Mr. Clean, Mr. Washington und Mr. Broker

Nationale und internationale Reaktionen

Ob der Wunschkandidat der USA bei den Präsidentschaftswahlen von 1990 die Aufhebung des von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verhängten Embargos erreichen wird, muß angesichts der fast einhelligen internationalen Ablehnung seiner Wahl zumindest vorerst bezweifelt werden. Mit Ausnahme des Vatikans weigerten sich alle Staaten, VertreterInnen zur offiziellen Amtseinführung Bazins zu schicken.
Auch innerhalb Haitis stieß Bazins Ernennung zunächst auf breite Ablehnung. Nach der Bestätigung durch das Parlament hielten die Proteste der haitianischen Bevölkerung an. Während Teile der “sozialistischen” PANPRA offenbar mit den neuesten Entwicklungen zufrieden sind, bemüht sich die dem legitimen Staatspräsidenten Aristide nahestehende FNCDH (Nationale Front für Veränderung und Demokratie), nach außen ein geschlossenes Bild der Ablehnung zu geben. Ein Senatsmitglied, das für Bazin gestimmt hatte, wurde aus der Partei ausgeschlossen. Jedoch weisen Berichte aus Haiti darauf hin, daß es auch innerhalb der FNCDH Sympathien für das Regierungsprogramm des neuen Ministerpräsidenten gibt.

Herausragende Eigenschaft: Politische Flexibilität

Mit Bazin haben die Militärs einen Mann zum Ministerpräsidenten erkoren, der bereits in der Vergangenheit bewiesen hat, sich mit den jeweils dominierenden Machtinteressen in Haiti arrangieren zu können. Als Finanzminister unter dem Diktator Duvalier machte sich Bazin mit einer Anti-Korruptionskampagne einen Namen: Mr. Clean. Ebensowenig brachte der Sturz Duvaliers 1986 Bazin in Verlegenheit. Durch seine enge Anlehnung an die USA galt Bazin in seiner neuen Rolle des Mr. Washington als Fürsprecher des sicheren Übergangs Haitis in eine Demokratie westlichen Zuschnitts. 1990 bei seiner Kanditur bei den Präsidentschaftswahlen gegen Aristide klar gescheitert, spielte Bazin auch nach dem Militärputsch vom vergangenen September keine Hauptrolle auf der politischen Bühne, bis er vor wenigen Wochen als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt in die Diskussion gebracht wurde. Als – nach eigenen Worten – ehrlicher “Makler” für die Interessen aller HaitianerInnen stellte er unter seinem neuen Pseudonym, Mr. Broker, am 12. Juni sein neues Kabinett vor, in dem ausschließlich PolitikerInnen stehen, die den Staatsstreich unterstützt haben.

“Der Putsch war ein Betriebsunfall auf dem Weg zur Demokratie”

Mit den Worten, der Putsch sei nur ein Betriebsunfall auf dem Weg zur Demokratie gewesen, machte Bazin klar, daß er die Position der Militärs vorbehaltlos anerkennen würde. Gleichzeitig erklärte Mr. Broker seine Bereitschaft, mit Aristide über dessen Rückkehr zu verhandeln. Zentrale Bedingung sei allerdings Aristides Verzicht auf die Forderung, Raoul Cédras, den Anführer des Putsches, als Oberkommandierenden der Streitkräfte zu entlassen. Angesichts dieser nahezu unzumutbaren Bedingung wird die Strategie der MachthaberInnen in Port-au-Prince überdeutlich. Sollte Aristide an seinen Forderungen festhalten, könnte er der Weltöffentlichkeit als derjenige vorgeführt werden, der jede Lösung der Krise in Haiti blockiert. Für den eher unwahrscheinlichen Fall der Zustimmung Aristides wäre die Spaltung der Lavalas-Bewegung absehbar, während gleichzeitig ein seiner Kompetenzen beraubter Präsident als Beruhigungsmittel für die Bevölkerungsmehrheit noch immer tauglich wäre.
Doch ganz egal, welchen Verlauf die Verhandlungen mit Aristide nehmen werden: die Machtcliquen in Port-au-Prince spielen erneut auf Zeit und hoffen, zumindest mittelfristig die internationale Anerkennung des gewaltsam hergestellten Status quo zu erreichen. Nach der Aufhebung des OAS-Embargos könnte Bazin dann endlich sein Wirtschaftsprogramm in die Tat umsetzen, das einerseits umfassende Privatisierungen und andererseits den Aufbau einer Exportwirtschaft durch die Ansiedlung von Billiglohnindustrien vorsieht. Um sich dabei der Hilfe der USA zu vergewissern, hat Bazin bereits von der Möglichkeit eines US-Militärstützpunktes im Norden Haitis als Ersatz für das kubanische Guantánamo gesprochen.

Verstöße gegen das Embargo

Bisher zeigten die Präsidenten der amerikanischen Staaten offiziell wenig Bereitschaft, das Embargo zu lockern. Die New York Times berichtete in ihrer Ausgabe vom 6. Juni sogar über Pläne, eine multinationale Eingreiftruppe nach Haiti zu entsenden. US-Präsident George Bush dementierte diese Berichte umgehend und sprach sich stattdessen dafür aus, das Handelsembargo zu verschärfen. Bei einem Treffen in Caracas am 14. Juni arbeiteten die Präsidenten Venezuelas, Frankreichs und der USA, Carlos Andres Pérez, François Mitterand und George Bush, sowie Brian Mulroney, der Ministerpräsdent Kanadas, neue Pläne zur strikteren Anwendung des Embargos aus. Die mit Abstand skurrilste Begründung für diese Maßnahme gab Andres Pérez, der die Putschversuche in Peru und in seinem eigenen Land auf den “perversen Einfluß” der PutschistInnen in Port-au-Prince zurückführte.
Nach Angaben des US-Bundesrechnungshofes in Washington wird das Embargo fortwährend durchbrochen. Nicht nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die sich offiziell nicht dem OAS-Embargo angeschlossen hat, verstießen gegen die Handelsblockade, sondern auch Mitgliedsländer der OAS. Brasilien liefert Stahl, Argentinien Chemikalien, Kolumbien Öl, Venezuela Verbrauchsgüter und die Dominikanische Republik Reifen und Dieselmotoren.

Kritik an der Flüchtlingspolitik der USA

BeobacherInnen in Washington sehen im Eintreten der Bush-Administration für eine schärfere Handhabung des Embargos ein Manöver, das von der Auseinandersetzung um die eigene Flüchtlingspolitik ablenken soll. Nachdem Bush die Schließung des US-Stützpunktes in Guantánamo für haitianische Flüchtlinge verfügt hatte, mehrten sich die kritischen Stimmen innerhalb des Kongresses, die die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme bezweifelten. Sie verwiesen darauf, daß die EinwanderungsbeamtInnen in Guantánamo einem Drittel der Flüchtlinge gestattet hätten, einen Asylantrag in den USA zu stellen. Mit der Schließung Guantánamos und dem Abfangen von Flüchtlingsbooten in internationalen Gewässern verstoßen die USA sowohl gegen das eigene Einwanderungsgesetz als auch gegen die internationale Flüchtlingskonvention. Auch der zynische Ratschlag des Regierungssprechers Boucher, die HaitianerInnen könnten schließlich direkt in der US-Botschaft in Port-au-Prince einen Asylantrag stellen, hat den Protest von Oppositionellen und Menschenrechtsgruppen in den USA entfacht. Sie verweisen darauf, daß die Botschaften in der haitianischen Hauptstadt einerseits durch hohe Zäune und andererseits durch Kontrollen des Militärs absolut unzugänglich sind. Es gibt eine Vielzahl von Berichten über Menschen, die beim Versuch, in die US-Botschaft zu gelangen, verhaftet wurden und seitdem nicht wieder aufgetaucht sind.
Auch die Staaten in der Karibik reagierten auf den Beschluß der USA, Guantánamo zu schließen, mit Ablehnung. “Die US-Entscheidung könnte ein großes Problem für andere Länder schaffen”, kommentierte ein Angehöriger des Außenministeriums von Jamaika. Die Bahamas haben ihre Küstenwache angewiesen, Flüchtlinge noch auf hoher See abzufangen und zurück nach Haiti zu schicken. Menschen, denen es trotzdem gelingt, die Bahamas zu erreichen, werden unter dem Vorwurf der illegalen Einreise inhaftiert. Auch Kuba kündigte an, haitianische Flüchtlinge auf dem Luftweg zu repatriieren.

Bazin: Der Weizsäcker der Karibik?

Nachdem nun nahezu alle Fluchtwege abgeschnitten sind, hat sich die Lage der HaitianerInnen rapide verschlechtert. Das OAS-Embargo hat mehr als 150.000 Menschen den Arbeitsplatz gekostet, ohne die wirtschaftlichen Eliten des Landes empfindlich zu treffen. Infolge einer Dürrekatastrophe steht dem Land eine Mißernte bevor, die unausweichlich zu einer Hungersnot führen wird, wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht ihre Hilfslieferungen ausdehnt.
Die Militärs reagieren mit unverminderter Brutalität auf jede Form des Protests gegen die neuen MachthaberInnen. ZeugInnen berichten immer wieder von nächtlichen Gewehrsalven in den Armenvierteln der Städte sowie von Leichen, die am nächsten Morgen auf offener Straße gefunden werden. Trauriger Höhepunkt der Repression war ein Anschlag auf “La Fami Se Lavi”, ein Heim für Straßenkinder, das von Aristide eingerichtetet worden war und am Abend der Bestätigung Marc Bazins durch den haitianischen Senat in Flammen aufging.
Während sich auf der politischen Bühne mit der Wahl Bazins vordergründig betrachtet Bewegung ergeben hat, droht die Krise für die Bevölkerung Haitis unvorstellbare Ausmaße anzunehmen. So wird der deutsche SPIEGEL wohl noch lange vergeblich nach einem “Weizsäcker der Karibik” suchen müssen, der den Weg aus der Krise weist. Marc Bazin, alias Mr. Clean, alias Mr. Washington, alias Mr. Broker, taugt zu wenig mehr als zu einem karibischen Mr. Zelig, einem politischen Chamäleon, das sich geschickt jedem politischen Wandel anzupassen weiß.


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In der “Musterdemokratie” zer­bröckeln die Illusionen

Venezuela fällt aus dem lateinamerikanischen Rahmen: Die großen Erdölvorräte veränderten seit dem Beginn ihrer Ausbeutung in den 30er Jahren die politische und ökonomische Struktur des bis dahin armen Agrarstaates im Norden Südamerikas. Vorher war das Land in von einzelnen Caudillos regierte Regionen zersplittert, die Bevölkerung war abhängig von ihren jeweiligen Grundherren. Mit dem Öl folgte eine Phase der Diktaturen mit wenigen demokratischen Zwischenphasen. 1958 besiegelte der Pacto de Punto Fijo die bis heute gültige Partei­endemokratie, der viele einen Mustercharakter in Lateinamerika attestieren.
Dennoch kann von einer Musterdemokratie in Venezuela keine Rede sein. Der venezolanische Staat ist, vergleichbar mit anderen lateinamerikanischen Ländern, zutiefst populistisch-paternalistisch geprägt. Kurz vor den Wahlen werden in ei­nem finanziell und inhaltlich bizarren Wahlkampf plötzlich Straßen geteert oder Stromleitungen gelegt. Da erreicht die staatliche “Fürsorge” sogar die “Ranchos”, die Armenviertel von Caracas, in denen mehr als die Hälfte der rund sechs bis sieben Millionen Caraceños lebt.
Durch die hohen Öleinkommen war eine Rentenideologie, die auf Pump lebte und strukturelle Entwicklungsprobleme weitgehend ausblendete, bislang in hohem Maße konsensfähig und ohne große Konflikte möglich. Korruption und Pa­tronage im großen Stil prägen nicht nur die Regierungsgeschäfte und das Rechts­system, sondern sind auch im täglichen Leben maßgeblich. Doch nicht nur des­halb ist die öffentliche Meinung über Politiker, Regierung und Behörden auf dem Nullpunkt angelangt.
In den 70er Jahren konnte der Staat seinem paternalistischen Anspruch, für seine BürgerInnen “zu sorgen”, zumindest zeitweise gerecht werden, da der öffentliche Sektor durch die gerade vonstatten gegangene Nationalisierung des Erdöls und eine hohe Neuverschuldung noch über ausreichend Geld verfügte. Heute jedoch hat die permanente Erfahrung uneingelöster Versprechungen ein zunehmendes Mißtrauen gegenüber dem demokratischen System und den Politikern ausgelöst: “Prometen, pero no cumplen”, sie versprechen viel, aber halten’s nicht.
Zusätzlich führte die Tatsache, daß die Parteien und damit der Staat sich lediglich vor den Wahlen ernsthaft um die Wähler und ihre Probleme kümmern, ins­besondere in der letzten Zeit zu einem weitgehendem Vertrauensverlust in den Staat, zu Hoffnungslosigkeit und Resignation in den unteren sozialen Klassen. Immer weniger glauben sie daran, daß der Staat ihre Le­benssituation verbessern könne oder dies überhaupt ernsthaft wolle.

