Linke in Lateinamerika | Nummer 325/326 - Juli/August 2001

Vorschläge für eine neue Linke

Interview mit dem frisch gewählten Kongressabgeordneten Javier Diez Canseco über die Perspektiven und Programmatik linker Politik in Peru

Um die peruanische Linke ist es still geworden. Dabei war die Izquierda Unida (IU) noch in den 80er Jahren eines der stärksten linken Parteienbündnisse in ganz Lateinamerika. Damals stellte sie eine machtvolle Opposition und eroberte zahlreiche Bürgermeisterämter. Doch während der Diktatur des Montesino-Fujimori-Regimes verschwand sie ebenso wie die Guerrillas des Sendero Luminoso und des MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru). Javier Diez Canseco, 53, Vorsitzender der Partido Unificado Mariateguista (PUM), war einer der Gründerväter und langjähriger Abgeordneter der IU. Im April diesen Jahres zog er auf der Liste der Unión por el Perú (UPP) in den Kongress ein. Sein erklärtes Ziel ist es, eine neue linke Bewegung aufzubauen.

Rolf Schröder

Bei den Wahlen im April dieses Jahres war von der peruanischen Linken nichts zu sehen. Weder präsentierte sich ein linker Präsidentschaftskandidat noch eine linke Parlamentsliste. Sie sind einer der wenigen Linken, die sich überhaupt um einen Sitz im Kongress beworben haben. Wie sehen Sie die Perspektiven der peruanischen Linken in der Zukunft? Wird sie nach dem Ende der Montesinos-Fujimori-Diktatur wieder bessere Zeiten erleben?

Es gibt momentan einen fruchtbaren Boden für linke Vorschläge, insbesondere was die soziale Gerechtigkeit betrifft. Das liegt an der schweren wirtschaftlichen Rezession und an der sozialen Misere im Land. Außerdem haben die Leute entdeckt, dass sie die Politiker kontrollieren müssen, damit diese ihren Erwartungen und Hoffnungen entsprechen. Man kann nicht nur einen Politiker wählen und diesen dann mit seinen Machtbefugnissen machen lassen, was er will. Wir müssen eine partizipative Demokratie schaffen, mit neuen Elementen. Die Linke in Peru hat allerdings mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Es ist nun einmal so, dass die IU sich aufgelöst und politisches Kapital verloren hat. Das war meiner Meinung nach den starken dogmatischen und separatistischen Strömungen innerhalb der verschiedenen Parteien des Bündnisses geschuldet. Dazu kam die mangelnde Effizienz der Linken, von denen viele angetreten waren, um eine Politik für die Armen und Entrechteten umzusetzen. Einmal in ein politisches Amt gewählt, verzichteten sie aber auf Elemente partizipativer Demokratie und regierten mit denselben autoritären Methoden wie rechte Politiker. Das war im Grunde kein Wunder, denn in den Organisationen der Linken wurde intern auch keine Demokratie praktiziert. Aufgrund der ideologischen Krise heutzutage nimmt auch der Opportunismus innerhalb der Linken zu. Wir müssen deshalb den Aufbau einer linken Bewegung völlig neu planen.

Was soll denn das Neue an dieser linken Bewegung sein?

Wir müssen mit ideologischen Prinzipien anfangen, aber nicht mit einer geschlossenen Ideologie. Wichtig ist, sozialen Bewegungen gegenüber offen zu sein, mit Prinzipien wie Solidarität, Gleichheit und partizipative Demokratie. Die PUM versteht Politik beispielsweise als Entwicklung einer Kultur und nicht nur als Verwaltung eines Teils des Staates. Die Bedingungen für ein Wachstum der Linken sind günstig, aber sie muss sich neuen Sektoren öffnen und eine Alternative zur herrschenden Politik entwickeln. Gewerkschaften oder Basisorganisationen dürfen dabei aber nicht Transmissionsriemen einer Partei sein. Das ist in Peru ein Grundproblem orthodoxer marxistischer Organisationen: deren Vertreter besetzen wichtige Funktionärsposten außerhalb ihrer Partei, doch ihr sozialer Einfluss bleibt gering.

