Aktuell | Nummer 599 - Mai 2024 | Venezuela

„Die Partei ruft dazu auf, gegen die Regierung zu stimmen“

Interview mit dem Sekretär für Internationale Beziehungen der Kommunistischen Partei Venezuelas, Héctor Rodríguez

Der Nationale Wahlrat von Venezuela hat Präsidentschaftswahlen für den 28. Juli angekündigt. Seit dieser Ankündigung gab es einige Unregelmäßigkeiten bei der Anmeldung der Parteien und ihrer Kandidat*innen. Die LN sprachen mit Héctor Rodríguez, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, über die der Regierung kritisch gegenüberstehenden Linken und die Situation im Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen.

Interview von: John Mark Shorack

Der Wahlkalender ist weit fortgeschritten. Das Nominierungsverfahren für Präsidentschaftkandidat*innen ist bereits abgeschlossen. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) war eine der Parteien, die Schwierigkeiten hatten, ihren Kandidaten anzumelden. Welche Schwierigkeiten gab es?
Wir wurden gleich zweimal Opfer eines Angriffs. Zunächst wurde gegen unsere Partei im August letzten Jahres gerichtlich interveniert. Ziel war es, linke Sektoren wie uns aus dem Präsidentschafts- und Parlamentswahlprozess des kommenden Jahres herauszuhalten.
Im Februar dieses Jahres hat der Nationale Wahlrat (CNE) abrupt einen vorgezogenen Zeitplan angekündigt, wodurch alle Fristen verkürzt wurden. Trotzdem haben mehrere linke Organisationen, darunter die Kommunistische Partei, beschlossen, bei diesen Wahlen mit einem unabhängigen Kandidaten, dem Journalisten Manuel Isidro Molina, anzutreten. Hier setzt der zweite Angriff auf die PCV an. Der CNE erlaubt keine Zulassung einer Partei, die eine alternative linke Kandidatur vorschlagen könnte.

Was geschah als euer Kandidat sich anmelden wollte und was sagt das über den aktuellen Wahlprozess aus?
Unser Kandidat erhielt Unterstützung durch die Wahlkarte der Partei Nueva Visión para mi País oder NUVIPA, die auf der ersten Liste als berechtigt aufgeführt war, aber keinen Zugang zur Online-Registrierung hatte. Am 25. März um Mitternacht schloss der Prozess, und die Registrierung konnte nicht abgeschlossen werden. Daran sieht man die Manipulation des gesamten Prozesses von Anfang bis Ende, von der Anerkennung der Parteien für die Wahl bis hin zum Nominierungsprozess. Diese ganze künstliche Komplexität ist auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, mit denen der offizielle Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas bei diesen Wahlen konfrontiert ist. Wir sprechen davon, dass der Kandidat, der derzeitige Präsident Nicolás Maduro, eine Ablehnungsrate von etwa 80 Prozent erreicht. Unserer Ansicht nach wollte die Regierung mit diesen Maßnahmen die absolute Kontrolle darüber haben, welche Kandidaten sich bewerben werden.

Mitte April endete der Zeitraum für die Eintragung der Bürger*innen ins Wahlregister. Wie verlief dieser Prozess und wie schätzen Sie die politische Stimmung in der Bevölkerung ein?
Im Wahlkalender war ein Zeitraum für eine Registrierungskampagne vorgesehen. Aber dieser Anmeldeprozess begann, ohne dass jemand wusste, wo die Registrierungsstellen waren. Es gab Beschwerden aus Regionen, in denen diese Stellen sehr spät eingerichtet wurden oder die Registrierung lange Zeit dauerte und die Warteschlangen sehr lang waren. Es war ein Mechanismus, um die Menschen zu zermürben und sie von der Teilnahme abzuhalten. Die Regierung wendet all diese Maßnahmen absichtlich an, um die Bevölkerung zu entmutigen und die Nichtteilnahme zu erhöhen, so dass sie die Präsidentschaft gewinnen kann, obwohl sie in der Minderheit ist. Dennoch konnten sie die Anspruchshaltung der Bevölkerung bezüglich ihrer Teilnahme nicht verringern. Die Bestrebungen, wählen zu gehen und das Stimmrecht als Instrument für Veränderungen zu nutzen, sind weiterhin hoch.

Was denken Sie über das rechte Oppositionsbündnis und María Corina Machado?
Wir haben klargestellt, dass sich weder die MUD noch die Regierung, also die beiden Pole, wesentlich voneinander unterscheiden. Denken wir daran, dass die Parteien der MUD die Parteien der traditionellen großen Unternehmensverbände sind. Und diese Unternehmensverbände haben heute Allianzen mit der Regierung. Tatsächlich wird die Arbeitsmarktpolitik, die die Regierung anwendet, von der Bourgeoisie und ihren Parteien unterstützt. Der Streit liegt im Politischen: Wer übernimmt die politische Kontrolle über den Staat? Was wir sehen, ist, dass es jetzt einen intensiven Verhandlungsprozess gibt, der zu einem Übergang führen wird, bei dem sich diese Gruppen die politische und wirtschaftliche Macht aufteilen, was sie bereits jetzt schon tun. Aber in neuer Form.
Bis vor kurzem war Maria Corina Machado im Land noch ein Niemand, und jetzt wird sie als große Hoffnungsträgerin dargestellt. Aber wir wissen alle, dass María Corina aus den extremen Kreisen der venezolanischen Bourgeoisie und der Oligarchie stammt. Die Regierung hat mit der Krise dazu beigetragen, dieses Phänomen zu stärken, und auch durch die Fehler, die sie mit der Verletzung politischer und demokratischer Rechte begangen hat.

Was schlagen Sie vor, was die Venezolaner*innen bei den Präsidentschaftswahlen tun sollten?
Die Partei ruft dazu auf gegen die Regierung zu stimmen, denn die Regierung verkörpert eine autoritäre Form der Verwaltung. Es wird versucht, Anpassung durch politische Repression gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Das zeigt sich in der Abschaffung von Rechten wie dem Streikrecht, der Einschränkung gewerkschaftlicher Freiheiten und der Kriminalisierung und gerichtlichen Verfolgung von Arbeitskämpfen. Aber ohne die Illusion zu haben, dass, wenn eine dieser anderen Kräfte gewinnt, alle unsere Probleme gelöst werden.

Wie organisiert sich die kritische Linke in Venezuela jenseits der Wahlen?
Wir treiben einen Versuch voran, einen Referenzrahmen für die Zusammenführung der Linken zu schaffen, einschließlich breiter Sektoren des sogenannten kritischen Chavismus. Es gab große Abspaltungen von der Regierungspartei PSUV, weil das Programm, das Maduro umsetzt, völlig im Widerspruch zur Politik von Hugo Chávez steht.
Die Gefahr, dass die autoritäre Regierung weiter gestärkt wird, bleibt bestehen, denn wenn die Arbeiterklasse nicht die Kraft hat, dagegen zu kämpfen, dann wird eine neue Regierung einer anderen Kraft und in Koalition mit der derzeitigen Bourgeoisie weitere Anpassungsmaßnahmen durchführen und − wenn nötig − noch repressiver agieren.

Foto: Privat

HECTOR RODRÍGUEZ

ist Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees und Sekretär für internationale Beziehungen der Kommunistischen Partei Venezuelas

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