Erklärung der Koordinierungsstelle der indigenen Organisationen des Amazonasgebiets COICA

Auf dem Weltsozialforum 2009 in Belem do Para, Brasilien, waren VertreterInnen der insgesamt 390 indigenen Völker des Amazonasgebietes (COICA), zu denen fast drei Millionen Menschen gehören, versammelt. In unseren intensiven Debatten und Analysen ging es um die Realität der indigenen Völker im Amazonasraum. Unsere Grundlage sind die Vorschläge und Prinzipien der Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten indigener Völker (UNDRIP). (…) Die indigenen Völker haben das Recht auf freie Selbstbestimmung ihrer politischen Situation und sollen frei über ihre wirtschaftliche, gesellschaftliche und kuturelle Entwicklung entscheiden dürfen. Deshalb:
Fordern wir die unverzügliche Festlegung und Ausweisung unserer ursprünglichen Gebiete, die seit jeher von ihren legitimen Bewohnern genutzt werden. Wir verurteilen die gewalttätigen Einschüchterungsversuche, die tödlich endeten, weil unsere Führer unser Gebiet und die Rechte der indigenen Völker verteidigten.
Wir klagen die Nichtberücksichtung der Grenzen für Landwirtschaft und Fischfang an. Hierdurch wird unser Territorium verletzt und abgewertet, Wälder und Weideflächen werden verbrannt, Boden und Flüsse verseucht; chemische und genetisch veränderte Mittel werden eingesetzt, um Monokulturen zu fördern, es finden Biopiraterie, Holzschmuggel, illegale Entsorgung von Haus- und Industriemüll statt. Alle diese Faktoren stellen eine Gefährdung für unsere Ernährungssouveränität dar und führen zum Verfall von Ökosystemen und schließlich auch zum Verlust unserer Identität und Kultur. Außerdem erhöhen diese Einflüsse die Verletzlichkeit der indigenen Völker, die in selbst gewählter Isolierung leben und bislang noch nicht oder kaum mit der Außenwelt in Kontakt waren: Wir fordern für sie eine vollständige Garantie ihrer Gebiete durch die betroffenen Staaten.
Wir möchten die Welt darüber in Kenntnis setzen, dass Megaprojekte wie IIRSA und PAC (von Staaten und Regierungen durchgeführt), für den Genozid an indigenen Völkern und die Zerstörung des amazonischen Regenwaldes verantwortlich sind: Wir fordern den sofortigen Stopp dieser Projekte!
Wir wehren uns gegen politische Entscheidungen und Prozesse, welche die Beteiligung der indigenen Völker bei der Diskussion um den Klimawandel behindern oder verfälschen: Wir fordern eine bessere Informationsverbreitung und eine kritische Debatte zwischen den indigenen Völkern über die Verfahren und die laufenden Verhandlungen hinsichtlich der Reduzierung und Vermarktung von Kohlenstoff auf indigenen Gebieten.
Jede Vereinbarung über Finanzierungssysteme für den Schutz des Regenwaldes (z.B. REDD) auf unserem Gebiet muss uneingeschränkt die Rechte der indigenen Völker gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen (UNDRIP) anerkennen. Unsere Rechte sind nicht verhandelbar.
Wir wehren uns gegen Bergbau, Erdöl- und Brennstoffförderung und klagen die immer größere Produktion von Agrokraftstoffen im Amazonasgebiet (Palmöl, Zuckerrohr, Soja) an, welche unser Ökosystem hochgradig zerstören. Wir weisen das Produktionsmodell unserer Staaten für den Konsum der “entwickelten” Länder und der Eliten der “Entwicklungsländer” zurück.
Wir fordern von den Organisationen und NRO, die sich für die Bewahrung unseres Lebensraums und unserer Kultur einsetzen, dass sie von ihren Aktivitäten absehen; wir setzen uns vielmehr dafür ein, dass unsere eigenen indigenen Organisationen im Rahmen ihrer legitimen und institutionalisierten Vertretung tätig werden.

Unterzeichnet von den anwesenden Mitgliedern der Koordination der Organisationen der Indigenen Völker des Amazonasbeckens (COICA) am 1. Februar 2009 in Belém, Brasilien.

