösung des Systems“ angestrebt habe, seien „nicht umsetzbar“, sagte der 35-Jährige, der erst wenige Tage zuvor aus einer mehrwöchigen Haft entlassen worden war. Es gehe nun darum, eine „Koexistenz“ der beiden politischen Lager zu erreichen. Kurz darauf verkündete der als „G4“ bekannte Zusammenschluss der vier großen Oppositionsparteien Gerechtigkeit Zuerst (PJ), Demokratische Aktion (AD), Eine neue Zeit (UNT) und VP, sich an den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November zu beteiligen. Damit vollzieht die rechte Opposition einen abrupten Kurswechsel.

Seit sich der damalige Parlamentspräsident Juan Guaidó am 23. Januar 2019 zum Interimspräsidenten erklärt hatte, lautete die unverhandelbare Sprachregelung „Ende der Usurpation, Übergangsregierung, freie Wahlen.“ Im Umkehrschluss boykottierte die Opposition größtenteils die Wahlprozesse. Doch die Strategie führte vor allem dazu, dass die Regierungsgegner*innen immer mehr institutionelle Räume aufgaben. Die angebliche Interimspräsidentschaft hatte zwar teilweise internationale Unterstützung, verfügte innerhalb Venezuelas jedoch über keinerlei Macht. Bereits seit vergangenem Jahr waren wichtige Oppositionspolitiker wie der zweimalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles auf Distanz zu Guaidó gegangen.

Dass nun selbst Guaidós Partei VP einer Wahlteilnahme zugestimmt hat, bedeutet das endgültige Scheitern der Umsturzstrategie. Präsident Nicolás Maduro feierte die Entscheidung der Opposition denn auch mit spöttischen Worten: „Am 21. November werde ich mit Popcorn in meinem Sessel sitzen, um Juan Guaidó bei der Abstimmung zuzusehen.“ Zwar beeilte sich Guaidó, zu betonen, dass gegenwärtig „nicht die Bedingungen für einen fairen Wahlprozess“ bestünden. Doch der einstige Oppositionsführer hat seine tragende Rolle bei den Regierungsgegner*innen längst eingebüßt.

Seit Mitte August verhandeln Vertreter*innen der Regierung und der rechten Opposition in Mexiko über die mögliche Beilegung der politischen und wirtschaftlichen Krise in Venezuela. Als Mediator*innen fungieren neben Norwegen auch Russland und die Niederlande. Am 13. August hatten beide Seiten eine „Absichtserklärung“ (Memorandum of Understanding) unterzeichnet. Darin verpflichten sie sich unter anderem dazu, die Verfassung und die Menschenrechte zu achten und auf Gewalt zu verzichten. Zudem einigten sie sich auf insgesamt sieben Verhandlungsthemen, darunter politische Rechte und Wahlen, Sanktionen sowie politisches und soziales Zusammenleben. Der Opposition geht es bei den Verhandlungen vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihnen als politische Gefangene betrachteten Personen. Für die Regierung stehen ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung der gewählten Institutionen im Mittelpunkt. Am 15. August wurde als erstes Ergebnis Freddy Guevara aus der Haft entlassen, der sich dann der Verhandlungsdelegation anschloss. Am 12. Juli hatte ihn die Geheimdienstpolizei Sebin verhaftet, weil er Verbindungen zu kriminellen Banden in Caracas unterhalten soll.

Nachdem die rechte Opposition ihre Wahlteilnahme verkündet hatte, unterzeichneten beide Seiten Anfang September zwei erste Teilabkommen. In diesen geht es einerseits um die Bekräftigung von Gebietsansprüchen an das Nachbarland Guyana und andererseits um die Verbesserung der sozialen Situation, wofür auch im Ausland eingefrorene Gelder wiedergewonnen werden sollen. Ein Folgetreffen wurde für den Zeitraum 24. bis 27. September 2021 vereinbart.

Neben den Wahlbedingungen wird in weiteren Verhandlungen voraussichtlich die wirtschaftliche Lage im Vordergrund stehen. Während unter den US-Sanktionen in erster Linie die ärmeren Bevölkerungsschichten leiden, ist die Regierung Maduro in den vergangenen Jahren wirtschaftlich nach rechts gerückt. Der Diskurs bleibt zwar sozialistisch, doch werden Staatsunternehmen mal offen, mal unter der Hand privatisiert und Anreize für private Organisationen geschaffen. Die Regierung begründet dies als taktischen Zug angesichts des durch die Sanktionen eingeengten wirtschaftlichen Spielraums. Linke Kritiker*innen bemängeln einen Ausverkauf des Landes, der sich nach einem möglichen Ende der Sanktionen kaum zurückdrehen ließe. Aus eigener Kraft ist die Regierung derzeit kaum in der Lage, die Wirtschaftskrise zu beenden. Aufgrund der hohen Inflation wird die Zentralbank bei der Landeswährung Bolívar im Oktober sechs Nullen streichen. Zuletzt waren 2018 fünf Nullen weggefallen. De facto zählt im Bargeldverkehr längst nur noch der US-Dollar, auch das Preisniveau orientiert sich daran. Ohne den Zugang zum Greenback, etwa durch Rücküberweisungen ausgewanderter Familienmitglieder, wird das tägliche Überleben für die Mehrheit immer schwieriger. Der Mindestlohn beträgt derzeit zehn Millionen Bolívares pro Monat, das entspricht umgerechnet gut zwei Euro. Daran wird auch die angekündigte Währungsreform nichts ändern.

