Der tägliche Hindernislauf
Zur Lebenssituation in einem Barrio von Caracas
Bei den Barrios der venezolanischen Hauptstadt handelt es sich um illegale oder geduldete, in Selbsthilfe entstandene Spontansiedlungen; aus anderen Ländern auch als Favelas oder Barriadas bekannt. Von den schätzungsweise fünf Millionen EinwohnerInnen von Caracas leben über 70 Prozent in den Barrios, die sich vor allem an den umliegenden Hügeln emporziehen.
Das Stadtbild spiegelt die soziale Entwicklung. Die seit den 80er Jahren anhaltende Wirtschaftsrezession sowie die Umsetzung des rigorosen IWF-Sparprogrammes führte zu einer Verschärfung der extremen Einkommensgegensätze innerhalb der venezolanischen Gesellschaft, die Massenarmut wuchs. Laut Jahresberichtes der Menschenrechtsorganisation PROVEA (Programa Venezolana de Educación – Acción en Derechos Humanos) lebten 1991 79 Prozent der venezolanischen Bevölkerung in Armut, das heißt, hatten ein monatliches Einkommen von weniger als 21.000 Bolivar (1992: ca. 420 DM). Davon lebten 43 Prozent in kritischer Armut mit einem Monatseinkommen unter 12.000 Bolivar.
Besonders in der Hauptstadt wird die rasche Verarmung eines Großteils der Bevölkerung und die Zunahme der sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze deutlich. Dies zeigt sich schon in dem äußerst kontrastreichen Stadtbild: Während sich im durch die Tallage begrenzten, geographisch günstigen Gelände vorwiegend mittelständische Geschäftszentren und Appartmenthäuser der oberen Einkommensschichten befinden, müssen die einkommensschwächeren Schichten auf die geographisch ungünstigen Randlagen ausweichen.
Colinas de Palo Grande: Ein Barrio entsteht
Die soziale und technische Infrastruktur eines Barrios entsteht meistens in zwei Etappen: In der ersten Phase, nach der Besetzung eines Grundstückes, erfolgt der Bau provisorischer Hütten, individuelle Zugangsmöglichkeiten werden angelegt, Strom wird von den Leitungen des Nachbarbarrios angezapft und Wasser in Behältern von einem Tankwagen geholt. Erst in der zweiten Phase, die mit der Gründung einer Nachbarschaftsorganisation und der Legalisierung des Barrios in Form von Registrierung durch die Stadtverwaltung beginnt, kommt es nach und nach zur Erstellung gemeinschaftsbezogener Einrichtungen, zum Beispiel den Bau einer provisorischen Straßentrasse, sowie zum Anschluß an die öffentliche Infrastruktur. Theoretisch liegt die Zuständigkeit für Errichtung, Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen ab diesem Zeitpunkt bei der Stadtverwaltung, beziehungsweise bei den von ihr beauftragten Privatfirmen. In der Realität jedoch beschränkt sich die offizielle Unterstützung hauptsächlich auf die aufwendigen Elemente der Basisinfrastruktur, wie zum Beispiel den Bau von Wasserpumpstationen und das Verlegen der Hauptwasser- und Stromleitungen. Der Großteil der Arbeiten muß von den BewohnerInnen selbst in Gemeinschaftsarbeit geleistet werden. Dafür erhalten sie teilweise staatliche Zuschüsse für die Baumaterialien, in der Regel jedoch keinerlei Arbeitsentlohnung oder technische Unterstützung. Auf diese Weise ist im Laufe von zehn Jahren das Barrio Colinas de Palo Grande entstanden.
Die ersten Hütten werden provisorisch aus Abfallmaterialien wie z.B. Karton und Spanplatten gebaut. Sobald Geld und Baumaterialien vorhanden sind, werden diese Provisorien durch Backsteine, Beton und Eisenträger ersetzt und nach und nach aufgestockt. In Colinas de Palo Grande überwiegen inzwischen solide Backsteinhäuser mit zwei bis drei Stockwerken. Lediglich an den Rändern des Barrios sind noch einfache ranchos zu sehen. Es handelt sich – wie alle älteren Barrios- um ein barrio consolidado (gefestigtes barrio).
