DER FLUCH DER TEUFLISCHEN SCHEIßE

Venezuelas Wirtschaft kämpft mit des „Teufels Scheiße“. So bezeichnete der einstige venezolanische Erdölminister und Mitbegründer der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) Juan Pablo Pérez Alfonzo einst das Erdöl, um die Schwierigkeiten wirtschaftlicher Gestaltung angesichts der übermächtigen Dominanz des schwarzen Goldes zu beschreiben. Eine Herausforderung, die schlicht darin besteht, „Öl zu säen“, wie es der venezolanische Schriftsteller Arturo Uslar Pietri bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts plastisch auf den Punkt brachte: mittels Öleinnahmen die Gesellschaft zu entwickeln und die Wirtschaft zu diversifizieren. Die erste Konzession zur Ausbeutung der Ölquellen Venezuelas war schon im Jahre 1866 erteilt worden, der Ölboom setzte ab den 1930er Jahren ein und veranlasste Uslar Pietri zu seiner weitsichtigen Aussage. Alle Ansätze in Venezuelas Geschichte, seine ökonomische Abhängigkeit vom Öl durch eine Diversifizierung der Wirtschaft abzubauen, scheiterten seitdem unterm Strich.

Mit des „Teufels Scheiße“ haben und hatten sich alle venezolanischen Regierungen herumzuschlagen, auch die derzeit amtierende Regierung von Nicolás Maduro und die seines Vorgängers Hugo Chávez, der von 1999 bis zu seinem Tod 2013 als Präsident amtierte. Chávez propagierte den sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts und das Schmiermittel dafür war das Erdöl: Chávez’ großes Verdienst war es, das staatliche Erdölunternehmen PDVSA, das sich zu einem „privaten“ Staat im Staate entwickelt hatte, wieder unter staatlichen Zugriff zu bekommen. PDVSA wurde zusätzlich zu einer Art Sozialministerium. Aus dem Haushalt der Ölfirma werden Sozialprogramme wie die misiones finanziert – die von Bildung (misión Robinson und misión Ribas) über Gesundheit (misión barrio adentro) bis hin zur Versorgung mit subventionierten Lebensmitteln (misión mercal) reichen. Damit trieb Chávez den Umbau der staatlichen Strukturen voran und vermochte, bedeutende soziale Fortschritte in der Armutsbekämpfung und dem Zugang zu Gesundheit, Bildung und Lebensmitteln für alle zu erreichen. Im Jahr 2011 flossen fast 40 Milliarden US-Dollar in Sozialprogramme und Sonderfonds des Präsidenten. Laut dem Nationalen Statistikinstitut in Venezuela (INE) ist der Anteil extrem armer Haushalte (1,25 US-Dollar pro Kopf pro Tag) von 1998 bis 2009 von 21 Prozent auf sechs Prozent massiv gesunken. Der Anteil der relativ armen Haushalte (unter 50 Prozent des Durchschnitts-einkommens) sank im selben Zeitraum von 49 auf 24 Prozent.

Als Hugo Chávez im zweiten Halbjahr 1998 seine erste Wahl gewann, dümpelte der Ölpreis im Zuge der Asienkrise bei rund zehn US-Dollar pro Barrel (ein Barrel sind 159 Liter). Kein Wunder, dass Chávez schon zu Beginn seiner Amtszeit 1999 verkündete, dass er neben der Neuordnung der Ölgesellschaft PDVSA auch Landwirtschaft, Industrie und Tourismus neu ausrichten werde, um dem Auf und Ab des Ölpreises mit all seinen Konsequenzen für die venezolanische Konjunktur weniger ausgeliefert zu sein. Die Diversifizierung der Wirtschaft unter Chávez gelang nur ansatzweise und brachte unterm Strich nur dürftige Ergebnisse.

Das grundlegende Problem Venezuelas ist die sogenannte Holländische Krankheit.

