Dürre erschließt Profite
Nach überstandener Wasserkrise sucht Uruguay nach einer Lösung
Im August 2023 atmete Montevideo auf. Die Wasserkrise, deretwegen die Uruguayer*innen drei Monate ohne sauberes Trinkwasser leben mussten, war fürs Erste überstanden. Nach längeren Regenfällen füllte sich der Wasserspeicher von Canelón Grande mit Frischwasser, so dass das Wasser aus der Leitung wieder trinkbar war. Eine Erleichterung für die fast zwei Millionen Einwohner*innen der Metropolregion Montevideo.
Nun stehen das Land und die Regierung vor der Frage, wie sich eine erneute Wasserknappheit dieses Ausmaßes verhindern ließe. Da sich die gesamte Metropolregion fast vollständig auf jenen einzigen Wasserspeicher in Canelón Grande verlässt, hat Uruguays Regierung im Laufe der Jahre eingesehen, dass sie ihre Wasserinfrastruktur ausbauen muss. Bereits vor der Wasserkrise wurde vom Kongress ein neues Wasserinfrastrukturprojekt verabschiedet: Mit dem Proyecto Neptuno, einer Entsalzungs- und Filteranlage, soll Wasser aus dem Río-de-la-Plata-Becken trinkbar gemacht werden. Im Dezember 2022 stellte die Mitte-rechts-Regierung Lacalle Pou das private Projekt vor, dessen Kosten auf etwa 400 Millionen US-Dollar geschätzt werden.
Auch die linke Vorgängerregierung hatte schon 2020 ein Wasseraufbereitungsprojekt am Casupá-Bach mit einem Kostenaufwand von nur etwa 200 Millionen US-Dollar geplant, mit dessen Bau die staatlichen Wasserwerke OSE beauftragt gewesen wären. Lacalle Pous Regierung hatte sich in einer Abstimmung im November 2022 dann überraschenderweise gegen diese Pläne gewandt und für das Proyecto Neptuno entschieden, das nun 2024 von privaten Firmen umgesetzt werden soll.
Uruguays Verfassung garantiert seinen Einwohner*innen das Recht auf Trinkwasser. Nach monatelanger Dürre konnte der Staat diesen Rechtsanspruch im letzten Winter jedoch nicht mehr gewährleisten. Der Pegel im Wasserspeicher Canelón Grande sank bis auf zehn Zentimeter, so dass die OSE Salzwasser in die Trinkwasserleitungen einleiten musste, um den Wasserdruck aufrecht zu erhalten. Andernfalls wäre das Rohrsystem kollabiert. Die Regierung sah sich gezwungen, Flaschenwasser zu subventionieren, da das Leitungswasser derart hohe Salz- und Schadstoffwerte aufwies, dass es für den menschlichen Konsum ungenießbar war. Diese zusätzlichen Ausgaben für das tägliche Trinkwasser bedeuteten besonders für Uruguayer*innen mit geringem Einkommen einen harten Einschnitt in den Geldbeutel. In der Hauptstadt kam es zu breiten Protesten und ländliche Nachbarschaften versuchten, in Eigeninitiative improvisierte Brunnen zu bohren.
Kritiker*innen bezweifeln, dass das Proyecto Neptuno das Problem der Wasserknappheit lösen werde. Bei einer Anhörung im Kongress Anfang September letzten Jahres richtete die Opposition mehr als 80 Fragen an die Planungskommission. Es zeigte sich, dass die endgültige Finanzierung und viele Einzelheiten in der Projektplanung nicht geklärt waren. Der Abgeordnete Felipe Carballo des linken Parteienbündnisses Frente Amplio wies auf Unregelmäßigkeiten bei der Ausschreibung des Projektes hin. So seien einige Vorschriften geändert worden, um bestimmte Unternehmen zu begünstigen. Für die Instandhaltung der Anlage soll eine private Firma unter Vertrag genommen werden, was aus Steuergeldern aufzubringende, hohe Kosten bedeutet. Bleibt die Frage, warum sich die Regierung trotz günstigerer Alternative für dieses teure Projekt entschieden hat. Die Opposition vermutet, dass von der Auslagerung des Projektes auf private Akteure vor allem bestimmte Firmen profitieren.
Ausgaben für Trinkwasser bedeuteten für Uruguayer*innen mit geringem Einkommen einen harten Einschnitt
Auch die Umweltorganisation Amigos de la Tierra (Freunde der Erde) kritisiert, dass die Privatisierung der Wasseraufbereitung das Recht auf Trinkwasser unterwandere. Zudem sei das Wasser aus dem Río de la Plata von geringer Qualität und mit Agrotoxinen aus dem Flussverlauf durch Brasilien, Paraguay und Argentinien schwer belastet. Auch die Metropole Buenos Aires leitet inzwischen ihre Abwässer in den Fluss. Amigos de la Tierra hat deshalb eine Verwaltungsbeschwerde eingereicht. Es bleiben außerdem Zweifel an den technischen Details des Projektes. Besonders im Sommer, wenn mit Dürreperioden zu rechnen ist, ist die Salzkonzentration im Río de la Plata häufig besonders hoch. Laut Edgardo Ortuño, dem Direktor der OSE, könne die Anlage das Wasser dann nicht mehr ausreichend filtern.
Seit der Krise ist das Thema Wasser stark politisiert. Viele Uruguayer*innen sehen mit kritischem Blick auf die aktuelle Wassernutzungspolitik. Im eigentlich wasserreichen Uruguay werden Forderungen lauter, die Konzessionen für einige wasserintensive Wirtschaftszweige zu reduzieren. Die Landwirtschaft, vor allem die Fleisch- und die Zelluloseindustrie, die über 60 Prozent der Wirtschaftsexporte ausmachen, sind zum Beispiel verantwortlich für den Verbrauch von 86 Prozent des an der Oberfläche fließenden Wassers. In den meisten Fällen zahlen die Firmen für dessen Nutzung keine Gebühren.
Der uruguayische Soziologe Daniel Pena beschreibt das Wasserproblem in Uruguay als „Ausdruck einer legalen Plünderung zum Wohle des Marktes“. „Sie ist Ausdruck einer Partnerschaft zwischen multinationalen Unternehmen und verschiedenen Regierungen, die den Unternehmen systematisch Gemeingüter bereitstellen, die für das Leben zentral sind. Das geschieht meist im Rahmen von Verträgen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgeschlossen werden und mittels Erleichterungen wie Freihandelszonen und/oder maßgeschneiderter Infrastruktur, die auf der Grundlage einer erhöhten Auslandsverschuldung errichtet wird.“ Demonstrationen im vergangenen Juni deklamierten: „No es sequía, es saqueo” − Es ist keine Dürre, es ist Plünderung.