Die Häuser: Von Karton zu Beton
Infolge bautechnischer Fehler ergeben sich Gefahren für die BewohnerInnen. Sowohl durch den Bau auf instabilem Untergrund, zum Beispiel auf ober- und unterirdisch verlegten Wasserrinnen oder erosionsgefährdeten Böden mit starker Hangneigung (durchschnittlich 40 Prozent) als auch durch technisch mangelhafte Baumaterialien kann es zum Abrutschen und Sakken der Häuser kommen. Deren Fundamente sind größtenteils weder vor Unterspülung durch unterirdisches Hangzugswasser oder den Wasseraustritt defekter Leitungen geschützt, noch haben sie ausreichende Stabilität für eine spätere Aufstockung. Durch die extrem verdichtete Bauweise potenzieren sich diese Probleme, da die Häuser direkt aneinander gebaut werden und die Stabilität der oberen Häuser oft von der Tragfähigkeit der hangabwärts liegenden abhängt. Diese Bauweise sowie der Mangel an geeigneten Baumaterialien sind auch die Ursachen für Lichtmangel, Feuchtigkeit und unzureichende Durchlüftung im Inneren der Häuser.
Beschwerliche Wege trotz asphaltierter Hauptstraße
Die Erschließung von Colinas de Palo Grande ist auf eine asphaltierte Hauptstraße beschränkt, von der einige Stichstraßen und ringförmige Nebenstraßen abzweigen. Im Vergleich zu anderen Barrios, die größtenteils nur durch ein Treppen- und Wegenetz erschlossen sind, ist die Situation in Colinas daher verhältnismäßig gut. Der Zustand der Straßen ist allerdings an einigen Stellen sehr schlecht.
Hervorgerufen werden die Schäden entweder durch unterirdisch verlaufendes Hangzugswasser, undichte Wasser- oder Abwasserleitungen, Ausspülungen bei starken Regenfällen oder ungenügende Verdichtung des Un-tergrundes beim Straßenbau.
Das Treppen- und Wegenetz erreicht durch die zahl-reichen von den BewohnerInnen selbst angelegten Zugänge zwar alle Häuser. Der Weg von der Straße aus ist jedoch für viele von ihnen lang und beschwerlich. In anderen Barrios errechnete man einen Höhenunterschied um bis zu 50 Stockwerken eines Hochhauses.
Die Treppen befinden sich oft vollständig oder in Teilen in sehr schlechtem Zustand. Häufig fühlen sich weder die AnwohnerInnen noch die Stadtverwaltung für die Säuberung oder Unterhaltung der Treppen und Wege zuständig, was im Extremfall bis zur Unbenutzbarkeit durch Müll- oder Schlammfluten nach starken Regenfällen oder zu Schäden der We-gedecke führt.
Tägliche Warteschlangen an den Haltestellen
Die Route der Sammeltaxis in Colinas de Palo Grande bleibt auf die Hauptstraße beschränkt, da die Nebenstraßen selbst für die vierrad-angetriebenen Jeeps an vielen Stellen zu steil und kurvenreich sind. Versorgungs- und Lieferfahrzeuge erreichen höchstens die Hauptstraße, Notfallfahrzeuge kommen nicht ins Barrio.
Da es zu wenig Jeeps gibt, kommt es besonders morgens und abends zu Wartezeiten von ein bis zwei Stunden. Die Warteschlangen am Redoma de Ruiz Pineda, dem Verkehrsknotenpunkt am Fuße des Barrio-Hügels, gehören zum täglichen Bild und werden in der Regel mit erstaunlicher Ruhe hingenommen. Muß die Fahrt noch mit verschiedenen Verkehrsmitteln bis ins Zentrum von Caracas fortgesetzt werden, summiert sich die Fahrzeit oft auf zwei bis drei Stunden. Um das Warten abzukürzen, versuchen einige Leute Jeeps zu chartern oder befreundete Fahrer zu Sonder-fahrten zu bewegen, was oft auch gelingt, die regulären Wartezeiten jedoch noch verlängert.
Da für jedes Transportmittel extra bezahlt werden muß, ist das Verlassen des Barrios für viele BewohnerInnen nur selten möglich. Die Fahrt ins Zentrum erfolgt meist nur zur Arbeit, eventuell in die Schule oder für besondere Einkäufe. Veranstaltungsbesuche oder ähnliches sind eher Ausnahmen.
