Film | Nummer 344 - Februar 2003

Ein Außerirdischer auf Abwegen

Mercano el Marciano, ein computeranimierter Zeichentrickfilm von Juan Antín

Thomas Rinka

Als eine verirrte Erdensonde auf dem Mars einschlägt und Mercanos Hund plattmacht, knallt Mercano durch und macht sich auf den Weg zur Erde um Rache zu üben. Bei einer Bruchlandung verschlägt es ihn ins heutige Buenos Aires, wo er zunächst orientierungslos durch die Straßen irrt. Menschen, die in Pappkartons auf der Straße leben, Plünderungen und Armut sind seine ersten Eindrücke von menschlicher Zivilisation. Der verstörte Marsianer entkommt der argentinischen Polizei nach einer spektakulären Verfolgungsjagd und flüchtet in den Untergrund. Mercano erkennt, dass er seine Mission nicht erfüllen kann und wünscht sich nichts sehnlicher als die Heimreise anzutreten. Aber wie? Sein Raumschiff ist zerstört, der Weg ist weit.
Mit Hilfe eines Laptop surft Mercano durch die unendlichen Weiten des Internets und nimmt schließlich Kontakt auf zu seinen daheimgebliebenen Kollegen auf dem Mars. Er sendet einen Hilferuf mitten ins intergalaktische Fernsehprogramm und wird fast augenblicklich von den genervten Marsianern weggezappt. Von dieser Seite ist wohl keine Hilfe zu erwarten.
Enttäuscht von diesem Verrat und von Heimweh gequält programmiert er sich eine virtuelle Marslandschaft. Dort streift Mercano durch vertraute Schotterfelder und vergisst die traurige Realität um sich herum.
Mercano ist nicht der einzige, der der Wirklichkeit entfliehen möchte. Auch der zwölfjährige Computerfreak Julián nutzt das Netz, um seinem langweiligen Leben in Buenos Aires und vor allem auch seinen überbesorgten Eltern zu entkommen und in Ersatzwelten zu reisen. Zufällig loggt er sich in Mercanos Welt ein. Auf einem Streifzug treffen sich die beiden. Mensch und Marsianer freunden sich an, vertreiben sich die Zeit gemeinsam in der selbstgeschaffenen Welt der unbegrenzten Möglichkeiten.
Juliáns Vater, ein abgezockter Geschäftsmann erkennt das Po-tenzial des Programms, mit dem sein Sohn spielt, und trägt die Idee in seine Firma. Die Chefetage mitsamt Beratern und Strategen ist begeistert. Wer sich diese schöne neue Welt unter den Nagel reißt, hat enorme Macht über die Menschen. Mit Hilfe dieses Programms könnte sich jeder frustrierte Erdling seine Träume erfüllen, das perfekte „andere Ich“ kreieren: der fette, schüchterne Sesselpuper würde zum schlanken Sunnyboy, der im Cyberspace hemmungslos flirtet. Und erst die gigantischen Werbeflächen, die man auf dem Cybermars kostenlos nutzen könnte!
Die Unternehmer lecken sich alle zehn Finger nach dem Programm des Marsianers. Doch um dieses Projekt zu verwirklichen sind sie auf Mercanos Superhirn angewiesen. Als der sich nicht mit Geld ködern lässt, stellen die raffgierigen Kapitalisten ihm eine gemeine Falle.
Hilflos an Maschinen angeschlossen saugen sie Mercanos Intelligenz ab und kontrollieren so die Cyberwelt und damit an die sechs Milliarden Menschen, die das Programm wie eine Droge konsumieren.
Julián, der seinen einzigen Freund vermisst, verbündet sich unterdessen mit einer Anti-Computer-Guerilla, die die Welt aus ihrem künstlichen Cyberkoma aufwecken will. Der Film steuert auf ein ebenso überraschendes wie skurriles Finale zu, irgendwo zwischen Splatter-Fantasie und Broadway-Musical.
Die Idee des jungen Filmemachers Juán Antín einen Marsianer ins heutige Argentinien zu schicken ist grandios. Alle werden durch den Kakao gezogen, die besonders sportlichen pizzamampfen-den Hauptstadtpolizisten, dicke zahnspangengeplagte Muttersöhnchen und die korrupten Unternehmerbosse. Weil die Story im Laufe des Films aber immer schräger wird, verschenkt Antín einige Möglichkeiten, die Porteños mit dem außerirdischen Blick zu betrachten.

Mercano el Marciano; Regie: Juan Antin; Argentinien 2002; Farbe 75 Minuten. Der Film wird im Forum der Berlinale (6. bis 16. Februar 2003) gezeigt.

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