Das grundlegende Problem Venezuelas ist die sogenannte Holländische Krankheit. In den Niederlanden wurde in den 1960er Jahren nach dem überraschenden Fund reichhaltiger Erdgasvorkommen zum ersten Mal festgestellt, dass sich Rohstoffreichtum in einen Fluch verwandeln kann. Der Zufluss von reichlich US-Dollar aus dem Rohstoffexport führt zu einer Aufwertung der eigenen Währung. Der angenehme Aspekt daran ist, dass sich die Importkapazität des Landes erhöht, sprich sich das Land mehr Güterimporte leisten kann. Der schwerwiegende Nachteil besteht darin, dass einheimische Produzent*innen nahezu unweigerlich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, sowohl gegenüber Importeur*innen als auch auf dem Weltmarkt, sofern es sich um Unternehmen handelt, die etwas anderes als Rohstoffe exportieren. Denn der unangenehme Aspekt der Aufwertung der venezolanischen Währung besteht darin, dass sich venezolanische Güter im Vergleich zu Importgütern verteuern. Der Verlust an Arbeitsplätzen in den nicht rohstoffnahen Sektoren ist fast unumgänglich. Die ganze Volkswirtschaft bekommt so mehr und mehr Schlagseite in Richtung des dominanten Rohstoffsektors, in Venezuela des petrochemischen Bereichs.

In Venezuela hat die Holländische Krankheit unter anderem die einheimische Landwirtschaft befallen. Das Land ist seit Jahrzehnten auf beträchtliche Nahrungsmittelimporte angewiesen, obwohl es potenziell an geeigneten Agrarflächen nicht fehlt. So ist Venezuela das einzige südamerikanische Land mit einer negativen Agrarbilanz. Dabei war die Regierung Chávez nicht untätig. Schon im Jahr 2001 wurde mit einem Landgesetz der Weg für eine Agrarreform geebnet. Das Nationale Landinstitut INTI verteilte in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt 2,3 Millionen Hektar brachliegendes Staatsland an Kooperativen, danach wurden noch über 100.000 landlose Familien mit enteignetem ungenutzten Privatland ausgestattet. All dies hat zwar die nationale Produktion bei Agrargütern nach oben getrieben, doch noch kräftiger wuchsen die Kaufkraft und dementsprechend der Konsum der ärmeren Bevölkerungsschichten. Venezuela muss rund 70 Prozent seiner Lebensmittel einführen.

Die Regierung Maduro hat 2016 einen Plan zum Ausbau der Landwirtschaft vorgestellt. Der „Agrarplan Zamora Bicentenario 2013-2019“ sieht zahlreiche Maßnahmen zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion vor. Besonderes Augenmerk gilt der städtischen Landwirtschaft und dem Einbezug lokaler Gemeinschaften sowie der Streitkräfte des Landes in die Produktion. Ob und wann der Plan greift, lässt sich noch nicht absehen.
Auch im Jahr 2017 machen Ölexporte mehr als 90 Prozent der Exporterlöse des Mitglieds der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) aus, die Öl- und Gasindustrie ist für etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich und trägt rund die Hälfte zu den Staatseinnahmen bei. Ohne die Öleinnahmen läuft so gut wie nichts.

Der rapide Ölpreisverfall und der Rückgang der Fördermenge wegen unterlassener Investitionen haben die Importkapazität massiv gesenkt.

Der rapide Ölpreisverfall seit 2014 und der Rückgang der Fördermenge wegen unterlassener milliardenteurer Investitionen haben die Importkapazität massiv gesenkt. Die Folge ist eine sich vertiefende Versorgungskrise, für die die Regierung Maduro bisher keine Lösung zu finden vermochte.
Der Holländischen Krankheit und der Überbewertung des Bolívar könnte theoretisch durch eine gezielte Strategie der Unterbewertung des Bolívar seitens der venezolanischen Zentralbank begegnet werden. Dafür müssten die Devisenzuflüsse in ihrer Wirkung auf die heimische Geldmenge und Währung so weit wie möglich sterilisiert werden, indem sie in einen Zukunftsfonds fließen und dort langfristig angelegt werden. Ein solches Modell praktiziert Norwegen mit beachtlichem Erfolg. Im dortigen Ölfonds werden seit dem Jahr 1990 die enormen Erträge aus dem Ölexport angelegt. Dies geschieht ausschließlich auf ausländischen Märkten, um einem Überhitzen der inländischen Wirtschaft und einer Aufwertung der Norwegischen Krone entgegenzuwirken.
Angesichts der enormen sozialen Schuld, die in Venezuela über die vergangenen Jahrzehnte akkumuliert wurde, ist ein solches Modell in Venezuela wohl schwer politisch durchsetzbar.

