Nachruf | Nicaragua | Nummer 563 – Mai 2021

EIN MENSCHLICHER KÄMPFER

Nachruf auf unseren Weggefährten und Compañero Albert Luther

Von Anke Spiess und Erika Harzer

Gefragt Albert Luther während der Besetzung der westdeutschen Botschaft in Nicaragua 1986 (Foto: Rob Brouwer)

Die Gedanken reisen zurück in die 1980er Jahre, nach Managua in Nicaragua: in Alberts Haus im Stadtteil El Dorado, auch Eldorado für viele Internationalist*innen. Es war Umschlagplatz für Informationen, Schwarzbrot und Käse, Briefe und Päckchen aus der fernen Heimat, zudem ausgestattet mit einem echten Telefon, ein Juwel in jener Zeit ohne Internet und Handy. Albert hat Haus, Kühlschrank, Auto, sein Leben mit uns geteilt. In seinem großen Herzen war Platz für die unterschiedlichsten Menschen. Als Pfarrer hatte er sich der Befreiungstheologie zugewandt. Er war ein radikaler Menschenfreund, ein menschlicher Kämpfer für eine gerechte Gesellschaft, die die Sandinist*innen damals den Nicaraguaner*innen versprachen. Faszinierend für Albert und für viele junge Menschen, die deshalb aus aller Welt nach Nicaragua kamen.

So bot sein Haus uns ein Zuhause und den Platz für leidenschaftliche politische Diskussionen über Revolution, Solidarität, die sandinistische Politik, die Rolle der Befreiungstheologie. Egal ob Brigaden-Koordination, ökumenische Delegationen oder Gewerkschafter*innen: sie alle debattierten auf den nicaraguanischen Schaukelstühlen seines Wohnzimmers. Über Alberts Telefon kamen gute und schlechte Nachrichten. Er wurde angerufen, wenn die von den USA finanzierten Contras Menschen entführten oder töteten. Bei ihm klingelte das Telefon, als eine deutsche Brigade entführt und auch als die Internationalisten Iwan, Joel und Bernd 1986 zusammen mit Nicaraguaner*innen in einem Hinterhalt der Contra umgebracht wurden. Albert wurde zum Seelsorger und „Pressesprecher“ zugleich. Er war nicht eitel, es ging ihm nie darum im Vordergrund zu stehen, und vielleicht war genau das der Grund, warum er im Mittelpunkt stand. Als 1986 die Contra eine deutsche Brigade entführte, wurde sein Haus zum Sitz des „Krisenstabs“ der Solidaritätsgruppen. Von dort liefen die Kontakte nach Deutschland: über das Informationsbüro in Wuppertal zu den Angehörigen der Entführten und zum Krisenstab in Bonn. Aktionen wurden geplant, mit denen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden sollte, damit diese gegenüber der US-Regierung und der Contra für die Freilassung der Entführten aktiv wird. So wurde die deutsche Botschaft in Managua besetzt, Internationalist*innen ketteten sich vor der US-Botschaft und an zentralen Plätzen in Costa Rica und Honduras an, da die Contras in diesen Ländern Militärbasen unterhielten. In seiner ruhigen und gelassenen Art strukturierte Albert das Gewusel, hatte immer den Kontakt zur richtigen Ansprechperson in Regierung oder Presse. Nach drei Wochen wurden die acht Entführten freigelassen. Albert war Mitorganisator der großen Pressekonferenz mit den Freigelassenen, die weltweites Interesse fand.

Wir sind traurig, dass Albert am 4. April 2021 an Corona gestorben ist. Uns bleiben viele Erinnerungen und existentielle Politik- und Lebenserfahrungen mit Albert. Seine Großzügigkeit und Herzlichkeit haben unsere gemeinsame politische Arbeit geprägt.

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