Anzapfen des öffentlichen Stromnetzes
In einigen relativ neu ent-standenen oder ungünstig gele-genen Gebieten von Colinas sowie im angrenzenden Barrio Pedro Camejo besteht bislang kein Anschluß an das öffentliche Stromnetz. Dort wird entweder Strom vom Nachbarhaus bezogen oder die nächstgelegene Leitung am Strommasten angezapft. Diese Praxis führt zum Beispiel an der Grenze zu Pedro Camejo zu einem unüberschaubaren Kabelgewirr, dessen Gefährlichkeit durch Mutproben von Jugendlichen, die die Strommasten zum Klettern benutzen, gesteigert wird. Von Zeit zu Zeit kappt die zuständige Firma die illegalen Leitungen. Den BewohnerInnen bleibt jedoch aus Mangel an Alternativen zunächst keine andere Wahl, als die provisorischen, zum Teil lebensgefährlichen Anschlüsse so oft wiederherzustellen, bis die Stromversorgung durch die Stadtverwaltung eingerichtet wird. Darauf müssen sie jedoch meist jahrelang warten.
Die Müllabfuhr, bis 1989 von der staatlichen Institution IMAU (Instituto de Aseo Urbano para el AMC) durchgeführt, ist zwischenzeitlich für das gesamte Stadtgebiet von Caracas in die Hände von vier Privatfirmen übergegangen. In den Barrios werden auf Antrag der BewohnerInnen zentrale Container zu Verfügung gestellt, die im Gegensatz zu den Containern in den Appartmentgebieten nicht kostenpflichtig sind. Die Müllfahrzeuge kommen in der Regel zweimal wöchentlich. Die Anzahl der aufgestellten Container und deren Leerungsturnus reichen für das Müllaufkommen der ständig wachsenden BewohnerInnenzahl bei weitem nicht aus. Es ist auch zu beobachten, daß für Kinder, die hauptsächlich zum Müllwegbringen geschickt werden, die Container zu hoch sind, und von ihnen deshalb nicht benutzt werden können. Oft ist an der verschmutzten Umgebung der Container auch die unvollständige oder unregelmäßige Leerung schuld. Die Müllfahrzeuge sind häufig kaputt oder schon auf halber Strecke voll. Brennende oder schwelende Container werden nicht geleert.
Wilde Müllkippen und Recyclingprojekte
Die Route der Wagen bleibt auf die Hauptstraße beschränkt, wo-durch der Weg bis zum öffentlichen Container für die Barrio-Leute oft extrem lang und beschwerlich ist. Hinzu kommt das mangelnde Bewußtsein der Bevölkerung für das Müllproblem. Beides führt dazu, daß der Abfall oft schon an der nächsten Ecke, auf einem ungenutzten Stück am Wegrand, einem Nach-bargrundstück, in der nächsten Wasserrinne oder an einem Abhang entsorgt wird. Durch diese Praxis entstehen unzählige wilde Müllkippen.
Es kommt zur Übertragung von Krankheiten durch Herumwühlen oder Spielen der Kinder im Müll sowie durch Hunde, Fliegen, Insekten und Ratten, die sich zahlreich vermehren. Durch angezündeten Müll entstehen starke Geruchsbelästigungen und schädliche Rauchentwicklung für die AnwohnerInnen. Bei starken Regenfällen verstopfen Müllfluten die Straßen und Abwasserkanäle, die dann oft unbenutzbar werden. Versikkernde flüssige Stoffe verschmutzen das Grundwasser, und durch die Zerstörung der Vegetation im Bereich der wilden Müllkippen kommt es zu großflächigen Erosionen.
Andererseits gibt es aber auch einige Wiederverwertungsansätze:
Ziemlich gut funktioniert das Sammeln von Aluminium-Dosen, für die von einigen Unternehmen ein relativ hoher Preis bezahlt wird. Die Anzahl der Recycling-Firmen ist im Stadtgebiet von Caracas jedoch noch sehr gering. In Colinas werden Aluminiumdosen regelmäßig von Kindern gesammelt, die dafür ein Taschengeld bekommen. Sie werden bei einem Barrio-Bewohner abgegeben und von diesem selbst zum Weiterverkauf weggefahren. Andere Abfallprodukte wer-den von den Leuten selbst einer vielseitigen und einfallsreichen Wiederverwertung zugeführt: Leere Dosen dienen oft als Blumentöpfe oder Waschgefäße, Zeitungspapier ersetzt das Toilettenpapier, Holz- und Me-tallreste werden zum Bauen benutzt. Die Verwendung organischer Abfälle zur Kompostierung wäre sicher wünschenswert, ist jedoch im Barrio aufgrund von Platzmangel nur bedingt möglich. Ein von einer Nichtregierungsorganisation vor-geschlagenes Altpapiersammelprojekt erwies sich als realitätsfern, da das wenige Papier, das im Barrio anfällt, hauptsächlich als Toilettenpapier verwendet wird.
