Brasilien | Nummer 368 - Februar 2005

Weltsozialforum zum Fünften: A luta continua

Porto Alegre bleibt das Mekka der GlobalisierungskritikerInnen

Das globalisierungskritische Megatreffen in Porto Alegre ist vorbei. Ein Ergebnis stand schon vorher fest: Trotz mancher Schwächen bleibt das Weltsozialforum ein wichtiger Katalysator für große Teile der Bewegung – nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Gerhard Dilger

Das Weltsozialforum stehe an einem „Scheideweg“, sagt Emílio Taddei fast beschwörend. Es müsse endlich zu einer Instanz werden, die Alternativen zum derzeitigen „hegemonialen Politikmodell“ aufzeige und „sie vor allem auch durchsetzen hilft“, meint der akademische Koordinator des linken Thinktanks CLACSO aus Buenos Aires – andernfalls könne die WeltbürgerInnenbewegung einen „hohen Preis“ zahlen.
Mit solchen Übererwartungen überfrachte man das Forum, sind sich hingegen – über sämtliche politischen Differenzen hinweg – die brasilianischen OrganisatorInnen einig. „Es bleibt ein Raum der Begegnung für Intellektuelle, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und soziale Bewegungen, aber auch nicht mehr“, sagt João Pedro Stedile, der Kopf der Landlosenbewegung MST. „Wir versuchen, mit unseren Partnern den Zeitplan für die Mobilisierungen auf internationaler Ebene festzulegen“.
Schon zum vierten Mal strömten Zehntausende AktivistInnen, aber auch immer mehr TrittbrettfahrerInnen aus dem Establishment in den südbrasilianischen Hochsommer nach Porto Alegre. Naturgemäß sind die Grenzen fließend. Das Know-How Tausender NGO-Profis und die zum beträchtlichen Teil aus brasilianischen Steuergeldern erfolgte Finanzierung sind nicht erst jetzt unverzichtbar geworden.
Erneut reiste das Gros der TeilnehmerInnen aus Lateinamerika und Westeuropa an. 2001 waren es gerade 15.000, Mitte Januar 2005 über 100.000. Afrika, die arabische Welt, Asien und Osteuropa blieben krass unterrepräsentiert, und zwar nicht nur wegen der langen Anreise: Der globalisierungskritische Diskurs der westlichen Linken ist dort viel weniger verankert.
Trotz dieser Kontinuitäten sollte es diesmal nicht beim „business as usual“ bleiben, hoffte Antonio Martins von Attac-Brasilien – vor allem wegen der neuen Methodologie, auf die man sich nach den Erfahrungen der letzten Jahre geeinigt hat. Um eine inhaltliche Bündelung, aber auch den Kontakt zum „Volk“ zu erleichtern, fanden fast alle Veranstaltungen in einem vier Kilometer langen Streifen am Ufer des Guaíba-Sees statt, in umgebauten Hafenanlagen, vor allem aber unter weißen Plastikzeltdächern. Die acht Bauten aus Bambus- und Eukalyptusstämmen, Strohballen und alten Autoreifen, die Landlose und Soldaten in einer ungewöhnlichen Partnerschaft aufgestellt hatten, bildeten die markanteste Ausnahme. Recycling, der überwiegende Konsum von Lebensmitteln aus der „solidarischen Wirtschaft“, die „Währung“ Txai und der ausschließliche Einsatz von Linux auf den Forumscomputern sollten signalisieren: Die „andere Welt“ fängt beim Einzelnen an, und: Monopole von Konzernen sind kein Naturgesetz.
An medienwirksamer Prominenz von Arundhati Roy über José Saramago bis Hugo Chávez mangelte es auch diesmal nicht, doch aus dem offiziellen Programm wurden Großveranstaltungen ganz verbannt. Das Kernanliegen des Forums, die Vernetzung und eine daraus resultierende „Konvergenz der Aktionen“, werde durch die diesjährige Veranstaltungsstruktur mehr denn je erleichtert, schwärmt Martins: „Das Forum wird noch horizontaler, aber auch dichter und profunder“.
Ist die brasilianische Linke „weniger provinziell“ geworden, wie er vor vier Jahren gehofft hatte? „Ja und nein: Der Kampf gegen die Wasserprivatisierung oder die Freihandelszone ALCA haben nicht zuletzt durch das WSF eine ganz neue Dynamik bekommen“, sagt der 43-jährige Journalist. Andererseits seien viele Linke angesichts der neoliberalen Politik der brasilianischen Regierung immer noch „perplex“.
Der im Dezember aus der Regierung ausgeschiedene Dominikanermönch Frei Betto, der schon Tage vorher auf dem „Weltforum für Theologie und Befreiung“ auftrat, einer von mehreren Vorfeldveranstaltungen, gab sich diplomatisch: „Mit Lula geht es Brasilien besser als ohne ihn“. Als Grund für seinen Rückzug gab Betto die Wirtschaftspolitik an. „Ich hoffe noch auf eine Änderung, aber richtig glauben kann ich es nicht mehr“.
Dabei ist Lulas Unfähigkeit, neue Wege einzuschlagen, alles andere als ein brasilianisches Spezifikum. Darauf wies der irische, in Mexiko wohnhafte Marxist John Holloway erst kürzlich auf dem „Nordost-Forum“ in Recife hin. Der auch in Europa als Impulsgeber geschätzte Zapatista-Theoriker stellte seine Thesen gegen die Staatsfixierung der Linken in Porto Alegre erneut zur Diskussion.
Und Lula, der von 2001 bis 2003 noch als Hoffnungsträger umjubelt worden war? Der sagte sich nur zu einem obligatorischen Kurzauftritt an, vor seiner Weiterreise zum Weltwirtschaftsforum nach Davos.

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