Daimlers „verschwundene“ Gewerkschafter
Auch 18 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien weigert sich der Konzern seine Vergangenheit aufzuarbeiten
Por la memoria „Für die Erinnerung“ steht auf einem schlichten Flugblatt, das ehemalige Beschäftigte der Daimler Niederlassung in González Catán verteilen. „Für das Verschwinden und den Tod unserer Kollegen ist die Militärdiktatur verantwortlich. Mercedes war Komplize“, heißt es auf dem kopierten Blatt, das die Gewerkschafter ihren Kollegen in die Hand drücken bis sie der Mercedes-Werksschutz vertreibt. Eine Szene aus Argentinien heute.
Die Schatten der sieben Diktaturjahre zwischen 1976 und 1983 sind lang, und die Erinnerung an die Verbrechen ist auch heute noch schwierig. 30.000 Oppositionelle wurden damals von Polizei und Militär verschleppt, gefoltert und ermordet. Die Täter leben noch, kaum einer musste sich je vor Gericht verantworten. Doch die Angehörigen der Opfer fordern Aufklärung. Nicht nur über den Verbleib der oftmals bis heute „Verschwundenen“, sondern auch über die Täter und die Hintergründe der Repression.
Die Schatten des Krieges gegen die Opposition reichen bis nach Stuttgart. Dort muss sich die Konzernzentrale der DaimlerChrysler AG überlegen, wie sie mit einem unangenehmen Kapitel der Firmengeschichte fertig wird, ohne einen allzu großen Imageschaden davonzutragen. Mindestens 13 vielleicht sogar bis zu 20 unbequemer Gewerkschafter soll sich der Konzern mit Hilfe von Polizei und Militär in den Monaten nach dem Putsch vom 24. März 1976 entledigt haben.
Werksleiter kooperierte mit den Militärs
Das sagen Gewerkschafter, die damals mit dem Leben davon gekommen sind. Der ehemalige Betriebsrat Héctor Ratto bezeugt sogar, wie am 12. August 1977 in seiner Gegenwart der Werksleiter Juan Tasselkraut die Adresse seines Kollegen Diego Nuñez an Militärs weitergegeben hat. Zuletzt wiederholte er diese Aussage bei einer konsularischen Vernehmung in der deutschen Botschaft in Buenos Aires im März. Tasselkraut streitet den Vorwurf zwar ab, aber in der Nacht nach der Ratto Zeuge der Adressenweitergabe wurde, holten Uniformierten Nuñez zu Hause ab. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Héctor Ratto selbst wurde an jenem Tag von Tasselkraut auf dem Werksgelände an Militärs übergeben, die ihn in das berüchtigte Folterzentrum Campo de Mayo verschleppten. Zwei Jahre später kam er frei. Neben nur einem Anderen, ist er der einzige Überlebende unter den verhafteten Daimler-Gewerkschaftern. Jetzt möchte er wissen, was damals passiert ist und wer für den Tod seiner Kollegen verantwortlich ist.
Juan Tasselkraut ist noch immer in leitender Funktion für Daimler in Argentinien tätig. Das zumindest bestätigte Konzernchef Schrempp auf Nachfrage des Dachverbands Kritischer AktionärInnen während der Hauptversammlung in Berlin. Mittlerweile lässt sich Tasselkraut verleugnen, wenn Journalisten ihn sprechen wollen. Vor zwei Jahren hatte er der Journalistin Gaby Weber, die den Fällen der verschwundenen Gewerkschaftern auf die Spur gekommen ist, noch gesagt: „Wer Argentinien damals mehr oder weniger kannte, wusste, dass Menschenrechte verletzt und Menschen eliminiert wurden.“ Jetzt läuft gegen den deutschen Staatsbürger Tasselkraut ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg. Die Anzeige, die der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der Héctor Ratto juristisch vertritt, erstattet hat, lautet auf „Mord, Geiselnahme und Gefährliche Körperverletzung“. Viele Indizien sprechen dafür, dass auch andere führende Daimler-Manager damals wussten, wie in Argentinien gegen die Gewerkschafter vorgegangen wurde.
Haftbefehl gegen Tasselkraut soll beantragt werden
Nachdem neben Ratto im März noch zwei andere Zeugen zum Fall ausgesagt haben, kündigte Rechtsanwalt Kaleck an, in den nächsten Wochen einen Haftbefehl gegen Tasselkraut beantragen zu wollen. „Alle Aussagen bestätigen unsere Annahme, dass Daimler eng mit den Militärs kooperierte“, meint Kaleck.