Ob die Verhandlungen Erfolg haben können, hängt nicht zuletzt von der Haltung der US-Regierung ab, denn nur sie kann die Sanktionen aufheben. Im August 2019 endeten die bisher letzten Gespräche auf Barbados damit, dass die Trump-Administration die Sanktionen verschärfte. Der damalige US-Präsident hatte sich beharrlich geweigert zu akzeptieren, dass Maduro zunächst weiter im Amt bleibt. Im Anschluss an die gescheiterten Verhandlungen konnten weniger konfrontative Teile der Opposition in Parallelgesprächen mit der venezolanischen Regierung dann erste Fortschritte erzielen. Zwei von fünf Mitgliedern des Nationalen Wahlrats (CNE) gehören nun der Opposition an, zuvor war das Verhältnis jahrelang vier zu eins zugunsten des Chavismus.

Aus Sicht vieler Venezolaner*innen haben die jetzigen Gespräche allerdings ein Legitimitätsproblem. In Mexiko fehlt zum einen die moderate rechte Opposition, die sich an den Parlamentswahlen beteiligt hatte, in den Augen von Guaidó und Capriles jedoch von der Regierung korrumpiert ist. Der radikale Oppositionsflügel um María Corina Machado und Antonio Ledezma lehnt ohnehin jegliche Gespräche ab. Zum anderen sind die kleine linke Opposition sowie zivilgesellschaftliche Gruppen nicht dabei. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) vergleicht die Verhandlungen bereits mit dem „Pakt von Punto Fijo“, der 1958 unter Ausschluss der radikalen Linken das Zweiparteiensystem der „Vierten Republik“ begründete, das bis in die 1990er Jahre Bestand hatte. Tatsächlich versucht die Regierung Maduro, eine linke Opposition möglichst klein zu halten. Das im vergangenen Jahr gegründete linkschavistische Bündnis Popular-Revolutionäre Alternative (APR) ist nicht zu Wahlen zugelassen. Mehrere ihrer Mitgliedsparteien, darunter Heimatland für Alle (PPT), sind juristisch blockiert. Die APR-Kandidat*innen treten somit alle auf dem Ticket der PCV an, konnten bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr jedoch nur einen Abgeordnetensitz gewinnen. Einer der prominentesten Kandidaturen bei den Kommunalwahlen schob der Nationale Wahlrat nun einen Riegel vor. In Caracas wollte − wie vor vier Jahren − erneut der frühere Handelsminister Eduardo Samán gegen die Regierung antreten. Kurz vor Ende der Einschreibefrist wurde seine Kandidatur ohne Begründung blockiert.

Die Kommunistische Partei Venezuelas vergleicht die Verhandlungen bereits mit dem „Pakt von Punto Fijo“

Die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) versucht derweil, ihre Anhängerschaft wieder stärker zu mobilisieren. Am 8. August hielt sie erstmals seit Jahren interne Vorwahlen ab, um die Kandidat*innen für die Gouverneurs- und Bürgermeisterämter zu bestimmen. In den meisten Fällen setzten sich die Wunschkandidat*innen der Parteiführung durch. Eine Ausnahme, in die viele Basisaktivist*innen ihre Hoffnung für eine Erneuerung des Chavismus setzen, ist Ángel Prado. Er ist Mitglied der „Comuna El Maizal“, einem ländlichen Zusammenschluss zahlreicher Initiativen, der in Venezuela als basischavistisches Vorzeigeprojekt gilt. Bei der Bürgermeisterwahl 2017 war Prado in der Ortschaft Simón Planas im Bundesstaat Lara für die kleineren Linksparteien PCV und PPT gegen die PSUV angetreten. Nachdem der CNE Prados Kandidatur 2017 ursprünglich genehmigt hatte, legte die damals bestehende Verfassunggebende Versammlung (ANC) ein Veto ein. Zur Begründung hieß es, dass Prado, der selbst Delegierter der ANC war, nicht ohne deren Erlaubnis kandidieren dürfe. In anderen Fällen war dies allerdings möglich. Die Wähler*innen sahen Prado dennoch weiterhin als ihren Kandidaten an. 57 Prozent der Stimmen entfielen damals auf die PPT. Der Wahlrat rechnete diese aber dem Regierungskandidaten Jean Ortiz zu, den die kleine Partei ursprünglich unterstützt hatte. Bei den jetzigen Vorwahlen konnte sich Prado trotz verschiedener Schikanen gegen den amtierenden Bürgermeister durchsetzen, die Parteiführung akzeptierte das Votum.