Was müssten denn die konkreten Vorschläge einer Neuen Linken sein?

Ich sehe vier Achsen linker Politik. Die erste ist der Aufbau einer partizipativen Demokratie, die positive Elemente einer repräsentativen Demokratie aufgreift, wie beispielsweise Wahlen. Damit einhergehen müssen Mechanismen direkter Demokratie und der Kontrolle. Die zweite Achse ist eine Dezentralisierung des Landes. Das heißt: eine Umverteilung der Macht auf verschiedene Instanzen, die Tolerierung einer Gesellschaft der Unterschiede und die Anerkennung verschiedener Identitäten. Jede Region soll ihre eigenen Autoritäten wählen, einen eigenen Haushalt bekommen, ein eigenes Bildungs- und Gesundheitssystem verwalten. Natürlich müssen auch die Befugnisse der Kommunen beträchtlich erweitert werden. Die dritte Achse ist die Rückkehr der Ethik in die Politik, verbunden mit einem Mehr an Transparenz. Die vierte Achse ist schließlich ein grundlegender Wechsel in der Wirtschaftspolitik. Wir haben einen wilderen und brutaleren Kapitalismus erlebt als der Rest Lateinamerikas: das Land ist zerstört und deindustrialisiert. Die Landwirtschaft liegt brach und wurde ihrem Schicksal überlassen. Die einzigen Investitionen gibt es im Bergbau und bei der Finanzspekulation. Die bedeutendsten Industriezweige sind in ausländischer Hand. Hinzu kommt, dass das Land pro Jahr 2,1 Milliarden US-Dollar für die Schuldenrückzahlung aufwendet. Die verheerenden Folgen dieser Politik schlagen sich in den neuesten Statistiken zur Arbeitslosigkeit und Verarmung nieder.

Ist der gegenwärtige Spielraum zur Umsetzung linker Wirtschaftspolitik nicht besonders eng?

Für eine ganze Reihe von Maßnahmen ist der Zeitpunkt günstig. Die Wirtschaft kann aus der schweren Rezession nur durch eine Reaktivierung der Nachfrage herauskommen, und das geht nur über eine Einkommensverbesserung bei den Konsumenten. Alle Bauern sind sich einig, dass wir eine neue Agrarpolitik brauchen. Und auch wenn wir kein Problem mit ausländischen Investitionen haben: Es darf nicht so weit kommen, dass das Land von auswärts regiert wird. Eine Wiederherstellung der Arbeitsrechte steht ebenso an wie die Einführung des Achtstundentags. Außerdem: Der Zeitpunkt ist günstig, um über die Strukturen der Monopole und Oligopole bei der Strom- und Wasserversorgung oder den Telefondiensten zu verhandeln, denn es gibt starke soziale Proteste gegen deren Missbrauch. Es ist ebenfalls der Moment gekommen, in dem die neue peruanische Regierung mit einer breiten nationalen und internationalen Unterstützung die Bedingungen der Schuldenrückzahlung neu verhandeln kann. Auch in der Haushaltspolitik sind entscheidende Weichenstellungen möglich: Das Ansehen der peruanischen Streitkräfte ist auf dem Nullpunkt angelangt. Daher war die Gelegenheit noch nie so günstig, den Militärhaushalt drastisch zu kürzen. Das gesparte Geld kann in die Bereiche Bildung und Gesundheit investiert werden. Wir leben in einer schwierigen Zeit, die aber gleichzeitig viele Chancen bietet.

Kommen wir zur partizipativen Demokratie zurück. Wie soll diese konkret umgesetzt werden? Wie können zum Beispiel staatliche Institutionen besser kontrolliert werden? In den vergangenen zehn Jahren wurde Peru schließlich von einer Mafia regiert, die systematisch Richter, Staatsanwälte, Steuer- und Wahlbehörden, Oppositionspolitiker und Unternehmer bestochen und für ihre Zwecke eingesetzt hat.