Konformismus, Aufsteigermentalität und Resignation liegen dicht beieinander

Gleichzeitig und vordergründig widersprüchlich beherrscht viele Menschen eine Art “Tellerwäschermentalität”, die jede Armut auf individuelles Versagen zurückführt, den Staat und die Gesellschaft von jeder Schuld freispricht und die Hoffnung auf den “großen Sprung nach oben” manifestiert. Man hofft, eines Tages dem Elend entrinnen zu können; wer dies nicht schafft, ist selber Schuld und hat seine Chance verpaßt. Auch das venezolanische Fernsehen läßt kaum eine Möglichkeit verstreichen, den Armen zu zeigen, wie unfähig sie sind, und ver­stärkt damit die gesellschaftliche Spaltung und Hierarchie nicht nur zwischen den Klassen, sondern auch innerhalb der marginalisierten Gruppen selbst.
Unter solchen Bedingungen liegen Konformismus, Aufsteigermentalität und Resignation dicht bei­einander. Ein “Klassenbewußtsein” ist in Venezuela kaum ver­breitet. Maßgeblichen Einfluß hatte in dieser Hinsicht die enge Anlehnung an die USA, auch über die Erdölgesellschaften und ihre Arbeiter (Trotzdem sind die “Gringos” in Venezuela, wie auf dem gesamten Subkontinent, äußerst unbeliebt).
Diese Mentalität trug mit dazu bei, daß soziale Bewegungen und Selbsthilfeinitiativen lange Zeit ein Schattendasein führten. Auch der zentralisierte Staat verhinderte bisher trotz der Wahlen und der Verankerung der Parteien eine echte Partizipation an den Entscheidungen. Neue Bemühungen um eine staatliche wie institutionelle Dezentralisierung könnten die Voraussetzungen für eine stärkere Bürgerbeteiligung schaffen; wohin sich die Reformen jedoch tatsächlich entwic­keln, ist momentan noch nicht absehbar.
Als die mit großen Hoffnungen gewählte Regierung von Carlos Andres Pérez in vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem IWF im Februar 1989 harte wirtschaftliche Maßnahmen durchsetzte, waren gewaltige Unruhen und immense Plünderungen die Folge (vgl. LN Nr. 180). Sowohl das Militär als auch im Unter­grund in den Ranchos arbeitende Gruppen nutzten die Gelegenheit zu einer of­fenen Konfrontation, in deren Folge durch das brutale Vorgehen der Militärs – auch gegenüber Unbeteiligten – mehrere Hundert Menschen ermordet wurden. Nach wie vor gibt es zahlreiche Verschwundene und immer noch fast täglich To­desanzeigen in den Zeitungen von den Kämpfen.
Diese Ereignisse haben zwar nicht zu einer breiteren Opposition geführt, hatten aber dennoch Auswirkungen auf die poltische Kultur. Hand in Hand mit den sich verschlechternden ökonomischen Bedingungen der Mehrzahl der Bevölkerung, haben fast alle inzwischen den letzten Rest Vertrauen in den Staat und seine Akteure verloren. Die Menschen glauben an praktisch nichts mehr, was “von oben kommt”. Steigende politische Repression und die traumatischen Ge­schehen vom Frühjahr 1989 machen Angst und hemmen politische Aktivitäten.
Die zunehmende Aussichtslosigkeit der Hoffnung auf den “großen Sprung”, den sozialen Aufstieg, vor allem unter den Jugendlichen der städtischen Barrios, und der Vertrauensverlust in bezug auf die Politik begünstigt nun eine Entwicklung, die ihren eigentlichen Anfang einmal in der Mittelschicht nahm: die Stadtteilinitiativen (Asociaciónes de vecinos) oder auch Selbsthilfegruppen.
Sie sind eine Form von Bürgerinitiativen, die sich um alle Belange des eigenen Stadtviertels kümmern, vor allem jedoch um die von den zuständigen Behörden vernachlässigten Probleme. Einen unmittelbar an der Verbesserung der Lebens­bedingungen orientierten Ansatz haben die Vecino-Gruppen in den Barrios pobres, während die Gruppen der Mittelschicht zudem allgemeiner politisch und partei­enunabhängig wirken wollen. In Caracas sind die Wohnlagen klar getrennt: Die unteren Schichten wohnen ganz oben an den Hängen; je weiter unten die Woh­nung, desto besser gestellt sind die Leute.
Ein Hindernis der Stadtteilarbeit in den Barrios war vor allem deren heterogene Zusammensetzung, die immensen Einkommensunterschiede auch innerhalb der “Unterschicht”, und die daraus folgende Hierarchisierung. Diese erschwerte oft eine Solidarisierung, die ihrerseits jedoch Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit ist.
Die staatliche Haltung den Gruppen gegenüber ist charakteristisch für das System Venezuelas: Zwar wurden die Vecino-Vereinigungen 1979 und verstärkt dann 1990 durch eine Gesetzesreform institutionalisiert, mit Rechten und Pflichten ausgestattet und 1988 sogar in die Stadt- und Gemeindeplanung miteinbezo­gen; doch werden ihre Aktivitäten vielfach nur solange begrüßt, wie sie propa­gandistisch ausgenutzt werden können. Ansonsten erfolgen die typischen Maß­nahmen, die übliche Hinhalte-Taktik, Versprechen und Nicht-Einhalten oder auch Einschüchterungsversuche. Manche Gemeinden jedoch versuchen auch, ernsthaft mit den Vecinos zusammenzuarbeiten.
Auch im Umweltbereich gibt es verstärkte Initiativen “von unten”, weil die Umweltsituation in Venezuela sich katastrophal darstellt und wenige staatliche Be­mühungen ernst zu nehmen sind. Ein Beispiel ist die Sociedad Conservacionista Aragua, die es in über 17 Jahren Arbeit geschafft hat, basisorientiert zu arbeiten, ohne sich etwa von den Parteien korrumpieren zu lassen – eine Gefahr, die bei allen Gruppen latent existiert und wodurch viele, auch der Vecino-Gruppen, ihre Glaubwürdigkeit und politische Energie verlieren.

Je weniger Funktionen der Staat noch erfüllt, desto wichtiger werden die Basis-Organisationen

Die Sociedad Conservacionista arbeitet im wichtigen Bereich Umwelterziehung direkt an den Schulen, mittels der Lokalzeitung und mit Hilfe ihrer Umweltbiblio­thek; daneben aber beispielsweise auch mit arbeitslosen Jugendlichen, die in der Feuerbrigade helfen, im naheliegenden Nationalpark während der Trockenzeit Brände zu löschen und in der Regenzeit bei der Aufforstung tätig sind. Die Zu­sammenarbeit mit anderen Umweltgruppen und der Versuch, auch die staatli­chen Institutionen für dieses Thema zu sensibilisieren, werden immer unerläßli­cher.
Diese zwei Bereiche – Asociaciones de vecinos und die Sociedad Conservacionista Aragua als ein Beispiel für Umweltorganisationen – zeigen, daß auch in einem Land mit traditionell wenig Basisorganisation wie Venezuela, diese umso wichtiger wird, je weniger der Staat solche Funktionen erfüllt.
Die Illusion seitens der Bevölkerung, einmal den großen Sprung in die reiche Gesellschaft schaffen zu können, die Wunschträume, der Staat sorge dann wenig­stens für diejenigen, die aus eigenem Versagen arm bleiben, und die Hoffnung der Politiker, die Widersprüche kapitalistischer Entwicklung mit Hilfe des Öl­reichtums umgehen zu können – alle diese während 30 Jahren Demo­kratie ge­pflegten Illusionen zerbröckeln langsam.
In Venezuela wird seit einigen Jahren immer deutlicher, daß bei sich verschlechternden ökonomischen und konfliktiver werdenden politischen Verhältnissen die Notwendigkeit, sich selbst zu organisieren, immer größer wird. Hierin liegen auch Chancen, die politische Kultur partizipativer und damit demokratischer zu gestalten. Inwieweit es gelingt, den äußerlich negativen Entwicklungen eine sol­che positive Wendung zu geben, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob der Staat ohne Eingreifen des Militärs die Freiräume läßt, daß die Menschen immer mehr Vertrauen in die eigene Kraft und die eigenen Erfolge entwickeln können.

Kasten:

Wir, die Gesellschaft für Umwelt- und Naturschutz in Venezuela (GUNV) sind ein 1990 gegründeter gemeinnütziger Verein, der sich bislang noch überwiegend aus StudentInnen der Geographie in Bonn zusammensetzt, was aber nicht so bleiben soll. Wir wollen vor allem zwei Hauptaufgaben erfüllen: Die finanzielle Unterstützung von Projekten im Bereich Umwelterziehung in Zusammenarbeit mit der Sociedad Conservacionista Aragua als einen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen dort. Schon seit längerem pflegen wir sehr enge Beziehungen zu dieser Organisation.
Der zweite Teil ist die Sensibilisierung von Menschen hier in bezug auf Umwelt- und Entwicklungsprobleme über eine möglichst breite Öffentlichkeitsarbeit, be­sonders zu dem in der “Entwicklungsszene” ziemlich vernachlässigten Vene­zuela. Für an diesem Land interessierte Leute wollen wir gerne Ansprechpartner sein, neue Mitglieder und Spenden würden wir sehr begrüßen!

Kontaktadresse: Hilde & Martin Selbach, Burbacher Str. 80, 5300 Bonn, Tel. 0228/231643 oder bei Autorin: 02222/63261;
Kontonummer: 251140 bei Sparkasse Bonn BLZ: 38050000.


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Die schier unglaubliche Mobilisierung eines Volkes

LN: Wie erklärst Du die neu erwachten Hoffnungen auf Haiti?

Pierre Toussaint ROY: Auch wenn es seltsam klingt, der erste Grund sind die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die sich durch die Gewalt gegen das Volk aufgestaut hatten.
Der zweite Grund ergibt sich daraus, daß die neue Regierung wirklich ein Ausdruck des Volkes ist. Es hat keine politische Partei gewonnen, an die das Volk sowieso nicht glaubt, sondern die Volksorganisationen haben ihren Kandidaten durchgesetzt. Inmitten der Hoffnungslosigkeit haben sich seit ein paar Jahren innerhalb der Kirche BäuerInnen-, Frauen- und Jugendgruppen gebildet. Die konservativen Kreise der katholischen Kirche haben den Armen ihre Strukturen zur Verfügung gestellt und kleine Entwicklungsprojekte gestartet. aber die Leute haben innerhalb dieser Strukturen ihre eigenen Organisationen geschaffen.
Die Volksorganisationen sind jetzt an die Macht gelangt, diese Regierung ist ein Produkt der Arbeit des Volkes. Zuerst waren sie gegen die Wahlen, weil es keine Alternative zu dem Kandidaten der USA gab. Doch als die Tontons Macoutes einen Kandidaten aufstellten, gingen sie auf die Suche nach einem aussichtsreichen Gegenkandidaten.
Aristide hatte schon einige Male abgelehnt. Als er diesmal zusagte, erfüllte er einen ausdrücklichen Wunsch des Volkes. In seiner Arbeit ist er mit dem Volk gegangen, hat mit dem Volk gekämpft und mit dem Volk gelitten. Deshalb stellt er eine Hoffnung dar. Auch wenn kaum Zeit war, um ein klares Regierungsprogramm auszuarbeiten, weil alles so schnell ging.

LN: In welcher Form hat das Volk Aristide unterstützt?

P.T.R.: Das läßt sich an drei Momenten der letzten Monate verdeutlichen, an den Wahlen, dem Putschversuch und der Amtsübergabe.
Haiti hat sechs Millionen EinwohnerInnen. Davon sind drei Millionen wahlberechtigt. Als die USA ihren Kandidaten, Marc Razin, einen ehemaligen stellvertretenden Direktor der Weltbank, aufstellten, erwartete man zwischen 30 und 40 Prozent Wahlbeteiligung. Als die Volksorganisationen Aristide als Kandidaten präsentierten, hatten sich 2 Millionen WählerInnen ins Wahlregister eingeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt blieb nur noch eine Woche bis zur verlangten eine Million Menschen, eingeschrieben zu werden, sodaß die Frist um eine Woche verlängert werden mußte. Es war also von vornherein klar, daß über ein Drittel der WählerInnen für Aristide stimmen würde. Und kein Kandidat konnte auf Wahlveranstaltungen nur ein Zehntel der Menschen zusammenbringen, die zu Aristide kamen.
Genauso spontan mobilisierte sich das Volk beim Putschversuch am 7. Januar. Dort war es deutlich: Ihr Kandidat hatte schon gewonnen und viele Hoffnungen geweckt.
Als die konservativen Kräfte mit dem Putsch versuchten, die Machtübernahme zu verhindern, gingen die Leute auf die Straße. Es war völlig erstaunlich: Ohne irgendeine Koordination reagierten die Leute in allen Landesteilen in gleicher Weise. Sie wissen genau, wer ihr Feind ist. Sie wissen genau, wer ein Tonton Macoute ist. Und so griffen sie sie sofort an. Sie zerstörten ihre Häuser, griffen sie auf und verbrannten sogar viele von ihnen.
Es gibt Versionen, denen zufolge die Militärs ihre Unterstützung für die Tontons Macoutes zurückzogen, als sie sahen, daß die Menschen auf den Straßen zum Äußersten bereit waren. Denn anstatt die reignisse vor dem Fernseher zu verfolgen, griffen die Leute ein. Einige mit ihren Fäusten, andere mit Stöcken. Sie gingen auf die Straßen, blockierten sie mit brennenden Autoreifen und bauten Barrikaden, um die Tontons Macoutes an der Flucht zu hindern. Das Volk bewachte die Barrikaden, verfolgte die Macoutes und bewegte sich auf den Nationalpalast zu. Dort hatten sich die Putschisten verschanzt.
So wurde das gemacht. Und es wurde in Port-au-Prince, in Capo Haitien und an vielen Orten überall so gemacht. Die Leute haben in den letzten sechs Jahren seit dem Sturz der Diktatur darin Erfahrungen gesammelt.
Und vor dem Nationalpalast sammelten sich immer mehr Menschen. Offiziell und auch in den Zeitungen wird behauptet, daß die Militärs nicht am Putsch teilnahmen, daß das Militär nach einem Schußwechsel den Nationalpalast besetzte und die Tontons Macoutes festnahm. Aber die Version der Volksorganisationen ist eine andere.Als der Anführer der Putschisten sich zum Präsidenten erklärte, beschlossen die Leute, zu kämpfen. Die Militärs, die sich nach dieser Version sehr wohl am Putsch beteiligt hatten, verließen den Nationalpalast und zogen sich in ihr Hauptquartier zurück. Von dort aus sahen sie, daß die Menschen viele Tontons Macoputes verbrannt hatten und dabei waren, den Nationalpalast zu stürmen. Mit all ihren Waffen hätten sie nicht Tausende von Menschen aufhalten können, die von allen Seiten kamen. Deshalb beschlossen die Militärs, die Tontons Macoutes zu verhaften.
Die gleichen Menschen gingen auch bei der Amtsübernahme auf die Straße. Dadurch, daß sie schon Tage zuvor die Wohnviertel säuberten, die Straßen schmückten und die Mauern mit Bildern bemalten, zeigten sie ihren Willen und ihre Fähigkeit, sich an der Regierung zu beteiligen.
Und auch Aristide drückte dies bei seiner Rede vor dem Nationalpalast aus. Noch nie hat ein Präsident während einer offiziellen Zeremonie so geredet wie Aristide. Wie auf seinen Predigten fragte er etwas und die Leute antworteten. Zum Beispiel: “Viele Hände?”, und die Menge antwortete: “Erleichtern die Last!”.
Diese ganzen Mobilisationen sind eine Warnung an die konservativen Kräfte und auch an die USA. Sie sollen sehen, daß die Menschen mit ihrem Leben diese Volksregierung verteidigen werden.