An den anstehenden Regional- und Kommunalwahlen könnte sich die kommende Strategie der rechten Opposition entscheiden. Die „G4“-Parteien treten dort wie früher schon als Bündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) an. 2018 hatte das Oberste Gericht (TSJ) dem MUD die Teilnahme an Wahlen untersagt, da es sich nicht um eine Partei, sondern um ein Bündnis mit Doppelmitgliedschaften handele. Erst im Juli dieses Jahres ließ das TSJ den MUD wieder zu. Die Opposition steht somit vor der Herausforderung, das Vertrauen der eigenen Klientel in das Wahlsystem wieder herzustellen, obwohl sie selbst dieses seit Jahren öffentlich attackiert. Sollte sie im November Boden gut machen, könnte sie ab Anfang 2022 einen neuen Versuch starten, Unterschriften für ein Abberufungsreferendum gegen Maduro zu sammeln. Es scheint sich jedoch die Erkenntnis durchzusetzen, notfalls doch bis zur nächsten regulären Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 zu warten.


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BOLIVAR, BIST DU DA?

Fotoquelle: Pablo Alvarez Mesa

Eine Off-Stimme beschwört Simón Bolívar. Schummriges Kerzenlicht flackert, um die Erinnerung an den Befreier Amerikas zurückkehren zu lassen. Und wie um bewusst zu machen, dass sein Kampf trotz der alljährlichen Feier der Unabhängigkeit Kolumbiens an jedem 20. Juli zu einer Reliquie geworden ist:  Verkörpert durch Militärparaden und endlose Staatsakte, bei denen die Flagge gehisst und die Nationalhymne gesungen wird.

Diese Szenen zeigt Pablo Álvarez Mesas Film Bicentenario, eine audiovisuellen Studie im Dokumentarstil, die auf der Berlinale 2021 im Kurzfilmprogramm #3 des Forum Expanded läuft. Bicentenario besteht aus einer Reihe von Aufnahmen, die bei verschiedenen Feiern zum zweihundertsten Jubiläum der Unabhängigkeit vom Kolonialismus entlang der Unabhängigkeitsroute von Simón Bolívar in Kolumbien entstanden sind. Eine langsame Serie von Bildern mit wenig Anmut und ohne roten Faden, abgesehen von einer Sitzung mit einer Spiritistin, die versucht, Bolívar im Jenseits zu kontaktieren. Doch dieser audiovisuelle Einblick öffnet, wie auch die Spiritistin im Film, eine Tür zum Dialog mit der Geschichte und der Realität.

Szenen von Schulaufführungen, die immer wieder den Kampf zwischen Kreol*innen und Spanier*innen um die Vase von Llorente nachstellen (Auslöser des kolumbianischen Unabhängigkeitskampfes), sowie die Reden von der Größe des Vaterlandes und die Prozessionen zum Denkmal in Tunja zum Gedenken an den Sieg der Brücke von Boyacá, kontrastieren mit Sequenzen von Panzern, die bei der militärischen Rückeroberung des Justizpalasts nach dem Einfall der Guerilla M-19 im Jahr 1985 ins Gebäude einfahren. Zeitungsberichte aus dieser Zeit schildern die verbrecherische Reaktion des Staates, die Hunderte von Toten, Verwundeten und Verschwundenen hinterließ.

Es folgen Aufnahmen von zwei Soldaten bei den Zweihundertjahrfeiern. Gefragt, was er nach seinem Wehrdienst machen möchte, sagt einer der jungen Männer, er wolle „eine militärische Laufbahn einschlagen, um mein Land vor dem Feind zu verteidigen.” Wie viele andere, die jung, chancenlos und ohne Zukunft sind, gibt er so den offiziell-militärischen Diskurs eines zu beseitigenden inneren Feindes wieder, der sie letztlich für den Staat selbst sind: Arme Soldat*innen, die den Befehl erhalten, andere arme, meist junge Menschen zu töten, die zwischen Hunger, Rebellion und Illegalität hin- und hergerissen sind. Eine gewaltsame Unterdrückung durch ein Land, das auch heute noch kolonial ist und diese durch die Unterdrückten selbst ausübt. Sie predigen die sogenannte „Doktrin des Feindes“ und sind dennoch meist die ersten, die dem Regime des Elends und der Ignoranz unterworfen werden.

