Lateinamerika | Nummer 431 - Mai 2010

Für die Rechte von Mensch und Natur

Die Lateinamerika Nachrichten dokumentieren die Botschaft von Eduardo Galeano an den Klimagipfel in Cochabamba

Eduardo Galeano

Auch wenn ich nicht bei Euch sein kann, möchte ich doch auf irgendeine Weise Euer Treffen als ein Treffen von Menschen begleiten, denen ich mich zugehörig fühle. Um dabei zu sein ohne vor Ort zu sein, sende ich Euch also diese Worte.
Ich möchte Euch meinen Wunsch ausdrücken, dass alles Mögliche getan wird, und auch das Unmögliche, damit der Gipfel der Mutter Erde ein erster Schritt hin zum kollektiven Ausdruck der Völker wird, die zwar nicht die Weltpolitik bestimmen, die aber unter ihr leiden. Hoffentlich werden wir dazu in der Lage sein, diese beiden Initiativen des Compañero Evo (Morales, des bolivianischen Präsidenten) voran zu treiben: das Tribunal der Klimagerechtigkeit und das weltweite Referendum gegen ein Machtsystem, das auf Krieg und Verschwendung beruht, das menschliche Leben gering schätzt und die Flagge des Meistbietenden auf unsere irdischen Güter setzt.
Hoffentlich werden wir dazu in der Lage sein, wenig zu reden und viel zu tun. Die Inflation der Worte, die in Lateinamerika schädlicher ist als die monetäre Inflation, hat uns großen Schaden zugefügt und tut dies auch weiterhin. Und außerdem und vor allem haben wir die Heuchelei der reichen Länder satt, die uns den Planeten nehmen, während sie pompöse Reden schwingen, um diese Beschlagnahmung zu vertuschen.
Es gibt Leute, die sagen, dass die Heuchelei der Tribut ist, den das Laster an die Tugend entrichtet. Andere sind der Meinung, dass die Heuchelei der einzige Beweis für die Existenz des Unendlichen sei. Und das Gerede von der so genannten internationalen Gemeinschaft, diesem Club von Bankiers und KriegstreiberInnen, beweist, dass beide Definitionen richtig sind.
Ich will dagegen die Kraft der Wahrheit preisen, die aus den Worten und dem Schweigen hervorgeht, welche die Gemeinschaft der Menschen mit der Natur ausstrahlt. Und es ist auch kein Zufall, dass dieser Gipfel der Mutter Erde in Bolivien abgehalten wird, in dieser Nation der Nationen, die dabei ist, sich nach zwei Jahrhunderten eines verlogenen Lebens selbst wieder zu entdecken.
Bolivien hat gerade den zehnten Jahrestag des Sieges der Volksbewegung im Wasserkrieg gefeiert, als es die Bevölkerung von Cochabamba vermochte, eine allmächtige Firma aus Kalifornien zu besiegen, die sich auf Grund der Machenschaften einer Regierung, die sich als bolivianisch bezeichnete und sehr großzügig mit dem Besitz anderer umging, zum Besitzer des Wassers aufschwingen wollte.
Dieser Krieg um das Wasser ist einer der Kämpfe, die dieses Land auch weiterhin zur Verteidigung seiner natürlichen Ressourcen führt oder vielmehr zur Verteidigung seiner Übereinstimmung mit der Natur. Dabei gibt es Stimmen der Vergangenheit, die in die Zukunft hinein sprechen.
Bolivien ist eine der amerikanischen Nationen, in der es die indigenen Kulturen verstanden haben zu überleben, und diese Stimmen ertönen, trotz langer Zeiten der Verfolgung und Missachtung, heutzutage stärker als jemals zuvor.
Die ganze Welt, die verstört und wie blind im Kugelhagel umher irrt, sollte auf diese Stimmen hören. Sie lehren uns, die wir nichts als kleine Menschlein sind, dass wir ein Teil der Natur und verwandt mit allem sind, was Beine, Pfoten, Flügel, Flossen oder Wurzeln hat. Die europäische Eroberung verurteilte die Indígenas, die diese Gemeinschaft lebten, wegen Götzenanbetung. Sie wurden wegen ihres Naturglaubens ausgepeitscht, enthauptet und bei lebendigem Leibe verbrannt.
Seit jenen Zeiten der europäischen Renaissance ist die Natur entweder zur Ware oder zum Hindernis für den menschlichen Fortschritt geworden. Und bis zum heutigen Tag hat sich diese Trennung zwischen uns und ihr soweit fortgesetzt, dass es zwar immer noch Menschen guten Willens gibt, die um diese bedürftige, so misshandelte und verletzte Natur besorgt sind, sie aber doch nur von außen betrachten.
Die indigenen Kulturen dagegen sehen die Natur von Innen: Indem ich sie ansehe, sehe ich mich selbst; was ich gegen sie tue, ist gegen mich selbst gerichtet; in ihr finde ich mich selbst, meine Beine beschreiten ihren Weg.
Begehen wir also diesen Gipfel der Mutter Erde und hoffen wir, dass auch die Schwerhörigen die Kunde vernehmen: Menschenrechte und Naturrechte sind zwei Bezeichnungen für dieselbe Würde.

// Übersetzung von Klaus E. Lehmann,
amerika21.de

Kasten:
Fast eine Weltgeschichte.
Spiegelungen
Eduardo Galeano ist besessen von dem Wunsch, Geschichte zu erinnern. Mit seinem weltberühmten Buch Die offenen Adern Lateinamerikas schrieb er ein grandios unorthodoxes Geschichtswerk. In Fast eine Weltgeschichte. Spiegelungen überschreitet der uruguayische Schiftsteller die Grenzen seines Kontinents und wendet sich in einer literarischen Reise dem Ganzen zu: der Geschichte der Menschheit. In Geschichten, Anekdoten und Aphorismen streift er Hunderte kleiner Begebenheiten und in allen spiegelt sich das Verhältnis von Oben und Unten, von Macht und Ohnmacht. Unnötig zu betonen, was Galeano bewegt: „Ich schreibe für die, die seit Jahrhunderten Schlange stehen.“

Eduardo Galeano // Fast eine Weltgeschichte. Spiegelungen // Aus dem Spanischen von Lutz Kliche // Peter Hammer Verlag // Wuppertal 2009 // 460 Seiten // 24 Euro

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