LN: Die drei Hauptpunkte in Aristides Programm sind Gerechtigkeit, Transparenz und Partizipation. Auf welche Weise wird sich das Volk an der Regierung beteiligen?

P.T.R.: Dazu muß nur die Verfassung angewandt werden. Sie stammt von 1987 und wurde damals von fast 100% der HaitianerInnen befürwortet. Darin ist festgelegt, daß es außer dem nationalen Parlament mit zwei Kammern auch eine Nationalversammlung der Volksorganisationen geben soll. Sie setzt sich aus RepräsentantInnen der neun Provinzversammlungen zusammen. Diese wiederum werden aus den Kreisversammlungen gebildet. Die neue Regierung sieht vor, daß die Provinzversammlungen von den Gemeinde- und Stadtteilkomitees ausgehen sollen. Diese Komitees gibt es im ganzen Land und sind der vielfältige Ausdruck der Volksbewegung. So ist es im Regierungsprogramm festgelegt, das übrigens “Die Gelegenheit am Schopfe packen” heißt.

LN: Und wie gestaltet sich das Verhältnis zur Kirche?

P.T.R.: Es gibt wie fast überall in Lateinamerika den konservativen Teil der Kirche, dem die Kirche der Armen gegenübersteht, die die Theologie der Befreiung vertritt. In Haiti gibt es drei Bischöfe auf der Seite der Armen, einige Unentschiedene und drei völlig Konservative. Der schlimmste ist der Erzbischof von Port-au-Prince, Francois Ligondé. Und auch hier hat das Volk reagiert.
Am 1. Januar hat Ligondé Aristides beschimpft. Einen Bolschewisten, Sozialisten, Diktator nannte er ihn. Sechs Tage später, beim Putschversuch, erinnerte sich das Volk sofort an diese Worte und bewertete sie im Nachhinein als Signal für die Vorbereitung des Putsches. Deshalb war der Bischof einer der ersten, der am siebten Januar angegriffen wurde.
Zuerst hieß es, er sei im Sitz der Bischofskonferenz. Die Leute gingen hin, plünderten und zerstörten den Sitz. Dann hieß es, Ligondé sei in seinem Haus. Als die Leute dort angelangten, war es schon von Polizisten besetzt, und so gelangten sie nicht hinein. Aber die Polizisten meinten, er halte sich in der alten Kathedrale versteckt. Also gingen die Manschen dorthin und brannten die alte Kathedrale nieder. Und so zog die Menge zu allen Orten, an denen sie den Bischof vermutete, durchsuchte und plünderte sie. Es heißt, daß Ligondé mittlerweile das Land verlassen hat.
Dies zeigt, daß die konservativen Teile der Kirche es nicht leicht haben werden. Außerdem ist die Mehrheit des Volkes innerhalb der Kirche organisiert. Das muß die Kirchenhierarchie akzeptieren. Ihre Beziehungen zur Regierung sind eine andere Sache, das läßt sich noch nicht voraussehen.

LN: Welche Hindernisse wird die Regierung zu bewältigen haben?

P.T.R.: Ein ist völlig klar, den USA geht diese Regierung gegen den Strich. Aber diese Regierung weiß, daß die USA großen Einfluß haben. Sie hat erklärt, daß sie zur Zusammenarbeit bereit ist, gegenseitigen Respekt immer vorausgesetzt. Doch die USA warten erst einmal ab, wie sich die Haitianische Regierung “benimmt”.
Das zweite Problem sind die Tontons Macoutes. Natürlich werden auch sie alles tun, um die Regierung zu stürzen. Aber durch den langen Kampf des Volkes sind sie geschwächt. Der beste Beweis dafür ist ihr gescheiterter Putschversuch vom siebten Januar. Außerdem sind dabei die Anführer der Tontons Macoutes verhaftet worden, und das Volk hat viele von ihnen umgebracht. Und die Regierung hat vom ersten Tag an Schritte gegen die terroristischen Banden unternommen; über einhundert Personen, die sich wegen Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, dürfen das Land nicht verlassen.
Doch das größte Problem ist die Wirtschaftslage. Es müssen Entwicklungsprogramme gestartet werden. Im Regierungsprogramm steht, daß die Mittel innerhalb Haitis ausgenutzt werden sollen. Doch für Haiti ist internationale Hilfe lebensnotwendig. Viele lateinamerikanische Länder, zum Beispiel die “Gruppe der Drei” (Mexiko, Venezuela, Kolumbien) haben angekündigt, wirtschaftliche, politische und soziale Beziehungen zu Haiti zu verstärken. Venezuela wird Öl liefern.
Doch trotzdem wird es viele Probleme geben. Die wirtschaftliche und soziale Situation in Haiti ist fürchterlich. Daher betone ich immer wieder, wie wichtig internationale Solidarität ist. In erster Linie muß es Solidarität von Volk zu Volk geben. Volksorganisationen, Institutionen und Personen, die für das Volk arbeiten, sollen direkten Kontakt zu den haitianischen Volksorganisationen aufnehmen und ihre Projekte unterstützen. Denn unzählige BäuerInnen-, Frauen- und StudentInnengruppen haben Entwicklungsprojekte.
Zweitens muß es auch Unterstützung von Regierung zu Regierung geben. Die Volksorganisationen und die Personen in allen Ländern sollten ihre Regierungen bitten und sie unter Druck setzen, damit sie die Regierung von Haiti unterstützen, aus dieser Misere herauszukommen.

Quellen: Sergio Ferrari, El Dia Latinoamericano 18.2.91


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Die Kommunistische Partei und die verhinderte “bürgerlich-demokratische Phase”

Gretchenfrage?

Die UDN (Nationalistische Demokratische Union) stellte Anfang Februar ihre Spitzenkandidaten für die kommenden Wahlen vor: Humberto Centeno, einer der bekanntesten Gewerkschaftler des Landes und Führungsmitglied im Gewerkschaftsdachverband UNTS ist der Kandidat der UDN für das Bürgemeisteramt von San Salvador. Marco Tulio Lima, ebenfalls Mitglied des UNTS-Vorstandes, strich dagegen heraus, daß die Entscheidung Centenos und anderer UNTS-GewerkschafterInnen rein persönlicher Art sei und nicht der Position der UNTS insgesamt entspräche. Die UNTS, betonte Tulio Lima, unterstütze keine der Parteien, die sich zur Wahl stellen. Ismael Merino von der Bauerngewerkschaft ADC dazu: “Solange wir in einer militarisierten Gesellschaft leben und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, solange können Wahlen das Problem nicht lösen, sondern es nur noch verschärfen”. Selbst das breite, von kirchlicher Seite initiierte “Permanente Komitee für eine Nationale Debatte”, CPDN, gibt dem Verhandlungsprozeß Vorrang vor den Wahlen und plädiert daher für eine Verschiebung des Urnengangs, bis die zentralen Probleme auf dem Verhandlungswege gelöst und ihre Einhaltung von der UNO kontrolliert und bestätigt worden sind.

Differenzierungen in den 70er Jahren

Formal hatte die Kommunistische Partei (KP) den bewaffneten Kampf seit 1932 nie aufgegeben, faktisch konzentrierte sie sich in den 70er Jahren jedoch auf Wahlen. Sie ging dabei (wie andere Kommunistische Parteien des Kontinents) davon aus, daß es zunächst einer “bürgerlich-demokratischen Phase” bedürfe, um die Macht der Oligarchie und des Militärs zu brechen. Man erhoffte sich eine “Machtübernahme”der Industriebourgeoisie, die in eigenem Interesse Reformen gegen die unversöhnliche und reaktionäre Grundbesitzerclique befürworten müsse. Die UDN wurde 1969 gegründet und sollte die ‘Wahlfront” der KP bilden.

Innerhalb der KP gab es zu jener Zeit bereits eine Opposition gegen diese Haltung der Partei. Die These von der Wirksamkeit eines breiten Wahlbündnisses, unterstützt von einer reformwilligen Fraktion des Militärs, wurde von ihr abgelehnt. 1970 tauchte diese Gruppe unter der Führung des legendären Gewerkschaftsführers Cayetano Carpio unter. Sie begann, sich auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten: Die FPL, die Volksbefreiungskräfte, heute eine der fünf Organisationen der FMLN.
Bei den Präsidentschaftswahlen1972 trat die UDN in einem Bündnis mit der seit 1964 existierenden sozialdemokratischen MNR (Nationale Revolutionäre Bewegung) und der PDC (Christdemokratische Partei) an. Das Bündnis nannte sich U.N.O. (!) (Nationale Oppositionsvereinigung) und nominierte José Napoleon Duarte zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Die U.N.O. erhielt trotz erheblicher Behinderungen die Mehrheit der Stimmen, doch die regierende PCN (Partei der Nationalen Versöhnung) sicherte sich das Präsidentenamt durch offenen Wahlbetrug. Ein Putschversuch von reformwilligen Offizieren schlug fehl, und Duarte ging ins Exil nach Venezuela. Trotz des Scheiterns hielten alle Parteien des Bündnisses an der Vorstellung fest, daß der Weg über Wahlen der sicherste und schnellste sei, um zu einem Sieg der reformwilligen Kräfte zu gelangen. Sowohl die verschiedenen Guerilla-Gruppen, die im Laufe der 70er Jahre entstanden, als auch die mit ihnen verbundenen großen Massenorganisationen kritisierten den “rechten Opportunismus” und die “Weinbürgerlichen Illusionen” der KP. Trotz erheblicher Zerstrittenheit dieser Organisationen untereinander, gingen sie davon aus, daß eine “Nationale Bourgeoisie”, die in der Lage wäre, ein nationales Reformprojekt durchzusetzen, nicht existiert. Daraus folgte die Ablehnung der Wahlen und der Strategie der U.N.O.

Wahlbetrug und Terror

Die nächsten Präsidentschaftswahlen fanden 1977 in einer spannungsgeladenen und zugespitzten Situation statt. Die U.N.O. hatte anstelle von Duarte den in Armeekreisen angesehenen pensionierten Offizier Claramount als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Er schien für die reformbereiten Kreise der Oligarchie und des Militärs annehmbarer zu sein. Wiederum brachten die Militärs die Opposition um den Wahlsieg, indem sie schlicht die Wahlurnen verschwinden ließen. Den massiven Protest gegen den Wahlbetrug beantwortete das Regime mit Gewalt. Militär-und Polizeieinheiten schossen gezielt in die Massendemonstrationen. Dabei starben mehrere hundert Menschen. Dies war der Auftakt für eine beispiellose Terrorwelle. Die meisten Funktionäre der U.N.O. gingen ins Exil oder in den Untergrund, wurden verhaftet oder “verschwanden”. Das Wahlbündnis war damit faktisch nicht mehr existent, nur die KP bekräftigte noch im Mai 1979 ihre Unterstützung für die U.N.O. “Der bürgerlichdemokratische Weg zur Lösung der politischen Krise”, so hieß es in der Resolution des 7. Parteikongresses, “muß heute ein untrennbarer Bestandteil wesentlicher sozioökonomischer Reformen sein.” Auf dem gleichen Kongreß wurde allerdings ein folgenlos gebliebener Beschluß von 1977 bekräftigt, nach dem sich die Partei auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten hätte.

Der Putsch

Angesichts der steigenden Mobilisierungen der Massenorganisationen und der faktischen Unregierbarkeit des Landes putschte sich eine heterogene Offiziersgruppe am 15.Oktober 1979 an die Macht. In der ersten Regierungsjunta waren drei Zivilisten vertreten, darunter Guillermo Ungo, Vorsitzender der MNR. Alle Parteien des ehemaligen U.N.0.-Bündnisses entsandten Minister in die Regierung. Die revolutionären Massenorganisationen hatten kein Vertrauen in diese Koalition von Offizieren, liberalen Technokraten und reformistischen Politikern; sie verstanden sie als einen Block der Mitte gegen die Linke. Die nächsten Wochen sollten ihnen recht geben. Die Zivilisten in der neuen Regierung konnten nicht verhindern, daß die Gewalt der Militärs gegen die Opposition immer schlimmere Formen annahm. Zunächst rechtfertigten die Zivilisten noch die Massaker, dann aber traten sie Anfang des Jahres1980aus der Regierung aus.