Die Öldollar gleichzeitig aufzuschatzen und auszugeben, geht logischerweise nicht. Entwicklungsökonomisch wäre Venezuela immer gut beraten, zumindest einen Teil der Öleinnahmen langfristig anzulegen, um auf lange Sicht einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft mit einer Stärkung des Binnensektors zu erreichen. Dazu bedarf es neben der Unterbewertungsstrategie einer selektiven Protektion, bei der die Zollsätze mit dem Verarbeitungsgrad ansteigen. Damit könnte Venezuela das erreichen, was bisher verfehlt wurde: eine breitere Produktpalette der heimischen Wirtschaft und eine konkurrenzfähige Binnenmarktentwicklung.

Diese grundlegenden Weichen in Zeiten der aktuellen Versorgungs- und Liquiditätskrise zu stellen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nach vier Jahren Rezession und angesichts einer galoppierenden Inflation von über 1.000 Prozent sind viele soziale Fortschritte der Vergangenheit hinfällig geworden. Noch 2013 würdigten die Vereinten Nationen die Erfolge des Landes im Kampf gegen Hunger und Unterernährung. Davon ist wenig geblieben. Nicht wenige teilen die Sicht von Menschenrechtsaktivist Rafael Uzcátegui: „Heute sind in Venezuela wieder genauso viele Menschen arm wie im Jahr 2000.“
Als Chávez 1999 an die Regierung kam, lagen Venezuelas Auslandsschulden bei etwa 30 Milliarden Dollar. Heute betragen sie ein Vielfaches. Der Staat sowie der Staatskonzern PDVSA haben insgesamt Anleihen im Wert von 110 Milliarden Dollar aufgelegt. Zusammen mit den Zinszahlungen und Krediten summieren sich die Gesamtforderungen gegen Caracas auf bis zu 170 Milliarden Dollar. Rund zehn Milliarden Dollar an Schuldendienst muss die Regierung Maduro im Jahresverlauf 2017 aufbringen.

Wie klamm Venezuelas Staatskasse ist, dafür liefert der Deal mit Goldman Sachs Hinweise. Über Mittelsmänner kaufte Goldman Ende Mai von der venezolanischen Zentralbank Anleihen des staatseigenen Ölkonzerns PDVSA im Nennwert von 2,8 Milliarden Dollar für knapp ein Drittel des Ausgangswerts. Dabei soll die Bank laut dem Wall Street Journal (WSJ) nicht einmal den normalen Marktpreis gezahlt, sondern einen speziellen Abschlag ausgehandelt haben. Laut WSJ zahlte Goldman lediglich 31 Cent für die Papiere, die an den Börsen noch bei deutlich über 40 Cent notierten, was einem Discount von mehr als 30 Prozent entspricht. Nur für den Discountpreis von 31 Cent pro Dollar Nennwert war Goldman Sachs bereit, 865 Millionen Dollar Cash in die venezolanische Staatskasse zu spülen.

Maduro helfen kurzfristig nur steigende Ölpreise: Ende des Jahres werden erneut Anleiherückzahlungen in Höhe von 3,6 Milliarden fällig. Allein Hauptgläubiger China hat Venezuela bereits 60 Milliarden Dollar geliehen, die mit künftigen Öllieferungen abgesichert sind. Neues Kapital kommt derzeit nur noch aus Russland. Im April hat der Staatskonzern Rosneft PDVSA für künftige Erdöllieferungen 1 Milliarde Dollar überwiesen. 2016 kaufte sich Rosneft zudem für 1,5 Milliarden Dollar bei der PDVSA-Tochter Citgo ein, an der das Unternehmen 49,5 Prozent hält. Seit 1990 kontrolliert Venezuelas staatlicher Ölkonzern PDVSA in den USA drei Raffinerien, Pipelines und ein vor allem an der Ostküste gelegenes riesiges Tankstellennetz von Citgo, einer US-Tocher von PDVSA. Diese Gemengelage senkt die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Regierung Sanktionen gegen den Ölsektor verhängt. Aber selbst wenn diese ausbleiben, gilt: Dümpelt der Ölpreis weiter um 50 US-Dollar, droht die Zahlungsunfähigkeit. Es wäre die erste in der Geschichte Venezuelas.


