Die Antillen-Connection

Das ideale Sich zur Ruhe setzen: knietief im Karibischen Meer mit einem Piña Colada in der Hand. Die Niederländischen Antillen und Aruba sind das Häuschen Abendrot für eine erhebliche Zahl der NiederländerInnen. Außer Sonne und Meer zieht vor allem das sympatische Steuerklima dieser tropischen Inseln an. Aber die “Merengue-Gesellschaft” hat im Laufe der Jahren auch von KolumbianerInnen und ItalienerInnen zweifelhafter Gestalt Besuch bekommen. Aruba und Sint Maarten sollen schon in Händen der Mafia sein.
Die Telefonistin des Antillenhauses, der antillianischen Vertretung in Den Haag, hat eine gute Auffassungsgabe. Die Frage zielte auf Auskünfte über Steuernzahlungen auf den Antillen und Aruba. “Sie meinen natürlich Auskünfte über keine Steuern bezahlen”. Diese Informationen kann das Antillenhaus schon geben. Zwei Tagen später rutscht die “Niederländisch Antillische Rentenregelung”, die sogenannte Penshonadoregelung, in den Briefkasten. Aruba und die Antillen versuchen die ausgeschiedenen niederländischen Geschäftsleute, Künstler oder Medien-tycoons anzuziehen.
Kees Brusse, Schauspieler, gibt während der Werbung im Fernsehen ein Beispiel: knietief im schwülen karibischen Meerwasser, Piña Colada in der Hand, den Schirm glatt über seinen Augen. Viele NiederländerInnen folgen seinem Beispiel. Dazu ist Ausscheiden ein relativer Begriff; auch NiederländerInnen, die schon weit vor dem Erreichen des pensionberechtigten Alters ihre Schäfchen im Trockenen haben, lassen sich einige Monate pro Jahr auf den karibischen Inseln nieder. Weit weg, aber trotzdem vertraut. TV-Personalities, wie André van Duin und Corrie van Gorp (die niederländischen Fernseh-Clowns), Rijk de Gooier, Schauspieler, und Adèle Bloemendaal, Kleinkünstlerin und Schauspielerin, können sie an dem weißen Strand von Aruba und Bonaire bewundern. Jan des Bouvries (erfolgreicher Innenarchitekt) hat dort eine Wohnung und auch der Präsident der Niederländischen Bank, Duisenberg, konnte sich dem Reiz der Palmen von Bonaire nicht entziehen.
Sie haben alle das Steuerparadies der Überseegebiete Hollands natürlich nicht entdeckt. Die Niederländischen Antillen und Aruba sind wirtschaftlich durch einen einfachen Notar aus Curaçao ausgebeutet worden: Ton Smeets. Als der Zweite Weltkrieg vor dem Ausbruch stand, waren in den USA europäische Betriebe mit einer amerikanischen Filiale außerhalb der Kriegswirtschaft, vom “Fighting with the Enemy Act” bedroht. Dieses Gesetz schrieb vor, das sich in den USA befindliche Eigentum von Betrieben aus von Deutschland besetzten Gebieten, zu konfiszieren. Smeets hat den niederländischen Betrieben die Möglichkeit geboten, ihr Domizil per Adresse auf Curaçao zu wählen. Verschiedene Betriebe, darunter Philips, vermochten so den Verlust ihrer Besitzungen in der USA zu vermeiden. Der Betrieb von Smeets CITCO (Curaçao International Trust Company) verwaltet die “Briefkästen” der Betriebe im Exil.
CITCO ist heute ein bekannter Name auf den internationalen Finanzmärkten. Der Firmensitz befindet sich immer noch auf den Antillen (am Plaza Smeets, nach dem Firmengründer benannt), aber hat, wie der Sprecher von CITCO-Niederlande, J.H. Wiggers, erzählt, jetzt fast schon in jedem Land, wo es steuerlich günstig ist, eine Filiale. In den Niederlanden residiert die Firma in einem riesigen Bürokomplex des World Trade Centers Amsterdam. “Wir denken uns die Steuerkonstruktionen nicht selber aus”, sagt Wiggers. Wir sind eine Trustkompanie (Vermögensverwaltungsgessellschaft). Wenn mensch viel Geld hat, 10 oder 20 Millionen, dann verwalten wir das für sie an einer günstigen Stelle. Oder wenn sie einen Betrieb haben, dann regeln wir eine Niederlassung in einer Region, in der die Steuern minimal sind.”

Briefkastenfirmen

Im Laufe der Jahre sind viele Betriebe auf die Antillen gezogen. Auf dem Höhepunkt der Offshore-Industrie hatten mehr als dreißigtausend Unternehmen eine Filiale auf den kleinen Inseln, die zusammen gerade etwas größer als tausend Quadrat-Kilometer sind. Trustkompanien, wie CITCO, haben gute Geschäfte gemacht. Die Verwaltung einer Briefkastenfirma kann schon mehrere hunderttausend Dollar pro Jahr einbringen. Es war nicht ungewöhnlich, daß eine Trustkompanie mehr als tausend Firmen betreute und dabei rollte ganz schön der Rubel. Kein Wunder, daß die niederländischen Institutionen sich ohne Hemmungen auf den Inseln niederließen. CITCO hatte den Vorteil, die Erste zu sein, aber andere niederländische Finanzgiganten wie ABN Amro Trust, Holland Intertrust, ING Trust, F van Lanschot Management Company, Mees Pierson Trust und Rabobank Curaçao sind dem Beispiel schnell gefolgt.
Greg Elias, Vorsitzender der Vereinigung der Offshore Interessen auf Curaçao, hat in der Zeitschrift “Quote” bekundet, daß in besseren Zeiten mindestens zweihundert Milliarden Dollar pro Jahr auf die Inseln flossen. Elias: “Wir haben das Wachstum der amerikanischen Nachkriegswirtschaft finanziert.” Wenn wir die ganze Karibik zusammen nehmen, dann werden die Beträge unwahrscheinlich groß. The Latin America & Carribean Review beschreibt, daß im karibischen Offshore-Business, inklusive des Versicherungswesens, jährlich so ungefähr neuntausend Milliarden Dollar den/die EigentümerIn wechseln.
Die Regierungen der karibischen Inseln bekommen nur einen kleinen Teil dieses Betrages. 1985, im Spitzenjahr, haben die Antillen mehr als fünfhundert Millionen Gulden an Offshore-Steuergewinn eingenommen. Nur ein Klacks für die einzelnen Betriebe, aber für die antillischen Behörden hat dieser Betrag ein Viertel des Gesamthaushalts gedeckt.
Die wichtigste KundInnen haben die Antillen schon vor einigen Jahren verloren. 1987 haben die USA das Steuergesetz mit den Antillen nicht verlängert. Dieser Vertrag legte fest, daß im Vertragsland vollzogene Transaktionen nicht noch einmal im Heimatland besteuert werden. Günstig war das vor allem für in bezug auf europäischen Wertpapiere, die sogenannten “Eurobonds”, die durch das US-amerikanische Finanzministerium mit 30 Prozent besteuert werden, aber bei einer Tochterfirma auf den Antillen steuerfrei sind. Der Steuervertrag mit den Antillen wurde abgelehnt, weil die USA die Steuergelder nicht entbehren wollen.
Der Rückzug US-amerikanischer Unternehmen brachte den Antillen einen Einnahme-Verlust von mehr als 100 Millionen Gulden pro Jahr. Die halbe Milliarde Gulden, die 1985 noch gutgeschrieben werden konnte, war 1991 auf knapp zweihundert Millionen geschrumpft. Hans van Weeren, geschäftsführender Direktor des Ministeriums für Niederländisch-Antillianische und Arubanische Angelegenheiten (Kabna) sagt dazu: “Ich kann es dir sagen: Ein Verlust der Einnahmen in solcher Größenordnung bei einem Gesamthaushalt von zwei Milliarden Gulden ist ein erheblich größerer Rückschlag, als wir in den Niederlanden gewohnt sind.”
Der Einnahmenverlust wird immer größer werden, wenn die Inseln mit den Maßnahmen gegen die Drogengelder konfrontiert werden: Die Niederlande und die USA haben den Austausch von Steuer-Informationen vereinbart. Außerdem haben sie beschlossen, die Steuerpraktiken der Individuen als auch der Firmen zu untersuchen. Die Frage ist, ob die niederländischen Überseegebiete auch in das Abkommen miteinbezogen werden. Die USA wollen eigentlich nur Einblick in die “Insel-Geschäfte” ihrer BürgerInnen bekommen. Die EinwohnerInnen der Antillen sehen dem Abkommen mit Zittern und Zagen entgegen. Der vorher erwähnte Greg Elias: “Wenn der Vertrag verabschiedet wird, sind wir verloren.”

Das Jugendproblem

Offshore und Öl haben die Inseln zu dem wirtschaftlichen Wunder der Gegend gemacht. Beide haben aber viele Verluste erlitten. Vor allem der Verlust der Ölindustrie bedeutete einen harten Schlag für die Mittelklasse auf den Inseln. Bei einer Volkszählung Ende 1992 stellte sich heraus, daß die Hälfte der Erwachsenen auf Curaçao unter dem Existenzminimum leben. Die Kluft zwischen der verarmten einheimischen Bevölkerung und der augenscheinliche Reichtum der Steuer-Flüchtlinge ist gewaltig. Vor allem die Jugend hat jede Zukunftsperspektive verloren. Ein amtlicher Arbeitsausschuß bekannte im Dezember 1992: “Wir müssen leider zugeben, daß die gesamte Jugend gefährdet ist” Und: “Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß Probleme wie Drogenabhängigkeit, Teenager-Schwangerschaft, Kriminalität, Drop-Outs, Aids usw. eine große Bedrohung darstellen und schwer zu lösen sind.” Kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Berichtes entstanden die Gerüchte von den “Problemjugendlichen”, die mit Unterstützung der lokalen Behörden zum Mutterland transportiert werden. Ob es die Wahrheit ist oder nicht, das Problem bleibt ebenso wie die Machtlosigkeit der Behörden etwas dagegen zu tun. Ein “One Way Ticket” zur Haupstadt Amsterdam ist zweifellos billiger als ein Betreuungsprogramm. Und wenn die antillianischen Behörden das Flugticket nicht selber finanzieren, dann gibt es auch noch Mittelklässler, die gerne etwas Geld übrig haben, um einem lästigen “Choller” (Obdachloser, Drogensüchtiger) zu einem Flugticket nach Amsterdam zu verhelfen. Wozu die reichen AusländerInnen natürlich beifällig zuschauen, weil ein/e “RuheständlerIn” keine Lust auf ein Rotlicht Viertel um die Ecke hat.
Eine Briefkastenfirma kann vielleicht schlafen oder inaktiv sein, aber der Chef muß ab und zu mal vorbei kommen. Curaçao hat deswegen auch einige Stellen, wo sich die niederländischen Geschäftsleute begegnen. Die Atmosphäre in dem Avila Beach Hotel ist leicht mit der im zehntausend Kilometer weit entfernten “barretje Hilton” an der Herbergierenstraat in Amsterdam zu vergleichen. Albert Heyn (Supermarkt Gigant), die Königsfamilie Van Oranje Nassau: sie übernachten alle im Avila Beach und wie im Amsterdamer Hilton mischen sich die ehrwürdigen Eliten problemlos mit wohlhabenden Leuten von zwielichtiger Gestalt.

Die vorteilhaften steuerlichen und finanziellen Konditionen, die Nähe zur USA, Lateinamerika und natürlich die Beziehung zu Europa haben auch zwielichtige Firmen angezogen. Der französische Journalist, Fabrizio Calvi, veröffentlichte im vorigen Jahr das Buch “Das Europa der Paten”, worin er einige Passagen der Präsenz der italienischen Mafia widmet. “Die Inseln sind schon völlig von der Mafia übernommen worden”, schreibt Calvi. “Sie lagern Drogen und verschicken sie wieder. Sie investieren ihr schmutziges Geld und waschen es weiß. Sie besitzen Kasinos, Hotels und Betriebe und da ist niemand da der “Nein” sagen kann. Sie haben die Inseln zu ihrem eigenen Territorium gemacht, auf ähnliche Weise wie Palermo das ist.(…) Jede/r profitiert davon, jede/r hat mehr oder wenig damit zu tun und wie auf Sizilien redet niemand darüber.
Die italienischen Zeitung “Corriera della Sera” nannte Aruba, den ersten Staat, der von den Bossen der “Cosa Nostra” (italienischer Mafia-Clan) aufgekauft worden sei. Der Zeitung zufolge sind sechzig Prozent der Insel in den Händen der italienischen Familien Cuntrera und Caruana, mit dem Beinamen “Die Rothschilds des Drogengeschäfts”. Auch sollen die Familien die Wahl von Premier Nelson Oduber sicher gestellt haben.
Einiges wird beschrieben im Buch “Schuldenboemerang” (Schuldenbumerang). Die niederländischen Autoren Joost Oorthuizen und Tom Blickman zitieren den nordamerikanischen Anwalt Jack.C.Blum, der für den US-amerikanischen Senat die “Geldwäschereien” von Panamas Manuel Noriega erforscht hat: “Die Niederländer sollten der Tatsache mehr Aufmerksamkeit widmen, daß ihre Übersee-Inseln zu Freihäfen für international operierende Gangster geworden sind. Wenn man Aruba zum Beispiel nimmt, sieht mensch, daß diese Insel vom Medellín-Kartell und der sizilianischen Mafia überschwemmt wurde: sie bringen mehr Geld auf dem Insel als die ganze Tourismusindustrie. Ein Land kann solche finanziellen Transaktionen nicht unter der Bezeichnung Freihandel weiterwuchern lassen.
Den Autoren gemäß sind die Konstruktionen von Steuerhinterziehung und das Weißwaschen von “Dinero Caliente” (durch zweifelhafte Geschäfte verdientes Geld) identisch. Die renommierten Banken, die ihre Filialen auf den Inseln errichtet haben, um Philips und Albert Heyn bei ihren Geschäften zu unterstützen, haben jetzt auch mehrere lateinamerikanischen KundInnen. Oorthuizen und Blickman: “Bei Verhören vor der Kommission des US-amerikanischen Senats erklärte eine vormalige Mitarbeiterin von Noriega, daß die niederländische ABN-Bank einer der favorisierten Banken des panamesischen Diktators war”. Das sind ernsthafte Anklagen. Bei dem Centralen Recherche Inlichtingendienst, CRI (Auskünftedienst) wollte Pressesprecherin Irma Vogel “keine Mitteilungen” dazu geben. Auch die einfache Frage, ob eine Untersuchung zu diesen merkwürdigen Geschäften eingestellt wurde, wollte der CRI nicht beantworten.

Friendly Island

Auf der kleineren und übersichtlicheren Insel Sint Maarten ist es schon schief gelaufen. Auf dem ausgewachsen Atoll verzehnfachte sich die EinwohnerInnenzahl in einigen Jahrzehnten. Die Tourismusindustrie, die von den täglich in Philipsburg anlegenden Kreuzfahrtschiffen profitiert, ist die Triebfeder in der Inselwirtschaft. Aber mit diesen TouristenInnendollars kam die Korruption und damit war die Hölle los. Wer Sint Maarten sagt, denkt an Korruption. Albert Claudius (Claude) Wathey (67) ist der ungekrönte König von Sint Maarten. Mit seiner Demokratischen Partei Sint Maarten hat er schon viele Jahrzehnte “the friendly island” mit Kleptokratie regiert.
Ursprünglich arbeitete er in dem Betrieb seiner Familie, in der Schiffahrt, Luftfahrt, Versicherungen und Tourismus. Diese Interessen wußte er ohne Probleme mit seiner Mitgliedschaft im Inselrat und als Mitglied in der Inselföderation zu verbinden In den letzten Jahren sind verschiedene dubiose Geschäfte in der niederländischen Presse veröffentlicht worden und immer wieder wird dabei der Name von Wathey erwähnt. Der alte Boß ist guter Freund mit den ItalienerInnen, die ein Einkaufszentrum, Kasino oder Hotel nach dem anderen auf dem Felsenboden errichten. Nur wenig Leute zweifeln daran, daß die benötigten Millionen “caliente” sind und ein Teil davon erhält der Wathey-Clan. In der niederländischen Zeitschrift, Vrij Nederland, hat der Publizist Thomas Ross geschrieben, daß Wathey und seine Freunde 250 Millionen Gulden pro Jahr an dem Kasino-Tourismus verdienen. Ein Betrag, der die 10 Millionen niederländische Entwicklungshilfe bei weitem übersteigt.
Jahrelang ließ Wathey sich von niemanden beirren. Die Niederlande hatte damit keine Probleme. “They come to wine and dine” sagen die InselbewohnerInnen spöttisch über die niederländischen PolitikerInnen, die die letzten Jahrzehnten zur Kontrolle kamen. Ein Essen hier, eine Fahrt mit einem Schiff dort, ein Glückspiel im Kasino und die niederländischen PolitikerInnen gehen wieder zufrieden nach Hause: verabschiedet von ihren antillianischen FreundInnen, die sich gleich wieder ihren italienischen oder kolumbianischen GeschäftspartnerInnen fügen.
Die Bestürzung war groß, als der Justizminister Hirsch-Ballin sich als ein steifer, konservativer “Macamba” entpuppte, der nicht an der Genußsucht der “Merengue-Gesellschaft” interessiert war. “Professor Hip Hop” oder “King Tiptoe” wird der Minister wegen seines hüpfenden Schrittes genannt. Professor Hiphop hat kein Gras über die Sache wachsen lassen. Seit Juli 1992 werden die Inseln ganz gut beobachtet. Jede Ausgabe über 25 Tausend Gulden muß von dem Gouverneur in Willemstadt bewilligt werden. Im Februar dieses Jahres wurde der Aufsichtstatus durch den Status von Kuratele ersetzt. Durch diesen wurde ein spezieller Aufsichtsführer beauftragt auf den Inseln nach dem Rechten zu sehen. Damit hat der Hirsch-Ballin übrigens ein beträchtlichen Fehler gemacht. Sein Aufsichtsführer Russel Voges hatte bei Ankunft auf Sint Maarten fast gleich eine Beziehung mit der Anwältin von Claude Wathey. Zufall oder nicht, seitdem hat die Bevölkerung dem Aufsichtsführer keine Aufmerksamkeit mehr geboten.
Wathey hat sich in Februar 1993, beleidigt wegen des Mißtrauens aus Den Haag, aus der Öffentlichkeit der Insel zurückgezogen. Niemand zweifelt daran, daß der “Ölmann” alle Fäden immer noch fest in der Hand hat.
Die Nähe der italienischen Mafia oder der kolumbianischen Kokainbarone bedeutet für das internationale Geschäftsleben kein Hinderungsgrund, sich auf den Inseln niederzulassen. Für nordamerikanische Betriebe ist die große Anziehungskraft der Insel überwiegend verschwunden, aber für die niederländischen Betriebe lohnt die Antillen-Konstruktion immer noch. Auf den Antillen niedergelassene Betriebe brauchen keine oder nur sehr wenig Steuern auf Einnahmen, die sie außerhalb des Insels erzielen, zu bezahlen.
Die niederländische Behörden versuchen eilig das Loch in der Steuergesetzgebung der Inseln zu stopfen. Zur Zeit zirkuliert ein Vorentwurf eines Gesetzes unter Sachverständigen und BeamtInnen, mit der Absicht in Zukunft einen “Fair Share”(gerechten Anteil) des Steuergewinns zu erhalten. Vor allem der Umzug einer Firma in ein anderes Land versucht die niederländische Regierung zu erschweren. Das bedeutet ein neuer Schlag für die antillianische Offshore-Industrie. Für den einfachen Millionär oder den/die “geschätzte BürgerIn” gibt es dann immer noch die “Ruhestands-Regelung”.
Um in deren Genuß zu kommen, darf mensch fünf Jahre vor Inkrafttreten der Regelung nicht auf den Inseln gelebt haben, muß auf den Antillen ein Haus im Wert von mindestens 225 000 Gulden (1 Gulden ca. 0.95 DM) besitzen, muß eine nicht-antillianische Pension beziehen und muß eine/n AntillianerIn für mindestens dreißig Stunden pro Woche zum Beispiel als HaushälterIn anstellen.
Ein Mindestalter gibt es nicht. Es gibt auf den Antillen RentnerInnen, die um die zwanzig Jahre alt sind.
Wenn mensch den Bedingungen entspricht, ist der/die “RentnerIn” in der Karibik herzlich willkommen und bezahlt er oder sie nicht mehr als 5 Prozent Einkommenssteuer mit einem Maximum von 66 000 Gulden (erreicht bei einem Einkommen von mehr als 1,32 Millionen). Wenn überhaupt Steuern bezahlt werden. Bis heute sind 350 000 Steuerveranlagungen noch nicht eingetrieben.

Es bleibt nur eine Alternative: Lula

ALAI: Wieder wird Brasi­lien von Korruptionsge­schichten erschüttert, diesmal sind Parlamenta­rier darin ver­wickelt. Wo­hin kann all dies füh­ren?
L.E. Greenhalgh: Die Lage im Land ist sehr ernst, wir sind in einer Sackgasse. Die Korruption hat mit der Absetzung von Collor nicht aufgehört, sondern ist noch schlimmer geworden, nachdem nun auch Parlamentarier und Richter in Verdacht gekommen sind.
Das Land ist gelähmt, und alle Blicke sind nur auf die Korruptionsskandale gerichtet. Die Regierung regiert schon nicht mehr, die Streitkräfte tun so, als sei nichts, das Parlament verabschiedet keine Gesetze, seit es die Überarbeitung der Verfassung unterbrochen hat, die Justiz erfüllt ihre Funktion nicht mehr, und das Volk ist empört. Das alles hat eine politische Si­tuation geschaffen, die den Zeitplan für die Verfassungsreform durcheinanderge­bracht hat. Es gibt möglicherweise vorge­zogene Wahlen, und man kann auch Putschpläne nicht mehr ganz ausschlies­sen.

Präsident Itamar Franco persönlich hat geklagt, auf ihn werde Druck aus­geübt, einen Staatsstreich nach Fujimori-Art durch­zuführen. Wie wahrscheinlich er­scheint Ihnen eine solche Entwick­lung?
Hätte Itamar die politische Macht, hätte er bereits den Kongress geschlossen und einen Staatsstreich wie Fujimori gemacht, aber er hat keine Macht. Er wurde Präsi­dent, weil Collor abgesetzt wurde, er­nannte Männer mit guten Absichten zu Ministern, aber die Regierung bewegt nichts, diese Leute treten auf, reden viel, aber sie tun nichts. Zum Beispiel der Fi­nanzminister ist ein angesehener Mann, der sich hier verausgabt, denn das brasi­lianische Volk möchte, daß die Inflation von monatlich 40 Prozent gestoppt wird, aber das schafft er nicht. Hätte er die In­flation eingedämmt, wäre die Regierung Itamars aus dem Skandal im Parlament gestärkt hervorgegangen, aber da er es nicht konnte, haben sie keine politische Kraft und können keinen Putsch à la Fu­jimori wagen.
Meiner Ansicht nach gibt es in Brasilien nur eine Alternative: die von Lula, die im Aufbau eines demokratischen Gemeinwe­sens besteht, mit dem Wirtschaft und Po­litik gesunden können. Es wird keine linke Regierung, keine sozialistisch-revolutio­näre, aber es wird eine revolutionäre Re­gierung in Bezug auf die Lage, in der Bra­silien sich befindet. Eine Regierung, die die Agrarreform im Griff hat, den Reich­sten Steuern auferlegen kann, die Straflo­sigkeit beendet, Ausbildung und Gesund­heitsversorgung verbessert und ein wenig die Inflation kontrollieren kann. Wenn das alles in Brasilien geschieht, können wir schon von einer Revolution sprechen: Für Brasilien gibt es keine an­dere Möglich­keit, es gibt nur eine, und das ist Lula.

Seit einiger Zeit scheint es, als ob in einigen Staaten separatistische Be­wegungen an Bedeutung gewinnen…
Meiner Meinung nach ist diese Welle von separatistischen Bewegungen in der Welt eine der Folgen des Endes des Kalten Krieges. Die Erde war lange in zwei Lager gespalten mit dem Ost-West-Konflikt. Aber nachdem diese Polarisierung ver­schwunden ist, verlagern sich die Ge­wichte auf die Regionen, und nun sehen wir die separatistischen Bewegungen mitten in Europa aufkommen und ebenso in Südamerika, in Brasilien, in Argenti­nien, in Chile. Ich glaube, daß das Ende der Bipolarität der Welt die regionale Bi­polarität hervorgebracht hat.
Darüber hinaus gibt es in Brasilien wirt­schaftliche Bedingungen, die die separati­stischen Bewegungen besonders im Süden des Landes fördern, denn die brasiliani­sche Wirtschaft spielt sich größtenteils im Süden ab. Und da entsteht ein Gefühl, daß der Süden dafür arbeitet, die Last des gan­zen Landes zu tragen und daß das nicht gerecht ist; sie denken, daß sie weiter entwickelt sein könnten, wenn es nicht die große Asymmetrie zwischen dem Norden und besonders dem Nordwesten und dem Süden gäbe.
Die Situation verschärft sich, denn die Regierung kann nicht damit umgehen. Sie möchte das Gesetz über die Nationale Si­cherheit umarbeiten, um es auf die Führer der Separatistenbewegungen anwenden zu können. Wenn sie dieses Gesetz anwen­den können, kann die Regierung solche Gruppen politisch verfolgen. Die Regie­rung von Itamar ist eine dumme Regie­rung. Ich glaube, wenn Brasilien seine “finanzielle Gesundheit” verbessert, dann werden diese Bewegungen wieder an Be­deutung verlieren.
So unglaublich es klingt, aber Lula ist eine der ganz wenigen Personen, die die mora­lische Autorität besitzen, das Land zu einen auf der Basis einer Zukunftspla­nung, und damit wird er die nationale Einheit fördern.