A.d.R.: Dieser Text ist eine leicht gekürzte Version des Originals; die sieben Forderungskategorien wurden ganz, die Forderungsinhalte ganz oder im Kern beibehalten. Der Originaltext findet sich im Internet unter: http://www.coica.org.ec. Zum Thema Amazonien an dieser Stelle noch der Verweis auf die LN-Ausgabe Nr. 414, Dezember 2008, mit dem Schwerpunkt ‚Amazonien in der Klemme‘.

„Eine andere Hölle ist möglich“

Ein gutes Jahr ist es her, da vermeldete die spanische Tageszeitung El Pais süffisant: „Das Weltsozialforum ist von den Radarschirmen verschwunden.“ Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Nicht nur das: Im Jahr 2009 feiert das politische Stelldichein der altermundialistischen Strömungen sogar seine Rückkehr nach Brasilien, wo die ansässigen sozialen Bewegungen 2001 zum ersten Mal ein weltweites Treffen unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ einberiefen.
Zunächst als Gegengipfel zum jährlichen Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos konzipiert, entwickelte sich die Veranstaltung in den darauffolgenden Jahren immer mehr zu einer breiten Plattform sozialer Bewegungen.Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), indigene Gruppen, GenderaktivistInnen, UmweltschützerInnen und viele weitere Initiativen nutzten dies, um medienwirksam ihren Unmut gegen die „Neoliberale Globalisierung“ kundzutun, sowie gemeinsam nach neuen Strategien zu suchen, sich gegen den weltweiten Kapitalismus auch weltweit zu koordinieren. Bei den Treffen erschienen jährlich teils über hunderttausend altermundialistas, die den „Süden als Gravitationszentrum“ ihres gemeinsamen Protests entdeckt hatten, wie der Soziologe Walden Bello der University of the Philippines unlängst bemerkte.
Dennoch scheint das Weltsozialforum in den vergangenen drei Jahren etwas von seiner Anziehungskraft verloren zu haben. Das 2006 in Venezuela organisierte WSF beispielsweise wurde dafür kritisiert, zu stark von der dortigen Regierung um Hugo Chávez vereinnahmt worden zu sein. Zum folgenden globalen altermundialen Treffen im kenianischen Nairobi kamen weit weniger TeilnehmerInnen als erhofft, und auch die 2008 abgehaltenen, dezentralen Sozialforen in Dutzenden Ländern fanden über lokale Themen hinaus nicht zusammen.
Das diesjährige – wieder gemeinsam durchgeführte – Weltsozialforum in der brasilianischen Amazonasmetropole Belém ist daher nicht nur dem Anliegen verpflichtet, die kapitalistische Verwertung des Amazonasraums und die sozialen Kämpfe in dieser Region ins Bewusstsein zu rufen. Vielmehr geht es auch um eine symbolische Selbstbestätigung und Rechtfertigung der Veranstaltung angesichts der anhaltenden Kritik, die das Forum als „entpolitisiert“ und als „statischen Pluralismus“ bezeichnet. Dieser könne immer weniger eine Basis für gemeinsame Handlungen und Überzeugungen liefern.
„Eine andere Hölle ist möglich“ titelte die Redaktion der mexikanischen Untergrundzeitschrift 666 im Vorfeld des Weltsozialforums in Belém provokant, und man könnte hinzufügen, „und vielleicht schon Wirklichkeit geworden“. Denn anstatt die derzeitige, weltweite Finanzkrise als Schlaganfall eines vom Aussterben bedrohten Neoliberalismus zu feiern, dürfte zunächst zu klären sein, ob die Überlegungen und Begrifflichkeiten aus dem Entstehungsjahr des Weltsozialforums heute noch helfen, die politische Weltlage angemessen zu beschreiben oder zu verändern. Auch fehlt bis dato eine Auseinandersetzung mit neueren Marschrouten wie dem sogenannten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
