Honduras | Nummer 442 - April 2011

„Für unser Recht auf Leben“

Interview mit dem Aktivisten Donny Reyes von der honduranischen LGBT-Bewegung über die Situation von Queers seit dem Putsch

Am 13. Dezember 2009 wurde der schwule AIDS-Aktivist Walter Tróchez, der auch in der Widerstandsbewegung aktiv war, umgebracht. Anlässlich des ersten Jahrestages seiner Ermordung fand eine Protestkundgebung vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft in Tegucigalpa statt. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Donny Reyes von der queeren Organisation Arcoiris über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* (LGBT) in Honduras seit dem Putsch sowie über die Hintergründe der zahlreichen Morde an schwulen Männern und Trans* (Transsexuelle und Transgender).

Interview: Eva Bahl und Øle Schmidt

Donny Reyes: Der Aktivist der queeren Organisation Arcoiris wurde mehrfach bedroht und festgenommen. Zuletzt wurden er und andere Angehörige der Gruppe wegen der Teilnahme an der Solidarität mit streikenden Lehrer_innen am 30. März inhaftiert.

Hat sich die Situation für Schwule, Lesben und Trans* nach dem Putsch im Juni 2009 verändert?

Ja, auf jeden Fall. Der Putsch hat die Gewalt verstärkt, weil durch ihn vor allem das Militär und die staatlichen Sicherheitskräfte mehr Macht erhalten haben. Und aus ihren Reihen kamen auch schon vorher diejenigen, die Leute von uns ermordet haben. Und wenn man den Mördern mehr Macht gibt, dann gibt es auch mehr Morde. Seit dem Putsch wurden über 30 Menschen ermordet. Die Opfer sind, wie schon immer, die verwundbarsten Teile der Gesellschaft: Angehörige der LGBT-Gemeinschaft, Jugendliche, Frauen und so weiter.
Sie sind heute hier, um an die Ermordung von Walter Tróchez vor einem Jahr zu erinnern. Was ist das Ziel der Kundgebung?
Wir sind hier, um herauszufinden, was die Staatsanwaltschaft bis jetzt in dem Mordfall Walter Tróchez ermittelt hat. Walter ist im Dezember 2009 zuerst entführt und gefoltert, und dann ermordet worden. Bis heute ist niemand angeklagt oder gar verurteilt worden. Wir prangern an, dass so viele Angehörige der LGBT-Gemeinschaft seit dem Putsch ermordet worden sind, ohne dass jemand zur Rechenschaft gezogen wurde.

Was hat Walter Tróchez für die LGBT-Bewegung in Honduras bedeutet?

Walter war ein Menschenrechtsverteidiger der LGBT-Gemeinschaft und der Personen, die mit dem HI-Virus leben. Und er war in der Widerstandsbewegung gegen den Putsch aktiv. Für uns ist seine Ermordung ein besonders tragischer Fall, weil er eine leitende Figur der Bewegung war und sich offen für die Rechte dieser marginalisierten Gruppen eingesetzt hat.

Haben Sie eine Vermutung, wer ihn ermordet hat und warum?

Wir sind sicher, dass es Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte sind, die die homosexuellen Männer und Trans*-Personen in diesem Land ermorden. Im Fall von Walter war es sogar so, dass er einige Tage vor seiner Ermordung bereits einmal entführt und gefoltert worden war. Er hatte danach auch Anzeige erstattet und ausgesagt, dass es Polizisten gewesen waren. Dieser Mord liegt ganz klar in staatlicher Verantwortung.

Und gab es eine Reaktion der staatlichen Stellen und der Justiz auf den Mord? Ist in dem Fall jemand verhört oder festgenommen worden?

Nein. Genau das ist es ja, was wir anprangern: Hier regieren Gleichgültigkeit und Straflosigkeit. Es gibt keinerlei Initiative von Seiten der zuständigen Stellen. Wenn es überhaupt Reaktionen gibt, dann wirken sie einer Aufklärung eher entgegen: dann wird versteckt, verschleiert, Akten und Anzeigen gehen verloren. Die Behörden machen immer das Gegenteil von dem, was eigentlich ihre Aufgabe ist: Wenn sie ermitteln sollen, ermitteln sie nicht. Wenn sie einen Fall dokumentieren sollen, dokumentieren sie ihn nicht und so weiter. So überlassen sie die LGBT-Gemeinschaft der völligen Wehrlosigkeit. Wir werden aber weiterhin darauf aufmerksam machen, dass unser Leben in Gefahr ist. Wir glauben, dass jetzt der Zeitpunkt ist, um zu kämpfen.

Was sind die staatlichen Interessen bei der Verfolgung von Homosexuellen und Trans*-Personen?

Historisch waren wir immer marginalisiert und uns ist Gewalt angetan worden. Der Staat verfolgt eine Politik der „sozialen Säuberung“. Es gibt zum Beispiel ein Gesetz, auf dessen Grundlage es möglich ist, wegen „unmoralischen Akten“ festgenommen und ins Gefängnis geworfen zu werden. Gemeinsam mit einer hier herrschenden Kultur der Frauenfeindlichkeit, des Patriarchats, des Machismo und der Homophobie ergibt das eine tödliche Mischung, die das Leben von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* in diesem Land gefährdet.

Was können Sie abschließend über die Situation der Menschenrechte für Lesben, Schwule und Trans* im aktuellen Honduras sagen?

Wie können wir Menschenrechte haben, wenn wir umgebracht werden? Wir müssen ersteinmal für unser Recht auf Leben kämpfen und dann kommt alles weitere.

INFO_KASTEN:
Sexuelle Vielfalt im Widerstand
Als sich die Menschen in Honduras am 28. Juni 2009 versammelten, um gegen die Entführung des Präsidenten Zelaya und die Machtübernahme der Militärs zu demonstrieren, waren von Anfang an die Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft präsent. Genau an diesem Tag sollte der Christopher Street Day begangen werden, weswegen die Aktivist_innen sofort mit ihren Regenbogenfahnen zur Stelle waren. Seitdem ist die LGBT-Gemeinschaft ein wichtiger Bestandteil der heterogenen Widerstandsbewegung. 2010 entstand dann die Bewegung der Sexuellen Vielfalt im Widerstand (Movimiento de Diversidad Sexual en Resistencia). Die LGBT-Gemeinschaft ist stark von der Gewalt nach dem Putsch betroffen: Seit dem Putsch sind mindestens 34 schwule Männer und Trans* ermordet worden. Am 27. Januar dieses Jahres verurteilte US-Präsident Barack Obama öffentlich die Ermordung von fünf Angehörigen der LGBT-Gemeinschaft in Honduras innerhalb eines Monats. Nach dieser Intervention wurde nun eine Ermittlungseinheit mit US-amerikanischer Unterstützung angekündigt, die sich mit Verbrechen gegen LGBT-Personen und Journalist_innen beschäftigen soll. Auf der Pressekonferenz, bei der diese zukünftige Zusammenarbeit bekannt gegeben wurde, sprach Präsident Lobo allerdings von „einem oder zwei Schwulen, von denen vorgebracht wird, sie seien ermordet worden“. Die tatsächlichen Opferzahlen werden also weiterhin heruntergespielt. Besonders ernst scheint Lobo die Angelegenheit auch nach der Intervention durch das Weiße Haus nicht zu nehmen.

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