Guadeloupe | Nummer 418 - April 2009

Ziele weitgehend erreicht

Der Soziale Protest in Guadeloupe ist vorerst erfolgreich

Nach neuen, heftigen Zusammenstößen auf den französischen Antillen am ersten Märzwochenende kehrte dort nun vorläufig Ruhe ein. Unterdessen fing es auf der Insel La Réunion an zu rappeln. Auf Guadeloupe droht die französische Staatsmacht, am „Rädelsführer“ des Kollektivs gegen Ausbeutung LKP Rache zu nehmen. Sie leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, unter dem völlig absurden Vorwurf des „Rassenhasses gegen Weiße“.

Bernard Schmid

Kaum ist an einem Unruheherd relative Ruhe eingekehrt, bricht am nächsten ein heftiger sozialer Konflikt aus. In den französischen „Überseebezirken“ herrscht seit Wochen sozialer Aufruhr. Auf der Karibikinsel Guadeloupe ging der Generalstreik, der am 20. Januar 2009 begonnen hatte, am 5. März dieses Jahres zu Ende. Das Kollektiv gegen Ausbeutung LKP, dem 49 Organisationen angehörten, darunter alle Gewerkschaften auf der Insel, konnte seine Ziele weitgehend erreichen. Nun steht aber noch ein zäher Kampf in den einzelnen Betrieben bevor, um das Abkommen vom Abend des 4. März, das nicht von allen UnternehmerInnen anerkannt wird, durchzusetzen.
Auf der ebenfalls zu den französischen Antillen gehörenden Insel La Martinique, wo der Generalstreik etwas später, am 5. Februar, begann, ging er in der Nacht vom 10. zum 11. März zu Ende. Zu dem Zeitpunkt wurde ein Abkommen über die Anhebung aller niedrigen Löhne abgeschlossen. Zuvor hatte es zwar bereits ein Rahmenabkommen gegeben, aber zwischenzeitlich waren die Verhandlungen zu den näheren Bestimmungen blockiert geblieben. Zudem wurde ein „Abkommen zur Krisenbeendigung“ vom 14. März unterzeichnet. Auch hier konnten die Forderungen der Protestbewegung im Wesentlichen erfüllt worden.
Doch auf La Réunion, einem im Indischen Ozean zwischen Madagaskar und der Insel Mauritius gelegenen französischen „Überseebezirk“ ging der Streik gleichzeitig erst los. Am 5. und 10. März fanden erstmals generalstreikförmige Arbeitsniederlegungen statt.
Dass herrschende Kreise auf den Inseln wie mutmaßlich auch in Paris auf Rache an einer sehr erfolgreichen sozialen Bewegung drängen, belegt eine leider ernst zu nehmende Episode. Die Staatsanwaltschaft in der Inselhauptstadt Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe leitete am 6. März ein Ermittlungsverfahren gegen den (schwarzen) Sprecher des Kollektivs LKP, Elie Domota, ein. Dem 42-jährigen wird in dem Ermittlungsverfahren, das von Amts wegen eröffnet wurde, „Aufstachelung zum Rassenhass“ vorgeworfen. So lautet ein Delikttatbestand des französischen Strafgesetzbuchs, vergleichbar dem deutschen Volksverhetzungsparagraphen.
Was hatte er verbrochen? Elie Domota hatte jenen UnternehmerInnen, die nicht zur Anerkennung und Umsetzung des am 4. März abgeschlossenen Abkommens bereit seien, damit gedroht, sie müssten auf Dauer die Insel verlassen: „Wir werden es nicht zulassen, dass eine Bande von Béké wieder die Sklaverei einführen möchte.“ Dies wurde von Amts wegen als Rassenhass gegen Weiße gewertet. In Wirklichkeit bezeichnet der Begriff „Béké“ aber mitnichten eine Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zu einer fest definierten sozialen Gruppe. Ein Eintrag im französischen Wikipedia erklärt beispielsweise, als Béké bezeichne man auf den französischen Antillen „die Nachfahren der frühen, Sklaven haltenden Siedler“. Und im übrigen auch nicht alle ihrer Nachfahren. Denn wer in diesen Kreisen eine „Mischehe“ mit Dunkelhäutigen eingeht, wird auch heute noch regelmäßig von seiner Klasse oder Kaste verbannt und ausgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaften in Frankreich sind im Gegensatz zu den RichterInnen an Weisungen aus dem Justizministerium gebunden, so dass klar ist, dass die politischen Machthaber in Point-à-Pitre und Paris dieses Ermittlungsverfahren unterstützen.
