Honduras | Nummer 370 - April 2005

„Bandwurm“ gefasst, „Snoopy“ entwischt

Die harten Maßnahmen der honduranischen Regierung im Kampf gegen Jugendbanden sind zweifelhaft

Seit dem brutalen Überfall auf einen Bus in San Pedro Sula kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres, bei dem zahlreiche Menschen starben, wurde die repressive Politik gegen Mitglieder von Jugendbanden, den so genannten maras, weiter verschärft. Während die Regierung die Ermittlungen inzwischen für abgeschlossen erklärte, zweifeln viele daran, dass die beschuldigten mareros die geistigen UrheberInnen des Massakers sind. In einem Klima der Angst und Unsicherheit können sich PolitikerInnen durch hartes Vorgehen gegen Kriminelle profilieren. Dass die Gewalttaten dabei zugenommen haben und Morde an Kindern und Jugendlichen oft ungestraft bleiben, geht in der aufgeheizten Stimmung unter.

Helen Rupp

Die Festnahme des Anführers der Mara Salvatrucha (MS), Eber Aníbal Rivera Paz alias „El Culiche“ (Bandwurm), im US-Bundesstaat Texas am 10. Februar erscheint wie der krönende Abschluss einer konsequenten Aufklärung des „Massakers vom 23.“ durch die honduranische Regierung. Am 23. Dezember vergangenen Jahres war in San Pedro Sula, einer Großstadt 200 km nördlich von Tegucigalpa, ein Stadtbus brutal überfallen worden. Als der Bus im Stadtteil Chamelecón gestoppt und von Maschinengewehrfeuer durchlöchert wurde, starben 28 Personen, 24 wurden verletzt. Daraufhin wurden zahlreiche Mitglieder von Jugendbanden, so genannte mareros, als Tatverdächtige festgenommen.
Laut den Ermittlungsergebnissen, die die Polizei inzwischen präsentiert hat, ist „El Culiche“, neben Álvaro Osiris Acosta alias “Snoopy”, einer der Anstifter des Massakers. Damit scheint bestätigt, dass es sich bei der Tat um ein Werk der MS handelt, neben der Mara 18 die wichtigste Jugendbande in Honduras und Zentralamerika. Sicherheitsminister Oscar Àlvarez stellte die Tat von Anfang an als Versuch der MS dar, ihre Stärke zu demonstrieren angesichts der erfolgreichen Regierungspolitik, die die mareros spüren ließe, dass „der Spaß vorbei sei“.

Theorien um maras und organisierte Kriminalität

In einer Nachricht, die die TäterInnen im vorderen Teil des Busses hinterließen, hatten sie den honduranischen Präsidenten Ricardo Maduro, den Präsidenten des Nationalkongresses Porfirio Lobo Sosa, und den Sicherheitsminister Oscar Álvarez, bezichtigt, die Verursacher der Tragödie zu sein. Maduro erklärte jedoch schnell, es handele sich nicht um einen Angriff gegen bestimmte Personen oder eine Partei, sondern um eine Tat, die sich gegen alle HonduranerInnen richte. Die Sonderstaatsanwältin gegen das organisierte Verbrechen, Doris Aguilar, sah in der Tat gar eine klare Absicht, die demokratische Ordnung des Landes zu destabilisieren.
Entgegen der offiziellen Darstellung scheint es jedoch fraglich, ob die beteiligten mareros mit der Gewalttat weitergehende politische Ziele verfolgten. Wie Mauricio Gabori von der Zentralamerikanischen Universität in El Salvador, UCA, betont, stellen die maras keine zentralisierte Organisation dar, sondern bilden vielmehr ein höchst dezentralisiertes transnationales kriminelles Netzwerk. Eine verbreitete Theorie ist, dass hinter den mareros die organisierte Kriminalität als geistiger Urheber der Tat stehe, die mit dem Massaker ein Klima von Angst und Unsicherheit schaffen wollte, um die Regierung davon abzuhalten, weiterhin den Drogenhandel zu bekämpfen. Alfredo Landaverde, ehemaliger stellvertretender Leiter der Direktion zur Bekämpfung des Drogenhandels, ist überzeugt, dass die Tat lediglich die Bevölkerung einschüchtern sollte: „Hier gibt es kein Al Qaeda, wie schon bewiesen wurde, hier gibt es keine Islamisten, was es hier gibt, ist das organisierte, transnationale Verbrechen, das die honduranische Jugend benutzt.“ Nach Angaben Landaverdes sind in Honduras die Mehrzahl der AuftragsmörderInnen Jugendliche, die vom organisierten Verbrechen beauftragt werden, das ihnen Waffen, Geld sowie Drogen verschafft – letzte, um ihnen den nötigen Mut einzuflößen.
Auch der Hilfsbischof der Diözese von San Pedro Sula, Rómulo Emiliani, erklärte in einem Zeitungsinterview, dass seiner Ansicht nach keine der beiden großen maras in Honduras zu dem Gewaltverbrechen in der Lage gewesen sei, sondern die beteiligten mareros womöglich vom organisierten Drogenhandel für dessen Zwecke benutzt würden. Die Marginalisierung von Jugendlichen und die weit verbreitete Armut, Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit sowie illegaler Waffenbesitz fördere solche Entwicklungen.

