“DIESE POLITIK ERZEUGT MASSENWEISE MIGRATION”

Abgabestelle von Kaffekirschen (Fotos: Jan Braunholz)

Für den Markenkaffee Nescafé importiert Nestlé seit Jahren billigen Robusta Roh-Kaffee aus Vietnam, Brasilien, Indonesien und Ecuador nach Mexiko. Da sich gegen diese Importe laufend Proteste von mexikanischen Kaffeeproduzent*innen regten, baut Nestlé nun den Robusta-Kaffee auch vor Ort an. Vor 20 Jahren begannen erste Anbauprojekte in der Gegend von Tezonapa im Bundesstaat Veracruz, der folglich zum Epizentrum von Nestlés Planungen für den Kaffeeanbau in Mexiko wurde. Die lokalen Kaffeeproduzent*innen gerieten dadurch in noch größere Abhängigkeiten, denn seitdem haben sie nur noch einen Abnehmer: die Firma Nestlé mit dem vorgeschalteten großen Zwischenhändler AMSA (Agroindustrias Mexico S.A.), deren Kaffee-Verarbeitungsanlage und kleineren Zwischenhändlern.

So ist es auch in Ixthuatlan de Café in der Nähe von Córdoba der Fall, wo zwischen Januar und März der Kaffee geerntet wird. Dort befindet sich ein großer Firmensitz des Zwischenhändlers AMSA, der zum schweizerischen Konzern ECOM Kaffee gehört. Die Firma arbeitet als Aufkäufer für Nestlé und bestimmt den Kaffeepreis in der Gegend. Die mehr als 12.000 Kaffeeproduzent*innen der Region können ihre Kaffeekirschen dort nur im Ganzen und zu einem schlechten Preis abgeben: Lediglich etwa vier bis fünf Pesos (circa 20 Eurocent) bekommen sie pro Kilo Kaffeekirschen. Für Nespresso mit dem sogenannten AAA-Aufschlag kommen noch 7,50 Pesos pro Kilo (circa 30 Eurocent) hinzu, dabei soll Nestlés selbstgewählte Bezeichnung „AAA“ ökologische, soziale und ökonomische Standards symbolisieren. In anderen Landesteilen wird hingegen meist Café Pergamino gekauft, der schon entkernte und geschälte Kaffee besitzt noch eine Pergamin-Haut. Dieser wird mit ca. 25-30 Pesos pro Kilo (circa ein Euro) entlohnt.

Die Preise, zu denen die Kaffeebäuerinnen und -bauern den Kaffee an Nestlé abgeben, sind ein Hungerlohn im Vergleich zu den Erlösen, die beispielsweise Nespresso für den Alukapsel-Espresso erzielt – circa 70 Euro pro Kilogramm. Der Kaffeebauer Carlos Hernández Maduro sagte es ganz deutlich: „Es ist nicht rentabel, der Preis liegt ganz unten und unsere Erntemengen sind sehr gering“. An Letzterem ist der Roya-Pilz schuld, der zu Ernteausfällen von 80 bis 90 Prozent geführt hat. Seit 2012 vernichtet die „Pilzpest“ in Zentralamerika Ernten und breitet sich wellenförmig in Richtung Norden aus. Durch den Wind werden die Pilzsporen verbreitet, der Klimawandel begünstigt die Verbreitung.

Die Preise, zu denen Nestlé den Kaffee kauft, sind ein Hungerlohn im Vergleich zu den Erlösen, die Nestlé durch den Verkauf seiner Produkte erzielt

Wegen der geringen Erntemengen und niedrigen Preise können viele Kaffeeproduzent*innen ihre Produktionskosten nicht decken. Sie veranstalteten wegen der Preispolitik der Nestlé-Unternehmen Proteste und Straßenblockaden vor dem Firmensitz, bislang ohne Erfolg. Der Zertifizierer für Fairen Handel SPP, ein Fairtrade-Ableger, fordert seit Jahren einen Preis von umgerechnet vier Euro pro Kilo, um ein einigermaßen gesichertes Leben zu ermöglichen.

Da die Ernteerlöse die Investitionen der Kleinproduzent*innen nicht decken und kaum zum Überleben reichen, leben viele von ihnen in Armut oder entscheiden sich, auszuwandern. Von dem Kaffeepreisverfall sind laut dem Interamerikanischen Institut für Landwirtschaftliche Zusammenarbeit (IICA) auf dem ganzen Kontinent 14 Millionen Personen betroffen. In der Bergkette von Córdoba sind die Kaffeebauern- und bäuerinnen direkt abhängig von dem Zwischenhändler Christian Garey, der ihnen nur 6,5 Pesos pro Kilo zahlt und auch an AMSA in Ixthuatlan verkauft. In mehreren Dörfern der Gegend stehen täglich Busse, die die verarmte Bevölkerung in der Hoffnung, einen besser bezahlten Job zu bekommen, nach Mexiko-Stadt bringen. Vor allem junge Menschen sehen kaum noch eine Perspektive in der Kaffeeernte. Offizielle Erhebungen über die Dimension der Migrationsbewegungen gibt es laut der Kaffee-Kleinbauernorganisation CNOC nicht.