Einige Vorschläge: Alle Amtsinhaber sollen gewählt werden, doch die Bürger müssen jederzeit das Recht haben, ihnen das Mandat abzuerkennnen, wenn sie die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Beispielsweise wenn eine bestimmte Anzahl von Unterschriften für ihre Absetzung vorgelegt wird. Regelmäßig stattfindende öffentliche Versammlungen können einen direkten Dialog zwischen Bürgern und gewählten Repräsentanten sicherstellen. Weiterhin möchten wir, dass die Betroffenen bei allen sozialen Programmen der Regierung mitbestimmen, beispielsweise die Mütter bei den Programmen zur Milchausgabe an Kinder oder die Einwohner bei den Vertragsabschlüssen mit Firmen, die Wege oder Straßen in ihrem Viertel bauen. Die Bürger müssen mehr Kontrollmöglichkeiten und Einblick in die Finanzierung erhalten. Wir wollen ein Recht auf ein Referendum auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Wir wollen, dass in den Kommunen Räte mit Delegierten sozialer Organisationen aufgebaut werden. Die sollen die jeweiligen Bürgermeister zur Rechenschaft ziehen und über Einnahmen, Ausgaben und die Rangordnung von Projekten mitentscheiden dürfen. Natürlich sind auch Änderungen in den Kommunikationsmedien erforderlich: in staatlichen Fernseh- oder Rundfunkanstalten oder Zeitungen muss es ebenfalls eine Beteiligung der Bürger geben, und die privaten Medien haben bestimmte Verpflichtungen einzugehen.

Was für eine Rolle soll das Parlament in einer partizipativen Demokratie spielen? Viele Abgeordnete erweisen sich immer wieder als korrupt. Ein Kandidat für einen Abgeordnetensitz, der nicht über genügend Mittel für den Wahlkampf verfügt, hat praktisch keine Chance in den Kongress einzuziehen. Und weder Minderheiten noch Basisorganisationen sind dort vertreten.

Natürlich sollte die Wahlwerbung in allen Medien kostenlos sein. Alle Kandidaten müssen die gleichen Chancen besitzen. Dann muss in Peru ein Parteiengesetz verabschiedet werden, dass die demokratische Struktur der Parteien selbst sicherstellt. Wir teilen aber nicht den Standpunkt, dass soziale und andere Basisorganisationen einen Sitz im nationalen oder regionalen Parlament erhalten sollten. Es gibt bereits regionale Erfahrungen damit, und es hat nicht funktioniert, es war zu bürokratisch. Wir ziehen eine demokratische Wahl mit Rechenschaftspflicht vor. Das heißt, dass aktive und engagierte Bürgergruppen tatsächlich eine Kontrolle ausüben können. Wir müssen aber die Anzahl der Abgeordneten in Peru erhöhen. Es ist absurd, dass 120 Abgeordnete 27 Millionen Peruaner vertreten sollen. Auch deshalb, weil wir kleinere Wahlbezirke brauchen. Dann können die regional gewählten Abgeordneten auch besser Rechenschaft ablegen. Auch Minoritäten haben so eher eine Chance, in den Kongress zu gelangen. Ich selbst vertrete seit längerem die Idee, dass Ethnien aus dem Amazonasgebiet zwei Abgeordnete im Parlament stellen sollten, auch wenn sie dazu nicht die nötigen Stimmen erhalten. Ihre Standpunkte können so besser an die Öffentlichkeit gelangen und auch von anderen Parteien diskutiert werden. Wir haben mehr als 30 Ethnien im Amazonasgebiet; einige von ihnen sind sehr klein, und sie würden niemals genügend Stimmen erreichen, um ihre Repräsentanten ins Parlament zu bekommen.

Das Interview wurde im April 2001 von Rolf Schröder geführt

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