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ERSCHÜTTERTE WIRTSCHAFT

Für Regierungschefs sind Katastrophen immer Chancen und Risiken zugleich. Der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder nutzte 2002 das Elbe-Hochwasser, um sich mitten im Bundestagswahlkampf als gummibestiefelter  Krisenmanager zu profilieren, während der zur Tatenlosigkeit verurteilte bayrische Herausforderer Edmund Stoiber schmollend seine Felle davon schwimmen sah. Ecuadors Präsident Rafael Correa befindet sich zwar nicht im Wahlkampf und hat im März erneut angekündigt, nicht mehr antreten zu wollen. Dennoch gilt sein Statement, eine Kandidatur in einer „extremen politischen Situation“ nicht auszuschließen. Im April gab das Verfassungsgericht grünes Licht für das Kollektiv „Für immer mit Rafael“ (Rafael Contigo Siempre), den Prozess für ein Referendum über die Kandidatur Correas zu beginnen (siehe Kurznachricht in dieser Ausgabe).
Eine schwierige politische Lage  könnte nun durchaus eintreten, denn das Erdbeben vom 16. April mit einer Stärke von 7,8 ist das folgenschwerste in Südamerika seit 1999, als in Kolumbien mehr als 1.000 Menschen ums Leben kamen. In Ecuador sind es mindestens 660 Tote.
Rafael Correa  gibt derweil ein ähnliches Bild wie Schröder 2002 ab: Er ist in den Katastrophengebieten unterwegs, zeigt Präsenz, Tatkraft und Mitgefühl. „Alles kann man wiederaufbauen, nur nicht die Menschenleben, das ist, was uns am meisten schmerzt“, verkündete der Staatspräsident. Die materiellen Schäden bezifferte er auf etwa drei US-Milliarden Dollar, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: In Deutschland entspräche dieser BIP-Anteil rund 100 Milliarden Euro.
Und Correas Hochrechnung gilt als eher niedrig gegriffen: Edward Glossop, Ökonom der Firma Capital Economics, beziffert die Kosten auf bis das Zehnfache und orientiert sich dabei an den Beben in Haiti 2010 und Chile 2015. Laut Glossop beliefen sich die Kosten für die Wiederherstellung von Straßen, Häusern, Brücken etc. auf 30 Milliarden Dollar in Haiti und auf 15 Milliarden Dollar in Chile.
Der Wiederaufbau werde „nicht drei Tage oder drei Monate, sondern Jahre dauern“, sagte Correa in einer Fernsehansprache. Angegangen wird der Wiederaufbau mit einem Fünf-Punkte-Plan: So wird die Mehrwertsteuer, die alle Ecuadorianer*innen betrifft, für ein Jahr um zwei Prozentpunkte angehoben, von zwölf auf 14 Prozent.  Unternehmensgewinne werden einmalig mit einer dreiprozentigen Sondersteuer belegt und auch die reichen Privatpersonen sollen ihr Scherflein für den Wiederaufbau beitragen: Wer mehr als eine Million Dollar Vermögenswerte sein eigen nennt, muss einen einmaligen Beitrag von 0,9 Prozent darauf abführen.
Abgeben müssen auch die Besserverdienenden: Wer monatlich mehr als tausend US-Dollar (seit dem Jahr 2000 Staatswährung) verdient, muss den Verdienst eines Tages – bei höherem Einkommen von bis zu fünf Tagen – abgeben. Als Faustregel gilt: pro tausend Dollar einen Tagesverdienst. Correa, der die linksgerichtete Alianza País führt, bezeichnete die Steuern und Sonderabgaben als Ausdruck einer „kollektiven organisierten Aktion“, mit welcher alle Ecuadorianer*innen „im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Wiederaufbau ihres eigenen Vaterlandes beitragen“. Die Betroffenen in den Erdbeben-Provinzen Manabí und Esmeraldas seien von dieser Regelung befreit, betonte Correa. Eine Milliarde Dollar sollen so zusammenkommen. Als fünfte Maßnahme hat der Präsident in Aussicht gestellt, mit einem Sakrileg zu brechen: Die Veräußerung von Staatsbesitz wird erwogen, um dringend benötigte Mittel zu generieren.