In Bezug auf Amazonien hört man, daß es einen Plan geben soll, die bra­silianische Armee zurück­zuziehen, um eine interna­tionale Kontrolle dieser Re­gion einzurich­ten. Wie steht die PT dazu?
Ein Hauptpunkt in den Gesprächen der PT mit den Militärs wird Amazonien sein und besonders das Projekt Calha Norte [Calha Norte war ursprünglich ein militärisches Projekt zur Sicherung der Grenze Amazo­niens; s. LN 180.], nicht, um etwas mit den Militärs auszuhandeln, sondern um einen Dialog über ihre mögliche Rolle in einer demokratischen, an den Interessen des Volkes orientierten Regierung zu be­ginnen.
Die PT und die Militärs haben seit jeher sehr verschiedene Grundauffassungen. Die PT wurde während der Militärregie­rung verfolgt. Im Demokratisierungspro­zeß haben die Militärs nie das Gespräch mit der PT gesucht. Jetzt wollen die Mili­tärs mit der PT sprechen, denn es besteht eine reale Möglichkeit, daß wir die Regie­rung stellen. Die Militärs erkennen an, daß die PT die einzige Partei mit einem Pro­gramm ist, das einen Ausweg für Brasilien aufzeigt. Deshalb versuchen beide Seiten, sich gegenseitig ernstzunehmen.
Außerdem reden wir mit den Militärs, um zu wissen, was ihre Vorstellungen und Schwerpunkte sind. Ihr erster Schwer­punkt, so sagen sie, ist die Professionali­sierung der Armee, die nie stattgefunden hat, da die Regierungen dafür keinen Etat hatten. Sie sagen, daß jedenfalls theore­tisch die Streitkräfte umso weiter von der Politik entfernt sind, je professionalisierter sie sind.
Ihre zweite Aufgabe ist die Verteidigung des nationalen Territoriums und der Gren­zen. Die Doktrin der Nationalen Sicher­heit, die einen äußeren und einen natürli­chen inneren Feind voraussetzt, ist über­holt. Deshalb sind die Militärs anderer Meinung wie Brizola, der möchte, daß die Militärs den Drogenhandel bekämpfen. Nach Ansicht der Militärs ist das Sache der Polizei, der Militärpolizei und der Mi­lizen, und nicht der Armee. Sie wollen keine Außenstelle des Pentagons oder des US-Heeres sein.
Außerdem ist ihnen die Notwendigkeit bewußt, das nationale Territorium in Amazonien zu erhalten. In diesem Sinne wollen sie das Projekt Calha Norte disku­tieren. Die Gespräche laufen gut, wir re­spektieren uns gegenseitig, wir reden frei, klar und ohne Angst, damit sie wissen, was wir von ihnen erwarten, und sie von uns.
Vom Standpunkt der nationalistischen In­teressen Brasiliens aus werden wir das Projekt Calha Norte unterstützen, soweit es die Erhaltung Amazoniens beinhaltet, jedoch mit einigen Einschränkungen.

Welche sind die Einschrän­kungen? Was zum Beispiel sagen Sie zu der Kon­trolle der Bevölkerung, die die­ser Plan enthält?
Unsere Einwände betreffen die sozialen Auswirkungen. Wir haben uns schon aus­gesprochen gegen ACISO (Acción Civica Social), mit deren Hilfe ganze Gemein­schaften unterdrückt und kontrolliert wur­den. Wir wollen die Verteidigung der Grenzen, die Verteidigung der territorialen Integrität Amazoniens als Teil Brasiliens.

Heißt das, Sie würden die Freizü­gigkeit der indigenen Bevölkerung re­spektieren, denn es gibt ja Völker wie die Ya­nomami, deren Gebiet bis nach Venezuela reicht…
Das Territorium der Indígenas gehört ih­nen, in dieser Hinsicht ist die Staatsgrenze eine Fiktion. Eine Regierung Lula würde die Grenzen im indigenen Territorium nicht festlegen, im Interesse der Einheit der indigenen Nation. Es entsteht auch ein Dialog zwischen den Indígenas und den Militärs, denn die Militärs beklagen sich, daß sie keinen Zugang zur Staatsgrenze haben, die zu schützen ihre Aufgabe ist, weil sie auf Stammesterritorium liegt. Wir ermöglichen Verhandlungen, ziehen auch CIMI und CNBB hinzu und das Justizmi­nisterium, damit die Militärs das Gebiet nicht besetzen, sondern das Gebiet nur betreten und durchqueren im Interesse der Verteidigung, ohne die Lebensweise und die Bräuche der Indígenas zu stören.

Sprechen wir von den an­stehenden Wahlen. Wie ste­hen Sie diesem Pro­zeß des Bündnisses gegenüber?
Es gibt eine Meinungsverschiedenheit in­nerhalb der PT darüber, ob das Bündnis die PSDB (Partido Social Democrático de Brasil) miteinbeziehen soll oder nicht: 40 Prozent unserer Partei ist der Meinung, daß die PSDB nicht Teil des Bündnisses sein darf. 60 Prozent dagegen meint, daß das Bündnis auch die PSDB umfassen sollte und einige Teile der PMDB. Das ist die offizielle Position unserer Partei.
Das Problem ist, daß die PSDB “eine schwierige Liebe” ist. Sie erklären sich, zeigen Ihre Absichten, möchten mit ihr reden, verhandeln und sie bei der Hand nehmen, und die PSDB will nicht, ist Jungfrau und Puritanerin und sträubt sich. Also wäre es sehr kompliziert, müßte Lula als potentieller Wahlsieger weiterhin die PSDB umwerben, die sich ihrerseits nicht entscheidet. Die Haltung der PT ist fol­gende: Wir bleiben weiterhin mit der PSDB im Bündnis, wenn es jedoch nicht hält, ist das nicht die Schuld der PT son­dern der PSDB.
Die PSDB hat keine Massenbasis aber sie hat Führungskräfte. Die PT hat eine Mas­senbasis, jedoch nur wenige Kader; also könnten wir uns zusammentun, was einen Machtwechsel in Brasilien garantieren würde. Mit Lula an der Spitze und einem der PSDB als Stellvertreter können wir im ersten Wahlgang diese Wahlen gewinnen, aber die PSDB macht alles kompliziert.

Worauf ist es zurückzufüh­ren, daß sich die Glaub­würdigkeit nun im Bereich der Zivilgesellschaft be­findet?
Es ist in Brasilien nichts Neues, daß die Zivilgesellschaft glaubwürdig ist, das war schon immer so. In der Zeit der Militär­diktatur gab es zwei politische Parteien, die eine war Instrument der Diktatur und hieß ARENA, die andere, die MDB, war in der Oppositon, d.h. die Diktatur ließ sie Opposition sein.
Wir sagten im Scherz, der Unterschied zwischen den beiden Parteien bestehe darin, daß die ARENA “Ja, mein Herr” und die MDB nur “Ja” sage. Aber wer das Land aus der Diktatur herausholte, das war das Volk, die Zivilgesellschaft, die StudentInnen, die Menschenrechtsorgani­sationen, etc..
Der erste große Kampf, der gegen die Diktatur geführt wurde, war der Kampf für die Amnestie. Und der wurde nicht von den Parteien ausgelöst, sondern von Persönlichkeiten und von der organisier­ten Zivilgesellschaft. Danach, mit Einset­zen der Amnestie, betreten die politischen Parteien die Szenerie und fangen dort wieder an, wo sie vor dem Militärregime aufgehört hatten. Die einzige Neuerschei­nung ist die PT.
Nachdem sich die Parteien rekonstruiert hatten, waren Direktwahlen für die Prä­sidentschaft notwendig. Wer macht die Wahlkampagne für die Direktwahlen? Die Parteien und die Zivilgesellschaft. Danach kommt die verfassungsgebende Ver­sammlung, die Parteien wählten ihre Ab­geordneten, aber es war die Zivilgesell­schaft, die die Anträge für die Verfassung einreichte. Anschließend fand die Kampa­gne gegen Collor statt. Wer die Kampagne zu seiner Entlassung veranlaßte, war die Zivilgesellschaft. Und erst danach stiegen die Parteien mit ein.
Also hat die Zivilgesellschaft in Brasilien eine herausragende Position. Heutzutage, da sich das Land in einem Zustand der Auflösung befindet ist die Kampagne ge­gen den Hunger das einzige, was sich be­wegt. Sie wird zwar von der Regierung unterstützt, aber von der Zivilgesellschaft getragen. Diese Kampagne, die von Be­tinho angeführt wird, bezieht den Bürger und die Bürgerin als politisches Wesen mit ein. Sie ist die einzige zur Zeit ernst­zunehmende Bewegung in Brasilien.
Es gibt Komitees gegen den Hunger in Stadtvierteln, Gemeinden und Regionen. In einer gemeinsamen Organisation wäre dies die größte Volksmacht, die es in un­serem Land je gegeben hat. Betinho ist ein guter Drahtzieher für die Kampagne, aber ein schlechter Organisator. Wenn er ein guter Organisator wäre, würde er als Er­gebnis der Kampage gegen den Hunger die größte Volksmacht in Brasilien auf­bauen.
Aber außerdem existieren noch andere Komitees, für Ethik, StaatsbürgerInnen, BürgerInnenrechte … wir arbeiten am Konzept des Staatsbürgers und der Staats­bürgerin. Gegen Ende der Diktatur in Bra­silien setzten wir uns für Menschenrechte ein. Aber die Charta der Vereinten Natio­nen spricht nur von individuellen Men­schenrechten. Wir müssen damit begin­nen, die kollektiven, kommunalen und Gruppenmenschenrechte einzufordern, wie zum Beispiel das Recht auf Wohnung, auf Erziehung und Gesundheit. Bald wer­den wir erreichen, daß diese Rechte in der Bundesverfassung verankert sind. Dann muß die Bevölkerung die Verfassung in die Hand nehmen und sagen: Wir sind brasilianische StaatsbürgerInnen, und hier haben wir unsere Rechte. Dieses ist der beste Abwehrmechnanismus gegen einen Putschversuch und die beste Garantie für den Demokratisierungsprozeß.

Grenzenlose Zukunft -begrenzte Inhalte

Die Entdeckung des spanischsprachigen Publikums

Die Show ist das Zugpferd von Univision. 24 Stunden täglich sendet das Fernsehnetz, das sich selbst als “Vision Lateinamerikas” beschreibt -nach eigenen An-gaben erreicht es 90 Prozent aller Latino/a-TV-Haushalte von Chicago bis E1 Paso, von Miami bis Los Angeles. Die große Konkurrentin Telemundo hat mittlerweile eine ähnlich hohe technische Reichweite. Galavisión, die dritte im Bunde, konzentriert sich vor allem auf Latinos/as an der Westküste, die ihren Ursprung in Mexiko oder Zentralamerika haben. Alle drei stehen im Wettbewerb um die Gunst einer Zielgruppe, die erst vor einigen Jahren als solche entdeckt wurde und seither von einem kommerziellen Medienangebot geradezu über-schwemmt wird. “Effektive Strategien für den hispanischen Markt”, “die Entdeckung des hispanischen Zuschauers”-Artikel, Broschüren, Bücher mit solchen Titeln gehören mittlerweile zur Grundlagenlektüre jeder US-Werbeagentur.
Als Kommunikationswiese ethnischer Enklaven haben spanischsprachige Medien in den USA, wie viele andere fremdsprachige ImmigrantInnenmedien, eine lange Historie. Hier ein Blättchen, dort ein Blättchen, ein Kommen und Gehen. Als überlebensfähig hatten sich nur einige wenige Zeitungen erwiesen (siehe Kasten). Mit der Entdeckung der Latinos/as als Zielgruppe der Werbeindustrie begann jedoch eine ganz neue Geschichte: Der Boom der kommerziellen spanischsprachigen Medien in den USA. in den 70er und vor allem in den 80er Jahren schossen spanischsprachige Hörfunkstationen wie Pilze aus dem Boden, in immer mehr Regionen wurden Femsehprogramme auf spanisch über neue UHF-Stationen ausgestrahlt oder in Kabelsysteme eingespeist. Seit 1988 streiten sich zwei, seit 1990 drei Fernsehnetze um den Werbegelderkuchen.

Aufgewärmtes aus Mexiko und frisches Selbstgemachtes

Auch wenn Univisión, Telemundo und Galavisión immer wieder versuchen, sich voneinander abzugrenzen und sich ein unverwechselbares Image aufzubauen, kochen alle drei mit demselben Wasser. Das alltägliche Menü aus Werbeblöcken wird marktgerecht mit importierten Telenovelas, Komödien und Spielfilmen zusammengebracht und zur Not in den Nachtstunden als Resteesssen einfach noch einmal aufgewärmt. Ein Großteil dieser Sendungen stammt aus den Töpfen des mexikanischen Medienriesen Televisa, der einen Anteil von 25 Prozent an Univisión hält und Galavisión selbst zum Strahlen erweckt hat. Das Programm trifft aber nicht unbedingt den Geschmack aller Latinos/as in den USA. Vor allem jüngere schauen lieber den Musikkanal MTV oder Spielfilme auf einem der zahlreichen englischsprachigen Kanäle (manche von ihnen fallen schon von vornherein heraus: sie sprechen drei Generationen nach der Immigration schlecht oder überhaupt kein Spanisch mehr). So wollen sich die Fernehnetze seit einigen Jahren nicht mehr allein auf Programmimporte -vor allem aus Mexiko -verlassen, sondern vergleichsweise kostenintensiv in den USA selbst zu produzieren. Riesige Studio-Areale sind in den letzten Jahren in Miarni entstanden, wo sowohl Univisión als auch Telemundo produzieren. Anfangs waren es nur die nationalen Nachrichten, die von Florida aus in die spanischsprachigen Haushalte der USA verbreitet wurden. Sie sind sauber recherchiert und mit Berichten eigener KorrespondentInnen in Lateinamerika und dem “Rest der Welt” gefüttert. Telemundo kooperiert mit dem englischsprachigen Nachrichtensender CNN. Univisións “Sábado Gigante” wird seit nunmehr sechs Jahren in Miami produziert, genauso wie die erst wenige Jahre laufende “Christina”, eine täglich ausgestrahlte, außerordentlich erfolgreiche Diskussionssendung über Themen wie “zweisprachige Erziehung”, “Diskriminierung am Arbeitsplatz”, “Fit ins Alter” oder “rnachismo”. Sogar die erste jemals in den USA produzierte spanischsprachige Komödie “Corte Tropical” ist in den Studios in Florida entstanden. Ort der banalen Komödie ist ein Friseursalon, in dem sich die Wege von Latinos/as verschiedenster Generationen und Herkunft kreuzen: Mexikano-Amerikaneruinen, Kubano-Amerikanerinnen, Puerto-Ricanerinnen oder Immigrantinnen aus Zentralamerika.

Die normative Kraft des Kommerziellen

Mittlerweile leben über 17 Millionen Menschen in den USA, die vorzugsweise in Spanisch kommunizieren -und ihre Zahl steigt durch Immigration kontinuierlich. Weitere 5 Millionen Latinos/as beherrschen das Spanische zumindest passiv
-ein riesiger Markt für nationale und werbefinanzierte Programme. Wurden vor wenigen Jahren englische Werbespots spanisch synchronisiert, gibt es heute Spots, die exklusiv für die Zielgruppe der US-Latinos/as konzipiert und produziert werden. Spanischsprachiges Fernsehen in den USA ist vor aliem ein Geschäft -zudem eines mit rosigen Zukunftsaussichten. “Money makes the world go round.” Dieses Lied wird in den englischsprachigen Chefetagen der spanischsprachigen Fernsehnetze gerne gesungen. Besonders dann, wenn Latino/a-LobbyistInnen fordern, die Inhalte und Botschaften der Programme mehr an der sozialen und politischen Ausgrenzung vieler lateinamerikanischer ImmigrantInnen auszurichten. Cubano, Mexicano or whan
Doch politisch-emanzipatorische Programme für Latinos/as sind Mangelware; von den Programmchefs der Fernsehnetze ist oft zu hören, daß es Versuche gegeben habe, Dokumentationen und Diskussionssendungen ins Programm aufzunehmen. Massenhaft hätten die ZuschauerInnen zu Hause daraufhin das Programm mittels Fernbedienung ins elektronische Jenseits befördert.

Kein Minderheitenmedium

Die halbstündigen lokalen Nachrichten konzentrieren sich auf das Neueste aus den barrios in den Latino/a-Metropolen. Wenn überhaupt, dann sind sie es, die durch ihre engagierte, mitunter auch sozialkritische Haltung in die Schublade passen, in die spanischsprachiges Fernsehen in den USA von vielen immer noch gesteckt wird: Minderheitenmedium. Das hat Konsequenzen. Von KritikerInnen aus Latino/a-Kreisen wird ihm immer wieder vorgeworfen, es käme seiner eigentlichen Funktion, Anwalt für ImmigrantInnen zu sein, nicht nach. Andere wiederum, vorzugsweise WissenschaftlerInnen, sehen es als Orientierungsforurn für Neuankömmlinge in den USA. Sie nennen es in einem Atemzug mit deutschen oder russischen EinwanderInnenzeitungen des 19. Jahrhunderts und warten nur darauf, den Grabgesang auf ein weiteres fremdsprachiges Medium in den USA anzustimmen.
Doch spanischsprachiges Fernsehen in den USA ist kein Minderheitenrnedium. Ein Zielpublikum von 17 Millionen ist in einer Medienwelt, die sich in immer kleinere’ Zielgruppen segmentiert, keine Minderheit. Im Gegenteil. Viel wahrscheinlicher ist eine weitere Segmentierung des spanischsprachigen Fernsehmarktes. So wie im Fall von MTV Latino, der seit kurzem verfügbaren Version von MTV auf Spanisch. Sie wird auch in US-amerikanische Kabelnetze eingespeist.

Elektronischer Schmelztiegel ?

Egal, ob Fernsehen, Hörfunk oder Printmedium, vom Image eines kämpferischen Minderheitenrnediums haben sich die kommerziellen, spanischsprachigen Me-dien schon lange verabschiedet. So richtet sich die Kritik einiger Latinos/as im-mer mehr auf die Bilder, die das Fernsehen in den Köpfen ihrer ZuschauerInnen produziere. Earl Shorris, Biograph der Latinos/as in den USA, drückt das Mißfallen vieler aus, wenn er schreibt, spanischsprachiges Fernsehen sei ein “elektronischer melting pot, in dem Wörter, Bräuche, Gesten und Geschichten verschwinden”. Spanischsprachiges Fernsehen ist eines der wenigen Bindeglieder zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die unter dem Dach der “Superethnie” Latinos versammelt sind. Entsprechend hoch wird von manchen Beteiligten die potentielle Wirkung der Fernsehbilder auf das Selbstbild der US- Latinos/as eingeschätzt. Seit einigen Jahren diskutieren in-tellektuelle Latino/a-Zirkel, was der idealtypische Latino oder “die” Latina sei. Für viele Latinos/as stellt sich diese Frage nicht. Ihr Selbstbild kommt direkt aus dem Bauch und ist in den meisten Fällen in ihren Nationalfarben gezeichnet. “Mexicano”, “Cubano”, “Salvadoreno” sind die Antworten auf die Frage nach der ethnischen Identität. “Yo soy Latino -Ich bin Latino/a” ist eine eher selten verbreitete Selbsteinschätzung. Die Zielgruppe spanischsprachigen Fernsehens in den USA jedoch sind Latinos/as -anders als die lokal oder regional kommunizierenden Hörfunkstationen oder Tageszeitungen, flimmert über drei Zeitzonen und alle Ethnien und Nationalgefühle hinweg dasselbe Programm. Telenovelas, Nachrichten und in den USA produzierte Programme wie “Christina” oder “Sábado Gigante” sollen Mexikano-Amerikanerinnen vom Südwesten der USA gleichermaßen anziehen wie die große kubanische Gemeinde in Florida oder die karibische in New York. Manche glauben, daß in den USA eine Chance vertan wird, den typischen Latino oder “die” Latina nicht nur als Nachfahren spanischer Eroberer zu zeichnen.
Denn die täglichen Sendungen ignorieren die Existenz indianischer oder afrokaribischer Geschichte. Es blondelt und blauäugelt unproportional viel im spanischsprachigen Fernsehen. Das Phänomen des elektronischen Rassismus allerdings ist lateinamerikanische Tradition und nicht erst unter den Latinos/as in den USA kreiert worden.

Exporte nach Lateinamerika -Ziel Nummer eins

Damit sich die Investitionen für die in den USA produzierten Programme wieder amortisieren, greifen die spanischsprachigen US-Networks zu dem, was im Mediengeschäft ohnehin schon länger Standard ist: Sie exportieren Programme, die ursprünglich für den Latino/a-Markt der USA produziert wurden, nach Lateinamerika. So strahlt Don Francisco mittlerweile auf nahezu allen Bildröhren Lateinamerikas (über Don Franciscos Einfluß in Chile auch der Artikel “Mit anderen Augen gesehen” in diesem Heft), “Christina” hat sich auch zu einem Exportschlager Univisions entwickelt.
Mauricio Gerson, Programmchef bei Telemundo, nennt die Ausbreitung des Fernsehnetzes nach Lateinamerika das “wichtigste Ziel für die kommenden Jahre, es wird über unsere Zukunft entscheiden”. So soll der Verkauf spanischsprachiger Fernsehprogramme von den USA nach Lateinamerika das dringend benötigte Geld beschaffen, um weiterhin zu Hause -in den USA -teure, spanischsprachige Programme zu produzieren. Das alles, um nicht zu abhängig von aus Lateinamerika importierten Billigproduktionen zu werden. Medien kennen keine Grenzen mehr. Seit spanischsprachiges Fernsehen die Aufmerksamkeit der Werbeindustrie geweckt hat und selbst ausschließlich den Gesetzen der Profitmaximierung verpflichtet ist, ist es als Werbeträger zu einem wichtigen Bestandteil der globalen Konsumanimation geworden.Der Latino/a-Medienmarkt in den USA mausert sich mehr und mehr zum Experimentierfeld multinationaler Konzerne.

Wie in einem gigantischen Versuchslabor wird hier getestet, wie der lateinamerikanische Konsummarkt optimal animiert werden kann.Der Gedanke ist so simpel wie fragwürdig: Was von der multikulturellen Latino/a-Gemeinde in den USA angenommen werde, werde sich auch auf dem ebenso multikulturellen lateinamerikanischen Markt durchsetzen. Den spanischsprachigen Fernsehproduktionen käme dabei zugute, was für einige das Erfolgsrezept US-amerikanischer Medienindustrie überhaupt ist: Fernsehprogramme für ein kulturell, ethnisch und regional sehr unterschiedliches Publikum in den USA entwickeln zu müssen.
Doch nach diesem Rezept wird heute in allen Produktionsküchen von weltweit agierenden ProgrammanbieterInnen gekocht. Televisa in Mexiko, Radio Carácas in Venezuela oder Rede Globo in Brasilien sind Beispiele in Lateinamerika, die schon lange nicht mehr nur für ein nationales Publikum planen und produzieren. Don Francisco ist’s ohnehin egal, für wen er nächsten Samstag arbeitet -Hauptsache, die Einschaltquote stimmt.