Einigung

Die Kommunistische Partei entschied sich jetzt sehr schnell und rief gemeinsam mit zwei der bestehenden Guerillaorganisationen zur bewaffneten Revolution auf. Im Oktober 1980 vereinigten sich die nunmehr fünf politisch-militärischen Organisationen zur Nationalen Befreiungsbewegung Farabundo Marti, FMLN. Die radikale Linke reagierte damit auf den entfesselten Staatsterror und die Beseitigung jeglichen Spielraums für Reformen.
Die Wahlprozesse der 80er Jahre waren zu sehr vom Bürgerkrieg und Ausnahmezustand geprägt, als daß linke Parteien oder Organisationen in ihnen eine Option für Frieden oder Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hätten entdecken können. Darüber hinaus waren die Wahlen offensichtlich das Produkt der von den USA konzipierten Kriegsführung der niedrigen Intensität, der Aufstandsbekämpfung, die darauf hinauslief, der FMLN auch politisch den Boden zu entziehen.
Die Situation veränderte sich erst wieder im Vorfeld der 89er-Wahlen. Anläßlich dieses Urnengangs gründeten hauptsächlich die Parteien (MPSC Sozialchristliche Volksbewegung, Linke Abspaltung der PDC) und MNR wiederum ein linkes Wahlbündnis, die Convergencia Democrática (CD). Die FMLN rief zum Boykott auf und brachte stattdessen den “Vorschlag zur Umwandlung der Wahlen in einen Beitrag zum Frieden” (dok. in LN 179)ein, in dem sie erstmals die Bedingungen definierte, unter denen sie bereit wäre, sich an Wahlen aktiv zu beteiligen. Es steht außer Frage, daß diese Bedingungen (u.a. Ende der Repression, Einkasernierung der Armee, Wahlrechtsreform) auch am 10. März keineswegs er-füllt sein werden.

Verhandlungen haben Vorrang vor den Wahlen

Auch diese Wahlen werden mit einer demokratischen Willensbildung so wenig zu tun haben wie alle vorangegangenen. Die Frage ist also, welche Ziele auf der einen Seite die Oppositionsparteien mit ihnen verbinden und was die FMLN auf der anderen Seite zu ihrer ambivalenten Haltung bewog. Es kann angenommen werden, daß über diese Frage innerhalb der FMLN lange debattiert wurde. Noch im Oktober 1990 schob Joaquin Villalobos, Chef des Revolutionären Volksheeres (ERP), einer weiteren Organisation innerhalb der FMLN,die Kontinuität dieser Wahlen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung gegenüber den möglichen Chancen in den Vordergrund (Vgl. LN 198). Es ist jedoch davon auszugehen, daß die Kontroverse im wesentlichen beigelegt ist. Klar scheint auch zu sein, daß sich die Kommunistische Partei von den Positionen der 70er Jahre entfernt hat und keinesfalls ein Ausscheren der KP aus der FMLN bevorsteht. Shafick Handal: “Demokratie, die demokratische Revolution, hat für die FMLN -und da gibt es eine unzweideutige Übereinstimmung aller Organisationen -tatsächlich eine strategische Bedeutung, eine Demokratie, die sich aber wesentlich von einer bloßen Wahldemokratie unterscheidet.”
Weder die Oppositionsparteien noch die FMLN selbst erwarten einen Wandel der Kräfteverhältnisse durch die Wahlen selbst. Ein Brechen der Parlamentsmehrheit von ARENA durch die PDC, CD und UDN wird allerdings als Instrument eingeschätzt, um dem stagnierenden Verhandlungsprozeß wieder neue Impulse zu geben. Dies ist auch dringend notwendig, da die USA offenkundig versuchen, die Grundlage des Prozesses
– die Vereinbarungen von Genf und Caracas (Vgl. LN 200) – zu untergraben. Ein Artikel in der New York Times diffamierte am 1. Februar unter Berufung auf Regierungsquellen den UNO-Vermittler Alvaro de Soto, warf ihm Inkompetenz vor, und versuchte so, den Verhandlungsprozeß insgesamt zu diskreditieren. Tatsächlich kann eine parlamentarische Mehrheit der heutigen Opposition in dieser Situation neue Wege gehen, um auch international mit größerem Druck und Legitimation auf reale Verhandlungserfolge zu drängen. Die Tatsache jedoch, daß diese Oppositionsparteien CD, UDN und die PDC sich nicht auf einen gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten für San Salvador haben einigen können, verweist auf nicht unerhebliche inhaltliche Differenzen und Profilierungsgelüste. Diese könnten die gemeinsame politische Plattform, von der Shafick Handal spricht, durchaus gefährden (Vgl. Interview). Die PDC scheint zwar die Forderung nach einer Demilitarisierung als Grundlage von Demokratisierungsprozessen übernommen zu haben, doch gibt die Geschichte dieser Partei mannigfaltig Anlaß, ihr mit Mißtrauen zu begegnen.

Der Anschlag auf Diario Latino

In jedem Fall nehmen die Militärs die Entwicklungen der letzten Wochen als elementare Bedrohung wahr. Dies ist augenscheinlich die Ursache für die stark zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in dieser Zeit. Die schlimmsten waren bisher die Morde von E1 Zapote, wo 15 Menschen regelrecht hingeschlachtet wurden und der Bombenanschlag auf die einzige noch verbliebene kritische Tageszeitung Diario Latino. In der Nacht zum 9. Februar explodierte in der Zeitung eine Brandbombe, die das dreigeschössigen Gebäude und die zur Herstellung der Zeitung notwendigen Geräte völlig zerstörte. (Wegen der großen Bedeutung dieses Anschlags für die Medienlandschaft E1 Salvadors hat das “Dritte-Welt-Haus” Frankfurt e.V. ein Spendenkonto eingerichtet: Postgiro 19991-604; BLZ 500 100 60; Stichwort: “Diario Latino”). Die Journalisten der selbstverwalteten Zeitung haben bereits angekündigt, daß sie das seit 100 Jahren existierende Blatt weiterführen werden. Daneben gibt es jedoch eine ganze Reihe von Bombenanschlägen gegen die Volksorganisationen und Morde an AktivistInnen der Oppositionsparteien.

Repression und Wahlboykott?

Die Repressionswelle beweist noch einmal den ungebrochenen Willen der Militärs, sich keinen Zipfel ihrer Macht entreißen zu lassen und gleichzeitig die Notwendigkeit, genau dies zu tun. Die Menschenrechtsverletzungen haben ihren Höhepunkt vermutlich noch nicht erreicht. Das Ziel der Hardliner im Militär ist dabei klar auszumachen: Sie wollen die Wahlen, so, wie sie derzeit konzipiert sind, verhindern. Ihre bewährte Methode war in der Vergangenheit, entweder ein Massaker zu veranstalten oder eine bekannte Persönlichkeit der (gemäßigten) Opposition umzubringen. Es mehren sich die Warnungen der Parteien – einschließlich der PDC -, daß ein Rückzug aus den Wahlen durchaus denkbar ist, wenn die Anschläge fortgesetzt werden. “Selbstverständlich”, so Shafick Handal, “würde die FMLN die Oppositionsparteien in einem solchen Fall unterstützen.” Und das auf ihre Weise.


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Bomben und Proteste gegen den fernen Krieg und die nahen Yankees

Einige hundert Menschen demonstrierten in Santiago de Chile vor dem Sitz des größten chilenischen Rüstungsproduzenten CARDOEN. CARDOEN exportierte seit 1982 Waffen an den Irak, unter anderem eine Sorte C-Bomben, “Erstickungsbomben”, die ein Pulver versprühen, das den Sauerstoff in der Luft bindet. Anzahl und Preis der gelieferten Bomben sind nicht bekannt. 1986 halfen Techniker von CARDOEN beim Bau einer Bombenfabrik in Bagdad. Die Rü­stungsverkäufe dauerten nach offiziellen Angaben bis zum UN-Ultimatum gegen den Irak vom August vergangenen Jahres an. CARDOEN war unter der Militär­diktatur Pinochets unter dessen persönlicher Protegierung entstanden. Auch zur neuen Regierung Chiles dürften die Beziehungen blendend sein: Der Besitzer ist mit einer Nichte des christdemokratischen Präsidenten Aylwin verheiratet. CARDOEN versucht nun, den Ausfall der Lieferungen an den Irak zu ersetzen; es erging ein Angebot an Saudi-Arabien zur Lieferung von 30.000 Bomben.
Eine Guerilla-Gruppe “Frente Revolucionario Anti-Imperialista” hat verkündet, daß US-Einrichtungen in Chile angegriffen werden sollen. Es gab bereits An­schläge auf einen Mormonen-Tempel und auf Filialen der US-amerikanischen “Security Pacific”- und “Republic National”-Banken. Die “Patriotische Front Ma­nuel Rodriguez” (FPMR) schickte eine Raketenattrappe und Flugblätter in die Residenz des israelischen Botschafters in Santiago.
Auch die brasilianischen Rüstungskonzerne “Avibras Aeroespecial” und EN­GESA, die bisher den Irak mit einer ganzen Palette von Rüstungsgütern beliefer­ten, wollen nun den Handel mit Saudi-Arabien aufnehmen. Ein Manager be­gründete die Unbedenklichkeit der Lieferungen in den Irak in der Vergangenheit damit, daß “Deutschland und Frankreich die chemischen Einrichtungen” stellten, dann könne ja wohl gegen die Lieferung der Trägersysteme nichts einzuwenden sein.
Der Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Bolivien warb für Unterstützung für den Irak durch Demonstrationen und “andere Kampfformen”. Die Guerilla-Gruppe “Nationales Befreiungsheer” bezeichnete in einem Kommuniqué alle US-Einrichtungen in Bolivien als anschlagsrelevante Ziele.
In Ecuador gab es Bombenanschläge gegen die US-amerikanische und die fran­zösische Botschaft. Andererseits besetzten 12 Mitglieder der Gruppe “Alfaro Vive Carajo” (AVC) kurzzeitig die französische Botschaft und forderten eine Ver­handlungslösung.
Im von den USA teilbesetzten und kontrollierten Panama übernahm das “Volksheer für die Nationale Befreiung” (EPLN) die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf die US-Botschaft und kündigte weitere Anschläge an. Der Marionetten-Präsident Endara hatte bereits im November kurzzeitig die Durch­fahrt aller Schiffe aus oder nach Irak durch den Panama-Kanal verboten.
In Venezuela verübte eine “Internationalistische Brigade” einen Brandanschlag auf einen Mormonen-Tempel in Barquisimeto. Die Mormonen wurden als US-Spione bezeichnet. Die Menschenrechtsorganisation “Fundalatin” forderte den venzolanischen Kongreß auf, für die Dauer des Krieges alle Öllieferungen an die Länder der westlichen Allianz am Golf einzustellen.
Nach Meinung des kubanischen Präsidenten Fidel Castro ist derjenige für den Krieg verantwortlich, der zuerst schießt. Der Krieg bedeute “das Scheitern der UNO und der Politiker”. Die beteiligten Parteien hätten nicht genügend Ver­ständnis aufgebracht und der Irak habe ethische, historische, religiöse und ara­bisch-nationalistische Argumente benutzt, als eine realistische Vernunft erfor­derlich war. Kuba hat zur Versorgung der Zivilbevölkerung eine Ärztebrigade in den Irak entsandt.
(Quellen: ANN, PONAL, LA Weekly, Monitor-Dienst)


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Manifestationen eines Kinos in der Krise

