Nummer 349/350 - Juli/August 2003 | Ökonomie

Gewerkschaften auf dem Globalisierungsweg

Die internationale Vernetzung der ArbeiterInnenvertretungen schreitet voran

Brasilianische und europäische Gewerkschaften versuchen, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Auf internationaler Ebene werden die ArbeitnehmerInnenvertretungen Brasiliens, Deutschlands und der Niederlande zunehmend vernetzt: Ein Projekt, das in Brasilien unter dem Namen Observatório Social seinen Anfang nahm, wird international verbreitet.

Bernhard Stelzl

Nicht erst seitdem die Vokabel Globalisierung die Runde macht, ist bekannt, dass transnationale Konzerne über hohe Flexibilität und Steuerungsfähigkeit verfügen. Sie sind in der Lage, den Akteuren auf nationaler und betrieblicher Ebene Handlungsmacht zu entziehen: Regierungen, Beschäftigte, ArbeitnehmerInnenvertreter und Gewerkschaften werden häufig gegeneinander ausgespielt. Eigentlich nichts wirklich Neues, aber diese Einsicht hat eben auch nicht dazu geführt, dass die Gewerkschaft dem Einfluss der Konzernebene auf die Arbeitsbedingungen die erforderliche Beachtung geschenkt hat.
Bereits Mitte der 1960er und 70er Jahre gab es auf Initiative der Internationalen Berufssekretariate der Metall-, Chemie- und Lebensmittelindustrie Bemühungen mit etwa 50 Weltkonzernräten. Leider wurden nur die wenigsten über einen formalen Status hinaus aktiv und hatten auch keinen dauerhaften Bestand. Dennoch, die Erfahrungen dieser ersten Welle internationaler gewerkschaftlicher Strukturbildung werden seit Mitte der neunziger Jahre wieder aufgegriffen und für die weitere Arbeit fruchtbar gemacht. Die einstige finanzielle und organisatorische Überforderung einiger Internationaler Berufssekretariate auf Grund der Vielzahl der formal gegründeten Räte hat zu der Einsicht geführt, die Kräfte auf ausgewählte Fälle zu konzentrieren. Heute wird die Organisation weltweiter ArbeitnehmerInnenvertretungen und deren Vernetzung auch durch Informations- und Kommunikationstechnologien erleichtert. Tatsächlich hat die weltweite Vernetzung gewerkschaftlicher und betrieblicher ArbeitnehmervertreterInnen neuen Schwung bekommen. Mit der Verabschiedung der Kernarbeitsnormen durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) 1998 wurde ein weiteres Fundament für die weltweite Einhaltung von Mindeststandards gelegt. Vor allem aber verfügen die ArbeitnehmervertreterInnen damit über einen rechtlichen Referenzrahmen.