Der chronische Wassernotstand
Die Wasserversorgung ist derzeit wohl das gravierendste Problem in Colinas. Obwohl die Mehrzahl der Haushalte an die öffentliche Versorgung angeschlossen ist, wird nur alle 8-14 Tage für einige Stunden Wasser ins Barrio gepumpt. Daher ist der Tag, an dem das Wasser kommt, stets mit einem Ausnahmezustand zu vergleichen. Während dieser Zeit ist das ganze Barrio auf den Beinen: Solange das Wasser läuft, wird Wäsche gewaschen, geduscht, geputzt und das kostbare Naß in Tanks und Tonnen gespeichert – unabhängig vom normalen Tagesablauf und Zeitrhythmus. Die Bevölkerung hat vor allem während der Trokkenzeit häufig mit Wasserknappheit und -mangel zu kämpfen. Am stärksten davon betroffen sind die oben gelegenen Haushalte, da durch unzureichende Pumpleistung, starke Wasserverluste durch undichte Rohre und das Auffüllen größerer Tanks im unteren Siedlungsbereich nur ein geringer Teil der Wassermenge oben ankommt.
Die Wasserversorgung für Caracas und die gesamte Küstenregion erfolgt neben einem großen Staudamm im Landesinnern lediglich über drei Stauseen im Stadteinzugsgebiet. Daher kommt es regelmäßig zu Versorgungsdefiziten und Rationierungen. Die Wasserqualität leidet trotz der Zugabe chemischer Desinfektionsmittel wie Jod und Chlor durch das Aufwirbeln von Sedimenten bei geringer Wassermenge im Klärbecken der Aufbereitungsanlagen. Dazu kommt, daß das System der Hauptwasserleitungen bereits sehr veraltet und schadhaft ist und Anzahl und Durchmesser der Rohre für eine wesentlich kleinere Einwohnerzahl bemessen wurde. Der Wasseraustritt aus Leitungslecks wiederum hat andere weitreichende Folgen, wie zum Beispiel die Unterspülung von unbefestigten Gebäuden, Untergrundsackungen und Erosion. Für Erhaltungsmaßnahmen und Reparaturen wäre eigentlich die Wasserbehörde zuständig, welche sich allerdings kaum um diese Angelegenheiten kümmert. Auch in diesem Bereich sind die BewohnerInnen also vor allem auf Selbsthilfe angewiesen.
Die Abwässer – ein ungeklärtes Problem
Ein sehr schwerwiegendes, stadtübergreifendes Problem ist das Fehlen jeglicher Art der Abwasserklärung. Dies hat eine sehr starke Verschmutzung und Belastung der Flüsse mit Industrie- und Haushaltsabwässern zur Folge. Eines der Hauptprobleme im Barrio liegt darin, daß die Abwasserrohre und -kanäle trotz der für die Entsorgung günstigen Hanglage häufig verstopft sind. Durch austretendes Abwasser kommt es zu Überschwemmungen, Geruchsbelastungen und hygienischen Problemen. Da die Abwasser- und Frischwasserleitungen oft direkt neben- oder übereinander verlaufen, kann ein Leck des einen Rohres leicht zu Beschädigungen des benachbarten und damit zur Verunreinigung des Wassers führen.
Ein weiteres Problem sind die offenen Abwasserrinnen, umfunktionierte natürliche Wasserläufe. Da einige von ihnen unbefestigt sind, sickern die oftmals auch mit Problemabfällen wie Chemikalien, Farbresten und Öl vermischten Abwässer der Kleingewerbebetriebe und Werkstätten direkt ins Grundwasser.