Kreative Unruhe inmitten des ökonomischen Desasters

Es ist eine seltsame Sturmnacht. Wind und Regen peitschen von der Karibik her gegen das kolumbianische Festland. Krebse krabbeln aus der Gischt und retten sich an Land. Ein Baby wird unruhig. In Windeseile bedeckt das glitschige Getier den Boden der Strohhütte. Das Baby schreit. Draußen hat das Unwetter ein anderes verstörtes Wesen an den Bootssteg gespült: “Un señor muy viejo con unas alas enormes” – einen sehr alten Herrn mit enormen Flügeln. Ein Geschenk des Himmels?
Fernando Birri, Kuba, 1989

Wie jeden Tag sitzt sie in der Küche und weint beim Zwiebelschneiden, als sie spürt, daß es soweit ist: Der gewölbte Unterleib krampft sich zusammen, die Fruchtblase platzt, und ein Meer von Tränen ergißt sich über die Holzdielen, schwappt bis zur Türschwelle. Das Mädchen, das in diesem Moment das Licht der Küchenfunzel erblickt, wird den Großteil seines Lebens in diesem Raum verbringen und als Köchin kleine Wunder vollbringen. Tief im Inneren wird sie sich nach den samtigen Schlafzimmeraugen ihres Geliebten und späteren Schwagers verzehren. Sie gehören zueinander “como agua para chocolate” – wie das Wasser und die Schokolade, die sie ihm täglich in emsiger Fürsorge zubereitet…
Alfonso Arau, Mexiko, 1992

Mexikanische Knäste sind nicht besonders angenehm, dieser ist keine Ausnahme: Die Mittagshitze brennt aufs Wellblechdach, apathisch hängt die Wärterin hinterm Schreibtisch und zählt Schmiergeld. Auch der einzige Insasse langweilt sich – und sinnt auf Rache: Er weiß, wessen Verrat er diesen Aufenthalt verdankt. Da ist das Schlagen einer Autotür zu hören. Breitbeinig, die Knarre im Anschlag, betreten sie die Baracke. Damit der Chef die neue Freiheit auch genießen kann, haben sie ihm gleich was mitgebracht: einen schwarzen Gitarrenkoffer – drinnen eine kleine Waffensammlung. Der Weg ist frei für die Revanche – wenn da nicht ein unschuldiger “Mariachi”-Sänger mit einem ähnlichen Koffer wäre…
Roberto Rodriguez, Mexiko, 1992

Von einem Tag auf den anderen beschließt er, das wenige zu verkaufen, was er sich in all’ den Jahren als Sargtischler erarbeitet hat. In La Paz begreift niemand, warum er zurück will in sein Aymara-Dorf. Vor Jahren hatte ihn die Gemeinschaft verstoßen: Er hatte Geld unterschlagen. Eine rituelle Tanzmaske auf den Rücken geschnallt, macht er sich zu Fuß auf den Weg, um dort zu sterben, wo er hingehört: zur “nación clandestina” – der geheimen Nation.
Jorge Sanjinés, Bolivien, 1991

Bloß raus aus dem feuerländischen Winter, weg vom spießigen Stiefvater, der resignierten Mutter, den Schikanen in der Schule und der verwickelten Liebesaffäre. – Wohin? Mal sehen: erst mal mit dem Rad durch Patagonien, dann weiter nach Norden… Quer durch den unbekannten lateinamerikanischen Kontinent, auf den Spuren des Vaters, der vor Jahren das Weite suchte: “El viaje” – die Reise – vielleicht ist der Weg schon das Ziel?
Fernando Solanas, Argentinien, 1992

Eingangsquenzen von fünf lateinamerikanischen Filmen, die in den letzten Jahren entstanden: Ein Panoptikum unterschiedlicher Geschichten und Bildsprachen. Nicht alle haben eine klare “mensaje”, eine politische Botschaft. Im Gegenteil: “El Mariachi” und “Como agua para chocolate” stehen eher in der Tradition populärer Unterhaltungsgenres, treiben sie auf die Spitze, lavieren zwischen parodistischer Brillianz und schnöder Trivialität hin und her.
Ganz anders dagegen Filme wie “La nación clandestina” und “El viaje”. Auf sehr unterschiedliche Art und Weise befassen sie sich mit der Suche nach einer persönlichen und kollektiven Identität: “La nación clandestina” des Bolivianers Sanjinés hält sich als künstlerisches Werk zurück. Der Film, der mit Aymara-Indígenas in ihrer Sprache gedreht wurde, paßt sich in Tempo und Schnittfolge der Lebensphilosophie dieses Volkes an. Ganz anders dagegen der abenteuerliche Trip von Solanas Protagonisten, einem Jungen aus dem weißen Mittelstand: “El viaje” ist vom ständigen Wechsel der Verkehrsmittel, der Umgebung, der Eindrücke geprägt: Ein surreal-dekadentes Argentinien, von Wassermassen überschwemmt und in seiner eigenen Scheiße erstickend. Ein postkartenschönes Machu Picchu, das inmitten des touristischen Rummels Ahnungen von der präkolumbianischen Vergangenheit aufsteigen läßt. Ein von grotesken Gegensätzen zerrissenes Brasilien, in dem es futuristische High-Tech-Metropolen gibt, während gleichzeitig im Amazonasgebiet Minenarbeiter sich zu Tode schuften müssen wie schon zu den Zeiten der Conquista. – Zwei Filme, der eine von stoischer äußerer Ruhe und Verschlossenheit, der andere opulent, teilweise überladen mit Eindrücken und Metaphern – Porträts der widersprüchlichen Gesichter eines Kontinents.

Filme zur Conquista: Jubiläumsspektakel oder kultureller Dialog?

Pünktlich zum Jahr 1992 entstanden auch einige Filme, die sich direkt mit der Geschichte der Eroberung Amerikas auseinandersetzen: Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Mammutschinken “1492” und “Columbus”, die sich auf die Heldengestalt des “Entdeckers” bezogen, erzählen “Jericó” (Luis Alberto Lamata, Venezuela, 1991) und “Cabeza de vaca” (Nicolás Echevarría, Mexiko, 1991) andere Versionen vom “Aufeinandertreffen zweier Welten”, die ebenfalls auf historische Quellen zurückgehen: In beiden Fällen sind die Protagonisten spanische
Conquistadoren, die von ihrer Armee getrennt werden, nach und nach immer mehr vom alten Ich abstreifen, in die fremde Umgebung und Kultur eintauchen – bis sie gegen ihren Willen von den Spaniern “gerettet” und in die “Alte Welt” zurückgeholt werden.
Das Paradoxe ist, daß die meisten dieser “500 Jahre”-Filme nur mit Hilfe von Geldern aus Europa realisiert werden konnten. Besonders der staatliche spanische Fernsehsender TVE ließ sich das historische Gedenken schon einiges kosten und trat als Koproduzent bei der Finanzierung einiger Filme auf – unter anderem bei “La nación clandestina” von Sanjinés und “Un señor muy viejo con unas alas enormes”, den Fernando Birri nach einer Kurzgeschichte von Gabriel García Márquez verfilmte.

Allgemein konnte im letzten Jahr durchaus der Eindruck enstehen, als ob die europäische Medienöffentlichkeit ganz wild darauf sei, die koloniale Vergangenheit durch eine hohe Durchlaufzahl von lateinamerikanischen Filmproduktionen aufzuarbeiten. Sowohl auf den Leinwänden der Filmfestivals als auch in der ersten Reihe bei ARD und ZDF waren so viele amazonische Ureinwohner und großstädtische Straßenkinder zu sehen wie nie zuvor. Jetzt, wo der Jahrestag der Betroffenheit abgefeiert worden ist, scheinen sich die Bedürfnisse des Marktes und das Angebot in den Massenmedien erst mal wieder in andere Weltregionen verlagert zu haben.

Zwischen “Ästhetik des Hungers” und Happy End für “Juliana”

Und wie sieht es in Lateinamerika selbst aus? Mehr als 30 Jahre sind seit der Entstehung des Neuen Lateinamerikanischen Films vergangen. Beeinflußt von der kubanischen Revolution und linken Bewegungen anderswo auf dem Kontinent, versuchten in verschiedenen Ländern FilmemacherInnen, neue Wege zu gehen. Stilistisch waren sie unter anderem vom italienischen Neorealismus oder vom Surrealismus Luis Buñuels beeinflußt, der damals im mexikanischen Exil lebte. Das Kino sollte keine illusionistische Traumfabrik sein, sondern Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse und gleichzeitig Motor politischer Veränderungen. Entsprechend programmatisch waren die Namen: “Cine Imperfecto”, “Cine de Liberación”, “Ästhetik des Hungers”. Regisseure wie Fernando Solanas und Octavio Getino (Argentinien) propagierten ein “Drittes Kino” in Abgrenzung sowohl von der kommerziellen Filmindustrie als auch vom individualistischen Autorenkino.
Ziel war die “Entkolonialisierung der Köpfe” – Film als politisches und pädagogisches Instrument: Entsprechend groß war auch die Bedeutung, die dem Kino in Kuba und auch im sandinistischen Nicaragua beigemessen wurde. Einige dieser Filme beeindrucken nicht nur durch die “Botschaft”, sondern auch durch die expressive Bildsprache: Zum Beispiel “Lucía” von Humberto Solás (Kuba, 1968), der die Geschichte Kubas anhand dreier Frauen aus unterschiedlichen Epochen dieses Jahrhunderts zeigt. Andere Filme arbeiteten dagegen vorwiegend mit dem didaktischen Zeigefinger: Die Charakterisierung der Personen wurde dem vereinfachenden Pinselstrich des “sozialistischen Realismus” untergeordnet.
Einige RegisseurInnen oder Filmkollektive versuchten, nicht nur die Inhalte zu “revolutionieren”, sondern auch die Entstehung eines Films zu einem Gemeinschaftsprojekt zu machen: In den achtziger Jahren arbeitete Grupo Chaski in Peru fast ausschließlich mit LaiendarstellerInnen, die aus ähnlichen Lebensverhältnissen stammten wie die Personen des Films. Ihre Erfahrungen sollten in die Handlung einfließen. Dieser Anspruch wurde allerdings nur begrenzt realisiert – unter anderem, da es nicht gelang, mit gruppeninternen Hierarchie- und Machismo-Konflikten fertigzuwerden. Bei den Filmen von Grupo Chaski flossen Realität und Fiktion ineinander. Und auch Wunschträume hatten ihren Platz, beispielsweise bei dem Film über das Straßenmädchen “Juliana” (Peru 1989), der auf Wunsch der Kinder, die mitspielten, ein Happy End bekam. – Dies löste übrigens bei der Präsentation des Films in Europa bei vielen BetrachterInnen Befremden aus, wurde angesichts der Situation in Peru als unpolitisch und naiv angesehen…

Vor dreißig Jahren: Aufbruch trotz wirtschaftlicher und politischer Zwangsjacken

Das Neue Lateinamerikanische Kino sah sich natürlich von Anfang an mit großen ökonomischen Problemen konfrontiert. Nur in wenigen Ländern, wie etwa Argentinien, Brasilien und Mexiko, gab es eine funktionierende Infrastruktur im Filmbereich, die in erster Linie der Herstellung kommerzieller Unterhaltungsspektakel diente. In den siebziger Jahren begannen Länder wie Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru und Venezuela, Gesetze zur Förderung der nationalen Filmindustrie zu verabschieden. So schreibt beispielsweise seit 1972 ein Gesetz in Peru vor, daß in den Kinos vor jedem ausländischen Spielfilm ein peruanischer Kurzfilm gezeigt werden muß und ein Teil der Kinoeinnahmen seinen ProduzentInnen zufließt. Dies führte immerhin dazu, daß zwischen 1972 und 1990 mehr als 800 Kurzfilme entstanden.
Während der Zeit der Militärdiktaturen in Argentinien, Chile, Bolivien und anderen Ländern waren viele FilmemacherInnen gezwungen, ins Exil zu gehen. Erst die Rückkehr der Länder zur formalen Demokratie brachte wieder Impulse für den Film, der zum Sprachrohr der progressiven Bewegungen wurde: In Argentinien entstanden ab Mitte der achtziger Jahre eine Reihe von Werken, die sich mit der Zeit der Diktatur auseinandersetzten, so etwa “La historia oficial” von Luis Puenzo (“Die offizielle Geschichte”, 1985), “La noche de los lápices” (“Die Nacht der Bleistifte” 1986) von Héctor Oliveira und “Sur” (Süden, 1987) von Fernando Solanas.

Ökonomische Krise und Videoboom: schlechte Zeiten fürs Kino

Die neunziger Jahre sind für das lateinamerikanische Kino nicht gerade die Zeit der großen Hoffnungen, und das hat in erster Linie ökonomische Ursachen: Die in den meisten Ländern ohnehin nicht sehr stabile Filmindustrie leidet zum einen unter der immer größeren Konkurrenz durch Fernsehen und Video. Die ökonomische Krise der letzten Jahre und vor allem die neoliberale Wirtschaftspolitik haben gleichzeitig die Kaufkraft so weit geschwächt, daß ein Kinobesuch auch für Leute aus der Mittelschicht zum Luxus geworden ist.
Als Konsequenz des Publikumsschwundes mußten in den vergangenen sechs Jahren mehr als die Hälfte der Kinosäle in Lateinamerika schließen. Die übrig gebliebenen Lichtspielhäuser setzen vorwiegend auf US-amerikanische Massenware. Oft werden sie auch von den Verleihfirmen dazu verpflichtet, mehrere Streifen en bloc einzukaufen, was es schwer macht, unabhängig produzierte in- oder ausländische Filme ins Programm zu nehmen.
Anders als in der Fernsehindustrie gibt es im Filmbereich kaum Strukturen für den Vertrieb und Austausch lateinamerikanischer Produktionen. Mit paradoxen Folgen: Die Wahrscheinlichkeit, einen kolumbianischen Film in einem Programmkino in Köln oder einem Dritte Welt Zentrum in Münster zu sehen, ist weitaus größer als die Möglichkeit, das Werk im Nachbarland Ecuador zu Gesicht zu bekommen. Das gilt auch für viele Filme, die internationale Preise erhalten haben.
Insbesondere die brasilianische Filmindustrie wurde von den Privatisierungen unter Collor de Mello stark getroffen. Dieser löste nach seinem Amtsantritt die staatliche Filmförderungsbehörde Embrafilm auf und schaffte das Gesetz ab, das den brasilianischen Filmen eine Abspielmöglichkeit garantierte. – Mit dem Ergebnis, daß das Land, das zeitweise bis zu 90 Filme pro Jahr produzierte, seit Anfang der neunziger Jahre nur noch durchschnittlich 3 Filme herstellt. Die Programmlücken, die so im Kinoangebot entstanden, wurden rasch mit US-Produktionen gefüllt.
Lediglich Mexiko gelingt es nach wie vor, seine – größtenteils recht kommerziell orientierte – Filmproduktion relativ stabil zu halten. Dies liegt zum einen an der vergleichsweise sicheren politischen und ökonomischen Situation des Landes. Wichtig für die künstlerische Filmproduktion sind die Aktivitäten des staatlichen “Instituto Mexicano de Cinematografía” (IMCINE), das unter anderem gezielt junge FilmemacherInnen fördert. Einige Filme wurden sogar kommerzielle Erfolge im Ausland, zum Beispiel “Como agua para chocolate”: In den USA wurde das Küchendrama überraschend zum Kassenschlager und spielte allein in den ersten 16 Wochen 8,5 Millionen Dollar ein.
Und wie steht es mit Kuba? In den drei Jahrzehnten nach der Revolution entstand auf der Insel unter Federführung des nationalen Filminstitutes ICAIC eine Filmindustrie, die zwischen 1984 und 1990 ungefähr 10 Spielfilme pro Jahr sowie zahlreiche Kurz- und Dokumentarfilme produzierte. Entscheidend ist allerdings nicht die Anzahl der Filme, sondern die politischen Impulse, die vom kubanischen Film ausgingen, sowie die Infrastruktur, die der kubanische Staat aufbaute und auch Filmschaffenden anderer Länder zur Verfügung stellte.
So wurde 1986 auf Kuba die “Filmschule der drei Welten” gegründet – ein weltweit einmaliges Projekt, das jungen Leuten aus Lateinamerika, Asien und Afrika die Möglichkeit bietet, gemeinsam zu studieren und sich auszutauschen. Das Internationale Filmfestival von Havanna, das seit 1980 jährlich stattfindet, entwickelte sich schnell zum wichtigsten Forum des lateinamerikanischen Films.
Die ökonomische Krise, unter der Kuba seit dem Zusammenbruch der Länder des Warschauer Paktes leidet, hat natürlich auch Auswirkungen auf die Filmindustrie: So konnten im vergangenen Jahr nur zwei Spielfilme fertiggestellt werden. Folglich fand das Filmfestival in Havanna in den letzten beiden Jahren in einer Atmosphäre der Widersprüche statt: Inmitten des immer größer werdenden Mangels gelang den OrganisatorInnen zwar das Kunststück, einen reibungslosen Ablauf des Festivals zu organisieren. Gleichzeitig sorgte 1992 die de-facto-Zensur des kubanischen Films “Alicia en el pueblo de las maravillas” (“Alice im Wunderland”), einer systemkritischen Satire von Daniel Díaz Torres, für einen Skandal.

Lateinamerikanische Filmkooperation – erste zaghafte Schritte

Was ist aus der kontinentalen Vision der Väter – und wenigen Mütter – des Neuen Lateinamerikanischen Films geworden, die sich 1967 im chilenischen Badeort Viña del Mar zum ersten lateinamerikaweiten Treffen versammelten?
1986 wurde von Filmschaffenden aus verschiedenen Ländern die “Fundación del Nuevo Cine Latinoamericano” (“Stiftung des neuen lateinamerikanischen Kinos”) ins Leben gerufen, die sich zum Ziel gesetzt hat, “die nationalen und kulturellen Werte Lateinamerikas wiederzubeleben” und die bereits bestehenden Bewegungen auf kontinentaler Ebene zu verknüpfen. Auf Initiative der Stiftung, die ihren Sitz in Havanna hat, wurde beispielsweise 1989 die “Conferencia Iberoamericana de Autoridades Cinematográficas” CACI (“Iberoamerikanische Konferenz der Filmbehörden”) gegründet. Ziel ist, die Zusammenarbeit staatlicher Institutionen und der Filmindustrien auf dem Kontinent zu verbessern und verstärkt Koproduktionen herzustellen. Mittlerweile haben 13 Länder eine “Ibero-amerikanische Film-Vereinbarung” unterzeichnet, die unter anderem die Einrichtung einer jährlichen internationalen Filmkonferenz vorsieht. Auch soll ein Exekutivorgan geschaffen werden, das die gesetzliche und praktische Umsetzung der Vereinbarung in den verschiedenen Ländern überprüft. – Ein gemeinsamer lateinamerikanischer Filmmarkt – die Patentlösung gegen die erdrückende Dominanz der US-amerikanischen Medienindustrie? Gabriel García Márquez, einer der Gründer der “Stiftung des neuen lateinamerikanischen Films”, betont, das Ziel sei nicht, die US-Konzerne aus dem Geschäft zu drängen, sondern lateinamerikanischen Filmen die gleichen Vertriebs- und Präsentationschancen zu verschaffen.
Der lateinamerikanische Film, ein schillernder Vogel, zur Zeit ziemlich gerupft, versucht, ökonomisch fliegen zu lernen. Ein schweres Unterfangen in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Krise eine solch beklemmende Schwerkraft entwickelt wie in den neunziger Jahren.

Rein in die öffentliche Debatte

Radio Latacunga bildet einen integralen Bestandteil des Lebens der Bauern aus der Gegend, hält die Gemeinschaft zusammen und stärkt die lokale Kultur und Identität. Jeden Tag schalten die Indios das Radio ein, um Lokalnachrichten zu hören und Ratschläge über Landwirtschaft, Gesundheit und Hygiene zu erhalten. Andere hören begierig Radiobotschaften von Verwandten, die aus dem Dorf abgewandert sind, um in den Städten zu arbeiten.

Alternative Medien – eine Stimme für die Marginalisierten

Radio Latacunga ist ein Beispiel für die Rolle, die populäre und alternative Medien im Demokratisierungsprozeß spielen können. Populäre und alternative Medien bilden für marginalisierte Gesellschaftsschichten -zum Beispiel Frauen, Jugendliche, Bauern und Indios -ein Vehikel, um an der öffentlichen Debatte teil-nehmen zu können. Diese Projekte gehorchen nicht dem Gesetz der Profitmaximierung, sondern wollen den oft vernachlässigten Interessen und Standpunkten eine Stimme geben. Sie wollen die Gesellschaft ändern. Die Medien, von denen hier die Rede ist, sind sowohl populär -sie erwachsen aus den Graswurzeln -als auch alternativ -sie zeigen Perspektiven auf, die sich vom Mainstream unterscheiden. Um es kurz zu machen, werde ich das Wort “medios populares” benutzen. Politischer und ökonomischer Einfluß hängt vom Zugang zu Informationen ab. Parallel zum Kampf um ökonomische Ressourcen in Lateinamerika findet auch im Kommunikationsbereich ein Kampf statt. Während der siebziger und frühen achtziger Jahre kristallisierte sich dieser Konflikt in der Forderung von Dritte-Welt-FührerInnen nach einer “Neuen Weltinformationsordnung”, in der Information nicht von den westlichen Mächten monopolisiert würde. Dies sollte Hand in Hand gehen mit einer “Neuen Weltwirtschaftsordnung”, in der ökonomische Ressourcen gerechter zwischen Norden und Süden aufgeteilt werden sollten. Diese Parole implizierte auch, daß die Medien der Dritten Welt immer im Öffentlichen Interesse agieren würden. Bis in die Gegenwart haben lateinamerikanische Eliten die Medien benutzt, um gesellschaftliche Kontrolle auszuüben und ihre Herrschaft zu legitimieren. Heute sind die Interessen der heimischen und der ausländischen Eliten enger miteinander verknüpft als je zuvor. Nun liegt es bei den medios populares, nach einer Neuverteilung der Informationsressourcen zu rufen.

Neue Probleme in der Demokratie

Während des dunklen Zeitalters der Militärdiktaturen in Lateinamerika gediehen die medios populares. Sie hatten ein festes Publikum und verbreiteten Botschaften des Widerstandes. Heute, im Zeitalter der Demokratie haben Einfluß und Zahl der medios populares abgenommen. Die Gründe dafür sind nicht Zensur und Repression, sondern die knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Der Existenzkampf besteht heute nicht mehr darin, zu vermeiden, von Sicherheitskräften niedergeschossen zu werden. Heute steht im Vordergrund, in einem Zeitalter der Ernüchterung über traditionelle Politikformen relevant zu bleiben.
In vielen lateinamerikanischen Ländern hat die Öffnung der Märkte starke Auswirkungen im Kommunikationsbereich. Lateinamerikanische Medien werden zunehmend von großen Privatunternehmen dominiert. Diese Machtkonzentration wird noch verstärkt durch das verwickelte Netz persönlicher und geschäftlicher Verbindungen von RegierungsfunktionärInnen, UntemehmensmanagerInnen und EigentümerInnen von Medien. Die Nichtregierungsorganisationen-mit deren Unterstützung die meisten medios populares entstanden -haben ihre Mit-tel gekürzt oder ihre Aufmerksamkeit in andere Bereiche verlagert. Um alles noch schwieriger zu machen, richten sich die medios populares ausgerechnet an den Teil der Bevölkerung, der die geringsten Mittel hat, um Zeitschriften zu kaufen oder die alternative Kommunikation anderweitig zu unterstützen. Im Dschungel des Kapitalismus und des freien Marktes werden kleine, unabhängige Medien entweder von größeren Unternehmen geschluckt oder scheitern aufgrund mangelnder Ressourcen.

Netzwerke gegen die Zersplitterung

Medios populares müssen sich also auf diesem für alle offenstehenden Konkurrenzmarkt gegen größere und besser ausgestattete Gegner durchsetzen. Viele von ihnen sind jedoch sehr schlecht auf den Kampf vorbereitet. Die internationale Vernetzung und der Informationstransport in die entlegensten Winkel der Welt wird immer effizienter. Medios populares sind dagegen sehr zersplittert -ein wahrer Turm zu Babel verschiedener Bereiche und Interessen. Sie arbeiten vor-wiegend auf der lokalen Ebene in kleinen Gemeinden. Als eine Konsequenz davon sind sie landesweit kaum präsent.
Um die öffentliche Debatte zu beeinflussen und ein größtmögliches Publikum zu erreichen, sind eine Anzahl neuer Netzwerke geschaffen worden. Als Modell dient die Associación Latinoamericana de Educación Radiofonica (ALER), ein Dachverband freier Radios. Über diese Netzwerke wollen Organsationen Ressourcen und Information teilen.
Das lateinamerikanische Treffen der alternativen Medien und medios populares, das im April dieses Jahres in Quito stattfand, war ein erster Schritt in diese Richtung. Sechzig VertreterInnen trafen sich, um über die Herausforderungen zu diskutieren, denen sie sich gegenübersehen. Sie sprachen unter anderem über den Aufbau eines festen Kreises von JoumalistInnen, um z.B. größere Konferenzen und Ereignisse abzudecken, die Schaffung einer Datenbank und die Ein-richtung einer permanenten elektronischen Konferenzschaltung.
Auch anderswo sprießen auf kleinerer Ebene ähnliche Versuche: Zum Beispiel gründeten neun Medienorganisationen, die bei dem Treffen “Caminos de Integración U im Februar in La Paz/ Bolivien zusammenkamen, ein Netzwerk im Be reich Gewerkschaften und comunicación popular. Die TeilnehmerInnen beschlossen, Material auszutauschen, zweimal pro Jahr einen Rundbrief herauszugeben und eine Datenbank einzurichten.

High-Tech bei den Alternativmedien

Diese Informationsnetzwerke und Zusammenschlüsse werden durch die neuen Kommunkationstechnologien ermöglicht, wie etwa Telefax, Computer, Electronic Mail, Satelliten, Videokameras etc. Diese Technologien dezentralisieren den Zugang zu Informationen und beschleunigen die Nachrichtenübermittlung. Die Massenmedien waren selbstverständlich die ersten, die aus diesen technologischen Durchbrüchen Vorteile zogen. Aber genauso, wie Pancho Villa während der mexikanischen Revolution die Eisenbahnen benutzte, haben sich auch die
medios populares die neuen Technologien angeeignet, um sie für ihre eigenen Ziele zu nutzen.
Dies hat jedoch seinen Preis: Um Electronic Mail zu benutzen (siehe Kasten), braucht eine Organisation beispielsweise einen Computer, ein Modem und eine Telefonleitung -alles Dinge, die wohl jenseits der finanziellen Möglichkeiten einer ums Überleben kämpfenden lokalen Radiostation liegen. Medios populares werden sich eventuell bald danach unterteilen, ob sie Zugang zu neuen Technologien haben oder nicht. Bei dem Treffen in Quito diskutierten die TeilnehmerInnen enthusiastisch über Pläne für ein elektronisches Kommunikationsnetzwerk, bis die Diskussion von dem wütenden Kommentar einer Frau unterbrochen wurde, die sagte, daß ihr kleines vierteljährliches Magazin für soziale Bewegungen sich nicht die erforderliche Ausrüstung leisten könne, um elektronisch mitzuhalten.