Überprüfung transnationaler Konzerne

Für Brasilien mit seinem hohen Anteil ausländischer Unternehmen hat sich dies als Chance für die Gewerkschaftsbewegung erwiesen. Durch die neoliberale Politik der damaligen Regierung Cardoso wurde das Klima für die Gewerkschaften rauer. Mitte der neunziger Jahre gestaltete sich der Dialog zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern zäh, teilweise riss er sogar ab. In den vergangenen Jahren öffnete sich jedoch ein neues Fenster, die ohnehin größeren transnationalen Konzerne bekamen verstärkte Beachtung. Die gewerkschaftliche Initiative „Observatório Social“ des brasilianischen Dachverbandes Central Única dos Trabalhadores (CUT) hat das ehrgeizige Ziel, die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO zu überwachen. Dabei wird das Verhalten transnationaler Konzerne ins Visier genommen. Doch um dieses ambitionierte Vorhaben zu verwirklichen, bedarf es internationaler Verbündeter.
„Bei der Überprüfung des amerikanischen Supermarkt-Riesen Wal Mart wurde gut mit amerikanischen Gewerkschaften zusammengearbeitet“, fasst Odilon Faccio, Projektleiter des Observatórios, zusammen. Für die in Brasilien ebenfalls zahlreich vorhandenen europäischen Unternehmen wurde sogar eine Schwesterorganisation gegründet. Zusammen mit dem FNV Mondiaal (Niederlande) und dem DGB-Bildungswerk wurde im Jahr 2001 das Projekt „Observatório Social Europa“ aus der Taufe gehoben. Von Amsterdam aus koordiniert, unterstützt es Untersuchungen über das Verhalten deutscher und niederländischer Unternehmen in Brasilien. Auf der deutschen Seite sind die Bosch GmbH, ThyssenKrupp AG und die Bayer AG im Visier. Bei den holländischen Firmen hat man sich auf die Phillips, Unilever und Ahold konzentriert. In Zusammenarbeit mit den ArbeitnehmerInnenvertretungen und eben auch mit den Unternehmensleitungen in Brasilien, soll beobachtet werden, ob die unter anderem von der ILO formulierten Mindeststandards auch eingehalten werden. Dabei stehen neben der Sicherung von internationalen sozialen Standards auch die Durchsetzung ökologischer Mindeststandards in multinationalen Unternehmen in Brasilien im Mittelpunkt. Ein weiteres Ziel dieser transatlantischen ArbeitnehmerInnenkooperation ist es, eben genau diese Form der Zusammenarbeit weiter auszubauen. Koordinatorin Karen Brouwer bestätigt, dass die ArbeitnehmerInnen die fundamentale Basis für das Projekt sind: „Es sind die ArbeitnehmerInnen, die das Unternehmen am besten kennen und genau wissen, welche Bereiche verbessert werden sollten“.
Die IG Metall, die IG Bergbau, Chemie, Energie, das DGB Bildungswerk und der niederländische Gewerkschaftsbund FNV haben sich mit der brasilianischen CUT und ihren Branchengewerkschaften darauf geeinigt, das Projekt auch als eine Plattform für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch zu nutzen. Ab Mitte dieses Jahres wird mit ersten Untersuchungsergebnissen gerechnet, welche auch publiziert werden sollen. Im September findet das erste Brasilianisch-Deutsche Austauschprogramm statt. Brasilianische ArbeitnehmervertreterInnen der drei deutschen Konzerne, die untersucht wurden, werden ihre Kollegen in Deutschland treffen. Ziel des Treffens ist es, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Betrieben zu erkennen und eine Strategie für die Gewerkschaften und Betriebsräte zu formulieren.

ArbeitnehmerInnenrechte als soziale Verantwortung

Das Programm Observatório Social Europa ist aber nicht nur von Vorteil für ArbeitnehmerInnen. Auch die Betriebe können davon profitieren, indem problematische Bereiche durch die Untersuchungen deutlich gemacht werden, sich das Verhältnis zu den Gewerkschaften verbessern kann, und der Betrieb die Möglichkeit hat, sich öffentlich als sozial verantwortliches Unternehmen darzustellen. Ein Thema, das in Europa bei allen Unternehmen und in der Politik hoch im Kurs steht. Hier geht es vor allem darum, diese Verantwortung auch zu definieren: „Soziale Verantwortung hat direkt mit fundamentalen ArbeitnehmerInnenrechten zu tun“ sagt Karen Brouwer. Weiter führt sie aus: „Natürlich sprechen wir von gewerkschaftlicher Freiheit, Löhnen, Gesundheit und Arbeitsschutz. Oft denken Unternehmen in Entwicklungsländern, sie könnten sich auf philantropische Aktivitäten wie die Unterstützung eines Krankenhauses oder Kindergartens beschränken. Das ist auch gute Arbeit, aber das hat nichts mit ArbeitnehmerInnenrechten zu tun. Die Arbeitnehmer in Brasilien haben genau die gleichen Rechte wie ihre deutschen Kollegen. Es sollte in einem Konzern eigentlich keine Unterschiede geben“. Das Observatório Social hofft, dass auch die Öffentlichkeit davon überzeugt werden kann, dass es nicht „normal“ ist, dass ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften in Ländern wie Brasilien weniger Rechte haben.

