El Salvador | Nummer 509 – November 2016

“DAS PASST MONSANTO ÜBERHAUPT NICHT”

In El Salvador werden mittlerweile 70 Prozent des Saatguts im Land selbst hergestellt

Im Zuge der so genannten Grünen Revolution wurde Zentralamerika vor 50 Jahren zum Experimentierfeld für den massiven Einsatz von Agrochemie. Die LN sprachen mit Víctor Sánchez von der Organisation Procomes aus El Salvador über die wichtigsten Ziele einer alternativen Agrarpolitik in seinem Land

Von Interview: Michael Krämer
VÍCTOR SÁNCHEZ
Er ist Agraringenieur und koordiniert bei der Organisation Procomes ein vom INKOTA-netzwerk gefördertes Projekt in 17 ländlichen und drei städtischen Gemeinden der Landkreise Berlín und Alegría im Osten El Salvadors. Weitere Informationen zum Projekt unter www.inkota.de/procomes.
(Foto: Michael Krämer_)

Welche Bedeutung hat das Konzept der Ernährungssouveränität in El Salvador?
Das Konzept ist der Gegenentwurf zu einer verfehlten Landwirtschaftspolitik, die in El Salvador und ganz Zentralamerika vor 50 Jahren begonnen hat. Unter dem Stichwort der „Grünen Revolution“ wurden die zentralamerikanischen Länder damals zu einem Experimentierfeld, auf dem verschiedene Agrarkonzerne die unterschiedlichsten Agrarchemikalien ausprobierten. Bis heute werden in Zentralamerika gefährliche Pestizide eingesetzt, die im Globalen Norden schon seit 30 Jahren verboten sind. Für die Landwirte war die Grüne Revolution eine Täuschung. Ihnen wurde gesagt, mit neuem Saatgut, Kunstdünger und anderen Inputs würden sie mehr produzieren. Heute aber sind die Böden ausgelaugt, die Produktionskosten höher und die Erträge oft geringer als zuvor. Auch deshalb hat das Konzept der Ernährungssouveränität für uns eine große Bedeutung: Es steht für eine andere Landwirtschaft, eine, in der die Vormacht der Agrarkonzerne gebrochen ist.

Wie kann dies gelingen?
Die vielleicht zentrale Herausforderung in El Salvador ist, wieder eigenes Saatgut herzustellen und nicht mehr von Monsanto abhängig zu sein. 2008 kaufte Monsanto das größte zentralamerikanische Saatgutunternehmen Semillas Cristiani Burkard, das in El Salvador fast ein Monopol auf Saatgut hatte. Nur drei Monate später veränderte das Parlament El Salvadors das Saatgutgesetz und erlaubte den Handel und Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut. Das war ein schwerer Rückschlag. Seit einigen Jahren verbessert sich die Situation in El Salvador aber. Es sind nun nicht mehr nur Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen, die eine Umkehr fordern: Heute fördert auch die FMLN-Regierung (ehemalige Guerillabewegung, die seit 2009 den Präsidenten stellt; Anm. d. Red.) den Anbau einheimischen Saatguts.

Wie hoch ist denn der Anteil einheimischen Saatguts am salvadorianischen Markt?
Nachdem dieser Anteil vor wenigen Jahren noch minimal war, werden heute mindestens 70 Prozent des Saatguts von einheimischen Bauern oder Kooperativen hergestellt. Die Regierung möchte nur Saatgut aus El Salvador kaufen, das sie Kleinbauern zur Verfügung stellt, um diese zu unterstützen. Das passt Monsanto natürlich überhaupt nicht, weil sie dadurch nicht nur weniger Saatgut verkaufen können: Monsanto verkauft vor allem Hybridsaatgut, das auch mehr Agrarchemikalien benötigt. Die US-Regierung hat großen Druck ausgeübt, um zu verhindern, dass die Regierung El Salvadors ausschließlich einheimisches Saatgut kauft.

Wie wirkt sich die neue Politik der Regierung auf die Bäuerinnen und Bauern in El Salvador aus?
Im Gegensatz zu früheren Regierungen unterstützt die FMLN-Regierung die Kleinbauern in unserem Land. Saatgut ist dabei sehr wichtig, aber das ist nicht das einzige. Die Bauern bekommen Kredite, um überhaupt erzeugen zu können. Auch ist die Regierung sehr offen für die Zusammenarbeit mit Bauernorganisationen, Kooperativen und Nichtregierungsorganisationen.

Welche Rolle spielt das Konzept der Ernährungssouveränität dabei?
Verschiedene Organisationen haben schon vor einigen Jahren einen Vorschlag eingebracht, um das Recht auf Ernährungssouveränität in der Verfassung zu verankern. Dafür gibt es bis heute keine Mehrheit. Gleiches gilt für einen Gesetzesvorschlag zur Förderung der Ernährungssouveränität, der bereits mehrfach abgeändert wurde, über den das Parlament aber bis heute noch nicht abgestimmt hat.

Was wäre der Nutzen von so einem Gesetz?
Darin könnte zum Beispiel der Handel mit und der Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut verboten werden. Oder eine Landwirtschaftspolitik verankert werden, die darauf abzielt, die Abhängigkeit von Importen zu verringern – von Nahrungsmitteln, aber auch von Inputs wie Dünger oder Pestiziden, indem ökologische Alternativen im Land gefördert werden. Es geht also um Souveränität.
Wie stehen die Chancen, dass das Gesetz verabschiedet wird?
Die nächsten Wahlen sind 2018. Ich hoffe sehr, dass es bis dahin noch zu einer Abstimmung kommt und wir dann auch eine Mehrheit dafür finden. Noch haben wir diese aber nicht.

Wie steht die Regierung denn zum Konzept der Ernährungssouveränität?
Auf der politischen Ebene ist sie für dieses Konzept. In ihrer praktischen Arbeit spricht sie aber meist von Ernährungssicherheit, einem eher technischen Ansatz, bei dem es um die Förderung der ländlichen Produktion geht, um Kredite, Saatgut und Weiterbildungen.

Sind das auch die Themen, die für Procomes wichtig sind? Zum Beispiel bei dem von INKOTA geförderten Projekt in den beiden Landkreisen Berlín und Alegría.
Ganz praktisch geht es auch in diesem Projekt zunächst um Ernährungssicherheit, also darum, dass die Menschen genug zu essen haben. Aber auch darum, dass die Nahrungsmittel eine gute Qualität haben und gesund sind. Zu unserem Projekt gehört daher die Diversifizierung des Anbaus – dass also die Bauern nicht mehr nur die Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen anbauen, sondern auch Gemüse und Obst. Und auch, und da sind wir wieder beim Thema der Ernährungssouveränität, dass sie ihr Saatgut selbst herstellen und so unabhängiger davon werden, was es gerade auf dem Markt gibt. Es gibt aber noch eine weitere Herausforderung, die jedes Jahr größer wird.

Und die wäre?
In El Salvador hat der Klimawandel längst begonnen. Immer häufiger kommt es zu Dürren oder aber es regnet zu viel. Auch dafür ist es wichtig, eigenes Saatgut herzustellen, das widerstandsfähiger ist und besser an die regionalen und klimatischen Bedingungen angepasst ist. Genau deswegen gibt es im Rahmen des Projekts auch eine Saatgutbank. Außerdem benötigt dieses Saatgut weniger Dünger.

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