Alternative Dienstleistungen für etablierte Medien

Medios populares dehnen ihre Reichweite auch aus, indem sie Kontakte zur Massenpresse pflegen: Chiles fernpress zum Beispiel, ein feministisches Kommunikations-und Informationsnetzwerk, das ein weitverbreitetes monatliches Magazin veröffentlicht, gibt Informationen und Themenvorschläge an JoumalistInnen der Massenmedien weiter, die sich für Frauenfragen interessieren. Zusätzlich brachte die Organisation Media Service letztes fast Jahr 700 fernpress-Artikel in den Massenmedien unter. In Venezuela hat die wirtschaftliche Krise viele medios populares ausgelöscht. Gleichzeitig gelang es Leuten aus den sozialen Bewegungen, ihre Standpunkte in “mainstream”-Fernseh-Programmen wie “Buenas Noticias” und “Comunidad con …” zu äußern, sowie in Kolumnen und Anzeigen in regionalen und landesweiten Zeitungen.
Medios populares haben ebenfalls begonnen, die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener optischer Aufmachungen und Druckformate zu nutzen.
Print-medien haben ein schweres Handikap, wenn sie sich an Bevölkerungsgruppen wenden, die kaum oder gar nicht lesen können. Um solche Leute anzusprechen, benutzt die kolumbianische Zeitschrift Encuentro: revista de comunicación popular große Buchstaben. Ein Teil des Heftes besteht aus einer Fotogeschichte mit Sprechblasen.
Das Radio gilt als das einflußreichste Medium in Lateinamerika. CEPALC in Bogotá schätzt beispielsweise, daß 90 Prozent der KolumbianerInnen Radio hören, zwischen 60 und 70 Prozent fern-sehen, und nur 30 Prozent Zeitschriften oder Tageszeitungen lesen.
Daher haben eine Anzahl von Printmedien begonnen, ihre Möglichkeiten im Radio-und Fernsehbereich auszuloten: Um nicht-organisierte Frauen zu erreichen, beispielsweise Hausfrauen oder Analphabetinnen, startete fernpress letztes Jahr ein Frauenradio mit Informationsservice. Das Zentrum zur Förderung der Minenarbeiter (CEPROMIN) in Bolivien hat begonnen, mit Videotechnologie zu experimentieren. Zusätzlich zu seiner traditionellen Arbeit im Radio-und Zeitschriftenbereich produziert CEPROMIN mittlerweile Dokumentarvideos für die Gemeinden im Umkreis der Minen.

Raus aus den Ghettos

Um mit kommerziellen Medien konkurrieren zu können, müssen medios populares in der Tat ein größeres Publikum gewinnen. “Haben wir nicht Basisarbeit mit Marginalität verwechselt?” -So die pointierte Frage von José Ignacio López Vigil, Vertreter Lateinamerikas im weltweiten Verband der Lokalradios (World Association of Community Radios). Medios populares haben sich traditionell an organisierte Gruppen der Bevölkerung gerichtet. Statt zu versuchen, sich an das riesige nicht-organisierte Publikum mit seinen verschiedenen Geschmäckern und Interessen zu wenden, wurde lieber auf Sicherheit gesetzt, indem für die bereits Bekehrten gepredigt wurde. Comunicación popular wurde oft als Instrument an- gesehen, um zu erziehen oder bestimmte Werte einzuimpfen. Als Folge davon war der Inhalt oft streng und pedantisch.
Medios populares können sich nicht länger den Luxus einer so engen Sichtweise leisten. KritikerInnen fordern, daß sie ein Forum für die harte Debatte zwischen Leuten verschiedener politischer Überzeugungen bieten sollen. Sie sollten nützliche Informationen auf unterhaltsame Art präsentieren. Uruguays zweiwöchentliche Zeitschrift Mate Amargo veröffentlicht beispielsweise außer prägnanten politischen und wirtschaftlichen Analysen auch einen Sportteil und druckt Fernsehprogramme und Buchrezensionen ab.

Die Professionalisierung der Alternativpresse

Die Alternativpresse schenkt mittlerweile auch der Gestaltung und Aufmachung ihrer Publikationen größere Beachtung. Viele sind auch der Meinung, daß medios populares nicht länger einzig und allein vom guten Willen freiwilliger AmateurInnen abhängen können und fordern, ausgebildetes Personal einzustellen -was auch bedeuten würde, faire Gehälter zu zahlen. Medios populares beginnen, sich die professionellen Werkzeuge und Techniken des etablierten Journalismus anzueignen. Magazine wie Colombia Hoy und La otra Bolsa de Valores aus Mexiko sind voller Großfotos und einfallsreicher Karikaturen. Cien Dias aus Kolumbien geht darin besonders weit: Das Magazin ist voller farbiger Illustrationen, Diagramme und Graphiken.

Chancen und Gefahren der Kommerzialisierung

Auch die geschäftliche Seite der medios populares wird unter die Lupe genommen. Marketing, der Verkauf von Werbeplätzen und die Rationalisierung von Arbeitsprozessen sind nicht länger tabu. Viele in den medios populares bestehen darauf, daß diese finanziellen Überlegungen nicht zur Aufgabe von Werten führen müssen. “Geld ist wie Blut”, sagt López Vigil. “Das freie Lokalradio, ein lebendiger Organismus, braucht es. Aber es lebt nicht dafür. In anderen Worten: Wir sind keine Vampire.”
Aber riskieren die Altemativmedien nicht, für den Sieg des kommerziellen Erfolges ihre Seelen zu verkaufen? “Du mußt mit der Zeit Schritt halten”, sagt Juan Serrano, Leiter von Radio Mensaje im Norden Ecuadors. “Du kannst Kapitalist werden, ohne deine Philosophie zu verändern. Sobald wir ein Publikum und eine Finanzierung haben, wird es leichter sein, unsere Botschaft unter die Leute zu bringen.”
Medios populares begehen einen gefährlichen Drahtseilakt. Die Ziele, die Kommunikation zu demokratisieren und die Kämpfe der sozialen Bewegungen zu unterstützen, werden sicher nicht immer mit den Erfordernissen des Marktes vereinbar sein. Medios populares wollen die NutzerInnen von Informationen in den Kommunikationsprozeß einbeziehen. Ein Ergebnis des Kommerzialisierungsdruckes kann jedoch sein, daß die medios populares immer weniger die Gruppen vertreten, für die sie gemacht sind. Erst die Zeit wird zeigen, ob die Kommerzialisierung ein glitschiger Abhang ist -und wie weit manche hinunterrutschen werden.

Gekürzt übernommen aus: NACLA No 2, Sept/Oct. 1993

Kasten:

Telematischer Autobahnbau

Das Zauberwort heißt E-Mail (“elektronische Post”). Um in das elektronische Universum einzutauchen braucht man einen Computer, ein Modem und ein Telefon. Die Nachricht gelangt dann über Telefonleitung und Satellit in weniger als 24 Stunden an die EmpfängerInnen – zum Niedrigpreis: Eine gesendete Seite kostet in der Regel höchstens zehn bis 20 Pfennig. In welches Land die Nachricht geht, spielt dabei keine Rolle.
Der elektronische Datenaustausch, über den ein Großteil der Informationsübermittlungen stattfindet, ist mittlerweile zum Nervensystem der Industrienationen herangewachsen. Schon in den fünfziger Jahren waren elektronische Netzwerke für diverse Vorhaben des Pentagon von großem Nutzen. Später profitierten auch Diktatoren Lateinamerikas von den neuen Informationstechnologien, mit deren Hilfe sie ihre Repressionsmethoden ausfeilen konnten.
Doch seit Beginn der 80er Jahren nisten sich auf den “telematischen Autobahnen” neben Regierungen und transnationalen Konzernen auch Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt ein. Sie nutzen die neuen Technologien zu einem demokratischen und egalitären Informations- und Erfahrungsaustausch auf den verschiedensten Gebieten.
Im Gegensatz zum Fax erlaubt elektronisches Networking über Konferenzen grenzenlose Diskussionen, an denen Organisationen und Fachleute via Computer teilnehmen. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: Die Konferenz “Aibi-L@Uottawa” nimmt biblische Texte und Computer unter die Lupe, auf “Muoski-C@PV136587” unterhalten sich ein paar Dutzend MusikerInnen über Beethovens späte Symphonien, während “Bras-J@falio” die neuesten brasilianischen Witze auf Hunderte von PCs in aller Welt schickt und “argentina@asterix.eng.buffalo.edu” die besten Zubereitungsarten von Matetee sendet. Die meisten Konferenzen über Länder Lateinamerikas behandeln allerdings Neuigkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft.
Die Möglichkeit, über PC und Telefon Gruppen aller Kontinente fast zeitgleich miteinander zu verbinden, revolutionierte die Beteiligung von NROs an internationalen Konferenzen. Auf dem Rio-Gipfel und während den UN-Menschenrechtsdebatten dieses Jahres in Genf hingen Menschenrechtsgruppen aus 95 Ländern von Australien bis Zimbabwe am direkten Draht zur Konferenz. Fast zeitgleich waren sie auf dem neusten Stand der Diskussion, konnten Ideen austauschen, Initiativen koordinieren und schnell reagieren.
Für viele Gewerkschaften, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in Lateinamerika ist das elektronische Networking heute eine Voraussetzung dafür, regionale und internationale Aktionen zu koordinieren und an wichtige Informationen heranzukommen. Fast alle Länder haben hierfür eigene Rechenzentren, sogenannte nodos (“Knoten”).
Manche lateinamerikanischen E-MailerInnen haben mit dem elektronischen Networking den Stein der Weisen im Informationszeitalter gefunden: Nord-Süd-Wissensklüfte in den Wissenschaften, so träumen sie, werden über internationale E-Mail-Fachkonferenzen und elektronisch zugängliche Datenbanken abgebaut. JournalistInnen enthüllen nach elektronischer Recherche transnationale Skandale und speisen die Meldung in entsprechende Konferenzen ein. Sofort haben betroffene Basisgruppen und NROs in Nord und Süd die Neuigkeit in ihren PCs, sprechen sich online ab, reichen Klage bei zuständigen Gerichten ein und stürmen umgehend nationale und internationale Behörden mit Stellungnahmen und Forderungen – alles auf elektronischem Wege.
Während einige die langersehnte Demokratisierung der Kommunikation mit dem Ausbau telematischer Autobahnen in Lateinamerika erahnen, sehen andere Gräben zwischen informationsarmen und -reichen NROs aufbrechen. Denn längst nicht jede Umweltgruppe hat einen PC, geschweige denn das Geld für ein Modem.

Hans Koberstein

Das Recht auf trial and error in einer Welt ohne Beispiele und Bezugspunkte

“Reform oder revolutionäre Theorie und Praxis in Lateinamerika und Europa” lautete der Titel eines Internationalen Kongresses, den der Verein Monimbó aus Dietzenbach/Hessen in Zusammenarbeit mit Buntstift und der Stiftung Umverteilen organisiert hatte. Ein sowohl vom Alter als auch von den Nationalitäten ziemlich gemischtes Publikum von ungefähr 400 Leuten fand sich am 2. und 3. Oktober in der Frankfurter Uni ein.
Auf dem Podium des Hörsaals V1 saßen und referierten führende Vertreterinnen verschiedener linker Parteien und (ehemaliger) Guerillaorganisationen aus Brasilien, Cuba, Argentinien, Venezuela, E1 Salvador, Guatemala, Nicaragua und Chile. Einer der zentralen Diskussionspunkte war: Ist eine grundlegende Demokratisierung möglich, oder sind die formalen Demokratien, die in den letzten Jahren nach Abdankung der Militärs in Ländern wie Chile, Argentinien, Paraguay oder Brasilien entstanden sind, Fortsetzung der Diktatur mit anderen Mitteln?
Der argentinische Journalist Miguel Bonasso brachte die Fragestellung auf den Punkt: “Die sechziger Jahre waren die Zeit der revolutionären Bewegungen. In den siebziger Jahren kamen die Militärdiktaturen, die in den Achtzigern von formalen Demokratien abgelöst wurden. Was werden die neunziger Jahre bringen? Kommt jetzt wieder eine Phase der autoritären Staatsformen á la Fujimori in Peru, oder gibt es Möglichkeiten für linke Reformprojekte?” Die Kompetenz der lateinamerikanischen ReferentInnen konnte nicht über eine grundlegende Schwäche des Kongresses hinwegtäuschen: Die Zusammensetzung des Podiums spiegelte nicht gerade die Vielfalt der lateinamerikanischen Linken wieder, sondern nur deren parteipolitische Variante. Abgesehen von der Diskussionsleiterin Dorothee Piemont und Monica Baltodano von der FSLN waren Frauen lediglich in ihrer klassischen Funktion als Übersetzerinnen präsent.

Chance vertan: Soziale Bewegungen und Beiträge des Publikums waren kaum erwünscht

Auf die Anwesenheit von VertreterInnen sozialer Bewegungen war offenbar kein Wert gelegt worden, obwohl gerade diese in den letzten zehn Jahren in Lateinamerika entscheidende Impulse für eine Erneuerung linker Programmatik gegeben haben. Und so blieb es einer Lateinamerikanerin aus dem Publikum vorbehalten, darauf hinzuweisen, daß es mittlerweile auf kontinentaler Ebene zahlreiche Treffen und Zusammenschlüsse von Frauengruppen, Umweltverbänden, Bauernorganisationen, Schwarzen und indigenas gibt, die ja nicht zuletzt in der Kampagne gegen die offiziellen 500 Jahr-Feiern im vergangenen Jahr eine entscheidende Rolle spielten.
Was die Stimme der bundesdeutschen Linken auf dem Kongreß anging, war es fast schon grotesk, mit Wolf-Dieter Gudopp vom “Verein Wissenschaft und Sozialismus” einen Vertreter ausgerechnet jener orthodoxen, kopflastigen und verknöcherten Variante von Sozialismus eingeladen zu haben, die an der ideologischen Krise der Linken einen entscheidenen Anteil hat.
“Auch ich bin von der Begeisterung für Dinosaurier angesteckt.”Dieses modische Lippenbekenntnis Dorothee Piemonts bezog sich auf ihre These, daß der Kapitalismus auf Dauer nicht überlebensfähig sei. Mindestens genauso gut hätte dieser Satz jedoch auf das anachronistische Gestaltungskonzept des Kongresses gepaßt: An zwei Tagen wurde vor vollem Hörsaal eine Frontalveranstaltung sondergleichen abgezogen: Die meisten Redebeiträge lagen dem Publikum als deutsche Übersetzung vor. Aus “Zeitmangel” wurden fast alle Referate ohne Direkt-Übersetzung auf Spanisch abgelesen -eine Methode, die auf einen Teil des Publikums einschläfernd wirkte, während andere frustriert und wütend reagierten: “Da hätte ich mich ja besser mit dem Reader zuhause hinsetzen können.”
Für den Dialog mit der Basis blieb -“leider, leider” -wie die Diskussionsleitung immer wieder bedauerte -so gut wie keine Zeit. Auf diese Weise wurde nicht nur eine Chance vertan, die Perspektiven der lateinamerikanischen Linken in größerer Runde zu diskutieren. Auch die gegenwärtige Krise der bundesdeutschen Linken -und eventuell vorhandene Erneuerungskonzepte -wurde kaum reflektiert, geschweige denn diskutiert.

Revolutionärer Pragmatismus: Drei Mahlzeiten täglich für alle

Die lateinamerikanische Linke sieht sich zur Zeit mit politischen und wirtschaftlichen Problemen konfrontiert, die neben einer langfristigen Perspektive auch ein konkretes Handeln erfordern: Ein Blick auf die politische Landkarte des Subkontinentes zeigt, daß die Situation in den verschiedenen Ländern so unterschiedlich ist, daß es schwerfällt, allgemeine Prognosen zu treffen. Von einer Entwicklung sind allerdings fast alle Staaten betroffen: Mit dem rigiden Durchsetzen neoliberaler Wirtschaftsprogramme hat sich die Situation für den Großteil der Bevölkerung weiter verschlimmert und die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft. Das Kürzen öffentlicher Ausgaben im sozialen Sektor und im Bildungsbereich und die Privatisierungen staatlicher Unternehmen haben immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Heute ist es für viele Basisbewegungen in Ländern wie Peru oder Brasilien eine zentrale Forderung, den Hunger und das Massenelend zu beseitigen.
Wenn in seinem Land durchgesetzt werden könnte, daß die gesamte Bevölkerung dreimal täglich zu essen bekäme, so Nildo Domingos von der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), wäre dies angesichts der jetzigen Situation schon eine revolutionäre Errungenschaft. Gleichzeitig sieht auch er die Gefahr, sich in tagespolitischen Forderungen aufzureiben: “Die Linke war bis vor kurzem zu dogmatisch. Nun ist sie zu pragmatisch.”
Mit dem Vorwurf eines zu großen Pragmatismus, der “Sozialdemokratisierung”, wurde auf dem Kongreß in Frankfurt insbesondere der Vertreter der FMLN aus E1 Salvador, Shafik Hándal, konfrontiert. Die ehemalige Guerilla, die Anfang letzten Jahres nach zwölfjährigem Kampf einen Friedens-und Demokratisierungsvertrag mit der Regierung aushandelte, hat gute Chancen, bei den Wahlen im kommenden März die Regierung zu übernehmen. Das Programm, mit dem die FMLN antritt, konzentriert sich auf eine grundlegende politische Demokratisierung und Entmilitarisierung der salvadorianischen Gesellschaft. Es sieht eine Stärkung genossenschaftlicher Eigentumsformen vor, will jedoch gleichzeitig die Marktwirtschaft erhalten. Gegenüber KritikerInnen betonte Handal: “Ob die Demokratie sich am Ende als eine bürgerliche, rein formale, oder als eine substantielle herauskristallisieren wird, ist eine offene Frage. Wir von der FMLN bestehen auf unserem grundlegenden Recht auf die Methode des trial and error in einer Welt, die uns weder Beispiele noch Bezugspunkte bietet.”
Neben der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit ist ein anderes zentrales Problem in vielen Ländern die Rolle des Polizei-und Militärapparates als Repressionsorgan und die Existenz paramilitärischer Todesschwadrone. Gerade die aktuelle Entwicklung des Friedensprozesses in E1 Salvador läßt daran zweifeln, ob sich diese Kräfte tatsächlich mit friedlichen Mitteln entmachten lassen -von einer systematischen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen ganz zu schweigen.

Der ‘Geist Bolivars’ -Trugbild oder politische Vision?

Auf dem Kongreß wurde deutlich, daß die meisten linken Parteien Lateinamerikas zur Zeit in erster Linie damit beschäftigt sind, Perspektiven auf nationaler Ebene zu entwickeln -mit unterschiedlichen Konsequenzen. Zwar wurde immer wieder die Notwendigkeit beschworen, sich auf kontinentaler Ebene zusammen-zuschließen und auch mit linken Bewegungen aus Afrika oder Asien zu kooperieren. Der “Geist Simón Bolivars”, des antikolonialen Befreiungskämpfers aus dem vorigen Jahrhundert, schwebte nicht nur in Form eines riesigen bemalten Transparentes über den Köpfen der Diskutierenden. Es wurde betont, daß es allein schon aufgrund der weltwirtschaftlichen Verflechtungen und der Interventionspolitik der westlichen Industriestaaten nicht möglich sei, den “Sozialismus in einem Land zu realisieren -siehe die Beispiele Kuba und Nicaragua. Durch den Niedergang des “realexistierenden Sozialismus” haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Dazu Eleuterio Huidobro von der ehemaligen Guerilla und jetzigen Partei der “Tupamaros” aus Uruguay: “Früher sahen wir die Alternativen Sozialismus oder Faschismus. Heute ist eine dritte Alternative aufgetaucht, die sich besonders in einigen afrikanischen Ländern oder in Osteuropa zeigt: das Chaos.”
Trotzdem war die Stimmung auf dem Kongreß von Optimismus gedämpften Optimismus gekennzeichnet: Immerhin haben in einigen Ländern Lateinamerikas linke Projekte in den letzten Jahren an Boden gewonnen und deren VertreterInnen könnten in absehbarer Zeit Regierungsaufgaben übernehmen, beispielsweise in E1 Salvador, Brasilien oder Uruguay. Ein anderes sehr interessantes Projekt -in Deutschland bisher noch recht unbekannt -ist die “Causa R in Venezuela (vgl. LN 226):Diese Bewegung versucht, dem staatlichen Establishment eine dezentrale, basisdemokratische Gegenmacht entgegenzusetzen. Mit beachtlichem Erfolg: Mittlerweile stellt die “Causa R” unter anderem den Bürgermeister der Hauptstadt Caracas.
Was die politischen Programme angeht, sind die LateinamerikanerInnen zwar bereit, auch mit deutschen Linken zu diskutieren, wehren sich aber gegen Bevormundung. Dazu Huidobro aus Uruguay: “Es wäre wünschenswert, wenn sich die Deutschen mehr um ihre Probleme hier kümmern. Wir würden auch gerne in Lateinamerika ein Kommitee zur Unterstützung der Revolution in Deutschland gründen.”

“Das hat mit unserer Lage nichts zu tun”

“Zu den herkömmlichen Schwerpunkten Krankheitsentstehung, Entwicklung von Impfstoffen, Behandlungsmöglichkeiten und gesellschaftliche bzw. finanzielle Unterstützung der Kranken kam ein fünfter Bereich hinzu: Die Entwicklung von AIDS in der Dritten Welt,” erklärt der Kongreßvorsitzende Karl-Otto Habermehl von der Freien Universität. “Wir sind uns bereits des Ausmaßes des Problems in Afrika bewußt. Nun geraten aber Asien und Südamerika in den Blickpunkt, und das in viel explosiverer Form als erwartet. Darum müssen wir die Länder der Dritten Welt und Osteuropas stärker einbinden.” Für mehr als 2000 TeilnehmerInnen aus den armen Regionen dieser Welt wurden daher die Reisekosten übernommen, um ihre Teilnahme zu ermöglichen, darunter auch viele LateinamerikanerInnen.
In einer Reihe von Vorträgen und Symposien wurden die sozialen, kulturellen, ökonomischen Faktoren der Ausbreitung von AIDS beleuchtet und die unterschiedlichen gesundheitspolitischen und pädagogischen Ansätze miteinander verglichen. Ziel der OrganisatorInnen war es, einen Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Ländern zu ermöglichen. So soll die Ressourcenvergeudung eingedämmt werden, die dadurch entsteht, daß jedes Land für sich Untersuchungen durchführt, die an anderen Stellen dieser Welt bereits gelaufen sind.
Auch bei der überall verbreiteten Immunschwächekrankheit zeigt sich die Zweiteilung der Welt. 75% der mit dem AIDS-Erreger HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) infizierten Menschen leben in den Entwicklungsländern, ihr Anteil wird in den kommenden Jahren auf 90% anwachsen. Betroffen ist v.a. in Afrika in erster Linie der aktive Bevölkerungsanteil, die meisten AIDS-PatientInnen sind zwischen 20 und 45 Jahre alt und bilden das entscheidende ökonomische Potential in den verschiedenen Ländern.
Dadurch bekommt die AIDS-Epidemie ihre besondere Bedeutung, obwohl weltweit immer noch weitaus mehr Menschen an prinzipiell behandelbaren Infektionskrankheiten und besonders an Tuberkulose sterben. Diese Krankheiten betreffen allerdings in stärkerem Maße Kinder und alte Menschen, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind daher geringer. Das ist zwar nicht weniger schlimm, aber übt nicht den gleichen ökonomischen Druck auf die Regierungen aus.
Schwerpunkt des Kongresses waren naturgemäß die wissenschaftlichen Vorträge und Workshops, die durch Hunderte von Postern über Einzelstudien ergänzt wurden. Die medizinische AIDS-Forschung verfolgt im Moment drei Hauptstränge: Entwicklung eines geeigneten Impfstoffes, Behandlung des Immunschwächesyndroms durch antivirale Substanzen einerseits und der begleitenden opportunistischen Infektionen andererseits und die gentechnische präventive und kurative Manipulation der betroffenen Abwehrzellen.
Am erfolgversprechendsten stellt sich derzeit die Möglichkeit dar, in absehbarer Zeit einen allgemein einsetzbaren, verträglichen und wirksamen Impfstoff anbieten zu können. Einen von der beobachtenden Presse bei der ansonsten sensationsarmen Konferenz dankbar aufgenommenen Höhepunkt stellte die Ankündigung des US-Amerikaners Daniel Bolognesi dar, einen solchen Impfsubstanz in den nächsten zwei Jahren anbieten zu können. Doch selbst wenn dies gelänge, würde das die Ausbreitung der Epidemie zunächst nicht bremsen können.
Dazu bedarf es eines Medikaments, das die Krankheit heilen kann, also das Immunschwäche-Virus direkt tötet oder lahmlegt. Die bekannteste dieser antiviralen Substanzen ist das sogenannte AZT (Azidothymidin), das die Vermehrung des HIV hemmt. Die zunehmend beobachtete Resistenz kann durch die Kombination mit ähnlichen Stoffen hinausgezögert werden. Erwähnenswert erscheint die Tatsache, daß kurz vor Beginn der AIDS-Konferenz die Ergebnisse einer großen Studie mit mehr als 1700 PatientInnen aus Großbritannien, Frankreich und Irland vorgestellt wurden, die bisherige Behandlungsvorstellungen in Frage stellt. Danach beeinflußt AZT (Handelsname Zidovudin) bei HIV-positiven Personen nicht den Beginn oder Verlauf der AIDS-Erkrankung und verlängert nicht die Überlebenszeit.
Trotz dieser Erkenntnis hatte einer der Hauptsponsoren des Kongresses, das Pharma-Unternehmen Wellcome, in einer Parallelveranstaltung Gelegenheit, die Vorzüge einer frühzeitigen AZT-Behandlung darzulegen. Schließlich gehört Wellcome zu den wichtigsten AZT-Produzenten in der Welt. Wenn aufgrund der genannten Untersuchung die zum Beispiel von der US-Gesundheitsbehörde erfolgte Zulassung von AZT zur Prophylaxe der AIDS-Erkrankung bei HIV-Infizierten zurückgenommen wird, bedeutet das für die Pharma-Industrie herbe Einbußen.