Nachdem die Konzernzentrale monatelang versuchte, die Vorwürfe auszusitzen und Journalisten, die sich nach Details des Falls erkundigten, von der Pressesprecherin Ursula Merzig mit Bemerkungen wie „das ist doch schon so lange her“ oder „hören sie doch endlich mit Ihrer Kampagne auf“, abgespeist wurden, gerät der Daimler-Vorstand seit vergangenem Herbst unter verstärkten Druck. Am 27. November beschlossen die Betriebsräte des Daimler Stammwerkes in Stuttgart-Untertürkheim eine Resolution, in der sie vom Konzernvorstand „umgehend eine eindeutige Stellungnahme und klare Positionierung“ fordern. Auch die IG-Metall aus der Neckarstadt schloss sich der Forderung an. „Offensichtlich haben Führungskräfte der damaligen Daimler-Benz AG mit der argentinischen Militärdiktatur zusammen gearbeitet, um betriebliche Interessenvertreter dem Terror auszuliefern“, schreibt der 1. Bevollmächtigte Jürgen Stamm in einer Stellungnahme. Die Daimler Chefetage sah sich zu einer ersten Reaktion genötigt. Personalvorstand Günter Fleig kündigte nach einem Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden Helmut Lense eine Stellungnahme zum Fragenkatalog der Stuttgarter Gewerkschafter an. Diese erfolgte dann aber doch nicht.
Folterer im Werkschutz
Der Grund liegt nahe. Es dürfte Daimler schwer fallen, sich ohne Schuldeingeständnis aus der Affäre zu ziehen. Zu zahlreich sind mittlerweile die Indizien, die auf eine direkte Verwicklung leitender Mitarbeiter in die Repression gegen die Gewerkschafter deuten. Kürzlich konnte die in Uruguay lebende Gaby Weber herausfinden, dass der ehemalige Werkschutzchef Rubén Luis Lavallén bis kurz vor seiner Einstellung durch Daimler im Juli 1978, Kommandant genau der Polizeiwache war, in dem einer der beiden überlebenden Gewerkschafter gefoltert wurde. Auf Nachfrage, ob dem Konzern bekannt gewesen sei, dass Lavallén ein Folterer gewesen sei, bevor er eingestellt wurde, antwortete die Pressestelle am 30. Oktober vergangenen Jahres: „Es ist durchaus üblich, dass Unternehmen Werkschutzpersonal rekrutieren, das vorher im Polizeidienst tätig war, weil die Qualifikationsanforderungen ähnlich sind.“
Dass sich Lavallén während seiner Tätigkeit als Chef der Polizeiwache San Justo auch das zweijährige Kind eines zuvor zu Tode gefolterten Ehepaars aneignete, wurde dem Konzern angeblich erst 1984 bekannt, nachdem die Presse darauf aufmerksam geworden war. Lavallén wurde entlassen, nicht ohne ihm allerdings ein Zeugnis auf den weiteren Weg zu geben, das ihm bestätigte, seine Arbeit „optimal und vertrauenswürdig“ verrichtet zu haben. Was damit gemeint war, bringt ein ehemaliger Daimler-Arbeiter auf den Punkt: „Die linken Betriebsräte wurden ermordet, ein Repressor zum Sicherheitschef ernannt – da widersprach im Werk niemand mehr.“
Daimler-Manager wurde entführt
Ein Hintergrund für das brutale Vorgehen der Daimler-Geschäftsleitung gegen die Gewerkschafter – vermutet Frau Weber – könnte in einem Entführungsfall vom Oktober 1975, einem halben Jahr vor dem Putsch liegen. In mitten heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen in den letzten Amtsmonaten Isabel Peróns entführten die linksgerichteten Guerilleros der Montoneros den deutschen Mercedes-Manager Heinrich Metz. Als Bedingung für seine Freilassung verlangten sie die Wiedereinstellung von 115 Daimler-ArbeiterInnen, die während eines Streiks vom Konzern gefeuert worden waren. Außerdem forderten die Guerilleros die Entrichtung einer „Geldstrafe“.