Selbsthilfe zwischen Institutionalisierung und Spontanaktionen
In Colinas de Palo Grande bildeten sich bereits mehrere Selbsthilfeorganisationen, teils aus Eigeninitiative, teils durch Anregung externer Gruppen. Es existieren zwei Nachbarschaftsorganisationen (ASOVI/ Asociacion de Vecinos) als offiziell anerkannte Verhandlungspartner zwischen Barrio-Bevölkerung und Stadtverwaltung. Sie unterliegen strengen gesetzlichen Vorschriften, sind bürokratisch eingebunden und hierarchisch strukturiert und damit in ihrer Eigendynamik stark eingeschränkt. Durch die starke Position der Präsidentin oder des Präsidenten ist die Organisation leicht kontrollierbar und oft parteipolitisch unterwandert. Dies führte in Colinas bereits des öfteren zu Konflikten sowohl innerhalb einer Organisation als auch zwischen den beiden benachbarten ASOVI und verhinderte eine sinnvolle Zusammenarbeit. Allerdings bietet diese Organisationsform die einzige Möglichkeit, mit offiziellen Stellen zu verhandeln und Anträge zu stellen.
Die Gemeinwesenarbeit wird somit auf Mängelerfassung, Antragstellung und Behördengänge reduziert und die Organisation manchmal mit Tätigkeiten beauftragt, die eigentlich im Aufgabenbereich der Stadtverwaltung liegen. Die Entwicklung und Ausführung eigener Ideen und Projekte tritt in den Hintergrund.
Des weiteren gab es seit der Barrio-Entstehung diverse, zeitlich begrenzte Selbsthilfeorganisationen. Die Handlungsmöglichkeiten dieser Initiativen sind allerdings sehr eingeschränkt, da ihnen sowohl die gesetzliche Anerkennung als auch finanzielle Unterstützung fehlen. In der Auseinandersetzung mit öffentlichen Institutionen haben die Selbsthilfeorganisationen kaum reelle Durchsetzungschancen, da sie weder in die Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden, noch gesetzlich anerkanntes Mitspracherecht haben.
In Colinas bildeten sich zum einen spontan entstandene Selbsthilfeorganisationen – meist in Form von Initiativen, um gegen ein konkretes Problem zu protestieren. Zum anderen gab und gibt es verschiedene Versuche seitens externer Akteure wie zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen, Selbsthilfegruppen in Colinas zu initiieren. So arbeitete die Umweltschutzorganisation CENDA (Centro de Desarollo y Ambiente) von 1988 bis 1990 an einem Forschungs- und Aktionsprojekt, in dessen Rahmen sie vor allem Gesundheits- und Umweltschutzseminare veranstaltete und verschiedene Gruppen in den Bereichen Kultur, Sport und Umweltschutz initiierte. Die Fortführung dieser Aktivitäten scheiterte einerseits an persönlichen Problemen der Koordinatoren, andererseits an der mangelnden Motivation der Barrio-BewohnerInnen. Einige Gemeinschaftsaktionen wurden auch durch Nachbarschaftskonflikte verhindert.
Seit 1990 führt die Frauen- und Umweltschutzorganisation GEMA (Grupo de Estudios sobre Mujeres y Ambiente) den Versuch fort, eine Selbsthilfeorganisation für die Frauen des Barrios zu gründen. Es bildeten sich vorübergehend Gruppen zu Themen wie Familienplanung, Heilpflanzenverwendung und Keramikherstellung. Eine Vorschule wurde aufgebaut, zur beruflichen Ausbildung wurden Friseur- und Nähkurse angeboten.
Den beiden Organisationsformen Nachbarschafts- und Selbsthilfeorganisation gemeinsam ist die mangelnde Kontinuität durch die hohe TeilnehmerInnenfluktuation. Hauptgründe dafür liegen vor allem im Zeit- und Finanzmangel der Leute, welcher durch die Verschärfung der politischen Situation und die steigenden Lebenshaltungskosten noch verstärkt wird. So stehen immer mehr persönliche Notwendigkeiten wie Hausbau, Ernährung und Einkommenserwerb im Vordergrund. Zur politischen Mobilisierung zur Lösung kollektiver Probleme kommt es erst dann, wenn sie existenzbedrohend sind.
Der vorliegende Beitrag erscheint in voller Länge in einer Publikation zum Thema Stadtentwicklung und Umwelt in der Reihe ASA-Studien beim Breitenbach Verlag im Herbst 1995