Bereits beschlossen hat die Regierung die Aufnahme von Notkrediten in der Höhe von rund 600 Millionen Dollar von regionalen und internationalen Finanzinstitutionen. Der Weg zum internationalen Kapitalmarkt steht Ecuador nur begrenzt offen, da der Andenstaat 2008 und 2009 einen Teil seiner zur Tilgung fälligen Auslandsschulden nicht beglich und damit in Ungnade gefallen ist. Ähnlich, wenn auch nicht so drastisch, wie Argentinien nach der Staatspleite 2001. Offen steht der Weg weiter nach China. Die chinesische Entwicklungsbank hat bereits am Montag nach dem Erdbeben einen neuen Kredit über zwei Milliarden Dollar zugesagt. Damit steht eine Folge des Erdbebens fest: Die Auslandsverschuldung Ecuadors steigt weiter an. Die 20,4 Prozent Schuldenquote Ecuadors vom Dezember 2015 hört sich – gemessen an europäischen Verhältnissen, wo ein „Musterschüler“ wie Deutschland bei über 80 Prozent und Griechenland bei über 170 Prozent des BIPs liegt – bescheiden an. Die Situation ist aber alles andere als harmlos. Ecuador ist nicht wie Deutschland oder Griechenland quasi in seiner eigenen Währung verschuldet, sondern in Fremdwährung, die nur über Exporteinnahmen oder über neue Kredite zu beschaffen ist. Dass das internationale Zinsniveau gerade niedrig ist, macht es verlockend, Einnahmeausfälle statt durch Einsparungen und Umverteilung durch neue Kredite auszugleichen. Steigt jedoch der Zins wie ab dem Jahr 1982, wird daraus schnell eine Schuldenfalle und die Situation 2016 ist nahezu identisch wie die Anfang der 1980er Jahre: Ein Rohstoffpreisverfall fällt mit einem Niedrigzinsniveau zusammen. Kommt es in den kommenden Jahren zur Zinswende, wird es eng – auch für Ecuador.
Bereits wenige Tage vor dem Erdbeben hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wachstumsprognosen für Ecuador ein weiteres Mal nach unten korrigiert. Der IWF ging von einer Schrumpfung von 4,5 Prozent 2016 und weiteren 4,3 für 2017 aus. Das Erdbeben wird diese Rezession vertiefen, weil absehbar nicht ausreichend Kapital zur Verfügung stehen wird, um einen schnellen Wiederaufbau zu gewährleisten.
Ecuador ist in diesem Jahr in die tiefste Rezession seit dem Zusammenbruch seines Finanzsystems von 1990 geglitten. Das Land ist nach wie vor stark von Ölexporten abhängig, die rund ein Drittel seiner Deviseneinnahmen ausmachen. 2015 gingen die Bruttoeinnahmen aus dem Ölverkauf um 50 Prozent auf 7,3 Milliarden Dollar zurück. Daraus resultierten Nettoerlöse von 2,9 Milliarden Dollar und damit 4,3 Milliarden US-Dollar weniger als im Vorjahr – eine klaffende Lücke.
In Bezug auf die Ölindustrie hatte Ecuador offenbar Glück im Unglück. Der staatliche Erdölkonzern Petroecuador gab Entwarnung und sagte, die Ölförderung sei nicht gefährdet. Auch die Infrastruktur der Ölraffinerie Esmeraldas soll keine bedeutenden Schäden an der Infrastruktur erlitten haben. Die Anlage sei aber ebenso wie der Öltransport durch Leitungen für eine Überprüfung gestoppt worden.
Weniger rosig sieht es ausgerechnet in dem Sektor aus, mit dessen Ausbau die Abhängigkeit vom schwarzen Gold reduziert werden sollte: dem Tourismus. Die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Orte Pedernales, Manta und Portoviejo in der nördlichen Küstenprovinz Manabí leben davon.
Eigentlich wollte Ecuador 2016 eine neue Tourismusoffensive starten. Daraus wird fürs Erste nichts werden. Gegenwärtig spricht viel für eine aufziehende „extreme politische Situation“, die bis ins Wahljahr 2017 reichen dürfte. „Es ist die größte Tragödie des Landes in den vergangenen 70 Jahren,“ sagt Präsident Correa. „Aber ich betone wieder und wieder: Unser Land hält zusammen, wir sind so vereint wie noch nie, und werden jede Herausforderung, vor die uns die Natur stellt, annehmen.“ Das klingt dann doch schon fast nach Wahlkampf.


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