Nachdem der Konzern den Forderungen der Montoneros tatsächlich nachgekommen war, wurde Metz freigelassen. Der Mercedes Geschäftsführer Rubén Cuevas, der den Montoneros das Lösegeld für Metz übergab, war bereits kurz nach der Entführung bei der Bundespolizei in Buenos Aires erschienen. Dort hat er mehrere Mercedes-ArbeiterInnen beschuldigt „Kommunisten“ zu sein und Kontakte zur Guerilla zu unterhalten. Unter anderem denunzierte er den aktiven Gewerkschafter Marcelino Olasiregui. Dieser hatte sich als Betriebsrat mit der Chefetage angelegt und war bereits 1969 entlassen worden. Nach einer Aussage von Metz wurde Olasiregui im April 1987, zehn Jahre nach der Entführung, verhaftet. Doch Olasiregui beteuerte seine Unschuld. Als er begnadigt werden sollte, lehnte er dies ab und verlangte einen Prozess. In diesem wurde er tatsächlich freigesprochen.
Eine Million US-Dollar in die eigene Tasche?
Während führende Daimler-MitarbeiterInnen die Entführung Metz´ möglicherweise zum Anlass nahmen an den GewerkschafterInnen im Werk Rache zu üben, stellt sich eine weitere Frage. Was ist mit dem Lösegeld tatsächlich geschehen? Laut einer nicht dementierten Meldung der Tageszeitung Die Welt handelte es sich um 7,5 Millionen US-Dollar, 1975 etwa 20 Millionen DM, zum damaligen Zeitpunkt „das höchste Lösegeld (…), das je von Deutschen erpresst wurde.“ Die argentinischen Mercedes Direktoren Rubén Cuevas und Pedro Adolfo Elias wollen aber nur vier Millionen US-Dollar übergeben haben, wie sie in einer richterlichen Aussage 1985 angaben. Der Guerillero, der das Geld entgegen nahm, möchte dagegen nur zwei Millionen Dollar bekommen haben, wie Julio Alsogaray gegenüber Frau Weber bekannte.
Es stellt sich nun die Frage, welche Angabe die richtige ist und wer sich eventuell das Geld für welche Zwecke in die Tasche steckte. „Bis heute ist unklar, ob Daimler-Benz, heute DaimlerChrysler, das Finanzamt betrogen hat und den Steuerzahler das Lösegeld für Heinrich Metz berappen ließ. Immerhin bestätigt der ehemalige Mercedes-Mitarbeiter Klaus Oertel, dass das Finanzamt das Lösegeld damals als notwendige Betriebsausgabe anerkannt hat. So sparte der Konzern 12 Prozent Gewerbesteuer und 56 Prozent Körperschaftssteuer. Wenn also die Firma 7,5 Millionen Dollar beim Fiskus geltend gemacht hat, bedeutet das eine Steuerersparnis von über 5 Millionen. Abzüglich der 4 Millionen, die Daimler seinen argentinischen Geschäftsführern Cuevas und de Elías überreichte, ergebe das einen Reingewinn von über 1 Million US-Dollar. Eine ansehnliche Summe, die in den Taschen von Daimler-Managern gelandet sein muss“, schreibt Frau Weber in der Tageszeitung taz.
Was damals genau geschah wird solange nicht restlos aufzuklären sein, wie sich Daimler weigert Auskünfte zu geben. Unzweifelhaft ist allerdings, dass Daimler, wie viele andere transnationale Unternehmen in Argentinien, dem Putsch der Generäle laut applaudierte. Die Begründung liefern die Stuttgarter Autobauer in ihrem im Putschjahr 1976 veröffentlichte Geschäftsbericht: „Unser Engagement in Argentinien war auf Grund der labilen politischen Situation und der wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten beträchtlichen Risiken ausgesetzt“, heißt es dort. Und weiter: „Dank der inzwischen erreichten allgemeinen Fortschritte in der Ordnung der Arbeitsverhältnisse des Landes wird für 1976 wieder ein positives Ergebnis erwartet.“
Schadensersatzklage der Daimler-Gewerkschafter
In diesen lapidar scheinenden Sätzen wird zumindest der politische Hintergrund der Hatz auf die GewerkschafterInnen deutlich. Das meint jedenfalls Juan Carlos Capurro, ein Anwalt des argentinischen Gewerkschaftsdachverbandes CTA, der eine Schadensersatzklage der Daimler-Gewerkschafter vertritt. Anwalt Capurro geht davon aus, dass es den Militärs 1976 um die Durchsetzung eines bestimmten wirtschaftspolitischen Projektes ging, dem die Gewerkschaften entgegenstanden. Mulitnationale Konzerne hätten bewusst mit dem Terrorregime kooperiert, sagt er. Denn in den Jahren vor dem Militärputsch war in Argentinien eine oppositionelle Gewerkschaftsbewegung angewachsen, die auf die Wirtschaftskrise Mitte der 70er Jahre mit sich radikalisierenden sozialen Forderungen und Protesten reagierte.