In diesem Jahr ist das Festival dem Fernsehen gewidmet und wird damit dem hohen Stellenwert gerecht, den TV-Produktionen im audiovisuellen Bereich ein­genommen haben. Gleichzeitig deutet die Würdigung des lateinamerikanischen Fernsehens aber auf die Krise des lateinamerikanischen Kinos hin. In einer Pres­sekonferenz werden wir auch schon gleich zu Anfang der Festspiele darüber in­formiert, in welchem Kontext die aufgeführten Filme zu sehen sind: Die Wirt­schaftskrise in den lateinamerikanischen Ländern, die sich in hoher Auslandsver­schuldung, Rückgang des Bruttosozialprodukts, fallenden Löhnen und immen­sen Inflationsraten äußert, hat auch vor dem Kino nicht haltgemacht. In Brasilien wurde aufgrund von Sparmaßnahmen über Nacht die Filmförderung ausgesetzt und das Filminstitut “Embrafilme” aufgelöst. Der Entzug der staatlichen Mittel führte dazu, daß 1990 statt den durchschnittlich über 50 langen Spielfilmen nur noch ein einziger gedreht wurde. Das kleinere Filmland Ecuador hat es in den letzten fünf Jahren gerade mal auf einen Film gebracht. Und in Argentinien, so Cipe Fridman, die Produzentin von “Flop” kann man nur noch als Verrückter Filme machen. Das argentinische Filminstitut – immerhin noch nicht aufgelöst wie das brasilianische – hat dieses Jahr nicht die vom Finanzministerium zuge­sagten Mittel erhalten. Die argentinischen Kinos sind wie überall auf dem Sub­kontinent von US-amerikanischen Filmen überschwemmt. Produktionskosten, die zwischen einer halben und eineinhalb Millionen US$ liegen, können nicht al­leine durch Zuschauererlöse gedeckt werden. Wer geht schon bei einem monatli­chen Einkommen zwischen 20 und 50 US$ in einen Film, für den er ungefähr einen Dollar Eintritt zahlen soll?
In noch folgenden Pressekonferenzen und Seminaren wurde dann auch nach Lö­sungen, wie das lateinamerikanische Kino überleben kann, gesucht und Ansätze vorgestellt. Zum einen sind da die Koproduktionen des spanischen Fernsehens. Dessen finanzielle Beteiligung – in den letzten vier Jahren an über 100 Projekten – machte angesichts der schlechten finanziellen Lage lateinamerikanischer Produ­zentInnen und Filminstitute oft erst die Herstellung von Kino- Fernseh- und Vi­deofilmen möglich. Beispiele hierfür sind die auch schon in Deutschland gezeig­ten “Ultimas imagenes del naufragio ” (Letzte Bilder des Schiffbruchs), “La nación clandestina” (Die heimliche Nation) und “Un señor muy viejo con unas alas enormes” (Ein sehr alter Herr mit gewaltigen Flügeln) sowie “Sandino”, auf den ich später noch eingehen werde. Zum andern existiert zwischen den Filmbehör­den verschiedener lateinamerikanischer Länder ein Abkommen über einen ge­meinsamen Filmmarkt, womit Filme aus den beteiligten Ländern die gleichen Vergünstigungen erhalten wie die eigenen Filme. Das “Abkommen zur latein­amerikanischen Integration im Filmwesen”, das im November 1989 in Caracas von Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Kuba, Ecuador, Mexiko, Nicaragua, Pa­nama, Peru, Venezuela, der Dominikanischen Republik und Bolivien verabschie­det wurde, soll die Vermarktung von Kino- Ferseh- und Videofilmen in den je­weils anderen lateinamerikanischen Ländern erleichtern und damit sowohl zur kulturellen Integration als auch zur Verteidigung gegen die kulturelle Überfrem­dung seitens der US-amerikanischen Filme beitragen. Ansonsten gab es eine Menge Appelle, das bestehende Konkurrenzverhältnis zwischen Kino, Fernsehen und Video in den lateinamerikanischen Ländern in ein Miteinander umzuwan­deln.
Nichtsdestotrotz gab es in den folgenden Tagen eine Menge lateinamerikanisches Kino zu sehen. Manchmal drängte sich dabei jedoch die Frage auf, was denn das “Neue” an diesen Filmen sei. Und ein kubanischer Mitarbeiter des Festivals ge­steht, daß die Auswahl der lateinamerikanischen Filme durch die Kommission doch recht beliebig gewesen sei. So mußten wir uns bei den zwar technisch per­fekt gemachten, aber inhaltlich und dramaturgisch schwachen venezuelanischen Filmen “Cuchillos de fuego” (Feuermesser) und “Con el corazón en la mano” (Mit dem Herzen in der Hand) langweilen, den derben Witz der argentinischen Fami­lienkomödie “Cien veces no debo” (100 mal soll ich nicht) ertragen und uns über das peinliche Portrait der kolumbianischen Gewerkschaftsführerin Maria Cano ärgern.
Die größte Enttäuschung stellte wohl ein mit berühmten Schauspielern realisier­ter und eine berühmte Person der lateinamerikanischen Geschichte dar­stellender Film eines berühmten Regisseurs dar. Die Rede ist von “Sandino” des Chilenen Miguel Littín (mit Kris Kristofferson und Angela Molina) über den gleichnami­gen Freiheitskämpfer Nicaraguas. Mit viel Spannung in Kuba erwar­tet, ent­puppte sich das Werk dann allerdings als oberflächliche, unpolitische Großpro­duktion im Stile Hollywoods, bestehend aus Liebe, Intrige und Schieße­reien. Böse Zungen behaupten, das Beste an dem Film sei, daß er Sandino zum Thema habe. Und der ehemalige sandinistische Innenminister Tomás Borge wollte erst gar keinen Kommentar zu dem Produkt Littíns abgeben.Aber noch einmal zu­rück zu dem Eröffnungsfilm “Caidos del cielo” (Vom Himmel Gefal­lene): In dem schon auf den Festivals von Montreal und Orleans ausgezeichneten Film erzählt der Regisseur Lombardi simultan drei tragisch absurde Geschichten. Da ist zum einen ein altes Ehepaar, das alle seine Wertgegenstände und sogar sein Haus verkauft, um den Preis für ein Mausoleum aufzubringen, eine im Slum lebende alte blinde Frau, die ihre Enkel schikaniert und schließlich als Futter für ein zu mästendes Schwein endet und ein mißgestalteter Sprecher eines Radio­programms unter dem Motto “Du bist dein Schicksal”, dem es im wirklichen Le­ben nicht gelingt, eine Selbstmörderin vom Sprung in die Tiefe abzuhalten.
Auch nicht gerade ein optimistisches Bild der lateinamerikanischen Realitäten vermittelt am nächsten Tag “Después de la tormenta” (Nach dem Sturm) des Ar­gentiniers Tristán Bauer. Ein Film, der auch für das Forum des jungen Films im Rahmen der Berliner Filmfestspiele ausgewählt wurde. Protagonist ist ein Mann, der im Zuge der Unternehmenszusammenbrüche in Argentinien seinen Arbeits­platz verliert und damit gleichzeitig seine Stellung als Familienoberhaupt infrage gestellt sieht. Die Komposition schöner, melancholisch stimmender Bilder und nicht zuletzt der Einsatz des Hauptdarstellers Lorenzo Quintero erinnern oft an “Ultimas imagenes del naufragio” (Letzte Bilder eines Schiffbruchs) und “Hombre mirando al sudeste” (Der Mann, der nach Südosten schaut), was die kubanische Zeitung Granma veranlaßte Bauers Film ironisch mit “El hombre mirando el naufragio despues de la tormenta” (Der Mann, der den Schiffbruch nach dem Sturm betrachtet) zu betiteln. Inhaltlich und dramaturgisch vermag er jedoch nicht so zu überzeugen wie seine Vorbilder. Besser gefallen haben mir zwei an­dere argentinische Produktionen: “Flop” von Eduardo Mignona, die (wahre) Ge­schichte eines Varietekünstlers im Argentinien der 40er Jahre, mit den Mitteln des Theaters spielend, witzig und traurig zugleich. Und “Yo, la peor de todas” (Ich, die schlimmste von allen) von Maria Luisa Bemberg. Die argentinische Re­gisseurin, die auch in den vergangenen Jahren mit ihren Filmen große Erfolge auf dem kubanischen Festival feiern konnte – dieses Jahr ist ihr Werk der absolute Favorit des Publikums und der Presse – widmete sich auch dieses Mal einem Frauenthema. Nach dem Roman von Octavio Paz stellte sie wichtige Situationen im Leben der Nonne Juana Inés de la Cruz dar, einer der bedeutendsten latein­amerikanischen Schriftstellerinnen im 17. Jahrhundert. Da diese sich nicht in Mann und Kindern selbstverwirklichen wollte und ihr als Frau der Weg in die Universität versperrt blieb, wählte sie das Kloster, um dort zu lesen, zu schreiben und zu forschen.
Zwischen den Filmen mal eine Pause. Mit einem guagua, so heißen die Busse in Kuba, angeblich weil sie die Geräusche quengelnder Kleinkinder wiedergeben, geht es in einen Vorort von La Habana, eine Einladung zu einem trago, einem Schluck Rum, annehmend. Doch auch hier werden wir nicht von Filmen ver­schont. Das Oberhaupt der Familie, Doña Josefina, sitzt mit diversen Freunden, Bekannten und Nachbarn vor dem Fernseher und verfolgt gebannt die brasiliani­sche Fernsehserie “Roque Santeiro”. Zwischen Begrüßung, Fragen, wie mir denn Kuba gefalle und dem Ausschenken eines Glases Rum, diskutieren die Anwe­senden eifrig die neueste Missetat des Filmbösewichts. Antonio erklärt mir, daß seine Mutter keine der täglich zur besten Sendezeit ausgestrahlten Folgen aus­lasse und in den Unternehmen sogar ganze Betriebsversammlungen verschoben werden, damit die compañeros bei ihrer Lieblingstelenovela am Ball bleiben können.
Wieder zurück im dunklen Kinosaal der Innenstadt sehen wir uns den kubani­schen Film “Mujer transparente” (Durchsichtige Frau) an. Anders als die anderen von Kuba für den Wettbewerb ausgewählten Produkte, “Hello Hemingway”, ein nett gemachter Film, aber auch nicht mehr, der nach nicht ganz nachvollziehba­ren Kriterien den ersten Preis gewann und “Maria Antonia”, die beide in den 50er Jahren, also vor der Revolution spielen und es damit umgehen, sich mit der ge­genwärtigen Situation in Kuba auseinanderzusetzen, sind die sechs Kurzepiso­den von “Mujer transparente”, Portraits von sechs Frauen, in dem Kuba von heute angesiedelt. Besonders beeindruckend ist die Episode “Laura”. Eine junge Frau, besagte Laura, wartet auf ein Treffen mit ihrer ehemaligen Schulfreundin Ana, die vor zehn Jahren mit 100.000 anderen unzufriedenen KubanerInnen die Insel verlassen hat und nun, als Touristin nach Kuba zurückgekehrt, in einem teuren Dollar-Hotel abgestiegen ist. Der Film läßt die ZuschauerInnen an den Gedanken Lauras über die Beweggründe von Ana und die gegenwärtige Situa­tion in Kuba sowie an ihrer Wut über die Behandlung als Bürgerin zweiter Klasse gegenüber den devisenbringenden TouristInnen teilhaben. Die Stimmung im Kino ist aufgeheizt. Die Bilder auf der Leinwand treffen mit der Realität zusam­men: Gegen Dollars, deren Besitz den KubanerInnen streng verboten ist, kann man hier (fast) alles kaufen. Die normalen KubanerInnen haben dagegen schon seit Monaten keine Butter mehr gesehen und selbst das Grundnahrungsmittel Bohnen ist nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Dollars sichern auch den Zugang zu den Touristenhotels, während die Kubanerinnen ohne Einla­dungskarte draußen bleiben müssen. Im Kino wird dauernd Beifall geklatscht, Bravorufe ertönen, und auch bei der Abschlußveranstaltung – Laura gewinnt den ersten Preis in der Kategorie Kurzfilm – gibt es hier den meisten Applaus und die Regisseurin muß mehrere Male aufs Podium zurückkehren. Fidel Castro ist die­ses Mal nicht zur Preisverleihung erschienen, um eine seiner berühmten Reden zu halten. Die trägt er dann zwei Tage später bei einem Kongreß über Ersatzteile vor.
Und bei den rhythmischen, Optimismus verbreitenden Klängen der brasiliani­schen Band Morais Moraira – alles tanzt inzwischen, obwohl die Preise für die langen Spielfilme noch nicht vergeben sind – fragen wir uns wie es mit Kuba und dem lateinamerikanischen Kino weitergehen wird.


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Bush besucht die “vertikale Hemisphäre”

Als Präsident Kennedy vor knapp 30 Jahren unter dem Eindruck der kubanischen Revolution die “Allianz für den Fortschritt” als Plan für ein großes gemeinsames Reformunternehmen der USA und Lateinamerikas aus der Taufe hob, galten als Voraussetzung einer grundlegenden Besserung noch soziale Gerechtigkeit, eine gründliche Agrarreform, Besteuerung des Luxus und des Reichtums, Kontrolle der Profite aus ausländischen Direktinvestitionen, staatlich geförderte Industrialisierung. Heute fliegt Kennedys später Nachfolger George Bush von einem Land Südamerikas in das nächste, um seine Präsidentenkollegen dazu zu beglückwünschen, daß sie “Reformen” durchgeführt haben, die im Namen von Demokratie und Marktwirtschaft mit den Illusionen von sozialer Gerechtigkeit und staatlicher Entwicklungspolitik gründlich aufgeräumt haben.
Die ganze erste Dezemberwoche war Bush unterwegs, in seinem neuen Regierungsflugzeug Air Force One jederzeit für die militärischen Planungen am Persischen Golf aufnahmebereit. Ziel waren die relativ reicheren und politisch wichtigeren Länder im Süden: Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile und Venezuela. Ausgespart wurden Länder, in denen wie in Bolivien, Peru, Kolumbien und Panama Drogenproduktion und Drogenhandel den Zorn der Führung des Hauptkonsumlandes von Drogen – nämlich der USA – erregen und wo deshalb diese Führung nicht gerade gern gesehen wird.

Die neue Morgenröte

Gefeiert wurde bei den Ansprachen vor den Parlamenten, den Treffen mit den Präsidentenkollegen Collor, Lacalle, Menem, Aylwin und Pérez sowie den Pressekonferenzen vor allem der Sieg der Marktwirtschaft, der nun – so Bush vor dem Parlament in Brasilia – die Möglichkeit “einer neuen Morgenröte für die Neue Welt” in Gestalt einer gigantischen Freihandelszone von Kanada bis Feuerland eröffne, einer “vertikalen Hemisphäre”, in der sich mehr als zwanzig marktwirtschaftlich orientierte Demokratien zusammenschließen könnten. Daß der Norden bei diesem Vertikalismus das Sagen hätte, ist gerade auch den brasilianischen Ökonomen klar, denen die Versuche einer eigenen Entwicklung von Mikroelektronik durch die erzwungene Öffnung ihres Marktes für US-Computer gerade erst ausgetrieben wurden.
Die Freihandelszone soll dem durch gewaltige Handelsbilanzdefizite angeschlagenen Imperium neue Absatzmärkte erschließen, Konkurrenzvorteile vor Japan, Südostasien und Westeuropa eröffnen und überhaupt ein Gegengewicht gegenüber der Europäischen Gemeinschaft begründen. Solange sich diese “Iniciativa para las Américas” darauf beschränkt, durch Abbau von Zollschranken und anderen Behinderungen den völlig freien Handel mit Waren und Dienstleistungen auf dem ganzen Kontinent zu organisieren, den freien Verkauf der Ware Arbeitskraft, das heißt: die freizügige Arbeitsmigration in die USA aber verhindert, so lange wird diese Art von Integration angesichts der relativen Marktmacht der “Partnerländer” und des herrschenden Produktivitätsgefälles nur im Sinne einer Verschärfung der Unterentwicklung Lateinamerikas wirken. Die in diesen Tagen verkündeten Änderungen der Einwanderungsbestimmungen der USA lassen aber nicht darauf schließen, daß solche Freizügigkeit innerhalb ganz Amerikas geplant sei.

