Nummer 363/364 - Sept./Okt. 2004 | Panama

Castor-Transport um die halbe Welt

Schiffe mit gefährlicher Fracht durchqueren den Panamakanal

Japanischer Atommüll wird regelmäßig zur Aufbereitung 25.500 Kilometer weit nach Frankreich und Großbritannien transportiert. Dafür müssen die Schiffe mit ihrer riskanten Ladung den Panamakanal passieren. Während Behörden und Unternehmen die Sicherheitsstandards loben, befürchten GegnerInnen der Atommüll-Transporte im Fall eines Unfalls oder Terrorangriffs verheerende Folgen für Panama, die Region und die Weltwirtschaft.

Jonas Rüger

In Europa sorgen Castor-Transporte regelmäßig für Proteste mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen. Nukleare Lieferungen, die aus anderen Regionen der Welt zu den Aufbereitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien gebracht werden, bleiben währenddessen weitgehend unbeachtet: Von Japan aus werden verbrauchte hochradioaktive Brennelemente per Schiff einmal um die halbe Welt geschickt. Auf ihrem Weg passieren die Schiffe den Panama-Kanal. Damit ist eine Region vom automaren Risiko betroffen, die selbst über keinerlei Anlagen zur Produktion von Kernenergie verfügt. Zudem sind Panama und die Karibikstaaten zu großen Teilen von ihren maritimen Ressourcen abhängig, ein nuklearer Unfall hätte hier verheerende Konsequenzen. KritikerInnen der Transporte argumentieren, dass in Panama, neben den unmittelbaren Schäden für menschliches, tierisches und pflanzliches Leben, die Trinkwasserquellen für mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf lange Zeit verseucht würden.
Die Schließung des Kanals aufgrund eines nuklearen Zwischenfalls wäre auch ein empfindlicher Schlag für die gesamte Weltwirtschaft. Erinnerungen an die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Harrisburg lassen die Dimensionen erahnen. Vor diesem Szenario wirkt es fast surreal, dass Blockaden und Großdemonstrationen wie in Deutschland oder Frankreich ausbleiben. Ein Grund hierfür mag die restriktive Informationspolitik der zuständigen Behörden sein. Mit Hinweis auf die Gefahren für die Sicherheit der Transporte werden der Öffentlichkeit genauer Zeitpunkt der Durchfahrten und Details der Ladung konsequent vorenthalten.

Umstrittene Sicherheitsstandards

Den Befürchtungen der KritikerInnen entgegnet Alberto Alemán, Sprecher der Behörde zur Verwaltung des Kanals, dass die Risiken für die Bevölkerung marginal seien. Er argumentiert weiter, dass die 40 mit radioaktivem Material beladenen Schiffe, die den Kanal 2003 durchquerten, lediglich 0,3 Prozent des gesamten dortigen Schiffsverkehrs ausmachten und es im vergangenen Jahr insgesamt auch nur zu zwölf Unfällen gekommen sei. Die hauptsächlich an den Transporten beteiligten Unternehmen Pacific Nuclear Transport Ltd. (PNT) und Compagnie Générale des Matières Nucléaires (COGEMA) betonen, dass die verwendeten Schiffe und Behälter alle internationalen Sicherheitsstandards für Atomtransporte erfüllen. Selbst die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bescheinigt der Verwaltung des Panamakanals ein „hohes Sicherheitsniveau“ durch „rigorose Anforderungen bezüglich der Einhaltung aller betreffenden Richtlinien“ und „hochentwickelte Notfallvorsorgeeinrichtungen“.
Ricardo Valverde von der technischen Kommission des Tribunal Centroamericano del Agua (Wassertribunal für Zentralamerika, TCA) hält dem jedoch entgegen, dass die Richtlinien der IAEA den möglichen Bedingungen eines Unfalls auf hoher See nicht gerecht werden. Auch Roberto Noriega, Anwalt für Umweltrecht und Professor der Universität Yale, ist der Auffassung, dass die Transporte nicht ausreichend geschützt sind. Er erklärt weiterhin, dass „Panama nicht über die Ressourcen verfügt, mit einem Unfall oder entweichenden Substanzen fertig zu werden und die internationale Gemeinschaft keine Garantien oder Hilfszusagen für den Fall eines Unfalls gegeben hat.” Selbst die IAEA gibt in einer Analyse bezüglich der Möglichkeiten zur Dekontaminierung nach einem Unfall auf See an, dass „angesichts der enormen Größe des ozeanischen Lebensraumes die Entwicklung von geeigneten Dekontaminierungsmaßnahmen höchst unwahrscheinlich erscheint“.