Rückkehr der Tuberkulose

Das könnte aber den Nebeneffekt haben, daß wieder mehr Augenmerk auf die Entwicklung neuer Antibiotika gelegt wird. Dies zeigt sich in besonders bedrohlicher Form am Beispiel der Tuberkulose (Tbc), die immer schon als klassische soziale Krankheit galt und in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in den entwickelten Ländern eine immer geringere Rolle spielte. Nicht zuletzt aufgrund der Ausbreitung der Immunschwächekrankheit AIDS, in erster Linie aber wegen der zunehmenden Verelendung bestimmter Bevölkerungsgruppen tritt die Tbc in den Industrienationen nun immer häufiger auf.
Dabei zeigt sich ein besonderes Problem: Es gibt zur Zeit sechs Standardmedikamente, die in Kombination in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gegen diese Krankheit eingesetzt wurden, sofern die Mittel dafür zur Verfügung standen. In jüngerer Zeit wurde jedoch eine vermehrte Unempfindlichkeit der Erreger gegenüber diesen Substanzen beobachtet, die Gefährlichkeit der Erkrankung wächst daher. Die Wirksamkeit der bisher entwickelten Antibiotika gegen die vielen Schmarotzerkrankheiten, die im Zusammenhang mit AIDS auftreten, ist in vielen Fällen unzureichend. Gut zu behandeln ist derzeit nur die AIDS-typische Lungenentzündung, doch die meisten anderen AIDS-Erscheinungen sind nicht oder nur teilweise therapierbar. Die Mehrzahl der auslösenden Erreger kommt zwar überall vor, kann jedoch einem Menschen mit funktionierendem Abwehrsystem nichts anhaben, so daß bis zum Auftreten der Immunschwächekrankheit entsprechende Medikamente nicht erforderlich waren.
Der dritte Ansatzpunkt in der aktuellen AIDS-Forschung ist die genetische Veränderung der menschlichen Zellen, um sie gegen das HIV unempfindlich zu machen. Das Virus greift eine bestimmte Art von Abwehrzellen an, dringt in sie ein und ändert die darin gespeicherte Erbinformation, so daß die Zelle ihre eigentliche Funktion nicht mehr erfüllt. Dadurch bricht letztlich das gesamte Abwehrsystem in sich zusammen. Das Virus bedient sich bestimmter zelleigener Bausteine, deren Herstellung durch gentechnische Manipulationen gehemmt wird, so daß sich das Virus nicht mehr vermehren und in die Zellfunktion einmischen kann. Im Reagenzglas gelingt dies in recht überzeugender Form, im lebenden Organismus sind die Abläufe jedoch komplexer und komplizierter.
Dennoch ist davon auszugehen, daß in den nächsten Jahren entsprechende Versuche, die z.Zt. im Tierexperiment getestet werden, auch beim Menschen Anwendung finden. Sollte es den GenetikerInnen gelingen, auf diesem Wege als erste eine effektive Behandlungsmöglichkeit anbieten zu können, müßte die Gentechnologie-Diskussion völlig neu geführt werden. Unbestreitbar birgt die genetische Veränderung prinzipiell unübersehbare Folgen in sich, doch welchem/r AIDS-Kranken kann eine solche Chance in Anbetracht der schrecklichen Prognose vorenthalten werden?

AIDS-Forschung – Für wen?

Die medizinisch-naturwissenschaftliche Forschung ist auf der nördlichen Halbkugel konzentriert, die allermeisten AIDS-Kranken leben in der südlichen Hemisphäre. Daß weltweit so heftig an dieser Krankheit geforscht wird, haben diese Menschen mehr als ihrer eigenen dramatischen Situation der Tatsache zu verdanken, daß es in den reichen Ländern eine nicht kleine und vor allem einflußreiche Gruppe von LeidensgenossInnen gibt. Und für die wird im wesentlichen Forschung betrieben. Die Ärztin Mary Basset aus Simbabwe bringt das Problem auf den Punkt. Zwischen dem britischen Infektiologen Ian Weller und dem Entdecker des HIV, Luc Montagnier, an die sich die allermeisten Fragen der JournalistInnen richten, erklärt sie auf einer Pressekonferenz: “Worüber hier gesprochen wird, hat mit der Lage in meinem Land überhaupt nichts zu tun. Wir haben kein AZT, um AIDS zu behandeln. Wir haben noch nicht einmal Rifampicin, um die Tuberkulose zu behandeln. Dafür gibt es gar kein Geld.”
Welches Entwicklungsland soll in der Lage sein, die in absehbarer Zeit entwickelten Arzneimittel zu kaufen, die ja die hohen Forschungskosten wieder hereinbringen müssen? Und ob die reichen Industrienationen bereit sind, durch Finanzierung der AIDS-Therapie ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe effektiv zu erhöhen, bleibt abzuwarten. 300.000 US-Dollar wollte die Europäische Gemeinschaft Venezuela Anfang des Jahres zur AIDS-Bekämpfung zur Verfügung stellen. Diese eher symbolische Summe wurde letztlich auf ganz Lateinamerika verteilt und geriet damit zu einer Karikatur der Entwicklungspolitik. Die LateinamerikanerInnen auf der AIDS-Konferenz fühlten sich denn auch gänzlich hintangestellt und gegenüber den anderen Kontinenten benachteiligt. Vertreter aus Chile und Argentinien schlugen einen kollektiven Boykott der nächsten Konferenz in Tokio vor, fanden damit aber nicht die ungeteilte Zustimmung der übrigen RepräsentantInnen. Das Interesse von Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen der reichen Länder ist nach wie vor stärker auf Afrika und Südasien, hier in erster Linie Indien, gerichtet, allenfalls Brasilien wird gemeinhin als Land mit nennenswerter AIDS-Problematik anerkannt.

Weltweite Konzentration aller Kräfte

Doch Enttäuschung über den Ablauf und vor allem über die Ergebnisse der IX. AIDS-Konferenz zeigte sich nicht nur unter den LateinamerikanerInnen. Viele Selbsthilfe- und Betroffenenorganisationen äußerten Kritik an der Organisation und der offiziellen AIDS-Politik. Sie fordern eine weltweite Konzentration aller Kräfte im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit. Ziel von konkreten Protestaktionen wurden in erster Linie die Pharma-Konzerne Hoffmann-LaRoche und Astra, die von den Act-Up-Gruppen wegen ihrer Verkaufspolitik angegriffen wurden. Aufgrund überhöhter Preise bleibt vielen Kranken in den USA der Zugang zu bestimmten Medikamenten versperrt, die für die Behandlung bestimmter Erscheinungsformen der Immunschwäche-Krankheit unerläßlich sind.
Die AIDS-Konferenz stand im Spannungsverhältnis zwischen dem vergleichsweise langsamen Fortschritt in der medizinischen Forschung und der hohen Erwartungshaltung der Betroffenen, die zwangsläufig enttäuscht werden mußte und oft zu einer sehr vorwurfsvollen Haltung gegenüber den anwesenden WissenschaftlerInnen führte. Von Seiten der Selbsthilfegruppen wurde kritisiert, ihnen sei nicht genügend Platz eingeräumt worden, was eine völlige Verkennung des Charakters einer solchen Konferenz zum Ausdruck bringt.
Zum ersten Mal in der Geschichte dieses wissenschaftlichen Kongresses wurden in großem Umfang gesellschaftliche Gruppen und Organisationen einbezogen, um einen Austausch zwischen Forschung und alltäglicher Erfahrung mit der Immunschwächekrankheit zu ermöglichen. Hätte es diese Form der Zusammenarbeit zu einem früheren Zeitpunkt gegeben, wäre mensch vielleicht schon eher auf die Idee gekommen, sich in der AIDS-Wissenschaft stärker um die sog. Langzeitüberlebenden zu kümmern. Es bestehen gute Aussichten, daß die Beobachtung der Reaktionen bei jenen Menschen wichtige Erkenntnisse zu Tage fördern, die teilweise bereits 10, 12 oder 15 Jahre mit dem HI-Virus leben und noch nicht an AIDS erkrankt sind. Vielleicht liegt hier ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Krankheit.

Rote Karte für Carlos Andrés Pérez

Aber wie Al Capone über seine Steuerhinterziehung ins Gefängnis kam, so erwischte es nun Pérez von der finanziellen Seite. Die delikate Angelegenheit wurde zunächst Ende 1992 von der kleinen radikaldemokratischen Partei Causa R aufgebracht, deren Anzeige jedoch durch den mit Juristen der Regierungspartei besetzten Obersten Gerichtshof noch zurückgewiesen wurde. Erst als der Oberste Staatsanwalt und erklärte Gegner von Pérez, Ramón Escovar Salom, die Klage übernahm, hatte sie Erfolg.
Worüber ist Pérez nun gestolpert? Über den “Reptilienfonds”, “la partida secreta”. Alle Regierungschefs Venezuelas haben diesen Fond gehabt und nach ihrem Gutdünken darüber verfügt, aber diesmal liegt die Sache komplizierter. Als CAP an die Regierung kam, herrschte noch das System mehrerer Wechselkurse vor: um die nach der Finanzkrise von 1983 notwendige Abwertung der einheimischen Währung nur stufenweise auf die Kaufkraft durchschlagen zu lassen, subventionierte der Staat den Import von Waren, die als besonders notwendig eingestuft wurden. Dollars wurden zu einem erheblich besseren Kurs bei der Zentralbank eingekauft, wobei es zu verschiedenen Abwertungen kam. So gab es noch Anfang 1989 den Dollar für Medikamente und Nahrungsmittelimporte sowie für landwirtschaftliche Produktionsmittel für 7,50 Bs (Bolívares); andere Importe für Industrie und Konsum erhielten den Dollar zu 14,50 Bs., während alle anderen mit dem “freien Dollar” bezahlt werden mußten, der bei etwa 28 Bs. lag. Als CAP am 2. Februar sein Amt antrat, war es beschlossene Sache, daß diese verschiedenen Wechselkurse nach Kriterien des IWF in Kürze abgeschafft werden würden, was natürlich bedeutete, daß alle Fonds in Bolívares dadurch an Kaufkraft im Ausland verlieren würden. CAP wies seinen Innenminister an, den Reptilienfonds von 250 Millionen Bolívares zum Vorzugskurs von 7,50 Bs./U$ in harte amerikanische Dollars einzutauschen. Dies geschah wenige Tage vor der Währungsvereinheitlichung, mit der der Dollar schließlich auf 30 Bs. stieg. Dabei handelte es sich jedoch um einen eindeutigen Gesetzesverstoß, denn für solche Gelder war dieser Kurs ursprünglich nicht vorgesehen. Darüberhinaus stand CAP noch unter dem Verdacht des Rechnungshofes, sich und enge Freunde (man redet von seiner Geliebten Cecilia Matos) durch diese Dollargeschäfte persönlich bereichert zu haben.
Als der Oberste Gerichtshof Mitte Mai beschloß, die Klage zuzulassen, hieß dies für CAP, daß er für die Dauer des Prozesses von seinem Amt suspendiert wurde. Für 30 Tagen ersetzte ihn verfassungsgemäß der Präsident des Nationalkongresses. Inzwischen hat das Parlament bis zu Neuwahlen den Senator Ramón J. Velázquez zum Interimspräsidenten gewählt. Damit ist die Chance CAPs, vor Dezember dieses Jahres wieder in sein Amt zurückzukehren, weiter geschwunden.
Ramón J. Velázquez ist ein alter “adeco” (Mitglied der Acción Democrática, AD) aus der Provinz Táchira, ein bekannter und verdienter Historiker, gebildet und konservativ-liberal. Er entspricht in dieser Rolle einem alten Traum der VenezolanerInnen, einen kultivierten, studierten, gerechten Landesvater zu haben, der sich von der hemdsärmeligen politischen Praxis des Klientelismus und der Korruption fernhält. Er stellt Moral und Nationalgefühl über die Idee eines harten neoliberalen Kurses, den CAP in seiner Regierungszeit proklamiert hatte. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, daß er Kapazitäten ohne Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit als Minister zu gewinnen versucht und eine Beraterkommission aus anerkannten Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ernannt hat. Ob nun Ramón J. Velázquez dieser Hoffnung entsprechen kann, steht dahin, denn viel Zeit bleibt ihm nicht.

Präsidentschafts- und Kongreßwahlen im Dezember 1993

Seit Anfang des Jahres tobt in Venezuela der Wahlkampf. Obwohl die Bürgermeister- und Gouverneurs-Wahlen im Dezember 1992 so eindeutig gegen die AD ausgegangen sind, besteht dennoch keine Klarheit über den Ausgang der Präsidentsschafts- und Kongreßwahlen im Dezember 1993. Noch keine der vier Präsidentschaftskandidaten hat bislang eine klare Mehrheit hinter sich.
Für die AD tritt der Ex-Bürgermeister von Caracas, Claudio Fermín an, der nach seiner Wahlniederlage gegen Aristóbulo Istúriz (Causa R) in der Öffentlichkeit und auch in seiner Partei keine starke Stellung hat. In der christdemokratischen Partei (Copei) verlor in parteiinternen Basiswahlen der bisherige Vorsitzende und Präsidentschaftskandidat Eduardo Fernández schmachvoll gegen den Gouverneur des Staates Zulia (Maracaibo), Osvaldo Alverez Paz. Der konservative Paz gilt als Kandidat des Unternehmerverbandes FEDECAMARAS. Seine Erklärungen zu einer zukünftigen Politik lassen das Festhalten an den unpopulären neoliberalen Reformen vermuten.
Außerdem läuft die Kandidatur des Parteigründers von Copei und Ex-Präsidenten Rafael Caldera, der bisher vor allem bei den linken Parteien wie MAS, MEP, URD, und PCV Unterstützung gefunden hat. Diese etwas überraschende Allianz der Linken mit dem konservativen Christdemokraten erklärt sich aus der Rolle Calderas bei der Reform des Arbeitsrechtes im Jahre 1991, als er gegen die neoliberalen Angriffe der Unternehmerschaft die christlich-sozialen Ideen vehement verteidigte und die Schutzfunktion des Staates betonte. Einen zweiten Schub erhielt seine Popularität, als er nach der Offizierrevolte vom 4. Februar 1992 im Nationalkongreß mit erregter Stimme die Regierungspolitik nach den Plänen des IWF zur Hauptursache des Putschversuches erklärte. Verarmung und Verzweiflung seien die wahren Hintergünde der Putschisten. Er zählt heute führende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler des Landes zu seinem Beraterstab.
Der junge Facharbeiter Andrés Velázquez, Vorsitzender der kleinen Partei Causa R, ist der vierte aussichtsreiche Kandidat. Sein Aufstieg vom Gewerkschaftsvorsitzenden der Stahlarbeiter in der staatlichen Eisenhütte SIDOR, über seine Karriere als Abgeordneter des Staates Bolívar im Parlament zum nunmehr mit 80 Prozent der Stimmen wiedergewählten Gouverneur, ist für ihn der Beweis, “daß auch ein Arbeiter regieren kann”. Nachdem Causa R zunächst ein regionales Phänomen darstellte, hat sie jetzt den wichtigen Bürgermeisterposten von Caracas erobert und auch sonst in vielen Wahlkreisen erstaunlich hohe Stimmenzahlen verbuchen können. Causa R definiert sich selbst als “weder links noch sozialistisch”, praktiziert mit großer Konsequenz basisdemokratische Ansätze, hinter denen jedoch auch zentralistische Tendenzen in der Debatte um die künftige Politik erkennbar werden. So hat die kleine Parteiführung aus der Gründerzeit bisher das Heft nicht aus der Hand gegeben und jede Allianz oder Fusion mit anderen linken Parteien abgelehnt; das Verlangen nach einem Programm zur nationalen Politik aus Kreisen ihrer SymphatisantInnen hat sie bisher mit Schweigen beantwortet. Diese von vielen als hermetisch empfundene Abschottung hat der Partei die Kritik der linken Intelektuellen eingetragen. Sie empfehlen Causa R ihr Wählerpotential nicht zu vergeuden, sondern in eine Allianz mit Caldera oder auch mit einem anderen unabhängigen Kandiaten einzubringen.
Es ist keinesfalls gesichert, daß die AD nicht die Wahlen gewinnen kann. Das Wahlrecht sieht die Wahl desjenigen zum Präsidenten vor, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Die AD ist nach wie vor die stärkste Einzelpartei, und wenn sich die Opposition auf drei Kandidaten zersplittert, ist ein Sieg von Claudio Fermín durchaus möglich.

Kasten:

Auf dem Weg zur rechtsstaatlichen Neuordnung
Als CAP 1988 die Präsidentschaftswahlen gewann, erhofften sich viele der VenezolanerInnen eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. CAP personifizierte die goldenen Jahre des Erdölbooms. Er war der Populist, der diesen nationalen Reichtum mit seinem Volk teilte. Seine Politik der subventionierten Gesellschaft durch direkte und indirekte Verteilungsmechanismen der Erdölrente während der ersten Amtsperiode hatte die Kaufkraft der Bevölkerung erhöht und zu einer Verbesserung der Lebensqualität beigetragen. Doch damit war es längst vorbei, nur die Erinnerung an die gute alte Zeit war geblieben.
Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 1989 unterwarf sich CAP einer Verschärfung der Auflagen, die vom Internationalen Währungsfond gefordert wurden, um das Land zu sanieren. Die inländischen Benzinpreise, die einzige staatliche Subventionierung, die noch bestand, wurden drastisch erhöht. Daran entzündete sich ein Volksaufstand im Februar/März 1989, die erste Bewährungsprobe, die die junge Regierung zu bestehen hatte. Seither hat es immer wieder SchülerInnen- und StudentInnenproteste gegeben, die den Sozialabbau und die zunehmende Verarmung im Land anprangerten. Nicht selten wurden den friedlichen Demonstrationen durch die Polizei, die Guardia Nacional und Spezialeinheiten ein gewaltsames Ende gesetzt. So führte neben den sozialen Problemen auch die stärkere Präsenz und Gewaltbereitschaft der Ordnungskräfte in den Städten zu einem Vertrauensverlust für CAPs Regierung. Aber nicht nur die Hoffnung auf bessere Zeiten hatte die Wahl CAPs zum Präsidenten begünstigt. War sein Vorgänger und Parteigenosse Lusinchi wegen Enthüllung eines öffentlichen Bauskandals zurückgetreten, so glaubten viele, daß CAP es nicht mehr nötig habe, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Er sei reich genug, schließlich habe er sich in seiner ersten Amtszeit ausgiebig bedient, so hieß es allgemein. CAP hatte sich in der Vergangenheit als sehr skandalresistenter Politiker erwiesen. Die Bereicherungsvorwürfe während seiner ersten Amtsperiode hatten damals nur wenig öffentliche Empörung ausgelöst. Und so wandten sich die immer lauter werdenden Korruptionsvorwürfe zunächst auch nicht gegen CAPs eigene Bestechlichkeit, sondern gegen seine Unfähigkeit mit der administrativen und politischen Korruption im Land fertig zu werden. Dies gab den Anlaß zu den Putschversuchen. Zwei Staatsstreiche scheiterten, doch die Gerüchte über einen dritten Putschversuch rissen nicht ab. Viele Journalisten behaupteten, CAP sei aus dieser Situation gestärkt hervorgegangen. Andere sahen in seinem “Aussitzen” ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für den politischen Frieden im Land.
Für Venezuela ist das nun begonnene Verfahren und die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen ein Lehrstück auf dem Weg zu der angestrebten rechtsstaatlichen Neuordnung, so die juristische Fachmeinung im Land. Was sich wie ein Politkrimi anhört, ist für viele in Venezuela weitaus mehr als das “Schassen” eines unliebsam gewordenen Präsidenten. Es ist der Sieg einer Entwicklung hin zu mehr Demokratie und Durchsichtigkeit der politischen Prozesse im Land. Tragisch für CAP selbst mag dabei sein, daß gerade er mit dem Vorantreiben der Staatsreform zur Durchsetzung von mehr Rechtsstaatlichkeit und Partizipation die Verhältnisse schuf, die ihm später selbst zum Verhängnis wurden. Ob des Amtsvergehens schuldig oder nicht, sein Prozeß wird nach allen Regeln der Demokratie unter den wachsamen Augen der Bevölkerung vonstatten gehen. Spätestens dann kann er zeigen, ob er wirklich an die von ihm so oft zitierte gewachsene Mündigkeit von PolitikerInnen und BürgerInnen glaubt. Die politische Emanzipation im Land ist, zieht man bis heute Bilanz, eigentlich sein politischer Erfolg.

Christine Heim

Der Condor kreist noch über dem Cono Sur

Ein Artikel, ein chilenischer Agent und peinlich berührte Militärs

Am 12. Mai dieses Jahres erschien in Mate Amargo ein Artikel von E.F. Huidobro mit dem Titel “Ya la Vimos” (Das kennen wir doch). Darin wird die Existenz von Todesschwadronen öffentlich gemacht, die in Uruguay zum ersten Mal im Juli 1971 in Erscheinung traten. Huidobro spricht von diesen Todesschwadronen als Gruppen, die teilweise zum “legalen” Repressionsapparat (Polizei, Militär), gehören, an denen aber auch Zivilpersonen beteiligt sind und Leitungsfunktionen innehaben. Im Artikel beschreibt Huidobro die Verbrechen der Todesschwadronen von ihren ersten Aktionen in den 70er Jahren bis zum heutigen Tage.
Er verweist auf die Verantwortung des derzeit amtierenden Präsidenten, Luis Alberto Lacalle, der sich als unfähig erwiesen habe, den Provokationen der Militärs zu begegnen und somit zu ihrem Spielball geworden sei.
“Schlimmer noch”, schreibt Huidobro, “die Regierung versucht die Streitkräfte von dem abzulenken, was aktuell mit ihnen passiert”, nämlich vom Verfall des Soldes und der immer angespannteren sozialen Situation der Soldaten. Dazu greife die Regierung in die Trickkiste: Es werden Truppen nach Kambodscha und Mosambique geschickt und der neueste Knüller ist ein Gesetzentwurf, in dem die Streitkräfte völlig legal zu Wächtern der inneren Ordnung des Landes gemacht werden.
Die Militärs lehnen diese Maßnahmen größtenteils ab. In einer Morgenzeitung ließen sie erklären, daß sich der Präsident mit seinem Gesetzentwurf außerhalb der Verfassung bewege und daß sie wenig Lust verspürten, bei seinen Spielchen mitzumachen.
Huidobro ruft zur Wachsamkeit auf, nicht nur wegen der Existenz von Todesschwadronen, sondern auch wegen der Stümperhaftigkeit, mit der die Regierung versucht, die Situation zu beruhigen. Die Maßnahmen verstärken den Druck innerhalb der Militärs eher noch, stellen das Land international vor große Probleme, und die Bevölkerung wird erneut dem Terror der Rechtsradikalen ausgesetzt.
Die Antwort der Regierung auf diesen Artikel kam postwendend.
Die Staatsanwaltschaft leitete gegen den Autor ein Verfahren mit dem Vorwurf ein, er habe den Präsidenten beleidigt, indem er ihn einen “Esel” und einen “Betrunkenen” genannt habe.
Am Sonntag, den 8. Juni, zwei Tage vor der Verkündung des Urteils einer Haftstrafe von sechs Monaten gegen Fernandez Huidobro und Jorge Zabalza, macht die Regierung überraschenderweise die Entführung des chilenischen Biologen Eugenio Berrios öffentlich, der hochkarätiger Agent des Geheimdienstes DINA ist. Er soll, nach Informationen der chilenischen Justiz und der dortigen Menschenrechtsorganisationen, unzählige Verbrechen zu verantworten haben. Der Agent der Pinochet-Diktatur war im Mai 1992 mit falschen Papieren und Unterstützung chilenischer, argentinischer und uruguayischer Militärs aus Chile geflohen und hatte sich seitdem in Uruguay versteckt gehalten.