Offensichtlich wird so der Kontrast zwischen einem Alltag, in dem die einfachen Bürger*innen einem prekären Leben ausgesetzt sind, und jenem nationalen Diskurs, mit dem ihnen die Idee verkauft wird, dass sie frei sind und für ihr Land und ihre Ehre kämpfen müssen. Ein Kontrast zwischen dem Ruhm der Unabhängigkeit und der Realität, die einem Schicksal unterworfen ist, das von den wirklichen Besitzer*innen des Landes diktiert wird. Diejenigen, die selbstverständlich niemals eine regionale Integration oder die Konsolidierung des bolivarischen Traums zulassen würden.

Fotoquelle: Pablo Alvarez Mesa

Zweifellos veranschaulicht Bicentenario die katastrophalen Folgen einer mumifizierten, von der Realität abgekoppelten Erinnerung, einer Erinnerung, die von inhaltsleeren historischen Details genährt wird und die tiefen Brüche seit dem 15.  Jahrhundert unberührt lässt. Eine Erinnerung, die nicht die Verbindungslinien zwischen dem spanischen Joch während der Kolonialzeit, dem neokolonialen Finanzjoch der Weltbank oder dem wirtschaftlichen und kulturellen Joch in Form von internationalen Kooperationsabkommen oder Freihandelsverträgen mit den USA oder Europa zieht.

Kolumbien ist so zum Dampfkochtopf geworden, der von Zeit zu Zeit explodiert, verzweifelnd an seinen zunehmend unhaltbaren Widersprüchen, die auch die Rhetorik der Treue zur Fahne und der nationalen Größe nicht auflösen wird. Die unaufhaltsame Flut von Empörung, die man heute, im Jahr 2021, auf den Straßen im ganzen Land wuchern sieht, scheint diesmal stark genug zu sein, die Geschichte umzuschreiben. Und damit ein Land endlich zu ändern, das enteignet geboren wurde und das, wie in so vielen Episoden der nationalen Geschichte, weiterhin eine Jugend bluten lässt, die nichts mehr zu verlieren hat.

Den Kontrast zwischen dem verklärt-musealen Historienbild der herrschenden Elite und den aktuellen, realen Forderungen und Bedürfnissen der kolumbianischen Bevölkerung führt Bicentenario aktueller denn je vor Augen. So müssen momentan diejenigen, die den Tod des libertären Kampfes in Kolumbien für selbstverständlich hielten, dabei zusehen, wie „das Schwert Bolivars wieder durch Lateinamerika wandert“, wie es in vielen regionalen Protesten momentan als Parole gesungen wird. Damit die Geschichte sich nicht mehr nur als bloße Fabel wiederholt, oder als weltfremdes Narrativ erzählt wird, weit entfernt von der aktuellen kolumbianischen Realität von Hunger und Schmerz.


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DESCONTENTO POLÍTICO

LEANDER PÉREZ

Es miembro del partido de izquierda Patria Para Todos, que participó en las elecciones parlamentarias bajo la Alternativa Popular Revolucionaria. En el 2016 realizó un diplomado en Liderazgo Político y dos años después en Gobernabilidad, Gerencia Política y Gestión Pública en Caracas. Desde hace un tiempo realiza análisis políticos en varios medios.

Foto: Lexander Pérez

 

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¿Cuál es su evaluación de las elecciones? ¿Está conforme con los resultados?
Por un lado, el balance que hacemos es positivo. Estratégicamente, dimos un paso hacia la unidad de la izquierda, y logramos el objetivo táctico de producir un deslinde electoral del gobierno. Sin embargo, los resultados electorales no fueron los esperados, no logramos convertirnos en una alternativa real para la gente. En comparación con los resultados electorales de 2018, en los que el Patria Para Todos (PPT) de forma independiente alcanzó 277 mil votos, no logramos la votación mínima esperada.
Lo que hubo en las elecciones fue una gran demonstración de desafiliación política de las masas populares. Mucha gente, no se siente identificada ni con las políticas del gobierno, ni con las políticas de los sectores de la oposición de las elecciones. Sin embargo, tampoco se puede responsabilizar por la gran abstención a los sectores de derecha que la promovían. La abstención de más del 70 por ciento fue una gran declaración de los venezolanos de descontento político.