Kaffeepflanzen im Schatten von Banenestauden Anbau in Ixthuatlan de Café

So wird der Lebensmittelkonzern Nestlé in Mexiko und speziell im Bundesstaat Veracruz zum Hauptverursacher einer stetig zunehmenden Emigration. Unter Stichworten wie „Nachhaltigkeit“ und „Innovation“ bereitet das Unternehmen bereits weitere große Anbauprojekte für Robusta-Kaffee in der Küstenregion von Veracruz vor, welche die ganze Infrastruktur vor Ort verändern werden. Entsprechende Ziele hat Nestlé auch beim Sustainability-Kongress des Deutschen Kaffeeverbandes am 5. Juni 2019 im Vorfeld der Kaffeemesse World Of Coffee (WOC) in Berlin vorgestellt. Auf dortige Nachfragen zur Preispolitik von Nestlé in Mexiko und zum Nespresso-Projekt in Veracruz wollte Nespressos Head of Coffee nicht antworten, sondern beendete das entsprechende Panel abrupt, womit er ein etwas erstauntes Kaffee-Fachpublikum zurückließ.

Nestlés Zukunftspläne in Mexiko für den Anbau von Robusta-Kaffee nebst neuer Fabrik im Industriepark der Stadt Veracruz belaufen sich nach eigenen Angaben auf eine Investition von insgesamt 200 Millionen US-Dollar, davon allein 154 Millionen US-Dollar für die Fabrik. Das Vorhaben wurde vom mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) persönlich abgesegnet und unterzeichnet. Die Gesamt­investitionen von Nestlé in allen 16 mexikanischen Unternehmen sollen sich laut Medienberichten auf 700 Millionen US Dollar belaufen.

Der Lebensmittelkonzern Nestlé ist in Mexiko und speziell im Bundesstaat Veracruz der Hauptverursacher einer stetig zunehmenden Emigration

Genauere Informationen und Hintergründe gibt Fernando Celis, Vorsitzender der Kaffee-Kleinbauernorganisation CNOC in Mexiko-Stadt. Celis erläutert die immense Ausdehnung des Vorhabens: Insgesamt sollen 150.000 Hektar neue Kaffeeanbaufläche entstehen, davon 80.000 Hektar in der Küstenebene nördlich der Stadt Veracruz. Diese sollen die bisherigen Robusta-Kaffeeimporte aus Vietnam, Brasilien, Indonesien und Ecuador ersetzen. Dabei wird es Nestlé leicht gemacht, denn einige ehemalige Manager des Unternehmens sind inzwischen in Regierungsposten gewechselt: Vicente Roma beispielsweise ist in das mexikanische Landwirtschaftsministerium gewechselt, Eduard Cadenas in das Landwirtschaftsministerium von Veracruz. Ernesto Faust, jetzt Senator in Veracruz, war früher beim Zwischenhändler AMSA. Über diese Verstrickungen von Managern in der mexikanischen Politik lassen sich beispielsweise Gelder des Fonds Sembrando Vida (Leben säen) leicht beantragen und für den Robusta-Kaffeeanbau verwenden. Der umstrittene Fond Sembrando Vida sollte eigentlich für Programme zur Wiederaufforstung da sein, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. Doch meist wird zur Bewilligung der Gelder ähnlich argumentiert wie beim Anbau von Palmöl: Schließlich seien es ja grüne Pflanzen ihr Anbau würde Arbeitsplätze schaffen. „Diese Politik der Großkonzern-Förderung erzeugt massenweise Migration und es wird leider kein Mittel dagegen geben“, meint Fernando Celis vom CNOC.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen zum Anbau von Robusta-Kaffee, beispielsweise bei der Coop Ismam in Chiapas, die sowohl Bio- und Fairtrade-Hochland-Arabica als auch Robusta in tiefer gelegenen Gebieten anbaut und Weltpartner sowie die Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt (GEPA) in Deutschland beliefert. Der durchschnittliche Produktionspreis der Sorte Robusta lag laut der Internationalen Kaffeeorganisation (OIC) Anfang des Jahres 2020 weltweit bei 50 US-Dollar für 100 Pfund Rohkaffee. Äquivalent dazu werden in Mexiko für ein Quintal, das sind 47 Kilo, nicht mehr als umgerechnet 35 US-Dollar bezahlt.

Nestlé will 50 Quintal pro Hektar erzeugen – und das bei möglichst niedrigen Produktionskosten durch den Einsatz von Erntemaschinen und geringem Humankapital. Das wird auch den Absatz der Arabica-Produktion in Mexiko beeinflussen, denn die Sorte Arabica benötigt generell Schattenbäume und einen hohen Einsatz von Arbeitskraft. „Es wird mit einem deutlichen Preisverfall zu rechnen sein“, sagt Fernando Celis. Die Folge ist leider jetzt schon allzu deutlich, nämlich massenweise Landflucht.

Diese Konsequenzen waren auch beim Specialty Coffee Meeting in Mexiko-Stadt am 20. und 21. Februar dieses Jahres Thema. Dort ging es um die Folgen der Roya-Pilz-Krise und um die Erschließung neuer Märkte. Fairhandel und direkter Handel waren ebenfalls Thema, es wurden entsprechende Initiativen zum Beispiel von Femcafé aus Veracruz vorgestellt. Großkonzerne wie Nestlé oder große Händler wie AMSA, Rothfos/Neumann-Café California, Olam, Volcafé waren nicht vertreten. Das Nestlé-Großprojekt war nur am Rande Thema, denn es ist seit Jahren virulent. Nur die aktuelle Corona-Pandemie könnte es eventuell noch aufhalten, denn der Absatz von Kaffee ging in den vergangenen Wochen merklich zurück. Ob es den Absatz der Großkonzerne genauso betrifft, ist noch unklar, aber in den kleinen Röstereien hierzulande ist der Umsatz schon jetzt um 70 bis 80 Prozent zurückgegangen, etwa wegen geschlossener Cafés und Restaurants.

Newsletter abonnieren