Dialogfähigkeit als Lösungsansatz

Das Projekt fügt sich damit auch gut in die aktuelle politische Lage Brasiliens ein: „Lula ist pragmatisch“, lautet in vielen Diskussionen das Urteil über den neuen Präsidenten. Seine Appelle auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und dem Weltsozialforum in Porto Alegre zu Beginn des Jahres klangen nach Rebellion: „Davos muss Porto Alegre zuhören. Genauso wie wir in Brasilien einen neuen Sozialvertrag brauchen, so ist ein weltweiter Pakt nötig, der die Distanz der reichen zu den armen Ländern verkürzt. Eine andere Welt ist möglich.“ Anders als die zum Teil noch von Wahlkampfrhetorik geprägten Parolen ist die Regierungspraxis jetzt wesentlich moderater. An Stelle einer ideologisch geführten Debatte geht es um die Dialogfähigkeit, auch zwischen ArbeitnehmervertreterInnen und Unternehmensleitung. Der Staat soll sich aus der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen stärker zurücknehmen. Ziel ist es, mittels Dialogfähigkeit auch eine stärkere Verhandlungsfähigkeit der Tarifpartner herzustellen. Und wenn einer verhandeln kann, dann der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula. Laut Umfragen stehen 75 Prozent der BrasilianerInnen hinter ihrem Präsidenten. So lädt er mit Tasso Genro, einem ehemaligen Bürgermeister von Porto Alegre und nun Minister für Soziale und Wirtschaftliche Entwicklung, zur Ausarbeitung eines neuen Gesellschaftsvertrages. Unter seiner Aufsicht debattieren 82 Auserwählte über den neuen Gesellschaftsvertrag, unter ihnen finden sich so unterschiedliche TeilnehmerInnen wie Banker und MenschenrechtlerInnen. „Der Präsident ist für Konsens“, sagt Genro in der Sparkassen-Stiftung von Brasília, „nie wurde so viel diskutiert“. Eine Kultur, die die Initiatoren des Observatório auch gerne etablieren möchten. Aber es soll eben nicht nur bei Diskussionen bleiben.

Zusammenarbeit der Gewerkschaften

Mittlerweile gibt es schon die ersten positiven Nebeneffekte im Projekt. Die Vernetzung der brasilianischen Gewerkschaften beispielsweise schreitet voran. Dies ist umso erstaunlicher, als es in Brasilien keine wirkliche Tradition betrieblicher oder gar überbetrieblicher Interessenvertretung gibt. Mitte März gab es ein Treffen der GewerkschaftsvertreterInnen aus zwei der untersuchten Firmen in Salvador da Bahia. Bei dem Treffen in Zusammenarbeit mit der CUT und dem Observatório Social standen die Auswirkungen der Untersuchungen auf die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmensleitungen im Vordergrund und die daraus resultierenden Perspektiven für die Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen. Neu dabei ist, dass es zu nationalen Zusammenschlüssen kommen soll, das heißt es soll eine Art von Gesamtbetriebsräten bei Bosch und BASF geben. Auf dem Treffen wurden die verschiedenen Optionen geprüft, wobei die Gewerkschaften verschiedener konkurrierender Dachverbände hier eine gemeinsame Strategie entwickeln müssen.
Für die weltweite Verbesserung von ArbeitnehmerInnenrechten liegt die Zukunft in der Zusammenarbeit internationaler ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaft. Im Zeitalter der Globalisierung ziehen Unternehmen von Land zu Land. Diese Flexibilität macht es für ArbeitnehmerInnen und ihre VertreterInnen schwierig, ihre Rechte zu sichern oder gar auszubauen. Internationale Netzwerke helfen, Informationen zu sammeln und sich auszutauschen. Neu am Observatório Social Europa ist die Erkenntnis, dass internationale Netzwerke nicht nur für die Belegschaften in Entwicklungsländern von Vorteil sind. Globalisierung betrifft alle, eben auch die ArbeiterInnen in den Muttergesellschaften global operierender Konzerne.

Für weitere Informationen:
Karen Brouwer
Observatório Social Europa
Fon +31 20 5816 491
Fax + 31 20 6844 541
Mail karen.brouwer@vc.fnv.nl
** P.O. Box 8456 ** 1005 AL Amsterdam ** The Netherlands oder
www.observatoriosocial.org.br
www.nord-sued-netz.de/projekt_Observatorio.htm

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