¿Cree que cambiará la situación del país con estos resultados electorales?
El Partido Socialista Unido de Venezuela, que gobierna actualmente, ya controlaba la mayoría de las ramas del Poder Público y, además, tenía en funciones la Asamblea Nacional Constituyente, que en la práctica le daba poderes supraconstitucionales. Con todos estos poderes, el gobierno no logró grandes cambios en la vida de la ciudadanía, e incluso, los aprovechó para aplicar una serie de políticas a favor del gran capital, promoviendo un viraje de derecha neoliberal.  Con los resultados actuales, el gobierno difícilmente cambie el rumbo.

¿Cómo vivió el día de las elecciones?
Es costumbre para la izquierda venezolana, desde la época en la que el comandante Chávez estaba vivo, salir a votar temprano. Él siempre mandaba a la gente a votar a las seis o siete de la mañana. El 6 de diciembre yo fui a votar a las 10:00 a. m. y se notó una abstención bastante grande. Cuando yo llegué al centro electoral, era la tercera persona votando en este centro. Al momento de efectuar el voto, uno de los requisitos es firmar y colocar la huella como señal de que hemos votado, y las hojas donde se firma estaban vacías. Es decir, se notó una fuerte abstención. Luego, di un recorrido por otros centros electorales y llamé a mis vecinos a votar, pero la receptividad fue poca. Hubo un gran rechazo a involucrarse en las elecciones porque no se conocía que había una alternativa, la gente pensaba que las elecciones estaban totalmente cooptadas por el gobierno.

Al finalizar el día, otra cosa que nos sorprendió muchísimo fue que a las 6 p.m. el Consejo Nacional Electoral (CNE) dio una prórroga. Fue sorpresivo, porque si no hay personas en cola, la ley establece que se deben cerrar los centros electorales. Sin embargo, el CNE da una prórroga de dos horas, mientras el gobierno llamaba a la “operación remate”, que consistió en usar todos los medios a su alcance para sacar a la gente de sus casas y llevarlos a votar. Esto es una violación grave de la constitución y una irregularidad en las elecciones.

A nivel internacional se cuestiona la validez de las elecciones. ¿Comparte Usted esta opinión?
Nosotros denunciamos públicamente las irregularidades que se dieron durante el proceso electoral: denunciamos que a varios testigos de la APR no los dejaron entrar a los centros electorales, y que a varios testigos los sacaron a la fuerza de los centros durante la “operación remate”, entre otros aspectos. Lo que no hacemos es desconocer las elecciones. Reconocemos los resultados, pero consideramos que el hecho de prorrogar el proceso electoral crea serias dudas sobre los resultados electorales y sobre la votación que obtuvo el PSUV.

Consejo Nacional Electoral La sede principal en Caracas / Foto: John Mark Shorack

A pesar de estas irregularidades decidieron participar y llamar al voto, ¿por qué?
El proceso electoral nos dio la oportunidad de presentar una alternativa distinta. En años anteriores las organizaciones que formamos parte de la alternativa hemos venido coincidiendo en distintas luchas: de los campesinos, de los trabajadores, de los comuneros y del pueblo, que dan respuestas a los intentos de restauración neoliberal que se están dando en el país, pero faltaba el elemento electoral. Estas elecciones, brindaron la oportunidad de un deslinde desde el punto de vista electoral.

Ya en septiembre (LN 555/556) reportamos como el Tribunal Supremo de Justicia suspendió la directiva de varios partidos, incluyendo Patria Para Todos (PPT), y asignó juntas ad-hoc para tomar las decisiones del partido. ¿Cuáles han sido los obstáculos a las campañas electorales durante estas elecciones?
El partido Patria Para Todos lleva tiempo discutiendo el apoyo a Nicolás Maduro. En las elecciones presidenciales de 2018, el PPT y el PCV (Partido Comunista de Venezuela) apoyaron su candidatura en base a la firma de acuerdos que el presidente no cumplió. Esto y el evidente viraje a la derecha del gobierno hicieron que la mayoría del partido decidiera un deslinde.

Por su parte, la acción del Tribunal Supremo de Justicia (TSJ) se da justo en medio de la inscripción de los candidatos de la Alternativa Popular Revolucionaria. El tribunal, por medio de un amparo constitucional, designó una junta ad-hoc para intentar impedir que surgiera la APR. La medida cautelar del TSJ debía haber protegido los derechos de ambas partes de la controversia, pero lo que se hizo fue todo lo contrario. Todo el poder para inscribir los candidatos del partido se les dio a tres personas que solicitaron el amparo.

Superando ese obstáculo, la APR participó en la tarjeta del Partido Comunista de Venezuela. Sin embargo, se siguieron dando casos de acoso contra los candidatos de la alternativa, tales como despidos injustificados y la detención por parte de los cuerpos policiales de varios compañeros y compañeras. Todo esto evidencia que al gobierno no le interesa tener una oposición desde la izquierda en el país, mientras pacta con sectores moderados de la derecha.