Terrorismusgefahr

Den GegnerInnen der Transporte bereitet zudem die Gefahr terroristischer Angriffe grosse Sorge. Der Panamakanal stellt diesbezüglich ein überaus empfindliches Ziel dar, und dass das Sicherheitsnetz alles andere als lückenlos ist, zeigte sich bereits 1998. Damals konnten sich drei Greenpeace-AktivistInnen unbemerkt Zugang zu der mit radioaktivem Material beladene Pacific Swan verschaffen. Zu dieser Zeit oblag die Sicherung des Kanals noch der US-Armee und es ist höchst zweifelhaft, dass die seit 2000 zuständigen panamesischen Behörden die Sicherheitsmaßnahmen seitdem verbessern konnten.
Ein direkter Angriff auf den Kanal ist jedoch nicht das einzige terroristische Risiko. Laut Edwin Lyman vom Nuclear Control Institute in Washington D.C. sind Schiffstransporte „das schwächste Kettenglied“, über das terroristische Gruppierungen an radioaktives Material gelangen könnten. Mit einer solchen Schiffsladung ließe sich ein gewaltiges nukleares Zerstörungspotential erlangen.

Wasser-Tribunal verurteilt Transporte

Aufgrund all dieser Gefahren forderte der Tribunal Centroamericano del Agua im März 2004 die Regierung von Panama auf, die Transporte in Zukunft zu unterbinden. Bisher wurde diesen Aufforderungen nicht nachgekommen. Nichtregierungsorganisationen kämpfen jedoch weiter dafür, dass den Atom-Transporten baldmöglichst die Durchfahrt untersagt wird. Seit März reichten sie mehrere Klagen auf eine transparentere Informationspolitik der Regierung ein. In zwei Fällen wurde ihnen Recht gegeben, drei andere Klagen jedoch wurden abgewiesen.
Für die betroffenen Transportunternehmen ist das Thema insofern brisant, als dass Chile, Argentinien, Neuseeland und Ägypten bereits die Durchfahrten um Kap Horn, durch die Wasserstraße zwischen Australien und Neuseeland sowie durch den Suez-Kanal unmöglich gemacht haben. Der Panamakanal scheint zum letzten Schlupfloch für die ungeliebte Fracht zu werden.

Kasten:
Mit moralischer Autorität gegen Wassersünder
Das Tribunal Centroamericano del Agua mit Sitz in San José, Costa Rica, ist ein Ethik-Tribunal, das sich den Schutz und die gerechte Verteilung der zentralamerikanischen Wasservorräte zur Aufgabe gemacht hat. Es ist keine staatliche Organisation und hat somit auch keine offiziellen Druckmittel zur Durchsetzung der Urteilssprüche. Daher baut das TCA auf öffentlichen moralischen Druck. Legitimation wird dabei vor allem durch betonte Unabhängigkeit, faire und transparente Verfahrensweisen und das Ansehen der Jury erlangt. Diese setzt sich aus anerkannten Fachleuten, AkademikerInnen, ehemaligen hohen FunktionärInnen und DiplomatInnen bis hin zu früheren UNO-BotschafterInnen zusammen.
Die in lokalen, nationalen und internationalen Anhörungen ausgesprochenen Urteile des TCA sorgen inzwischen regelmäßig für Schlagzeilen in renommierten Zeitungen, sowie in Radio und Fernsehen. Unter den vom TCA behandelten Fällen finden sich neben den Atomtransporten durch den Panamakanal unter anderem auch Fälle von Wasserverschmutzung durch Tagebauprojekte, industrielle Krabben- und Fischzucht oder Straßenbauvorhaben sowie die übermäßige Wassernutzung durch Hotel- und Agroindustrie.
Weitere Informationen unter www.tragua.com

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