Hochsicherheitsgefängnis statt Problemlösung

Präsident Ricardo Maduro, dessen eigener Sohn 1997 in San Pedro Sula ermordet wurde, nutzte die Gelegenheit, um nach dem Bus-Überfall den Opfern Unterstützung und den TäterInnenn harte Verfolgung anzukündigen. Medienwirksam unterdrückte Maduro Tränen am Krankenbett einer Frau und überreichte gemeinsam mit seiner Gemahlin einem 15jährigen Verletzten großzügige Geschenke. Als der Präsident eine Rede in Tegucigalpa sekundenlang unterbrechen musste, da ihn das Schicksal einer Frau und ihres Sohnes, die beide als Folge des Gewaltaktes ihr Leben lang gelähmt sein werden, zu Tränen rührte, klatschten die Anwesenden anerkennend Beifall.
Ein spezieller Fonds wurde geschaffen, um den Angehörigen der Opfer zu helfen. Maduro versprach Häuser und Stipendien. Für die Opfer und Angehörigen wurde psychologische Betreuung bereit gestellt, während die restliche Bevölkerung mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen beruhigt werden sollte. Über 2000 PolizistInnen und SoldatInnen patrouillieren auf Anweisung Maduros seither in den Straßen von Tegucigalpa und San Pedro Sula. Zügig bewilligte der Nationalkongress die notwendigen Mittel, um noch dieses Jahr den Bau eines Hochsicherheitsgefängnisses zu beginnen. Die Häftlinge sollen dort für ihren eigenen Lebensunterhalt sowie den der Angehörigen ihrer Opfer arbeiten.
Auch in der schon bestehenden nationalen Haftanstalt von Támara wurde mit dem Bau eines Hochsicherheitstrakts begonnen, dessen erste Zellen von Sicherheitsminister Oscar Álvarez inzwischen eingeweiht wurden. Manche der im Rahmen des Massakers in Chamelecón festgenommenen mareros sitzen hier unter teils unmenschlichen Haftbedingungen ein. Beschwerden weist Àlvarez zurück. Man könne nicht erlauben, dass Häftlinge mehr Privilegien genössen, als eine einfache Person in Freiheit.
Während der Kongress spontan neue Mittel für Hochsicherheitsgefängnisse bewilligt, wird das Problem der Zustände in den schon bestehenden Strafanstalten übergangen. Ein Großteil der derzeit über 11.000 Häftlinge in Honduras wartet noch auf ein Urteil. In den oft hoffnungslos überfüllten und heruntergekommenen Gefängnissen kamen in den letzten Jahren zahlreiche Insassen zu Tode, von öffentlicher Seite mitverantwortet oder zumindest billigend in Kauf genommen. Die Entwicklung hatte im April 2003 einen traurigen Höhepunkt erreicht, als Mitglieder der Mara 18 in einem Gefängnis in La Ceiba einen „Aufstand“ auslösten, der mit dem Tod von 69 Personen, mehrheitlich mareros, endete. Offensichtlich war der vermeintliche Aufstand von der Gefängnisleitung provoziert worden. Der Gefängniskommissar Oscar Sánchez wurde vergangenen Februar in diesem Zusammenhang zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Mai letzten Jahres kamen in der Haftanstalt von San Pedro Sula 103 Gefängnisinsassen, allesamt Mitglieder der MS, bei einem Brand um. Doch zehn Monate nach der schlimmsten Gefängnistragödie in der Geschichte Honduras´ sind die Versprechen auf Verbesserungen der unzulänglichen Infrastruktur nicht eingelöst worden. Die honduranische Zeitung La Prensa spricht angesichts der Zustände in dem für 800 Häftlinge angelegten Gefängnis, in dem 1800 Personen untergebracht sind, von einer tickenden Zeitbombe – vor allem, seit kürzlich einige mareros, die den Brand überlebten, von einem anderen Gefängnis in die Anstalt zurückverlegt wurden.
Die Überfüllung der Gefängnisse ist nicht zuletzt ein Ergebnis der aktuellen Regierungspolitik. Seit im August 2003 das so genannte Anti-Mara-Gesetz in Kraft trat, wurden tausende Jugendliche festgenommen, die oft auf Grund äußerer Kennzeichen, wie Tätowierungen, verdächtigt werden, einer Jugendbande anzugehören (siehe LN 359). Unter dem Eindruck des von der Regierung und in den Medien verbreiteten Bildes der mareros als brutale GewaltverbrecherInnen und organisierte Kriminelle, erweckt ihr Tod wenig Mitleid in der Bevölkerung. Selbst die zahlreichen Morde an Kindern und Jugendlichen, besonders in den Straßen von Tegucigalpa und San Pedro Sula, durch staatliche Sicherheitskräfte oder selbsternannte „Säuberungskomitees“ werden oft hingenommen, da es sich um Mitglieder von Jugendbanden handele, die verdienten zu sterben.