La propuesta de la Alternativa Popular Revolucionaria, entre otras, es el “rescate de las conquistas que fueron alcanzadas con Chávez.” ¿Qué políticas del actual gobierno le parecen que han desmontado esas conquistas?
El elemento principal que permite ver una diferencia entre la política de Chávez y la política de Maduro es el tema de la propiedad de los medios de producción. En el gobierno de Chávez se dieron una serie de nacionalizaciones de empresas, y en las empresas mixtas se creó un límite del 40 por ciento al capital privado y el Estado mantenía un 60 por ciento.
El gobierno de Maduro frenó en seco las nacionalizaciones y, en los casos en los que se ocupó alguna fábrica previamente abandonada, se colocó en su dirección a algún burócrata, en vez de a una junta de trabajadores como establece la ley. Todo esto, sin afectar la propiedad de la empresa, que no se nacionalizó o expropió como habría hecho Chávez, sino que la empresa siguió siendo privada y de su dueño, solo fue administrada por la burocracia.

Además de eso se han llevado a cabo una serie de privatizaciones a través de distintos mecanismos. En la tierra, a los campesinos pobres que Chávez otorgó títulos de propiedad se les está persiguiendo y sacando de la tierra. También en la agroindustria, las empresas están siendo privatizadas a través de lo que ellos llaman “alianzas estratégicas”, en donde, la propiedad sigue siendo del Estado, pero la administración pasa al sector privado y las ganancias también. Es una privatización encubierta. Ahora, en la faja petrolífera del Orinoco en varias empresas petroleras se cambió la posición accionaria para favorecer a empresas chinas. Es decir, el 60-40 durante el gobierno de Chávez está siendo revertido al 51-49 por ciento. Lo último es la Ley Antibloqueo, que permite la privatización de empresas nacionales y las convierte en un secreto de Estado sin ningún debate público. Maduro está llevando a cabo una política de liberalización y privatización de la economía.

¿Por qué cree Usted que no ha habido más protestas populares por el salario y la situación actual?
Nosotros venimos de años de intensa lucha, pero en el 2020 el tema del Estado de Alarma, la cuarentena, impidió la movilización de grandes sectores. También hay un gran reflujo de las masas, que han quedado golpeadas durante todos estos años de intensa crisis, hasta tal punto que muchas personas están buscando sobrevivir. Es una cuestión de supervivencia. El tema de la persecución del gobierno también es importante. En estos momentos, trabajadores de la administración pública que protesten son despedidos sin importar la inamovilidad laboral y los derechos de los trabajadores.

La APR recibió solo 2,7 por ciento de los votos. ¿Cuál es la perspectiva de la Alternativa Popular Revolucionario a futuro?
Un primer paso debe ser trascender al ámbito electoral. Hay dos objetivos estratégicos: la unidad de la izquierda chavista que cree en la construcción de una alternativa y de sectores de la izquierda no chavista que también están luchando. El otro, es lograr vincularnos con las luchas populares y los sectores que se están movilizando por sus reivindicaciones: los trabajadores y docentes por sus salarios, los campesinos y las luchas por servicios públicos.

¿Qué tema debe ser discutido en primer plano en la Asamblea Nacional para mejorar la situación de los venezolanos?
Hay distintas cosas que se podrían discutir si realmente se intentara buscar soluciones a los problemas del país. Uno de ellos es el tema de la corrupción, tanto de la derecha, como del gobierno; el tema salarial, que el salario mínimo cubra la cesta básica; y también la política de privatizaciones, el gobierno quiere privatizar en el más absoluto secreto.


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KOLLEKTIV VERÄNDERUNGEN BEWIRKEN

Die Angst wird die Seiten wechseln Die Straßen sind unsere. Die Nacht auch. #WirWollenUnsLebend

Illustrationen: Pilar Emitxin, @emitxin

Es ist ein heißer Sonntag im Juli, der Strand ist voller Familien. Kinder spielen im Sand, Frauen sonnen sich. Die Idylle wird abrupt gestört von einer Gruppe Polizisten, die den Ort absperren und mit Schaufeln beginnen, ein Loch zu graben. Das weckt die Neugier der Tourist*innen, die tuschelnd versuchen zu erspähen, was der Sand verbirgt: Es ist der leblose Körper von Milagros Naguas, einer 46-jährigen Frau und Mutter aus dem Bundesstaat Aragua, die zusammen mit ihrem Mann Strandliegen und Sonnenschirme vermietete und Kokosnüsse am Strand verkaufte.