Ohne Spendierhosen

Daß Präsident Bush seine Gastgeber zu kaufen versucht hätte, läßt sich nicht behaupten. Versprochen hat er ihnen zunächst gar nichts. Erst nach der Reise verlautete, daß die USA vielleicht zur Verbesserung der Absatzchancen für US-Produkte auf bis zu sieben der zwölf Milliarden US-Dollar verzichten könnten, mit denen die lateinamerikanischen Länder bei der US-Regierung verschuldet sind. Das wären gerade anderthalb Prozent der gesamten, ohnehin unbezahlbaren Außenschuld Lateinamerikas. Und dann wollen die USA so großzügig sein und 100 Millionen ( nicht Milliarden, Millionen! ) US-Dollar in einen multilateralen Investitionsfonds einzahlen, zu dem die europäischen Staaten noch das Doppelte beitragen sollen. Diese Summe entspricht einem Viertel eines Promille der lateinamerikanischen Auslandsschuld, oder anders: Sie entspricht der Summe, die in den letzten Jahren jeweils alle drei Tage netto aus Brasilien an die ausländischen Gläubiger geflossen ist. Das Imperium ist wahrlich bescheiden geworden.
Die gastgebenden Präsidenten gebärdeten sich wie Musterschüler. Argentiniens Menem konnte sogar mit einem zur rechten Zeit in Szene gesetzten und siegreich überstandenen Putschversuch rechtsradikaler Militärs sein Image als Vorkämpfer der Demokratie polieren, was alle Pläne für eine Demonstration der linken Opposition gegen den Bush-Besuch über den Haufen warf.
Der Chef der angeschlagenen Weltmacht konnte sich auf seiner ganzen Reise, sehen wir von ein paar Bombendetonationen in Buenos Aires und Santiago ab, über den freundlichen Empfang freuen, obwohl mindestens der eine Teil seiner frohen Botschaft, nämlich das neoliberale Programm für Privatisierung und ungehemmte Marktwirtschaft, in Brasilien und Uruguay, in Argentinien und Venezuela die schwere Krise der achtziger Jahre nicht behoben, sondern im Gegenteil noch verschärft hat. Einzig in Chile funktioniert die Marktwirtschaft, wenn auch nicht sozial und ökologisch orientiert, wie das heute gefordert wird, und schon gar nicht im Dienste der Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn sie funktioniert, dann ist das nicht das Ergebnis der Demokratie, die immer als Zwillingsschwester der Marktwirtschaft erscheint, sondern Resultat einer langjährigen und brutalen Militärdiktatur. Der Ex-Diktator General Pinochet, heute noch immer Oberbefehlshaber des Heeres in Chile, ließ es sich denn auch nicht nehmen, zur Begrüßung des Präsidenten der USA persönlich zu erscheinen und auf seine Verdienste für die Freiheit des Kapitals hinzuweisen.
Was George Bush, dem Propheten von Demokratie und Marktwirtschaft, einzig zu seinem Glück noch fehlt, benannte er auf der letzten Station seiner Reise in Caracas: Kuba, “der einzige und einsame Winkel des Totalitarismus auf dem amerikanischen Kontinent”, werde sich bald seines kommunistischen Regimes entledigen ( und damit wieder den reichen US-Amerikanern als Ferienparadies und Spielhölle zur Verfügung stehen ). Mag sein, daß er Recht behält und der Wind in diese Richtung bläst, zumal eine große Bewegung zugunsten sozialer Reformen wie vor 30 Jahren von Kuba nicht mehr ausgeht. Der Glaube aber, daß die Massen der Bevölkerung in Lateinamerika nun für immer beschlossen hätten, auf Ettikettenschwindler wie Menem in Argentinien hereinzufallen und die Mittel der Demokratie nur für die Wahl einer unterentwickelten Marktwirtschaft einzusetzen, wäre mindestens so naiv wie der Glaube an die Naturgesetzlichkeit der Weltrevolution.
Die Zeiten ändern sich. Nichts bleibt, wie es ist. Die Geschichte ist noch nicht am Ende.


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BOMBEN FÜR DIE YANOMAMI

Die Professorin Maria Helena Medina aus Venezuela schätzt die Zahl der illegal eingedrungenen “garimpeiros” aus Brasilien bereits auf etwa 50.000 (!). Versorgt werden sie nach ihren Angaben überwie­gend per Flugzeug aus Brasilien. Indios der Region hätten aller­dings erklärt, daß bereits vor einigen Jahren die ersten brasilia­nischen Goldsucher in ihrem Gebiet aufgetaucht seien.
Mehr noch als um die Yanomami fürchtet Venezuela angesichts der niedrigen Bevölkerungsdichte und der geringen Präsenz des Staates im südlichen Bundesland Amazonien um seine nationale Integrität. Die Invasion der Goldgräber wird als Teil einer expansiven Amazo­nas-Politik Brasiliens interpretiert, die zu “ernsten diplomati­schen Problemen” führen kann.
So ist es Präsident Collor unter Mitwirkung von Umweltstaatssekre­tär José Lutzenberger gelungen, das Problem der illegalen Goldsu­cher auf das Yanomami-Gebiet Venezuelas auszudehnen, ohne es für Brasilien zu lösen. Dies hätte nämlich bedeutet, Alternativen zu finden; für die Goldsucher einerseits und für einen dauerhaften Schutz des Yanomami-Landes andererseits. So steht beispielsweise die rechtlich einwandfreie Festlegung des Yanomami-Gebietes durch den Staat noch immer aus.
Die in die Slums von Boa Vista geflüchteten Goldsucher zumindest werden zurückkehren und die Flugpisten instandsetzen, sobald die Öffentlichkeit ihre Augen abwendet und das Militär seine spektaku­lären Bombardements einstellt. Um das Überleben der Yanomami zu sichern, von denen seit der Invasion der “garimpeiros” vor 2 Jah­ren über 10% (!) an eingeschleppten Krankheiten und Hunger gestor­ben sind, müssen strukturelle Lösungen durchgesetzt werden. Daß der Völkermord an den Yanomami mit Militär-Aktionen à la Rambo nicht zu stoppen ist, müßte Umweltschützer Lutzenberger eigentlich klar sein.


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Indígena-Proteste am 12. Oktober

Der spanische König Juan Carlos verlas die Einladung zur Konferenz im “Institut für Iberoamerikanische Kooperation” in Madrid. Sie sei der geeignete Augenblick für die iberoamerikanische Gemeinschaft, so der spanische Monarch, um sich ihrer selbst bewußt zu werden. Die Konferenz solle der Welt ihren Willen zeigen, für eine brüderliche und solidarische Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Nach letzten Informationen haben alle lateinamerikanischen Staatsoberhäupter – Fidel Castro eingeschlossen – die Einladung angenommen.
Währenddessen protestierten in Chile hunderte von Indígenas gegen die Gedenkfeiern am 12.Oktober. An diesem “Tag der Rasse” (día de la raza) wird in ganz Amerika die Landung von Kolumbus gefeiert. Vor dem Monument des Indígena-Führers Caupolican in Santiago de Chile hielt José Painiqueo, Vorsit­zender der “Metropolitanen Koordination der Indígena-Völker” eine Rede, in der er die Demonstration als Gedenkveranstaltung für den “Jahrestag der Invasion und die Ankunft der Fremden in unserem Vaterland” bezeichnete.
Die bolivianischen Indígenas kündigten im Zentrum von La Paz die Bildung einer eigenen Regierung für 1992 an.
In Ecuador fanden mehrere Demonstrationen gegen “den schlecht benannten Tag der Rasse” statt. “Dieses Ereignis bedeutete die Ausrottung unserer Sitten”, hieß es.
Im Südosten von Venezuela forderte der “Nationale Indio-Rat” (CNI), daß sich die lateinamerikanischen Nationen als multi-ethnische Staaten definieren sollten. Vor RepräsentantInnen von 21 venezolanischen ethnischen Gemeinschaften sagte ein Vertreter des CNI: “Wir Indígena-Völker weisen die “Entdeckung Amerikas”, den “Tag der Rasse” und die “Begegnung der Völker” als kolonialistische Begriffe zurück. Sie sollen nur den Völkermord verschleiern, der auf den 12. Oktober 1492 folgte.” Der CNI forderte eine kritische Bilanz des 500sten Jahrestages, Land- und Besitztitel für die Indígena-Gemeinschaften und einen Schutz vor dem Verkauf von Indígena-Land, um die Auslandsschulden zu bezahlen.
Panamaische Indígenas demonstrierten vor der spanischen Botschaft in ihrem Land und verlangten von ihrer Regierung, sich nicht an den Vorbereitungen zu den Feiern zum 500sten Jahrestag der Eroberung zu beteiligen.
In San Salvador versammelten sich Indígenas der Nahuatl. Vor der Statue der spanischen Königin Isabel erklärten sie den 12.Oktober zum “Tag der Trauer, an dem wir unsere Identität verloren haben”.
In San José, der Hauptstadt Costa Ricas, marschierten protestierende Indígenas durch die Stadt, während Staatspräsident Calderón ein Geschenk vor der Statue der Königin Isabel niederlegte. “Wir verlangen Personalausweise, jetzt sofort, wir sind Kinder dieses Landes”, forderten die costaricanischen Indígenas.
In Guatemala, einem der Länder mit dem höchsten Indígena-Anteil der Bevölke­rung, gaben verschiedene Volksorganisationen Stellungnahmen zum 12. Oktober heraus. Die Union der LandarbeiterInnen des Südens (UCS) forderte, die Mittel, die für diese “dummen Feiern” 1992 vorgesehen sind, für die medizinische Ver­sorgung und für Lebensmittel für die Armen auszugeben. Mit der Invasion 1492, so erklärte die UCS, habe das Leiden und die Ausbeutung der Indígena-Bevölke­rung begonnen, die bis heute andauere. Noch krasser drückte es das “Komitee für die Einheit der LandarbeiterInnen” (CUC) aus. Die Gewerkschaft verglich die von den Spaniern errichteten Kolonialdörfer mit den vom guatemaltekischen Heer geschaffenen militärisch kontrollierten Modelldörfern. “Die Spanier haben uns das Land geraubt und es an jene vergeben, die heute die Großgrundbesitzer sind”, erklärte das CUC und forderte die Rückgabe des Bodens an die rechtmäßi­gen BesitzerInnen. Die LandarbeiterInnengewerkschaft erklärte, die unterdrück­ten Völker und die armen Bevölkerungsschichten müßten sich zusammenschlie­ßen, um den offiziellen Feiern eine alternative Kampagne “500 Jahre Volks- und Indígena-Widerstand” entgegenzusetzen. Als Vorbild für den Widerstand empfahl CUC das Beispiel der geheimen Widerstandsdörfer in Guatemala. In diesen versteckten Bergdörfern leben Menschen, die vor der Repression des Hee­res geflüchtet sind.
Schon am Tage zuvor hatten auf ihrem vierten Treffen die lateinamerikanischen Indígena-Parlamentarier in Guatemala-Stadt eine Abschlußerklärung veröffent­licht. Darin kündigten sie jeglicher Form von Diskriminierung, Ausbeutung und politischer Vernichtung ihrer Völker den Kampf an und forderten die Regierun­gen ihrer Länder auf, ihre Sprache, ihre Kultur und die Institutionalisierung von Indígena-Regierungen zu unterstützen. Sie wiesen die offiziellen Feiern des Fünften Jahrhunderts der spanischen Eroberung zurück, da sie “beleidigend sind und die Indígena-Kultur zudem als touristisches Spektakel präsentiert werden soll”.
In den USA wurde folgende Erklärung des Cherokee-Indianers Jan Elliot publi­ziert: “Kolumbus war ein Mörder. Seine Landung am 12. Oktober 1492 löste einen der größten Verluste an Menschenleben in der ganzen Geschichte aus.”


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Die neue Rechte: Ihre Ver­sion in Honduras

Callejas und sein Konzept der “nationalen Entwicklung”

Mit dem Amtsantritt von Rafael Leonardo Callejas am 27. Januar dieses Jahres hat sich mehr vollzogen als der schlichte Wechsel der beiden traditionell konser­vativen Parteien im Land des “Bipardismo”. Mit dem Wahlsieg der Nationalen über die Liberale Partei hat sich die neue Rechte erstmals den Weg geebnet, um ihr Konzept der nationalen “Entwicklung” in die Tat umzusetzen. Mit Callejas ist auch der sowohl von den USA wie von internationalen Finanzorganisationen fa­vorisierte Mann an die Spitze der zivilen Regierung getreten.
Die Liberale Partei hatte in den beiden letzten Wahlperioden, zuletzt unter Präsi­dent Azcona, die traditionelle Generation der Oligarchie vertreten. Der neue Prä­sident hat eine Regierungsmannschaft um sich geschart, die, an den Universitäten in den USA ausgebildet, in Punkto Neoliberalismus durchaus mit den Chicago-Boys konkurrieren kann. Neu ist in Honduras die Formulierung eines eigenen Konzeptes von zivilen Kreisen, eine Aufgabe, der sich seit 1963 die Streitkräfte gewidmet haben.
Welche nationalen Interessen hinter der neuen Linie stehen, läßt sich an der Äm­terbesetzung ablesen. Das Finanzministerium wird von Benjamin Villanueva gelei­tet, dem Präsidenten der COHEP, des wichtigsten Unternehmerverbandes von Honduras. Mit Ricardo Maduro hat ein Vertreter des Exportsektors die Leitung der Zentralbank übernommen. Im Präsidentschaftssekretariat waltet Gilberto Gol­stein, ansonsten Unternehmer aus dem Zuckersektor. Die Ausrichtung dieser neuen Generation von Polit-Technokraten ist eindeutig: Öffnung des Landes für Auslandskapital und Investitionen, Privatisierung und Abbau jeglicher Subventio­nen.
Eine Regierungsmannschaft, die als homogen, ja fast als harmonisch zu bezeich­nen ist. Das wundert nicht. Fast alle Kabinettsmitglieder sind ehemalige Mitglieder der seit 1984 verbotenen “Asociación para el Progreso de Honduras”, APROH. Diese in ihrer ideologischen Ausrichtung stark anti-kommunistische Unterneh­mensorganisation initiierte in Zusammenarbeit mit den Streitkräften zu Beginn der 80er Jahre den schmutzigen Krieg gegen die Bevölkerung in Honduras. Die APROH ist aber auch Brutstätte eben dieses Konzeptes von “nationaler Entwick­lung”, wie es seit acht Monaten von Callejas Mannschaft rigoros durchgeführt wird, ungeachtet der Konsequenzen, die es für die Bevölkerungsmehrheit mit sich bringt.