Menschenrechte nur für die Opfer

Amnesty International drängt in einem Bericht auf die Aufklärung dieser Morde, die oft ungestraft bleiben. MenschenrechtsaktivistInnen werden jedoch in dem aufgeheizten Klima schnell verdächtigt, Kriminelle schützen zu wollen. Im Zusammenhang mit dem Bus-Massaker vom Dezember vertrat der honduranische Sicherheitsminister Òscar Àlvarez die rechtsstaatlich zweifelhafte Ansicht, allein der Schutz der Menschenrechte von Opfern müsse Priorität haben. MenschenrechtsaktivistInnen warf er vor, sich zu sehr um die Rechte der TäterInnen zu sorgen und weder am Tag der Gewalttat noch in den Krankenhäusern anwesend gewesen zu sein, um sich mit den Angehörigen und Verletzten zu solidarisieren.
Als symptomatisch für die derzeitige Stimmung in Honduras kann das Ergebnis der Vorwahlen am 20. Februar aufgefasst werden. Porfirio Lobo Sosa, ein strenger Verfechter der Todesstrafe für schwere Verbrechen, konnte die internen Wahlen der Nationalpartei (PN) für sich entscheiden, und wird somit Ende diesen Jahres als Präsidentschaftskandidat seiner Partei antreten. Damit setzte er sich gegen Miguel Pastor durch, der lebenslange Haft für die TäterInnen vom 23. Dezember gefordert hatte, sowie kleine Zellen ohne Tageslicht, Zwangsarbeit und Besuchsverbot.
Nicht einmal einen Monat nach dem Massaker, billigte am 19. Januar der honduranische Nationalkongress eine Verschärfung des so genannten Anti-Mara-Gesetzes, wobei besonders die Strafen für die AnführerInnen von Jugendbanden verschärft wurden. Außerdem kommt niemand mehr in Untersuchungshaft, der einen Kriminellen in Selbstverteidigung tötet.
Trotz der repressiven Maßnahmen der Regierung wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Gewaltverbrechen verübt. Während die Regierung betonte, die Kriminalitätsstatistiken seien gesunken, berichteten die Medien über eine Zunahme der Gewalt in den letzten Monaten. Der positiven Bilanz im Kampf gegen das Verbrechen, die Maduro Ende Januar anlässlich des dritten Jahrestages seiner Regierung zog, widerspricht auch ein Bericht der Zentralamerikanischen Universität in El Salvador, UCA. Während der honduranische Präsident betonte, die Kriminalität sei in seiner Regierungszeit um 70 Prozent zurückgegangen, ist laut der mit UN-Mitteln finanzierten Veröffentlichung der UCA Honduras zum gewalttätigsten Land Mittelamerikas geworden, mit einer Mordrate, die in Lateinamerika nur noch von Kolumbien übertroffen wird.
Die honduranische Regierung wird wohl weiterhin versuchen mit einer möglichst spektakulären Verfolgung der mareros von diesen Tatsachen abzulenken. Um ihre Versprechen einzulösen, nicht zu ruhen, bis die Schuldigen an dem brutalen Gewaltakt von Chamelecón „im Gefängnis verfaulen“, müssten Präsident Maduro und sein Sicherheitsminister Àlvarez den flüchtigen „Snoopy“ wieder einfangen und die Auslieferung von „El Culiche“ von den USA erreichen. Bis zu den Wahlen im November hat die regierende Nationalpartei noch ein paar Monate Zeit, um sich mit hartem Durchgreifen gegen Mitglieder von Jugendbanden in Szene zu setzen.

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