Agent Berrios: Ein Beweis für die Zusammenarbeit der Folterer

Berrios verfügte über viele Informationen, die für Pinochet und seinen engsten Mitarbeiter sehr kompromittierend werden könnten. Er war aktives Mitglied der “Red Condor”, der Koordination der Militärs aus Argentinien, Chile, Uruguay, Paraguay und Brasilien, wo seit 1976 Repressionsmaßnahmen untereinander abgestimmt wurden. Anscheinend wurde Berrios zwar zunächst von eben jenen Militärs geschützt, dann jedoch von ihnen entführt, da es zu gefährlich schien, ihn auf freiem Fuß zu lassen. Im November 1992 gelang es ihm, der Überwachung der Militärs zu entkommen und in einem Polizeirevier der Provinz Canelones, 48 Kilometer vor Montevideo, auf seine Entführung hinzuweisen. Verschiedene an Presse und Parlamentsabgeordnete gerichtete anonyme Briefe berichten, daß zahlreiche Militärs Berrios gewaltsam aus dieser Polizeistation weggeholt und die dortigen Beamten gezwungen hatten, die Anzeige, die er wegen seiner Entführung gemacht hatte, aus ihren Akten zu tilgen.
Es ist sicher kein Zufall, daß all diese Informationen erst am 8. Juni öffentlich gemacht wurden. Möglicherweise befürchtete die Regierung, die MLN-Tupamaros seien im Besitz dieser Informationen und würden sie in ihrer Zeitung Mate Amargo oder am zweiten Verhandlungstag des Gerichtsverfahrens gegen Huidobro und Zabalza veröffentlichen.
Der Fall Berrios hat das Land bereits in eine institutionelle Krise gestürzt, die sich im Zwist zwischen bürgerlicher Regierung und Armee manifestiert: Präsident Lacalle versprach zunächst, den Fall bis zur letzten Konsequenz zu untersuchen. Die militärischen Befehlshaber jedoch gaben den Entführern des Chilenen ihre volle Unterstützung und entzogen dem Verteidigungsminister der Regierung das Vertrauen. Lacalle gab schließlich am 11. Juni dem Druck der Oberbefehlshaber der Streitkräfte nach. Anstatt den Fall Berrios gründlich zu durchleuchten, akzeptierte er, daß die darin verwickelten Militärs der Militärjustiz übergeben wurden, was eine Aufklärung unmöglich macht. Als einziges Bauernopfer wurde der Chef des militärischen Geheimdienstes an einen anderen Posten versetzt – ein kleiner Fisch inmitten von so vielen Haien. Die uruguayische Bevölkerung, die Massenorganisationen und politischen Parteien bereiten sich darauf vor, die aktuelle “Demokratie” gegen einen möglichen Staatsstreich zu verteidigen, und selbst die USA schickten eine geheimdienstliche Verstärkung zur US-Botschaft in Uruguay.

“Du bist als nächstes dran” – Pressefreiheit in Uruguay

Inmitten dieser Ungewißheit häufen sich neue Drohanrufe, neuerdings gegen die Parlamentsabgeordneten Matilde Rodriguez und Leon Lev, gegen den Polizeiunterkommissar Hernandez, der Zeuge der Entführung des Chilenen Berrios aus dem Polizeirevier geworden war, und schließlich auch gegen die Schwester von Fernandez Huidobro. In allen diesen Fällen war die Botschaft dieselbe: “Wenn Du weiter mit Deinen Anklagen Staub aufwirbelst, bist Du als nächstes dran”.
Vor dem Hintergrund all dieser Ereignisse verdient ein Thema besondere Aufmerksamkeit: die mangelnde Presse- und Meinungsfreiheit in Uruguay sowie in all den Ländern, die derzeit unter vegleichbaren “Demokraturen” leben. Innerhalb weniger Monate sind mehrere Journalisten wegen Verleumdung oder Beleidigung verurteilt worden, oder wurden entlassen, weil sie zensierte Informationen weitergeleitet hatten. Drei Journalisten der Wochenzeitung “Brecha” der Nachrichtenrdakteur eines privaten Fernsehkanals, und schließlich Fernandez Huidobro und Zabalza sind die jüngsten Fälle, jedoch nicht die einzigen. Ziel dieser Maßnahmen ist die Einschüchterung aller JournalistInnen, damit sie sich selbst zensieren, ohne daß Justiz und Regierung dabei in der Öffentlichkeit als Zensoren und Repressoren wahrgenommen werden. Das alte und längst hinfällige uruguayische Pressegesetz erlaubt solche Schachzüge.

Aufruf zu Protestbriefen

Alle Einzelpersonen, Menschenrechtsorganisationen, internationalen Presseverbände, alternativen Medien, sowie alle politischen und sozialen Gruppierungen sind aufgefordert, sich per Brief oder Fax an den Obersten Gerichtshof in Uruguay zu wenden und die Rücknahme des Gerichtsurteils sowie die Einstellung des Verfahrens gegen Fernandez Huidobro und Jorge Zabalza zu fordern.

Musterbrief an den Obersten Gerichtshof:

Señores Ministros de la Suprema Corte de Justicia,
por la presente deseamos manifestar nuestra preocupación por las denuncias de la actuación de un Escuadrón de la Muerte en la Republica Oriental del Uruguay. Por la información que se maneja a nivel internacional, el mismo ha sido responsable del asesinato de varias personas con trayectoria militante u opiniones progresistas, ha colocado bombas, ha atentado contra locales y autos, ha amenazado de muerte indiscriminadamente a menores, familiares de denunciantes de su existencia, sindicalistas y legisladores y hasta la fecha sus integrantes siguen sin ser identificados.
A su vez le solicitamos la anulación del juicio que la Fiscalía de la Nacion ha entablado contra Eleuterio Fernandez Huidobro y Jorge Zabalza por el artículo de prensa que denuncia la existencia de dicho Escuadrón, juicio sentenciado por la justicia de vuestro pais a 6 meses de prision por el delito de desacato. Entendemos que el no procesamiento de los dos condenados es de suma importancia, para preservar el derecho de informar de todos los trabajadores de la comunicación, en el marco de garantías para su persona.
Pensamos que la aplicación de la sentencia a estos dos periodistas es un ataque a la libertad de prensa.
Sin más, los saludamos muy atentamente.

Sehr geehrte Herren Richter vom Obersten Gerichtshof,
durch den vorliegenden Brief wollen wir unsere Besorgnis zum Ausdruck bringen über die Hinweise auf die Aktivitäten einer Todesschwadron in der Republik Uruguay. Der internationalen Informationslage zufolge hat diese Todesschwadron die Ermordung mehrerer Personen zu verantworten, die politisch aktiv waren oder fortschrittliche Meinungen vertraten. Sie hat ferner Bomben gelegt, Attentate gegen Häuser und Autos verübt, sowohl Minderjährige, Familienangehörige derjenigen, die auf ihre Existenz hinweisen, als auch GewerkschafterInnen und Abgeordnete mit dem Tode bedroht. Bis zum heutigen Tage sollen ihre Mitglieder unbekannt sein.
Gleichzeitig fordern wir Sie auf, das Gerichtsverfahren einzustellen, das die Generalstaatsanwaltschaft gegen Eleuterio Fernandez Huidobro und Jorge Zabalza eingeleitet hat wegen des Zeitungsartikels, der die Existenz der oben genannten Todesschwadron zum Thema hat. Wir fordern Sie auf, das von der Justiz ihres Landes in diesem Verfahren gefällte Urteil über eine sechsmonatige Haftstrafe wegen Unehrerbietigkeit gegenüber dem Staat zurückzunehmen. Wir sind der Ansicht, daß die Annulierung dieses Urteils von höchster Wichtigkeit ist, um das persönliche Recht, frei informieren zu können, für alle im Medienbereich Tätigen zu erhalten.
Wir denken, daß die Vollstreckung des Urteils gegenüber diesen beiden Journalisten einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt.

Die Adresse des Obersten Gerichtshofs lautet:
Corte Suprema de Justicia
Hector Gutierrez Ruiz 1310
Montevideo – Uruguay
Tel.: 00 59 82 – 90 10 41/42/43, 90 25 22 oder 91 91 04
Fax: 00 59 82 – 98 33 26
Eine Kopie der Protestschreiben sollte in jedem Fall an die Redaktion der Zeitschrift Mate Amargo gesandt werden. Die Adresse lautet:
Mate Amargo
Tristan Narvaja 1578
Montevideo – Uruguay
Tel.: 00 59 82 – 49 99 56 oder 49 99 57
Fax: 00 59 82 – 49 99 57

Kasten:

Chronologie der Drohungen und Attentate

1992: Eine Bombe mit Plastiksprengstoff zerstört das Auto des linken Abgeordneten (MPP/Frente Amplio) Hugo Cores. Zwei Bombenanschläge auf die Anwaltspraxis von J.P. Sanguinetti, Expräsident des Landes, Angriffe auf eine Bäckerei der Artilleriekaserne in Montevideo. Anschläge gegen die Botschaft der USA, Anschlag auf ein Auto in unmittelbarer Nähe des Hauses des Chefs der Streitkräfte und des US Botschafters. Bombenanschlag auf Gleisanlagen der Bahn im Landesinneren. Eine Bombe explodiert am Marinedenkmal. Für mehrere Anschläge übernimmt eine Gruppe mit dem Namen “Guardia de Artigas” die Verantwortung.
1993: Am 23. April wird der Aktivist der MLN-Tupamaros Ronald Scarzella ermordet aufgefunden. Francisco Martinez de Cuadra, ehemaliger MLN-Tupamaro, wird bewußtlos und mit elf Messerstichen verletzt gefunden. Eine Polizeistreife bringt ins Krankenhaus. Dort wird er später verhaftet. Vorwurf: Beteiligung an mehreren Raubüberfällen.
Ein weiterer Ermordeter wird in Salinas gefunden. Er ist der Bruder eines bekannten Ex-Tupamaros, der heute in Venezuela lebt.
Ein Mitglied der MLN-Tupamaros, er ist Gewerkschafter im Gesundheitsbereich, wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Medikamente mitgenommen hatte.
Das Haus der Witwe von Raul Sendic, Xenia Itté, sie ist Präsidentin des “Movimiento por la tierra”, einer von Raul Sendic mitbegründeten Landbewegung, wird mit Hakenkreuzen, Beleidigungen und Morddrohungen beschmiert.
Das Büro des Movimientos und eine kleine Farm werden angegriffen, außerdem wird versucht, den Jeep der Organisation von der Straße abzudrängen. Eine der Töchter Ronald Scarzellas erhält einen Tag nach dem Tod ihres Vaters Morddrohungen. Ein Gewerkschaftskollege von Scarzella, wird ebenfalls mit dem Tod bedroht.

Beweg deinen Hintern!

Der BUS von Quito nach Quevedo ist voll. Auf dem Dach stapelt sich das Gepäck, drinnen die Menschen. Schieflage in den Serpentinenkurven der ecuadorianischen Anden. De izquierda -Kurve links -a derecha -Kurve rechts -si tu quieres gozar -wenn du Spaß willst. Die Räder hängen über dein tiefen Abhang fast in der Luft, Männer und Frauen quietschen vor Schreck. Hilip! Aus den Lautsprechern im Bus singt einer, daß er zwar dick ist aber gut drauf. Gaby, der neue Rap-Star aus Panama fährt in diesen Monaten in fast allen Bussen von Mexico bis Venezuela mit und singt den Menschen seinen “Meneaito”. Muß man singen können, um mittelamerikanischen RapReggae zu machen, jene Mischung, die von Panama aus schon vor zwei Jahren ihren Siegeszug angetreten hat und inzwischen fast die Merengue-Welle
des dominikanischen Super-Stars Juan Luis Guerra verdrängt? Gaby, eigentlich Winston Alfaro Brown, beweist: Man muß es nicht können. Sein “Meneaito” ist gesprochener Text zur Rhythmusmaschine. Die wirft einen einzigen Rhythmus aus, und der Text weist darauf hin, daß eben ;jener Rhythmus richtig toll ist. Mueve tu mano, mueve tu cuerpo con el Meneaito! Beweg deine Hand, beweg deinen Körper mit dem Meneaito! Und die Masse folgt.
Juan Luis Guerra (s. LN 212) singt von Korruption und Inflation, vom Alltag der Armen. Gaby hat eine andere Message: Tanz, beweg dich, es ist geil. Und die Sache läuft. Wettbewerbe finden heraus, welcher Jugendliche den ultimativen Aufforderungen von Gaby am besten folgen kann: Tanz den Meneaito! Von links nach rechts, von rechts nach links, wackel mit der Hüfte und genieß es! Gaby aus Panama hat nichts zu sagen, singen kann er auch nicht, kurz: Der Mann ist zum Star geboren.
Immerhin hat der 27jährige die richtige Geschichte aufzuweisen: Geboren in Panama-Stadt als ältester von drei Geschwistern mußte er seine Sache “gut machen, sonst warst du das Schlagzeug für alle anderen.” Baseball-Spieler wollte er werden, wie sein Vater es war. Als eine Krankheit seine Sportler-Kamere beendete, was lag da näher, als auf den Reggae umzusteigen? Hat ihm doch schon immer “das Blut gekocht, wenn ich diese Rhythmen hörte. Außerdem habe ich den traditionellen Einfluß meiner Großeltem, die in Jamaica geboren wurden. Von da kommt nämlich der Reggae.” Mit derartigem Vor-wissen ausgestattet kann eigentlich nichts mehr schief- gehen. Und so ist seine Platte “100 % Indestructibles”, schon heute ein Verkaufsrenner.
Aber ein einziger Sommerhit reicht für keine Busfahrt durch die Anden, und so ist es nicht nur Gaby, der den Fahrer zum lustvollen Schunkeln anregt. Bei “Derroche” von Aldo Matta wippen alle Füße mit, Männer trommeln auf ihren Oberschenkeln. Gute populäre Salsa mit Anlehnungen an den kubanischen Son und eine rührend-traurig-entzückende Story von Liebe und Leid: Besos y ternura … que derroche de amor, cuanta locura! Der Fahrer dreht das Radio lauter, und trotz der von Serpentine zu Serpentine wechselnden Empfangsqualität ist doch Jerry Rivera zu hören, die neue junge Salsa-Hoffnung des Kon-tinents, der mit seiner letzten Platte
“Abriendo Puertas ” immerhin schon die goldene und die Platin-Schall-platte gewonnen hat. Ein Knabe, der auf dem Platten-Cover so aussieht wie ein achtzehnjähriger Lateinamerikaner bei der Einschulung ins College in Miami. Der singt über den Niedergang der Liebe im allgemeinen und die Besonderheit der eigenen im speziellen: Amores como el nuestro existen hoy ya menos… Und das kommt dann so gehölt daher, daß man
dem Mann fast die tiefe Verzweiflung über die liebesunfähige Umwelt abnehmen würde, wären da nicht die spritzigen Bläsersätze und die Percussion, die auch diesen Titel zum tanzbaren Hit der Calsa-Diskotheken machen und den Fahrer zu weiterem kurvenreichen Mitswingen ermuntern.
Weniger philosophisch, dafür umso lebensnaher ergänzt die “Miami Band das Musik-Programm im Bus. Mit “Ponte el Sombrero” hat sie einen weiteren Treffer gelandet und ist derzeit gleich mit mehreren Rennern im Geschäft. “Setz dir den Hut auf’ klingt erstmal ziemlich einfältig und erinnert an jene Primitiv-Cumbia, die sich minuten-lang darüber ausläßt, daß dem Sänger der Kaugummi festgeklebt ist (“Se me pegó el chiclet, el chiclet se me pegó”), oder das neue Machwerk des Bahnbrechers der Rap-Reggae-Welle in Mittelamerika, des ebenfalls aus Panama stammenden “General”, der mit “Caramelo” eine Zote darüber singt, daß alle gerne Bonbons essen. Aber “Ponte el Sombrero” von der Miami Band ist anders: Eine Frau will, daß sich ihr Lover einen Präser überzieht. Der lehnt strikt ab -Baby,”no me vengas con eso! -und beruhigt sie -“vertrau mir!” -,woraufhin sie ihn als dummen Lügner beschimpft. Die Message ist klar: Mann, du bist schön, du bist geil, ich will dich, also
setz dir das Hütchen auf.
Die Sängerin -die einzige Frau in der Gruppe neben sieben Männern -präsentiert sich auf dem Cover in Reizwäsche. Die Miami Band hat auch in anderen Hits deutlich gemacht, daß sie mit Emanzipation oder Frauenbewegung nichts am Hut hat, so z.B. “Mini Mini” über den Mini-Rock, den sich “die Frauen anziehen, um die Männer zu provozieren”. Das Frauenverständnis könnte bei Erika Berger entlehnt sein, mit ‘nem Schuß Teresa Orlowski; die Frau ist sich ihrer Sexualität bewußt, deshalb will sie ständig Männer und macht halt das, was denen gefällt -aber mit Präser.
Der “Sombrero” ist schon der zweite Hit in den letzten Jahren, der sich mit Aids auseinandersetzt -zuerst war da die kolumbianische “Sonora Dinamita” mit ihrem Super-Cumbia “EI Sida” (Aids). “Que Se cuiden las mujeres … del Sida, del Sida … Que se cuiden los varones … del Sida, del Sida” Wenn man mal gesehen hat, wie das getanzt wird, nimmt man den Eindruck mit, daß dieses Aufklärungswerk allerdings ziemlich kontraproduktiv gewirkt haben dürfte …
Ruft die Miami Band also immerhin die heterosexuellen Männer zum Gebrauch von Präservativen auf, so gibt es auch klar reaktionäre Polit-Botschaften, die sich in die aktuelle Rap-Reggae-Welle eingeschlichen haben. “No queremos mariflor! ” -Wir wollen keine Schwulen! singt “Nando Boom”. Auch er ist mit mehreren Titeln in den Charts vertreten, liefert stumpfen Rap mit zum Teil höchst militanten Texten: “Kommt ein Schwuler um die Ecke, lade ich meine Kanone durch. Bummbumm, fällt er um, Wahnsinn, wie im Kino! Wir wollen keine Schwulen! Wir wollen keine Schwulen!” Und das Lied ist, als wär’s zum Anti-Schwulen-Gesetz (vgl. LN 217/18) geschrieben, ein Riesenhit in Nicaragua, und nicht nur
dort.
Richtig wohltuend nimmt sich dagegen Rude Girl aus, eine der wenigen Rap-Frauen-Gruppen unter lauter Männern. Ihr “Que es 10 que es” ist freilich kein Hit geworden, beschreiben sie doch die ganze Lächerlichkeit: “Ein Typ sieht dich, kommt näher, und schon geht die Scheiße los -Männer, nehmt Euch in acht, die Frauen machen das nicht mit, bald ist Schluß!”
Die Rap-Welle rollt weiter, der Bus auch. Seltsamerweise werden kaum Lieder vom neuesten Meisterwerk des Juan Luis Guerra gespielt. Sollte das daran liegen, daß der dominikanische Merengue-Sänger auf seiner neuesten Platte “Areito”, die in deutschen werden Weltmusikläden längst zum Verkaufshit geworden ist, noch politischer geworden ist? Pünktlich zum fünfhundertsten Jahrestag der Eroberung 1992 ist sein Aufmacherlied mit Anklagen an neokolonialistische Politik, an die Auswirkungen der Strukturanpassung, an die Korruptheit der Regierungen garniert (s. nebenstehender Text). Da kommen seine Liebeslieder schon besser an, und siehe da, “Frio Frio” tönt nun auch über die Bus-Lautsprecher, passend irgendwie: Frio frio, como el agua del rio -kalt kalt wie das Flußwasser; zieht doch am Fenster einer jener durch die ungeheuren Regenfälle in Ecuadors Hochland so angewachsenen, reißenden Flüsse vorbei. Es wird wärmer draußen, der Bus nähert sich Quevedo, Kälte und Höhenluft der Anden liegen hinter den Fahrgästen, der Fahrer stellt einen neuen Sender ein. Knrrrrschsttt-tüüüüülaaaaaitoelmeneaito, el meneaito, mueve tu cuerpo, mueve tu mano con el meneaito! OK, pues.

El Costo de la Vida

Text: Version von Juan Luis Guerra
Musik: D. Dibla

El costo de la vida sube otra vez
el peso que baja ya ni se ve
y las habichuelas no se pueden comer
ni una libra de arroz ni una cuarta de café
a nadie le importa qué piensa usted
será porque aquí no hablamos inglés
ah ah es verdad (repite)
do you understand?
do you, do you?

Y la gasolina sube otra vez
el peso que baja ya ni se ve
y la democracia no puede crecer
si la corrupción juega ajedrez
a nadie le importa qué piensa usted
sera porque aquí no hablamos frances
ah ah vouz parlez? (repite)
ah ah, non monsieur.

Somos un agujero en medio del mar y el cielo
500 años después
una raza encendida
negra blanca y taína
pero, quién descubrió a quién?
um es verdad (repite)

Ay! y el costo de la vida
pa’rriba tu ves
y el peso que baja
pobre ni se ve
y la medicina
camina al revés
aquí no se cura
ni un callo en el pie
ai-qui-i-qui-i-qui
ai-qui-i-qui-e
y ahora el desempleo
me mordió también
a nadie le importa,
pues no hablamos inglés
ni a la mitsubishi
ni a la chevrolet

La corrupción pa’rriba
pa’rriba tu ves
y el peso que baja
pobre ni se ve
y la delincuencia
me pilló esta vez
aquí no se cura
ni un callo en el pie
ai-qui-i-qui-i-qui
ai-qui-i-qui-e

Y ahora el desempleo
me pilló esta vez
a nadie le importa
pues no hablamos inglés
ni a la mitsubishi
ni a la chevrolet
um es verdad (repite)

Ein Tröpfchen auf den glühenden Stein

Die scheinbar gute Nachricht kam Anfang März 1993 aus Bolivien. Den Unterhändlern des Landes ist es gelungen, mittels mehrerer Mechanismen die Schulden gegenüber den ausländischen Privatbanken auf Null zu reduzieren. Im Kern laufen diese Mechanismen darauf hinaus, daß es Bolivien gestattet wird, die Schuldentitel zu einem Preis von 16 Prozent des ursprünglichen Wertes von den Gläubigerbanken zurückzukaufen, was praktisch einem Erlaß von ungefähr fünf Sechsteln der Schulden gleichkommt. Vergleicht man das damit, daß 1953 der unter den Kriegsfolgen leidenden Bundesrepublik nur gut die Hälfte der Schulden erlassen wurden, so scheint das eine generöse Geste der ausländischen Privatbanken zu sein, die der Nachahmung und Ausdehnung wert wäre.
Scheint aber nur. Um die Grenzen und die wirkliche Bedeutung dieses Verhandlungsergebnisses zu ermessen, bedarf es einiger zusätzlicher Informationen:

Nichts mehr zu holen

Erstens machen die Schulden Boliviens gegenüber den ausländischen Privatbanken überhaupt nur einen geringen Teil der Auslandsschuld des Landes aus. Nominell betrugen sie vor einem Jahr etwa 680 Millionen US-Dollar, während sich die Gesamtschuld bis heute auf 3,7 Milliarden US-Dollar beläuft. Die übrigen Schulden bestehen bei internationalen Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) sowie bei anderen Staaten. Die Finanzorganisationen sind von ihren Statuten her gezwungen, auf die Durchsetzung von Zahlungsdisziplin – um der “Kreditfähigkeit” der Länder willen – zu drängen und erlassen deshalb grundsätzlich keine Schulden. Und die anderen Staaten kennen immer noch ärmere Länder, denen aus Gründen der “Gerechtigkeit” zuerst die Schulden erlassen werden müßten. Da das aber seine Zeit braucht, wird nie was draus. Kurz: Bolivien behält den größten Teil seiner Schulden.
Zweitens ändert sich nichts Entscheidendes – im Unterschied zu London 1953. In den letzten zehn Jahren hat Bolivien als Ergebnis seiner Auslandsschuld durchschnittlich jedes Jahr 250 Millionen US-Dollar netto an Zinsen und Kapitalerträgen ins Ausland transferiert. Da der Wert der Warenexporte des Landes in dieser Zeit zwischen 500 und 800 Millionen US-Dollar schwankte und für unbedingt erforderliche Einfuhren draufging, waren die Zinsen nur zu bezahlen, indem die Gläubiger die notwendigen Summen erneut zur Verfügung stellten. Mit anderen Worten: Es wurde nur noch die Fiktion aufrechterhalten, daß das Land zahlungsfähig und damit “kreditwürdig” sei. In Wirklichkeit sind die Schulden längst unbezahlbar.
Das ist nun drittens nichts Neues, und deshalb hätte eigentlich schon 1987, als die Verhandlungen zwischen Bolivien und den Privatbanken begonnen, mit der Einsicht gerechnet werden dürfen, daß da nichts mehr zu holen sei. Aber es hat noch ganze sechs Jahre gedauert, bis eine Einigung zustandekam. Insgesamt 131 Banken mußten ihren Segen zu dem Deal geben, wobei peinlich darauf zu achten war, daß keine besser behandelt wurde als die andere. Ein Teil der Schuldentitel wurde in dieser Zeit auch im Rahmen sogenannter “debt for nature swaps” zu niedrigen Kursen von internationalen Organisationen aufgekauft und für Zwecke des Naturschutzes in Bolivien eingesetzt.
Während die Bundesrepublik mit dem Londoner Abkommen von 1953 ihre Kreditfähigkeit wiedergewann und die deutschen Unterhändler mit dem Bankier Hermann Josef Abs an der Spitze darüber besonders stolz waren, ist die Abmachung Boliviens mit den ausländischen Privatbanken geradezu die Besiegelung der totalen Kreditunwürdigkeit des Landes. Schon 1987 erklärte der Botschafter des Landes in den USA: “Die Banken machen das Geschäft mit uns nur, weil wir ihnen zugesagt haben, auf lange, lange Jahre hinaus nicht mehr mit Kreditwünschen an sie heranzutreten.” In der Tat: Ein Land, das nur ein Sechstel seiner Schulden begleichen kann und danach immer noch hohe Schulden hat, ist kein seriöser Partner.
Für die zehn oder elf beteiligten deutschen Banken war der lange Zeitraum der Verhandlungen noch einmal ein besonderer Gewinn, weil sie die Kredite schon vor langer Zeit zu 80 bis 90 Prozent steuersparend abgeschrieben hatten, gleichwohl aber in der ganzen Zeit die Zinsen und jetzt noch einmal 16 Prozent der Gesamtschuld einstreichen konnten.

Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder

Zur Nachahmung taugt das Beispiel nicht, weil die Banken nicht auf Dauer zulassen können, daß die verschuldeten Länder ihre Schuldentitel selbst zu dem Preis zurückkaufen, der auf dem freien Markt dafür gezahlt wird. Denn dann bräuchten die Länder nur keine Zinsen mehr zu zahlen, und schon wären die Schulden nichts mehr wert. Dieser traurige Zustand ist gegenwärtig in Nicaragua, dessen Schuldentitel zu sechs Prozent ihres ursprünglichen Wertes gehandelt werden, beinahe erreicht.
Länder, die auf die zukünftige Zufuhr von privatem Kapital noch Wert legen, müssen deshalb darauf achten, daß ihre Schuldentitel auf dem sogenannten Sekundärmarkt zu einem möglichst hohen Prozentsatz gehandelt werden. So ist denn auch die chilenische Regierung ganz besonders stolz, daß die chilenischen Schuldenpapiere inzwischen zu 90 Prozent gehandelt werden. Kolumbien mit seinen Drogengeldern und Uruguay haben inzwischen über 75 Prozent erreicht, Mexiko, Costa Rica und Venezuela liegen bei über 60 Prozent, und Argentinien nähert sich inzwischen auch den 50 Prozent.
Würden diese Länder ihre Schulden zu diesen Prozentsätzen zurückkaufen wollen, dann wären sie sofort pleite. Sie werden also mit ihren hohen Schulden weiterleben müssen. Sobald sie aber trotz der schweren Zinsenlast wirtschaftliche Erfolge erreichen, verschwindet die Bereitschaft der Gläubigerbanken zu einem Schuldenerlaß völlig.
“Germanwatch” ist zuzustimmen: Ein Schuldenerlaß für die Länder Lateinamerikas und überhaupt der Dritten Welt nach dem Vorbild von London 1953 wäre nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch ein Zeichen ökonomischer Vernunft. Der Deal Boliviens mit den ausländischen Privatbanken aber ist nur ein winziges Tröpfchen auf einen glühenden Stein.

Mr. Clean, Mr. Washington und Mr. Broker

Nationale und internationale Reaktionen

Ob der Wunschkandidat der USA bei den Präsidentschaftswahlen von 1990 die Aufhebung des von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verhängten Embargos erreichen wird, muß angesichts der fast einhelligen internationalen Ablehnung seiner Wahl zumindest vorerst bezweifelt werden. Mit Ausnahme des Vatikans weigerten sich alle Staaten, VertreterInnen zur offiziellen Amtseinführung Bazins zu schicken.
Auch innerhalb Haitis stieß Bazins Ernennung zunächst auf breite Ablehnung. Nach der Bestätigung durch das Parlament hielten die Proteste der haitianischen Bevölkerung an. Während Teile der “sozialistischen” PANPRA offenbar mit den neuesten Entwicklungen zufrieden sind, bemüht sich die dem legitimen Staatspräsidenten Aristide nahestehende FNCDH (Nationale Front für Veränderung und Demokratie), nach außen ein geschlossenes Bild der Ablehnung zu geben. Ein Senatsmitglied, das für Bazin gestimmt hatte, wurde aus der Partei ausgeschlossen. Jedoch weisen Berichte aus Haiti darauf hin, daß es auch innerhalb der FNCDH Sympathien für das Regierungsprogramm des neuen Ministerpräsidenten gibt.

Herausragende Eigenschaft: Politische Flexibilität

Mit Bazin haben die Militärs einen Mann zum Ministerpräsidenten erkoren, der bereits in der Vergangenheit bewiesen hat, sich mit den jeweils dominierenden Machtinteressen in Haiti arrangieren zu können. Als Finanzminister unter dem Diktator Duvalier machte sich Bazin mit einer Anti-Korruptionskampagne einen Namen: Mr. Clean. Ebensowenig brachte der Sturz Duvaliers 1986 Bazin in Verlegenheit. Durch seine enge Anlehnung an die USA galt Bazin in seiner neuen Rolle des Mr. Washington als Fürsprecher des sicheren Übergangs Haitis in eine Demokratie westlichen Zuschnitts. 1990 bei seiner Kanditur bei den Präsidentschaftswahlen gegen Aristide klar gescheitert, spielte Bazin auch nach dem Militärputsch vom vergangenen September keine Hauptrolle auf der politischen Bühne, bis er vor wenigen Wochen als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt in die Diskussion gebracht wurde. Als – nach eigenen Worten – ehrlicher “Makler” für die Interessen aller HaitianerInnen stellte er unter seinem neuen Pseudonym, Mr. Broker, am 12. Juni sein neues Kabinett vor, in dem ausschließlich PolitikerInnen stehen, die den Staatsstreich unterstützt haben.

“Der Putsch war ein Betriebsunfall auf dem Weg zur Demokratie”

Mit den Worten, der Putsch sei nur ein Betriebsunfall auf dem Weg zur Demokratie gewesen, machte Bazin klar, daß er die Position der Militärs vorbehaltlos anerkennen würde. Gleichzeitig erklärte Mr. Broker seine Bereitschaft, mit Aristide über dessen Rückkehr zu verhandeln. Zentrale Bedingung sei allerdings Aristides Verzicht auf die Forderung, Raoul Cédras, den Anführer des Putsches, als Oberkommandierenden der Streitkräfte zu entlassen. Angesichts dieser nahezu unzumutbaren Bedingung wird die Strategie der MachthaberInnen in Port-au-Prince überdeutlich. Sollte Aristide an seinen Forderungen festhalten, könnte er der Weltöffentlichkeit als derjenige vorgeführt werden, der jede Lösung der Krise in Haiti blockiert. Für den eher unwahrscheinlichen Fall der Zustimmung Aristides wäre die Spaltung der Lavalas-Bewegung absehbar, während gleichzeitig ein seiner Kompetenzen beraubter Präsident als Beruhigungsmittel für die Bevölkerungsmehrheit noch immer tauglich wäre.
Doch ganz egal, welchen Verlauf die Verhandlungen mit Aristide nehmen werden: die Machtcliquen in Port-au-Prince spielen erneut auf Zeit und hoffen, zumindest mittelfristig die internationale Anerkennung des gewaltsam hergestellten Status quo zu erreichen. Nach der Aufhebung des OAS-Embargos könnte Bazin dann endlich sein Wirtschaftsprogramm in die Tat umsetzen, das einerseits umfassende Privatisierungen und andererseits den Aufbau einer Exportwirtschaft durch die Ansiedlung von Billiglohnindustrien vorsieht. Um sich dabei der Hilfe der USA zu vergewissern, hat Bazin bereits von der Möglichkeit eines US-Militärstützpunktes im Norden Haitis als Ersatz für das kubanische Guantánamo gesprochen.

Verstöße gegen das Embargo

Bisher zeigten die Präsidenten der amerikanischen Staaten offiziell wenig Bereitschaft, das Embargo zu lockern. Die New York Times berichtete in ihrer Ausgabe vom 6. Juni sogar über Pläne, eine multinationale Eingreiftruppe nach Haiti zu entsenden. US-Präsident George Bush dementierte diese Berichte umgehend und sprach sich stattdessen dafür aus, das Handelsembargo zu verschärfen. Bei einem Treffen in Caracas am 14. Juni arbeiteten die Präsidenten Venezuelas, Frankreichs und der USA, Carlos Andres Pérez, François Mitterand und George Bush, sowie Brian Mulroney, der Ministerpräsdent Kanadas, neue Pläne zur strikteren Anwendung des Embargos aus. Die mit Abstand skurrilste Begründung für diese Maßnahme gab Andres Pérez, der die Putschversuche in Peru und in seinem eigenen Land auf den “perversen Einfluß” der PutschistInnen in Port-au-Prince zurückführte.
Nach Angaben des US-Bundesrechnungshofes in Washington wird das Embargo fortwährend durchbrochen. Nicht nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die sich offiziell nicht dem OAS-Embargo angeschlossen hat, verstießen gegen die Handelsblockade, sondern auch Mitgliedsländer der OAS. Brasilien liefert Stahl, Argentinien Chemikalien, Kolumbien Öl, Venezuela Verbrauchsgüter und die Dominikanische Republik Reifen und Dieselmotoren.

Kritik an der Flüchtlingspolitik der USA

BeobacherInnen in Washington sehen im Eintreten der Bush-Administration für eine schärfere Handhabung des Embargos ein Manöver, das von der Auseinandersetzung um die eigene Flüchtlingspolitik ablenken soll. Nachdem Bush die Schließung des US-Stützpunktes in Guantánamo für haitianische Flüchtlinge verfügt hatte, mehrten sich die kritischen Stimmen innerhalb des Kongresses, die die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme bezweifelten. Sie verwiesen darauf, daß die EinwanderungsbeamtInnen in Guantánamo einem Drittel der Flüchtlinge gestattet hätten, einen Asylantrag in den USA zu stellen. Mit der Schließung Guantánamos und dem Abfangen von Flüchtlingsbooten in internationalen Gewässern verstoßen die USA sowohl gegen das eigene Einwanderungsgesetz als auch gegen die internationale Flüchtlingskonvention. Auch der zynische Ratschlag des Regierungssprechers Boucher, die HaitianerInnen könnten schließlich direkt in der US-Botschaft in Port-au-Prince einen Asylantrag stellen, hat den Protest von Oppositionellen und Menschenrechtsgruppen in den USA entfacht. Sie verweisen darauf, daß die Botschaften in der haitianischen Hauptstadt einerseits durch hohe Zäune und andererseits durch Kontrollen des Militärs absolut unzugänglich sind. Es gibt eine Vielzahl von Berichten über Menschen, die beim Versuch, in die US-Botschaft zu gelangen, verhaftet wurden und seitdem nicht wieder aufgetaucht sind.
Auch die Staaten in der Karibik reagierten auf den Beschluß der USA, Guantánamo zu schließen, mit Ablehnung. “Die US-Entscheidung könnte ein großes Problem für andere Länder schaffen”, kommentierte ein Angehöriger des Außenministeriums von Jamaika. Die Bahamas haben ihre Küstenwache angewiesen, Flüchtlinge noch auf hoher See abzufangen und zurück nach Haiti zu schicken. Menschen, denen es trotzdem gelingt, die Bahamas zu erreichen, werden unter dem Vorwurf der illegalen Einreise inhaftiert. Auch Kuba kündigte an, haitianische Flüchtlinge auf dem Luftweg zu repatriieren.

Bazin: Der Weizsäcker der Karibik?

Nachdem nun nahezu alle Fluchtwege abgeschnitten sind, hat sich die Lage der HaitianerInnen rapide verschlechtert. Das OAS-Embargo hat mehr als 150.000 Menschen den Arbeitsplatz gekostet, ohne die wirtschaftlichen Eliten des Landes empfindlich zu treffen. Infolge einer Dürrekatastrophe steht dem Land eine Mißernte bevor, die unausweichlich zu einer Hungersnot führen wird, wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht ihre Hilfslieferungen ausdehnt.
Die Militärs reagieren mit unverminderter Brutalität auf jede Form des Protests gegen die neuen MachthaberInnen. ZeugInnen berichten immer wieder von nächtlichen Gewehrsalven in den Armenvierteln der Städte sowie von Leichen, die am nächsten Morgen auf offener Straße gefunden werden. Trauriger Höhepunkt der Repression war ein Anschlag auf “La Fami Se Lavi”, ein Heim für Straßenkinder, das von Aristide eingerichtetet worden war und am Abend der Bestätigung Marc Bazins durch den haitianischen Senat in Flammen aufging.
Während sich auf der politischen Bühne mit der Wahl Bazins vordergründig betrachtet Bewegung ergeben hat, droht die Krise für die Bevölkerung Haitis unvorstellbare Ausmaße anzunehmen. So wird der deutsche SPIEGEL wohl noch lange vergeblich nach einem “Weizsäcker der Karibik” suchen müssen, der den Weg aus der Krise weist. Marc Bazin, alias Mr. Clean, alias Mr. Washington, alias Mr. Broker, taugt zu wenig mehr als zu einem karibischen Mr. Zelig, einem politischen Chamäleon, das sich geschickt jedem politischen Wandel anzupassen weiß.

In der “Musterdemokratie” zer­bröckeln die Illusionen

Venezuela fällt aus dem lateinamerikanischen Rahmen: Die großen Erdölvorräte veränderten seit dem Beginn ihrer Ausbeutung in den 30er Jahren die politische und ökonomische Struktur des bis dahin armen Agrarstaates im Norden Südamerikas. Vorher war das Land in von einzelnen Caudillos regierte Regionen zersplittert, die Bevölkerung war abhängig von ihren jeweiligen Grundherren. Mit dem Öl folgte eine Phase der Diktaturen mit wenigen demokratischen Zwischenphasen. 1958 besiegelte der Pacto de Punto Fijo die bis heute gültige Partei­endemokratie, der viele einen Mustercharakter in Lateinamerika attestieren.
Dennoch kann von einer Musterdemokratie in Venezuela keine Rede sein. Der venezolanische Staat ist, vergleichbar mit anderen lateinamerikanischen Ländern, zutiefst populistisch-paternalistisch geprägt. Kurz vor den Wahlen werden in ei­nem finanziell und inhaltlich bizarren Wahlkampf plötzlich Straßen geteert oder Stromleitungen gelegt. Da erreicht die staatliche “Fürsorge” sogar die “Ranchos”, die Armenviertel von Caracas, in denen mehr als die Hälfte der rund sechs bis sieben Millionen Caraceños lebt.
Durch die hohen Öleinkommen war eine Rentenideologie, die auf Pump lebte und strukturelle Entwicklungsprobleme weitgehend ausblendete, bislang in hohem Maße konsensfähig und ohne große Konflikte möglich. Korruption und Pa­tronage im großen Stil prägen nicht nur die Regierungsgeschäfte und das Rechts­system, sondern sind auch im täglichen Leben maßgeblich. Doch nicht nur des­halb ist die öffentliche Meinung über Politiker, Regierung und Behörden auf dem Nullpunkt angelangt.
In den 70er Jahren konnte der Staat seinem paternalistischen Anspruch, für seine BürgerInnen “zu sorgen”, zumindest zeitweise gerecht werden, da der öffentliche Sektor durch die gerade vonstatten gegangene Nationalisierung des Erdöls und eine hohe Neuverschuldung noch über ausreichend Geld verfügte. Heute jedoch hat die permanente Erfahrung uneingelöster Versprechungen ein zunehmendes Mißtrauen gegenüber dem demokratischen System und den Politikern ausgelöst: “Prometen, pero no cumplen”, sie versprechen viel, aber halten’s nicht.
Zusätzlich führte die Tatsache, daß die Parteien und damit der Staat sich lediglich vor den Wahlen ernsthaft um die Wähler und ihre Probleme kümmern, ins­besondere in der letzten Zeit zu einem weitgehendem Vertrauensverlust in den Staat, zu Hoffnungslosigkeit und Resignation in den unteren sozialen Klassen. Immer weniger glauben sie daran, daß der Staat ihre Le­benssituation verbessern könne oder dies überhaupt ernsthaft wolle.

Konformismus, Aufsteigermentalität und Resignation liegen dicht beieinander

Gleichzeitig und vordergründig widersprüchlich beherrscht viele Menschen eine Art “Tellerwäschermentalität”, die jede Armut auf individuelles Versagen zurückführt, den Staat und die Gesellschaft von jeder Schuld freispricht und die Hoffnung auf den “großen Sprung nach oben” manifestiert. Man hofft, eines Tages dem Elend entrinnen zu können; wer dies nicht schafft, ist selber Schuld und hat seine Chance verpaßt. Auch das venezolanische Fernsehen läßt kaum eine Möglichkeit verstreichen, den Armen zu zeigen, wie unfähig sie sind, und ver­stärkt damit die gesellschaftliche Spaltung und Hierarchie nicht nur zwischen den Klassen, sondern auch innerhalb der marginalisierten Gruppen selbst.
Unter solchen Bedingungen liegen Konformismus, Aufsteigermentalität und Resignation dicht bei­einander. Ein “Klassenbewußtsein” ist in Venezuela kaum ver­breitet. Maßgeblichen Einfluß hatte in dieser Hinsicht die enge Anlehnung an die USA, auch über die Erdölgesellschaften und ihre Arbeiter (Trotzdem sind die “Gringos” in Venezuela, wie auf dem gesamten Subkontinent, äußerst unbeliebt).
Diese Mentalität trug mit dazu bei, daß soziale Bewegungen und Selbsthilfeinitiativen lange Zeit ein Schattendasein führten. Auch der zentralisierte Staat verhinderte bisher trotz der Wahlen und der Verankerung der Parteien eine echte Partizipation an den Entscheidungen. Neue Bemühungen um eine staatliche wie institutionelle Dezentralisierung könnten die Voraussetzungen für eine stärkere Bürgerbeteiligung schaffen; wohin sich die Reformen jedoch tatsächlich entwic­keln, ist momentan noch nicht absehbar.
Als die mit großen Hoffnungen gewählte Regierung von Carlos Andres Pérez in vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem IWF im Februar 1989 harte wirtschaftliche Maßnahmen durchsetzte, waren gewaltige Unruhen und immense Plünderungen die Folge (vgl. LN Nr. 180). Sowohl das Militär als auch im Unter­grund in den Ranchos arbeitende Gruppen nutzten die Gelegenheit zu einer of­fenen Konfrontation, in deren Folge durch das brutale Vorgehen der Militärs – auch gegenüber Unbeteiligten – mehrere Hundert Menschen ermordet wurden. Nach wie vor gibt es zahlreiche Verschwundene und immer noch fast täglich To­desanzeigen in den Zeitungen von den Kämpfen.
Diese Ereignisse haben zwar nicht zu einer breiteren Opposition geführt, hatten aber dennoch Auswirkungen auf die poltische Kultur. Hand in Hand mit den sich verschlechternden ökonomischen Bedingungen der Mehrzahl der Bevölkerung, haben fast alle inzwischen den letzten Rest Vertrauen in den Staat und seine Akteure verloren. Die Menschen glauben an praktisch nichts mehr, was “von oben kommt”. Steigende politische Repression und die traumatischen Ge­schehen vom Frühjahr 1989 machen Angst und hemmen politische Aktivitäten.
Die zunehmende Aussichtslosigkeit der Hoffnung auf den “großen Sprung”, den sozialen Aufstieg, vor allem unter den Jugendlichen der städtischen Barrios, und der Vertrauensverlust in bezug auf die Politik begünstigt nun eine Entwicklung, die ihren eigentlichen Anfang einmal in der Mittelschicht nahm: die Stadtteilinitiativen (Asociaciónes de vecinos) oder auch Selbsthilfegruppen.
Sie sind eine Form von Bürgerinitiativen, die sich um alle Belange des eigenen Stadtviertels kümmern, vor allem jedoch um die von den zuständigen Behörden vernachlässigten Probleme. Einen unmittelbar an der Verbesserung der Lebens­bedingungen orientierten Ansatz haben die Vecino-Gruppen in den Barrios pobres, während die Gruppen der Mittelschicht zudem allgemeiner politisch und partei­enunabhängig wirken wollen. In Caracas sind die Wohnlagen klar getrennt: Die unteren Schichten wohnen ganz oben an den Hängen; je weiter unten die Woh­nung, desto besser gestellt sind die Leute.
Ein Hindernis der Stadtteilarbeit in den Barrios war vor allem deren heterogene Zusammensetzung, die immensen Einkommensunterschiede auch innerhalb der “Unterschicht”, und die daraus folgende Hierarchisierung. Diese erschwerte oft eine Solidarisierung, die ihrerseits jedoch Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit ist.
Die staatliche Haltung den Gruppen gegenüber ist charakteristisch für das System Venezuelas: Zwar wurden die Vecino-Vereinigungen 1979 und verstärkt dann 1990 durch eine Gesetzesreform institutionalisiert, mit Rechten und Pflichten ausgestattet und 1988 sogar in die Stadt- und Gemeindeplanung miteinbezo­gen; doch werden ihre Aktivitäten vielfach nur solange begrüßt, wie sie propa­gandistisch ausgenutzt werden können. Ansonsten erfolgen die typischen Maß­nahmen, die übliche Hinhalte-Taktik, Versprechen und Nicht-Einhalten oder auch Einschüchterungsversuche. Manche Gemeinden jedoch versuchen auch, ernsthaft mit den Vecinos zusammenzuarbeiten.
Auch im Umweltbereich gibt es verstärkte Initiativen “von unten”, weil die Umweltsituation in Venezuela sich katastrophal darstellt und wenige staatliche Be­mühungen ernst zu nehmen sind. Ein Beispiel ist die Sociedad Conservacionista Aragua, die es in über 17 Jahren Arbeit geschafft hat, basisorientiert zu arbeiten, ohne sich etwa von den Parteien korrumpieren zu lassen – eine Gefahr, die bei allen Gruppen latent existiert und wodurch viele, auch der Vecino-Gruppen, ihre Glaubwürdigkeit und politische Energie verlieren.

Je weniger Funktionen der Staat noch erfüllt, desto wichtiger werden die Basis-Organisationen

Die Sociedad Conservacionista arbeitet im wichtigen Bereich Umwelterziehung direkt an den Schulen, mittels der Lokalzeitung und mit Hilfe ihrer Umweltbiblio­thek; daneben aber beispielsweise auch mit arbeitslosen Jugendlichen, die in der Feuerbrigade helfen, im naheliegenden Nationalpark während der Trockenzeit Brände zu löschen und in der Regenzeit bei der Aufforstung tätig sind. Die Zu­sammenarbeit mit anderen Umweltgruppen und der Versuch, auch die staatli­chen Institutionen für dieses Thema zu sensibilisieren, werden immer unerläßli­cher.
Diese zwei Bereiche – Asociaciones de vecinos und die Sociedad Conservacionista Aragua als ein Beispiel für Umweltorganisationen – zeigen, daß auch in einem Land mit traditionell wenig Basisorganisation wie Venezuela, diese umso wichtiger wird, je weniger der Staat solche Funktionen erfüllt.
Die Illusion seitens der Bevölkerung, einmal den großen Sprung in die reiche Gesellschaft schaffen zu können, die Wunschträume, der Staat sorge dann wenig­stens für diejenigen, die aus eigenem Versagen arm bleiben, und die Hoffnung der Politiker, die Widersprüche kapitalistischer Entwicklung mit Hilfe des Öl­reichtums umgehen zu können – alle diese während 30 Jahren Demo­kratie ge­pflegten Illusionen zerbröckeln langsam.
In Venezuela wird seit einigen Jahren immer deutlicher, daß bei sich verschlechternden ökonomischen und konfliktiver werdenden politischen Verhältnissen die Notwendigkeit, sich selbst zu organisieren, immer größer wird. Hierin liegen auch Chancen, die politische Kultur partizipativer und damit demokratischer zu gestalten. Inwieweit es gelingt, den äußerlich negativen Entwicklungen eine sol­che positive Wendung zu geben, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob der Staat ohne Eingreifen des Militärs die Freiräume läßt, daß die Menschen immer mehr Vertrauen in die eigene Kraft und die eigenen Erfolge entwickeln können.

Kasten:

Wir, die Gesellschaft für Umwelt- und Naturschutz in Venezuela (GUNV) sind ein 1990 gegründeter gemeinnütziger Verein, der sich bislang noch überwiegend aus StudentInnen der Geographie in Bonn zusammensetzt, was aber nicht so bleiben soll. Wir wollen vor allem zwei Hauptaufgaben erfüllen: Die finanzielle Unterstützung von Projekten im Bereich Umwelterziehung in Zusammenarbeit mit der Sociedad Conservacionista Aragua als einen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen dort. Schon seit längerem pflegen wir sehr enge Beziehungen zu dieser Organisation.
Der zweite Teil ist die Sensibilisierung von Menschen hier in bezug auf Umwelt- und Entwicklungsprobleme über eine möglichst breite Öffentlichkeitsarbeit, be­sonders zu dem in der “Entwicklungsszene” ziemlich vernachlässigten Vene­zuela. Für an diesem Land interessierte Leute wollen wir gerne Ansprechpartner sein, neue Mitglieder und Spenden würden wir sehr begrüßen!

Kontaktadresse: Hilde & Martin Selbach, Burbacher Str. 80, 5300 Bonn, Tel. 0228/231643 oder bei Autorin: 02222/63261;
Kontonummer: 251140 bei Sparkasse Bonn BLZ: 38050000.

Die schier unglaubliche Mobilisierung eines Volkes

LN: Wie erklärst Du die neu erwachten Hoffnungen auf Haiti?