Einheit von ziviler Regierung und Militärs

1983 organisierte sich die APROH offiziell. Von diesem Zeitpunkt an agierte sie dank der engen Verbindungen zu den Streitkräften als Machtinstanz über der zi­vilen Regierung von Roberto Suazo von der Liberalen Partei. Dieser fühlte sich in seiner Position bedroht, befürchtete einen Putsch. Als 1984 der APROH-Präsi­dent Gustavo Alvarez seines Postens als Chef der Streitkräfte enthoben wurde, verlor zugleich die APROH ihre Legalität. Ungeachtet dessen existierte sie bis heute im Halbschatten weiter.
Seit ihrer Gründung ist die Organisation Mitglied der”Confederacioon de Asocia­ciones Unificadas de la Sociedad Americana” (CAUSA), einer Filiale der Moon­sekte.
Das Neue des von APROH ausgebrüteten Plans ist nicht die Interessensallianz von militärischer und ökonomischer Macht, ebensowenig die Weiterführung der Doktrin der nationalen Sicherheit. Neu ist die Integration dieser Elemente in ein Konzept von “nationaler ökonomischer Entwicklung”, das von zivilen Sektoren der Gesellschaft artikuliert wird. Durch demokratisch legitimierte Wahlen abgesegnet, wird es gerade von der Callejas-Mannschaft in die Praxis umgesetzt.
Grundlegend für die neoliberale Strategie in Honduras ist die Doktrin der natio­nalen Sicherheit, um den Protest der Bevölkerung gegen die Regierungspolitik zu zerschlagen. Zudem wurde im Februar dieses Jahres auf einer gemeinsamen Sit­zung von Regierung und höchsten Vertretern der Militärs deren veränderte Rolle festgeschrieben: Sie sollen im Agrarsektor, in Gesundheitsprojekten und in der Erziehung tätig werden, dabei aber ihre militärische Funktion nicht verlieren. Die Militärcamps werden zu Produktionsstätten, das erleichtert den Zugang zu Bäue­rInnenorganisationen und deren Infiltrierung. Die “Einheit der Aktion” von Streit­kräften und ziviler Regierung läßt noch offen, wer letztlich die erste Macht im Land sein wird.

Die “ökonomische Restrukturierung”

Durch die Regierung Callejas sehen die Unternehmer des Exportsektors, die transnationalen Unternehmer und die internationalen Finanzorganisationen ihrer Interessen vorzüglich repräsentiert. Als die vorherige Regierung Azcona den Schuldendienst nicht mehr aufbringen konnte, wurde Honduras im Herbst vergan­genen Jahres international als kreditunwürdig erklärt. Callejas verhandelte bereits im Dezember mit VertreterInnen des IWF, besorgte sich den Segen für sein Maß­nahmenpaket und die Zusage für neue Kredite.
In Venezuela holte er Erkundigungen über die Erfahrungen mit den Maßnahmen à la IWF ein. Am 3. März schließlich wurde vom Nationalkongreß in Honduras ein Maßnahmenpaket zur “ökonomischen Restrukturierung” verabschiedet. Es bein­haltet in erster Linie Steuermaßnahmen, Preiserhöhungen und die vom internatio­nalen Währungshüter geforderte Abwertung des hondurenischen Lempira. Statt zwei müssen nun 4.16 Lempira für einen Dollar über den Tisch geschoben wer­den. Eine Situation, die den Exporteuren nur recht sein kann. Zur Haushaltssa­nierung wurden die Subventionen für Grundnahrungsmittel gestoppt und massen­haft Leute aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Bereits im Frühjahr bewilligte der IWF einen Kredit über 41 Millionen US-Dollar. Mitte September wurde be­kannt, daß auch die Weltbank zur Erhöhung der Auslandsverschuldung wieder beitragen wird. Von einem Kredit über 90 Millionen US-Dollar ist die Rede.
Die Konsequenzen für Honduraner und Honduranerinnen waren gleich nach Verabschiedung des “paquetazo” spürbar. Die Währungsabwertung heizte die In­flation an, die in den ersten sechs Monaten auf 20% stieg, nach nur 2.7% 1987 und 6.6% 1988. Der Abbau von Subventionen erhöht den Druck auf die Preise, während gleichzeitig immer mehr Leute ihren Job verlieren. Mitte des Jahres wurde in Honduras von 60% arbeitslosen Männern und Frauen gesprochen. Nach Informationen von Inseh leben inzwischen 68% der Bevölkerungg unter der Ar­mutsgrenze.
Nur noch 27% der HonduranerInnen können ihren täglichen Lebensbedarf decken. Alarmierend ist die Situation der Kinder. Von 4.5 Mio Menschen in Hondu­ras sind 2.6 Mio Kinder unter 14 Jahren. Im September meldete SHN, das 500.000 Kinder unterernährt sind und jährlich 125.000 Kinder sterben. Es ist nicht zu übersehen, daß das in seinen Auswirkungen inzwischen weltweit bekannte neo­liberale Modell auch in Honduras bereits nach acht Monaten seine Wirkung zeigt.
Kritisiert wird die Regierung nicht nur von VertreterInnen der Volksorganisatio­nen, sondern auch von UnternehmerInnen, die für den internen Markt produzie­ren, von der Kirche und von kritischen WissenschaftlerInnen im Land. Letztere veröffentlichten im April ein Dokument, in dem die Maßnahmen der Regierung aufs schärfste verurteilt werden. Die OekonomInnen sind bekannt für ihre regie­rungskritische Haltung und ihre ständige Präsenz, wenn es um ökonomische Fra­gen geht. Sie kritisieren am Maßnahmenpaket, daß es sich lediglich um kurzfri­stige Planungen gegen das Haushaltsdefizit und Devisenknappheit handele. Es sei aber offensichtlich, daß die Regierung ökonomische Entwicklung mit ökonomi­schen Wachstum verwechsle.

Die Volksbewegung

Seit Verabschiedung des “paquetazo” und der unmittelbaren Verschlechterung der Lebensbedingungen, der massiven Entlassungen von ArbeiterInnen manifestiert sich der Protest der Gewerkschaften und Volksbewegungen in Streiks und Pro­testmärschen. Bereits im April haben sich die Führungsgremien einiger Volksorga­nisationen und Dachorganisationen der ArbeiterInnen zur “plataforma de lucha para democratizar Honduras” zusammengeschlossen. In einem an die Regierung gerichteten Dokument wird diese Politik verurteilt: “Wir möchten die Technokra­ten der Regierung daran erinnern, daß eine halbe Million honduranischer Familien ohne Unterkunft sind und Tausende in Holzhütten ohne fließend Wasser, Elektri­zität und Abwasserleitungen leben. Eine Situation, die in Kontrast steht zu den großen Villen der Reichen… Und das geschieht in einem Land, das genügend na­türliche Ressourcen zur Verfügung hat, um die gesamte Bevölkerung in akzeptab­len Bedingugen leben zu lassen… Schuld ist die herrschende Klasse, die in keinem Moment der Geschichte ihre ökonomische und politische Macht in verantwortli­cher Weise ausgeübt hat…”
Gefordert werden eine Agrar- und Erziehungsreform, Lohnerhöhungen, Preisen­kungen und die Reduzierung der Militärausgaben. Zugleich werden der Regierung von Seiten der Plattform Verhandlungen angeboten. An diesem Punkt macht sich die Kritik von der Basis der Volksbewegung fest. Sie sind nicht mehr bereit, an ei­ner, von der Regierung in der Wahlperiode versprochenen, aber nie eingehalte­nen” Aktion der Konzertation” teilzunehmen. Die “Alianza Popular Unificada” (APU), der gegenwärtig wichtigste nationale Zusammenschluß von Gewerkschaften und Organisationen attestiert der Plattform eine Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis. Während die Basis konkrete Aktionen durchführte, wochenlang streikte, würde sich die Plattform mit Verhandlungen ohne Ergebnis auf- und die Leute hinhalten. Zweifellos bedeutet die Spaltung von Basis und Führung vieler Organi­sationen eine Schwächung der Volksbewegung.
Bereits im März traten die Angestellten des öffentlichen Dienstes im ganzen Land in den Streik, nachdem 12 000 von ihnen entlassen worden waren. Fast gleichzeitig wurde in der Hauptstadt Tegucigalpa ein Protestmarsch organisiert, indem andere Bewegungen ihre Solidarität bekundeten und gegen den “paquetazo” protestierten. Verschiedne Frauengruppen trafen sich Anfang April in der nördlichen Stadt San Pedro Sula zum “Marsch der leeren Kochtöpfe”. StudentInnen, LehrerInnen und Leute aus den Stadtteilbewegungen protestierten in anderen Städten. Bei Straßen­besetzungen in San Pedro Sula wurde gegen die Tariferhöhung der Öffentlichen Verkehrsmittel protestiert. Als das Militär eingriff, wurden ein Mensch getötet und acht verletzt.
Ihren Höhepunkt erreichte die Streikwelle im Juni. Allein neun Streiks wurden in verschiedenen Betrieben im ganzen Land durchgeführt. Am 11.Juni legten die Mitglieder der Gewerkschaft der Krankenhäuser für 26 Tage die Arbeit nieder und demonstrierten gegen die Privatisierungstendenzen im Gesundheitswesen. Am 25.Juni begann der längste Streik der ArbeiterInnen auf den Bananenplantagen der nordamerikanischen Tela Railroad Company, der am 7.August abgebrochen werden mußte. Die ArbeiterInnen hatten zu wenig Unterstützung von anderen Or­ganisationen erhalten. Zugleich hatte die Regierung ein Dekret verabschiedet, das alle Aktionen des Unternehmens legalisiert, die zur Weiterführung der Produktion notwendig seien.
Die Aktionen der ArbeiterInnen und StudentInnen setzten sich auch im Septem­ber fort. StudentInnen besetzten drei Universitäten, um zu verhindern, daß die Regierung in die Uniwahlen einschreitet. ArbeiterInnen der nationalen Elektrizi­tätswerke haben aus Protest gegen die ständige Präsenz der Streitkräfte in den Betrieben ihre Arbeitskräfte ebenfalls verlassen. Die zunehmenden Protestaktionen werden von Seiten des Staates mit immer schäferer Repression beantwortet.

Kein Morgengrauen in Honduras

An Phantasie, was repressive Maßnahmen anbelangt, scheint es weder der Regie­rung noch den Streitkräften zu mangeln. Mit verschiedensten Methoden wird versucht, die Volksorganisationen zu infiltrieren und zu zerschlagen. Bereits einige Male wurden “von oben” Organisationen gegründet, die identische Namen von oppositionellen Bewegungen tragen. Als im März die Direktoriumswahlen der “Vereinigung Öffentlicher Angestellter” (ANDANDEPH) anstanden, organisierte die Regierung kurzfristig einen Parallelkongreß, bestimmte eine neue Führung und entledigte sich auf diese Weise unliebsamer OpponentInnen. Mitglieder anderer Organisationen wurden bedroht oder verschleppt. Der StudentInnenführer der FRU, Roberto Zelaya, wurde im März von “Unbekannten” schwer verletzt. Eine Menschenrechtsorganisation in Honduras vermutet das Bataillon 3-16 der Streit­kräfte dahinter. Denis Hernan Rodriguez von der Bauernorganisation “Campasinos de Honduras” wurde im gleichen Monat tot aufgefunden. Im August nahm das zehnte Bataillon der Infanterie grundlos mehrere Bauern fest. Sie sind seitdem spurlos verschwunden. Anfang September führten die Streitkräfte im Gebiet 30 Kilometer östlich der Hauptstadt eine Suchaktion durch, weil nach offiziellen Aussagen, Mitglieder der revolutionären Bewegung MPL-Chinchonero dort ver­mutet wurden. Tage später wurden Roman Custodio und Anibal Puerto, beide Mitglieder der Menschenrechtsorganisation CODEH, und Matias Funes von der APU grundlos einen Tag lang von den Militärs festgenommen.
Repression in Honduras wird aber auch auf anderen Ebenen praktiziert. Über die Medien wird die Bevölkerung gegen Belohnung dazu aufgerufen, NachbarInnen zu bespitzeln und “Subversionsverdächtige” zu melden. Zugleich beabsichtigt die Re­gierung, das Arbeitsgesetz so zu verändern, daß Organisationen bei Protestaktio­nen für illegal erklärt werden können.
Während seiner Wahlkampagne hatte Callejas verkündet:”Die schwarze Nacht der Verschwundenen bleibt hinter uns.” Ein Morgengrauen in Honduras ist jedoch nicht in Sicht.

Quellen: INSEHInforma 53-59, 1990. Servicio Hondureño de Noticias.


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Integrationsfieber

“Die große ökonomische Lehre diese Jahrhunderts ist, daß der Protektionismus den Fortschritt verhindert und daß der freie Markt Wachstum und Entwicklung gewährleistet”, meinte George Bush, Präsident des Landes, welches laut einer OECD*-Studie die meisten und höchsten Handelsbarrieren in der Welt aufweist. Doch dieser neoliberale Exkurs war nur die Einleitung seiner “historischen” Rede am 27. Juni, mit der er eine “neue” Politik der USA gegenüber Lateinamerika ankündigte.
Eine gesamt-amerikanische Freihandelszone schlug er seinen NachbarInnen vor, damit “Amerika der erste völlig freie und demokratische Kontinent wird”. Drei Standbeine hat diese “Bush-Initiative”: 1) Reduzierung eines Teiles der lateiname­rikanischen Schulden bei der US-Regierung 2) Schaffung eines “Entwicklungs­fonds” zur Förderung der Auslands-Investitionen in Lateiname­rika und 3) völlige Liberalisierung des Handels in der Region, also Abbau aller Zölle und Handels­schranken (Freihandelszone). So weit, so einfach. Interessant wird es bei den Zahlen: Die US-Regierungsforderungen gegenüber Lateiname­rika betragen 12 Mrd. US-Dollar. Das sind 2,4 % der Gesamtschuld Lateinameri­kas, die nach neuesten Zahlen 437 Mrd. US-Dollar beträgt. Und davon sollen 7 Mrd. erlassen werden… Der “Entwicklungstopf” für Lateinamerika soll sage und schreibe 300 Millionen US-Dollar für die ersten fünf Jahre zur Verfügung haben, wobei sich die USA, Japan und die EG in gleichem Maße beteiligen sollen, so zumindest Bush’s Idee. Zum Vergleich: Die zur Investitionsförderung und für Strukturmaß­nahmen geschaffene Entwicklungsbank für Osteuropa hat ein Volumen von 12 Mrd. US-Dollar für fünf Jahre. Allein im Jahr 1989 hat Latein­amerika 25 Mrd. US-Dollar durch Zinszahlungen ins Ausland transferiert, daß sind 84 mal mehr als der vorgesehene Betrag für den Lateinamerika-Topf. Dar­überhinaus betonte der US-Regierungschef, daß natürlich nur die Länder in den “Genuß” der Freihan­delszone kommen könnten, die sich vorher einer Liberalisie­rungskur mit Unter­stützung des IWF unterziehen.
Dennoch ist der Optimismus der Regierungen Lateinamerikas bei ihren Reaktio­nen auf den Bush-Plan kaum zu bremsen: “Ein guter Schritt vorwärts”, kommen­tierte der argentinische Präsident Menem. “Der Plan ist geeignet, die Entwick­lung und die Lösung der Probleme Lateinamerikas ein gutes Stück voranzubrin­gen”, sagte ein Sprecher der UNO-Wirtschaftsorganisation für Lateinamerika CEPAL und Chiles Finanzminister meint gar: “Lateinamerika kann mit Optimis­mus in die Zukunft sehen”.

