Nummer 505/506 - Juli/August 2016 | Panama

ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT FÜR DIE OLIGARCHIE

In Panama sorgt der Streit um einen Staudamm für dauerhafte Konflikte

Der Staudamm Barro Blanco sorgt seit Jahren für gewaltvollen Streit zwischen der panamaischen Regierung und den betroffenen indigenen Gemeinden. Die Bauarbeiten sind mittlerweile abgeschlossen, die Flutungen haben begonnen. Eine Lösung ist trotzdem noch möglich, doch dazu müssen die finanzierenden Banken einschreiten.

Von Leonie Düngefeld

Hört man Esteban Binns über Barro Blanco sprechen, dann spürt man die Emotionen, die in ihm wühlen. Dennoch bleibt er ruhig, spricht mit einer klaren Besonnenheit. So, als habe er nichts mehr zu verlieren. Bereits mehr als ein Dutzend Tote hat der Konflikt um den Staudamm die indigene Gemeinschaft Ngäbe-Buglé gekostet, erzählt er, und auch er hätte beinahe nicht überlebt. Vor vier Jahren schlugen ihn Polizisten während einer Demonstration bewusstlos. Er hatte Glück. Und schwor sich, im Namen der Opfer für Gerechtigkeit zu kämpfen. Binns stammt aus Tabasará, der Region im Westen Panamas, durch die der gleichnamige Fluss fließt und die zugunsten eines Wasserkraftwerks geflutet werden soll. Er ist der Arbeit halber in die Hauptstadt gezogen, lehrt dort Mathematik an der Universität. Nun berät er gemeinsam mit sechs anderen Fachleuten die indigenen Repräsentanten, die derzeit am „Runden Tisch“ mit der panamaischen Regierung verhandeln.
Die Situation ist kompliziert: Es geht um ein indigenes Volk, das sich diskriminiert fühlt, ein Unternehmen, dessen Direktor in Honduras der Korruption angeklagt ist, es geht um eine deutsche und eine niederländische Bank – und um eine Regierung, deren Ziele nicht eindeutig sind. Die Bauarbeiten am Barro Blanco Staudamm am Tabasará wurden bereits abgeschlossen, die Flutungen haben begonnen. Die Dörfer, religiösen Stätten und landwirtschaftlich genutzten Flächen von vier Gemeinden sind in Gefahr.
Nachdem der erste Entwurf 1981 an den massiven Protesten der lokalen Bevölkerung gescheitert war, wurde das Projekt Ende der 1990er Jahre wieder aufgegriffen. Noch trug es den Namen Tabasará. 1999 mündeten erste Demonstrationen in Festnahmen, und die Ngäbe-Buglé begannen, sich als Movimiento 10 de Abril (M10) zu organisieren. Damalige Gesetze verhinderten schließlich die Umsetzung.

Damm oder Freiheit: Die Ngäbe-Buglé kündigen an, die Panamericana zu besetzen (Foto: Esteban Binns)