Pierre Toussaint ROY: Auch wenn es seltsam klingt, der erste Grund sind die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die sich durch die Gewalt gegen das Volk aufgestaut hatten.
Der zweite Grund ergibt sich daraus, daß die neue Regierung wirklich ein Ausdruck des Volkes ist. Es hat keine politische Partei gewonnen, an die das Volk sowieso nicht glaubt, sondern die Volksorganisationen haben ihren Kandidaten durchgesetzt. Inmitten der Hoffnungslosigkeit haben sich seit ein paar Jahren innerhalb der Kirche BäuerInnen-, Frauen- und Jugendgruppen gebildet. Die konservativen Kreise der katholischen Kirche haben den Armen ihre Strukturen zur Verfügung gestellt und kleine Entwicklungsprojekte gestartet. aber die Leute haben innerhalb dieser Strukturen ihre eigenen Organisationen geschaffen.
Die Volksorganisationen sind jetzt an die Macht gelangt, diese Regierung ist ein Produkt der Arbeit des Volkes. Zuerst waren sie gegen die Wahlen, weil es keine Alternative zu dem Kandidaten der USA gab. Doch als die Tontons Macoutes einen Kandidaten aufstellten, gingen sie auf die Suche nach einem aussichtsreichen Gegenkandidaten.
Aristide hatte schon einige Male abgelehnt. Als er diesmal zusagte, erfüllte er einen ausdrücklichen Wunsch des Volkes. In seiner Arbeit ist er mit dem Volk gegangen, hat mit dem Volk gekämpft und mit dem Volk gelitten. Deshalb stellt er eine Hoffnung dar. Auch wenn kaum Zeit war, um ein klares Regierungsprogramm auszuarbeiten, weil alles so schnell ging.

LN: In welcher Form hat das Volk Aristide unterstützt?

P.T.R.: Das läßt sich an drei Momenten der letzten Monate verdeutlichen, an den Wahlen, dem Putschversuch und der Amtsübergabe.
Haiti hat sechs Millionen EinwohnerInnen. Davon sind drei Millionen wahlberechtigt. Als die USA ihren Kandidaten, Marc Razin, einen ehemaligen stellvertretenden Direktor der Weltbank, aufstellten, erwartete man zwischen 30 und 40 Prozent Wahlbeteiligung. Als die Volksorganisationen Aristide als Kandidaten präsentierten, hatten sich 2 Millionen WählerInnen ins Wahlregister eingeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt blieb nur noch eine Woche bis zur verlangten eine Million Menschen, eingeschrieben zu werden, sodaß die Frist um eine Woche verlängert werden mußte. Es war also von vornherein klar, daß über ein Drittel der WählerInnen für Aristide stimmen würde. Und kein Kandidat konnte auf Wahlveranstaltungen nur ein Zehntel der Menschen zusammenbringen, die zu Aristide kamen.
Genauso spontan mobilisierte sich das Volk beim Putschversuch am 7. Januar. Dort war es deutlich: Ihr Kandidat hatte schon gewonnen und viele Hoffnungen geweckt.
Als die konservativen Kräfte mit dem Putsch versuchten, die Machtübernahme zu verhindern, gingen die Leute auf die Straße. Es war völlig erstaunlich: Ohne irgendeine Koordination reagierten die Leute in allen Landesteilen in gleicher Weise. Sie wissen genau, wer ihr Feind ist. Sie wissen genau, wer ein Tonton Macoute ist. Und so griffen sie sie sofort an. Sie zerstörten ihre Häuser, griffen sie auf und verbrannten sogar viele von ihnen.
Es gibt Versionen, denen zufolge die Militärs ihre Unterstützung für die Tontons Macoutes zurückzogen, als sie sahen, daß die Menschen auf den Straßen zum Äußersten bereit waren. Denn anstatt die reignisse vor dem Fernseher zu verfolgen, griffen die Leute ein. Einige mit ihren Fäusten, andere mit Stöcken. Sie gingen auf die Straßen, blockierten sie mit brennenden Autoreifen und bauten Barrikaden, um die Tontons Macoutes an der Flucht zu hindern. Das Volk bewachte die Barrikaden, verfolgte die Macoutes und bewegte sich auf den Nationalpalast zu. Dort hatten sich die Putschisten verschanzt.
So wurde das gemacht. Und es wurde in Port-au-Prince, in Capo Haitien und an vielen Orten überall so gemacht. Die Leute haben in den letzten sechs Jahren seit dem Sturz der Diktatur darin Erfahrungen gesammelt.
Und vor dem Nationalpalast sammelten sich immer mehr Menschen. Offiziell und auch in den Zeitungen wird behauptet, daß die Militärs nicht am Putsch teilnahmen, daß das Militär nach einem Schußwechsel den Nationalpalast besetzte und die Tontons Macoutes festnahm. Aber die Version der Volksorganisationen ist eine andere.Als der Anführer der Putschisten sich zum Präsidenten erklärte, beschlossen die Leute, zu kämpfen. Die Militärs, die sich nach dieser Version sehr wohl am Putsch beteiligt hatten, verließen den Nationalpalast und zogen sich in ihr Hauptquartier zurück. Von dort aus sahen sie, daß die Menschen viele Tontons Macoputes verbrannt hatten und dabei waren, den Nationalpalast zu stürmen. Mit all ihren Waffen hätten sie nicht Tausende von Menschen aufhalten können, die von allen Seiten kamen. Deshalb beschlossen die Militärs, die Tontons Macoutes zu verhaften.
Die gleichen Menschen gingen auch bei der Amtsübernahme auf die Straße. Dadurch, daß sie schon Tage zuvor die Wohnviertel säuberten, die Straßen schmückten und die Mauern mit Bildern bemalten, zeigten sie ihren Willen und ihre Fähigkeit, sich an der Regierung zu beteiligen.
Und auch Aristide drückte dies bei seiner Rede vor dem Nationalpalast aus. Noch nie hat ein Präsident während einer offiziellen Zeremonie so geredet wie Aristide. Wie auf seinen Predigten fragte er etwas und die Leute antworteten. Zum Beispiel: “Viele Hände?”, und die Menge antwortete: “Erleichtern die Last!”.
Diese ganzen Mobilisationen sind eine Warnung an die konservativen Kräfte und auch an die USA. Sie sollen sehen, daß die Menschen mit ihrem Leben diese Volksregierung verteidigen werden.

LN: Die drei Hauptpunkte in Aristides Programm sind Gerechtigkeit, Transparenz und Partizipation. Auf welche Weise wird sich das Volk an der Regierung beteiligen?

P.T.R.: Dazu muß nur die Verfassung angewandt werden. Sie stammt von 1987 und wurde damals von fast 100% der HaitianerInnen befürwortet. Darin ist festgelegt, daß es außer dem nationalen Parlament mit zwei Kammern auch eine Nationalversammlung der Volksorganisationen geben soll. Sie setzt sich aus RepräsentantInnen der neun Provinzversammlungen zusammen. Diese wiederum werden aus den Kreisversammlungen gebildet. Die neue Regierung sieht vor, daß die Provinzversammlungen von den Gemeinde- und Stadtteilkomitees ausgehen sollen. Diese Komitees gibt es im ganzen Land und sind der vielfältige Ausdruck der Volksbewegung. So ist es im Regierungsprogramm festgelegt, das übrigens “Die Gelegenheit am Schopfe packen” heißt.

LN: Und wie gestaltet sich das Verhältnis zur Kirche?

P.T.R.: Es gibt wie fast überall in Lateinamerika den konservativen Teil der Kirche, dem die Kirche der Armen gegenübersteht, die die Theologie der Befreiung vertritt. In Haiti gibt es drei Bischöfe auf der Seite der Armen, einige Unentschiedene und drei völlig Konservative. Der schlimmste ist der Erzbischof von Port-au-Prince, Francois Ligondé. Und auch hier hat das Volk reagiert.
Am 1. Januar hat Ligondé Aristides beschimpft. Einen Bolschewisten, Sozialisten, Diktator nannte er ihn. Sechs Tage später, beim Putschversuch, erinnerte sich das Volk sofort an diese Worte und bewertete sie im Nachhinein als Signal für die Vorbereitung des Putsches. Deshalb war der Bischof einer der ersten, der am siebten Januar angegriffen wurde.
Zuerst hieß es, er sei im Sitz der Bischofskonferenz. Die Leute gingen hin, plünderten und zerstörten den Sitz. Dann hieß es, Ligondé sei in seinem Haus. Als die Leute dort angelangten, war es schon von Polizisten besetzt, und so gelangten sie nicht hinein. Aber die Polizisten meinten, er halte sich in der alten Kathedrale versteckt. Also gingen die Manschen dorthin und brannten die alte Kathedrale nieder. Und so zog die Menge zu allen Orten, an denen sie den Bischof vermutete, durchsuchte und plünderte sie. Es heißt, daß Ligondé mittlerweile das Land verlassen hat.
Dies zeigt, daß die konservativen Teile der Kirche es nicht leicht haben werden. Außerdem ist die Mehrheit des Volkes innerhalb der Kirche organisiert. Das muß die Kirchenhierarchie akzeptieren. Ihre Beziehungen zur Regierung sind eine andere Sache, das läßt sich noch nicht voraussehen.

LN: Welche Hindernisse wird die Regierung zu bewältigen haben?

P.T.R.: Ein ist völlig klar, den USA geht diese Regierung gegen den Strich. Aber diese Regierung weiß, daß die USA großen Einfluß haben. Sie hat erklärt, daß sie zur Zusammenarbeit bereit ist, gegenseitigen Respekt immer vorausgesetzt. Doch die USA warten erst einmal ab, wie sich die Haitianische Regierung “benimmt”.
Das zweite Problem sind die Tontons Macoutes. Natürlich werden auch sie alles tun, um die Regierung zu stürzen. Aber durch den langen Kampf des Volkes sind sie geschwächt. Der beste Beweis dafür ist ihr gescheiterter Putschversuch vom siebten Januar. Außerdem sind dabei die Anführer der Tontons Macoutes verhaftet worden, und das Volk hat viele von ihnen umgebracht. Und die Regierung hat vom ersten Tag an Schritte gegen die terroristischen Banden unternommen; über einhundert Personen, die sich wegen Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, dürfen das Land nicht verlassen.
Doch das größte Problem ist die Wirtschaftslage. Es müssen Entwicklungsprogramme gestartet werden. Im Regierungsprogramm steht, daß die Mittel innerhalb Haitis ausgenutzt werden sollen. Doch für Haiti ist internationale Hilfe lebensnotwendig. Viele lateinamerikanische Länder, zum Beispiel die “Gruppe der Drei” (Mexiko, Venezuela, Kolumbien) haben angekündigt, wirtschaftliche, politische und soziale Beziehungen zu Haiti zu verstärken. Venezuela wird Öl liefern.
Doch trotzdem wird es viele Probleme geben. Die wirtschaftliche und soziale Situation in Haiti ist fürchterlich. Daher betone ich immer wieder, wie wichtig internationale Solidarität ist. In erster Linie muß es Solidarität von Volk zu Volk geben. Volksorganisationen, Institutionen und Personen, die für das Volk arbeiten, sollen direkten Kontakt zu den haitianischen Volksorganisationen aufnehmen und ihre Projekte unterstützen. Denn unzählige BäuerInnen-, Frauen- und StudentInnengruppen haben Entwicklungsprojekte.
Zweitens muß es auch Unterstützung von Regierung zu Regierung geben. Die Volksorganisationen und die Personen in allen Ländern sollten ihre Regierungen bitten und sie unter Druck setzen, damit sie die Regierung von Haiti unterstützen, aus dieser Misere herauszukommen.

Quellen: Sergio Ferrari, El Dia Latinoamericano 18.2.91

Die Kommunistische Partei und die verhinderte “bürgerlich-demokratische Phase”

Gretchenfrage?

Die UDN (Nationalistische Demokratische Union) stellte Anfang Februar ihre Spitzenkandidaten für die kommenden Wahlen vor: Humberto Centeno, einer der bekanntesten Gewerkschaftler des Landes und Führungsmitglied im Gewerkschaftsdachverband UNTS ist der Kandidat der UDN für das Bürgemeisteramt von San Salvador. Marco Tulio Lima, ebenfalls Mitglied des UNTS-Vorstandes, strich dagegen heraus, daß die Entscheidung Centenos und anderer UNTS-GewerkschafterInnen rein persönlicher Art sei und nicht der Position der UNTS insgesamt entspräche. Die UNTS, betonte Tulio Lima, unterstütze keine der Parteien, die sich zur Wahl stellen. Ismael Merino von der Bauerngewerkschaft ADC dazu: “Solange wir in einer militarisierten Gesellschaft leben und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, solange können Wahlen das Problem nicht lösen, sondern es nur noch verschärfen”. Selbst das breite, von kirchlicher Seite initiierte “Permanente Komitee für eine Nationale Debatte”, CPDN, gibt dem Verhandlungsprozeß Vorrang vor den Wahlen und plädiert daher für eine Verschiebung des Urnengangs, bis die zentralen Probleme auf dem Verhandlungswege gelöst und ihre Einhaltung von der UNO kontrolliert und bestätigt worden sind.

Differenzierungen in den 70er Jahren

Formal hatte die Kommunistische Partei (KP) den bewaffneten Kampf seit 1932 nie aufgegeben, faktisch konzentrierte sie sich in den 70er Jahren jedoch auf Wahlen. Sie ging dabei (wie andere Kommunistische Parteien des Kontinents) davon aus, daß es zunächst einer “bürgerlich-demokratischen Phase” bedürfe, um die Macht der Oligarchie und des Militärs zu brechen. Man erhoffte sich eine “Machtübernahme”der Industriebourgeoisie, die in eigenem Interesse Reformen gegen die unversöhnliche und reaktionäre Grundbesitzerclique befürworten müsse. Die UDN wurde 1969 gegründet und sollte die ‘Wahlfront” der KP bilden.

Innerhalb der KP gab es zu jener Zeit bereits eine Opposition gegen diese Haltung der Partei. Die These von der Wirksamkeit eines breiten Wahlbündnisses, unterstützt von einer reformwilligen Fraktion des Militärs, wurde von ihr abgelehnt. 1970 tauchte diese Gruppe unter der Führung des legendären Gewerkschaftsführers Cayetano Carpio unter. Sie begann, sich auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten: Die FPL, die Volksbefreiungskräfte, heute eine der fünf Organisationen der FMLN.
Bei den Präsidentschaftswahlen1972 trat die UDN in einem Bündnis mit der seit 1964 existierenden sozialdemokratischen MNR (Nationale Revolutionäre Bewegung) und der PDC (Christdemokratische Partei) an. Das Bündnis nannte sich U.N.O. (!) (Nationale Oppositionsvereinigung) und nominierte José Napoleon Duarte zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Die U.N.O. erhielt trotz erheblicher Behinderungen die Mehrheit der Stimmen, doch die regierende PCN (Partei der Nationalen Versöhnung) sicherte sich das Präsidentenamt durch offenen Wahlbetrug. Ein Putschversuch von reformwilligen Offizieren schlug fehl, und Duarte ging ins Exil nach Venezuela. Trotz des Scheiterns hielten alle Parteien des Bündnisses an der Vorstellung fest, daß der Weg über Wahlen der sicherste und schnellste sei, um zu einem Sieg der reformwilligen Kräfte zu gelangen. Sowohl die verschiedenen Guerilla-Gruppen, die im Laufe der 70er Jahre entstanden, als auch die mit ihnen verbundenen großen Massenorganisationen kritisierten den “rechten Opportunismus” und die “Weinbürgerlichen Illusionen” der KP. Trotz erheblicher Zerstrittenheit dieser Organisationen untereinander, gingen sie davon aus, daß eine “Nationale Bourgeoisie”, die in der Lage wäre, ein nationales Reformprojekt durchzusetzen, nicht existiert. Daraus folgte die Ablehnung der Wahlen und der Strategie der U.N.O.

Wahlbetrug und Terror

Die nächsten Präsidentschaftswahlen fanden 1977 in einer spannungsgeladenen und zugespitzten Situation statt. Die U.N.O. hatte anstelle von Duarte den in Armeekreisen angesehenen pensionierten Offizier Claramount als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Er schien für die reformbereiten Kreise der Oligarchie und des Militärs annehmbarer zu sein. Wiederum brachten die Militärs die Opposition um den Wahlsieg, indem sie schlicht die Wahlurnen verschwinden ließen. Den massiven Protest gegen den Wahlbetrug beantwortete das Regime mit Gewalt. Militär-und Polizeieinheiten schossen gezielt in die Massendemonstrationen. Dabei starben mehrere hundert Menschen. Dies war der Auftakt für eine beispiellose Terrorwelle. Die meisten Funktionäre der U.N.O. gingen ins Exil oder in den Untergrund, wurden verhaftet oder “verschwanden”. Das Wahlbündnis war damit faktisch nicht mehr existent, nur die KP bekräftigte noch im Mai 1979 ihre Unterstützung für die U.N.O. “Der bürgerlichdemokratische Weg zur Lösung der politischen Krise”, so hieß es in der Resolution des 7. Parteikongresses, “muß heute ein untrennbarer Bestandteil wesentlicher sozioökonomischer Reformen sein.” Auf dem gleichen Kongreß wurde allerdings ein folgenlos gebliebener Beschluß von 1977 bekräftigt, nach dem sich die Partei auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten hätte.

Der Putsch

Angesichts der steigenden Mobilisierungen der Massenorganisationen und der faktischen Unregierbarkeit des Landes putschte sich eine heterogene Offiziersgruppe am 15.Oktober 1979 an die Macht. In der ersten Regierungsjunta waren drei Zivilisten vertreten, darunter Guillermo Ungo, Vorsitzender der MNR. Alle Parteien des ehemaligen U.N.0.-Bündnisses entsandten Minister in die Regierung. Die revolutionären Massenorganisationen hatten kein Vertrauen in diese Koalition von Offizieren, liberalen Technokraten und reformistischen Politikern; sie verstanden sie als einen Block der Mitte gegen die Linke. Die nächsten Wochen sollten ihnen recht geben. Die Zivilisten in der neuen Regierung konnten nicht verhindern, daß die Gewalt der Militärs gegen die Opposition immer schlimmere Formen annahm. Zunächst rechtfertigten die Zivilisten noch die Massaker, dann aber traten sie Anfang des Jahres1980aus der Regierung aus.

Einigung

Die Kommunistische Partei entschied sich jetzt sehr schnell und rief gemeinsam mit zwei der bestehenden Guerillaorganisationen zur bewaffneten Revolution auf. Im Oktober 1980 vereinigten sich die nunmehr fünf politisch-militärischen Organisationen zur Nationalen Befreiungsbewegung Farabundo Marti, FMLN. Die radikale Linke reagierte damit auf den entfesselten Staatsterror und die Beseitigung jeglichen Spielraums für Reformen.
Die Wahlprozesse der 80er Jahre waren zu sehr vom Bürgerkrieg und Ausnahmezustand geprägt, als daß linke Parteien oder Organisationen in ihnen eine Option für Frieden oder Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hätten entdecken können. Darüber hinaus waren die Wahlen offensichtlich das Produkt der von den USA konzipierten Kriegsführung der niedrigen Intensität, der Aufstandsbekämpfung, die darauf hinauslief, der FMLN auch politisch den Boden zu entziehen.
Die Situation veränderte sich erst wieder im Vorfeld der 89er-Wahlen. Anläßlich dieses Urnengangs gründeten hauptsächlich die Parteien (MPSC Sozialchristliche Volksbewegung, Linke Abspaltung der PDC) und MNR wiederum ein linkes Wahlbündnis, die Convergencia Democrática (CD). Die FMLN rief zum Boykott auf und brachte stattdessen den “Vorschlag zur Umwandlung der Wahlen in einen Beitrag zum Frieden” (dok. in LN 179)ein, in dem sie erstmals die Bedingungen definierte, unter denen sie bereit wäre, sich an Wahlen aktiv zu beteiligen. Es steht außer Frage, daß diese Bedingungen (u.a. Ende der Repression, Einkasernierung der Armee, Wahlrechtsreform) auch am 10. März keineswegs er-füllt sein werden.

Verhandlungen haben Vorrang vor den Wahlen

Auch diese Wahlen werden mit einer demokratischen Willensbildung so wenig zu tun haben wie alle vorangegangenen. Die Frage ist also, welche Ziele auf der einen Seite die Oppositionsparteien mit ihnen verbinden und was die FMLN auf der anderen Seite zu ihrer ambivalenten Haltung bewog. Es kann angenommen werden, daß über diese Frage innerhalb der FMLN lange debattiert wurde. Noch im Oktober 1990 schob Joaquin Villalobos, Chef des Revolutionären Volksheeres (ERP), einer weiteren Organisation innerhalb der FMLN,die Kontinuität dieser Wahlen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung gegenüber den möglichen Chancen in den Vordergrund (Vgl. LN 198). Es ist jedoch davon auszugehen, daß die Kontroverse im wesentlichen beigelegt ist. Klar scheint auch zu sein, daß sich die Kommunistische Partei von den Positionen der 70er Jahre entfernt hat und keinesfalls ein Ausscheren der KP aus der FMLN bevorsteht. Shafick Handal: “Demokratie, die demokratische Revolution, hat für die FMLN -und da gibt es eine unzweideutige Übereinstimmung aller Organisationen -tatsächlich eine strategische Bedeutung, eine Demokratie, die sich aber wesentlich von einer bloßen Wahldemokratie unterscheidet.”
Weder die Oppositionsparteien noch die FMLN selbst erwarten einen Wandel der Kräfteverhältnisse durch die Wahlen selbst. Ein Brechen der Parlamentsmehrheit von ARENA durch die PDC, CD und UDN wird allerdings als Instrument eingeschätzt, um dem stagnierenden Verhandlungsprozeß wieder neue Impulse zu geben. Dies ist auch dringend notwendig, da die USA offenkundig versuchen, die Grundlage des Prozesses
– die Vereinbarungen von Genf und Caracas (Vgl. LN 200) – zu untergraben. Ein Artikel in der New York Times diffamierte am 1. Februar unter Berufung auf Regierungsquellen den UNO-Vermittler Alvaro de Soto, warf ihm Inkompetenz vor, und versuchte so, den Verhandlungsprozeß insgesamt zu diskreditieren. Tatsächlich kann eine parlamentarische Mehrheit der heutigen Opposition in dieser Situation neue Wege gehen, um auch international mit größerem Druck und Legitimation auf reale Verhandlungserfolge zu drängen. Die Tatsache jedoch, daß diese Oppositionsparteien CD, UDN und die PDC sich nicht auf einen gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten für San Salvador haben einigen können, verweist auf nicht unerhebliche inhaltliche Differenzen und Profilierungsgelüste. Diese könnten die gemeinsame politische Plattform, von der Shafick Handal spricht, durchaus gefährden (Vgl. Interview). Die PDC scheint zwar die Forderung nach einer Demilitarisierung als Grundlage von Demokratisierungsprozessen übernommen zu haben, doch gibt die Geschichte dieser Partei mannigfaltig Anlaß, ihr mit Mißtrauen zu begegnen.

Der Anschlag auf Diario Latino

In jedem Fall nehmen die Militärs die Entwicklungen der letzten Wochen als elementare Bedrohung wahr. Dies ist augenscheinlich die Ursache für die stark zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in dieser Zeit. Die schlimmsten waren bisher die Morde von E1 Zapote, wo 15 Menschen regelrecht hingeschlachtet wurden und der Bombenanschlag auf die einzige noch verbliebene kritische Tageszeitung Diario Latino. In der Nacht zum 9. Februar explodierte in der Zeitung eine Brandbombe, die das dreigeschössigen Gebäude und die zur Herstellung der Zeitung notwendigen Geräte völlig zerstörte. (Wegen der großen Bedeutung dieses Anschlags für die Medienlandschaft E1 Salvadors hat das “Dritte-Welt-Haus” Frankfurt e.V. ein Spendenkonto eingerichtet: Postgiro 19991-604; BLZ 500 100 60; Stichwort: “Diario Latino”). Die Journalisten der selbstverwalteten Zeitung haben bereits angekündigt, daß sie das seit 100 Jahren existierende Blatt weiterführen werden. Daneben gibt es jedoch eine ganze Reihe von Bombenanschlägen gegen die Volksorganisationen und Morde an AktivistInnen der Oppositionsparteien.

Repression und Wahlboykott?

Die Repressionswelle beweist noch einmal den ungebrochenen Willen der Militärs, sich keinen Zipfel ihrer Macht entreißen zu lassen und gleichzeitig die Notwendigkeit, genau dies zu tun. Die Menschenrechtsverletzungen haben ihren Höhepunkt vermutlich noch nicht erreicht. Das Ziel der Hardliner im Militär ist dabei klar auszumachen: Sie wollen die Wahlen, so, wie sie derzeit konzipiert sind, verhindern. Ihre bewährte Methode war in der Vergangenheit, entweder ein Massaker zu veranstalten oder eine bekannte Persönlichkeit der (gemäßigten) Opposition umzubringen. Es mehren sich die Warnungen der Parteien – einschließlich der PDC -, daß ein Rückzug aus den Wahlen durchaus denkbar ist, wenn die Anschläge fortgesetzt werden. “Selbstverständlich”, so Shafick Handal, “würde die FMLN die Oppositionsparteien in einem solchen Fall unterstützen.” Und das auf ihre Weise.

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