Schwindende Hegemonialmacht bekommt Torschlußpanik

Der eigentliche Grund für diesen US-Vorschlag dürfte weniger im Interesse an einer Entwicklung des Subkontinents als vielmehr an den Problemen im eigenen Landes liegen. Das chronische Außenhandelsdefizit der USA braucht eine Lö­sung, soll die Wirtschaft nicht noch weiter den Bach runter gehen. Für die Löcher in der Handelsbilanz werden natürlich Absatzmärkte gesucht. Die USA sind für Lateinamerika immer noch der wichtigste Handelspartner. 1989 gingen 52% der lateinamerikanischen Exporte in die Vereinigten Staaten, während 59% der Importe Lateinamerikas aus den USA kamen. Dennoch ist die US-Handelsbilanz mit Lateinamerika extrem negativ: in den letzten fünf Jahren hat sich ein Saldo von 48 Mrd. US-Dollar angesammelt. Es geht den USA also offensichtlich nicht darum mehr zu kaufen, sondern mehr zu verkaufen. “Neue Märkte für US-Pro­dukte und mehr Arbeit für nordamerikanische Arbeiter” verspricht der Präsident dann auch unverhüllt seinen Landleuten. Gleichzeitig könnte es dem Weißen Haus darum gehen, durch eine gezielte Intervention die lateinamerikanischen Integrationsbemühungen zu unterminieren und zu vereinnahmen, zielt der Plan doch hauptsächlich auf Länder, die sich zum einen bereits einer weitgehenden Liberalisierung unterzogen haben und zum anderen eine regionale Integration anstreben.
Die USA geraten darüberhinaus angesichts der sich anbahnenden wirtschaftli­chen Machtkonzentrationen in Europa und Asien in Zugzwang , wollen sie ihre Hegemonie in der Welt nicht gänzlich verlieren. Eine Rückbesinnung auf den traditionellen “Hinterhof” und eine noch stärkere wirtschaftliche Dominierung des Kontinents könnten dieses “Defizit” ausgleichen. So ist es nicht verwunder­lich, daß Bush diese Initiative wenige Tage vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston (G7) aus dem Hut zauberte. Stärke zeigen! Doch die dort Anwesenden waren zwar nicht angetan von Bushs Plan, lamentierten allerdings weniger über eine ökonomisch gewendete Monroe-Doktrin, als daß sie vielmehr sofort ihre Chancen, in Amerika einen größeren Absatzmarkt zu finden, kalkulierten.

“Die Zukunft Lateinamerikas liegt im freien Markt…”

In Lateinamerika findet Bush mit seiner Initiative einen guten Nährboden vor. Die Länder stehen wirtschaftlich fast alle mit dem Rücken zur Wand. Nicht, daß sie, wie noch in den 70er Jahren durch Militärdiktaturen zur neolibearlen Anpas­sung á la IWF gezwungen werden müßten: Heute führen die demokratisch ge­wählten Präsidenten genau dieselbe Wirtschaftspolitik durch wie ihre Vorgänger in Uniform. Die Wirtschaftspläne von Collar, Menem Fujimori und wie sie alle heißen gleichen sich dabei fast aufs Haar. “Es ist eine neue Art von Führung ent­standen, die sich auf das Mandat des Volkes berufen kann und versteht, daß die Zukunft Lateinamerikas in der freien Regierung und im freien Markt liegt”, zollt Bush dieser Entwicklung Beifall.
Was dieser “freie Markt” für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutet, wird am tagtäglich wachsenden Elend in der Region deutlich. Mehr als ein Drittel der städtischen und fast zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung des Kontinents le­ben unterhalb der Armutsgrenze. Die Verelendung in Lateinamerika hat gerade in den 80er Jahren, in denen in fast allen Ländern die neoliberale Politik trium­phierte erschreckende Ausmaße angenommen und zeigt sich in allen Bereichen des sozialen Lebens. Doch diese Bevölkerungsmehrheit wird natürlich nicht ge­fragt, wenn von “Wachstum und Entwicklung dank des freien Marktes” gespro­chen wird.
Nach den ersten euphorischen Reaktionen aus Lateinamerika wurde der Bush-Plan nun erst einmal zur weiteren Begutachtung an verschiedene Ausschüsse und Organisationen übergeben, die den genauen Inhalt prüfen sollen. SELA (Sístema Económico Latinoamericano, lateinamerikanisches Wirtschaftssystem) legte Anfang September einen ersten Zwischenbericht vor, in dem zwar der Wandel in der US-Politik gegenüber Lateinamerika von der militärischen zur ökonomischen Motivation begrüßt, der Plan an sich allerdings eher skeptisch betrachtet und kritisiert wird. Der Versuch der USA, einen neuen Block zu bil­den, stelle einen “Handel zwischen sehr ungleichen Partnern dar” und könne leicht in ein Instrument zum einseitigen Nutzen der USA umgewandelt werden. Dennoch sehen die Wirtschaftsexperten in dem Plan eine Möglichkeit, IWF und andere Gläubigerinstitutionen zu beeinflussen und zu einer Reduzierung der Auslandsschulden zu bewegen.

…und die Vergangenheit auch

Anders urteilte die lateinamerikanische Linke auf ihrem Anfang Juli in Sao Paulo abgehaltenen Kongress: “Der Bush-Plan zielt darauf ab, unsere nationalen Öko­nomien für den unlauteren und ungleichen Wettbewerb mit dem ökonomischen Hegemonieapparat komplett zu öffnen, uns ihrer Hegemonie völlig zu unterwer­fen und unsere produktiven Strukturen zu zerstören, indem er uns in eine Frei­handelszone integriert, organisiert und bestimmt von den nordamerikanischen Interessen.” So wahr wie einfach, aber aus dem Dilemma der wirtschaftlichen Krise hilft ein solches Anprangern des US-Imperialismus auch nicht heraus.
Kubas Staatschef Fidel Castro setzt noch einen drauf: Eine gemeinsame Verteidi­gungsfront gegen diesen imperialistischen Angriff der USA solle gebildet wer­den, um eine noch größere Penetration durch die nordamerikanischen Multis zu verhindern.
Die ist allerdings auch ohne Freihandel schon viel zu groß: 7 Mrd. US-Dollar Reingewinn zogen die US-amerikanischen Multis allein 1989 aus dem strangu­lierten Kontinent. Das Lamentieren darüber, daß der Plan lediglich dazu dient, die lateinamerikanischen Märkte für ein besseres Vordringen der US-Industrie zu öffnen, hilft ebenfalls wenig weiter, denn die Märkte der meißten Länder sind be­reits in den letzten Jahren auch ohne die Freihandelszone durch den Druck des IWF sperangelweit aufgerissen worden. Klar ist allerdings, daß die nationalen lateinamerikanischen Industrien in der Konkurrenz mit den US-Produkten in den wenigsten Fällen eine Chance haben. Die USA versuchen eher Lateinamerika weiterhin auf die Rolle des billigen Rohstofflieferanten für die eigene Industrie und als Absatzmarkt für ihre Produkte festzuschreiben. “In den letzten zehn Jah­ren haben die USA einen Großteil ihrer traditionellen Märkte verloren”, gesteht dann auch der US-Finanzsekretär David Mulford freimütig ein.

Menem und Collor heben ab

Zehn Tage nach der Offensive des US-Präsidenten warteten der argentinische Präsident Carlos Menem und sein brasilianischer Amtskollege Collor de Mello mit einem etwas kleiner dimensionierten Plan auf: Schaffung eines gemeinsamen argentinisch-brasilianischen Marktes zum 1.1.1995 “In dieser Zeit der Krisen ist es gut, daß wir große Dinge tun können”, kommentierte Menem schlicht und ergrei­fend. Großes haben die beiden Regierungen vor, wollen sie bis Anfang 1995 alle Voraussetzungen für die Einführung eines gemeinsamen Marktes nach dem Vorbild der EG geschaffen haben.
Die Idee fußt auf den Integrationsprotokollen der vorhergehenden Präsidenten Alfonsín und Sarney, die 1986 einen ökonomischen Integrationspakt unterzeich­neten, der die Grundlage für die spätere Einführung eines gemeinsamen Marktes bilden sollte. Im Januar 1987 wurden dann 20 Integrationsprotokolle unterzeich­net, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit für einzelne Sektoren regelten. Im April des darauffolgenden Jahres legten sie den Termin für einen gemeinsamen Markt auf das Jahr 2000 fest. Mit der wirtschaftlichen Integration der beiden Ländern tat man sich allerdings in den letzten Jahren erheblich schwerer, als er­wartet wurde. So stieg der Handel zwischen beiden Ländern seit 1985 zwar um 81% an, besitzt allerdings am jeweiligen Gesamtexport der beiden Länder gemes­sen immer noch eine sehr geringe Bedeutung.
Collor und Menem wollen nun dieser Integration mehr Schubkraft verleihen und zogen den Termin für den gemeinsamen Markt kurzerhand fünf Jahre vor. Gleichzeitig soll eine Komission, die seit Anfang September tagt, alle Weichen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche und Problemfelder stellen und konkrete Maß­nahmen ausarbeiten, um den Termin einzuhalten. Mit der Unterzeichnung dieses Plans wurden außerdem die bestehenden Integrationsprotokolle um mehrer hundert Produkte ausgeweitet, so daß eine Erhöhung des Handelsvolumens um 530 Millionen Dollar allein in diesem Jahr ermöglicht werden soll. Gleichzeitig wurden die Quoten für die bisherigen Produkte erhöht und die Schaffung von bi-nationalen Unternehmen soll forciert werden.
Bezüglich des Bush-Plans merkten die beiden Staatschefs an, daß “die Integration des Cono Sur mit der Bush-Initiative vereinbar ist” und schufen eine gemeinsame Komission zur Beratung über den Plan. Das lateinamerikanische Vorhaben ist allerdings weitgehender, sieht es doch nicht nur Freihandel zwischen den Län­dern, sondern eben einen gemeinsamen Markt, mit gemeinsamer ökonomischer Außenpolitik, einer gemeinsamen Währung und dem vereinigten Auftreten der Delegationen im Ausland vor, um eine bessere internationale Verhandlungspo­sition zu erlangen. In der Uruguay-Runde des Gatt (Allgemeines Zoll- und Han­delsabkommen), welche den weltweiten Freihandel regeln will, werden die bei­den Länder auf jeden Fall gemeinsam ihre Interessen vertreten, die sich in erster Linie gegen den Protektionismus der EG bezüglich der Agrargüter richten.

Die “Kleinen” dürfen auch mitmachen

Ignoriert wurde bei diesen Verhandlungen allerdings der Juniorpartner Uru­guay, welcher in den vorangegangenen Integrationsbemühungen immer mitein­geschlossen war. So mokierte der uruguayische Präsident Lacalle noch am Tag des Treffens Collor-Menem, daß er nicht einmal eingeladen worden sei. Auf einer Sitzung Anfang August wurden dann allerdings nicht nur Uruguay, sondern gleich auch noch Chile mit in das Vorhaben einbezogen. Paraguay wurde als fünfter im Bunde direkt aufgefordert, sich an dem “Integrationsprogramm 1995” zu beteiligen. In einer zweiten Phase sollen dann nach der Schaffung des gemein­samen Marktes zwischen diesen fünf Ländern alle anderen Staaten der “Lateinamerikanischen Integrations-Organisation” (ALADI) miteinbezogen wer­den, also Mexiko, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela. Doch dieses Wunschdenken lenkt davon ab, daß der eigentliche Kern, die Integration im Cono Sur durchaus realistische Verwirklichungschancen hat. Der gemeinsame Markt von Chile, Uruguay, Argentinien und Brasilien wäre die Heimat von zwei Dritteln der Bevölkerung Lateinamerikas mit einem jährlichen Wirtschaftsvolu­men von 280 Mrd. US-Dollar.
Voraussetzung für all diese Zukunftspläne dürfte allerdings die Bewältigung der derzeitigen Krise in Brasilien und Argentinien sein. Denn einen gemeinsamen Markt der Inflation und Armut wollen die Herren wohl kaum. Anscheinend hilft eben kein neoliberales Konzept, um die Inflation der Länder unter Kontrolle zu bekommen, sondern stürzt sie vielmehr gleichzeitig in eine tiefe Rezession.

Kasten:

Fußball-Integration

“Wir Brasilianer haben im Endspiel der Fußball-WM für Argentinien geschrien, denn die lateinamerikanische Integration vollzieht sich auch über die Zuneigung – und die Leidenschaft für den Fußball ist eine der gemeinsamen Sachen unserer beiden Länder.” (Collor de Mello) Na dann können wir ja auf eine gemeinsame argentinisch-brasilianische Auswahl bei der nächsten oder übernächsten WM gespannt sein.


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