In den darauffolgenden Jahren wurden wesentliche Teile des panamaischen Umweltrechts verändert. Das eigens für diesen Zweck gegründete Unternehmen GENISA erhielt 2007 die Genehmigung für den Bau des Staudamms, nun unter dem Namen Barro Blanco. GENISA führte zwar eine Studie über die Umweltverträglichkeit des Projekts durch und befragte die lokale Bevölkerung – doch wurden die Gemeinden, die entlang des Flusses leben und somit direkt von den Flutungen betroffen wären, niemals in Beratungen einbezogen. „Das Volk der Ngäbe-Buglé wurde zu keinem Zeitpunkt konsultiert. Es hat dieses Projekt nie akzeptiert“, so Binns. Der Congreso General, die höchste Entscheidungsinstanz des lokalen Verwaltungsdistrikts, habe nie über Barro Blanco entscheiden dürfen. Schlimmer noch: In der Umweltverträglichkeitsstudie heißt es, in dem Gebiet gäbe es „keine indigenen Gemeinden von Bedeutung“. Binns fühlt sich nicht nur ignoriert, er fühlt sich verleugnet.
Nach dem Amtsantritt der Regierung unter Ricardo Martinelli im Jahr 2009 spitzte sich die Lage deutlich zu: In einem höchst intransparenten Prozess wurde die ursprünglich geplante Kapazität des Staudamms von 19 Megawatt auf 29 Megawatt angehoben. Das heißt: Der Damm sollte 20 Meter höher, das Wasserreservoir um fast 30 Hektar größer und die umliegenden Gebiete zu einem fünf Meter höheren Level geflutet werden. Eine für solche Änderungen erforderliche neu aufgezogene Studie über mögliche Auswirkungen blieb aus, es wurde sich weiterhin auf die erste Studie bezogen. Anfang 2011 begannen die Bauarbeiten.
Manuel Zárate ist Mathematiker und Hydrologe. Als in den 1990er Jahren eine Bauwelle von Wasserkraftwerken durch das Land ging, war er der erste, der diese wissenschaftlich untersuchte. „Trotz der Wassermassen, die unser Land durchfließen, gibt es in Panama keine Kultur der Wasserwirtschaft. Es mangelt an Expertise“, berichtet er. Dadurch sei es während der Planung solcher Projekte immer wieder zu starken sozialen Konflikten gekommen. Meist mit indigenen Gemeinschaften, die in vielen Gebieten Panamas bis heute sehr traditionell und präkapitalistisch leben. Als technischer Berater am Runden Tisch möchte Zárate zwischen den beiden Visionen vermitteln, die dort aufeinanderprallen. Auf der anderen Seite sitzt eine Regierung, die historisch eng mit den Unternehmern der Region verstrickt ist und deren Mitglieder immer wieder der Korruption bezichtigt werden.
Als Oligarchie bezeichnet Zárate das System. Die Macht des Landes sei in den Händen einiger reicher Unternehmerfamilien konzentriert. Auch die Familie des Ex-Präsidenten Martinelli gehöre dazu. Dieser selbst war Teilhaber der Firma, die das Staudamm-Projekt am Tabasará an GENISA verkaufte. Während seiner Amtszeit von 2009 bis 2014 unterstützte er dann den GENISA-Vorstand: Die Kafie-Familie aus Honduras, deren Name vor allem für Korruption und Vetternwirtschaft steht. Martinelli ließ das Projekt durch die Umweltbehörde genehmigen, obwohl die Umweltfolgenabschätzung grundlegende Mängel aufwies. Als die indigenen Gemeinden dagegen klagten, hätte der Oberste Gerichtshof bloß mit den Schultern gezuckt, erzählt Zárate. „Das war ein Spiel für Martinelli.“ Ein Spiel mit schlimmen Folgen für die Ngäbe-Buglé: Auch Funktionär*innen aus ihren Reihen wurden bestochen, um Barro Blanco zu genehmigen. „In Panama herrscht eben das Gesetz des Geldes“, meint auch Esteban Binns. „Wer bezahlt wird, ist still“. Und es geht um sehr viel Geld.
Geld, dass sich GENISA zunächst einmal aus Deutschland und den Niederlanden geliehen hat: Die holländische FMO und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), Tochter der KfW, finanzieren Barro Blanco mit jeweils 25 Millionen Dollar. Sie investieren dadurch in grünen Strom, der bis zu 70.000 Menschen versorgen würde. Auf ihrer Homepage erklärt die DEG, sie trage zu „dauerhaft besseren Lebensbedingungen in Entwicklungsländern“ bei. Was ist mit den Ngäbe-Buglé? Den Informationen der DEG nach hätte es eine Einigung zwischen GENISA und des Verwaltungsdistrikts der Ngäbe-Buglé gegeben. Das Unternehmen hätte Vertreter*innen der indigenen Bevölkerung mehrfach über das Vorhaben informiert. Erst später hätte sich herausgestellt, dass sich nicht alle Indigenen vertreten fühlten und dem Projekt zugestimmt hätten.
Fachreferentin Schrahe-Timera betont, die Bank nehme „Kritik an ihrer Arbeit sehr ernst“. Ein spezieller Beschwerdemechanismus stehe sowohl Organisationen als auch Einzelpersonen offen, die sich beeinträchtigt fühlen. Indigene aus Tabasará nahmen dies 2014 wahr, erzählt auch Esteban Binns. Allerdings kam das unabhängige Gremium, das die Beschwerde prüfte, zu dem Schluss, dass die Banken ihre Kredite im Einklang mit ihren Standards vergeben hätten. Auf diese verweist auch Schrahe-Timera: Umwelt- und Sozialprinzipien der europäischen Entwicklungsfinanzinstitutionen, Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Foto: urgewald