Der Fall Milagros Naguas ist nur einer von 167 Femiziden, über den das Onlinemedium Utopix 2019 in seinem allmonatlichen Register berichtete. Weil der venezolanische Staat seit 2016 keine offiziellen Zahlen zu diesem Tatbestand veröffentlicht, ist nun eine andere Art der Dokumentation nötig. Laut venezolanischem Recht ist der Femizid „die extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt, die auf dem Hass oder der Geringschätzung einer Person aufgrund ihres Frau-Seins beruht, und die in ihrem Tod endet, sei es im öffentlichen oder privaten Umfeld”. Trotz diverser staatlicher Maßnahmen, um dem Problem der Gewalt gegen Frauen zu begegnen, steigt die Zahl der Femizide weiter an. Das Grundgesetz über das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt, das 2014 reformiert wurde, beschreibt 21 Gewaltformen und schafft den Nationalen Ombudsrats für Frauenrechte und defensoras comunales (Gemeindeverteidigerinnen). Sogar eine Nationale Kommission für Geschlechtergerechtigkeit im Justizwesen, mit 91 Gerichtshöfen für Gewaltdelikte gegen Frauen sowie 714 spezialisierten Staatsanwaltschaften, wurde eingerichtet.

Trotzdem steigen die Zahlen weiter: Zwischen Januar und September 2020 zählten verschiedene Medien 195 Femizide – 46 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Allerdings ist dieser Anstieg nicht nur in Venezuela zu beobachten. In ganz Lateinamerika sind die Anzeigen wegen geschlechtsspezifischer Gewalt, ebenso wie die von den Beobachtungsstellen vorgelegten Zahlen, in erschreckendem Maße gestiegen. Dies geht größtenteils mit dem Vormarsch neoliberaler Politiken auf dem Kontinent einher, die, indem sie sich ihrer Körper und Arbeitskraft bedienen, das Leben vieler Frauen direkt betreffen.

Denn es sind besonders Frauen, die die Auswirkungen der Armut und der extremen Ausbeutung in endlosen Arbeitsschichten zu spüren bekommen. Dadurch sind sie täglich vielfachen Formen von Gewalt ausgesetzt. Venezuela bildet keine Ausnahme. Vom Staat ist nun energisches Handeln gefordert, wie die Umsetzung kurz-, mittel- und langfristiger Pläne zur Bekämpfung der Frauen betreffenden Ungleichheiten. Es braucht Maßnahmen, die alle öffentlichen Bereiche, wie Gesundheit, Bildung, Kommunikation und Kultur, umfassen. Ein gutes Beispiel sind Kampagnen für Kinder und Jugendliche zu geschlechtsspezifischer Gewalt, die die traditionellen Geschlechterrollen dekonstruieren und schon im Kindesalter gegen Stereotype angehen. In Venezuela ist die Lage allerdings noch durch den aktuellen politischen Kontext verkompliziert. Das Land befindet sich in einer ernsten Wirtschaftskrise und ist von der Blockade durch das Ausland schwer getroffen.

Aktivistinnen wie Maritza Sanabria vom feministischen Kollektiv Mujer Género Rebelde (MUGER) meinen, erschwerend komme hinzu, dass trotz vorhandener fortschrittlicher Rechtsinstrumente „weder das Gesetz mit dem notwendigen Nachdruck angewendet wird, noch die Institutionen in angemessenem Maße auf das Thema der Gewalt gegen Frauen und Femizide reagieren. Verfahren verzögern sich, Opfer leiden unter Reviktimisierung, im Justizsystem herrscht Korruption. Außerdem ist das Personal in den Beschwerdestellen nicht für das Thema sensibilisiert und das Gesetz wird nur nach dem Ermessen der Staatsanwält*innen angewendet”.

Schon der Weg zur Anzeige geschlechtsspezifischer Gewalt ist voller Hürden. Es beginnt damit, dass Frauen, wenn sie eine Anzeige aufgeben wollen, nicht angehört werden, weil sie einen kurzen Rock tragen – und das, obwohl es hierfür keinen Dresscode gibt. Es setzt sich damit fort, dass Polizeibehörden versuchen, eine „Mediation” durchzuführen, die im Gesetz überhaupt nicht existiert. Sie erzwingen einen „Dialog” zwischen Täter und Überlebender und machen letztere damit erneut zum Opfer. So sehen Frauen sich immensen Verzögerungen bei der Klärung der Fälle ausgesetzt.

Dieser weibliche Körper gehört mir. Er wird nicht angefasst. Er wird nicht vergewaltigt. Er wird nicht getötet.