Die zentrale Forderung auf den Antillen lautete einerseits, alle niedrigen Löhne um 200 Euro zu erhöhen, beinhaltete andererseits aber auch die Senkung vieler Preise, die in der Regel vom Präfekten (juristischen Vertreter des Zentralstaats) festgelegt werden sowie einige spezifische Forderungen. Zu letzteren zählt jene nach einem Entschädigungs- und Entgiftungsprogramm für die Opfer von Pestiziden, die in früheren Jahrzehnten auf den Monokultur-Bananenplantagen der GroßgrundbesitzerInnen benutzt wurden. Insbesondere das „Schädlingsbekämpfungsmittel“ Chloracédone, das bis vor rund 20 Jahren im Einsatz war und dafür verantwortlich gemacht wird, dass auf Guadeloupe die welthöchste Rate an Prostatakrebserkrankungen (drei mal höher als in der umliegenden Karibikregion) herrscht.
Das Abkommen, das in der Nacht vom 4. zum 5. März auf Guadeloupe unterzeichnet wurde, sieht nunmehr einen Mix aus Beiträgen des Staates, der Sozialkassen, der Inselregierung und der örtlichen UnternehmerInnen vor, um die, letztlich tatsächlich vereinbarte, Erhöhung um 200 Euro für alle niedrigen Löhne (bis zum 1,4fachen des Mindestlohns) zu sichern. Auch die Stipendien von Studierenden wurden ihrerseits um 200 Euro erhöht. Zudem wurden verschiedene Preissenkungen garantiert, und das Bereitstellen eines Kontingents vergünstigter Flugtickets zwischen Guadeloupe und Festlandfrankreich zu 340 Euro festgeschrieben. Denn auch die überhöhten Flugpreise der einzigen die Route befliegenden Luftfahrtgesellschaft waren kritisiert worden. Nicht zuletzt wurde jungen, diplomierten InselbewohnerInnen eine bevorzugte Einstellung auf Arbeitsplätze der öffentlichen Hand zugesichert, um zu verhindern, dass diese immer wieder durch europäische Franzosen und Französinnen aus der Metropole aufgefüllt werden, während die Insulaner arbeitslos bleiben.
„Es klemmt für die 200 Euro in Guadeloupe“ übertitelt die linksliberale Pariser Tageszeitung Libération einen Artikel vom 24. März. Der Grund: Es ist zur Stunde noch völlig unklar, ob eine Mehrheit der Lohnabhängigen auf der französischen Karibikinsel in den Genuss der 200 Euro Erhöhung kommen wird.
Zunächst zeichnete sich ab, dass die von der Insel selbst stammenden „kleinen“ UnternehmerInnen, die beispielsweise ein kleines Touristenhotel und drei oder vier Angestellte haben, das Abkommen schon in einem frühen Stadium akzeptierten; aber die von „Weißen“ kontrollierten Großunternehmen wie Supermärkte und Hotelketten es verweigerten.
Abhilfe sollte eine juristische Prozedur namens ‚extension’, das Äquivalent zur deutschen „Allgemeinverbindlich-Erklärung“ AVE eines Tarifvertrags, bringen. Darüber fällt zunächst die Nationale Tarifkommission einen Beschluss, der für den Arbeits- und Sozialminister zwar nicht rechtlich bindend ist, ihm aber dennoch eine politische Vorgabe bietet. Danach entscheidet der Arbeits- und Sozialminister definitiv darüber, ob eine AVE für einen Kollektivvertrag vorgenommen wird. Fällt dieser Beschluss positiv aus, dann bedeutet dies, dass alle UnternehmerInnen in dem betreffenden Wirtschaftssektor – ob Unterzeichner oder nicht – an die Vereinbarung oder den Kollektivvertrag gebunden sind.
Ursprünglich hatte es so ausgesehen, als würde der Beschluss dazu im Falle des Abkommens von Guadeloupe bis zum Freitag, den 20. März gefällt. Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux hatte zunächst in der Öffentlichkeit erklärt, er wolle die Sitzung der Kommission am 20. März abwarten. Danach wisse man, was bei der Sache herauskommt.
Doch die Entscheidung wurde vertagt, und es soll nun eine zweite Sitzung mit allen „SozialpartnerInnen“ einberufen werden. Arbeits- und Sozialminister Hortefeux hat sich eine zusätzliche Frist bis zum 3. April eingeräumt, um im Anschluss daran seinen Beschluss zu fällen. Noch ist unklar, was dabei herauskommt.

// Bernard Schmid

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