Die deutsche Bundesregierung, deren Vertre­ter*innen im Aufsichtsrat der DEG sitzen, äußerte sich bis jetzt kaum zu dieser Angelegenheit. Auf eine Anfrage von Mitgliedern des Bundestages hin erklärte sie, „über eine etwaige Verletzung sozialer und ökologischer Belange“ habe sie keine Kenntnis. Auch sie beruft sich auf die Einhaltung der Standards, die in der Zwischenzeit sogar überarbeitet wurden. Diese Prinzipien würden ja gut und richtig sein, meint Zárate, aber sie könnten nicht einfach von Europa auf Lateinamerika übertragen werden. Der Wettkampf der Banken um neue Märkte für ihr Kapital sei der Grund für die Rückständigkeit dieser Länder. „Sie unterstützen Oligarchen und nennen das dann Entwicklungszusammenarbeit – dabei sehen sie nicht, dass ihr Geld den Korrupten direkt in die Hände fließt.“
Von den Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen urgewald und Rettet den Regenwald angetrieben, protestiert auch die deutsche Zivilgesellschaft. Vor der DEG-Zentrale in Köln fordert sie, die Flutungen sofort zu beenden und die Landrechte der Menschen vor Ort ernst zu nehmen. Die Bank solle eine unabhängige Delegation in das betroffene Gebiet schicken und für einen Neubeginn der Gespräche sorgen. Urgewald ist seit Jahren in der Divestment-Bewegung aktiv und bewegt Investor*innen dazu, ihr Kapital aus riskanten Vorhaben abzuziehen. Nach dem Motto: „Wer das Geld gibt, trägt die Verantwortung“.
Dienstag in Panama: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und die Regierung haben zu einer Veranstaltung eingeladen. Präsident Varela scheint sich in den Barro Blanco Gesprächen verheddert zu haben, er lässt sich lieber von Minister Alemán vertreten. Dieser erzählt von den Erfolgen des Varela-Kabinetts und erklärt schwungvoll: „Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, beweisen wir unsere Loyalität dem Staat gegenüber. Wir garantieren, dass die panamaische Wirtschaft zu einem Fortschritt für alle Panamaer beiträgt.“ Zum Abschied erhält man einen Informationsatlas: Anhand bunter Grafiken und Diagramme wird darin der Status quo panamaischer Entwicklung zusammengefasst. Spätestens jetzt wird klar: Die indigene Bevölkerung bildet den ärmsten und verletzlichsten Teil der Gesellschaft. Nachzügler in beinahe jeder Kategorie ist der Distrikt der Ngäbe-Buglé. Ihre Einwohner*innen haben die geringste Lebenserwartung, die höchste Arbeitslosenrate, das niedrigste Durchschnittseinkommen und den langsamsten Fortschrittsrhythmus. Sie sind zu weniger als fünf Prozent mit Elektrizität versorgt – die Wasserkraftanlage, die vor ihren Nasen entsteht, wird daran jedoch wahrscheinlich nichts verändern. Oder doch?
Wenn es nach Esteban Binns ginge, würde der Staudamm auf der Stelle abgerissen. „Wir werden alles dafür tun, dass dieses Wasserkraftwerk nicht in Gang kommt“, verspricht er. Das Vertrauen in die Regierung sei längst gebrochen. Kein Wunder, nach jahrelangen Protesten, gewaltsamen Ausschreitungen der Polizei und mehreren erfolglosen Runden Tischen mit den Behörden. Im August vergangenen Jahres einigten sich beide Seiten, die Bauarbeiten zu unterbrechen, bis es eine für alle akzeptable Lösung gäbe – doch die Regierung ließ den Bau wenig später kommentarlos weiterführen. Auch die Flutungen haben mittlerweile begonnen. Die Proteste eskalierten, die Indigenen stellten ein Ultimatum. „Wenn die Regierung in der nächsten Woche nicht darauf eingeht, werden wir die Interamericana, den wichtigsten Verkehrsweg des Landes und Zentralamerikas, blockieren.“
„Die Wut und Enttäuschung ist sehr verständlich“, findet Manuel Zárate, „trotzdem darf man die Situation nicht schwarz-weiß sehen.“ Er möchte die Chance nutzen und Barro Blanco zu einem Motor des Fortschritts für die lokalen Gemeinden machen. Mit Beteiligung der Ngäbe-Buglé soll der Staat GENISA die Anteile am Projekt entziehen. So könnte garantiert werden, dass die lokalen Gemeinden Barro Blanco mitgestalten und selbst vom produzierten grünen Strom profitieren. Allerdings müssten dafür die Banken mitspielen und Druck auf GENISA ausüben. „Wenn sie ihr Kapital retten wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig“, meint Zárate. Denn alle sind sich einig: Bis vor das oberste internationale Gericht werden sie Barro Blanco treiben, sollte nicht bald eine Lösung möglich sein.

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