Ein Beispiel dieser Reihe von Straffreiheiten ist der Fall von Andreína Torrealba, Sprecherin und Jugendbeauftragte der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV). Sie hatte in ihrer Beziehung Vergewaltigung, physische und psychische Gewalt sowie Belästigung durch ihren Partner erlitten. Es gelang ihr aber, dies bei den polizeilichen Behörden zur Anzeige zu bringen. Dort begann ein Prozess schrecklicher Reviktimisierung seitens der verschiedenen Justizbehörden: Zunächst ließ man sie bei der Nationalgarde im Bundesstaat Bolívar keinen detaillierten Bericht abgeben. Später, bei der medizinisch-forensischen Untersuchung, wurden nur die Hämatome an den Armen berücksichtigt und kein gynäkologisches Gutachten erstellt. Dieser Vorgang verstößt gegen das von der Staatsanwaltschaft angeordnete Protokoll. Bei der Vorladung auf der polizeilichen Koordinationsstelle wurde Torrealba nicht nur vom Polizeipersonal belästigt, sondern auch von ihrem Peiniger überrascht, der versuchte, ihre Aussage zu diskreditieren und sie zu zwingen, die Anzeige fallen zu lassen. Es gibt bisher keine Fortschritte bei der Aufklärung ihres Falls. Der Aggressor läuft noch immer frei herum, ohne dass Schutzmaßnahmen ergriffen wurden.

Letztendlich ist eine der Hauptforderungen der feministischen Bewegungen eine Gesetzesreform und die Kategorisierung des Feminizids in Abgrenzung zum Femizid. In Venezuela wird dieser Terminus verwendet, um einen Femizid zu beschreiben, bei dem der Staat sich durch sein Handeln oder unterlassenes Handeln mitschuldig gemacht hat. So sollen direkte Sanktionierungen der beteiligten Staatsbeamt*innen ermöglicht werden. Ein eindeutiges Beispiel dafür ist die Ermordung der Unternehmerin Karla Ríos durch ihren ehemaligen Partner am 31. Juli 2020. Trotz der gegen ihn erstatteten Anzeigen wegen physischer und psychischer Gewalt und Entführung war der Mann nach Zahlung einer Geldstrafe wieder freigekommen. So hat der Staat zugelassen, dass er seine Drohung, Ríos zu töten, in die Tat umsetzte. Weil sich Situationen wie diese tagtäglich wiederholen, beschlossen Organisationen wie Tinta Violeta, Faldas R und die venezolanische Vereinigung für eine alternative Sexualerziehung (AVESA), sich zusammen zu schließen. In gemeinsamer Arbeit unterstützen sie nun Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Tinta Violeta hat den ehrenamtlichen Dienst Mayell Hernández für die Betreuung und Begleitung von Überlebenden ins Leben gerufen. Sie erhalten Unterstützung vom Kollektiv Faldas R, das die Freiwilligen in rechtlichen Fragen ausbildet und berät, AVESA vermittelt dem Personal psychologische Kenntnisse. Das Programm ist nach der Tanzstudentin Mayell Hernández benannt, die einem Femizid zum Opfer fiel.

Die Aktionen dieser feministischen Organisationen beschränken sich aber nicht nur auf Bildungsarbeit und die Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen. Daniella Inojosa, Mitglied der Organisation Tinta Violeta und eine der Gründerinnen des Hilfsdienstes Mayell Hernández erklärt, dass sie weiterhin „beständig Beschwerden beim Justizsystem einreichen und Schutzanträge stellen müssen, weil die Behörden in diesen Angelegenheiten untätig zusehen“. Diese Beschwerden haben sie dazu gebracht, Strategien zu entwicklen, wie sie Unrecht anzeigen, das einigen Überlebenden von machistischer Gewalt widerfahren ist. Wie beispielsweise im Fall von Andreína Torrealba, der die Organisationen dazu bewegt hat, eine Social-Media-Kampagne unter dem Slogan „Si tocan a una, nos tocan a todas” (auf Deutsch etwa: „Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf uns alle“) zu starten. Die Kampagne läuft bis heute und prangert den immer noch in Freiheit lebenden Täter an.

Trotz der Ungerechtigkeiten, der Sanktionen und des Coronavirus unterstützen und mobilisieren die feministischen Bewegungen weiterhin. Denn nur als Kollektiv können sie Veränderungen bewirken, die das Leben tausender Frauen verbessern werden. Weil die Quarantäne in Pandemiezeiten die Situation noch verschlimmert hat, haben feministische Bewegungen und Einzelpersonen nun einen Forderungskatalog veröffentlicht. Zu der Liste gehört die Umsetzung eines umfassenden Versorgungsplans und die Einrichtung von Frauenhäusern. Sie fordern außerdem eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zur Aufklärung über verschiedene Formen von Gewalt und Hilfsangebote. Maritza Sanabria fasst es treffend zusammen: „Wir wollen, dass der Staat sich umschaut und uns zuhört. Denn wir übertreiben nicht, wenn wir sagen: Sie töten uns. Das ist die Pandemie!”


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