Schon vorher stolpert man über die selten hinterfragten Worthülsen einer „unipolaren Welt“, der „absoluten Kontrolle der Welt durch die USA“ oder stark vereinfachten Ausbeutungsschemata, die sich an einem undifferenzierten Nord-Südgefälle abarbeiten. „Es steht jedoch außer Frage, dass seit den 1990ern ein starker Wandel in den Nord-Südbeziehungen stattgefunden hat“, meint Pablo Romo von der mexikanischen NRO Serapaz. „Es zeigt sich immer deutlicher, dass die großen Nationen, die sich auf Grund ihrer Produktions- und Lebensweisen als sehr reich begreifen, intern auch enorme soziale Gegensätze aufweisen. Das gleiche gilt für Nationen wie Südafrika oder Indien, Brasilien oder Mexiko, obwohl wir Mexikaner inzwischen zehn der Hundert reichsten Menschen dieser Welt beherbergen.“
Romo, dessen Organisation mit sozialen Bewegungen in verschiedenen Regionen Mexikos arbeitet, um nach gewaltfreien Lösungen gesellschaftlicher Konflikte sowie Konzepten zur Selbstbestimmung zu suchen, nimmt auch dieses Jahr wieder am Weltsozialforum teil. Als Ort um widerständige Strategien auszutauschen, halte er das Treffen für unerlässlich. „Die erfolgreichen Mobilisierungen im mexikanischen Guerrero zum Beispiel, wo die Menschen das geplante Staudammprojekt La Parota zumindest zeitweilig gestoppt zu haben scheinen. Sich über solche Strategien auszutauschen, scheint mir sehr wichtig.“
In der brasilianischen Amazonasmetropole vermutet Romo ähnliche Situationen und ist gespannt auf die Diskussionen. Aber er warnt auch davor, „im Delirium voranzuschreiten“ und statt notwendige Selbstkritik zu üben, in „erbauliche aber simplifizierende Gleichsetzungen“ zu verfallen, so zum Beispiel bei Debatten im Namen „der indigenen Völker dieser Erde“. Ähnlich kritisch und etwas härter im Ton äußerte sich auch der freie Radiomacher Suuauuu, der im September an der Gründung von Indymedia Guatemala beteiligt war, über den „billigen Optimismus“, welcher der parlamentarischen Linken in Lateinamerika von den altermundialistas oft entgegengebracht werde. „Die Regierungen von Michele Bachelet, Marcelo Ebrard (Gouverneur von Mexiko Stadt; Anm. der Autoren) oder Cristina Kirchner gehen oft genauso brutal und leider oft auch mit den gleichen Argumenten wie rechte Machthaber gegen die sozialen Bewegungen in ihren Ländern vor.“
Nein, zum Weltsozialforum nach Belém fährt Suuauuu diesmal nicht, weniger aus Protest an der „Mittelklassementalität“ der Veranstaltung, als aus finanziellen Gründen. Pablo Romo hatte mehr Glück und wird in einem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Workshop ein Buch von Serapaz über Strategien gegen die zunehmende Kriminalisierung von sozialen Bewegungen in Mexiko vorstellen. Auch die Möglichkeit sich in Zeiten schwächelnder Märkte mit dem Staat zu verbünden, wird in Belém thematisiert. Ob dies erwünscht ist und wirklich Teil emanzipativer Strategien politischen Handelns sein kann, darüber scheint im Internationalen Rat des Weltsozialforums allerdings keine Einigkeit zu herrschen. An exotischen Angeboten staatlicher Retter im „offenen Raum“ des Weltsozialforums fehlt es jedenfalls nicht. So wird auch eine Delegation aus Lybien eine einführende Lektüre ins Grüne Buch Gaddafis anbieten, um einen „Dritten Weg aus der Krise“ zu weisen.
„Woraus besteht offener Raum?“, fragte Walden Bello nach dem Weltsozialforum in Nairobi und legte mit einem noch dickeren Fragezeichen nach, nämlich ob das Weltsozialforum seine Zelte nicht abbrechen und einer neuen Art globaler Organisation von Widerstand und Veränderung Platz machen sollte. Man muss nicht soweit gehen, prinzipiell mit dem altermundialistischen Event zu brechen, aber die Frage nach einer Neudefinition der Bewegung hin zu einer stärkeren politischen Positionierung scheint berechtigt. Ebenso wäre zu thematisieren, warum viele soziale Bewegungen und Initiativen vor allem auch aus Afrika, China und Osteuropa beim Weltsozialforum fehlen, in deren Namen man doch zu sprechen glaubt.

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